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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010104029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
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Anzeigen.Preis die 6gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem RedactionSstrich (-gespalten) 7b vor den Familiennach» richten (6 gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisung«.« und Lsfertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postlefürderung .-l 7V.—. Ännalimktchlub für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je etu. halbe Stunde früher. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Kerlaq von E. Polz m Leipzig. 7. Freitag dm 4. Januar 1901. 9'. Jahrgang. Der Lrieg in Südafrika. -p Tie Operationen der Beeren gewinnen plötzlich eine für England im höchsten Grave gefährliche Betculung, da Alle- dafür spricht, daß bereits Capstadt bedroht ist, indem Tkeile des westlichen Commandos im Südwesten der Capcolonie, westlich der Bahnlinie Capstadt-Kimberley, über Sulberland und den Hexriver-Paß in der Richtung auf Malmesbury vordringen, daS nur noch 60 Kilometer von der Hauptstadt des CaplaudeS enifernt liegt. Wie sebr man in Capstadt bereits beunruhigt ist und mit dem Aeußersten rechnet, geht aus folgenden Meldungen hervor: * Capstadt, 3. Januar. (..Rcutcr'S Burcan .) Von Kriegsjch sfcu ist eine Anzahl Mannfchafte » gelandet morde», um die Zahl der für d e Lrtsvcrtheidigung bestimmten Trupp n zu vermehren nud auverc Truppen für den Ticnst im Norden irttznmachcu. Auch einige Geschütze find gelandet, die, >v,e man glaubt, land einwärts g.sanüt werden solle». Es ist natürlich wenig glaubhaft, daß im gegenwärtigen Augenblicke, wo eS um Capstadt herum und in Capstadt selbst alle Hände voll zu tbun giebt und ein Handstreich der Boeren auf diese wichtigste Operationsbasis der Engländer befürchtet wird, Truppen und Geschütze nach dem Norden geschafft werden, wo sie augenbl cklich so dringend nickt gebraucht werben. Es handelt sich off.nbar darum, Capstadt in BcrlbeidiguugSzustand zu setzen. Dafür spricht ja auch die folgende unzweideutige Meldung: * Capstadt, 3. Januar. (..Reuters Vnrean") D e Calautalbchörden treffen Maßregeln, »m für alle Fälle vorbereitet zu sein, va werden Schritte ge- than, damit Sie Gefangene» ans den Lagern von Grcenpoi» «nd Limonstown auf Transportschiffe ge bracht werden könne«. Mit dem Borstoff der Boeren auf Capstadt wächst un- verseben- auch die Möglichkeit einer Erhebung größerer Massen von Capbollänkern. Im westlichen Caplande über haupt unv insbesondere in der Umgebung der Capstadt ist nämlich daS holländische Element vi l stärker vertreten, als in irgend einem Tbeile der Colonie. Der nur vierzig Kilometer von der Capstadt entfernte Ort Stellen bosch war abwechselnd mit Graasf Reinek, das südlich von Middelburg liegt, wo sich die Ostcolonne der Boeren be findet, wiederholt der Mittelpunkt der Afrikander-Bewegung. Der Zweck der Invasion ist ein zweifacher. Zunächst sollen dadurch eben die Holländer der Capcolonie zum Auf stand gebracht werden. Zweitens bat der Einfall den Zweck, das Operations-Gebiet zu vergiößern und somit den schon vollkommen erschöpften britischen Truppen die Auf gabe noch zu erschweren. Das Gebiet, das die Boeren sitzt südlich de» OranjeflnsseS beunruhigen, ist bereits ebenso groß wie ter Oranje-Freistaat. Sonst wird uns über die Operationen deS boerischen