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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010116023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
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MlWgcr TagMM Anzeigen »Pret- die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 78 H, vor den Familiennuch» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Rachweisunge.« und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlab für Än)eige«: Anzeiger- Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Abend-Au-gabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle« je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 16. Januar 1901. 93. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die Lage in der Eapcolonie. -p. Die Boereo setzen ihren Bormarsch nach Süden fort, während die Engländer die wenigen überhaupt vorhandenen regulären Truppen ziemlich ziel- und planlos in den be drohten Distrikten hin- und hermarscknen lassen, weil sie wieder einmal Dank der beringe» Ausklärungasädigkeil ihrer Reiterei und Dank der fast allseing unlerblockenen Tele- grapbenverbindungen über die thaisäcklichen Bewegungen und Absichten der eingedrungenen Feinde nur wenig correcie In formationen bekommen können. Die Boeren schalten und wallen dagegen so ziemlich ungestört aller Orten und spielen den Engländern üble Streiche. So wird uns berichtet: r. London, IS. Aanuar. (Privattclcgr.) DieBoeren drangen dis Touwsriver, südwestlich von Matjes- sontct», vor und sprengten die Wasserwerke an der Eisenbahn. Der Verkehr von und nach Capstadt dürfte damit eine gründliche Unterbrechung erfahren haben, denn es wurde schon berichtet, daß der Betrieb der Bahn von geregeltem Wasser zufluß abhängig ist. Erne Depesche des „Daily Expreß" aus Piquetburg besagt, das Gros der Boeren räumte Pickieners Kloos, und eS scheine eine Concentrirunz im Roggcveldgebirge (etwa 200 km nördlich von Capsladl), wo Hertzog's Commando schon stehe, beabsichtigt zu sein. Zwischen Elan William und Suther land ständen 2000 Boeren, zu denen sich ein neues Coin- maudo von Be.iufort West geselle; die britische Linie debne sich von KoniSberg nach dem Meere aus. — Nach einer Meldung der „Daily Mail" seien die Boeren über die Stärke und Stellung der gegen sie entsandten britischen Streitkräfte vorzüglich unterrichtet. Sie seien prächtig beritten, und die gegenwärtigen Operationen glichen der Verfolgung eines Hasen durch einen Bullenbeißer. DaS Ostcorps der Boeren läßt auch wieder von sich hören, nachdem eS fast geschienen, als sei eS gänzlich ver schollen. Uns wird berichtet: k. London, 16. Januar. (Privattelcgramin.) Aus itavftadt wird gcinclSct, die HugläuScr wnrvcu in Bknrraysdurg bet «raasrrinct gcschkanc». Die Verluste an Todten, Vcrwnndeten nnd Uefangcnen be tragen S Lfficiere nnd 5» Munn. DaS ist ein schöner Erfolg, obwohl durch derartige Er eignisse des Kleinkriegs keinerlei Entscheidung herbeigesührt wird, was freilich die Boeren auch gar nicht beabsichtigen. Aber daS KriegSglück wechselt gerade bei dieser Art Kneg- fübrung häufig, wie auS der nachfolgenden „Standard"- Meldung über Zusammenstöße im TrauSvaalgcbict hervorgebt. Unsere Depeschen besagen: * London» 16. Januar. (Tel.) Nach einer Nachricht deS „Daily Mail" auS Pretoria vom lö. Januar erbeuteten die Boeren am Rhenostrrkop (östlich von Pretoria?) eineu auS zwölf Wagen bestehenden englischen Convoi. Die Be- deckungsmannschasten, 23 Ulanen, ergaben sich, nach dem 2 getödtet und ll verwundet worden waren, wurden aber nachher wieder sreigelassen. — „Standard" berichtet auS Durban unter dem 15. Januar: Am Sonntage hatten drei Schwadronen berittener Infanterie auS Johannesburg ein Gefecht mir den Boeren bei Holfontein, nördlich von SpringS (östlich von IohanueSburg). 