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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.12.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-12-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991211025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899121102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899121102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-12
- Tag1899-12-11
- Monat1899-12
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag» um b Uhr. NeLartion und Erve-itio«: Johnnni-gasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Tito klemm'» Tortim. (Alfred Hahn), UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14 Part, und Königsplatz 7. Bezugs-PreiS tu der Hauptexpedition oder den km Stadt» drzirk und den Vororten errichteten NuS- «adestelltn abgehoit: vierteljährlich >il 4.-0, vei zweimaltorr täglicher Zustellung in« Hau» L.L0. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: viertrljäkrlich ^l S—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich .Sl 7.S0. Abenv-Aüsgave. MMer TagMalt Anzeiger- Amtsblatt des Löniglichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. 83V. Msntag den 11. December 1899. Aazeigeu Preis die 6 gespaltene Petitzeile Li) Pfg. Sirclamen unter dem RedactionHstrich (4-»- spalten) -0^4, vor den Faunlieanachrichtr» (Ü gespalten) 40-^. Größere Schriften laut unserem Pwib- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ztssernsotz nach höherem Taris. Extra-Veilageu (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuag SV.—, mit Postbesörderuag 70.—. Avuahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anreigen stad stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Pols in Leipzig. 93. Jahrgang Politische Tagesschau. * Leipzig, 11. December. Der heute im Reichstage beginnenden EtatSdebatte ist noch in letzter Stunde von gewissen Parteiorganen mächtig in der Absicht vorgearbeitet woreen, um die verworrene innerpolttische Lage, in der wir uns, wie üblich, befinden, alS eine acut kritische erscheinen zu lassen. Durch eine Me thode, die sich schwer oder gar nicht erörtern läßt, haben die meisten Parteien in Deutschland dir Gewohubeit angenommen, gegenüber politischen Unternebmungen und Plänen der Negierung sich weniger diese alS irgend einen Minister als AngrifsSobject auszxisucken. Die Wahl erfolgt womöglich nach parteipolitischem Interesse; geht dies aber nicht, so nach der Regel: „Hast Du keinen feindlichen Minister, so mach' Dir einen." So ist eS zu erklären, daß die flottengegnerische Presse mit ungeheurer Wuth gegen Herrn v. Miquel vorgebt, der an den Marineplänen höchsten- als finanzieller Gutachter betheiligt ist, und daß die Canalgegner vornehmlich den Fürsten Hohenlohe zur Zielscheibe nehmen, obwohl dieser Staatsmann persönlich auf die west-östliche Wasser straße niemals verfallen wäre. Seit achtundvierzig Stunden scheinen aber die preußischen Conservativen auS Gründen, die wir nicht einmal zu abnen vermögen, herauSgefunden zu haben, daß zur Zeit ein Ansturm gegen den Finanzminisler wieder zweckdienlich verbunden werden könne mit der Ver sendung zierlicher, aber vergifteter Pfeile auf den Reichs kanzler und Ministerpräsidenten. Wir haben am Sonnabend den Ausfall der „Kölnischen Volkszeitung" gegen den „Minister ohne Verantwortlichkeit", womit Herr von Miquel gemeint war, mitgethcilt. Die „Kreuzztg." hat das Beste auS dem klerikalen Ergriffe wiedergegeben, um dazu, nicht ohne gleichzeitig den Fürsten Hobenlobe zu verdächtigen, zu