01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991028010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899102801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-28
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Wir geben auf da» Geschwätz gar nicht»; Meinungsverschiedenheiten giebt e» jederzeit in jeder Partei, von der „Freisinnige Volkspartei" genannten orientalischen Despotie natürlich abgesehen, und in der Geschichte gerade der nationalliberalen Partei, die in Deutschland die älteste ist, läßt sich bei genauem Zusehen auch nickt ein einziges Viertel jahr entdecken, da» nicht Zeuge von der Vertretung gegensätz licher Ansichten gewesen wäre. Dies liegt im Wesen der Mittel partri, und wenn in der anderen Mittelpartei, vei den Frri- conservativrn, seit einigen Jahren Reibungen nickt beobachtet wurden, so hat die» darin seinen Grund, daß Frbr. v. Stumm den ursprünglichen Charakter dieses politischen Ge bilde» gründlich zu modificiren verstanden hat und e» dem von Herrn Eugen Richter bewegten Mechanismus täglich ähnlicher macht. Dieser Herr ist eine im politischen Drill ausgehende Unterofsiciernatur, wie sie sich in der Armee ja nicht mehr findet, sondern nur noch in den „Fliegenden Blättern". Nur hier treten noch Casernenbofmänner auf, die durch einen gelockerten Knopf die Schlagfertigkeit des Heeres ge fährdet sehen, nur in oer „Post" de» Herrn v. Stumm konnte gedruckt werden, was wir heute dort lesen, nämlich: in der nationalliberalen Partei stießen bei dem Streit über den BundeSrathSentwurf, bet r. den Schutz deS Arbeits verhältnisses, „geradezu zwei verschiedene Weltanschauungen aufeinander". Gegen diesen Unsinn müßten auch die Deutsckconser- vativen protestiren, die über die Gesetzesvorlage so wenig einig sind wie — das Stumm'scke Fähnlein ausgenommen — irgend eine Partei rechts vom Freisinn. Ist aber die „Kreuzztg." auch nicht so „philosophisch" wie die „Post", so übertreibt sie doch die praktische Tragweite der unter den Nationalliberalen bestehenden Meinungsverschiedenheit nicht minder al» das srriconservative Blatt. Wenn die Gegner aufmerksam wären, so würde ihnen nicht entgangen sein, daß die von einem nationalliberalen Organ — ohne jegliche Autorisation, wie wir nicht bezweifeln — geforderte und angekündigte Ver dammung des Abg. Bafsermann durch den Ausschuß der nationalliberalen Partei deS Königreichs Sachsen auS- geblieben ist und daß sich überhaupt bis beute noch kein einziger nationalliberaler Mann, geschweige denn eine nationalliberale Organisation auf den Boden des ArbeitSsckutz- gesetze» der Regierung gestellt hat. Diese negative Thatsache reicht auS, um den Bestand der nationalliberalen Partei völlig ungefährdet erscheinen zu kaffen. Man ist in der Partei einig, etwas nicht zu wollen, nämlich die Regierungsvorlage; hinsichtlich dessen, waS angestrebt werden soll und erreichbar sckeint, herrschen allerdings MeinungSverschiedenbeilen, die aber nicht tiefer gehen, al» jene von 1891, wo die Berlepsch'scken Vorschläge zum § 153 der Gewerbeordnung die Nationalliberalen gleich falls nicht einmüthig fanden, ohne daß diese Differenz für die Eintracht der Partei irgend welche nachtheiligen Folgen gehabt hätte. Jetzt ist, wie nicht zu bestreiten, derAnschein etwas kritischer. Da» liegt aber ausschließlich an der Jnscenirung der Arbeits schutzcampagne, die zu einer Haupt- und Staatsaction empor geschraubt werden sollte, was