WestcommaneoS noch berichtet: * Capstadt, 3. Januar. („Reuter's Bureau".) Die im Westen der Colonie ringedrungenen Boeren wurden heute in Fraser burg erwartet, d e Engländer besetzten indessen die Stadt. Der Feind scheint jetzt auf Williton, nordwestlich von Fraierburg, zu marschirea. Mehrere BoerencominandoS erschienen in West- Grlqualand. ES verlautet, ihr Ziel sei Griquatown, da» von den Engländern besetzt ist. Wie ein Hohn klingt eS, wenn bei so bewandter Sach lage die heutigen Londoner Morzenblätter, wie uns der Drabt meldet, auS Pretoria, 2. Januar, berichten: Es ist dort ein Friedenscomits begründet worden, das aus vier ehemaligen Mitgliedern deS Bolksrads und einem Bruder des Generals Cronje besteht. DaS Comits >oll die im Felde stehenden Boeren mit der tbatsäcklicken Lage bekannt macken, namentlich mit der Absicht LerdK'lchcnerS, die sich ergebenden Boerenfam>lien mit allem Hab und Gut in Lagern in besonderen Tistnclen unter,»bringen und unter militärischen Schutz zu stellen. Lord Kitchener legte persön lich dem Comiiv seine Pläne dar. In allen Distrikten sind Unterausschüsse errichtet wo>d>m. Es wird den Boeren gerade jetzt einfallen, auf di-sen Leim zu geben und sich den Engländern als KiiegSgesangene anSzuliefern. Wenn der Bruder Cronje's unv andere nam hafte Boeren Kuchener bei diesem Liebeswerben unterstützen, so tbun sie eS sicher nur, um ibm Sand in d'k Angen ;u streuen und ihn über ihre wahren Absichten zu täuschen. Die Burgbers in Pretoria beulen mit den Wölfen ganz gewiß nicht länger als sie müssen und für gut halten. Unser Londoner Korrespondent schreibt uns nock unterm 2. Januar: „Die Buren-Invasion in die Capcolonie macht die bedenk lichsten Fortschritte, und die ganze Lage ist bockst kritisch." Das ist ter Te.:or der letzten Meldungen, die der Drabt von Südafrika bringt, und auch die Londoner Morgen blätter geben einstimmig zu, daß es wieder einmal eine Fabel war, wenn in den letzten Tagen immer von der „gehemmten und parirten feinblicken Invasion" die Rede war. Tie Boeren sind bereits in einer Stätte von über 5000 Mann im fast ungehinderten Bormarsche nach dem Süden der Capcolonie, nacktem erst wieder zwei starke Commandcs von je 1000 Reitern die Grenze zwilchen Nor vells Point und Aliwal Norto überschritten haben und, ebne Widerstand zu finden, eiliglt nach Litten vorgetrungeis' sind. Ter große Boerenirek im Freistaate, von dem in reu letzten Tagen so viel die Rede war und dessen Ziel ten Engländern anscheinend viel Kopfzerbrechen machte, bat nnn mit einem Male seine Eiklärung gefüllten, rie wenigen am Oransiflusse verweilten britischen Truppen vollständig überra'ckt, und nun weiß man sich in ter Colonie nicht anders zu helfen, als laß man von Capstadt aus die loyalen Einwohner ter bedroht n und von den Boeren bereits besetzten Bezirke eiligst zu den Waffen ruft »nd eine Art von Bürgermebr Hilten will, — ein hastiger Noihbehelf, dessen Wirkung mindeste, S zweifel haft ist. Der Aufmarsch der Boeren in der Capcolonie scheint sick (w-e wir ebenfalls schon hervorhoben t. Red.) nach einem wohl organisirten Plane zu vollzieben. Die west liche Colo uns hat sich in zwei Divisionen getbeilt, von denen die eine über Sutherland auf den Hexriver-Paß und die Stadt Malmesbury vordringt, und die andere gegen Beaufort-West marsckirt. Im Osten sind die Boeren über Steinöburg binauS in südwestlicher Ricktnng im energischen Vormärsche ans eines ter wichtigsten strategischen