bemerken: „Wir Haden keinen Anlaß, unter den ob waltenden Verhältnissen Herrn von Miquel noch besonders in Schutz nehmen." Welche „Verhältnisse" gemeint sein sollen, darüber giebt Herr Engen Richter Aufschluß, der wie auf Verabredung — und ein vorher gegangener Wechsel von Augurenblicken ist trotz der sonstigen Feindlchaft nicht ausgeschlossen — der Absage der „Kreuzztg." die folgende Veröffentlichung in der „Freisinnigen Zeitung" auf dem Fuße folgen ließ: „In politischen Kreisen", so schreibt die „Staatsbürger Ztg." werde Herr v. Kroch er, der Präsident de» Hauses der Abgeord neten, als Derjenige genannt, deni gegenüber der Reichskanzler er klärt haben soll, Herr v. Miquel sei allein für die Beamten maßregelungen verantwortlich. To, wie hier berichtet wird, hat unsere» Wissens die Mittheilung nicht gelautet, welche Fürst Hohen lohe bei Gelegenheit eines Diners Herrn v. Kröcher gemacht hat. ES handelt sich vielmehr nach den Mittheilungen deS Herrn von Kröcher und anderen Mittheilungen um folgenden Thatbestand. der von keiner Seite angefochten werden kann. Herr v. Miquel hat sich am Sonntag, den 6. August dieses Jahres, von Langen- schwalbach aus zum Kaiser nach WilhelmShöhe begeben. Am 7. August Vormittags empfahl dort in feinem Dortrag Herr von Miquel dem Kaiser, von einer Auflösung de» Abgeordnetenhauses im Falle der demnüchstigen Ablehnung der Lanalvorlage Abstand zu nehmen, dagegen die Conservativen zur Raison zu bringen durch Be drohung der abhängigen Beamten in den conservativen Fraktionen mit der Stellung zur Disposition. Der Kaiser willfahrte diesem Rathe Miquel's und erließ bald daraus eine entsprechende Weisung an den Minister Freihrrru von der Recke. Am Sonnabend, den 19. August, unmittelbar vor der dritten Lesung der Canalvorlage, eröffnete der Minister de- Innern den detreffendenAbgeordneteu mündlich und verjöolich, daß sie beim Beharren in der Opposition würden zur Disposition gestellt werden. Nach Ablehnung der Canalvorlage sand dann am Dienstag, den 22. August, Nachmittags Kroorath statt. Für diesen stand die Frage der ZurdispositwnS- stellung der Abgeordneten nicht aus der Tagesordnung, Herr von Miquel aber und zwar dieser allein bracht« dieselbe zur Sprache. Im ersten Theilr seiner Rede führte er, wie e» bei seiner ReLewris« üblich ist, alle Bedenken an, welche gegen die Maßregelung sprechen, insbesondere auch wegen der Trübung deS Verhältnisse» zu den konservativen Parteien. Im zweiten Tbril feiner Rede aber befürwortete er als königstreuer Maun im Interesse de» Ansehens der Krone um so wärmer und entschiedener dies« Maßregelung. Kein anderer Minister ergriff zur Sache daS Wort. Die Maßregelung galt hiernach auch als durch den Kronrath und Las Gesammtministerium bestätigt. Unmittelbar nach dem am 29. August erfolgten Schluffe deS Landtage» begann man alSdann dir politischen Beamten in der Opposition des Abgeordnetenhauses zur Disposition zu stellen. Herr v. Kröcher hat natürlich von den Mittheilungen de- Fürsten Hohenlohe seinen politischen Freunden vertrauliche Mittheilungen gemacht. DieS hatte dann die heftigen Angriffe der „Kreuzzeitung", der „Deutschen Tageszeitung" und anderer conservativen Blätter gegea Herrn von Miquel zur Folge. Nun aber erschien in der Redaktion der „Kreuzztg." der Reichstags- adgeordnete und Landrath von Löbell mit einem anderen Herrn (nach unseren Nachrichten mit Victor Schwcinburg), um die Con servativen zu beschwichtigen durch die den Thatsachen nicht entsprechend« Mittheilung, daß Herr von Miquel