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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.11.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991127025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899112702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899112702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-11
- Tag1899-11-27
- Monat1899-11
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Auch am Sonnabend war diese Fraction trotz der Mißerfolge der vorhergegangenen Tage mit einer Reihe von Anträgen bei der Hand, die den Zweck einer gründlichen Umgestaltung der Ver hältnisse bei den hausindustritlien, bezw. ans Heimarbeit angewiesenen Gewerben verfolgen. Daß cs sich dabei wieder in erster Linie um die Eonsections- Jndustrie bandelte, versteht sich Nach Lage der Dinge von selbst. Der erste Antrag, der zur Berathnng kam, betraf ras Institut der Zwischen meist er und wollte haupt sächlich durch Gesetze sestlegen, daß die Heimarbeiter rechtlich in unmittelbarem Arbeitsverhältniß zum Hauptunternehmer stehen, dergestalt, daß dieser Letztere der eigentliche Arbeit geber im Sinne der Gewerbeordnung und deS Bürger lichen Gesetzbuches sei. Es sollte damit außer Zweifel gestellt werden, daß für Innehaltung bestehender und etwa noch zu treffender Arbeiterschutzbeslimmungen der eigentliche Unternehmer die Verantwortung trage, ohne daß er sich unter Hinweis auf die mit «hm im DertragSverhältniß stehenden Zwischenmeister damit helfen könne, ihn gehe die Sache nichts an, er habe nur mit jenen Meistern zu tbun und nicht mit den von ihnen beschäftigten Arbeitern. Weiter strebte der Antrag eine Vorschrift dahin an, daß die Zivisckenmeistcr nur in ihren eigenen Arbeit-räumen Arbeiter beschäftigen dürsten, also — unter Ausschluß von Heimarbeit! Nach einer langen Debatte, in welcher wieder die beiden Fachcollegen aus Erfurt, der Socialdemokrat Reißaus und der Conservative IacobSkötter, wiederholt aneinander geriethen, wurde der Antrag abgelehnt. Nicht aus mangelndem Interesse slir die confectionsindustriellen Heimarbeiter und -Arbeiterinnen, sondern weil man, wie sich schon TagS zuvor herauSgestellt hatte, rin Special gesetz über die Hausindustrie für angemessener hält. Daneben ergab sich sreilich noch, daß seit und in Folge der von der arbeitrrstatistischen Reichscvmmission angestellten Erhebungen die Meinungen über daS Zwischtn- mcister-Jnstitut überhaupt eine gewiße Wandlung »rsabren haben. Scho» in jener Eommissiou selbst ist man in Zweifel darüber gerathen, ob dasZwischenmristerwesen wirklich so grund sätzlich zu verurtheilen sei, wie die» feiten-der Socialdemokratir geschieht. Eine fernere langatbmige Debatte wurde durch einen Vorschlag veranlaßt, den die Negierung, sowie die Eommissiou deS Hauses machen zu sollen geglaubt hatten. Durch einen 8 13va sollte der BundeSrath ermächtigt werden, für bestimmte Gewerbe (nach dem Willen der Regierung aller dings nur für da- Confectionsgewerbe) die Mitgabrvon Arbeit in- HauS an Fabrikarbeiterinnen oder jugendliche Fabrikarbeiter überhaupt zu verbieten oder doch zu beschränken. Und zwar in der Weise, daß die betreffenden Arbeiter« Kategorien in Fabrik- und Hausarbeit zusammen täglich keinesfalls länger zu beschäftigen seien, als für sie dir gesetzlich zulässige FabrikarbeitSzeit beträgt. Anfechtung erfuhr dieser Vorschlag von zwei Seiten her, dir dabei von schnür« stracks