aber nicht gelungen ist und auch, soweit wenigstens die nationalliberale Partei in Be tracht kommt, nicht gelingen wird Ueber Herrn Bassermann'S Hockenheimer Rede war bekanntlich falsch berichtet worden. Er hat nickt viegesammte Großindustrie derHeuchelei, der Verfolgung eigensüchtiger Zwecke beschuldigt. Daß er die Gruppe von Industriellen sammt ihren viel bösartigeren Handlangern, die er gemeint, mit Recht scharf beurtheilt, wird jeder Unbe fangene zugeben, der von den niedrigen Angriffen erfährt, denen der süddeutsche Parlamentarier nach wie vor ausgesetzt ist. Ein Berliner Blatt hat dieser Tage einen, wie e» sagt, ihm aus Baven zugegangenen Artikel veröffentlicht, in dem e», nach einem die letzten Ziele der Veröffentlichung offen barenden boshaften Seitenhieb auf den badischen national liberalen Führer Fieser, von dem — in dem überwiegend ländlichen Wahlkreise Jena gewählten — Abgeordneten Baffer- mann u. A. heißt: „. . . ES sind auch nirgend» Aussichten für ihn, denn Herr Bassermann ist mit seinen industriösen Allüren durchaus ein Can« didat des städtischen Publicum». Soweit die Städte seiner Partei sicher sind, ruhen die Mandate in festen Händen und von unsicheren Bezirken bietet denn doch immer noch die Vaterstadt die besten Aus sichten. Diese Zwangslage, mit den gegebenen Verhältnissen sich einzurichten, erklärt seinen entschiedenen, manchmal sogar frivolen Opportunismus.... Der Bassermann'sche Standpunkt ist lediglich das Ergrbniß eine- rechnerischen Manövers. Er hofft mit seiner entschiedenen Stellungnahme gegen die „Zuchthausvorlage" Las kleinbürgerliche, der Socialdemokratie noch nicht verfallene Element zu gewinnen. Mit anderen Worlen, die Venbeilung der Parteien in Mannheim, wo die Demokratie ziemlich stark auftritt, läßt eine demokratische Appretur Vortheilhaft erscheinen und im Uebrigen ist Herr Bassermann rin glänzender Redner." Weiterhin ist von „dem Einfluß des Geldes von Herrn Bassermann und seiner reichen Verwandtschaft" die Rede. Das Blatt, aus dem sich diese Schmutzwellen ergießen, sind die „Berliner Neuesten Nachrichten", ein Herrn Krupp nahe stehendes Organ, dem von den Flottenfeinden unter stellt wird, r» trete für eine Flottenverstärkung ein, weil der „Panzerplattenfabrikant" au» Esten Einfluß auf seine poli tische Haltung habe. Herr Geheimrath Krupp wird kaum finden können, daß diese Verleumdung elender sei, als die in jenem Blatte durch die Unterstellung selbstsüchtiger Be weggründe wider Herrn Bassermann zurechtgerichtete. Um den Schutz der Arbeitswilligen handelt es sich bei diesem Treiben ohne Zweifel nicht. Die „Berliner Neuesten Nachrichten" wissen ganz genau, daß in der nächsten Tagung auf diesem Gebiete nichts zu Stande kommt und daß, wenn etwas zuwege zu bringen wäre, solche Anwürfe gegen einen der Führer einer geachteten Partei dem Werke nur hinderlich sein würden. Der Zweck der Basser mannbetze ist rin parteipolitischer. Man möchte in Rheinland und Westfalen eine Anzahl einflußreicher Männer auS dem Kreise der Industrie von der nationalliberalen zur freiconservativen Partei herüberziehen. An sich ein be rechtigtes Streben eine- freiconservatiren Blattes. Aber so sicher sie sich bewußt sind, durch die Beleidigung national liberaler Männer die Sache deS Arbeitersckutzes nicht zu fördern, so fest müssen die „Berliner Neuesten Nachrichten" auch überzeugt sein, daß sie durch die Entzweiung der National liberalen