Cenlren der Colonie, die Stadt Cradock, begriffen, welches bereits als schwer bedroht gilt und, wie von Capstadt auS verlautet, durchaus nicht hin reichend gesckütz! ist.' Wenn eS den Boeren wirklich gelingen sollte, sich diese» Platzes zu bemächtigen, so würbe ihnen allerdings eine ungeheure Beute in die Hände fallen und damit der Hauptzweck ihres kühnen Vordringens erfüllt werden, da Cracock, wie De Aar im Westen, ein gioß.s Depot für Lebensmittel, Munition rc. ist, unv es den englischen Truppen eventuell kaum gelingen dürfte, kiese enormen Voirätoe noch rechtzeitig zu retten. 50 Meilen südöstlich von ColeSberz nahmen die Boeren ein englisches Cavallericdetackement gefangen, und bei Weltevreten gelang es ihnen, einen größeren V'ehtrans- port unv wenvvolle Vorrälbe an Lebensmitteln rc. den Eng ländern abzujagen. Bei allen diesen Unt-rnebmnngen tritt eS klar zu Taae, daß vie britischen Truppen kaum oder nickt statt genug sind, um diese verdrießliwen und empfindlichen Verluste zu oe>vindern, unv cs sch-int, als ob sie sich tbat- sächlich immer mehr einzig und allein auf die Defensive be schränken müßten. Einen geradezu großartigen Fang aber haben die Boeren aerade am Tige vor Weihnachten gemacht, als sie bei dem Orte Golnk in der Nabe von Viyburg einen Transport von 26 Wagen fortnahmen, welcher mit allen denkbaren mili tärncken Ausrustungsgegenstänven, Boriälden, Pferdefutter, Munition, Waffen :c., beladen war unv einen Ge'amml- weitb von 50 000 Litrl. (eine Million Maik) repräsenlirle. Auf diese Weise versorgen sich die Boeren ock iuünitum immer aufs Neue mit Allem, was zur Fortführung deS Krieges er forderlich ist, unv die Engländer haben LaS Nachsehen und — die Unkosten. Geradezu komisch wirkt eS, wenn man diesen wichtigen und wertbvollcn Erfolgen der Boeren die kärglichen und künstlich hochgeschraubten officiellen Meldungen des britischen Hauptquartiers oder, um genau zu sein, deS Londoner Kriegsamtes gegenüberst llt. Mn den üb lichen fetten riesigen Lettern prangte eS heute auf den Zeilungsplacaten in allen Straßen Londons, daß General K ivx einen großartigen Fang gelhan und dem General De Wet einen groß n Posten von Munition rc. abgejagt habe, was sich nachher als die Fortnahme von sage und schreibe fünf Kisten oder sechstausend Stück Patron-n beianSstellre. Am Nachmittage büß eS sogar, daß Knox endlich so glücklich gewesen sei, De Wet selost zu „fangen", und selbst dem Kriegsamle gab man auf Befragen durch ausweichende Antworten diesem Gerückte Nahrung. Die Enttäuschung kam, wie gewöhnlich, sofort nack — und ein paar Kisten Munition, die vielleicht sogar englischen Ursprungs waren, sind und bleiben ein schlechter Trost, wenn man sich wieder einmal bat velsübren lassen, sich auf das Ende der kriegerischen Laufbahn De Wel'S als feststehende Tdatsache zu freuen. politische Tagesschau. * Leipzig, 4. Januar. Kurz vor dem Beginne der Hauptperiode der Reichstags tagung yält vie sociaioemokratische „Lachs. Arbeiter zeitung" es für angemessen, auf Grund eines völlig unver bürgten Gerüchts die Ärbciterkreise gegen die bürgerlichen Par teien des Reichstages und die Regierung mit der Behauptung zu verhetzen, daß diese verfassungsmäßigen Factoren der Gesetz gebung keine Zeit finden wollten, um eine fruchtbare foc.