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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189911050
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18991105
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18991105
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-05
- Monat1899-11
- Jahr1899
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1899
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Bezugtz-PreiS ln der tzauptexpedition ober den im Etabt» bewirk und den Vororten errichteten Aus ladestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.üO, kei zweimaliger täglicher Zustellung in» HauS b.öo. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Krruzbandirndung ius Ausland: monatlich 7.bO. Die Morgen-Ausgabe erscheint um ^/,7 Uhr. die Abend-AuSgabe Wochrutags um b Uhr. Redaktion und Expedition: JohanniSgafsr 8 Dir Expedition ist Wochentag» ununterbrvchea geöffnet von ftüh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: klt» Kleinm's Eortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße S (Paulinum), Laut» Lösche, Aathartnenstr. 14, pari, und KönigSplatz 7^ MMr. TllgMaü Anzeiger. ÄmlsVsalt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes und Motizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRrdactionSstrich (4gs- spalten) vor den FamiliennachrichteN (6 gespalten) 40^. Gröbere Schriften laut unserem Prri»- verzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra »Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je rin» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Lelpzkg. 584 Sonntag den 5. November 1899. 93. Jahrgang. Aus der Woche. Seit Gänse da» römische Capitol gerettet, sind Thiere nicht mehr so populär geworden, wie die Esel, die sich vor Ladysmith von General White getrennt haben und nun die Ehre genießen, von den Unterthanen Ihrer britischen Majestät für die Niederlage vom 3V. Oktober verantwortlich gemacht zu werden. Seitdem sind ohne Verschulden von Mauleseln den Engländern weitere Unannehmlichkeiten zugestoßen, ohne daß die böse Welt mitleidiger gegen die Dulder jenseits de» Aermel- meeres geworden wäre. Wa» hier von Deutschland gesagt wurde, gilt fast von dem ganzen Erdkreise; man gönnt den für ihre Freiheit kämpfenden Boeren die Siege doppelt, weil sie über daS in der Gegenwart mit Recht gehaßteste Volk erfochten sind. Dies, soweit unser Vaterland in Betracht kommt, zu verschweigen oder gar zu leugnen, hat die deutsche Presse nicht den mindesten Anlaß. Ob wir Grund haben, über daS Gefühl der Schadenfreude, die nach einem deutschen Philosophen, weil sie selbstlos ist, die reinste Freude sein soll, hinauszugehen, ist eine andere Frage. Welche Folgen ein etwaiges endgiltigeS Unterliegen der Boeren in Südafrika für die Gestaltung der Weltmachtverhältnifse nach sich ziehen würde, ruht in der Zeiten Schooße. Jedenfalls ist die von der deutschen Regierung verfolgte Politik absoluter Neutralität die richtige. Man war schon vor dem Ausbruche des Krieges so liebenswürdig, Deutschland die Rolle dcö Vermittlers, d. h. der Macht, die England in die Arme fallen sollte, anzudieten, und man setzt diese Schmcichelaufforderungen — nicht ohne scharfen Tadel für den Fall der Nichtannahme — fort. Namentlich geschieht dies seitens französischer Zeitungen, was zur Kennzeich nung des Zweckes dieser Einladungen genug besagt. Die Gefühle, die Deutschland den Angelsachsen während dieses ihres ungerechten Kampfe» entgegenbringt, sind aber nicht so zu deuten, als ob irgend jemand bei unS Lust verspürte, die Geschäfte Rußland» und Frankreich» zu besorgen. Die deutsche