deS Westens die Sache der Socialdemokratie, ge legentlich wohl auch die deS Centrums fördern. Es können nationalliberale Mandate durch das Hinübertreten national liberaler Notablen auf die Stumm'sche Seite verloren gehen, freiconservative können dadurch aber nicht gewonnen werden; um Herrn v. Stumm Gefolgschaft zu leisten, dazu ist die breite Schickt des westlichen Bürgcrthums zu unabhängigen Sinnes. Vergl. Saarbrücken und, was den Süden, Bayern, anlangt, die Rede, die der national liberale Abgeordnete Casselmann am Dienstag in der Münchner Kammer gehalten bat. Der zweifellos im Sinne der meisten seiner bayerischen Parteifreunde sprechende Redner vertheidigte zwar die Regierungsvorlage gegen die zu weit gebenden Vorwürfe der Socialdemokratie, bestritt, daß sie daS CoalitionSrecht der Arbeiter vollständig unterdrücken würde, und verurtbeilte auf bas Schärfste den Versuch der „Genoffen", aus dem Reckte der Coalitionssreiheit daS Recht des CoalitionS- zwangeS herzuleiten, fuhr dann aber fort: „Wenn ich auch die Uebertreibungen zurückweise, so kann ich doch im Namen des größten TheileS meiner persönlichen Freunde sagen, daß diese Vorlage einmal nicht nöthig war, ja daß die Einbringung derselben meiner Auffassung nach ein großer poli tischer Fehler war. Ich stehe genau auf dem Standpunkte, den der Abg. Bassermann in der Sitzung vom 19. Juni 1899 dargelegt hat. Ich kann mich nur dem Bedauern anschließen, daß infolge der Auffassung, die Herr Bassermann verschiedentlich geäußert hat, nun in der nationalliberalen Parteipresse ein solcher Feldzug unter nommen wird, der sogar in dem Wunsche gipfelt, Laß Bassermann nicht mehr ein Führer der Partei sein könne. Gleichwohl glaube ich, daß die Herren beruhigt sein können. In jeder Partei giebt es einen häuslichen Unfrieden, man spricht sich aus, — dos wissen ja die Herren da drüben (die So- cialisten) am besten (Lochen) — man versteht sich wieder und der Friede ist wieder hrrgestellt. Wir würden es lebhaft bedauern, wenn die Sache mit dem Abgeordneten Bassermann eine andere Wendung nehmen könnte. Wenn ich auch die Verpflichtung des Staates zum Schutze der Arbeitswilligen anerkenne, so kann doch durch die bestehenden Vorschriften dieser Schutz vollständig erreicht werden (vicko 8 153 der Gewerbeordnung und eine große Anzahl von Paragraphen des Strafgesetzbuches.) Eine Voraussetzung ist dabei immer gemacht, daß die Staatsorgane zu richtiger Zeit und am richtigen Platze ihre Schuldigkeit thun. Bassermann hat aber ganz richtig bemerkt, daß in einer Reihe von Fällen die Polizei bedenklich schlapp vor gegangen sei. Eine Verschärfung der Bestimmung durch Erhöhung der Strafe ist auch nicht nöthig. Die eigentlich Schuldigen bei solchen Streikausschreitungen werden oft doch nicht getroffen. Eine alte Erfahrung ist, daß Diejenigen, welche das Unglück angezettelt haben (die Agitatoren), den „besseren Theil der Tapferkeit", die Vorsicht, anwenden, und sich unsichtbar machen. (Sehr ricktigl) Die Verführten kann man nach den bestehenden Bestimmungen gewiß hart genug bestrafen. Abg. Oertel bat darauf hingewiesen, daß heute schon daS Streikpostenstehen strafbar sei. Er hat dabei wohl nur sagen wollen, es sei vorgekommen, daß Ge richte für solche Postensteher die Strafe wegen groben Unfugs ausge sprochen haben. Der Staatssekretär Nieberding hat im Reichstag ausdrücklich betont, daß an und für sich das Streikpostenstehen, soweit es