an den Maßregelungen nicht mehr schuld sei, als irgend ein anderer Minister. Ties ist der Sachverhalt, wie er in parlamentarischen Kreisen übereinstimmend schon seit längerer Zeit erzählt wird. Mit der Veröffentlichung dessen haben wir keinen Grund mehr zurückzuhalten, nachdem der Name eines Gewährsmannes für einen Theil dieser Mittheilungen, de» Herrn von Kröcher, seitens der „Staatsbürgerztg." veröffent licht ist." Mau wird bemerkt haben, daß Herr Richter mit den Worten „unseres Wissens" zwar den Vorbehalt deS nicht an der Quelle Unterrichteten macht, aber dennoch versichert, daß seine Erzählung de» ThatbestandeS „von keiner Seile angefochten werden kann". Der scheinbare Widerspruch zwischen dem Vorbehalt deS nicht gewiß Wissenden und der sicheren Be hauptung von der Unmöglichkeit eines Widerspruchs löst sich, wenn man da- Wörtchen „kann", richtig versteht. Die Sache war wohl so, daß weder Fürst Hohenlohe, noch Herr v.Miquel die Beamtenmaßregelungen angeregt hat, daß dies vielmehr von einer Stelle geschehen ist, die nach einem notbwenvigen Brauche für keinen der beiden Minister noch sonst für eine in öffentlicher Stellung befindliche Persönlichkeit zu benennen statthaft ist. Die „Enthüllung" der „Freis. Ztg." bat deshalb Bedeutung, weil sie nicht nur dem Centrum — daS ist Herrn Richter'» Bafallenpflicht —, sondern, wie angedeutet, auch den Conser- vativen zu Hilfe kommt. Deshalb wohl wird die Erzählung auch von Zeitungen beachtet, die sie, wie r» die „National zeitung" thut, „in wesentlichen Punkten" für unrichtig halten. Die Herrn Schweinburg betreffende Vermuthung wird von diesem als falsch bezeichnet. Die Vorbereitungen für einen parla mentarischen Angriff auf den preußischen Finanzminifter — diese Eigenschaft des Herrn v. Miquel hindert nicht, ihn im Reichstage nach oben zu „kennzeichnen" — wären also ge troffen. Herr Lieber hat ja auch gerade diesem Mnister eine „große Wäsche" in Aussicht gestellt. Wie die Tinge in Berlin sich kreuzen, kann sich über Nacht die Taktik auch wieder ändern. Jedenfalls würde ein erfolgreicher Vorstoß gegen Herrn v. Miquel, darüber mögen sich die wegen der an geblichen Canallaubeit dem Minister Grollenden so wenig täuschen, wie die von seiner Canalschneidizkeit geärgerten Conservativen einer Täuschung hingebeu, lediglich einen abermaligen Triumph d«S CentrumS und seiner Hilfs truppen darstellen. DaS sollte man bedenken, selbst wenn man, was seit der Abkehr deS Herrn v. Miquel von seinen Reichsfinanzresormplänen auch unser Fall ist, „keinen Anlaß bat, den Minister noch besonder- in Schutz zu nehmen." Tie Canalsreunde in Preußen haben aber gewiß zur Theilnabme an einem Kesseltreiben keinen Anlaß. Sie sind die „Dupe" des Herrn Rickter, wenn sie in dem Verhalten des Herrn v. Miquel die Ursache deS bisherigen Mißerfolges der Canal politik erblicken. Der Finanzminister wird wobt auch nicht die Schuld daran tragen, daß die Einfügung deS masurischen Canals in daS neue Wafferstraßenbauproject noch nicht gesichert er scheint. Diese Vervollständigung aber ist für die Canal freunde wichtiger alS der Einzug irgend einer unbekannten neuen Größe in das preußische Finanzministerium Tenn ohne den masurischen Wasserweg ist es leicht möglich, daß die Zahl der Gegner der künftigen Canalvorlage von der linken Seite her verstärkt wird. Herrn Eugen Richters Organ kann sich nicht oft genug darüber ausballen, daß die „Alottcnosfiriösen".bedenk liche Rechen Manöver vollführen. Was aber das Richter'sche Organ selbst seinen gedankenlosen