entgegengesetzten Standpunkten ausgingen. Bon den Socialdemokraten wurde das Princip des Vorschlages nicht nur gebilligt, sondern sie zollten demselben sogar so viel Beifall, daß sie dasselbe al» obligatorisch in bas Gesetz bineinschreiben und seine Anwendung Nicht erst auf dem Wege der Vollmacht dem Bundesrath anheimgeben wollten. Andererseits wurde von freislnnig-Manchrstrrlichek Seit« dem ganzen Gedanken de» Z lS4u lebhaft widersprochen, weil die Arbeiter selber einer derartigen Beschränkung ihre- Rechte» auf Hausarbeit entgezrn seien, und weil überdies »ine E-ntrole über die Arbeitszeit in der Heimarbeit schlechter dings undurchführbar sei. Aus genau denselben Skankpunct stellten sich --- ein in der Thak seltene- Zusammentreffen die Herren NöstSe-Dessau und v. Stumm, wogegen vom Cen- trum und von Seilen der Vertreter des BunbeSrathes betont wurde, daß eS sich eben hier um einen Versuch handle und daß die Sache an sich einen solchen Versuch wohl Werth sei. Nm so mehr, als man doch wenigstens zu den anständigeren Unter nehmern da- Vertrauen haben dürfe, daß sie sich an die Vor schriften deS Paragraphen binden würden. In demselben Sinne sprach sich der nationalliberale Abg. v. Heyl aus. DaS socialdemokratische Verlangen, eine derartige Beschränkung der Hci.narbeilSzeit sofort obligatorisch zu machen, ohne erst darüber Erfahrungen in diesem oder jenem vom BunbeSrathe dazu ausgesuchten Gewerbe abzuwarten, begegnete, abgesehen von den Socialdemokralen selber, allgemeinem Widerspruche. Und daS Ergebniß der Debatten bestand in Folge dessen darin, daß die Herren Rösicke und v. Stumm nebst dec frei sinnigen Partei ihren Willen durchsetzten und der Paragraph gänzlich fiel. Denn mit der bloßen Ermächtigung des Bundes raths wollten fick wieder die Socialdemokralen nicht zufrieden geben und sie stimmten daber, nachdem ihr eigener Antrag abgelehnt war, geaen den Paragraphen in der Commissisns- faffung. Freilich ist eS noch fraglich, ob nicht in dritter Lesung doch noch eine Wiederherstellung desselben stattfindet. Selbst den Socialvrmokraten sollt» doch in diesem Puncte ein Ver such, ein Anfang, lieber sein als ein Nicht». Heute geht die Berathung der Gewerbenovelle weiter. E- ist nicht aus geschlossen, daß sie noch die ganz« Woche ausfüllt. Daß die verhältnißmäßigr Ruhe, die während der letzten Tag« im Reichstage herrschte and voraussichtlich auch während der neu»u Woche noch herrschen wird, bald darauf einem parlamoutartschen Lturme weichen werd«, wird immer wahrscheinlicher. Dir Prrffe des Eentrums sammelt eifrig Stoff zu Angriffen auf den Reichskanzler. Als das Arbeit«- williqengrsetz gefallen war, hieß »S, da- preußische Staats ministerium habe dieFrage beratben, obdaS Ziel d»r abgelehnten Vorlage auf dem Boden der preußischen VereinSgesetzzebung zu erreichen sei. Bon officiöser Seite wurde darauf zwar ver sichert, Freiherr v. Rhrinbaben denke gar nicht daran, mit einer Bereinsgesetznovelle an den Landtag heranzutreten, aber dir CentrumSpresse stellt sich, als ob sie dieser Versicherung nicht glaube. Sie will sich auch nicht auf die Abwehr be- sckränkrn, sondern zum Angriffe übergehen, wie folgende Meldung auS Köln beweist: Die „Köln. Volksztg." erklärt, es sei die höchste Zeit, d«ß end lich da- Experimentiren aufhöre und Fürst Hohenlohe daS bestimmte versprechen einlvfe, da» Brrbiadungsverbot vor dem Inkrafttreten det Bürgerlichen Gesetzbuch«- aufzuheben. Dieser Zeitpunct stehe unmittelbar bevor; verstreich« «r ungenutzt, so stehe Fürst Hohenlohe al- ein Mann da, der sei« g». gebene« Wort nicht eiulvsen wollt« oder könnt«. Dana aber sei «» unmöglich, daß «r länger im Amt« bl«ibe. Das Blatt fordert den Reichskanzler auf, an allerhöchster Stelle offen und rückhaltlos zu berichten; der Kaiser werd« keinen W«rth auf weitere gesetzgeberische Experimente legen, wenn die Minister ihn richtig insormirten. Aber da- Centrum ist nicht allein angriff-lustig, auch di« Leiter de» Bundes der Landwirthe dürften nach Thaten. Die „Deutschi Tagrsztg." kündigt an: Die diesmalige erste Etatsberathung scheint sich zu eiltet bedeutenden politischen Erörterung im großen Stile ge stalten zu wollen. Man gedenkt, nicht Nur die bevorstehend« Flotten Vorlage, nicht nur di« nächstlirgendrn schwebenden Fragrn, sondern auch die grsammte innere und äußer« Politik des Reich» in d«n Bereich der Besprechung zu ziehen. Man hält e» für noth wendig, d«n in drn breitesten Kreisen des Bolkr» herrschenden Stimmungen »nd Verstimmungen ent- sprechenden Ausdruck zu geben. Daß die Parteien der äußersten Linken sich diese Gelegenheit nicht entgehen lasten werden, um gegen die Regierung und den Träger der Reichsgewalt die schwersten Geschütze aufzusahreu, versteht sich von selbst. Es will uns aber schrinen, als ob man auch in den couservativ gerichteten und d«r Demokratie durchaus abholden Kreisen des Landes von drn Volksvertretern «wart«, daß sie die in diesen Kreisen herrschende Stimmung zum gebührenden Ausdruck bringen, und daß sie in allen den Fragen, die jrtzt die Volksseele so tief und mächtig bewegen, kein Blatt vor deu Mund nehmen. Wir würden es unsererseits für recht zweckmäßig, ja für pflichtgemäß erachten, wenn auch di« Gegner der Demokratie in dieser ernsten Zeit in durchaus loyaler, ober ebenso entschiedener Weise di« be rechtigten Klagen zum Au-bruck brächten, die überall im Volke laut werden und Unmittelbar an daS Ohr der Regierung gelangen müssen. WaS bei den Berliner Bundesleitern „kein Blatt vor den Mund nehmen" heißt, ist bekannt. DerArbeitSauSschuß der fraujitfischrn Drputirten- kämm er hörte am Donnerstag de» socialdemokratischen Handrl-minister Milleranb über di« Ausführung de- Gesetze» vom 2. November 1892, betreffend die Be« schäfligungSdauer von Kittdrra und minder fahrigen Arbeiterinnen. Wie schon erwäbnt, hat der Minister den Industriellen einen am 1. Januar 1900 ablaufenden Aufschub behufs praktischer Durchführung der Bestimmungen jenes Gesetzes bewilligt, welche» als MaximalardeitSzeit für die genannten Kategorien von Personen zehn Stunden täglich festsetzt. Andererseits ist der Arbeitsausschuß mit Abänderungsanträgen zu diesem Gesetze befaßt, weiche der Senat im Jahre 1894 an genommen hat uno welche für sämmtliche Fabriken, in denen Kinder und Frauen beschäftigt werden, die elf stündige Arbeitszeit festgesetzt wissen wollen. Herr Millerand gab dem Au-schuff« Kenntniß von seinen beiden in dieser Sache an die Präfecten erlassenen Rundschreiben, erklärte sein Einverständniß mit dem Senat wegen Durchführung eine einheitlichen Arbeitstage- in der Industrie und bemerkte, eS geb» für die loyale Anwenduag deS Gesetze- nichts Mißlicheres als da- Nebeneinanderbestehrn dreier Arbeiterkategorien mit verschiedener Dauer deS Arbeitstage». Indessen betonte Herr Milleranb mit aller Entschiedenheit, daß es ihm unmöglich sei, von den Scbutzbestimmuagen d«S Ge setzes vom 2. November 1892 etwa- nachzulafseo unv daß, wenn man sich auf den vom Senat ange regten elfstündigen Arbeitstag für alle Arbeiterkatt^oiien einließ«, die- nur unter der Bedingung »ngaugig sei, schon jetzt den Termin frstzutegen, mit welchem für alle auch Frauen und Kinder be schäftigende Fabriken der Arbeitstag durch gängig auf zehn Stunden zu beschränken sein würde. Zum Schluß ersuchte Herr Milleranb den Aus- schuß, sich über diese Frage schlüssig machen und möglichst ungesäumt an die Kammer berichten zu wollen. Nachdem Herr Millerand sich verabschiedet, beschloß der Ausschuß, die Senat-anträge zur Grundlage seiner Berathungen zu nebmen und zwei verschiedene Fristen zu bestimmen, um mittels zweier Stufen zur Durchführung deS zehnstündigen Arbeitstages zu gelangen. Der Ktzaltsa Abdullaht ist. wie gemeldet, gefakt«» und sein Heer geschlagen! Oberst Wingate's Erfolg be zeichnet einen weitern bedeutenden Merkstein in der Geschichte tr östlichen Sudan». Die Engländer konnten im vorigen Jahre wobt bedauern, daß der Khalifa Abdullahi bei der Einnahme Omdurmans am 2. September v. I. entkommen war, nachdem die Hälfte seiner Leute tobt oder verwundet auf dem Platze geblieben. Man mußte sich sagen, daß er von Kordofan aus, wo er wie sein Vorgänger, der Mabdi, die Einwohner zur HeereSsolge zwingen würde, sehr bald wieder hervorbrechen könnte. Diese Vermutbunz erwies sich auch als richtig. Vor einigen Wochen verlautete, der Khalifa rücke wieder gegen Westen vor, und schon schickten die englischen Heer führer sich an, mit englischen sowohl wi« egyptischen Truppen gegen ihn zu Felde zu ziehen, als da- Unternehmen wegen des Kriege« mit Transvaal aufgezrben wurde. Indeß war Khartum stark besetzt, und man vermuthete nicht, daß der Raubritter mit seinen Schaaren einen Vorstoß gegen die Stadt unternehmen würde. Mit blindem Eifer ist er nun doch seinem Schicksal entgegen gegangen, und noch ehe er seinen früher» Sitz erreicht hatte, fließ er auf die wobl- vorbereitrten englischen Heerführer und egyptischen Truppen, welch letztere diesmal allein standen und bewiesen baden, daß ihre europäischen Führer sich auf sie verlassen können. Wenn etwas auf die fanatischen Schaaren, auS denen der Mahdi und der Khalifa ihre Heerhausen zu bilden pflegten, Eindruck zu machen geeignet ist, so muß e» da- Verhalten der in sechzehnjährig«« Arbeit von den englischen Offizieren neu heranzebildeten egyptischen Armee sein. Ein Theil dieser Arniee besteht au» Leuten, die einst, dem Zwang gehorchend, mit den Derwischen unter dem Kbalisa kämpften. Schon nachdem vor vier Jahren Slatin Pascha ans der Gefangen schaft deS Kbalisa entronnen war, lag eS klar, daß besten nur durch eine grausame Gewaltherrschaft aufrecht erhaltenes Ansehen im Schwinden sei. Die- bestätigt« sich im vorigen Jahre bei der Einnahme Omdurmans, wo der Kbalisa von der sudanischen Bevölkerung »ertasten wurde, sobald die englisch-egyptischen Truppen im Lande erschienen. Trotzdem ist noch nicht- weniger sicher als das Ende de« Mahdi-mus. Von den entkommenen Heerführern Abdul lahi« ist Oöman Digma der tüchtigste; vielleicht wirst er sich jetzt zum Khaltsa auf. Allein bi- er Zeit fände, sriner- seit- einen Schlag gegen di« europäische Herrschaft im Sudan vorzubereiten, würde mehr Zeit vergehen, als die Engländer brauchen, um ihre Herrschaft genügend zu befestigen. Feuilleton. iss Das Pflegekind. Roman von Elsbeth Meyer-Förster. NaLdnxk verboten. Paul packte ihr das Gewünschte in eines der roth und grün gestreiften Seidenpapiere, die er riesweise aus einer Luxus fabrik bestellt hatte, und in seiner Aufregung über diese erste Hufs des Schicksals an dem entmuthigenden Tage griff er in die Bonbonbüchse und legte mit der gemurmelten Frage: „Haben Sie Kinderchen?" einen kleinen Haufen Zuckerwerk neben daS Päckchen mit der Putzpomade nieder. Die Frau musterte ihn erstaunt. Einen Augenblick trafen sich die beiden Augenpaare, und Paul war es, als er in das herbe, von Sorgenlinien durchgrabene Gesicht blickte, als müsse er die zwanzig Pfennige in die Hand deS Weibes zurückschisben. „Dat is aber mal nett von Ihnen, — da werden se Äugen machen", rief die Frau, indem sie mit ihren Arbeitshänlden nach den bunten Papierhüllen griff. „Dat hätte nu der Vorrgte nie jethan, — dat war «n zu gnietschiger Mensch. Ja ja", fügte sie hinzu, indem sie sich in dem weiten leeren Laden umisah und dann Paul wieder mit teilnahmsvollem Blicke streifte, „so den Anfang machen, nachdem et der Andere verdorben hat, det iS schwer. Un die Irgend hier — wo Eener nach dem Andern stillschweigend wieder die Bude schließt. Na, vielen Dank noch einmal, junger Herr, und Ville Glück!" Eilfertig, noch immer lebhaft sprechend, entfernt« sie sich. Paul stanv noch immer am Tisch«, die Hände aufgestützt, die Worte der Frau schwebten ihm im Ohre, al» fi« schon längst gegangen war. Immer und immer wieder hörte er die laute, ungebildete Stimme in so festem Tone: „Einer nach dem Andern hier draußen stillschweigend wieder di« Bude schließt." Er fühlte, wie ihm rin Frösteln den Körper rntkang lief, ging an den Ofen, hielt seine kalten Hände an dir Kacheln, lehnt« sich dann mit dem Rücken dagegen und stand so lange, den Blick in den leeren, großen, kalten Raum gerichtet; mit fieberhaft geschärften Sinnen horchte er auf da» Trottoir hinau», aus di« vorbetgehenden Schritte, von denen manche ihm vor seiner Ladenlhiir zu zögern schienen. Aber immer wieder, wenn da» erwartungsvolle Klopfen seine« Herzens ihm sagte: „Jetzt geht gleich die Ladenglocke, jetzt kommt Jemand" — verhallten draußen die Schritte wieder und, von diesem Spiel der aufgeregten Phantasie am Ende ganz erschöpft, ließ er sich in dem „Wohnraum" aufs Sopha nieder und legt« den Kopf auf die Arme. Um die siebente Abendstunde kam Johanne, um ihrem Munn daS Nachtmahl zu bereiten und ihm auf dem Spirituskocher den Thee zu kochen, denn Paul hatte beschlossen, erst des Abends warm zu essen und sich zur Mittagszeit mit etwa» kaltem Dorivth zu begnügen. Sie fand ihren Gatten schlafend. Leise hob sie seinen Kopf von seinen Armen, lehnte ihn an ihre Brust, ohne daß Paul von dieser zärtlichen Bewegung erwachte, und nun sah sie in sein blasses, entmuthigtes Gesicht, da» während deS erschöpften Schlafens «inen Ausdruck von Kummer angenommen hatte. Er hatte ihren Eintritt nicht gehört, fest und müde schlief er, und man hätte ihm den ganzen Laden auSräumen können, ohne daß er e» gewahr geworden wäre! Im Lause der Zeit fanden sich jedoch nach und nach auch einige fest« Kunden ein, die ihren Bedarf an HauSartikAn au» der weiß-blau-vrrgoldeten Drogenhandlung entnahmen. Auch der Zuspruch der Passanten wurde um Vie Weihnachtszeit herum lebendiger; einen HaupttheN daran hatte Wohl da- geschmückte Schaufenster, in welchem Paul eine gang« WerhnachtSauvstcllung aufgebaut hatte. Viele Abendstunden vor Goschäftsfchluß war er mit seiner Frau in die Stadt gegangen, um Einkäufe an Weihnachtsschmuck zu machen, während der Hau»di«ner in dieser Zeit den Primipal hinter der Theke vertreten mußte. — Durch Regen, Frost und dichte- Schneegestöber waren sie von Hauptstraße zu Hauptstraße, von Leichner zu Lohse und von dort zu Puttendörfer, von Puttendörfer zu Schwarzlose gewandert, um deren SchaufensterauSfiellungen zu studiren und darauf in der Großbeerenstraße, dicht unter der Krinolin« de» Kreuzbrrges, einen Abglang der gesehenen Herrlichkeiten zu schaffen. Johanne besonders in ihrer Dergoldungs« und Versilberung»- sucht hatte sich gar nicht genug thun können am Einkauf all' der feenhaften Dinge, die um diese Zeit herum ein so phantastisches Gepräge über die Schvufensierwelt ergießen. Wie ein gelernter Dekorateur hatte sie die Spiegelscheibe auf» Feinste mit weißem Sammet, über dem schwarz« Stern« au» zusammengesetztem lkachou lagen, austapeziert, goldene» und weiße» ThrisikiNdlein- haar hing in leuchtenden Strähnen von oben herunter, während der Hintergrund von einem au» eo-her und weißer Gelatine hervorgezauberten Wasserfall romantisch «osgeftillk wurde. Groß« Seifenstücke waren alt F«I»grröll analkgt, über wekche die Gelatine in wildem Strömen himenterflulhrt«, recht» «nd link» aber sah man zwischen kleinen Büscheln getrockneten Lorbeer» sauber«, von Putzpulver au-gefüllt« Wege sich hmziehen. Ein mit Kupfervitridl-Lösung gefüllte» Glas paradirte als Bassin in der Mitte und warf seinen blauen Schein über diesen feenhaften Garten, in welchem kleine Korkdamen mit Gesichtern aus Schwamm und Hüten au» Lufsah melancholisch auf ihren Zahn stocherbeinen standen. Die halbe Großbeerenstraße, mindesten» aber di« gesammte Schuljugend derselben versammelte sich vor diesem seltsamen Schaufenster, und e» tonnte nicht schien, daß unter den vielen müßigen Zuschauern, die vor Kälte von einem Bein« auf» andere traten, auch einige reelle Menschen waren, die nach dem Porte monnaie fühlten und rasch entschlossen den Laden betraten. Johanne, die neben ihrem Manne hinter der Theke stand, «rröthrte dann jede» Mal vor Glück. Der eventuelle Käufer war vielleicht noch nie in seinem Leben so sorgsam bedient worden wie in diesem Geschäft, wv der Besitzer und die Besitzerin ge meinschaftlich wetteiferten, den halben Laden umzukramen, um da» Verlangte in allen Variationen vorzuzetgen. Der Kosten punkt bereitete dann noch weitere Ueberraschungen, Paul in seinem Diensteifer zeigte sich so entgegenkommend, daß er gern den Prei» bi» auf «in Minimum herabgesetzt hätte, und während sich der Kunde, noch mit einer netten Zugabe bedacht, verwirrt ent fernte, flogen Paul und sein« Gattin wie zwei emsige Bienen hin und her, um die vielen aufgeriffenen Schachteln und Kisten wieder zu schließen und an Ort uN- Platz zu stellen. Am Weihnachtsabend brachte Johanne auch Paul den Jüngeren mit ins Geschäft, der zu Hause vor lauter ChrtstkindS- ungeduld keine Ruh« mehr geben wollt«. Sie setzten ihn in da» Ledersopha hinter dem Vorhang, gaben ihm einen Carton mit beim Tran-Port zerbrochenem Baumbehang zum Spielen in den Schooß und widmeten sich dann voll Eifer dem WeihnachtS- verkauf. Stunde um Stunde verrann, schon wurden in einzelnen Häusern die Lichter an den Bäumen angezündet, aber noch immer schafften die Beiden hinter der Theke. Paul sah bestaubt, erhitzt und eifrig au», Johanna'» blaffe Wangen glühten. Ab und zu tauchte au» dem Verließ, da» durch ein« Fallthür mit dem Laden in Verbindung stand, dir Gestalt Karl'», de» Hausdiener», ans, den sie bei Ueoernahme de» Geschäft» «ntt verpflichtet hatten und dessen gevantenkoser Fleiß, dessen Zerstreutheit uftd mürrische» Wesen ihnen ost zu Ermahnungen Anlaß gab. Karl war vom Sande in di« Stadt hereingekommen, „um sich zu vrrbeffern", wie er sagte. Aber Johanne überraschte ihn oft, wi« er vor einer kleinen, schlechten Photographie saß, die ein Bauernweib und ein kleine» Mädchen darstellte, und mit trübem Blick das Bilo betrachtete. „Verbessert" konnte er sich nicht haben, dann er, der ein« andere, frühere Photographie in Gemeinschaft mit der Bäuerin als einen robusten, kernigen Menschen m-it freien Gesichtszügen dorstellte, war äußerlich ersichtlich weit zurück- gegangen, feine Miene war finster und schlaff, seine Farbe bleich, und aus >ven Gelagen und Nachkschwärmereien, an denen er sich mit leichsinnige-n Cumpanen bet'heiligte, brachte«! einen stumpfen Mißmu-th für sein Tagrwerk mit. Arbeiten konnte er jedoch wie «in Pferd. Sein« kräftigen Schultern trugen die Lasten wie Spielbäll«, sein« von der Arbeit lederharten, rissigen Hände scheuten vor keiner noch so groben Be schäftigung zurück, er griff in di« Laugenfäffrr, reinigte die mit ätzenoen Stoffen gefüllten Tonnen, scheuerte Keller und Lager raum, umd war, abgesehen von seiner nächtlichen, unregelmäßigen Lebensführung, ein so brauchbarer Arbeiter, daß Paul sich tm Stillen zu diesem Menschen gratulirte. — Dicht ne'ben dem Lagerraum befand sich ein Keller, «in« Art Laboratorium, in welchem der vorherig«, in Tonruvs geralhen« Besitzer mit Präparaten eigener Erfindung erfolglos ezperimenlilt hatte. Paul fühlte sich nicht zu dem Ehrgeiz seines Vorgängers hingerissen, Zeit und Mittel an die fruchtlosen Ideen des Selbst- präpariren» anzuwenden, er freute sich seiner kleimn, dürftigen Erfolge hinter der Ladentafel und überließ gern den großen Fabrikanten drn Ruhm deS Erfindens. Aber er sah mrt Er staunen, wie der Knecht fich in seinen freien Stunden in dirsem Kellrrraum zu schaffen machte uno in dem chaotischen Durch- einander der Ueberbleibsel vom einstigen Material wie «in finsterer Geist herumwirthschastete, alte, pharmaceutische Schmöker beim Schein der Laterne studirke, FHüssigtorten mengte und zerfetzte, während er aus die schüchtern an ihn gestellten Fragen über den Zweck feiner Experimente nur einsilbbg Aus kunft gab. In der Thar empfand Paul fast etwa» wie Scheu vor diesem sinisteren, in fich oersunikenen Menschen, der, ohve jegliche Kennt nisse, mit bäuerischer Einfakt und Hartnäckigkeit sich an Dinge wagt«, von denen er nicht einmal di« Hauptbegriffe wußte. Es lag etwas in diesem planlosen, aber leidenschaftlichen Vorgehen, da» Pauk eine stumme Bewunderung abnöthigte, und er mußte an Nettchen denken, die auch das Schicksal hatte -wing-n wollen und über die Klüfte der Anmögkichkit mit einem kalt wagenden Sprunge hinweggesetzt war. Auch heute haft« der Knecht einen neuen Lewei» seiweS Ehr- geczeS gegrb«n, indem er gebeten hatte, Paul mög« ihm aawckhre«, nach Gefthäftsschlütz den Abend im Keller bei seinen Versuchen verbringen zu dürfen. „Ich hab' hier Niemanden in L« Stabt",
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