sich auf gütliches Zureden beschränkt, nicht strafbar sei. Mit der Bestrafung des Streikpostenstehens nimmt man den Arbeitern allerdings einen großen Theil der Coalitionssreiheit. Darum ist der 8 4 der Vorlage für uns nicht acceptabel. Ich theile die Befürchtung, die Abgeordneter Oertel über die Trag- weite des 8 8 ausgesprochen, nicht. So liegen die Dinge nicht, daß in jedem Streik Zuchthausstrafe ausgesprochen werden kann. Die ganze Denkschrift enthält eigentlich kein Beispiel, aus dem sich erkennen ließe, wie der Streik aussieht, der eine Gefahr für die Sicherheit des Reiches oder eine gemeine Gefahr für Leben und Eigenthum zur Folge haben könnte. Aus den Motiven kann man entnehmen, was gemeint ist. Diese lassen aber die Aus legung des Abg. Oertel nicht zu. Ich will mich nicht in eine Be sprechung der Vorlage einlassen. Die Gesetzesvorlage ist sehr ein seitig. (Sehr richtig!) Wenn man 1890 und 91 bereits esne Aenderungdes8153 herbeigesührt hätte imRahmen der Coalitionssreiheit, dann wäre der richtige Zeit punkt hierfür gewesen. Damals handelte es sich um werth volle Gewährleistungen an die Arbeiter, damals hätte das Gesetz den Charakter der Einseitigkeit verloren. Mit der Vorlage hat man der Socialdemokratie ein scharfes Agitationsmittel in die Hand gegeben. Wir haben gehört, daß es sich um eine Neuauflage deS Socialistcn- gcsetzcS handelt. (Sehr richtig! bei den Socialdemolraten.) Tas Socialisiengesetz richtete sich gegen die Socialdemokratie. Von dem gegenwärtigen Gesetzentwurf aber haben Sie (die Socialdemokcatcn) selbst erklärt, daß er gegen die gestimmte deutsche Arbeiter schaft gerichtet sei. Man braucht nicht das Mißtrauen der Social- demokratcn gegenüber den verbündeten Regierungen zu theile», man kann doch auf Len Verdacht kommen, Laß es sich hier um ein Attentat auf die Coalitionssreiheit handle. Man soll doch nicht auch Len vielen Millionen Arbeitern, die nicht socialdemokratisch sind, vor Len Kopf stoßen. Fernbleiben soll der Verdacht, daß man ihnen Rechte nehmen wolle, die man ihnen früher gegeben. In dem Augenblicke, wo die Herren Socialdcmokrateu sich über die wichtigsten Dinge in den Haaren liegen, hat ihnen die Negierung selbst das Einigungsmittcl ge liefert ... Wenn es uns gelingen soll, die Arbeiter, die insicirt sind von den socialdemokratischen Irrlehren, znrückzusührcn auf Len Boden der Königstreue, der Religion und der Vater landsliebe, dann dürfen wir nicht mit solchen Gesetzen kommen, sondern dann müssen wir thätig Mitarbeiten am weiteren Ausbau der socialen Gesetzgebung. Ter Arbeiter muß wissen, Laß er nickt auf die socialdcmokratische Parteien allein angewiesen ist, sondern, daß er von den bürgerlichen Partei kräftige Unterstützung zu hoffen hat." (Lebhaftes Bravo!) In der That bleibt gegen den vorliegenden Entwurf und gegen den Versuch, im Anschluß an denselben etwas zu schaffen, als stärkstes Bedenken die falsche, eben alle nicht- socialdemokratischen Arbeiter obne Ausnahme beherrschende und erst auf dem Boden einer neuen, nicht geschichtlich belasteten Vorlage zu beseitigende Vorstellung bestehen, daß die Coalitionssreiheit der Hintanhaltung des CoalitionS- zwangeS geopfert werden solle. Soll ein solcher neuer, der terroristischen Socialdemokratie Abtrag tbuender und sie nickt fördernder Entwurf zu Stande kommen, so ist das nur mög lich, wenn die Nationalliberalen gemeinsam nach der rechten I Form suchen. Feuilletsn