Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.11.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991106021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899110602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899110602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-06
- Monat1899-11
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs.Preis kn der Hauptexpedition oder den tm -Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^ 4.50, kei zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung inS Ausland: monatlich >ll 7.50. Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Expedition: AohanniSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ott« Klemm s Lortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paultnum), Lotti- Lösche» Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Abend-Ausgabe. cipMer. TaMM Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des RatlZes und N-kizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzeigen Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter demRedactionsstrich (4g— spalten) 50^, vor den Familiennachrichtea (6 gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernfatz nach höherem Taris. L-rtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen -Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anreise« sind stets an die Expedition zu richten. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 5W. S-———11 1 Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. November. Die Geschäftsführung des deutschen Alottenvereins, die schon mehrfach Kopfschütteln erregt hat, leitet soeben ein Manöver ein, da- geeignet ist, di« Marinesache arg zu compromittiren. Die socialdemokratische „Münchener Post" theilt unter der Ueberschrift „Schwein bürg an der Arbeit" ein als vertraulich bezeichnetes Rundschreiben de» Präsi diums des Flottenvereins an die Vorstandsmitglieder, Vertrauensmänner uvd Ausschüsse des Verein» mit, in welchem zu „öffentlichen Kundgebungen" aufgefordert wird, die „klarstellen" sollen, wie zündend die (Hamburger) Kaiserworle in den Herzen aller patriotischen Deutschen ge wirkt haben. Als „Material" für „Besprechungen", die gleichzeitig empfohlen werden, und auch für die Presse, ist dem Rundschreiben eine „Skizze" beigegeben, d. h. eine An weisung, die unter der Voraussetzung verfaßt ist, daß die nationalgesinnten Deutschen, insbesondere die Redak tionen der kleineren Blätter sammt ihren Lesern als Herdentbiere behandelt werden können. Da» Schriftstück ist unterzeichnet: „DaS Präsidium deS deutschen Flottenvercius: Wilhelm, Fürst zu Wied. Der Sekretär: Victor Sch wein bürg." Wir verzichten auf die Mittheiluna deS Wortlautes, der genügend dadurch gekennzeichnet ist, daß nicht der „Vorwärts", sondern die trotz einiger gegen den neuesten Flottenplan von ihr geäußerten Bedenken al» durchaus marinefreundlich anerkannte „ Na t i o nalz t g." das erste Blatt war, bas das Rundschreiben dem Berliner Publi cum unter Ausdrücken des Tadels mitgetheilt hat. Die „Nationalztg." bemerkt: „In solcher Art organisirte „Kundgebungen" können unseres Erachtens der zu erwartenden Flottenvorlag« nicht nützen, sondern ihr nur schaden. Aus der Aufnahme, welche der neu« Flottenplan in der Oeffentlichkeit gefunden hat, ist dis j«tzt durchaus nicht zu entnehmen, Laß es nothwcndig wäre, einen Druck ans den Reichstag auszuiiben; zu einem solchen würde «Ine unter der Aegide deS Herrn Schweinburg veranstaltete „Bewegung" aber such kaum angethan sein." Die Ansicht deö Berliner Blattes über die derzeitigen Aussichten der angekündiateu Floltenvorlage stimmt mit der von uns am Sonntag geäußerten überein. Man