5 Boeren wurden getödtet, darunter der Comnianvant van Heeren, und mehrere verwundet. Die Eng länder hatten keine Verluste. Areiwilligcn-Aufrnf. ES ist zu verwundern, daß trotz des allmächtigen Eensors die für die englische Sacke so überaus beunruhigende und beschämende Meldung über Leu Draht nach London kommen konnte, daß die Boerencoinmandos infolge des immer großer werdenden Zulaufes von Eaprebellen tagtäglick anschwellen, während die Resultate der Anwerbungen für die britischen Freiwilligencorps im Caplante geradezu beäiigstigeiid flau und unerwartet ungünstig ausfallen. Nack „Reuter" und anderen „rosig angehauchten" Berichterstattern bieß eS bereits, daß die Anmeldungen dec loyalen Colonistcn zum freiwilligen Kriegsdienste bis beute 'ckon zwisckeu 6000 und lO 000 be trügen, während in Wirklichkeit knapp 800 Mann thatsäck- lich neu angeworben worden sind. Der patriotische Eifer der Colonisteu ist eben in Folge des rapiden Vordringens der Boeren stark abgekühlt worden, und man scheint lieber abwarten zu wollen, wem das KriegSglück günstig sein wird, den Briten oder den Boeren. So nimmt man renn in London seine Zuflucht dazu, das Mutterland selbst noch einmal zn den Waffen zu rufen, aber auch dies geschieht anscheinend ohne Erfolg. Un;er Londoner Berichterstatter meldet uns: k. London, 16. Jannar. tPrivattelcgramm.) Das Krirgsminiftcrinm crlä,;t cinrn Aufruf zur Anmeldung von 5000 Frei Willi gen für den Transvlintkrlcg nutz verspricht Sic günstigsten Brdingnngcn. Der Avp.U wirS jedoch allseitig Wege» Rriegsniüdigtkit ungünstig aus genommen. Misshandlung von Kriedenscommifsarenk Man schreibt unS aus London: „Christian De Wet erbringt einen neuen Beweis, wie ernst cs ibm mit der Fortsetzung des Krieges ist. Die in Pretoria sehr geräuschvoll ins Leben gerufene „Friedenscommission der Boeren", die sich der lebhaftesten Protection deS englischen Oberfeldberrn erfreut, balle drei D<-e- airte in daS z. Zt. in der Nähe von Krvonslad befindliche Lager des „Schwarzen Christian" entsandt, um diesen von den Segnungen des Friedens unter britischer Oberhoheit zu überzeugen und ibn zur Aufgabe deS weiteren Widerstandes gegen eie sieghaften britischen Waffen zu veranlassen. Christian nahm diesen Scherz aber sehr ungnädig auf, und behandelte die thörichteu FriebcnScommissarc nach Verdienst, indem er sie vor versammeltem Kricgevolke mit dem S ja m bock durchpeitschen ließ und dann zum Lager binauojagte, wo sie noch die freundliche Mahnung mit auf den Weg bekamen, sich und ihre Auftraggeber doch endlich davon zu überzeugen, daß Christian De Wet und seine Mannen mit „Kitckener'schen Prätorianern" und ihren unwürdigen Vorschlägen nichts zu thun haben wollen. Kilchener meldet, daß De Wet einen der drei Abgesandten, weil er britischer Abkunft gewesen sei, nach dem Durchpeitschen habe er schießen lassen, was natürlich '-er Aufklärung ober Be gründung noch entbehrt. Die letztere