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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010122028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901012202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901012202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
- Tag1901-01-22
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Die chinesischen Zeitungen sind jetzt mit bluttriefenden Schil derungen der Schandthaten der Verbündeten in Peking angefüllt, die vielleicht keinen großen historischen Werth haben, aber nichts destoweniger für die Chinesen eine getreue Darstellung dieser „barbarischen Invasion" bedeuten, welche bis in ferne Gene rationen erhalten bleiben und für Hunderte von Jahren als gruse lige Geschichte für Kinder im Reiche der Mitte Verwendung finden wird. Das Blatt „Tung-Wen-Hu-Pao" ist ganz besonders pro ductiv in diesen schauerlichen Schilderungen und constatirt aus drücklich, daß es weder Zeit noch Mühe gespart hat, um alle In formationen sorgfältig zusammen zu tragen und zu veröffent lichen. Es widmet diesem Gegenstände eine ganze Reihe von Leit artikeln, die mit einer geradezu lustigen Gleichgiltigkeit und Leichtherzigkeit Alles und Jedes zu Papier bringt, ganz einerlei, ob die verschiedenen Schilderungen und Thatsachen sich im krassesten Widerspruch befinden oder nicht. Von allen „Schand thaten", deren sich die Verbündeten in Peking schuldig gemacht haben, hat die „Grausamkeit" den Durchschnitts-Chinesen am meisten verblüfft und entsetzt, mit welcher chinesische Edellcute und hohe Beamte, ja selbst Prinzen von königlichem Range ge zwungen worden sind, manuelle Arbeiten zu verrichten. Tie bittersten Vorwürfe werden auf die Häupter dieser unglücklichen Würdenträger gehäuft, weil sie nicht den Muth sanden, sich lieber selbst das Leben zu nehmen, als sich einer solchen entwürdigenden Degradation zu unterziehen, denn in echt chinesischer Philosophie wird der ganz correcte Schluß gezogen, daß eine solche Erniedri gung nicht nur die schwachmüthigcn Größen des Landes allein treffe, sondern auf daä ganze hochcdle Staatswesen zurückfalle. Es ist interessant, bei dieser Gelegenheit zu erfahren, daß ein hoher Mandarin und früherer Superintendent der kaiserlichen Seidenfabriten gezwungen wurde, bei gewissen Schanzarbeiten Erde zu tragen, und daß dieser um Leven und Gesundheit be sorgte Beamte mit größter Seelenruhe sich seiner gestickten Staatsroben entledigte, seine Aermel aufrollte und sich mit sol chem Eifer an die ungewohnte Arbeit machte, daß die „fremden Teufel" ihn bald oarauf zur Belohnung wieder laufen ließen. Der Prinz dritten Ranges I - Hu war weniger glücklich: er mußte für französische Soldaten Kleider waschen und Waffen putzen und wurde dabei so schlecht behandelt, daß er sich gleich am zweiten Tage seiner Gefangenschaft mit einem europäischen Hand tuch erdrosselte, was ihm von dem Zeitungsschreiber hoch an gerechnet wird. Andere hohe Beamte und adelige Herren, die in dem ganzen verweichlichenden Luxus und Ueberfluß der chine sischen Aristokratie in Ehren grau geworden waren, mußten Tage lang die widerwärtige Arbeit des Begrabens von bereits halbverwesten Leichen besorgen, und die europäischen Soldaten scheinen somit, wahrscheinlich meistens in Unkenntniß des hohen Ranges mancher ihrer Gefangenen, in geradezu schneidiger Un parteilichkeit bei der Vertheilung der erforderlichen Arbeiten vor gegangen zu sein. Es heißt da weiter, daß einige Mandarinen, die glücklich genug waren, ihren Quälgeistern zu entkommen, sich persönlich an den alten Vicekönig Li - Hung - Tschang wandten und ihm ihr« Beschwerden und Klagen vortrugen, ohne daß 2e. Excellenz jedoch im Stande gewesen wäre, den gedemüthigten Staatswürdenträgern irgend welche Genugthuung zu verschaffen. Andere Chinesen der oberen Classen, denen 'es bisher ver gönnt war, von einem ähnlichen grausamen Geschick verschont zu bleiben, haben dafür sonstige Leiden auszustehen gehabt. Wir lesen da im „Tung - Wen", daß es in der kaiserlichen Haupt stadt