braucht in der That vorläufig am Reichstag nicht zu verzweifeln, daS Gerede der die Nichter'schen Phrasen nackbetenden Ber liner Geutrumsjournalisten hat gar keine Bedeutung. Für den Fall aber, daß späterhin ein Druck auf den Reichs tag sich als nolhwendig erweisen sollt« oder daß wegen der Flotte an die Urne gegangen werden müßte, würde die Befürchtung der „Nationalztg.", daß eine Betheiligung deS Herrn Schweinburg an dieser nationalen Angelegenheit nur schade, erst recht begründet sein. Dieser Herr taugt nicht zum pravceptor Oermanise. wie ihn mit einem leider die Flotlenbewegung in Mitleidenschaft ziehenden Hohn seit dem Bekanntwerden des seinen Namen tragenden Rundschreibens die „Freis. Zeitung" Eugen Richter'« nennt. Wir bedauern, daß der Fürst zu Wied eine War nung, die ihm im Sommer dieses Jahres zugegangen ist, nicht beachten zn sollen geglaubt bat. Es war ihm nicht vorenthalten worden, daß ein von Herrn Schweinburg ver faßtes und unterzeichnetes Flugblatt indirecl durch sein schlechtes, schwülstiges Deutsch und direct durch un Montag den 6. paffende Angriffe auf die Träger national sehr Wohl be rechtigter Ueberzeuyunaen einen schlechten Eindruck hervor- grbracht habe. Dl« Leitung des Flottenverein» wird sich künftig der Thatsache nicht verschließen dürfen, daß ihr Sekretär eine Persönlichkeit ist, in deren Begleitung man nicht mit Erfolg an lauteren Patriotismus appelliren kann. Wir legen auf die Abstammung de» Herrn Schweinburg, die jetzt auch von freisinniger Seite stark hervorgehoben wird, kein Gewicht. Aber sein mehr angestammtes al» geachtete» Geschick, aus den öffentlichen An gelegenheiten und inneren Kämpfen des deutschen Volkes in den verschiedensten Formen pecuniäre Vortheile zu ziehen, läßt ihn nicht berufen erscheinen, vor eben dieses Volk als Mahner und Dränger zu treten. Wir wollen unsere Flotten bewegung sauber erhalten. Zu der erwähnten Geschicklich keit de« Herrn Schweinburg steht seine Fähigkeit, politische Interessen zu vertreten, wie sic in der Flottenangelegenheit zu vertheidigen sind, im umgekehrten Verhältnisse. Dieser Herr ist, worauf auch die „Nationalzeitung" aufmerksam macht, e» gewesen, der die Flottenpolitik der Regierung schwer geschädigt hat, indem er auf die Erhöhung der Ge treidezölle als auf ein Mittel, die Kosten einer Flotten verstärkung zu decken, hinwies. Wir haben die Wirkung dieser ebenso leichtfertigen wie albernen Politikmacherei schon gekennzeichnet. Heute ist e», wie anerkennend hervorgehoben werden muß, die „Kreuzzeitung", die einem Eingesandt Raum giebt, da» diese — wie wir überzeugt sind, den Plänen der Regierung ganz fremde — Verquickung von Handelspolitik und LandeS- vertbeidiguna zurückweist. Dem Blatte wird unter der Aufschrift „Richtiger Standpunkt in der Flottenfrage" ge schrieben : „Man muß gerecht sein. Dir Skizze der „Norddeutschen Allge meinen Zeitung" war in ganz besonderer Weise eine Ueberraschung. Ueber einzeln« erregt« Aeußerungen links und recht« durste man sich daher nicht wundern. Wenn man aber den Ernst der Welt lage in» Auge faßt, so sollte in allen betheiligten Kreisen die Auffassung durchdringen, daß hier eine Frage vorliegt, in welcher die Geschlossenheit und Einheit der ganzen deutsche« Wtrthschaft gleichmäßig tnteressirt ist, so daß es wünschenSwerth ist, bei dieser Frage dir wirthschaftlichen Interessengegensätze aus dem Spiele zu lassen. Nur nebenbei mag erwähnt werden, daß es doch gewiß nur in der Erregung des Augenblicks möglich gewesen ist, daß angedeutet wurde: Handel und Industrie würden in einem Streitfall, welcher «inen Kampf auf der See nothwcndig machte, allein schwer geschädigt werden. So