-l- »0^ »ischc Thariilie l zu entwickeln. Der Reichstag solle bald nach Ostern nach Hause gehen. Bis dahin vergeude er seine Zeit mit der Erledigung des Etats, mit der Chinavorlage und mit der Bewilligung militärischer Forderungen. Für die Be rücksichtigung der materiellen und intellcctuellen Bedürfnisse des Volkes aber fehle eS an Zeit, obgleich socialpvlitische Aufgaben in Fülle vorhanden seien. Die „Sächs. Arbeiterztg." erwähnt darunter die Anträge auf Einführung des RormalarbeitStages und auf Verbot der Kinderarbeit. Derartige Anträge be trachte der Reichstag nur als Zwischenspiele, für die man auS zwingenden agitatorischen Gründen gnädigst einen Tag in der Woche ansetze, an dem dann das hohe Haus die bedeutsamsten der Anträge „zerzause". Wenn die „Sächs. Arbeiterztg." den Eindruck zu erwecken sucht, als ob die bürgerlichen Parteien für socialpolitische Fragen weder Lust, noch Zeit, noch Geld übrig hätten, so widerspricht doch wohl dieser Behauptung die That- sache, daß in keinem anderen größeren Staate der Welt die social politische Gesetzgebung so weit fortgeschritten ist, wie in Deutsch land. Diese Behauptung stellen nicht etwa wir allein auf, sondern sie wird von den Socialpolitikern aller anderen Länder, auch solcher, die Deutschland gewiß nicht Wohlwollen, bestätigt. Man vergleiche beispielsweise nur mit der socialpolitischen Thätigkeit des deutschen Reichstages in dem letzten halben Menschenalter die socialpolitische Unfruchtbarkeit des republika nischen französischen Parlament unv in noch höherem Grade des parlamentarisch regierten Italiens. Es hat Zeiten gegeben — besonders unter der Kanzlerschaft des von der Socialdemokratie am meisten gehaßten Mannes. Bismarck's —, wo die sociapolitische gesetzgeberische Thätigkeit weitaus den Löwenantheil der parlamentarischen Arbeiten in Anspruch nahm; es sei beispielsweise nur an die Session 1888/89, in der das Alters- und Jnvaliden-Versicherungsgesetz zu Stande kam, er innert. Daß die socialpolitische Thätigkeit der gesetzgebenden Factoren nicht zu allen Zeiten eine gleich umfassende sein kann, liegt auf der Hand. Es wird im innerpolitischen Leben immer gewisse Perioden für gewisse Kategorien des staatlichen Lebens geben; zu gewissen Zeiten überwiegt die rein juristische Thätig keit, d. h. vie Fortentwickelung des civilen und des criminellen Rechts, zu anderen Zeiten wieder die wirthschastspolitische Thätigkeit (Handelsgesetze, Steuern u. s. w.), dann wieder die militärisch-politische Thätigkeit, dann die socialpolitische Gesetz gebung u. s. w. Jede dieser Bethätigungen hat ihr gutes Recht und der Staatsorganismus würde zu Grunde gehen — was ja freilich der Socialdemokratie nur erwünscht wäre —, wenn die gesetzgebenden Factoren sich einseitig nur nach der socialpolitischen Seite hin bethätigten und die übrigen Staatsnothwendigkeiten außer Acht ließen. Wenn die socialdemokratische Presse zu einer Zeit, wo, weil andere Aufgaben unaufschiebbar sind, die social politische Thätigkeit des Parlaments etwas zurücktritt, behauptet, der Reichstag wolle für das Volk keine Zeit haben, so siegt darin wieder einmal die übliche socialdemokratischc Unverschämtheit, industrielle Arbeiterschaft unv Volk mit einander zu identificiren. Das deutsche Volk besteht nicht aus der industriellen Arbeiter schaft, sondern aus der Gesammtheit aller Volksgenossen. Und deshalb muß die Volksvertretung die Interessen aller Stände berücksichtigen. Wenn die Socialdemokratie wirklich das Volk repräsentirte, so müßte sie ja bei dem Modus der allgemeinen gleichen und geheimen Wahl die Gesammtheit, oder wenigstens dis