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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010109021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901010902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901010902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Mittwoch dcn 9. Januar 1901. Anzeigen-Preis die 6gespaltcne Petitzeile 2S Ree la men unter dem RedactionSstrich («gespalten) 75 vor den Familiennach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz rutsprechrnd höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). (?rtra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung Ü0.—, niit Postbeförderung 70.—. Iinnatuneschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tic Expedition ist Wochentags ununtrrbroche» geöffnet oou früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Die FriedenSactio». „Agence HavaS" berichtet au» Peking unter dem 5. d. M.: Prinz Tsching besuchte beute die Gesandten anläßlich des Jahreswechsels und erklärte dem Doyen, daß er die Bedingungen der Note anaehme. Li-Hung« Tschang ist noch krank. Die „Times" berichten auS Peking unter dem 8. d. MtS.: Elf gleichlautende Protokolle, von denen jedes eine andere Macht vertritt, sind den chinesischen Friedensbevoll- mächtigten überreicht worden, damit sie unterzeichnet werden und der kaiserliche Siegel darauf gesetzt wird. Sine neue Waffenlhat der Tcntscheu. Wit schon in einem Tbeile der Auflage unseres heutigen Morgenblaltes kurz telegraphisch erwähnt, traf nach einer Reutermelvung auS Peking vom 7. Januar eine deutsche Rccognoscirungsabtheilung im nördlichen District bei Szehaikon, 20 Meilen nordwestlich der Kreuzung der großen Mauer auf 3000 Chinesen. Die Deutschen zogen sich auf Luipinpu zurück, wo sie durch eine Expedition verstärkt wurden, die am 29. von Peking aufgebrochen war und deren Ziel, wie man annabm, der District von Paotingfu sein sollte. Die Gegend ist außerordentlich bergig, das Dorf liegt in einem Thale, dessen Eingang befestigt ist. Die Deutschen gingen zum Angriff vor, die Chinesen vcrlbcidigten den BefestizungLwall, auf dem 10 Geschütze ausgefahrcn waren. Nachdem eine Gebirgsbatterie eine Stunde lang gefeuert hatte, wurde die Stellung mit dem Bajonnct genommen, worauf noch ein dreistündiger Kampf folgte, bis der Feind aus dem Tbal vertrieben wurde. Der Verlust des Feindes wird auf 200 Mann geschätzt. Auf deutscher Seite wurde ein Mann getödtet, vier wurden verwundet. Aus den erbeuteten Flaggen geht hervor, daß der Feind aus Milizsoldaten bestand. Rom, 8. Januar. Wie die „Aqenzia Stcfani" aus Niugpo berichtet, hat Admiral Candiani den dortigen Behörden mitgeiheilt, daß er eine chinesische Barke mit 1l Mann Besatzung, die er bei Ausübung von Seeräuberei betroffen, genommen habe. Der Krieg in Südafrika. Der Vormarsch auf Kapstadt Bis Kundert Kilometer bat sich die Borbut der Boeren, der kühnen Zugvögel, deren Flug die englischen Kugeln nickt haben hemmen können, weil er fast blitzartig erfolgte, der Tafclbai genähert und jeder Tag kann die Meldung bringen, daß sie vor dcn Thoren Capstadts stehen. Man berichtet unS: * Loudon, 9. Januar. (Tel.) „Daily Mail" berichtet aus Kapstadt unter dem 8. S. Mts.: 1500 Boeren sind gestern in Sutherland eiugetroffen. * London, 9. Januar. (Tel.) „Daily Mail" be richtet aus Matjesfontei» unter dem 8. d. Mts.: Ta die Boeren bet Sntverland de» Weg versperrt sanden, wandten sic sich nach Kalviuta. * Kapstadt, 8 Januar. („Reuter s Bureau.") ks heißt, Anfttärungspatrouille» der in der Kolonie cingedrunaenen Boeren stände» 20 Meilen von Piguetbcrg. Die neuesten Depeschen richten die Aufmerksamkeit auch wieder auf den Kriegsschauplatz in Transvaal. Dort ist es hauptsächlich