gut wie Handel und Industrie auf die Landwirthschaft, auf eine gesunde, blühende deutsche Land- wirthschaft angewiesen sind, und so sehr gerade von diesem Gesichts- puncte aus Vertreter der landwirthschaftlichen Interessen das Recht und die Pflicht haben, unter Umständen Opfer des Handels und der Industrie für die Landwirthschaft zu verlangen, so gut ist die deutsche Landwirthschaft, wenn sie gesund und blühend werden und dauernd bleiben will, auf eine große, starke deutsche In dustrie und einen mächtigen deutschen Handel angewiesen. . . . Kriegsmacht zur See ist nach dieser Richtung hin doch nichts Anderes wie Kriegsmacht auf dem Lande. Niemals hat die konservative Partei bei der Frage nach Reorganisation und Verstärkung der Armee sich darum gesorgt, ob und inwiefern dieser Schutz in erster Linie oder überwiegend einzelnen Theilen der deutschen Wirthschaft zu gute kommen würde, — sondern hatte die Einsicht, daß dem Aus« November 1899. land gegenüber gerade in so wichtigen Fragen, welche die Ersetzung einer friedlichen Politik durch kriegerische Action nothwcndig machen können, die ganze deutsche Wirthschaft al« «in untrenn bare» Ganze» gilt. Erfreulicherweise ist in den letzten Tagen auf beiden Seiten die Betonung de» Jnteressenstandpuncte- zurück getreten und die Idee der Allgemeinheit und des Jncinanderver- wobenseins der gesamintcn wirthschaftlichen Interessen scheint in den Vordergrund gerückt. So sehr die politische Frage der Stärkung der Wehrmacht innig verknüpft ist mit den wirthschaftlichen Fragen, so sehr muß betont werden, daß es «in dringendes Gebot der deutschen Nation ist, bei allen die Wehrmacht zu Land« oder zur See betreffenden Fragen den Streit der einzelnen Jnteressentengruppcn zu ellminiren. Deutschland darf der Welt nicht das Schauspiel bieten, daß der Freihändler die Flotte nicht bewilligen will, weil eventuell eine ihm nicht genehme Verschärfung der Schutzzollpolitik rintritt, und daß der Vertreter landwirtbschaftlicher Interessen mit seiner Zu stimmung zögert, weil nur der Industrielle, der Kaufmann Vortheil habe. Ein solcher Standpunkt wäre so kurzsichtig wie gefährlich. Gerade da im Augenblick noch keine Vorlage der Regierung, die natürlicherweise auch die Finanzirung ins Auge zu fassen hätte, zur Diskussion steht, kann heute noch mit Aussicht auf Erfolg bei allen auch noch so verschiedenen Interessentenkreisen der dringende Wunsch ausgesprochen werden,daß, wie man sich auch zur Vor lage stellen möge — abgesehen davon, ob man sie ganz oder theilweise, bedingt oder unbedingt begrüße — ihre Verquickung mit dem Streit der Interessengruppen und insbesondere mit dem Constict zwischen den Interessengruppen, der bei den Handelsvertrags»«» Handlungen richtiger Weise in die Erscheinung treten muß, bei der Diskussion der Flottenvorlage ganz vermieden wird. Die Ent scheidung über sie darf lediglich von dem Gesichtspunkte abhängig gemacht werden, ob sie dem ganzen Reiche frommt, und ob die Gesammtkräste des Reiches die Gewähr bieten, die Forderungen der Regierung mit Sicherheit zu finanziren. Nicht aber darf das Schicksal der Vorlage davon abhängig gemacht werden, welchen spcciellen Zwecken die Flotte dienen soll, oder ob die ganz speciellrn Wünsch« der einzelnen Gruppe« bezüglich der Kostendeckung be- rücksicktigt werden können. In Fragen des Schutzes des Reiches müssen wir nicht Landwirthe, Industrielle, Kaufleute, nicht Producenten oder Eonsumentrn, sondern einfach Deutsche sein." Diese patriotischen Erklärungen eine» einflußreichen agrarischen Blattes rechtfertigen sich die Meinung, daß eS uni die Flottensache zur Zeit nicht schlecht stehe. Aber die nationale