Peking etwas ganz Alltägliches sei, junge und alte Manda rinen jeden Ranges an den Straßenecken stehen zu sehen, wo sie versuchen, ihre sonst so hochgeschätzten und viel begehrten cfficiellen Knöpfe in Geld umzusetzen, mit anderen Worten also zu Bettlern herabgesunken sind. Ein ganz krasses Beispiel von der plötzlichen Verarmung dieser sonst im Ueberfluß schwel genden „Edelsten der Nation" bildet der frühere Präsident der kaiserlichen Strafgerichte, Schung-Li. Dieser gewaltige Herr war vor dem Ausbruche der Feindseligkeiten der stolze Besitzer von mehr als 3000 vollständigen Costümen. Nach dem Ein dringen der Alliirten in Peking verschwand diese glänzende Garderobe so vollständig, daß der arme Schung-Li sich den Rock eines gemeinen Soldaten leihen mußte, bevor er im Stande war, dem gerade eingetroffenen Li-Hung-Tschang seine Aufwartung zu machen und seine Beschwerden vorzutragcn. Diese und ähnliche, natürlich mehr oder weniger-übertriebene Geschichten erscheinen dem Ausländer meistens hoch amüsant, für den Chinesen aber sind sie außerordentlich tragisch. Die Thatsache, daß ein Prinz des kaiserlichen Hauses Lastträger spielen oder Schanzgräben aufwerfen muß, ist für das chinesische Gemüth viel fürchterlicher und macht einen bedeutend schärferen Eindruck, als wenn tausend arme Teufel enthauptet werden und von Hunden zerfressen an der Landstraße Herumliegen. — Zum Ueberfluß wird von dem chinesischen Reporter noch eine ganze Anzahl anderer und viel ernsterer Geschichten erzählt, die sich nicht einmal leicht in der Umschreibung wiedergeben lassen und denen man als Europäer jedenfalls so lange keinen Glauben schenken kann, als sie nicht besser verbürgt worden sind. Es ist aber gleichgiltig, ob sie wahr oder unwahr sind, — sie sind ein mal gedruckt und damit der großen Mehrzahl der chinesischen Bevölkerung bekannt gegeben, die sie natürlich von A bis Z glauben und entsprechend weiter verbreiten. Der Effect ist leicht auszurechnen: die Furcht vor den „fremden Teufeln" ist eine allgemeine, und dem Ausländer wird zweifellos auf viele Jahre hinaus ein übertriebener Respect, wenn auch widerwillig, be zeugt werden. („Berl. Börs.-Ztg.") Der Krieg iu Südafrika. Vom Kelcgsschanplntz in Transvaal. Daß die Beeren reichlich mit Lebensmitteln und Munition versehen sind, sagt auch Hauptmann O'Flabertv von Kitchener'S Leibgarde, der in der Nähe von Linvleh bei der Farm Piet De gefangen genommen, durch die Bezirke von Reitz, Bethlehem, Harrismilh und Vrede als Gefangener von einem Commando zum andern geschleppt und schließlich in der Räbe von Standerton wieder freigelassen wurde. Er zählte iuSgesamnit fünf verschiedene Eommandoö von zusammen nur 1500 Mann. Nach seinen Mittheilungen sind die Boeren guten Muthes, hoffen den Krieg noch Labre lang so weiterfübreu zu können und erwarten, daß die Engländer des KampieS schließlich müde werden, da er ihnen unverbältnißmäßig schwere Kosten auferlegt. Sie sollen ihre Kinder als Kundschafter nnd Wach posten auf KopjeS benutzen und ihre Patrouillen vollständig nach dem Muster der berittenen Infanterie der Briten gekleidet haben. Ein anderer Gefangener von Lindley behauptet, De Wel's Leute beständen meistens aus Fremden; das dürfte kaum zutreffen. Man ersieht aus diesen Schilderungen von Eng ländern, daß der ganze Nordosten des Freistaates unbestritten in den Händen der Boeren ist, obgleich ibre Eommandos nur gering an Zahl sind. Es sei hier noch erwähnt, daß nach englischen nichtamtlichen Meldungen De Wet sich nach Transvaal begeben haben soll, um mit Louis Botha zu sammenzutreffen, der bei Ermelo mehrere EommandoS, zu sammen etwa 8000 Mann, gesammelt haben soll. Unmöglich wäre daS nicht, doch bedarf die Meldung der amtlichen Be stätigung. Heute wird unS berichtet: * London, 21. Januar. DaS „Reuter'sche Bureau" meldet ans Johannesburg vom heutigen Tage. Der De Wet, welcher sich kürzlich iu Transvaal mit Botha vereinigte, ist nicht der General De Wet. Man glaubt, daß Letzterer sich »och immer im Oranje-Freistaat aufhalte. Biel