große Mehrzahl aller Stimmen und aller Mandate auf sich vereinigen. Schon daraus aber, daß neben den noch nicht 60 Socialdemokraten 340 Abgeordnete der bürgerlichen Parteien sitzen, ergicbt sich zur Genüge, daß der Reichstag Recht und Pflicht auch zu anderer als lediglich socialpolitischer Thätigkeit besitzt. Ein neues Beispiel von dem fanatischen Hasse, der das Polenthum gegen das Trutschthum beseelt, giebt der „Oredowmk", indem er sich gegen vie Ausstattung ter im „Kaibolitenhause" zu Gnesen ncu eröffneten Bibliothek mit polnischen und deutschen Zeitungen wendet. In diesem Fourlleton. q Das neue Lahnproject. Roman von Paul Oskar Höcker. Siachtruck »trborrn. Herzllopfend spähten die Geschwister um sich. Nur wenige Damen befanden sich in den oberen Reihen; die Mehrzahl der Studentinnen bildete unten vor dem Katheder, der zwischen den beiden hohen, gothischen Fenstern stand, einen dichten Halb kreis. Bänke waren vorgezogen worden, Stühle und Hand schemel. auf denen sie — Collegienmappen, Notizhefte und Blei stifte im Schooß haltend — mit übergeschlagenen Beinen er wartungsvoll da,'aßen. Knapp vor »Schluß des akademischen Viertels war der Saal brechend voll. „Wenn er nicht so ein arg schönes Backenbärtlein hätte", ließ sich Elisabeth'S Nachbar, offenbar ein Damenfeind, grollend über die Enge und Hitze vernehmen, „so thäten sie ihm gewiß nicht so 'S HauS einstürmen, die Frauenzimmer, daß unsereins da oben schwitzen und schmoren muß wie in einem Backofen!" „Sei Du froh, daß Du wenigstens noch so ein appetitliches sungeS Mädel als Nachbarschaft gekriegt hast!" verwies ein be mooste» Haupt neidisch. „Oft kommt's auch anders!" „Du Chaib!" brummte der Weiberfeind. Nun ging rin Scharren und Trampeln los, das die athemlos und mit angezogenen Armen auf ihrem Platz verharrende Elisa beth nicht wenig erschreckte; gleichzeitig hatte sich die Thür auf- gethan und der Professor war eingetreten. „Schau nur — er trägt noch immer Trauer!" ließ sich der Nachbar, ein kaum Zwanzigjähriger, vernehmen. „Und daS ganze vorige Semester doch auch schon!" „ES war halt seine Mutter, die ihm gestorben ist!" erklärte «in Unterrichteter. „WaS er guckt, wo» er guckt! Wenn er jetzt plötzlich einmal fragen wollt', wer von dem ganzen großen Auditorium wirk lich belegt hat — nachher wär' Matthai cm letzten!" „Und Du flögst zu allererst zur Thür 'naus!" „Still da oben!" klang's aus dem Saal herauf. Elisabeth hatte den Kopf tief herabgebeugk, das Blut war ihr in Stirn und Schläfen geschossen; sie preßte Lippen und Zahne gegen ihre Hand und athmete laut und erregt. . . . Seine Mutter war also tovt! ... Ja, richtig, er trug tzstw» Trauerflor um den Arm. Auch ging er ganz dunkel ge kleidet. Da da» Licht rechts und links vom Katheder hereinficl, stand er selbst im Schatten. Man sah zunächst nur das Leuchten seines Kragens, einen schwachen Schimmer seines Ge sichts und das blanke Weiß seiner die Reihen musternden ernsten, dabei feurigen und sprechenden Augen. Allmählich gewöhnte sich Elisabeth an das Zwielicht, und nun vermochte sie ihn deutlicher zu erkennen. Er besaß noch immer die schlanke, hohe, aber zarte Jünglingsgcstalt, die edelgeformte, blasse Stirn, die feingeäverte, weiße Hand, das dunkle, beinah schwarze Haar, das er früher halblang getragen, vas nun aber kurz geschnitten war. Auch einen Vollbart hatte er sich stehen lassen, den er movisch gestutzt trug. Eine tiefe Rührung bemächtigte sich des Mädchens, als