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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.10.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991030012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899103001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899103001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-30
- Monat1899-10
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In Leipzig abonnirt man für 3 mit Bringerlohn 3 75 und nehmen Bestellungen entgegen sämmtliche Zeitungsspediteure die Hauptexpedition: Johannisgafse 8, die Filialen: Katharinenftratze 14, Königsplatz 7 und Universitätsstratze Arndtstraste 35 Herr L. V. Llttel, Colonialwaarenhandlung, Beethovenstraste 1 Herr Colonialwaarenhandlung, Brühl 53 0. L. 8eUuder1's ^LvilkolKer, Colonialwaarenhandlung, Frankfurter Straste (Thomasiusstr.-Ecke) Herr Otto Llautsekkv,Colonialwaarenhandlung, Löhrstraste 15 Herr LtluurU Üet/vr, Colonialwaarenhandlung, Naschmarkt 3 Herr ll. 6. 8eImlLv, Nürnberger Straste 45 Herr LI. L. Udieelit, Colonialwaarenhandlung, in Anger-Crottendorf Herr Lodert brelner, Zweinaundorfer Straße 19, - Connewitz Frau Llseker, Hermannstraße 23, - Eutritzsch Herr Lodert Bitner, Buchhandlung, Delitzscher Straße 5, - Gohlis Herr Rodert Bitner, Buchhandlung, Lindenthaler Straße 5, - Lindenau Herr Albert Lindner, Wettiner Str. 51, Ecke Waldstr., Buchbinderei, - Neustadt Herr Raul Lueli, ^nnoneen-LxpeMlvn, Eisenbahnstraße 3, 3, Ranstsche Gaffe 6 Herr Lrleär. Ll8eller, Colonialwaarenhandlung, Ranstädter Steinweg 1 Herr 0. LuKelniann, Colonialwaarenhandlung, Schützenstraste 5 Herr ^ul. 8eküutt<;deii, Colonialwaarenhandlung, Westplatz 32 Herr L. Vittried, Cigarrenhandlung, Äorkstraste 32 (Ecke Berliner Straße) Herr L. >V. Lietr, Colonialwaarenhandlung, Zeitzer Straste 35 Herr V. Lüster, Cigarrenhandlung, in Plagwitz Herr v. blrütLmrmn, Zschochersche Straße 7 a, Reudnitz Herr lV. k'nKMLNU, Marschallstraße 1, - -- Herr v. 8eluntä1, Kohlgartenstraße 67, - - Herr Lernk. I^vder, Mützengeschäft, Gabelsbergerstraße 11, - Thonberg Herr L. LLntsed, Reitzenhainer Straße 58, - Bolkmarsdorf Herr Veorx Xtewunn, Conradstr. 55 (Ecke Elisabethstr.). Hofleben im 15. Jahrhundert. IV. Daß zu Ende des 15. Jahrhunderts die Erziehung der Kindec eine anvere als heute war, ist einleuchtend. Aber so sehrverschieden ist sie wohl euch nichtgewesen. Heute wird dasKindvon derMutter oder Amme genährt, es wird in der Frauenstube — entweder in Der Kinderstube oder dem Wohnzimmer — aufgezogen und bleibt dis ungefähr zum zehrtten Jahre in der Obhut der Mutter, soweit das Kind ein Knabe ist. Dann nimmt sich der Vater seiner an und nun kommt der Knabe auf eine hohe Schule, muß lernen, leinen, daß er kurzsichtig wird, und seine Freuden der Jugend sind nur sehr kurz. Dor wenig Jahren noch mußte der Jüngling die Geschmeidigkeit der Glieder der jungen Griechen zu Homer's Zeiten besingen, er mußte über jedes Ding im Gymnasium, d. h. im griechischen, Auskunft geben, aber er selbst wurde engbrüstig und schi fachselig, er kannte kaum vor lauter Bücherweisheit die landschaftlichen Schönheiten 'seines Städtchens und mußte Oden zum Preise des griechischen Himmels dichten. Im Mittelalter gab man mehr auf die Ausbildung des Körpers. Die erste Erziehung der fürstlichen Kinder besorgten, nächst der Mutter, auch noch zwei Hofmeisterinnen „der jungen Herrn und Fräulein", äderen eine im Jahre 1474 Anna