Nation billigt die gegen wärtige neutrale Haltung ihrer Regierung ohne Vor behalt. Die Bedenken, welche der englische Reiseplan des Kaisers erregt hat, entsprangen ausschließlich der Erwägung, daß der Besuch in Windsor in einem Augenblicke, wo England mit einem ander» Volte Krieg führt, als Parteinahme für den Gastfreund, als Billigung deS Krieg- ausgefaßt werden könnte. Andererseits will die offen mit den Boeren sym- patbifirende deutsche Nation auch nicht, daß ein an sich be greiflicher Wunsch, sich nicht parallel mit einer populären Strömung zu bewegen, seine lediglich zum Gebrauch ihres Verstände» berechtigte Regierung zu einer eoglandsreundlichen Wendung verleite. Daneben bleibt aber die selbstverständliche Forderung bestehen, daß die deutsche Politik den südafrikanischen Vor gängen Gegenüber nicht im Nichtintervenlivnsdogma erstarre. Wenn Rußland oder Frankreich oder beive Staaten den Krieg benutzen sollten, sei eS, um sich für englische Erfolge zu entschädigen, sei e», englische Verlegenheiten auszubeuten, dann soll und darf auch Deutschland nicht von der Tafel ausgeschlossen bleiben. Und Rußland scheint im Begriff, sich die Serviette vorzubinden. Seine Presse, die sich bekanntlich nicht in einen Gegensatz zu Regierungsaussassungen setzen darf, ruft: Onrps cklvwl So schreibt die „Birschewija Wjevomosti", ein vielgelesenr» Blatt: Die Pariser Reise deS Grafen Murawjew beunruhige in London lebhaft. Das sei zwar für die russische Diplomatie sehr schmeichel haft, aber in Wirklichkeit wären die Beziehungen zu Persien und Afghanistan, di« Rothweudigkeit für Rußland, in den Wässern, welche Asien von Afrika scheiden, einen sicheren Hafen zu besitzen, doch schon sehr alte, längst reif gewordene Fragen, bezüglich welcher die Praxis der englischen Diplomatie Rußland al» Beispiel dienen könnte. Wenn eine Diplomatie existire und wenn hinter derselben gewaltige militärische Kräfte ständen, so könne und müsse sie zur Erreichung klar gestellter Ziele nachdrücklich wirken, und zwar unter Benutzung deS passenden Zeitpunctes. Friedensliebe sei durchaus nicht gleichbedeutend mit Unthätigkeit oder Passivität. Deshalb sei es durchaus nicht nöthig, besondere geheime Ziele der in Paris stattfindrnden Berathungen zu suchen. Wenn die russische Diplomatie die jetzige internationale Lage wirklich zu einem energischere» Handel» iu Persien, Afghanistan oder China ge- eignet halten sollt«, so bedeute die» noch keine Abweichung von der friedliebende» Politik Rußland». Rußland erstrebe nichts Fremdes, e» schütz« sei»« Interesse» ohne Schädigung Anderer und vermeide Unternehmungen, welche die Ruhe auf dem Continente stören könnten. Für Rußland liege die ganze Bedeutung der neuesten Ereignisse darin, daß Rußlands alter Nebenbuhler im Osten in einen schweren Krieg verwickelt ist. Diesen Moment vorüber gehen zu lassen, ohne wenigsten- einen Theil des positiven Pro gramms Rußlands im fernen Osten oder in Persien zu verwirklichen, würde gerade einen Widerspruch zu der friedliebenden Tendenz der russischen Politik abgeben, welche Rußland zu einem aktiven Schutze seiner Interessen in einem Zeitvunct verpflichte, welcher jedes Risiko von Complicationen oder Krieg ausschließe. DaS ist beinahe aufrichtig gesprochen, und nicht nur gegenüber England, sondern auch gegen Deutschland, dem zum Mindesten im dritten der aufgezählten Riesengebiete, in China, Wünsche verblieben sind, das aber auch in anderen Welttheilen Gelegenheit zu sichernder Wahrung gewichtiger Interessen hat. Aber durch ein Vorangehen den Russen für die Bekundung einer Friedensliebe, wie sie daS russische Blatt