Hinzufügung macht unS die ganze Meldung verdächtig. Es hat vielmehr den Anschein, als sei die Nackrickt von der Mißhandlung der Eomm ssare von eng lischer Seite in die Welt gesetzt, um den Gegnern der Ver- söbnungspolitik den Anlaß zu geben, eine energische Fort setzung des Krieges zu verlangen. Der Boerenführcr Hertzog. Der durch seinen kühnen Vormarsch m die Capcolonie so schnell berühmt gewordene Boerenführer James Hertzog stammt von deutschen Eltern, welche in dec Mitte des vorigen Jahrhunderts nach Südafrika auswanderten. Er wurde 1859 in Wellington geboren, unweit der Stadt Worcester, wo kürzlich der große Afrikandercongreß tagte und die Erhebung aller Cap holländer gegen die britische Herrschaft beschlossen wurde. Der junge Hertzog besuchte die besten Schulen in Capstadt und ging darauf nach Europa, um an der holländischen Universität zu Leyden und in Heidelberg die Rechte zu studiren. In Amsterdam veröffentlichte er vor 18 Jahren ein bedeutendes Werk über internationales Recht mit Bezug auf die Stellung der Boeren- staaten. In Südafrika war er als Rechtsanwalt thätig, und zwar in der Capcolonie, im Freistaat und in Transvaal; sehr großen Anhang aber hat er in seinem Heimathsbezirk gewonnen, weshalb er auch vor Allem befähigt war. den ersten Einfall in die Capcolonie zu leiten. Er spricht Deutsch so fließend wie Hollän disch; ebenso beherrscht er das Englische in Wort nnd Schrift. Oie Wirren in China. * Loudon, 16. Januar. Der „Standard" berichtet aus Shanghai unter dem 15. Januar: Der Gouverneur von Schantung, Juanschikai.hat Befehl erhalten, sich nach Peking zu begeben und an den Friedensverhand lungen theilzunehmen. Man glaubt, er werde dem Befehl nicht folgen. * Petina, 15. Januar. („Reuter's Bureau".) Fran zösische Ei senbahningen teure ließen gestern in die westliche Stadtmauer eine Bresche legen, um durch diese die Bahnlinie von Paotingfu in die Chinesen stadt hineinzuführcn. Die von Tientsin kommende Linie soll bis an die Umwallung der Tartarenstadt geführt, und der Bahn hof vor dem Wasserthore, durch das die Engländer seiner Zeit eindrangen, errichtet werden. — Die Commission für Vertheidi- gung der Gesandtschaften, die aus militärischen Sachverständigen besteht, berieth über Maßnahmen, um die Bestimmungen der Elansel 7 der gemeinsamen Note über die ständigen Ge- fanot schaftswachen und die Befestigung des diplomatischen Viertels durchzuführen. Politische Tagesschau. Leipzig, 16. Januar. Zwischen der Länge und der tbeilweisen Heftigkeit der gestern im Reichstage und im preussische» Abgeordneten hause gefübrlen Debatten einerseits unv der Frucht dieser Redelurniere besteht ein großer Gegensatz. „Herausgekommen" ist auS den gestrigen Verbanklungen beider Körperschaften so gut wie gar nichts. Im Reichstage, wo die Inter pellation des Centrnms wegen des in Köln vorgekommenen inquisitorischen Verfahrens gegen zur OsficierSwahl gestellte Personen wegen ihrer Stellung zur Duells rage auf der Tagesordnung stand, war dies eigentlich zu er warten. Es ist zweifellos, daß ein Verfallen, wie es die Interpellanten behaupteten, im Widerspruche stebt mit der CabinelSordre vom 16. Juli l895. Aber cS ist auch zweifel los, daß der preußische Kriegeminister in solchen Fällen in seiner Macht beschränkter ist, als z. B. sein College der Minister deS Innern, der gegen alle Beamten seines