anwesend. Man erging sich im Garten, der immer finsterer wurde, bis sich plötzlich auf einem Rasenplatz hellbestrablt das Bild des Schlosses zu Schönbrunn abhob. Es war ein Dau auS Holz und Gips mit bemalter Leinwand bekleidet. Abends wurde hier getanzt. Innen war der Saal mit Gage be kleidet. Die Gräfin erzählt nun: Ich befand mich in der Galerie, als Feuer ausbrach; ich verdanke meine Rettung vielleicht einem Vorfälle, über den ich mich kurz zuvor geärgert hatte. Ich hatte eine einfache Robe aus Tüll an, an dem Gürtel desselben binz ein Bouquet von weißem Flieder und war mittels einer Kette, aus kleinen, mit Diamanten besetzten Leiern bestehend, am Gürtel befestigt. Beim Tanzen war die Kette gerissen; die Gräfin Brignole, in deren Obhut ich mich an jenem Abend befand, batte be merkt, daß ich mit dem Vicekönig einen Walzer zu tanzen mich ansckickte, sie führte mick schnell in die Galerie, um die Kette ganz zu beseitigen. Während sie dies zu thun sich au- schickte, bemerkte ich eine leichte Rauchwolke über einem Arm leuchter. Mehrere junge Leute standen um uns her, wclcke ich sogleick darauf aufmerksam machte; einer der Herren sprang aus eine Bank und riß, um der Gefahr zu begegnen, die über dem Leuchter hängende Draperie herab, welche dadurch den Flammen zu nahe kam und, bell ausflackernd, im Nu den ge- tbeerten Plafond in Brand steckte. — Es war ein Glück für mick, daß die Gräfin so viel Geistesgegenwart batte, mich beim Arm zu nehmen und mit mir durch den Saal hindurch der Treppe zuzucilen, diese stürmte sie mit mir im F uge dinab und kam erst zu Alhem, als wir daS der Gesandtschaft gegenüber liegende HauS der Frau Regnault erreicht hatten und in Sicherheit waren. Sie wies mich an, von einem Balcon auS zu sehen, was die nächsten Augenblicke bringen würden. Ich wußte kaum, wie mir geschah, und batte gar zu gern weiter getanzt; schien es mir doch unmöglich, daß eine ernste Gefahr dem Orte drohen könne, an welchem sich der Kaiser Napoleon aufhielt! Ter Brand forderte viele Opfer. Die Frau deS Gesandten Oesterreich« Fürst Schwarzenberg und seine Schwägerin waren unter ihnen. Die Zahl der Opfer ist nie bekannt geworden. Napoleon benahm sich bei dem Unglück ziemlich kaltblütig. Er brachte erst die Kaiserin in ibrcn Wagen und kehrte dann zurück, um „beim Löschen des FeuerS behilflich" zu sein. Die Memoiren der Gräfin reichen nur bis zum Jabre 1820, obgleich sie erst im Jabre 1867 starb. WaS sie ver anlaßt bat, über die letzten 47 Jahre ihres Leben-, während deren sie dock viel sah und beobachtete, zu schweigen, das sagt sie nickt, aber auch so ist genug deS LesenSwerthen in ihren Memoiren enthalten. und sein Geist, sondern auch sein« Ritterlichkeit auf sie Ein druck gemacht haben. Nach berühmtem Muster, wie Napoleon mit der Gräfin Walewska, auf die man ibn schon vorher aufmerksam gemacht batte und der infolgedessen seine Wünsche schon vor seiner Ankunft mitgetheilt wurden, wollte auch Murat die Liebe einer Polin gewinnen, und eS sieht diesem Manne ganz ähnlich, daß er seiner Wirthin, der Gräfin Potocka, nahte. Nahte, ist eigentlich zu viel gesagt. Er schickte ihr durch seinen Kammerdiener einfach den Schlüssel zu seinen Gemächern. Der Empfang, den dieser Kammer diener fand, war gerade nicht sehr freundlich. Herr v. F...1 half dann über die Verlegenheit beider, deS Prinzen Murat und der Gräfin, hinweg. So bekam aber die Gräfin bei Zeiten einen Vorgeschmack