meint, die Wege zu ebnen, ist eine Aufgabe, die Deutsch- land zwar anscheinend zugedacht ist, der eS sich aber nicht unterziehen wird. Wenn späterhin einmal die afrikanischen Ereignisse zu deutschen Entschließungen führen sollten, so würde Samoa wohl keines der Objecte sein, auf die sie sich beziehen könnten. Diesen Ausgangspunkt einer deutschen Colonialpolitik, die den Namen verdient, werden wir trotz der an anderer Stelle mitgetheilten, übrigens nicht einmal bestimmt gehaltenen Meldung der „Berl. N. N." allem Anscheine nach bald lo sem. Nach den Auslassungen all der Blätter, in denen die Ansichten maßgebender Kreise gelegentlich Ausdruck finden, unterliegt es heute leider kaum mehr einem Zweifel, daß „Deutschland" seine Rechte auf die Inselgruppe, auf der wirthschaftlich zumeist deutsche Interessen zu wahren sind, an England verzanzibaren wird. Zur Entschädigung dürfen wir unfern mikronesischen Besitz abrunden mit den Gilbert-und den britischen Salomoninseln,vondenen die deutschen Officiösen nächsten- schreiben werden, sie seien eine Erwerbung, mit der an Werth verglichen der Garten Eden eine elende Wüste gewesen sei. Ganz bekommen wir aber selbst Mikronesien nicht, eine Insel gehört und verbleibt den Amerikanern. Beiläufig bemerkt, ist es ein Fortschritt, daß unsere Regierung sich diese amerikanische Besitzung nicht von den Engländern hat mit versprechen lassen. Bei dem Carolinenhandel hat die Regierung bekanntlich eine Insel mitgekaust, die nachher Holland als sein Eigenthum reclamirt bat, ohne daß daS Berliner Auswärtige Amt diesen durch die Entsendung eine- niederländischen Kriegsschiffes unterstützten Anspruch ernstlich bestritten bätte. Von dieser Geschichte hat man schon lange nichts mehr gehört, wahrscheinlich ist schon Alles im Sinne der Holländer „geordnet", haben die Spanier ihr Geld für daS Ganze und behalten eS. WaS Samoa betrifft, so muß mau die Zähne aufeiuander- beißen und schweigen; eS ist nichts mehr zu ändern. Uns wird das verhältnißmäßig leicht. Wir haben schon vor vielen Wochen die Dahingabe — freilich für eine werth vollere „Compensation" — als bevorstehend angesehen, und als kürzlich die Regierung sich gleichgiltige Aeußerungen über den Besitz von Samoa im Colonialralhe bestellte, schwand jeder Zweifel an der „Vertauschung^. Daß Herr v. Bülow sich etwas zierte, von der öffentlichen Meinung, dem für Samoa vergossenen deutschen Blute sprach, konnte diese Gewißheit nicht alteriren. Von dem Verluste von Samoa bis zum Plane zur Er werbung einer größeren deutschen Flotte ist eia beschwerlicher Uebergang. Aber er muß überwunden werden. Unbeachtet kann diese neueste Nachgiebigkeit gegen England, wegen deren sich die Negierung mit der „bekannten britischen Hartnäckigkeit" entschuldigen zu wollen scheint, in der Flotten erörterung nicht bleiben. Denn cs ist nicht unwahr, was die „Hamb. Nachr." kürzlich geschrieben, nämlich: „Unsere Waffe gegen überseeischen Mißbrauch der englischen Flottengewalt liegt, wie wir schon so oft auSeinandergesetzt haben, in der Hand unserer auswärtigen Politik Alles kommt auf die auswärtige Politik an, die Deutschland treibt. Steht diese nicht aus der Höhe ihrer Aufgabe, so nützt die beste Flotte nicht», denn diese ist schließlich, ebenso wie daS Landheer, doch nur ein Werkzeug zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." An sich richtig, wie gesagt; aber mit diesen Sätzen kann man schließlich jede Aufwendung für Heer und Marine bekämpfen, und gerade die „Hamb. Nachr." sollten sie nicht gegen eine Flottenverstärkung ins Feld führen. Herr v. BiSmarck- Schönhausen ist gewiß von der