Presse muß sich ausbitten, baß sie der Flottenverein nicht weiter in die Nothwendigkeit versetzt, die Verstärkung der deutschen Seemacht außer gegen die Demokratie noch gegen Herrn Schweinburg zu vertheidigen. Die „Nordd. Allgem. Ztg." bat es bekanntlich dieser Tage der „Post" gegenüber als „selbstverständlich" bezeichnet, daß bei der Anwesenheit des Staatssekretärs v. PodbielSki in Stuttgart und München auch die Frage der Einführung einheitlicher Postwcrtbzcichctt für Vas ganze Reich zur Sprache gebracht worden sei, bczw. werde gebracht werden. Jetzt versichert die „Post", aus dem Reichspost amte selbst sei ihr mitgetheilt worden, daß von der Ab sicht des Staatssekretärs, die Angelegenheit in den beiden süddeutschen Residenzen anzuregen, „an unter richteter Stelle nichts bekannt sei". Sollte diese 93. Jahrgang. Zwiespältigkeit ossiciöser Meldungen darauf zurück- zusühren sein, daß die Gewährsmänner der „Nordd Allqem. Ztg." einem Erfolge der Reise de» Staatssekretär» v. PodbielSki mit größerer Zuversicht entgegengesehen hätten, als dieser selbst, so würden die auS Württemberg und Bayern vorliegenden Nachrichten beweisen, daß der Pessimismus dc» Herrn von Podbielski berechtigter gewesen wäre, als dei Optimismus einer anderen Stelle. Auch diese Nachrichten sind voller Widersprüche; während die Einen behaupten, die württem- bergische Regierung sei dem Einbeitsplane geneigter als die bayerische, versichern die Andern das Gegrntbeil. Au» allen diesen Mittheilunge» aber geht hervor, daß hier wie dort allerlei Bedenken gegen den Verzicht auf eigene Marken geltend ge macht werden, die so rasch nicht zu beheben sein werden Im schönsten Lichte zeigen sich bei dieser Gelegenheit wieder einmal die particularistischeu bayerischen Blätter und ihre demokratischen und ultrauiontanen Protektoren in Preußen. Ein Münchner Blatt verwahrt sich energisch gegen die Ein führung einheitlicher Briefmarken, da auch in rein äußeren Dingen an der bayerischen Selbstständigkeit nicht gerüttelt werden dürfe. Wenn die „Vossische Zeitung"dazu bemerkt: „Wir unsererseits hegen das Vertrauen zu der Münchner Negierung, daß sie eS ablehnen wird, Handlanger eine» solch öden Particularismus zu sein",so stimmen wir ihr natürlich voll kommen bei, aber wir erinnern un» leider gleichzeitig, daß erst vor wenigen Tagen dasselbe Blatt sich beeilt hat, anzu kündigen, daß die Briefmarkenfrage den ParticulariSmuS mobil machen würde, und daß eS dabei diesen Particularismus in gewisser Weise entschuldigte, indem es unterlaufen ließ, daß der süddeutsche Particularismus in dem letzten Jahrzehnt au« nur zu bekannten Gründen mächtig angewachsen sei. Es ist etwa« sehr Schöne» um das Wort „tout vompreuclro, o'sst tout parckoaue?', aber in der Politik stiftet es leicht Unheil, denn wenn man mit milchsuppenhafter Gemütblichkeit auch die rückständigsten Strömungen für ver ständlich und verzeihlich erklärt, so stärkt man sie dadurch. Dann darf man sich auch nicht darüber wundern, daß der Particularismus sich auch an so nichtssagende Symbole der Selbstständigkeit und der Souveränität anklammert, wie es die Briefmarken sind, und daß er darüber nicht der Thatsache gerecht wird, daß da» Aufgebrn diese« Symbol- zugleich eine erhebliche Verkehrserleichterung bedeutet. Die klerikale „Kölnische Volkszeitung" sreilich bemüht sich nach Kräften, die Verkehrserleichterung für da» gesammte Reich dadurch zu hintertreiben, daß sie die technischen Schwierig keiten der Verrechnung in den Vordergrund schiebt, die für Württemberg und Bayer» entstehen müßten, wenn ihre Sonderverrechnung auS der Posteinnahme nicht mehr durch die Sondermarken erleichtert würde. Aber