von Hartisch (Hartitzsch) war, während eine zweite nur unter der Benennung „Frau Lehne" in den Nachrichten aufgeführt ist. Mit großer Sorgfalt sorgte man für die Pflege der Ammen; sonderbar ist's, wenn man in den Hofrechnungen die Zahlungen an Lohn und Gebührnissen fin'det, welche „2 Ammenknechte" erhalten, neben welchen jedoch auch 6 Ammenmägde (1474) erwähnt werden. Die Prinzen wurden, wenn sie den ersten Kinderjahren entwachsen waren, einem Erzieher übergeben; unter Andern heißt es in einer Hofrechnung des Jahres 1474: „Hofgewandt vor meinen gnädigen jungen Herrn gen Torgau geschickt; dem Zuchtmeister 8 Ellen ländisch (niederländisch) Tuch zu Hosen." Außerdem war ein Bakkalaureus bei dem Erziehungswesen angestellt, auch gab man den Prinzen Gespielen; Ziegelheim und Taubenheim, deren in des Hofes „Aussatz" (Etat), jedoch schon 1456, Erwähnung ge schieht, waren jedenfalls die Jugendgenoffen Ernst's und Albrecht's; jeder derselben hatte Rosse und nöthige Dienerschaft. Bei den Prinzen Albrecht's befanden sich, wie es scheint, in eben jener Eigenschaft die Herren von Gera, „von Wilnfels", Weiffen bach und Egloffstein; Lehrer der Prinzen war Magister Wach, unter -hm Mei Baccalaureen. Außer jenem Zuchtmeister war aber die obere Aufsicht über das Erziehungswesen gewöhnlich einem Manne aus dem Ritter- oder Ge'lehrtenstande übertragen, guiweiken gehörte er 'beiden an. Kurfürst Ernst übergab sein« Prinzen, den nachmaligen Kurfürsten Friedrich den Weisen und Johann den Beständigen, als sie in das Jünglingsalter zu treten anfingen, dem Ritter und Doctor Otto Spiegel und trug dem Bischöfe zu Meißen auf, „die Söhne und ihre Umgebungen an ihn zu weisen und zu befehlen, ihm gehorsam zu seyn und sich nach -hm in allen redlichen Sachen als ihrem Hofmeister zu richten." In der deshalb gegebenen Verordnung sagte Ernst, „er habe gern vernommen, wie seine Söhne gehorsam und folgig wären und sey sein Begehr, daß Meister Ulrich (der Lehrer) sie fleißig zur Lehre, Tugend und Zucht halte, daß sie, so Gott ihnen Lebetage gebe und sie erwachsen würden, mit den Leuten nach ihrem Stande und Wesen erbarlich zu handeln wüßten". Zu gleich wurden auch die in der Nähe der Prinzen sich befindenden jungen Leute unterrichtet; namentlich finden wir, daß dies in ritterlichen und Leibesübungen geschehen sei. Nächst der Reit kunst wurde auch „das Ringen" getrieben (ein Theil des heutigen Turnens), hierin unterrichtete die fürstliche Jugend und deren Genossen „Hanns der Ringer", dem Herzog Albrecht 32 Gülden auch dafür (1492) auszalhlen ließ, „daß er Lüttichen und Sieg- 'mund von, Miltitz Ringen gelehrt". Besonderes Interesse müssen wir noch der Küche der damaligen Zeit entgegenbringen. Sie war natürlich nicht so reichhaltig wie unser« heutige und sie war auch nicht so fein. Mit der starken Be wegung im Freien, mit dem Mangel so manchen Comforts ver trugen sich die festen und kräftigen Speisen, die starken Gewürze und die sauren Weine, sowie die Massen Bier, die vertilgt wurden. Essen und Trinken erhielt auch damals den Leib, wie heutzutage, womit freilich nicht gesagt sein soll, daß eine gewisse Nnmäßigkeit für die Gegenwart vorbildlich sein solle. Man muß sich ganz in jene Zeiten versetzen, wenn man die Kleinigkeiten der Rechnungen stüdirt, und wenü man dabei ausrechnet, daß diese Kleinigkeiten, über die uns die vergilbten Papiere berichten, ganz hübsche Posten darst«llen- Sie geben uns in khrer