ec zu sprechen begann. Da war ihr's, als habe sie ihn erst gestern zum letzten Male gehört. Er hatte ein schönes, sonores Organ, das allmählich, als die Unruhe im Hörsaal sich legte und der Redner sich frei gesprochen hatte, den ganzen Raum ausfüllte. Aber es lag etwas unendlich SchwermüthigeS, ja, ergreifend Trauriges in seiner manchmal leis vibrirenden Stimme. Sein heutiger Vortrag bildete nur die Einleitung zu seinem Colleg über Gletscherkunde — und was und wie er sprach, konnte ebenso gut als Poesie, als wie als Wissenschaft gelten. Er schil derte den Kreislauf der Natur, daS unendliche Neuschöpfen, Hervorbringen und Verarbeiten des Urstoffes durch die Urkraft; wie ein Drama, so spannend, erregend, mit fortreißend wußte er das gewaltige Thema vor seiner athemlo» lauschenden Hörer schaft aufzubauen und durchzuführen. Einzelne Schlagworte, die im Munde eines Mannes der modernen, sonst als rein mate rialistisch geltenden Wissenschaft besonders bemerkenSwerth er schienen, weil sie gleichzeitig ein muthiqes Glaubensbekenntniß enthielten, wirkten offenbar tief auf die Äemüther der begeisterten Zuhörer. Das Wesen, die natürliche Abstammung unv Be gründung der Gesetze, nach denen auch die Gletscher ihr für den Laien geheimnißvolles Leben haben, legte er klar dar — aber das oberste Machtwort, das „Werde!", das auch der allerersten Kraft den Odem eingehaucht habe, das weise auf eine überirdische Schöpferkraft, die kein GelehrteH iü Paragraphen zu zwingen vermöge. „Gott und die Natur iventifirire», heißt den Dichter mir der Druckmaschine verwechseln!" Dies Wort, mit dem der erste Theil seine- Vorträge- schloß, räumte auch in Alexander'» Herzen, da» sich dem Vertreter einer sonst wenig religion»freundlichen Wissenschaft Anfang» nicht willig erschlossen hatte, den letzten Widerstand hinweg. Hand in Haitd saßen Pir Geschwister neben einander, Alisa« beth hörte ja mehr darauf, wie der Vortragende sprach, als was er lprach; aber sie war ergriffener, erschütterter, als durch eim gute Predigt in der Kirche. Nur eines beunruhigte sie fortgesetzt: seine düstere Miene, der verzweiflungsvolle, quälende Ernst seines Blickes, ein dumpfer, banger Ton, der manchmal, wie aus wun dem Herzen kommend, das Feuer seines VortrageS dämpfte. Bildete sic sich'S nur ein — oder sah sie wirklich so klar in seine Seele: sie konnte die Empfindung nicht los werven, daß er ties unglücklich war, daß er innerlich litt, daß er nur deshalb sich so scllbstvergessen dem Thema, das er zu behandeln hatte, hingab, um sich loszulöscn von dem ihn umgebenden düsteren Werk tag! . . . Aber was mochte es sein, was so bedrückend auf ihn einwirkte? Hatte der Tod seiner Mutter ihn vielleicht so ge waltig erschüttert? Gewiß hatte er ja mit zärtlicher Inbrunst an der unglücklichen Alten gehangen — aber der Tod war für sie, die Verkrüppelte, die 'sich seit fünfzehn Jahren nicht ohne fremde Hilfe vom Platze hatte bewegen können, doch eher eine wahre Erlösung, eine Gottesgnade gewesen! Nein, Arnold hätt» gefrevelt, würde er darum mit dem Himmel gerechtet, gehadert haben. Und eine so tief religiöse Natur wie die seine war solcher Auflehnung überhaupt nicht fähig. Immer leidenschaftlicher ward in Elisabeth da» Verlangen rege, Arnold endlich gegenüberzutreten, um aus seinem Mund: eine offene Beichte zu hören. Er sollte, wie in alte: Zeit, Alles, Alles ihr sagen, er sollte . . . Da unterbrach Murmeln und Scharren, das rasch bis zum