Richtigkeit seiner schleSwig- bolsteinischcn und deutschen Politik überzeugt gewesen, dennoch hat er Jahre hindurch einen großen Theil seiner Kraft auf einen Kampf um die Verstärkung deS Heere- gewendet. UeberdieS: unsere auswärtige Politik muß nicht nothwendig immer schlecht sein, die Fortdauer der deutschen Ohnmacht zur See hingegen kann nicht anders als schäolich w irken, und zwar dies auch bei nicht überseeischen Verwickelungen, bei denen England keine oder eine untergeordnete Rolle spielt. Diese Einsicht hat sich Bahn gebrochen, und man muß schon Eugen Richter heißen, wenn man heute ein „FiaSco" festzustellen sich getraut. Umgekehrt: die Aussichten ge stalten sich mit jedem Tage günstiger, so daß selbst das Organ der Berliner Leitung des Bunde» der Landwirthe bei der Abfassung seiner Flottenartikel da» volksparteiliche Wörterbuch nicht mehr zu benutzen wagt. Auch daß Professor Hänel in Kiel, als der Einzige in der Freisinnige» Ver einigung, sich gegen ein neues Flottengesetz erklärt, ist ein gutes Vorzeichen; der Herr hat noch immer Unrecht behalten. Tie von der deutschen Demokratie colportirle Drohung englischer Blätter, auf eine Vermehrung der deutschen Kriegsschiffe mit einer Vermehrung der britischen zu „antworten", dürfte Ferrrlletsn. Der -umme Wirth. Eine Göschwadergeschichte von CH r i st. Benkard (Oberursel). Nachdruck verboten. „Bootsmannsmaat der Wache!" „Herr Leutnant?" „Pfeifen Sie die Beurlaubten zur Musterung." „Au Befehl, .Herr Leutnant." Sprach's, trat an die Großluke und schmetterte nach einem kunstvollen Pfeifentriller den Befehl ins Schiff hinunter: „Die Beurlaubten Backbord Achterdeck antreten zur Musterung!" Der Ruf wurde vorschriftsmäßig in allen Räumen wieder holt, aber er weckte webe: ein „Ah!" erfreuter Beurlaubter, noch ein „Oh!" betrübter Nichtbeurlaubter. Die beim Kartenspiel saßen oder im Schallen der Sonnensegel ausgcstreckt den Sonn- lagsnachmittagsschlaf des'Gerechten schliefen, blieben ruhig sitzen und liegen; es waren nur etwa zahn oder zwölf „Landgänger", die de>: Stabswachtmeister am Großmast „aufbaut«", ausrichtete und dem wachthabenden Officier zur Slelle meldete. „Die paar Leute blos?" fragte der letztere; „wie kommt denn das?" Der Stabswachtmeister klappte die Hacken zusammen und antwortete: „Die Leute halben kein Geld, da bleiben sie lieber an Bord. Herr Leurnant." Dieser nickte verständnihvoll und schritt die Front ab. Ja, diese leidige Geldbeutelebbe. An Bord gab's zwar doppelte Löhnung, aber im Geschwader brauchte man auch viel mehr, be sonders in den Ostseebadeorten. „Haben Sie denn noch Geld?" fragte er, am linken Flügel stehen, bl-ibend, den Matrosen Schalter mann. „Achtunvvreißig Pennings", entgegnete der Ostfriese, nicht ohne einen Anflug von Protzerei im Tonfall seiner Stimm«. Sein Nebenmann murmelt«, als er gefragt wurde, sogar von fiinfundvierzug Pfennigen. Das Äesammtvermägen der Land gänger belief sich auf etwa drei Mark. „Punct neun Uhr fährt der Kutter vom Landungssteg ab. Daß mir Keiner über Urlaub bleibt — wegtreten!" Den Matrosen ein sittsames Benehmen zu empfehlen, hielt der wachthabende Officier für übcvflüssig, da di« vorhandenen Capitalien ihre Eigenthümer wohl kaum „zu Fraß und Böllerei" verlockten. Di« paar Pfennige waren voraussichtlich bald aus gezehrt, dann machten die Beurlaubten ganz von selbst kein« Sprünge mehr. Sagt doch Goethe sehr richtig: Das Beste in der Welt Ist ohne Dank; Gesunder Mensch ohne Geld Ist halb krank. Die Landgänger befanden sich, während sie noch !m Kutter saßen, schon nicht sehr wohl. Kein Windhauch, der wenigstens hier und da auf der unbewegten Meeresfläche ein leichtes Wellengekräusel, ein« sogenannte „Katzenpfote" verursacht«, ober eine um so größere Hitze. „Just as in Bramsilies" (wie in Bra silien) maulte Schall«rmann und schaute nach den anderen Ge- sckwaderschiffen aus, die ebenfalls ihr« Beurlaubte» an Land setzten. Im Ganzen nur vier oder fünf Kutter voll; der Geld mangel pflegt im Geschwader stets epidemisch aufzutreten. Am Lande war ,S eben auch nickt kühl, die Sonne beschien den flachen Sandstrund so eifrig, das sich di« Badegäste in ihre Wohnungen oder in di« Hotels geflüchtet hatten. Ebenfalls dort hin zu gehen, war natürlich „kein Plan für Deutschlands Söhne", denn in den Civilistencasernen kostete ein lumpiger Schnaps, wie die Sage ging, eine halbe Mark. Auch in dem nahen Fischerdorf, das dem Badeort seinen Namen geliehen, war es noch theuer genug. Die Fremden hatten auch hier schon di« Preis« verdorben; was Wunder also, daß die Blaujacken bald in des Wortes trostlosester Bedeutung auf dem Trockenen saßen. Und die Mädels? Ja, als man vor acht Tagen noch mit den Markstücken klapperte, wwrden sie nicht müde, ihren Patriotismus durch liebenswürdige Zutraulichkeit zu bethätigen; heute thaten si« ganz fremd. Das Lied von der Weibertreu! Unter solchen Beobachtungen lenkte der Matrose Schaller- mann,, um wenigstens dem Hunger vorzubeugen, seine Schritt« nach einem Bäckerladen. Dort legt« er den Rest seiner Baarmittel in „altbackenen" Brödchen an, die er nach Mariniersart in dem Brustschlih seines Paradehemdes (Blouse) verschwinden ließ, so daß er nachdem — das Backwerk staut« sich über dem Leibriemen auf — wie mit einem Gürtelpan'zer bewehrt einherging. Derart ausproviantirt, kehrte er dem „ollen Negernest" den Rücken. Nach langem Anbordfein ist es dem Seemann« begreiflicher Weise ein Bedürfniß und ein Vergnügen, sich wieder einmal am Lande ,)die Beine zu vertreten", wie der Fachausdruck lautet. Demzufolge schaufelte sich Schallermann in südlicher Richtung durch den Dünensand dem Wald« zu, wo er Natur zu kneipen ge dachte. Allein der Reiz dieser Genüsse verflog schnell, und da dies umsonst zu haben war, legte er sich am Waldrand« unter eine Buch«, blickt« zwischen den Blättern hindurch zum leichtbewökkten Himmel aus und wünschte sehnsüchtig das Ende seiner Urlaubs zeit herbei, denn an Bord war man doch zu Hause. Vielleicht schlief er auch rin Weilchen, jedenfalls führ er sehr überrascht auf, als er plötzlich ganz in seiner Nähe eine zarte Stimme sagen hörte: „Papa, «in Marineseemann, wirklich, ein deutscher Marinvseemann!" „Von der „Hansa"", ergänzte eine Knabenstimme; „es steht ja auf dem Mützenband." Ein halbunrerdrückter Freüdenruf aus weiblichem Munde, darauf trat «in älterer Herr vor den jetzt unter dem Baume sitzenden Matrosen und sagt« lächelnd: „Es war unrecht von uns. Sie in Ihrer wohlverdienten Ruhe zu stören, lieber Freund, aber wir sind nun einmal Marrne- schwänner, und da brachen die Kinder bei Ihrem Anblick in lauten Jubel auS. Hier, mein« Tochter Hildegard, und Kurt, unser Wildfang." Das hübsche junge Mädchen nickte bei der Vorstellung sehr freundlich, währzftd der »wölfjährig« Profefsorssohn dem nun aufstehenden Mqtrssen den Staub von den Kleidern klopfen half. Kurt, der sich für alles Seemännische ganz besonders interessirte, klopfte auch an Schallermann'? Paradehemd herum, um bei dieser Gelegenheit möglichst die Nairn des eigentümlichen Wulstes in de» Mariniers Magengegend zu ergründen. „Wir haben heute vor acht Tagen Ihr Schiff besichtigt; viel leicht erinnern Sie sich, »ns gesehen zu haben. — Nicht? Na, um so schön«r. daß uns der Zufall heut« zusammenführt. — Wollen Sie uns vielleicht nach dem „Jnselhaus" begleiten? Es ist gar nicht weit, und man ißt und trinkl dort recht gut." Professor Paustian — so hieß der leutselig« Herr — er wartet« sicher, Schallermann werde der Einladung Folge leisten; der schüttelt« aber bedenklich da» Haupt und sprach die geflügelten Wort«: „Ick heff keen Geld". „Brauchen ja auch keine»; Sie sind selbstverständlich mein Gast", lachte der flottenfreundliche Gelehrt«; Schallermann aber war kein Unmensch und ließ sich zu reden. Er ging also mit und fand nichts dagegen einzuweüden, daß die Badegäste ihm wahrhaft den Hof machten. Auch Hilde gard, die entzückt von ihrem Besuche der „Hansa" sprach und sich schüchtern nach dem jungen Officier erkundigte, der ihr das Schiff gezeigt hakte. „Herr Leutnant zur See Sonn — Sun — wie ist doch der Name, Papa?" „Sundewall", belehrte sw Schallermann. Die Kleine wurde so roth wie ein gekochter Hummer. „Ganz richtig. Wird er heut« nicht auch an Land kommen?" Der Gefragte zuckte die Achseln und meint« treuherzig: „Hei hett woll ook keen Geld." Hildegard erröthete abermals und kicherte, während ihr Vater der „urwüchsigen Seemannsantwvrt" ein Lächeln des Bei falls zollte. Kurt hätte sich gerne etwas von Stürmen und See räubern erzählen lassen, Schallermann blieb indessen wortkarg, zumal er seinen neuen Freunden noch nicht völlig traute. Wie kamen diese dazu, einen ihnen ganz fremden Matrosen mit ins Wirthshaus zu nehmen? Die freundlichsten Landsleute waren seiner Erfahrung gemäß oft die größten Spitzbubem Im Garden des Jnselhauses waren nur wenige Tische besetzt. Der Professor wählte ein schattiges Plätzchen, die Wahl der Er frischung überließ er aber seinem Gaste. „Bier, Grog, ein Schnäpschen?" fragte dienstfertig der Wirth. Nach kurzem Ueberlegen erfolgte der Bescheid: „Jawoll, en Snaps, und bis der Grog fertig is, en Glas Beer." Der Professor notirte sich diese Bestellung, so sehr gefiel sie ihm. Noch mehr erheiterte ihn di« Nachbestellung; Schallermann trank nämlich den ihm verabreichten süßlichen Likör mit sicht lichem Widerwillen und verlangte hinterher „'nen richtigen Miirschensnaps". Gleichzeitig griff er in den Proviantsack, den er auf dem Leibe trug, und förderte zum Erstaunen seiner Tisch genossen aus dem Brustschlitz ein Brödchen zu Tage, das er sofort in Behandlung nahm. „Kängeru — Beutelratte", dachte Kurt unwillkürlich, und in der Hoffnung, doch noch eine Seeräuber geschichte herauszulocken, füllt« er das geleerte Grogglas mit dem Weine auf, den sein Baker für sich und sein« Kinder bestellt hatte. Binnenlandsmenschcn sind zumeist der Meinung, die See leute könnten geistige Getränke in schier ungeheuren Mengen ver tragen. Dies trifft jedoch nur in den verhältnißmäßig seltenen Fällen langen Anlandlregens zu, an Bord ist Jan Maat, „der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe", der reine Temperenz ler, denn auf den meisten Schiffen gilt die früher tägliche Schnapsausgab« bereits al» «in halbes Meernnrnder. Um so schneller steigt bei einem Landgang der Alkohol den Matrosen zu Kopfe; man glaubt gar nicht, wie wenig Feuerwaffer schon ge nügt, den ohnehin schon schwankenden Gestalten die Sinne zu umnebeln. Auch bei Schallermann machte sich die Wirkung der genossenen Getränke bald bemerkbar, aber der sonst die Gedanken ver wirrende Alkoholteufel machte ihn, der in nüchternem Zustande etwas schwer von Begriff war, merkwürdiger Weise hellsehend. Nun ging ihm ein Licht auf über die Freundlichkeit der Pro- feflorsfamili«: Das Mädel hatte sich in ihn vergafft und der Alte wollte ihn zum Schwiegersohn haben. Was man doch nicht Alles erlebt, wenn man ein hübscher Kerl ist und in zweierlei Tuch steckt! Schallermann war, wie gesagt, kein Unmensch und weit davon entfernt, die Liebe eines jungen Mädchens grundlos zu ver schmähen. Leider fand er aber Gründe, die ihn stutzig machten. War ja gewiß ein hübsch zierlich Dingelchen, diese Hildegard; aber die Bauart, die Bauart! Diese Taille — einen Eimer Salzwasser wollte er sich verpflichten, zu schlucken, wenn er sie nicht mit seinen beiden Bvrderflossen umspannen konnte! Uacht und Kuss, die passen nun einmal nicht zusammen, und wenn ein Seemann mit Heiratsgedanken im Kopfe ein Mädel entert muß er sich wenigstens überzeugen, ob das Bauholz solide ist und die Reise aushält. Aus diesen ernsten Erwägungen l^rraus überflog sein kritischer Blick noch einmal die schlanke Gestalt seiner Nachbarin, dann legte er den Arm um ihre Hüfte und unterzog das „Bauholz" einem Probedrucke. Mit einem Schrei des Entsetzens fuhr Hikdegard in die Höhe Auch ihr Bater, der gar nicht recht gesehen hatte, was vorging, sprang auf und maß, indem er schützend den Arm um die Tochter legte, seinen Gast mit einem halb fragenden, halb ent rüsteten Blick. Schallermann aber trank bedächtig sein Glas aus und sagte mit ernster Kennermiene: „Is man swach: kann keen richtigen Storm vertragen." Daran knüpfte er eine kleine Ab handlung über den Schiffbau im Allgemeinen und die noth- ivendigen Stärkeverhältniste seiner Zukünftigen im Besonderen. Leider — vielleicht auch zum Glück! — war ihm die Zunge etwas schwer geworden, so daß mancher mehr oder weniger treffend« Vergleich den Zuhörern verloren ging. Hildegard, die sichtlich mit den Thronen kämpfte, wollte über haupt nichts mehr hören und drängte zum Aufbruch. Ihrem Vater war es recht, hätte sich nur nicht auch Schallermann er hoben, um mitzugohen! Da trat ein Beurlaubter von der „Freya" in den Garten — glücklicher Zufall! Im Nu war der Professor an der Seite des Ankömmlings und überredete ihn, seinem Kameraden von der „Hansa" Gesellschaft zu leisten. Die Badestund« habe nämlich schon geschlagen. Dem Wirth« erklärte er noch, daß er die Zeche der beiden Mariniers morgen begleichen werde, dann trat er mit den Seinen einen eiligen Rückzug an. Da saß dann der Freyagast neben dem Hansagast, und sie ließen sich's wvhl sein, dis di« Müdigkeit sie überkam. Hinter der nächsten Sträuchergruppe war ein zum Schlummer einladen des Plätzchen, und dort legten sie sich auf den Rasen nieder, nachdem Schallermann den Wirth beauftragt hatte, ihn spätestens um 8 Uhr zu wecken. Der Freyagast hackte eine Stunde länger Urlaub. Es war indessen schon fast halb Neu», als Schallermann endlich auf die Beine gebracht werden konnte; schnell setzte er die ihm zunächst liegend« Mütze auf und eilte, so gut es gehen wollte, zum Strande, wo er gerade vor der Abfahrt des „Hansa"- Kutters anlangte. Di« Ueberfahrt, sowie das Anbordsteigen der zurückkehrenden Urlauber ging gut von Statte», aber bei der Musterung stutzte der wachthabende Officier plötzlich und sagte: „Na, Schaller mann, «S scheint ja, als hätten Sie eS fertig gebracht, sich für Jdre paar Kröten einen Schwipps zu kaufen. Wohl eit«! Fusel genossen, was? — Und wie kommen Sie denn zu der „Freya"- Mütze, Sie altes Walroß?" Ueberrascht entblößte der Angeredet« sein Haupt und las ans dem Miitzenband richtig „S. M. S. Freya". Im nächsten Augenblick schlug er sich vor die Stirn und sagte: „IS dat 'n dummer Mrth! Dreemal heww ick 'm seggt, hei fall den Hansa gast wecken, und doch het hei den Freyagast weckt."
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