Genauigkeit ein Bild des Essensund Trinkens unserer Altvordern und zeigen uns, was sie vertragen konnten. Ob einstmals die Wein rechnungen eines Commerzienrathes einer vierhundert Jahre jüngeren Generation auch den Weg zur Erkenntniß unserer Sitten weisen werden? Vor vierhundert Jähren freilich, da waren die Frauen der Vornehmen mehr in der Küche zu Hause, kümmerten sich mehr um das leibliche Wohlbefinden ihrer Ehe herren als heute, und in dieser Beziehung werden die nach kommenden Gcschlechier kaum so viel Freude an unserer Zeit haben, als wir von der vor vierhundert Jahren. Zur Zeit Ernst's und Albrecht's besorgte die fürstliche Mutter nicht allein die erste Erziehung der Kinder, sondern sah auch nach den Rechten in der Küche. So wurden im Jahre 1472 verausgabt 52 Groschen „für einen Mörser und Schüsseln meiner gnädigen Frauen". Die fürstliche Tafel erforderte einen, wenn auch nur der Meng« nach, gut versehenen „Zehrgaden". Besonders war die Tafel Ernst's und Albrecht's mit Wildpret besetzt. Eichhörnchen und Großvögel gehörten schon zu Friedrich's des Sanftmüthigen Zeit zu den Lieblingsgerichten; fettes Schweinefleisch und Brat würste waren, wie es scheint, auch sehr geschätzt. Von Fischen wurden Salzhechte und Lachs in den Rechnungen häufig ge« funden. In einer Rechnung von 1477 heißt es: „4 Gülden pro 1 Tonn« gesalzen Hecht in meines gnädigen Herrn Küch«." Hauptsächlich wurde viel Honig consumirt, denn es finden sich unter Andern einmal 8 Gülden verschrieben für „3 Tonnen Honig, dem gnädigen Herrn in die Küchen". Bisweilen wurd« die fürstliche Küche mit Geschenken, bestehend in Erzeugnissen des Landes, versehen. Der Gleitsmann zum Hayn sandte mehrere Wagen Hechte, und bemerkt« dabei als Zweck: „damit euer Gnaden auf den heiligen Abend haben", und fügte noch die Bitte bei, „von ihm, dem armen Gesellen, es gutwillig anzunehmen, wenn er es gütlich meine". Aber auch König Wladislaw von Böhmen sendete einen von seinem königlichen Vater in Polen erlegten Auerochsen nach Dresden, und Ernst und Albrecht unter ließen nicht, in einem Antwortschreiben zu bemerken, daß solch' Wildpret in ihren Landen etwas Seltenes wäre und dergleichen sie vorher nie gesehen. Von Gewürzen liebte man besonders den „Jngeber" (Ingwer) und „Näglein"; Safran wurde ebenfalls häufig zu den Speisen gebraucht. Endlich wurde zur Bereitung der Speisen Aepselwein benutz!. Für 24 Tonnen dieses Weines bezahlte der Rentmeister 3 Schock 28 Groschen. Zum Nachtisch genoß man Mandeln, Rosinen, auch Feigen; als z. B. Herzog Albrecht im Märzmonat des Jahres 1477 zum Morgenessen nach Meißen kam, war die Tafel besetzt mit Karpfen, gesalzenen Hechten, Hering, gesalzenen „Brosamen" (wohl einer Art Mehl speise); zugleich aber verschrieb der das Küchenbuch führende Be amte 3 Gr. für Früchte, 2 Gr. für 1 Pfund Mandeln, 3 Gr- für 2 Pfund Feigen und ebenso viel für Z Pfund Rosinen. Eonfect lieferte theilweise der Apotheker, denn dem Herzog Albrecht werden 1486 3 Schock 16 Gr- berechnet: „dem Apoiheker König für Eonfect, Artznei und anderes laut seiner Zettel". Unvcrhältnißmäßig viel Zucker ward verbraucht; für einen Centner, „je 8 Pfund für einen Gülden", wurden 4 Schock 48 Gr. 6 Pf. berechnet (1486). Getränke, deren man sich bediente, waren Bier und Wern. Ersteres wurde namentlich von Freiberg in großer Menge an das fürstliche Hoflager gebracht. Im Jahre 1471 ließ Herzog Albrecht 30 Schock für eine einzige