Lesern für Rechenkunst stückchen Vormacht, dafür ein charakteristische- Beispiel. Das Richter'sche Organ schreibt: „Der Gejammtwerth der englischen Flotte wird nach der „Köln. Ztg." zur Zeit auf 128 Millionen Pfund, oder etwa 2000 Millionen Mark angegeben. — Der Gesammtwerth aber der deutschen Flotte nach Durchführung des neuen Flottenplanes würde mindestens 1600 Millionen Mark betragen, also dem der englischen Flotte ziemlich nahe kommen, obgleich die Ausgabe der Flotte für England nach der insularen Lage und in Anbetracht eines Colonialreiches mit 400 Millionen Einwohnern eine ganz andere ist, wie für Deutschland." Herr Richter ist sonst ein sehr genauer Rechner; wie kommt er jetzt dazu, 128 Millionen Pfund Sterling als 2000 Millionen Mark anzugeben? Da das Pfund Sterling ----- ca. 21 ist, so sind 128 Millionen Pfund nicht ----- 2000 Millionen Mark, sondern mehr als 2600 Millionen Mark. In der „Köln. Ztg." steht denn auch nicht 2000, sondern 2600 Millionen. Herr Eugen Richter bat also nicht nur falsch gerechnet, sondern auch falsch citirt, um be- baupten zu können, der Gesammtwerth der deutschen Flotte nach Durchführung des neuen FlottenplaneS komme dem Wertbe der englischen Flotte „ziemlich nahe", wäbrend der erstere Werth hinter dem letzteren um eine volle Milliarde zurück bleibt. Damit aber noch nicht genug. DaS Hauptkunststückchcn ist, daß da- Richter'sche Organ den Werth der Flotte, die Deutschland nach 18 Jahren haben soll, mit dem Werthe der gegenwärtigen englischen Flotte vergleicht. Da aber die englischen Staatsmänner mehr al- einmal e- ausdrücklich als da- Ziel der englischen Flotteopolitik bezeichnet haben, andauernd ebensoviel neue Schiffe zu bauen, wie Frankreich, Rußland und Deutschland zusammengeaommen, so ergiebt sich daraus, daß die englische Flotte bi- zum Jahre 1917 in ihrem Werthe mindestens um da» Dreifache von dem zugenommen haben wird, um wa- die deutsche Flotte bi- dabia an Werth zugenommen haben wird. Darau- ergiebt sich von selbst, daß der Unterschied deS Werthe- alsdann nicht nur eine Milliarde, sondern da- Doppelte oder Dreifache davon be tragen wird. Der Zweck de- Rechenkunststückchen- der „Freis. Ztg." besteht natürlich darin, in dem Leser die Auffassung zu erwecken, als ob die böse „uferlose" Flottenpolitik der Re gierung darauf hinausliefe, eine der englischen Marine gleich- werthig« Flotte zu schaffen, während thatsachlich die Re gierung mit Rücksicht auf die angeführte und ihr natürlich genau bekannte Tendenz der englischen Mariurpolitik einen derartigen Plan weder verfolgt, noch auch verfolgen kann. Ueberhaupt muß immer wieder betont werden, daß die Ab sicht der deutschen Regierung nur eine, wenn man so sagen darf, defensive ist, d. h. dir Marineverwaltung verfolgt nur den Zweck, Deutschland nicht noch weiter in- Hinter treffen gerathen zu lassen, als e- leider gerathen ist. Der Pariser „Matin", der Beziehungen zu maß gebenden französischen Kreisen bat, richtet ein offenes Schreiben an Herrn Chamberlain, in dem er darlegt, gewisse Caricaturrn, über die der britische Colonial minister besonders aufgebracht sei, richteten sich nur insoweit gegen die Königin Victoria, als diese den Verbrechen einiger ihrer Minister untbälig zugesehen habe; gegen ihre Würde als Frau, Gattin und Mutter liege jedoch auch nicht die geringste Beleidigung vor. Wenn man die 80jährige Königin von Großbritannien al- „blutdürstig" darstelle, so sei die- vielmehr in italienischen, österreichischen unv deutschen — vereinzelt auch in amerikanischen — Blättern geschehen. Darauf hin möge Cbamberlain sieb einmal die betreffenden Journale auseben. „Wie würde Ihre schöne Seele sich entrüsten", fährt der „Marin" in seinem Schreiben an Cbamberlain fort, „wenn Sie ein gewisses Bild sehen könnten, da- in Berlin veröffentlicht und ohne jede Behinderung verkauft worden ist, und zwar just zu derselben Zeit, wo Kaiser Wilhelm ehr furchtsvoll seiner Großmutter einen Besuch abstattet», Doch damit Sie die volle Tragweite der Beleidigung erkennen, geben wir die betreffende Zeichnung unten wieder. Da Sie so aufmerksam die französischen Blätter durchstöbern, wird sie Ihnen dieses Mal nicht entgehen! Glauben Sie aber nur nicht, daß wir voll Freude ein solches beleidigendes Bild veröffent lichen. Merken Sie sich vielmehr, daß wir e- in schärfster Weise mißbilligen. Wir sind wirklich entrüstet darüber, baß rin deutscher Journalist diese Frechheit gehabt hat.... Da« sind Beleidi gungen von deutscher Seite, vergessen Sie da- nicht, Herr Cbamberlain! Zu dem Verbrechen der MaiestätSbeleidigung tritt in diesem Falle aber auch noch ein Verstoß gegen die Familienehre hinzu. Werden Sie nun den Muth haben, von Denen Genugthuung zu fordern, die diese Schmähungen haben gescheden lassen?" Der „Matin" versichert dann noch einmal, daß r- nicht französische Sitte sei, eine Köniain mit weißem Haar zu beschimpfen, und wiederholt zum Schluffe seine Vorwürfe gegen Cbamberlain, der die letzten Tage de» langen Lebens der Königin mit Blut bestecke und allgemeine Entrüstung Hervorrufe. . . . Fürwahr, der „Matin" al- F-rMl-ton. Das verkaufte Genie. Ein SommernachtStraum. Novelle von Anton Freiherrn v. Perfall. Nachdruck verdoMu Jetzt war das stumme Beobachten an Jolander. DaS mächtige Haupt wirkte grotesk auf diesem kleinen, mißgebildeten Körper, aber die vornehme Milde deS Alters, welche da» Antlitz von durchsichtiger Zartheit durchleuchtete, der intensive Ausdruck der unter buschigen Brauen hervorleuchtenden Augen ließ darauf völlig vevgessen. Isländer fühlte sich befangen. Er dachte seine» schlemmen Verdachtes bei seinem Hergang, un'd erging sich in nichtigen Redensarten der Höflichkeit. Noch nie fühlte er sich un gewandter al» in diesem Augenblick. „Eie sind affo der eigentliche Erbauer diese» Schlosses?" be gann Hutchinson. Da hatte er ja, rascher al» ihm lieb war, rin Uttheil zu erwarten. „Allerdings, Mister Float war so liebenswürdig, meinen Rath in Anspruch zu nehmen", entgegnet« er bescheiden. „Ich bin ja nicht Fachmann", fuhr Isländer weiter. „Haben Sie sich schon umgesehen?" „Gewiß! Ich kann nur Ihre Vielseitigkeit bewundern", ent gegnete Hutchittson. ' „Sie werden sich jetzt wohl doppelt glücklich fühlen, Ihrem eigentlichen Berufe wieder zurückgegeben, in Ihrem stillen Künstlerheim da drüben. ES war gewiß ein große» Opfer, da» Tie meinem Freunde gebracht —" „Offen gesagt, das war «S nicht", erwiderte Isländer, „im Gegentheil, da» war doch einmal Kraftbrthätiguna, rin viel seitige» Schafffen, ein Wnstlerksche» Au-leben. Ich sage Ihnen, Ich komm« mir jetzt wie rin Sträfling vor in meinem engen Atelier, in dem Einerlei der Tage." „O, wa» Sie sagen! Demnach wäre akso Ihr sehnlichster Wunsch, sich fiänvig so frei au-leben zu können, Ihre Sträf- lingSletten zu sprengen?" Der Blick Hutchinson'» ruhte jetzt groß und streng auf Isländer, der demselben w«der au»zuwrichen, noch ihn zu rr- tragen demrochte. „Welcher Künstler wünschte sich da» nicht?" erwiderte er, mit dem Blick vergeben» den Boden, di» Deck« suchend. Er mußte immer wieder