General Delarey, welcher westlich von Pretoria in den Magaliesbergen und deren näherer und weiterer Umgebung Kitchener zwingt, einen guten Theil seiner Truppen im Norden sestzulegen, während sie aufs Dringendste in der Capcolonie gebraucht werden. Die Orte Biiffclspoort und Breedtrek, welche unser Rictfonteiner Telegramm im heutigen Morgenblatte nennt, finden wir auf der Karte nicht, da sie aber in Verbindung mit den Magaliesbergen und Watcrberg, dem nordwestlichen District Transvaals, genannt werden, müssen sie gleichfalls westlich von Pretoria liegen. Hier (und nicht, wie man nach den ersten Meldungen annehmen mußte, im Copland, südlich von Colesberg) ist auch der Ort Naauwpoort zu suchen, bei welchem, Ivie berichtet, Delarey in den ersten Tagen des Januar ein Gefecht mit Oberst Babington hatte. Der Platz ist gleichfalls auf der Karte nicht verzeichnet, während Naauwpoort in der Capcolonie sehr leicht zu finden ist. Wir haben die Lage des Letzteren kürzlich beschrieben; Kämpfe aber haben, wie nun die näheren Ortsangaben der unverantwortlich dürftigen und, da die meisten Ortsnamen doppelt, ja drei- und vierfach vorkommen, sehr leicht irreführenden englischen Telegramme erkennen lassen, daselbst noch nicht stattgefunden, wenngleich Boeren und Engländer sich auch in diesem District kampfbereit gegenüberstehen. Ungewißheit über die Loge im Mincnbczirk. Aus London, 8. Januar, wird nnS berichtet: Au der gestrigen Börse war man sehr beunruhigt betreffs der Lage im Mincnbczirk. Nack einer Privatmeldung auS Capslakt sollen die Boeren zwei Minen überrumpelt und zerstört haben. Man ist deSbalb über die Unvollständigkeit und Zweideutigkeit der amtlichen Berichte sehr empört, zumal da dieselben auch gar keinen Aufschluß über die Bewegungen Botha's geben. Friedenstauben Der „Manchester Guardian", der stets den Krieg gegen die Boeren verurthcilt hat, theilt mit, daß augenblicklich eie liberale Partei einstimmig einen Fricdcnsjchluß auf der Grundlage, welche Drummond Wolf vorgcfchlagcn, billigen würde. AuS der conserva tiven Partei aber seien reute bereits über 40 Abgeordnete bereit, den Boeren Zu geständnisse zu macken, d. h. die von Chamberlain geforderte bedingungslose Unterwerfung als zu weitgehend anzuerkcnnen. * Kapstadt, 8. Januar. („Reutec's Bureau".) Ter Central» Friedensausschuß des Oranje-Freistaates richtete einen offenen Brief an die Boeren der Capcolonie, in dem er bittet, daS Unvermeidliche hinzunehmen und die kämpfenden Boeren nicht durch die Erweckung falscher Hoffnungen zu rrmuthigen. Wir sagten schon, was von diesem Friedensausschuß zu kalten ist, und ebenso wissen die Boeren im Felde, wie sie ihn zu nehmen Haden. Kanadas VermittelunnSpläuc. Aus Ottawa, 6. Januar, wird unS gemeldet: Ein großer Theil der kanadischen Abgeordneten hat sich bereit erklärt, eine Vermittelung des Friedens zu unterstützen. Bor Allem dringen sämmtliche französisch - canadische Blätter darauf, daß Canada aus die britische Regierung im Sinne eines baldigen Friedensschlusses einwirke. Es soll daher durch einen Parlamentsbrjchluß der Ministerpräsident Laurier beauftragt werden, in Leiden seine Vermittelung anzubieten. Gleichzeitig will man von Canada auS eine Abordnung nach Südafrika entsenden, um dort mit den Boerensührern über die Bedingungen deS Friedens zu unterhandeln. Besserung in dem Befinden des Präsidenten Krüger. Im Haag wird versickert, daß die Krankbeit deS Präsi denten Krüger keinerlei bedrohlichen Charakter zeigt, sondern daß es eigentlich nur die Folge der kalten und für Krüger ganz ungewohnten Witterung ist. Auch haben die Aerzte seit Sonntag eine wesentliche Besserung fcstgestellt. — Sehr bezeichnend ist es, daß in Capstadt bereits die Meldung vom