damit begnügt sich das preußische EentrumSblatt in dem Bestreben, dem süddeutschen Particularismus den Nacken zu steifen, keines wegs. Die „Köln. VolkSztg." schreibt weiter: „Vom Groß- herzogthum Baden wissen wir, daß es heute viel darum gäbe, wenn eS seine eigene LandeSpost sich auf behalten hätte, und darum (!) kann man Wohl annehmeu, baß in Bayern und Württemberg wenig Neigung besteht, auch nur den kleinen Finger zur Abänderung zu reichen." Die Schlußfolgerungen, die da« Eentrumsblatt aus erdich teten Schmerze» Badens für da« Verhalten Bayern» und Württembergs ableitet, wäre» komisch, wenn sie nicht so unsagbar albern wären. Mit ihnen erreicht daS führende preußische GenlrumSorgan ungefähr dieselbe poli tische Höhe, auf der daö Organ deS bayerischen Centrums, die „Neue Bayerische Ztg." thront, indem e» schreibt: Feuilleton. Auf freien Lahnen. 30s Roman von Rudolf von Gottschalk. Nachdruck verbot««. Timotheus hätte kein Dichter sein müssen, wenn sein Gemüth nicht durch das Alles in die höchste Aufregung versetzt, seine Phantasie zu einer stürmischen Bilderfolge erhitzt worden wäre. Wie Hagelschauer in die Blüthen fuhr dies Alles in seine Illu sionen. Venus Anadyomene, das freie schöne Weib,wie es dasewige Meer geboren — so schwebst Du dem Geist« des Dichters vor, und er sucht Dein sterblich Ebenbild, und es erfaßt ihn wie ein seliger Rausch, wenn «r glaubt, es gefunden zu haben; doch um so schmerzlicher die Enttäuschung, wenn das Göttliche hinüber schielt ins Gemein«! Wo er Freiheit gesehen zu haben glaubte, sah er unwürdige Sklaverei, die im Hinkkrgrunde lauerte. Und diese Freiheit selbst war ein launenhaftes Spiel mit den Herzen der Anderen, schürte den Haß und die Feindschaft, führte zu ver- hängnißvollen Begegnungen und Thaten. Das freie, ungebunden« Weib verwandelt sich in eine dämonische Naturgewalt, und mit der wilden Wonne der Lebenslust verschwistert sich die wild« Wonne der Zerstörung! DaS feste Band erst giebt da« Maß und die Schranke und den Adel deS ewig Weiblichen, da» zur Höh« hinawzieht; sonst ist dasselbe, wenn es nur dem eigenen Trieb und Hang folgt, die mit dem schlimmsten Fluch behaftete Erdschwere, die in die Tiefe hinunterreißt. Da» hatte er an sich selbst erfahren müssen — und so kurz« Zeit hatte er, rin schwär merischer Tannhäuser, im Venusberge geweilt; noch fühlte er die Reitgerte des Barons, die sein Gesicht zeichnet«. Doch der Schmerz und die Schande schwanden ja gegen die ungewollte Blutschuld, die jetzt auf ihm lastete! Und wenn der furchtbare Ernst derselben ihn zu Boden drückte, so kränkt« ihn noch mehr der flüchtige MaSkenfcherz dieser letzten Demüthigung. Er war in seinem innersten G«fühl getroffen; denn spielte er nicht im Leben selbst dieselbe subalterne Rolle? Und konnte er sich's se vergeben, daß er in der BedientenlivrSe gezittert vor dem Zorne seines Herrn, al« wäre dieser in Wahrheit sein Gebieter, gezittert vor den Peitschenhieben, mit denen der Leibeigen« gezüchtigt wird? Und eS gab doch kein« Leibeigenen mehr! Dank dem edlen Kaiser, dem so schlimmer Lohn wurde für seine befreiende That, der, von Mördrrhand getroffen, auf der Straße verblutete! Es war «in schöner Jrrthum. Die Leibeigenschaft nimmt rin« neu« Form an, sie ist unsterblich. Und ist die» Weib, daS schöne, geistreiche Weib, nicht eine Leibeigene? Wer weiß, wer «weiß, wie sie ihre verwegenen Freiheitslairnen nun büßten muß. Das waren die Gedanken, mit denen Timotheus die Livröe auszog und wieder in seine Röcke schlüpfte. In der Küche kreiste die Schnapsflasche. Susanna konnte sich mit den Fremdlingen vom Don und Kuban nicht verständigen und sah erstaunt bald den Einen, bald