RessorlS, die gegen ihre Pflicht verstoßen, direct einschreiten kann. Der preußische Kriegsminister ist nicht Vorgesetzter der Com- maudobebördcn in dem Sinne, wie der Minister des Innern Vorgesetzter der Oberpräsidien ist, und kann also Diejenigen, die über diese Behörden oder die ihnen untergebenen Stellen sich beschweren zu dürfen glauben, nur auf den Weg der Beschwerde bei der wirklich übergeordneten Instanz verweisen oder allenfalls versprechen, rem obersten Kriegsherrn die wiederholte Einsckärfung jener Cabinetsordre nabe zu legen Es war also von vornherein klar, daß auS dec Interpellation und ibrer Besprechung nichts berauskommen würde als ein Hinweis des KriegSministerS sowohl auf die Beschränkung seiner Machtbefugnisse, wie auf den geord neten Beschwerdeweg und die Versickerung, daß auf diesem Wege der kaiserlichen Cabinetsordre unbedingte Nackachiung werde; gesichert werden. Die ganze Sacke bätte also sedr rasch erledigt werten können. Daß dies nicht geschah, lag sowohl am Kriegsminister v. Goßler, wie an dem größeren Toeile der Redner. Ter Erstere betonte von vornherein nicht scharf genug, daß man von ibm nickt verlangen dürfe, was von einem anderen Ressortchef gefordert werden darf, und beging obendrein den Fehler, die sehr einfache Frage dadurch zu compliciren, daß er auf die ehrengerichtliche Verordnung, die nach Art. 6l der Reichsverfassung für da- ganze deutsche Reich in Giltigkeit sei, dinwieS und damit zu der Auswerfung der Frage Veranlassung gab, wie diese Ver ordnung zu jener Cabinetsordre sich verhalte. Er sagte im Anfang zn wenig und doch auch zu viel und gab dadurch Anlaß, daß ein Theil der Redner auS dem Hause nickt nur in ihren Anforderungen an ihn über daS Maß deS Berechtigten hinausging, sondern auch in die von ibm ohne Notb angeregte Frage sich verbiß. Diese blieb Frage und über den Antheil, den Herr v. Goßler an der durchgreifenderen Wirkung der kaiserlichen CabmelS- ordre nehmen kann, kam erst allmäblig Klarheit. Und damit war die Sache am Ende, zugleich aber auch daS Interesse deS HauseS, daS der weiteren Fortsetzung der EtalSberatbung nur in beschlußunfähiger Besetzung folgte. — Vom Ab geordnetenhause batte man weitere Klärung ter Frage über das Swick al der Canalvorlage erwartet. Aber weder der „böse Geilt" der früheren Vorlage, ded Adgeoidnet« Freiherr von Zedlitz, noch der Bundesbäuptling l>r. Hahn gingen recht mit der Sprache heraus. Und auf die Klagen der Polen erfuhr man sowohl vom Fmanz- minister l)r. v. Miquel, wie vom CuliuSminister Studt nur, daß die Regierung „fest" in der Abwehr bleiben werde; daß sie aber etwas zu tbun gedenke, um das angriffs lustige Polenthum in die Abwehr zu drängen, erfuhr man nicht. Ein sehr bemerkenswerther Gegensatz zwischen der Sacial- demotranc und den focialdrmokrattiqcu tSewertschatten ist so eben in Bezug auf die Beurtheilung wirthschaftlicher Krisen zu Tage getreten. Gerade in der letzten Zeit lassen sich die socialdemokratischen Agitatoren in Parlament und Presse es angelegen sein, das Nachlassen der wirthschaftlichen Hoch- conjunctur agitatorisch zu verwerthen. So schrieb z. B. der „Vorwärts" im vergangenen Jahre u. A.: „Während die Capitol.sten bei den ersten Zeichen der beginnenden Krise rasch, wenn auch mit Verlusten, ihr Geld au- den gesährdetrn Produclionszweigen durch schleunigen Verkauf ihrer