Bier lieferung bezahlen und 1477 wurden 13 Schock Groschen ausgegeben für das Schroten von 1461H Faß Bier und 96 Kufen Wein. M« berühmtesten Bier brauer uckd Hoflieferanten zu Freiberg waren von 1475—1480 Simon Auerbach und Nikol Thiele. Von Wein war der kostbarere der Rheinfall und Frankenwein; gewöhnlich da gegen war der Landwein, der ebenfalls in großer Menge und theils noch als Most gekauft ward. Vielleicht genoß man letzteren auch bei Tafel. Erwähnt findet sich ein Mostkauf in Cyila (Zscheila) bei Meißen. Sehr bedeutende Weineinkäufe wurden zu Burgau bei Jena gemacht. Im Jahre 1470 sandte der Rent meister zu einem solchen Geschäft 136 Schock 20 Gr. dorthin. Auch für Bereithaltung eines reichlichen Weinvorrathes trug Albrechr öfters selbst Sorge, und im Jahre 1480 schrieb er des halb an den Kurfürsten: „Um den Wein wird euer Liebe wohl in Kunde kommen, wie sich der Heuer zu werden anlasse und wo Gott sein Gnaden verleihet, daß er noch gerathen und togelich (tauglich) werden (mag), so kann euer Liebe den nicht näher und besser gelaufen denn zu Nehmen und auf der Elbe bei uns zu bringen, das wird euer Liebe wohl in Achtung haben, zu welchre Zeit und nach Schickung des Wetters den zu kaufen und danach zu bestellen wohl Maaß finden; um die Zahl wie viel, wird euer Liebe auch wohl zu Rathe werden, doch so Gott wollt, daß der Wein geriet, bedünkt uns um hundert Fuder zu bestellen, nachdem „Thurmhaune". Eine Sage aus der Neuzeit, erzählt von Marie Bohm. «iaibdrilS rcrbolcn. Der Fremde, den der Zufall sich in di« gute Stadt Fallhausen verlieren läßt, wird es nicht versäumen, dem alten Marktplatz einen Besuch abzustatten. Nachdem er all' die alter-hün-liche, von dem oft wundersamen Geschmack unserer Voreltern zeugende Herrlichkeit in Augenschein genommen hat, läßt er wohl auch seinen Blick auf die alt« Kirche fallen, deren schlanke Haupt- thllrme wie Zwillingsbrüder gleichmäßig hoch zum Himm«l emporstreben. Hoch in den Lüften, noch das spitze Kirchdach weit überragend, ziert eine Galerie die hohen Säulen, welchr durch eine armartige Brücke verbunden sind. Nachdenkend wandelt der Fremde wohl um das alte Gebäude, das uns in seinem altgothischen Stile von vergangenen Jahr hunderten und von der Zeit des alten Reiches erzählt, wo noch Weihrauchdüfi« den geheiligten Räumen entströmten und das Meßnerglöcklein die Gläubigen zum Gebete aufforderte! Das alte Reich war nun zwar längst: in Trümmer gegangen und aus dem Staube der Ruinen sproß eine neue Zeit empor, die nach und nach die Spuren der alten Romantik verwischte, nur um die alten Baudenkmäler weht noch lxr Rest eines romantisch poetischen Zuges, den festzuhalten wir so gern ge neigt sind. Diesem Zuge mochte auch ein Fremder solgen, der jetzt leicht die Stufen des Vorplatzes hina-ufftieg und, indem er vor einem kleinen Pförtchen in der Maurr stehen blieb, zu den Thürmen emporblickte. „Wenn Sie den Thurm besteigen wollen, ziehen Sie nur an dem Glockenzug« und man wird Ihnen einen Schlüssel herunterlassen", bewirkte ein gefälliger Polizist. Der Fremde befolgt« den freundlichen Rath. Bald rasselt« es durch die Lüste, und über seinem Haupt« schwebte an einer Kette ein Jahrhundert« alter Schlüssel. Schnell wurde da» Pförtchen geöffnet. Doch mühsam war «das Besteigen der ausgetretenen Steinstufen d«s engen Treppenhauses. Auch mochte furchtsamen Seelen, die im Dunkeln diese Räume durchwandeln, unheimlich genug zu Muthe sein, denn Eulen und Fledermäuse hatten hier ihre Nester gebaut. Indessen sandte augenblicklich die Sonn« ihre Strahlen durch die kleinen Thurmfenster und der glänzende Reflex verklärt« die alten Mauern. Bald g«lang!