den Anderen an, al» wären es Figuren in einem Wachskatbinet, doch die große Weltsprache, der Schnaps, die Völkerverbrüderung des Alkohols, unter dessen Zeichen selbst die Rothhäute mit den Bleichgesichtern sich verständigen, that auch hier ihre Schuldigkeit. Susann« trennte sich ungern von den schönen Tfcherkessrn, al» sie aus den Wink der Mama dem nur auf eine Stunde gemietheten Bedienten das Hausthor ausschließen mußte. Timotheus aber athmete frei auf, als sich die Pforten de« Venusberges für immer hinter ihm geschlossen hatten. Fünftes Capitel. Für das Begräbniß des Barons hatte sein Freund Trautheim Alles hergerichtet, und zwar in großartigstem Stile. Das ganze Schloß war in tiefe Trauer gehüllt, überall Trauerflore und schwarze Vorhänge und auf den Zinnen wehten schwarze Fähn chen. Er wußte, daß er auf sine große Betbe-iligund an dem Begräbniß rechnen konnte. Der ganze Kreis würde vertreten sein, oben durch seine Stände und vornehmeren Insassen, unten durch große Vokksmassen, die von allen Orten der Umgegend und auch au» den kleinen Nachbarstädten zuwanderten. Es war ja ein Todesfall, der sich in ein auch für die Behörden undurchdringliches Geheimniß hüllt«. Da« übte eine mächtige Anziehungskraft au»; vielleicht erfuhr man beim Begräbniß Näheres und es ver schob sich der Schleier ein wenig, welcher neidisch der Neugierde j^den Zutritt wehrte. In ihrem Boudoir ka-g di« trauernde Wittwe auf einer Causeuse, das Haupt nachdenklich auf die Hand gestützt; an ihrer Seite saß Eulalia, welche sie hierher begleitet hatte. „Vagenow sagt, die Trauer stehe mir gut. Es giebt auch schwarze Rosen, doch ich habe versäumt, mir einige zu besorgen. O, mein Gott — wie ist da« Alles hier anders als früher! Es beängstigt mich,«» beklemmt mich! Und daß er so enden mußte, er war doch «in schöner Mann. Ob er wirklich so betrunken war, wie die Leute sagten?" Den verworrenen Knäuel von Gedanken, den die Baronin au« sich heraussspann, wieder zu entwirren, lag der kleinen Lehrerin fern; sie störte die Selbstgespräche der Freundin nicht, deren unklares Empfinden sich in hin- und Hersprinzenden Bildern ohne jeden Zusammenhang erging. Sie selbst hegle eine auf richtige Trauer um den Verstorbenen, er war immer so liebens würdig gegen sie gewesen, er war der einzige Sterbliche, der ihr den Hos gemacht; denn von ihren College» konnte sie keine Galanterien erwarten; sie kannten das weibliche Geschlecht, das sie zu erziehen hatten, so lange es noch im Flügelkleide ver Unschulv umherging, viel zu gut, um später für die Schönen zu schwärmen, wenn sie das Flügelkleid abgestreift hatten, und überdies sahen sie in ihr nur einen jen-er Eindringlinge, welche durch ihren un lauterem Wettbewerb die Aussichten des Lehrfaches verkümmerten. Der Baron aber war ein Kavalier, der vorurteilsfrei die Vor züge der Frauen würdigt«; er verstand sich darauf, und die geringste Huldigung von seiner Seite hatte größeren Werth, als die überschwänglichsten aller Anderen; eine kleine Blume, die er überreichte, mußte ihr mehr gelten, als ganze Blumenkörbe, die Andere ihr zu Füßen schütteten, was aber leider nicht der Fall war. „Ich hab« ihn doch sehr geliebt", sagte di« Baronin schluchgentd, „und als ich ihn jetzt wiedersah, so bleich, so ent stellt — es griff mir ans Herz. Alles dahin — die schönen Stunden, die wir zusammen verlobten!" „Doch warum wollten Sie sich von ihm lossagen? Ich halbe immer zum Frieden gesprochen." „Und Sie nehmen nicht meine Partei? Sie, eine An fängerin, «ine Vorkämpferin der Frauenbewegung? Wenn wir nicht Herren über unser Hab und Gut sind in einer Welt, in welcher Hab und Gut allein nur etwas gilt, da muß ja