Papiere reiten, ergießt sich die volle Schale des Unglück- über die srohndendrn Massen der Proletarier. Dafür haben sie während der Prosperität durch dir Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit in- Endlose ... für die Mehrung de- capitalistijcheu PiofitS sich anstrengen müssen. Jetzt rettet sich die Capitalistenclasie in den Hafen — möge« di« FeuiHetsn. isj Das neue Lahllproject. Roman von Paul Oskar Höcker. diaLdruck verboten. Irgend eine Zeile von seiner Hand, die auf seine Absicht, aus dem Leben zu scheiden, schließen ließ, war trotz eifrigen Suchens nicht zu entdecken. Auch Wcrthpapiere und Banknoten waren nirgends zu finden; und Schwändi entsann sich doch, daß ihn einer der Meister, die bei der Renovirung und Ausschmückung des Landhauses thätig gewesen waren, erst kürzlich darauf aufmerksam gemacht hatte: der Professor Hobe da in einer unverschlossenen Ca- fette, deren Deckel sogar offen stand, mehrere Tausend Francen in Papier und Gold liegen, und er pflege die Wohnung zu verlassen, ohne Thür und Fenster zu schließen. Seine Arbeiter, sagte der Meister, seien zwar ehr lich, und Unredlichkeiten wolle er Keinem von ihnen direct zu trauen; ober, wo die Versuchung so nahe gelegt wrrd« und eine nachträgliche Controlc vielleicht gar nicht recht ausführbar sei, halte er eS doch für angebracht, daß Herr Schwändi seinen Schwiegersohn zu größerer Vorsicht in diesem Puncte ermahne. Schwändi hatte sich damals mit dem Professor gerade ge zankt — die Orell'sche Bahnbausache fing eben an die ersten Trübungen hervorzurufen — und so unterblieb eine Aussprache über diese Angelegenheit. Zwylrr war in solchen Dingen, wie die meisten Gelehrten, »inesthrilS sehr vertrauensselig, andern- theilS zerstreut und vergeßlich. Zu seinem Verdruß konnte Schwändi nun also auS der Ab wesenheit jedes größeren WerthobjrcteS keine bestimmten Schlüsse ziehen; denn es war ja möglich, daß der Professor seine Baar gelder inzwischen doch auf irgend einer hiesigen oder auswärtigen Bank deponirt hatte. Die benachbarten OrtSbehördrn waren durch die Züricher Polizei von Zwhler'S verschwinden benachrichtigt worden. Als man in den nächsten Tagen bei Seefeld und gleich darauf bei Enge Ertrunkene landete, fuhr der Fabrikant sofort selbst hin, um dir Leichen zu recognosctren. Eine Identität war aber ganz ausgeschlossen. In größter Erregung brachte Anna mit ihrem Vater Vie ganze Woche hin, ohne daß auch nur die geringste Nachricht über ihren Verlobten zu ihren Ohren gedrungen wäre. Dis Ungewißheit über sein Schicksal peinigte sie noch viel mehr, als die Nachricht von seinem Tode sie hätte erschüttern können. Sie war eine ruhige, leidenschaftslose Natur; das düstere Ereigniß hatte aber doch mächtig auf sie eingewirkt. Und da waren es wieder verschiedene, ganz ungleichartige Motive, die ihrer Umwandlung zu Grund: lagen. Die Vorstellung, daß sie ihren Verlobten vielleicht nie wieder sehen werde, daß er unbestattet tief unten auf dem Grunds des Sees liege, zwang ihr Thränen des Mitleids und der Trauer ab — so kühl in den letzten Wochen, besonders in den letzten Tagen, sich das Derhältniß zwischen ihr und Arnold auch ge staltet hatte. Sie hüllte sich zwar nicht in Trauergewänder, aber sie ging dunkel gekleidet und schmucklos, ihr Antlitz war bleich, ihre Augen waren oft umflort. Dabei hatte man aber immer di: Empfindung, daß