zu Viesen zwei entsetzlichen, unbeweglichen Augen zurückkehren. Float erlöste ihn. „Hörst Du e»? Habe ich Dir zu viel gesagt?" begann er er regt. „Dieser Mann, ein Künstler, für dessen gottbegnadetes Genie, für einen Funken davon ich «m halbes Leben freudig opfern würde, spricht von Sträflingsketten. Und ich — ich trage sie in Wirklichkeit, die Ketten der Talentlosigkett, an denen mein bessere» Wollen sich vergeben» wund zerrt und weil sie ver- goldei sind, beneidet er mich darum. Ist da» nicht ein Ver- hängniß, Johnny?" wandte er sich an den Greis. Dieser nickte nur ernst mit dem Haupte und wühlte mit der Rechten in dem langen Barte. „Und nie habe ich das so stark empfunden wie hier, in diesen Räumen, di« mir täglich meine Ohnmacht predigen. Stelle Dir das vor, Johnny. Zuerst ein Jahr in einem reizenden kleinen Heim, wie geschaffen, seinen Geist zu sammeln, in der Atmo sphäre «ine» großen Künstlers, deren für meine ungeübten Lungen vielleicht schädliche Stärke, ein junge», an Herz, Geist und Leib gleich vollendete» Mädchen mit feinem Sinne Milderte, rasslo» thätig, doll Hoffnung da» gesteckt« Ziel zu erreichen, und dann plötzlich unsagbar grausam in diese kalten, fremden Räume verstoßen, jede Hoffnung zerstört, jede Lust zur That genommen. Mus dem blühenden Frühling mitten hinein in den starren Winter: da erfriere in Deinem Gokde!" „Ja, worum bist Du Venn nicht gekommen. Dich bei mir zu erwärmen?" sagte Isländer, den Vorwurf deS Freunde» fühlend. „Sehr einfach, nickt wahr, weil Du sehr Wohl gewußt, daß bei mir alle Feuer gelöscht" „Alle? Wirklich alle?' Float ergriff die Hand Isländer'- hastig, preßte sie und sah ihm.wehmülhig in die Augen. „Alle? Das glaube ich nicht. Aber jetzt komme zu Tische! Heute ist ja großer Feiertog auf Stolzenfels." Man setzte sich an die reich gedeckte Tafel. „WaS denkst Du lwoht, Johnny", wandte sich Float an den Gr«iS, welcher sich eben nachdenklich Vie beiden Freunde be trachtete. „Dein Henrh ist «in rechter Thor." „Und hat zu allem Pech einen noch größeren sich zum Freunde au»er?orett", fügt« Isländer hinzu. „Ick denke eben, wie Euch zu helfen wäre", bemerkt«, in kieke» Nachdenken versunken, der Doctor. „Ja, wenn Ihr ernstlich wolltet." „Du bist sonderbar! Was sollen wir denn wollen?" fragte Float, von dem Blick« Hutchinson'» mächtig angezogen. .„Hast Du nie den Wunsch gehegt", begann der Alte, „Deines Freundes Genie zu erkaufen? Im Scherze ihn vielleicht aus gesprochen?" Jloot blickt« überrascht auf Isländer, welcher die kleine Ge stalt nicht aus den Augen verlor. Wenn sie sich vor seinen Augen plötzlich zu einem Riesen gedehnt, zu irgend einem Ungeheuer, e» hätte ihn nicht überrascht, mit so seltsamem Schauer erfüllte ihn die Frage. „Allerdings!" erwidert« Float mit einem Ausdruck höchsten Erstaunens. .Wiederholt! lJm Scherze nur, allerdings. Einmal bot ich ihm sogar eine baare Million." „Und Dein Freund lachte Dich natürlich auS!" „O nein, er schlug ein. Nicht wahr, Isländer?" Dieser dachte Mariens und zögerte mit der Antwort. Plötz lich erschien ihm der Auftritt furchtbar lächerlich. „Ja, ich schlug ein. „Topp", rief ich sogar, „der Zauberer soll nur rasch kommen." Der Zauberer waren nämlich Sie, Herr Doctor. Henry sprach damals eben von Ihnen, von einem AuSspruch, den Sie einmal tbaten: „Die Wunder des Wollen» find noch nicht erschöpft." Ach, es war eine reckt alberne Geschichte, meine Tochter grämte sich noch lange darüber. Man soll auch nicht spotten über solch« Dinge." „Aber Sie schlugen ein", fuhr unbekümmert