tosenden Lärm sich steigert«, Elisabeth'S Geoankengang. Er schrocken preßte sie vie Hans des Bruders uns sah sich ver wirrt um. Der Vortrag war zu Ende — dem jungen, hübschen, inter essanten Professor wurden von allen Lecken Huldigungen dar gebracht. Elisabeth verfolgte seine hohe Gestalt, die sich durch die Reihen der applauvirenden jungen Damen und Herren nach der Thür zu bewegte, mit brennenden, fast ängstlichen Blicken. Nun sah sie'«, als s«in Antlitz so voll vom Tageslicht be- leuch-tct war: er war doch recht, recht bleich und elend. Sin müv«S, und dabei etwa» bittere», gequältes Lächeln stand in seinen Zügen, während er hier und dort die kleinen Blumen spenden mit einem leichten Nicken hinnahm, Sie ihm jung«, be sonder» begeisterte Hörerinnen, sie von der Brust, au» Sem Jacket nehmend, aufdrängten. Hinter ihm drein schob sich da» vielköpfige Auditorium lär mend zur Thür. Elisabeth und Alexander wurven mitgeschoben, ob sie wollten oder nicht. Hier und dort fingen st« flüchtig« Nriheile übe« de« Vortrag auf — und hörten Bemerkungen (namentlich von weiblicher Seite) über Arnols's Aussehen, seine Person überhaupt. „Ah — da ist sie ja schon — di« Schwändi'sche Equipage!" hörten die Geschwister, am Portal anlangeno, eine ihnen bekannt« Stimme sagen. Die Norddeutsche war'», Fräulein Grünwald, die ein gestandener Weise alle Eollegs, die ihr nur einigermaßen bequem erreichbar waren, „nassauerte", und deren ständige Begleiterin. Sic begrüßten Beide die Geschwister, und die Russin sagte, aus ein unten vor dem Rondel haltendes, eleganter Phaston weisend, auf das Arnold, noch immer umdrängt von den jungen Leuten, soeben zuschritt: „Da haben Sic sie, Herr Pastor, unsere Commilitonin — wissen Sie, von der ich Ihnen gestern erzählte. Früher kam sie wenigstens prn toiina mit in's Colleg — jetzt holt sie ihn gar nur noch mit dem Wagen ab — blos, um sich der jauchzenden Menge an seiner Seite zu zeigen!" „Und die Toilette!" sagte die LehrerStochter ganz athemlo». „Weißes Tuch und die Jacke mit Schwanenpelz besetzt! Wie kann man nur so gehen!" „Oh, zu kleiden weiß sie sich!" wandte Fraulein Petrowitsch ein. „Ter zarte, Helle Teint, die dunkeln Augen, da» blau schwarz- Haar, die feinen, dunkeln Brauen — ÄlleS paßt vor züglich zu dem prunkvollen Weiß — sogar, daß die Wagen polsterung creme ist, erscheint mir gut herausstudirt! Ja, es ist alles Raffinement — Aller Berechnung!" „Ja, aber nur eine» paßt in da» Milieu nicht hinein!" „Und was wäre das?" „Zwyler selbst!" Tie Russin lachte. In diesem Augenblick erhob die elegante, junge Dame im weißen Tuchkleid die lange, zierliche Peitsche, die Rappen zogen an — und auf den Gummirädern rollte das leichte Gefährt, das Arnold Zwyler nach flüchtiger Begrüßung der Lenkerin und kurzem Abschied von seinen Begleitern und Be- gleiterinnen bestiegen hatte, in der Richtung auf die „Hohe Promenade" davon. „DaS war — Fräulein Fräulein Schwändi?" brachte der Geistliche stammelnd hervor. „Ja, von der ich Ihnen gestern sagte", erwiderte di« Russin, neidisch der Equipage nachblickend. „Anna Schwändi, die Tochter d«S reichsten Mannes in ganz Zürich. Seidenfabrikant ist er — eine europäische Großmacht auf dem Gebiete der Seiden industrie. Die können lachen." Elisabeth war noch ganz verwirrt, athemlo» hob sie an: „Und sie ist mit Arnold — Arnold Zwyler . . „Verlobt sind sie erst seit dem Sommer, di« Beiden!"
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