« der Wanderer in die Region des Daches, das spitzwinkelig sich hoch über ihn erhob. Grau und staubbedeckt starrten ihm überall die vom Wurm durchbohrten Balken entgegen. Der Strom der schnell eilenden neuen Zeit hatte mit seiner Alles umfassenden Gewalt auch dies Heiligthum berührt. Eiserne Röhren führen den Trank des Lebens bis in diese Höhen und metallene Fäden verbinden die Thurmbewohner Mit dem Getriebe der Welt. Jetzt hatte der Besuch die letzte schmale Stiege erklommen und, di« kleine zur Galerie führende Thür öffnend, that sich ihm eine neue Welt auf, denn in dem vollen Glanze eines duftenden Maientages lag unter ihm die Stadt. Mrniaturartig gruppirtea sich die Häuser. Dazwischen aber ragten die düsteren Ruin«n eines Domes und eines alten Schlosses empor. Doch, wie um diesen Eindruck zu verwischen, umschlossen grüne Hügel das liebliche Panorama, und dort, wo das silberne Band des Flusses «in« Windung macht, schimmerten auf erhöhtem Vorsprung«, von alten Kastanien beschattet, die weißen Mauern hoher Gebäude. Nach seimr Wanderung um die eine Thurmgalerie betrat der Fremde die beide Thürme verbindend« Brücke. Unwillkürlich senkten sich seine Augen nach unten. Mächtig lang streckte sich hier daS hohe Kirchdach unter seinen Füßen, und schneidig scharf war die Kante, in der sich die steikn Seitenflächen des glatten Schieferdaches zu einem spitzen Winkel vereinigten. Eine Reihe starker eiserner Haken liefen derselben entlang. — Sie mochten wohl dazu di«n«n, daS Seil zu halten, an dem der schwankende Sitz befestigt wurde, dessen sich die Dachdecker bei ihrer Arbeit bedienten. Gott im Himmel, wenn das S«il reißen, wenn der Haken sich lösen sollte, — dann Gnade dem armen Opfer! Es würde nicht einmal Zeit haben, ein Vat'erunser zu beten, bis es zerschmettert in der Tiefe anlangte. Dem Besucher de» ThurmeS schaudert« rS bei diesem Gedanken. Um ein anderes Bild zu ge winn«»:, wandte er sich der Galerie des anderen Thurmes zu, von der ihm schon längst süße Düfte entgegenströmten. Unter dem geöfsneien Fenster, dessen Topfgewächse einen wahren Blumen garten bildeten, saßen auf einer Bank der Thürmer und seine Gattin. Beide blickten nach der Seite, wo unter den hohen Kastanien die weißen Mauern sichtbar waren. Sie schienen ganz in Gedanken versunken, und wehmüthig mußten dieselben wohl sein, denn Thränen rollten über die Wangen der Frau und liebe voll, wie zu stummem Tröste, streichelte der alt« Mann ihr die runzeligen Hände. — Obgleich man das Paar noch nicht zu den Greisen rechnen konnte, war doch Brider Haar schon gebleicht, und schn«ewciß flatterte der lange Bart des ehrwürdigen Mannes im Frühlingswind«. Tiefe Furchen hatten sich auf dem menschen freundlichen Gesichte eingegraben; die Augen trugen den S:«mpel eines schmerzlichen Ausdruckes, und als er den Gruß deSFremden: „Gott grüß' Euch, lieber Alter" mit einem „Ich danke Ihnen, mein Herr" beantwortete, hatte seine Stimme jenen leicht zitternden Klang, der immer daS Zeugniß tiefer und an dauernder Seelenerregung ist. Ionas Ueber und seine Gattin waren gottesfürchtig« Leute. Sehr tragisch mußte daher wohl das Ereigniß gewesen sein, dessen Schatten noch heut« ihren Lbensabend verdunkelte. Doch laßt uns