von den Sitten in Paris, und trotzdem litt es sie nicht in Warschau, im Jahre 1810 trat sie die Reise nach Frankreich an. Da passirte ihr denn auch so Mancherlei, das auf mehr Abenteuer schließen läßt, als wie sie vorgiebt gehabt zu haben. In Pari» stieg sie zuerst bei ihrer Tante TySzkewicz ab. Diese Tante TySzkewicz war keine Anbeterin Napoleon », sie verkehrte viel im alten Faubourg Saint Germain und dort wurde viel medisirt. Auf die Kaiserin Louise war man aber doch schlecht zu sprechen. Man erzählte sich allerhand pikante Geschichten über sie und Napoleon. Der Letztere hat sie in den ersten zwei Tagen nach ihrer Ankunft sehr höflich, ganz al» Kaiserin behandelt. Marie Louise aber hatte sich in unwürdig herablassender Weise ihm gegenüber benommen, so daß Napoleon'- guter Wille bald verflogen war, und nach zwei Tagen nahm er ihr gegenüber die Gewohnheiten de- großen ManneS an. Wollte man in Pari» bei Hofe vorgestellt sein, dann mußte man allen Königinnen und Prinzessinnen vorgestellt sein und seine Besuche überall machen. Eine Jede hatte ihren besonders dazu bestimmten Tag. Man mußte also jeden Morgen von neuem Toilette machen, wa« viel Zeit in Anspruch nahm; die schönsten Stunden de» Tage» mußten dazu verwendet werden, StaakSroben an- und auSzuzirhen. Den Abend über ruhte man im Theater au». In der Mittagszeit empfing der Kaiser und zwar in seinem Cabinet die Besucher. Nachdem man die vorgeschriebenen drei Verbeugungen gemacht batte, wurde der Name gerufen. Der Kaiser stehend, die «ine Hand auf seinen Schreibtisch stützend, wartete, indem er die Eintretenden, fall» e» junge und bübscke Damen waren, mit freundlichem Blick begrüßte. Der Eintritt aber war nur das Präludium zu einem anderen schwierigen Act. Beim Hinau-geben waren nämlich die drei Verbeugungen im Rück- wärtSschritt zu wiederholen, und da» war nicht so leicht, denn Memoiren der Gräfin Potocka. ii. Die junge Gräfin Potocka müßte kein Weib gewesen sein, wenn e» sie nickt von dem langweiligen Gute, au« dem zwar sehr lebenslustigen Warschau, von der Seite eines nicht gerade geliebten ManneS hinweg nach Paris gezogen hätte. Diese Sehnsucht wurde immer größer, und da eS nun einmal zum guten Ton gehörte, in Pari« gewesen zu sein, so fand ihr Verlangen weder bei ihrem Gatten, noch bei ihrer Mutter starken Widerspruch. Durch ihre Memoiren schlängelt sich eine Person, eine männliche, deren sie immer mit einer gewissen Aufmerksamkeit gedenkt und die sie in allen männ lichen Tugenden schillern läßt. Sie sagt nickt gerade, daß dieser Herr v. F ... t ihre Sehnsucht nach Paris vermehrt habe, aber ein wenig sckeint er dock seine Rolle dabei gespielt zu haben. Nun, Gräfin Potocka soll keine Heilige gewesen sein, aber in ihrem Buche findet sich keine Spur, daß sie diesem Herrn v. F... t irgend welche Avancen gemacht habe, im Gegenthril, al» sie ihn in Frankreich wieder fand, war sie ziemlich enttäuscht und sckeint ihre Beziehungen zu ihm nicht erneuert zu haben. E« waren ja auch seit dem Anfänge ihrer Bekanntschaft mit Herrn v. F... t vier Jabre verstrichen und er ziemlich brustleidend geworden. DaS Klima Polen» bekam den französischen Cavalieren nicht immer gut. Es war aber auch ein lustige» Leben, al» die Schlackt bei Jena geschlagen war und Napoleon sich der von Preußen besetzten Hauptstadt Polen» näherte. Jedermann glaubte die Wiederherstellung Polen» gekommen, e« berrschte eitel Freude und Lust. Diejenigen, die die Wiederherstellung Polen« nicht von Napoleon erwarteten, erhofften sie von Alexander. Alexander tbat nicht», um diesen Glauben zu zerstören. Er war selbst einmal bei der Potocka und ihrem Gemahl zu Tisck; eS war 1805 auf ihrem Schlosse Willanow. In seiner Begleitung befand sich Fürst Adam CzartorySki, ver alte Edelmann, der seine ganze Hoffnung auf Alexander setzte und der sich srck« oder sieben Jahre spater, von Napoleon al» Grneralfeldmarschall an die Spitze Pole»« berufen, gejzen Alexander auSspielen ließ. Jedenfalls war ein Jahr spater Alexander vergessen und unter seinem NamenSzuge, den er in da» goldene Buch von Willanow eintrug, steht unmittel bar der Napoleon'». Wenn sich die Gräfin Potocka in den Adjutanten Murat'» eia wenig verliebte, so mag übrigen» nicht nnr seine Gestalt der „Hofmantel" war außerordentlich lang und mußte mit einem Fuß zurückgeschnellt werden; in der Kunstfertigkeit, mit der dies bewerkstelligt wurde, lag ein Zeichen von Distinction. Der Kaiser empfing mich, so erzählt die Gräfin in ihren Memoiren*), mit ganz besonderer Huld, wodurch mir der Zwang des CeremoniellS wesentlich erleichtert wurde. Er fragte nach all' meinen Verwandten und sprach besonders vom Fürsten Poniatowski. Trotz der Aufmerksamkeit, die ich jedem seiner Worte schenkte, konnte ich es mir nicht versagen, einen Blick auf die prachtvolle Sibylle Guercino'S, die über seinem Schreibtisch hing, zu richten, sie war aus dem Capitol entführt — dort hin sollte sie eines TageS zurückkchren. Napoleon, dessen beobachtendem Blick so leicht nichts ent ging, batte mick sofort errathen, er fragte lächelnd, ob ich eine Freundin der Malerei wäre, dann müßte ick die Bekanntschaft von Herrn Denon machen und mit diesem Herrn die Museen besuchen. „Vor Allem aber", fügte er hinzu, „hoffe ich, daß Sie sich auf die Festlichkeiten vorbereiten, die jetzt ihren Anfang nehmen; ich hoffe, daß Sie bei keiner derselben fehlen werden." Damit und mit einem Gruß zugleich war ich entlassen. AuS dem Cabinett deS Kaiser- verfügte ich mich in den Wartesaal zu den Gemächern der Kaiserin, in welchem viele Personen versammelt waren. Die hohe Dame trat gleich darauf, ge folgt von einem zahlreichen und glänzenden Hofstaate, ein. Der Geschmack ihrer Toilette drängte die äußeren Mängel ihrer Erscheinung doch nur wenig bei Seite. Kein wohl wollendes Lächeln, kein, wenn auch nur neugieriger Blick be lebte daS hölzerne Gefickt. Sie machte die Runde um den Saal wie «ine jener durch Mechanismus bewegten Puppen, mit ihrer steifen dünnen Taille, ihren hellblauen starren Porzellanaugen. Der Kaiser sckritt neben ihr und soufflirte ihr, WaS sie den Leuten sagen sollte, die er besonder- auSzeicknen wollte. Al» an mich die Reihe kam und eine Hofdame der Souveränin meinen Namen genannt batte, konnte ick ganz deutlich hören, wie Napoleon ibr sagte: „sehr anmutbig", sie wiederholte die Worte mit trockener Stimme und einem häßlichen Accent. ES würde zu weit führen, noch mehr Einzelheiten aus dem Buche hier anzusühren, wir müssen dieserhalb darauf verweisen. Eines Vorfall» wollen wir aber nock gedenken, da er an da« gräßliche Unglück, den Bazarbrand in Pari«, vor einigen Jahren erinnert. Bei der Fürstin Borghese war ein großes Nachtfest. Der Kaiser und die Kaiserin waren ") Memoiren der Gräfin Potocka, Verlag von Schmidt L Günther, Leipzig.
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