sie wisse: sie sei für die Züricher als „jung fräuliche Wittwe" nunmehr eine interessante Erscheinung. Aber manchmal stieg auch etwas wie Reue in ihr auf. Si: machte sich Vorwürfe darüber, daß sie aus reine: Gedankenlosig keit — oder höchstens, um ihrem Vater, der sich von Arnold so häufig gekränkt'fühlte, einmal beizustchen — an jener Versamm lung theilgenommen hatte. Sie verstand nicht, wie ein ausge wachsener, verständiger Mann sich derartig als „Principienreiter" aufspielen konnte. Wenn er nun doch einmal sah, daß sein Schwiegervater sich in geschäftlicher Verbindung mit Orell be fand, so hätte er ihrer Ansicht nach doch wohl „einen Pflock zu- rückstecken" können. Sie bedauerte jetzt, daß sie nach der Ver sammlung, in der es zu so peinlichen Scenen gekommen war, ihn nicht noch einmal eindringlich gesprochen halte, um seinen fanatischen Eifer zu dämpfen. Vielleicht wäre dann Alles anders gekommen. Wenn sie sich's recht überlegte, so drinüthigte und beschimpfte ein von Arnold etwa verübter Selbstmord Niemanden mehr und empfindlicher als sie, seine Braut! Entschuldbar wäre sein plötzliches Verschwinden doch nur, falls ein unvorhergesehener Unglücksfall ihn ereilt hatte. Eine Grausamkeit, die ihren Stolz tief verletzte und sie auch vor aller Welt gewissermaßen dloßstellte, lag dagegen vor, wenn er seinen Tod absichtlich herbeigesührt hatte, ohne auch nur ein einziges letztes AdschiedSwort für seine Braut zu haben!' Dieser letztere Umstand war «S auch, der den Empfindungen des alten Schwändi die Direktive gab. Ihm war Alles, was über daS Alltägliche hlnausaing, unbe quem und er nannte eS einfach überspannt. Diese leidige Ge schichte hatte seiner Ansicht nach schon gerade genug Aufsehen in Zürich verursacht. Daß daS Verschwinde« Zwyler'S in der ersten Aufregung von ihnen so an die große Glocke gehängt «vor. den war, das vergab er sich heute noch nicht. Jedes „Bretzel- bübli" auf der Straß: wußte jetzt um die Scanvalaffaire und — darin war er mit seiner Tochter einig — alle Welt mußte in dem Vorkommniß eine empörende Beleidigung erkennen, die der Professor ihm, dem Millionär, und seinem ganzen Hause zugrfügt hatte. Vorübergehend dachte Anna daran, die Stadt bis auf Wei teres zu verlassen, um den ewigen Anfragen zu entgehen, die Interesse, Mitgefühl und Neugier tagtäglich an sie gelangen ließen. Dem widersetzte sich ihr Vater aber ganz entschieden. Schwändi hatte sich seit seiner großen Weltreise nicht wieder auS Zürich fortgerührt. Er war zu bequem, Reisestrapazen auf sich zu nehmen, neue Eindrücke zu sammeln hatte er auch keine Lust, und Anna allein reisen zu lassen, war ihm erst recht nicht nach Wunsch, denn er hätte ihr doch Fräulein Hubinger anstandshalber mitgeben müssen, nnd dann wäre er um manche Bequemlichkeit in der Führung des Haushalts gekommen. Es kam hinzu, daß ihn in diesem Winter sein altes Gichtleiden wieder plagte. So ward Anna ihr Wunsch also versagt — wie stets, wenn mit dessen Erfüllung von Seiten ihres Vaters ein Opfer verknüpft ge wesen wäre. Aber daß dem Hin- und Hergerede der lieben Mitbürger ein End« gemacht werden müsse, das sah er — auf Anna's Vor stellungen hin — schließlich ein. Denn da und dort erzählt: man schon die abenteuerlichsten Märchen über daS tragische Er- rigniß. Schwändi erschien also eines TageS in der Officin dir größten Druckerei Zürichs