hören, was uns die Thürme der alten Kirche erzählen. Vor dreißig Jahren etwa kam «s den Vätern der guten Stadt in den Sinn, auch dieses Kirchdach mit den Erfindungen der Neuzeit zu beglücken. Man hatte beschlossen, die metvlkne Stimme de» Telegraphen bis in die Spitz« dcS Thurnüs zu führen. In Folg« dessen wurde Jonas Ueber, früher Schul lehrer und jetzt gelernter Telegraphist, zum Hüter der Thürme berufen. Indessen wünschte Jonas nicht allein hier oben zu Hausen. An einem Hellen Spätsommertage führte er Brigitta, sein junges Weib, zum ersten Male die engen Treppen des Thurmes hinauf, und Flitterwochen eigener Art müssen es gewesen sein, die das junge Paar hier verlebte. Den Himmel über sich und den Himmel im Herzen, dabei kein störendes Menschenkind zwischen sich, so schafften und wirkkn sie für einander. Lächelnd schauten sie auS der Vogelperspektive hernieder und scherzten über die Purzel bäume, die da unten geschlagen wurden. „Ob wohl die Menschen dort auch so zufrieden sein mögen wie wir hier oben?" äußert« Brigitta zuweilen. Doch warum sollte sie nicht zufrieden sein? Schleppt« Jonas nicht Alles hinauf, um sein Nest behaglich aus zufüttern und den Thurm in eine Idylle zu verwandeln, zu der die lieben Vöglein di« Musik lieferten und die alte Thurmuhr den Tart schlug? Brigitta saß, wenn die Witterung cS erlaubte, am liebsten unter ihrem Fenster auf v«r Galerie, von wo aus sie gern ihre Blicke zu jenen hohen weißen Gebäuden schweifen ließ, in denen Menschen Hausen sollten, die in den gewöhnlichen Lebens verhältnissen ihr Gleichgewicht verloren hatten. Eine lebhafte Neugierde, das Haus näher zu sehen, überkam dann die junge Frau, und da eine Base von Jonas Ueber Pflegeschwcster in der Anstalt war, hoffte sic, diesen Wunsch befriedigen zu können. Zudem erzählte Schwester Johanna, die Base, während eines Besuches auf dem Thürme viel von ihren Pflegebefohlenen. „Es ist wunderbar, wie fein die Fäden der menschlichen Seele gewoben sind und wie seltsam sich die Verstimmungen des Ge» müthes äußern. Da haben wir ein süßes, junges Geschöpf in Pflege, welches stets auf die Rückkehr seines Verlobten wartet. Ausbrüche der Freude, der Eifersucht, wie des Zornes und der tiefsten Melancholie wechseln fortwährend mit einander. Dal arme Kind war einst Braut und der gewissenlose Verlobte brachte es fertig, seine Neigung vor dessen Augen nach und nach einer Anderen zuzuwenden. Die Seelenqual, die das unglückliche Wesen hierdurch zu erdulden hatte, gingen über die Kräfte der zart besaiteten Natur und die Zerstörung des Gleichgewichtes ihres ganzen GemüthSlebens zeigte sich als Folge kxr schurkischen Handlungsweise. Alle unsere Bemühungen, sie wieder in die Gleise des alltäglichen Lebens zurückzuführen, sind umsonst gewesen." Diese Erzählung der Schwester Johanna gefiel indessen Jonas nicht. „Was sollten seiner kleinen Frau die Bilder jener geistig zerrütteten Wesen frommen", meinte er. — Dennoch gab er Brigitta's Bitten noch und wanderte am nächsten Sonntag mit ihr den weißen Häusern zu. Nach einem «rquickenden Gang durch Parkanlagen uns Wiesen erreichten sie die Landstraße, di« sie bald dem Ziel« nahe brachte. Als sie um eine kleine Felsenecke bogen, standen plötzlich die geheimnißvollen Gebäude vor ihnen. Hohe Mauern schlossen sich der Hauptfront an und schienen nxite Waldgründe «inzuschließen. Auf ihr Klingeln am Haupt»
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