um seine Ein wendung Hutchinson fort. „Ja, Sie würden den Handel unbedingt von Neuem ein gehen, wenn er möglich wäre." „Wenn er möglich wäre. Er ist aber eben nicht möglich", erwiderte, etwas gereizt durch die Hartnäckigkeit dieses Greifes, Isländer. „Gott, ein« Million ist ein großes Wort. Was träqt denn so «in vielgepriesene» Genie? Das Leben, wenn «S gut qeht. Und daeu all' dir Qualen, die es zu erdulden bat von innen und außen, diese ewigen Geburt-wehen, diese endlosen Enttäuschungen, Kränkungen. DaS müßte natürlich mit in den Kauf genommen werden." „Selbstverständlich, da» müßte mit in den Kaul genommen werden, Henry, und zehn Jahre dürfte der Kauf nickt rückgängig gemacht werden, und dann nur mit beiderseitiger Einwilligung, das wäre meine Bedingung." „Deine Bedingung?" fragte lackend Kloot. Hutchinson aber blickte gar nickt sckerrbast. „Nun ja, für den Foll, daß ick den Hordel zu Stande brächte." „Den Geniederkaus!" rief Isländer mit erzwungener HkiterKit. „Abgemacht! Ich gehe auf zwanzig Jahre Termin «in, auf zeitlebens." Hutchinson hob das Kelchglas mit dem Dunkelrvthen Bordeaux. „Lassen wir e» Lei zehn — abgemacht!" Die drei Gläser klangen aneinander. E» gab «inen sonder baren Schall, wie Dämongekicher, und al» Jolander nach einem kräftigen Schluck auf Hutchinson blickt«, kam «» ihm vor, als erblicke er durch den weißen wallenden Bart die Arabesken der IMschen Teppich« — nur einen Augenblick —, dann strich die schneeweiße Hand mit den langen, schmalen Fingern darüber. Jolander hatte noch nie eine so feingegliederte Hatto gefchen. Eine überaus starke Sensivität sprach daraus, er konnte den Blick lange nicht davon wenden. Das Gespräch schweifte weit ab. Hutchinson erzählte: Er gehörte alS Felvarzt 'der britischen Armee in Indien, jenem un glücklichen Corp» des Generals Hugh Wheeler, an, welche», von den unter Nena Sahib sich empörenden inv-schen Truppen in Cawnpore eingeschlossen, sich 'dem Rebellen ergab und dann am 3. Januar 1857 mit Frauen und Kindern völlig vernichtet wurde. Er entkam dem Blutbad nur mit Hilfe seiner Geliebten, einer jungen Mahraktin, die mit ihm in da» Gebirge zu ihrer kriegerischen Sippe floh. Die Fürsprache der schönen Rukmini hätte ihm wohl bei der damaligen Aufregung, welche da» ganze Land ergriff, wenig gettüht, wäre ihm seine seltsam« Gestallt und sein ärztliche» Wissen nicht zu Hilfe gekommen. Zurrst kraute man ihm nicht, hielt ihn für einen Zauberer, zuletzt gewann man zu ihm Vertrauen, nahm seinen Rath und sein« ärztkiche Hilfe in Anspruch. Dafür weihten ihn seine eingeborenen Collvgen in ihre verborgensten Aehrimwissenschaften, in ihre dem Europäer sonst unzugänglichen Mysterien ein. Und unter einer Fülle von wüstem Aberglauben, ausschweifenden Phankafieg «bilden farsd er kostbare Schätze, sowohl der abstrakten Wissenschaft al» der rein menschlichen Erkenntnis» und der Dichtung, Erfäharngdsiitz«, Lehren völlig entwickelt, über welcht die civilifirk« Gelehrtenwelt bochmüthig Vie Achsel zuckte, di« Naivetät eine» mit der üppiaen Natur de» Lande» innig verbundenen Völker, vereint mit den Er rungenschaften der ältesten Cultur und Wissenschaft der Elbe. Er heiratheke Rukmini und wurde fövmllich in ihren Stamm aus genommen. Em traumhafte» Leben b^zann für ihn in den üvpigen Thälern Golkonda», an ^dem märchenhaften Ufer de» TuMbudra, bei dem unvergeßlichen Klang» der indischen GuIla, einer siebensaitigen Harfe, ans welcher Rukmini Meisterin war. (Fortsetzung folgt.)
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