Tove Krüger'S verbreitet war. Offenbar hat man des halb in Südafrika seitens der englischen Heeresleitung den Präsidenten Krüger todlgesagt, um dadurch die Boeren zu entmuthigen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Januar. Wenn Gras Bülow die ehrgeizige Hoffnung gehegt haben sollte, gleich nach Eröffnung „seines" ersten preußischen Landtags Ehrenmitglied des „SchutzoerbandeS gegen agra rische Uebergriffe" zu werden, so muß er sich enttäuscht sehen. Zugcdackl waren ibm diese uud verwandte Ehrungen; ja man raunte sich in Berlin zu, sogar der Foitsckriitö- verein der Potsdamer Vorstadt habe eine außerordentliche Auszeichnung für den verantwortlichen Verlcser der Thron rede vorbereitet. Nun ist aber alles vorbei. Die Eröffnungsrede, „auf die" — wir citircn ein frei sinniges Berliner Blatt wörtlich — „Viele mit so großen Erwartungen geblickt", bat der Blütbe der Nation den neuen Ministerpräsidenten in dem matten Lickte eines nüchternen politischen Geschäftsmannes gezeigt und sie, die B.ütbe der Nation, hatte dock bestimmt geglaubt, mit An- gnffen gegen Herrn v. Miquel, sowie mit Lockungen unv Schmeicheleien sür dessen „Vorgesetzten" den Grafen Bülow zu bewegen, einem dräuenden strafenden Erzengel gleich, mit stammendem Sckwerte in den weißen Saal hineinzuschreiten. Es war seit einer Woche wabrzunehmen, daß die Linke die Möglichkeit in Rechnung zog, der neue Regierungschef lönne der Mehrheit des Abgeordnetenhauses mit einem Canal-Ulti ma t u m entgegentreten. Jetzt aber stellt sich heraus, daß diese Politiker nickt nur gewünscht und gehofft, sondern daß sie über zeugt waren, Graf Bülow würde sie zum Kampfe führen. Die nunmehrige Enttäuschung ihrer Presse giebt Ausschluß über die .Stärke der gehegten Zuversicht. DaS führende Blatt der letzten Tage hatte offenbar gemeint, die Thronrede werde vom Exercicrplatz die Wendung ent lehnen: „Euch soll der Teufel fricassiren, wenn Ihr die Canalvorlage nicht anstandslos anncbmt." Das Blatt setzt nun Bülow —Hohenlohe, weil jener sich damit begnügte, der „Hoffnung" auf Zustimmung Ausdruck zu geben. „Tas ist nickt die Sprache, mit der man auf die agrarischen Widersacher der Canalvorlage besonderen Eindruck zu machen hoffen darf .... Wenn die Regierung nickt in der Lage ist, gröberes Geschütz aufzufabren, so wird man auf eine gedeihliche Erledigung der Verbesserung unserer Wasserwirthsckast sich schwerlich Rechnung machen dürfen". Grobes Geschütz wurde allerdings nickt auf gefahren. Namentlich fehlt — und dies verstimmt die Linke ani meisten — die Kennzeichnung der Wasserwirthschafts- vorlaze als einer Culturihat, die dem Lorbeerkranze der Hobenzollern ein neues goldenes Blatt einfüge. Diese Coustictsuote war bekanntlich in der ersten parla mentarischen Phase wiederholt, leider auch einmal von einem nationalliberalen Abgeordneten, der in diesem Falle aber nur für sich sprach, angeschlagen worden. Tie Cbarakterisirung der Wirkungen dieses umfassen den Gesetzes in der neuen Thronrede ist, ohne zu eng zu sein, die denkbar nüchternste. Sie bebt die Frage aus der Reibe der politischen, in die man sie gewaltsam, zum Schaden deS inneren Friedens uud nickt zum Wenigsten de- LiberalismuS, hineingezwängt, mit einem kräftigen Ruck wieder heraus. Daß dies geschehen, rechnen wir dem Grasen Bülow als ein Verdienst an, das über die preußischen Grenzen hinaus- zuwirken verspricht, denn eine neue und vielleicht vermehrte Auslage deS CanalstreiteS, wie er fick in der vorletzten Session des preußischen Landtags abgespielt, hätte die Ge fahr in sich geschlossen, in Parteien, die auS dem ganzen Reiche Säfte ziehen müssen, Meinungsverschieden heiten über die wichtige und namentlich in der Jetztzeit uötbigen Auffassung