der ganze Kampf ums Dasein, den die Frauen kämpfen, im Sande ver lausen, und ich habe den Handschuh ausgenommen. Er kam mir ja aus halbem Wege entgegen. Hätten wir andere Gesche, ich wäre ihm nimmer fremd geworden. Ja, Eulalia, das war sein Unglück. Ich hätte ihn mit sicherer Hand durch'» Leben geführt; so gerieth er auf Abwege, er hatte sein Ohr nicht genug mit Watte verstopft, wenn di« Sirenen sangen, und zuletzt ergab er sich noch dem Trünke. O, daß er so zu Grunde gehen mußte! Doch das ist jetzt Alle- vergeben und vergessen — und könnt' ich ihn wieder ins Leben zurückrufcn — «vahrhaftig, Eulalia, ich würde auf mein gutes Recht verzichten, ja wenigstens zum Theil, weim er mir nur die Hälfte meines Vermögens zu meiner freien Verwaltung Herausgabe." „Doch ver garstige Proceß wegen der Londolin —* „Er mußte der schuldige Ehegatte sein; wer weiß, waS sonst für mich übrig geblieben wäre! Das sagt auch der Vagenow — und das ist ein wahrer Freund." „Gewiß ein sehr praktischer Rathzeber und das ist in Ihrer jetzigen Lage wichtig für Sie." „Überhaupt ein prächtiger Mann — freilich der Andere! O, daß er so früh sterben mußte — es ist doch ein Jammer." „Nun sind Sie ja uneingeschränkte Herrin des ganzen Besitzes." „Doch cs macht mir keine Freude — so mit einem Trauer marsch eittzuziehcn in seine künftige Garnison! Und dann dies Alles einetm unglücklichen Zufall zu verdanken; nur das freut uns, was wir uns selbst erobert haben. Ich hätte ja gern mit ihm getheilt — es ist zu traurig, allein in dem großen Schloß, dem einsamen Park! Ucberall Erinnerungen an ihn — gewiß, ich würde ihm das Ganze lassen, wenn er mich wieder in s«ine Arme schließen, an sein Herz drücken könnte!" Clara weinte bitterlich, Eulalia stand neben ihr mit leisem Achselzucken! Sie war sehr für die Logik eingenommen, sie konnte keine Nachsähe leiden, die nicht zu den Vordersätzen paßten. Da kribbelte es ihr in den Fingern und sie hätte gern zum Lineal gegriffen, um für solche Denkwidrigkciten einen kleinen Denk zettel zu ertheilen. Das brachte die Schulpraxis so mit sich. Da klopfte es an die Thür und herein trat Herr Vagenow. diesmal ohne Sporenklirren, aus Rücksicht auf die bevorstehend« Leichenfeier. Eulalia erklärte, sie müsse nach Hause zu ihrem Vater, dessen Befinden, dessen krankhafte Aufgeregtheit sie beun- rühigte; der Tod deS Barons sei ihm sehr nahe gegangen; sie müsse für ihn Sorge tragen, damit er feine kirchlichen Ver pflichtungen bei der Leichenfeier ungestört erfüllen könne. „Liebe Clara", sagte Vagenow, nachdem die Freundin das Zimmer verlassen, „wir sind zwar hier von traurigen Eindrücken und Schmerzgefühlen beherrscht, aber wir müssen doch auch ver ständigen Erwägungen Raum geben. Der Graf von Pfeiler ist bereit, Siebeneck zu kaufen, er hat schon mit dem Baron darüber verhandelt. Heute wird er zum Begräbniß kommen, er wird sich danach erkundigen, wie Du darüber denkst." „Hat das solche Eile?" „Ein guter Käufer — man darf dic Herren nicht stutzig machen; von heute zu morgen ändern sich ihre Absichten." „Und Du frägst gar nicht, ob ich das Gut nicht behalten, nicht sekbst bewirthschaften will? Endlich einmal bin ich freie Herrin meines Besitzthums, und ich kann und will zeigen, daß ich mich auf die Verwaltung desselben verstehe." „Möglich", meinte Vagenow mit feinem Lächeln, „doch die Anderen werden's vielleicht nicht glauben. Eine Frau als Ritter gutsbesitzerin, o ja, es giebt dergleichen — doch sie können ja nicht einmal bei den Kreisständen mitstimmen." „Diese Zurücksetzung würde ich überleben." „Und dann, «ine Frau ist nur dazu in der Welt, um be«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite