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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.12.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991209020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899120902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899120902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-12
- Tag1899-12-09
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Li« Morgen-AuSgabe erscheint «m '/,7 Uhr, die Tbend-LnSgabe Wochentag- u« k Uhr. Nrdactio« und Lr-editiou: AohanniSgaffe 8. Di« Expedition ist Wochentag» »nunterbroche» geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Filialen: Ott» Klemm'» Lorttm. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 3 (Pauliuum), Loui» Lösche. Kathariueastr. 14^ Part, und Königsplatz 7. Vezrrg-'Prei- 1» der Honptexpedttio« oder den Nu Ktebt» bezirk nnd de« Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50. bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^l 5L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Dirrcte tägliche Kreuzbandlenduug iw» Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MpMer TllMlck Anzeiger- Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes nnd Nolizei-Amtes der Ltadt Leipzig. 827. Sonnabend den 9. December 1899. AnzeigeN'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Rrclamen unter dem RedactionSstrich (4ge spalten) 50^z, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz . nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung M.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeige«: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. December. Durch die Einlösung seine» Versprechen» in Bezug auf die Aufhebung de» Verbote» der Verbindung poli tischer Vereine hat sich Fürst Hohenlohe zwar den Groll der preußischen Conservativen zugezogen, aber auch da» Lob der Klerikalen gesichert. Ihre Blatter, voran die „Köln. VolkSztg.", überbieten einander in der Anerkennung der staatSmannischen Fähigkeiten de» Reichskanzlers. So schreibt da» genannte Blatt: „So wenig weittragend, rein sachlich genommen, der Erfolg deS Fürsten Hohenlohe scheinen mag, so geht seine politische Bedeutung ganz sicher weit über die rein sachliche Tragweite hinaus und ebenso die symptomatische Bedeutung für die Beurtheilung der augenblick lichen politischen Gesammtlage." Da» stimmt vollkommen zusammen mit dem Auftreten des Abg. Bachem im Reichstage, der Namens des CentrumS den, Reichskanzler ausdrücklich seinen Dank aussprach für seine Be mühungen um die Beseitigung der Hindernisse, die der Einlösung seines Versprechens im Wege gestanden hätten, und bedeutsam hin- zufügte.daS kleine Geschenk eröffne die Hoffnung, daß auch andere Wünsche deS Reichstags eine ebenso wohlwollende Aufnahme finden würden. Unter diesen „anderen Wünschen" steht dem Centrum natürlich obenan die vom Reichstag wiederholt beschlossene Aufhebung des I e s u i t e n g e s c tz c S. Es ist schwerlich ein Zufall, daß gerade der Abg. Bachem, vor zwei Jahren der wildeste Gegner der Marinepläne, dazu auSersehen ward, dem Reichskanzler daS Vertrauen des Centrums in einer so demonstrativen Weise entgegen- zutragen. Damit sollte nicht allein der Regierung gesagt werden, um welchen Preis sie daS neue Flottengesctz haben kann, sondern eS sollte auch der Centrumsgefolgschaft draußen, namentlich der klerikalen Presse, ein Wink gegeben werden. Laß da» Centrum mit der Möglichkeit rechnet, sich mit der Regierung zu arrangiren. Höchst bemerkcnSwerlber Weise werden in demselben Augenblick in der „Köln. Volksztg." Kanonen schwersten Kalibers gegen den Minister v. Miquel aufgefadren, den daS Centrum schon seit längerer Zeit als seinen Todfeind betrachtet und neuerdings im Verdacht hat, auf eine Reichstagsauflösung zum Zweck der Wiederherstellung der alten Cartellmehrheit hmzuarbeiten. Der von Herrn Lieber in Mainz begonnene Feldzug wird, nachdem der Boden in allerjüngstcr Zeit durch verschiedenerlei Jntrigucn vorbereitet ist, mit verstärkten Kräften wieder ausge nommen. Dem Minister wird abermals vorgeworsen, daß ,er Frieden mit den canalfeindlichen Conser vativen geschlossen und sich dadurch an der Solidarität de» Ministeriums schwer versündigt. Für den Beschluß des Ministeriums, die Beamten, die ge^en den Canal gestimmt hatten, zur Verfügung zu stellen, hätten alle Minister nach dem Grundsätze eintreten müssen: ^alle für einen und einer für alle". Sie hätten sich auch alle streng an die solidarische Verantwortlichkeit gehalten, nur einer habe sich still zur Seite gedrückt und auf der Redaktion der „Kreuzzeitung" sagen lassen, er sei unschuldig an dem Leide, daS über die con- servative Partei gekommen sei. Wörtlich heißt eS hierauf in dem Artikel weiter: „Was sagt zu diesem Vorgehen des Bicepräsidenten de- Staatsministeriums der Ministerpräsident? Was sagt dazu der Kronrath? Dieses Schauspiel, daß ein Mit- glied de» Ministerrathe» sich reinzuwaschen sucht wegen eines Beschlüsse» de» Gesammtministeriums, daß e» statt seiner ein andere» Mitglied deS Ministerrathe», noch dazu den Minister- Präsidenten, vorschiebt, daß eS somit die verfassungsmäßige Solidarität des Gesammtministeriums durchbricht und den ihm verfassungsmäßig obliegenden Antheil an der Verant wortlichkeit abzuschütteln sucht, das ist, wir wiederholen es, in Preußen bisher noch nicht dagewesen. Wenn heute die Einheitlichkeit der Regierung verloren gegangen, ihre Krast ge mindert und ihr Ansehen erschüttert ist, so ist das in hervor ragendem Maße das Werk des Herrn von Miquel. Es ist kein Wunder, daß ein solcher Staatsmann heute der Minister ohne Vertrauen ist. Wer keine Verantwortlichkeit tragen mag, verdient in der That auch kein Vertrauen, von allen anderen Dingen abgesehen, welche ihm nach und nach auf allen Seiten das Vertrauen genommen haben. Ebenso wenig ist e» ein Wunder, daß diesem Staatsmann nichts mehr ge lingt. Er lebt nur noch, um zu leben. Er windet sich durch, so gut es geht. Bald benutzt er die Wahlreformvorlage, um den Canal zu Fall zu bringen. Daun benutzt er die Floltenpläne, um über die Canalschwicrigkeiten Hinwegzukommen. Was wird er dem nächst hervorjuchen, um aus Len entstehenden Flottenschwierigkeiten herauszukommen? Eine ruhige und consequente Politik giebt's bei ihm nicht mehr. 1,6 .jour »u .jour! Zu einer gedechlichen Thätigkeit, wie er sie früher entfaltet hat, wird er eS nie mehr bringen. Ein Minister ohne Vertrauen und ohne Verantwortlichkeit ist in Preußen zur Unfruchtbarkeit aller seiner Anstrengungen verurtheilt. Er hat sein Schicksal selbst verdient/' Augenscheinlich ist die „Köln. VolkSztg." mit ihren Hinter männern der Meinung, daß zwischen dem Fürsten Hohenlohe und Herrn v. Miquel nicht Alles stimme und daß cs daher keiner allzu großen Bemühuiigen bedürfe, den Ersteren gegen den Letzteren aufznstacheln. Es wird nun Aufgabe deS Reichs kanzlers sein, daö Centruin möglichst bald darüber auf- zuklären, daß eS sich im Jrrthume befindet und vergebens auf Zwiespalt im Schooße der Negierung speculirt. Herrn r. Miquel verhilft vielleicht Herr I)r. Lieber zu der Gelegenheit, sein überlegenes taktisches und diplomatisches Geschick dem Cen truin fühlbar zu machen und ihm die Hoffnung auf ein glän zendes Handelsgeschäft mit der Flottenvorlage zu vertreiben. „Wir hören" — schreibt beute die „Köln. Ztg." — „mit besonderer Genugthuung, daß die technischen Vorarbeiten für die erweiterte Canalvorlage im Ministerium der öffentlichen Arbeiten so gut wie vollendet sind, eS kann schon jetzt mit Sicherheit angenommen werden, daß zum Mittel landcanal noch der Großsch ifffahrtSweg Berlin- Stettin, die Vertiefung des unteren Oder laufes vom Oderbruch abwärts und die Verbesserung der Wasserstraße von Brom berg zur Mündung der Netze in die W a r t h e hinzukommen werden. Die Ausarbeitung der neuen Vorlage soll so beschleunigt werden, daß sie Ende Februar, spätestens Anfang März, dem Landtage wird zugestellt werden können." Daß daS preußische Ministerium der öffentlichen Arbeiten sich beeilt, die erweiterte Canal vorlage fertig zu stellen, wird man glauben, auch wenn cs nickt besonders versichert wird, denn das belr. Ministerium erfüllt mit der Beschleunigung dieser Arbeit lediglich einen ihm ertheilten Auftrag. Aber daß die Vorlage sofort nach ihrer Fertigstellung dem Landtage zugchen werde,halten wirnoch keines wegs für ausgemachte Sache. Das Ministerium de» führenden preußischen Staates hat, auch wenn eS die Ent scheidung der Canalfrage noch so sehr wünscht, noch andere Aufgaben als die, dieser Entscheidung nachzujagen. Davon, daß diese ein halbes oder ein ganzes Jahr hinausgeschoben wird, hängt der Schutz des gejammten deutschen überseeischen Handels nicht ab. Den Zweck dieses Schutzes hat die in Aussicht genommene Flottenver stärkung, der mithin der führende deutsche Staat den Vorrang einräumen und hinter die er Alles zurückslellen muß, was das Schicksal der in Vorbereitung begriffenen Flotteuvorlage gefährden könnte. Und daß bei der Berathung der erweiterten Canalvorlage, wie sehr sie auch erweitert sein mag, schroffe Differenzen nicht nur zwischen den zur Förderung nationaler Aufgaben bereiten Fractionen, sondern auch zwischen einem Theilevon ihnen und derpreußischenRegierung hervortrcten werden, dafür haben die Berathungen der ursprüng lichen Vorlage unddie an diese Berathungen sich knüpfenden Miß- griffe gesorgt. Ein vorzeitiges Wiederanschneiden der Canal frage in Preußen könnte also nur schädigend auf die Flotten verhandlungen im Reichstage cinwirken. Und wenn nun gar — was wir vorläufig noch nicht glauben, was aber eine vorsichtige Negierung im Auge behalten muß — das Schicksal der Flottcnvorlage zur Auflösung des Reichstags zwingt und während der Wahlvorbereitungen im Reiche in Preußen der Streit um die Canalfrage tobt, so ist es sehr fraglich, ob im führenden deutschen Staate die ReicbstagSwahlcn ein günstiges Ergebniß liefern. Betriebe vollends die preußische Negierung daS Canalproject so, daß sie durch die Ablehnung auch der erweiterten Vorlage zu einer Auflösung deS Abgeordneten hauses genöthigt würde und ReichStagSwahlen mit preußischen Abgeordnetenwahlen zusammenfielen, so wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß weder ein flottenfreundlicher Reichstag, noch ein canalfreundliches preußisches Abgeordnetenhaus daS Ergebniß der ver worrenen Kämpfe wäre. Solchen Eventualitäten darf sich die Regierung Preußens nicht auSsetzeu, wenn sie nickt auf ihren moralischen Credit im Reiche Verzicht leisten will. Wir erwarte» daher mit Zuversicht, daß sie die erweiterte Canalvorlage erst dann vor den Landtag bringt, wenn die Annahme der Flottcnvorlage im Reichstage ge sichert ist. Wie aus Port Said gemeldet wird, schicken die Türken sich an, das an der Straße Bab el Mandeb gelegene Scheich- Said z» befestige», und haben zu diesem Zwecke bereits einen Officier des Generalstabs und eine große Menge Kriegs material dorthin entsandt. Der Zweck der Befestigung ist nicht recht einzusehen. Die Westküste deS Golfs mit der Inselgruppe Saba gehört Frankreich, und Perim, daS gerade in der Mitte des Golfes liegt, gehört England, so daß daS kleine und zur Zeit vcrhältnißinäßig sehr schlecht befestigte Fort Scheich-Said der Türkei nicht als wirkliches Bollwerk gegen die genannten Mächte dienen kann. Die „PeterSb. Wjedomosti" sind der Ansicht, England werde sich zuerst widersetzen, falls die Türkei wirklich Scheich- Said in eine erstclassige Festung zu verwandeln be ginne; denn eS dulde die Anwesenheit der Türke» in Bab el Mandeb nur unter der Bedingung, daß sie ihm nie nnd nirgends hinderlich sind. So habe schon im Jahre 1872 England der Pforte vorgeschlagen, Scheich-Said zu besetzen, damit Frankreich nicht diese Position einnähme, und jetzt natürlich warte eS eine passende Gelegenheit ab, um das Fort in Besitz zu nehmen. Offen wolle eS dies aber nicht thun; im Gegentbeil, es habe der türkischen Regierung gerathen, einen Officier deS Generalstabes in Scheich-Said einzusetzen, damit Europa nicht glaube, die Türkei bekümmere sich nicht um ihre Besitzungen in Bab el Mandeb. Ueber die Zustände in der algerischen Arem-enlegion wird uns aus Algier, 30. November geschrieben: Wer zum ersten Male eine der Garnisonstädte der Fremdenlegion Saida, Tiaret, Geryville, Bel-Abbös rc. betritt, bemerkt in den Straßen viele betrunkene und verkommene Soldaten; e» sind meist Unglückliche, welche zum Alkohol greisen, um sich über die rauhe, nackte Wirklichkeit hinwegzutäuschen. Die meisten von ihnen schlugen aus Verzweiflung den Weg hierher «in, und wenn wir ihre Geschichte kennen, so erregt ihr Schicksal unser tiefste» Mitgefühl. Von diese» Unglücklichen hört man sehr oft deutsche Laute, denn es befinden sich unter ihnen leider viele Deutsche (besonders Elsässer), Oesterreicher und Deutsch-Schweizer. Bor einigen Monaten hat nun rin Geistlicher in der protestantischen Synode zu Algier in einem Vortrage einen sehr beachtenSwerthen Vorschlag zur Rettung dieser dem Untergange geweihten Menschen gemacht. Er wollte einen Lesesaal eröffnen, in dem mehr al» hundert Soldaten gleichzeitig in Ruhe eine Zeitung oder ein gutes Buch lesen und dabei zugleich ihre geliebte Pfeife rauchen könnten. Dieser Plan ist inzwischen verwirklicht worden, leider fehlt es aber sehr an geeigneten Büchern für die deutschsprechenden Fremdenlegionäre. Ich richte deshalb an die deutschen Landsleute die Bitte, gute, natürlich dem Bildungsstande der Sol daten angemessene Bücher für den Lesesaal zu stiften. Sendungen sind zu adressiren: 2lr. Rappart, pasteur L 8cüäa. (Oran). Wir wünschen dem Aufruf vollen Erfolg, knüpfen aber an ihn die schon so oft wiederholte Mahnung, junge» Leuten auf das Dringendste von dem Eintritt in die Fremdenlegion abzurathen. Jeder bereut den Schritt auf das Bitterste, denn nnr wenige kehren zurück und diese wenigen in tief bellagenSwerthem Zustande. Wer einen Fehltritt begangen Hal, büße lieber in der Heimath dafür und sorge durch ehrenhafte Lebenshaltung und redliche Arbeit für Rehabilitirung. Sie wird ihm nicht versagt bleiben. Der Krieg m Südafrika. -p. Wir erhalten heute eine wichtige amtliche Mittheilung, Welche alle Meldungen der letzten Tage aufwiegt und für die lange Nachrichtenbürre entschädigt. Sie besagt über die Lage im Westen: * London, 8. Tecember. Das Kriegsamt giebt be kannt: Von Lord Methuen find heute keine weiteren Nachrichten eingegangen. Indessen sagt ein Telegramm aus Lranje-Rivcr-Station, datz heute früh bei Graspan (südlich vom Modderriver) die Etseu- bahnüberfnhrung gesprengt wurde. Der Tele graph sei abgeschnttten. Führerbringen Meldungen von heftigem Gcschützfener im Norden. Diese Meldung beleuchtet auf einmal die Situation in einer für Lord Methuen höchst bedenklichen Weise, denn hier mit wird a m t l i ch e i n g e st a n d e n, daß der General thatsächlich von seiner Operationsbasis im Süden, de Aar, vollständig abgescknitten ist und keine Nachrichten mehr nach Capstadt- Londou gelangen lassen kann, daß die Boeren sich zwischen de Aar und Modder-River-Station gedrängt und Methuen im Rücken angegriffen haben,daß dieser also, wie wir von vornherein annahmen, nicht am Nordufer des ModderflusseS, sondern in FenrHeton» 4s Das verkaufte Genie. Ein Sommernachtstraum. Novelle von Anton Freiherrn v. Perfall. Nachdruck vkrboMu AIS er gerade im Begriffe war, dem Schloßherrn den Fest saal zu geigen, die kostbaren, Decken und Wand zierenden Stuck ornamente, da bat Floot plötzlich, ihn allein zu lassen; er sei -nicht mehr im Stande, den Erklärungen zu folgen, so sehr sie ihn interessirten. Er habe beschlossen, die erste Nacht ganz allein in seinem neuen Besitze zuzubringen. So hevzlich Floot das Alles auch zu geben wußte, ohne im Geringsten zu verletzen, Isländer fühlte es doch in seinem Innersten; cs war ein Bruch geschehen. Der Mohr hatte sein« Schuldigkeit gechan, der Mohr kann gehen. Di« alte Geschichte, nur etwas mit Liebenswürdigkeit verbrämt. Floot aber ließ sich erschöpft auf die Polster von rothsm Damast nieder, welche die Wände entlang kiesen, und stöhnte laut auf, sein Haupt in den Händen verbergend. Wieder vertrieben aus seinem Paradiese, wieder verbannt in diese, seinem Herzen fremde Pracht, die ihm von allen Wänden fein« Ohnmacht wies. Er wird sterben hier vor Sehnsucht. ES war ihm, als müsse er Isländer noch einmal zurückrufen, al» nehm« er das Heil seiner Seele mit sich. O, was hätte er jetzt gegeben um einen Funken seines Genie»! Das ganze Schloß —, all' s«in Hab und Gut. Als Bettler wollte er einziehen drüben in der Villa. Dann trieb es ihn wieder auf, von Raum zu Raum. Jetzt wollte auch er einmal strenger, rücksichtsloser Richter sein. Wa» war denn hier SekbstempfundeneS zu finden? Waren nicht alle dies« Formen auch unzählig« Mal« Gesehenem ent nommen, einfach gestohlen? Und das Herumirren in allen Stil arten, drängte es sich hier nicht den Augen auf? Und trotzdem war dieser hochmüthige Künstler, der durchdrungen war von dem Glauben an fein Genie, stolzer auf diese» Werk, al» auf Alle», wa» er je au» sich herau» geschaffen. Mso! Kann da» Urtheil eine» solchen Manne» maßgebend sein? Und diese Geschmack- lösigtzeit hier und bisse dort, wie unnatürlich, zwecklos, wider sprechend Das, wie übertrieben Jene»! Er begann, Isländer zu verspotten, zu verhöhnen. Er freute Pch, so oft er einen neuen Fehler fand, ohne mehr daran zu denken, daß das Schloß sein Eigenthum war, daß er eine Million dafür geopfert. Der Abend kam, und er war noch nicht zu Ende mit feiner seltsamen Prüfung. Im kahlen Thurmzimmrr fühlte er sich am wöhlsten. Er öffnete die schmalen Fenster und blickt« hinaus in die dämmerig« Landschaft. Im Dorfe unten ging es lärmend zu, Fiedeltön« drangen 'Heraulf, das Jauchzen und Trommeln Tanzender. Einst beab sichtigt« Floot, zur Einweihung des Schlosses ein großes Volks- föst zu feiern und entwarf mit Isländer farbenprächtige Pläne. Die ganze Gegend sollte es miiseicrn, aus der Stadt sollte das Künstlervolk kommen, ein Fest ohne Gleichen sollte es werden. Diese Fiodeltöne, dieser Tanz auf dem Bretterboden des Wirths- haufes war das Einzige, was übrig geblieben von diesen Ent würfen und Plänen. So war es mit Allem, waS er begann, erstrebte. Ein häßlicher Bodensatz blieb, iveitcr nichts. Die Billa Isländer schrumpfte immer mehr ein in der zunehmenden Finsterniß. Ein Licht entzündete sich darin. Er konnte den Blick nicht mehr davon wenden. Seltsam! Auch da drüben wohnte ein Unzufriedener, ein mit sich Zerfallener, und er sicht wohl auch in diesem Augenblicke voll des Neides herüber auf das weiß« Schloß. Höchst seltsam! — Aiff den Hohen wohnt kein Glück, kein Friede, nur Neid und Zerrissenheit; nur unten im Thal« tönen die fidelen, die lustigen WeSsen, schwingt sich das Volk zum Tanz und jauchzt und singt zwischen den morschen, zerfallenen Hütten, hinter den engen, düsteren Mauern. Und warum läßt er nicht auch die Fiedel er tönen, schwingt sich im lustigen Reigen des Lebens, er, denn alle Thore der Freud« weit sich ifffnen? Warum schleicht er so allein durch das Leben, ewig dem einen Phantom nach? Warum greift er nicht zu nach reifen, schwellenden Früchten, die sich ihm von allen Seiten bieten? — DaS „Weib" zum Beispiel, um daS sich alle Wunsch« drehen, alle Begierde, alles Sehnen! War er denn kein rechter Mann, daß er «S immer verachtet, oder hatte er es ganz übersehen, den Blick nach Höherem gerichtet? Ja, das war'», er sah darüber hinweg. Er hatte immer eine dunkle Furcht, es könne ihn ablenken von seiner auf die Höhe ge richteten Bahn. Aber damit war es ja für immer vorbei; die Furcht war von nun an «ine Thorheit. Sonderbar! In dem ersten Augenblick, wo er sich dessen be wußt, wo der eckbarwungSlos« Streich geführt, der sein Loben für immer in zwei Hälften spalten sollte, da regt« fick auch schon in ihm der bisher unerkannte Trieb. Im Garten Isländer'», — als er von Marie schied. — Ein Jahr verkehrte er mit ihr Tag für Tag, ohne die geringste Regung seines Heizens; und in diesem Augenblicke war es ihm, als könne er nimmer von ihr scheiden. Die holde Ver wirrung ihres ganzen Wesens, als ob sie gleiches Weh empfunden, das Goldhaar, das so oft sein Antlitz gestreift, dhne daß er es mehr gefühlt als eine mechanische Berührung; das treue, tiefe Auge, aus dem die gemalten Idyllen des Vaters blickten, den kräftig erblühten, geschmeidigen Leib; Alles das sah er zum ersten Male. Wenn das die Heilung wäre? Sein Blick saugte an dem Strähl, der herüberglitt aus der Billa. Thor! Großer Thor! Willst Du auch sie kaufen mit Deinem Gelde, dem habsüchtigen Vater abkausen? Wie soll sie Dich lieben, den sie wohl unzählige Male ausgclacht im Verein mit dem Vater, den Stümper, dessen ganzes Können, dessen ganzer Geist im Geldbeutel steckte? Nein — das sind Früchte, die nur das Genie brechen darf, die nur im sonnigen Lande der Kunst gedeihen, nicht in dem starren, öden, das er bewohnt. Die Strahlen begegneten sich über dem Flusse, kosten, küßten sich. Plötzlich erlosch der von drüben, — es war ein jähes M- reißen, das den Jüngling schmerzte. Er nahm die Ampel und ging. Es fror ihn jetzt in dem kahlen Raume. ' Unten im Dorfe, über den schwarzen Mauern, erhob sich ein greller, derber Feuerschein. Bursche schwangen lohende Fackeln in der Lüft. Ihr Gejohle vermischte sich mit dem Geschrei der Dirnen, und mitten aus dem G«tön drang der Name „Floot" herauf. Hoch, Hoch! dreimal Hoch! Sie ließen den Bauherrn leben, der sie mit Speise und Trank so reichlich versah. Sie tranken auf den Goldregen, der sich jetzt immerfort herabsenken wird auf die Fluren,, auf ihre bau fälligen Hütten. Floot stieg taumelnd, als ob er da unten mit getrunken hätte, vom Thurme herab in sein üppiges Schlaf zimmer, hellgelb, in italienischem Rococo, bestieg zum ersten Male sein Himmelbett, hüllte sich, schwer aufseufzend, in eine kostbare gestickte Decke aus blauem Plüsch, eine entzückende arabische Arbeit. Isländer ging verdrossen schon vor Dunkelwerden zur Ruhe. — Morgen begann ja wieder der alte Tanz. Eine hübsche Aussicht. Marie beobachtete unverwandt den kleinen rothen Stern am Schloßchurmr und ließ seinen Strahl in ihren Augen spielen. Die Uhr im Dorfe schlug jetzt Mitternacht. Ob sie sich nicht doch am Ende täuschte, vielleicht sollte das Licht die ganze Nacht da oben brennen, jede Nacht. Sie drehte plötzlich die klein« Lampe ab, — da erlosch auch drüben der Stern. Die Probe hatte sich bowährt. Mit einem seligen Lächeln ging sie zur Ruhe. Jetzt wagte sie die Antwort, vor der sie vor wenig Stunden noch geflohen. Es war Liebe, nicht Mitleid, der wonnige Schmerz, als das eisern« Thor sich hinter ihm schloß. , III. Der Verkehr zwischen Schloß und Villa kam nicht mehr in das Geleise. Isländer hatte Hals über Kopf zu arbeiten, um das über den Bau Versäumte nachzuholen. Er hatte alle Anerbietungen Floot's, welcher ihm seine Casse vollständig zur Verfügung stellte, energisch abgew'iesen; für die Bilder, welche dieser ihm, um sich doch erkenntlich zu zeigen, ablaufte, nur den ihnen zukommenden Preis verlangt. Er machte kein Hehl aus seinem Verlangen nach IReichthum, aber er dachte nicht daran, denselben mit unlauteren Mitteln erwerben zu wollen. Das war es ja gerade, was ihn daran reizte, diese Erhebung durch ihn, über all' die Erbärmlichkeiten und Niederträchtigkeiten, zu tvelchen so leicht die Armuih zwingt. So mußte er arbeiten, streng arbeiten. Der Schloßherr hingegen gab zur ernsten Bssorgniß Anlaß. Er hatte sich völlig abgeschlossen, war selten zu sehen, und so oft man'ihn sah, erschien er gebeugter, um Jahre gealtert. Der Winter verging, ohne daß er das Schloß verließ, dessen riesig« Räume er all^n mit der novhwendigsten Dienerschaft bewohnte. Zuletzt gewöhnie man sich daran, vergaß ihn völlig, zumal der erwartete Goldregen völlig ausblieb. Ein Narr! Ein ausgemachter Narr, war das allgemeine Urtheil. Auch Isländer vergaß ihn, obwohl er jedes Mal, wenn er von der Arbeit auSschte, hinüber blickte auf das Schloß und sein Werk bewunderte, das ihm immer schöner und edler vorkam. Nur eine Seele dachte Floot'S jeden Tag inniger — Marie. In Schnee und Eis und Winterstürmen erblühte immer üppiger ihre Lüde. Dieser ätherische Verkehr mittels der sich kreuzenden Lichtstrahlen, rvelcher allmählich sich zur förmlichen Zeichensprache auSbildete, erhöhte nur den keuschen Reiz, hob ihre Liebe in ihren Augen immer mehr in dir reine Sphäre, welche Floot bewohnte. Ja, es wunderte sie gar nicht mehr, daß er nicht kam. Er kam ihr jetzt in der Erinnerung selbst vor, wie aus Licht gewoben, gar nicht menschlich, und diese Strahlenbrücke, die er schlug von Herz zu Herz, war ganz seinem Wesen entsprechend. Als aber das Frühjahr kam, d«r Schnee von den Bergen schmolz, das Eis barst aus dem Flusse, der erste grün« Schimmer über den Buchenwald sich legte, da ward ihr doch recht wehe ums Herz, wenn sie hmüberblickte auf daS schwarz« eiserne Thor, daS sich ikimm«r öffnen wollte, al» ob es ein« Gruft ver schließe.
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