des coustilutionellen PrincipS hinein zn tragen. Zu dem übrigen Tbeile der preußischen Thronrede ist vom „ausländischen" Standpunkte nicht viel zu bemerken. Neber die einstweilige Fortdauer deS blühenden Standes der Finanzen war man schon vorher beruhigt. Der Aus druck der Veimutbunq, daß der Etat für l90l den Höbe- puuct der günstigen Entwickelung zu bezeichnen drohe, kann man der Thronrede füglick nickt zumutben. Aber die Ver- mutbung ist berechtigt. Von allgemeinem Interesse ist noch die Ankündigung eines — zunächst in seinerGiltigkeil anfFrank- surt a. M. beschränkten Gesetzes — betr. die Umlegung von Grundstücken, sowie die Mittbeilung, daß auch Ver waltungsmaßregeln in Erwägung gezogen seien, welche, wie dies Gesetz, die WobnungSnoth der ärmeren Classen zu mildern bestimmt sind. Ganz localer Natur ist die in Aussicht genommene Einsetzung eines besonderen Oberprä- siventen von Berlin, das jetzt dem Oberpräsidium Pots dam untersteht. Befürchtungen für die Selbstverwaltung, die an diesen Plan geknüpft werden, sind völlig haltlos und verratben nur die Oberflächlichkeit, mit der der Berliner „Fortschritt" Politik macht. Es bandelt sich in der Thal um nichts weiter, als um die Zweithcilunz der durch da« Wackstbum Berlin S zu volkreich und social allzu heterogen gewordenen Provinz Brandenburg. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauSzusehen, daß cS in diesem Jahre im preußischen Abgeordnetenhaus«: an erregten „Palcndebatten" nickt fehlen wird; man denke nur an den bekannten Erlaß des CultuSministerS über die Ertbeilung deS Religionsunterrichtes in der Stadt Posen. Da ist eS denn charakteristisch, daß in demselben Augenblicke, in dem der preußische Landtag zusammentritt, die Centruins presse einen Vorstoß zu Gunsten ihrer polnischen Lieblinge macht, indem sie dabei nach dem guten militärischen Grundsätze verfährt: „Tie beste Deckung ist der Hieb". An der Spitze steht diesmal — und auch dies ist charak teristisch — nickt etwa ein preußisches Blatt, sondern das führende bayerische C en tru mS org an. Diese- Blatt regt sich darüber auf, daß nicht nur der Posener Magistrat, sondern auch der dortige Bezirksausschuß die bei dcn Posener Gcwcrbegericktswablen abgegebenen polnischen Stimmzettel für ungiltig erklärt bat. „Man weiß nicht, was man zu dieser Meldung sagen soll", meint daS bayerische Blatt. Da« Fenilleton. 7j Das neue Lahnproject. Noman von Paul Oskar Höcker. R-ubdruck vrrdoitli. „Ich bitte ums Wort — ich bitte ums Wort!" rief er auf geregt. Schwändi, der in der dicken, bereits mit viel Cigarrenqualm durchsetzten Luft asthmatisch athmete, und dem das Reden schwer wurde, gab ein Klingelzeichen. Er hatte seinen Schwiegersohn in den Saal treten sehen. Ohne sich um den Studenten zunächst zu kümmern, erhob er sich schwer, stützte sich dabei auf die vor ihm stehende Tafel — und sagte breit und mit einer gewissen Bei mischung von Schadenfreude: „Ich denke, wir müssen dem Herrn Redner erst für seine geistvollen Ausführungen unseren wärmsten Dank sagen!" — „Dawider protcstire ich!" schrie der Student. „Still, Du Chaib!" brüllte Einer aus der Versammlung. — „Runter mit ihm vom Podium!" echoete ein Chorus. „Da hier Einer so viel zu sagen hat, wie der Andere", ver wahrte sich der Student. „Ob ich jetzt der Studiosus Ghey und ein armer Teufel bin, oder ob ich Schwändi heiß' und auf dem Mtlltonensack sitz'!" „Ha, so ein wüster Mensch, so ein wüster!" „Versohlt ihm doch da« Leder!" rtes ein Unsichtbarer auS dem Hintergründe. Der Student hielt noch immer oben drohend am Vorstands tisch. „Komm' Du blos einmal herauf, Du Großmaul, der Du Dich hinter die Anderen versteckst!" Schwändi klingelte noch energischer und rief, dunkelroth vor Zorn: „Was wollen Sie Lberhaupt da? Potz Blitz! Sie sind Derjenige, welcher die ganze schöne Versammlung ver hunzt hat!" „Das Wort will ich!" „Schmeißt ihn 'rau«! 's ist ja nicht einmal ein Hiesiger!" „Jawohl ist er einer!" „Schmeißt ihn wieder 'rein!" „Ha — Schwerenoth — hab' ich jetzt daS Wort, oder hab' ich'« nicht?" „Nein, Sie haben'« nicht!" schrie der dicke Vorsitzende. „Ge nommen haben Sie sich'«! Und wenn Sie jetzt nicht auf der Stell« zu Ende kommen — entzieh' ich « Ihnen!" Laute« G«lächt«r folgt« di«s«r übrrstürzten, im Eifer ganz verwirrten Rede. Arnold hatte mit seiner Braut, die ihn soeben, leicht zusammenfahrend, bemerkt hatte, einen Blick getauscht. Sic schämte sich offenbar der Blamage ihres Vaters. Gleichzeitig leuchtete etwas wie Trotz in ihrer Miene auf. „Meine Herren!" begann der Student. „Und Damen!" corrigirte das lärmlustig gewordene Audi torium. „Aus denen mach' ich mir nichts!" „Bravo! Bravo!" — „Runter mit ihm!" — „Hinaus mit ihm!" Meine Herren, ich will Sie blos darauf aufmerksam machen, daß zum Glück gerat»' hier Einer eingetroffen ist, der dem Herrn Großmaul da aus Afrika und Abessinien und den umliegenden Bierdörfern sogleich die Leviten lesen wird: der Herr Pro fessor Zwyler!" „Wo? Wo? Wo? Der Zwyler?" .... „Still, ruhig, laßt ihn doch ausreden!" „Der Herr Orell hat so kühl und großartig Uber die Wissen schaften abgeurtheilt, daß ich grad' annehmen möcht', er sei ein persönlicher Feind von der Alma mater!" „Jawohl, ist er auch!" „Recht so! . . . Also Geodäsie und Geognosie — das braucht' Alle« für ihn nicht zu existiren! Und warum? Blos weil er ein mal auf dem Kilimandscharo gewesen ist! Und aus demselben Grunde guckt er auch auf unsere Alpen herunter, als ob die gar kein Geheimniß mebr für ihn hätten! No, ich denk', unsere Alpen machen sich nichts daraus! Aber wie wird's kommen? Da rückt demnächst ganz einfach Einer auf den Plan, der den Gipfel vom Popocatepetl erklettert hat — und nachher ist er der Held des Tages und verbietet dem Herrn Orell das Maul! — Ich aber sag' . . . ." „'naus! 'naus!" — „Ausreden lassen!" Der Student stampfte zornig mit dem Fuße auf. „Die Dümmsten sind doch auch immer die Frechsten!" Ein furchtbarer Tumult entstand jetzt; ein paar handfeste Leute, die sich wohl bei Schwändi und den übrigen Herren des Comit6« einschmeicheln wollten, stürmten vor und rissen den Stu denten vom Podium herunter. Aengstlich auskreischend verließen die Damen die vordersten Reihen, nach dem Ausgange flüchtend. Anna hatte sich gleich zu Beginn der Rede des Studenten zurück- gezogen. An der Thür traf fie mit Arnold zusammen. Sie suchte eine trotzige, siegesgewisse Miene aufzusetzen — vor seinem ernsten, vorwurfsvollen Blick mußt« si« aber doch die Lider senken. Er wart«t« auf «in« Erklärung ihre« Hiersein«. Al« st« au». blieb, begann er: „Ich wundere mich natürlich, daß Dir der Auf enthalt in diesem häßlichen Raume unter dcn schreienden Men schen sympathischer ist als ein Zusammensein mit Deinem Ver lobten — denn ich hatte Dir doch mein Kommen an gemeldet." „Vielleicht wärst Du heute Abend doch wieder fortgeblieben, wie neulich!" erwiderte Anna so kühl sie konnte. „Zudem hatte ich die Verpflichtung als Dame des Hauses, unserem Gaste eine Aufmerksamkeit zu erweisen." „Als Dame des Hauses, das Deinen Bräutigam, auss Schwerste beleidigt hat durch die Ladung jenes Mannes?!" — Flüsternd, zischelnd hatten sie miteinander gesprochen. Anna machte nun eine trotzige Kopfbewegung. „Noch repräsentier ich nicht Dein Haus, sondern das meines Vaters. Papa aber ist Dir keine Rechenschaft schuldig." Arnold blickte ihr ganz fassungslos ins Auge. „Anna, Du empfindest nicht, daß dies hier" — er wies verächtlich auf das Podium — „Eurer unwürdig ist? Denn das Eine ist Dir doch klar geworden, daß die Partei, zu deren Sprecher sich Dein Vater gemacht hat, blos der Opposition gegen meine Wissen schaft, gegen mein specielles Fach, — ja, gegen mich dienen soll." Anna schwieg. Der Tumult hatte sich inzwischen droben infolge der Drohung Schwändi's, daß er die Versammlung auf der Stelle schließen werde, etwas gelegt. Aber wenn auch das Handgemenge auf gehört hatte — der Wortstreit ließ nicht nach. Mehrere Dutzend Studenten waren ihren beiden bedrängten Commilitonen zur Hilfe geeilt. In zwei großen Gnippen standen die jungen Leute einander nun vorn zwischen dem Podium und dem Audi torium gegenüber. Ununterbrochen tönte Schwändi's Präsidial-Glocke. Endlich setzte er sie mit einem Applomb auf den Tisch nieder und begann zu reden. Aber nur die Nächststehenden vermochten ihn in dem allgemeinen Stimmengewirr zu vernehmen. Kaum hatte der Vorsitzende zu Ende gesprochen, als der Student, der schon vorher so lebhaft protestirt hatte, auf den nächsten Tisch sprang und in die Versammlung hineinschrie: „Das ist eine Vergewaltigung, sag' ich! Hotzdunnerkeitel noch einmal! Wenn der Herr Orell hat sprechen dürfen, dann soll auch Einer von der Gegenpartei zu Wort kommen! Ich weiß, wie der Herr Professor Zwyler Uber den famosen Bauplan da denkt — und weil er, der allerberufenste Vertreter der Gegen partei, gerad einmal da ist, so stelle ich den Antrag, daß er ge beten wird, da herauf zu steigen, und seine Ansicht hören zu lassen!" „Ha, er mag doch vortreten!" riefen ein paar bis jetzt noch unparteiische Bürger, die an der Seite in aller Gemüthsruhe ihr Bier tranken. »Ja — Ihr sagt das", erwiderte der hitzige Student, „aber der Vorsitzende läßt es ja doch nicht zu! Und das ist halt die Vergewaltigung! Sic haben den Muth nicht, die Wahrheit zu hören, die Herren da droben auf dem Podium!" Endlich verschaffte sich die Donncistimmmc Götz Orell's Geltung. „Wer hat den Muth nicht?!" rief er, dicht an den Rand des Podiums vortretend, indem er sich mit seinen scharfen, hell blauen, blitzenden Augen herausfordernd im Saal umsah. Es trat für ein paar Sekunden Ruhe ein. Um so deutlicher ver nahm man in der plötzlichen Stille aber den erst nur murrend, dann jedoch immer bestimmter auftretenden Ruf: „Zwyler soll reden! Zwvler! 'runter mit Orell!" „Ich für mein Theil", ließ sich der Blonde mit einem spöttischen Lächeln vernehmen, „werde es nur freudig begrüßen, wenn ein Vertreter der Gegenpartei — die bis jetzt ja blos durch Schreien, Zischen und Trampeln ihre Anwesenheit verrathcn hat — sich hier vorwagt, um den Versuch zu machen, mich zu wider legen!" Aller Augen waren auf den Professor gerichtet. Zwyler hatte sich von der Versammlung halb abgewandt; seine Blicke musterten bald die kalten Züge Anna's, bald den heraus fordernden, fast höhnischen Ausdruck seines Schwiegervaters. „Dein Vater will cs auf einen Skandal ankommen lassen?" stieß er zwischen den Zähnen hervor. Anna zuckte die Achseln. „Schicke zu ihm und bitte ihn, den Vorsitz abzugeben, Anna!" drang er in sie. „Warum sollte er Dir weichen?" „Er soll mir nur ermöglichen, dem Rufe Folge zu leisten. Anna preßte die Lippen zusammen; trotzig verharrte sie, ohne sich zu rühren. „Bedenke doch, daß sie Alle um unseren Brautstand wissen. Soll ein Familienzwist hier ausgetragen werden — vor der ge jammten Oeffentlichkeit?" „Zwyler! Zwyler soll sprechen! Zwyler!" klang'» immer lauter und energischer au« den Reihen der Studenten. Man fing an, wie im Hörsaal zu klatschen und zu trampeln — all mählich nahm der Lärm dann einen bestimmten Rhythmus au. „Herr Orell stünde schon längst dort obin, w«nn «r Hch a»
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