und gab den von ihm selbst verfaßten Text eines öffentlichen Aufrufs in Druck, der an allen Ecken drr Stadt angeschlagen unv in dem Jnseratentheil sämmtlicher Zei tungen ausgenommen werden sollte. „1000 Fr. Belohnung. Seit dem 14. December ds. IS., Abends 8 Uhr, ist der Prakcssor drr Geodäsie Or. Arnold Zwhler aus Zürich ver schwunden, ohne daß irgend welche Anhaltspunkte für seinen Ver bleib vorhanden wären. Es liegt die Vcrmuthung nahe, daß er das Opfer eines Unfalls oder eines Verbrechens geworden ist. Da der Vermißte durch anstrengend: Geistesarbeit hochgradig nervös geworden war, ja, verschiedene Anzeichen darauf hin deuten, daß eine plötzliche Gcistesumnachtung den Unglücklichen ergriffen hat, so ist auch Li: Möglichkeit eines Selbstmordes nicht ausgeschlossen. Wer über den Verbleib de» Vermißten Angaben zu machen weiß, die zu seiner Auffindung beitragen, erhält obige Be lohnung." Unterzeichnet war dieser Aufruf mit Schwändi'S vollem Namen. Unter der Bekanntmachung befand sich eine genaue Personalbeschreibung des Professors. Anfragen, Meldungen, Berichte liefen jetzt in noch größerer Anzahl ein; aber eine Mittheilung, die Licht in die dunkle An gelegenheit gebracht hätte, befand sich nicht darunter. Schwändi gab es schließlich auf, noch eine Klarlegung zu er« hoffen. Die Verhandlungen mit dem Bund in der Bahnbau sache nahmen sein Interesse auch mehr und mehr in Anspruch. Orell war sein täglicher Gast — und in seiner Gegenwart ward über den Todten nicht gesprochen. So verging Weihnachten — und daS neue Jahr brach an — ohne daß sich das Geheimniß, das mit dem Tode LeS Un glücklichen verbunden schien, aufgeklärt hätte. VHI. Uever Luzern brachte der schwachbesetzte Frühzug die Ge schwister Grimm bis Meiringen. TheilS mit der Post, theilS zu Fuß, theilS auch auf mit Maulthieren bespannten Karren, auf denen ein mitleidiger Wirth oder Bauersmann sie mitnahm, gelangten sie von da über Im-Hof und Guttanen zur Grimsel. Das Spital, dessen ärmliche Bretterzellen den Sommer über vielen Hunderten von Touristen Unterkunft geboten hatten, war gänzlich eingeschneit. Die Geschwister hatten Mühe, sich in der längst hereingebrochenen Finsterniß des sternlosen Abends zu rechtzufinden. Die Kälte raubte ihnen in den uirwirthlichen. Quartieren dann aber trotz der überstandenen Strapazen und deS heiß genossenen Weinet noch stundenlang den Schlaf. Gerädert, ermüdet, klappernd vor Frost, traten sie in der Frühdämmerung des andern TageS Li« Wanderung von Neuem an. Den Lauf des an den Ufern vereisten AarfluffeS aufwärts verfolgend, gelangten sie bi- zum Trübtenbach, an dessen linkem Ufer sie sich von da an halten mußten. I« höher sic kamen, desto eisiger ward dir Luft. Der Schnee lag auch auf dem sonst durch den Briefträger und die Botenfrau einigermaßen festgetretenen Fußpfad seine vier Handbreit hoch. Ringsum bedeckte da» gleichmäßige, starre, Weiße Leichentuch die gebirgige Landschaft. Der Fichtenwald, dessen im Morgenlicht röthllch schimmernd« Stämme am unteren Lauf deS Trübtenbache» dem todten Bild noch eine hübsch« Farbennuance gegeben hatten, lichtete sich mehr und mehr. Auch die einzelnen Zwergtannen verschwanden. Nur Legföhren, Gestrüpp von Alpenrosen und an senkrechten Wände« sichtbar tvrrdrndeS verkümmerte- Gra? bedeckten — sofern «ich*
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