ist auf diese Meldung auch nicht zu geben. Sie zeigt wieder, daß die Engländer die Fühlung mit De Wet gänzlich verloren und keine Ahnung haben, wo er steht — Ziethen auS dem Busch! Lm südwestlichen Transvaal ist Zeerust noch immer blockirt und wartet sehnsüchtig auf Entsatz. Unter der Be satzung würdet eine schwere Lungenkrankheit; auch die Pferde krankheit ist ausgebrochen. AuS der Eapcolonie ist immer noch nicht viel Neues zu erfahren. In Matjesfontein sind einige Gefangene von Sutherland eingebracht worden. Metbucn, der se'n Hauptquartier' jetzt'iu Brijourg bat, rückte am 12. aus und begann eine Operation nach Süden durch den Bezirk Taungs, am 13. hatte er ein Gefecht bei den Kaapbödcn westlich von Taungs, am 14. trieb er Delarey, der hier plötzlich mit einem Eommando von etwa 1000 Mann auftauchte, südwärts; er hatte dabei 2 Todte und 5 Ver wundere. politische Tagesschau. ' Leipzig, 22. Januar. Die E t a t S b e r a t h u n g des Reichstags ist gestern trotz fünfstündigen Redens wieder nicht fortgeschritten; heute wird die Debatte über den Gehaltstitel des Staatssekretärs des Innen: zum siebenten Male ausgenommen werden. Es ist begreiflich, daß diese Debatten nachgerade vor fast leeren Bänken stattfinden, enö -hr Ergeoniß ist ein -o dürftiges, daß man eS der Mehrzahl der Mitglieder des Hauses kaum verdenken kann, wenn sie ibre Zeit besser als zum Änhören langweiliger Variationen über ein abgedroschenes Thema verwenden zu dürfen glauben. Wir wür den auf die gestrige Sitzung auch gar nicht zurückkommen, wenn nicht dec socialdemokratische Abg. Heus einen vom „Vorwärts" veröffentlichten, vom 7. Juli 1896 batikten Brief des Geschäfts führers des Centraloerbandes deutscher Industrieller Bueck an den damaligen Vorsitzenden des Verbandes, Reichsrath v. Haß te r, zur Sprache gebracht hätte. Da von diesem Briefe voraus sichtlich noch öfter die Rede sein wird — vermutlich auch im preußischen Avgeordnetenhause —, so sei das Wesentlichste aus ihm mitgetheilt. Am 27. Juni 1896 war bekanntlich Herr v. Berlepsch als preußischer Handelsminister durch Herrn Brefeld ersetzt worden, mit dem Herr Bueck bald nachher eine Unterredung hatte, lieber diese berichtet Herr Bueck nach einer Erörterung persönlicher Art folgendermaßen: Tatz wir endlich doch Herrn v. Berlepsch klein be kommen haben, hat mich auch mit Befriedigung erfüllt; Ihrem Wunsche, über de» neuen Haudelsminister etwas zu hören, komme ich, soweit ich dazu im Stande bin, in Folgendem nach. Zunächst mein persönliches Verhältnis zu demselben betreffend, so kenne ich Herrn BreselL nicht nur von rMner sechsjährigen Thätigkeit iw Staats-Eiscnbahnamt (?), dessen Vorsitzender er war, und Abge ordneter, sondern ich bin auch in gesellschaftlicher Beziehung mit ihm im Verkehr gewesen. Brefcld und mein Schwiegersohn Cruse sind nämlich alte Jugendfreunde, B. ist bei der Hochzeit in meinem Hause gewesen und ich bin häufig bei Cruse mit ihm zusammen gewesen, wo wir freundschaftlich mit einander verkehrt haben. Meine persönlichen Beziehungen zu dem neuen Handelsminifier sind dem nach gut und ich empfand dies auch bei einem ihm gestern abge- stattcten Besuche. Ich wurde sehr freundlich empfangen und auf meine Anrede, daß ich gekommen sei, um meine Glückwünsche abzu statten und dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß das Handels ministerium mit dem Centralverband freundliche Beziehungen unter halten möge, erwiderte er, daß, soweit seine Person dazu beizutragen in der Lage fei, dies der Fall sein solle. Er fuhr dann fort, daß er allseitig auf große Nachsicht würde rechnen müssen, denn wenn er vorher hätte übersehen können, auf wie vielen Gebieten seweS Ressorts ihm die nothwendige Erfahrung und Kenntniß fehle, so würde er noch größere Bedenken gehabt haben, das Amt zu über nehmen; unter den Schwierigkeiten schien er auch zu verstehen, daß, wie er sagte, „ein gewisses Abweichen von dem bis her i g e n S Y st e m mit zu seiner Aufgabe gehöre«; damit war mir der gewünschte Anlaß gegeben, die bisherige Richtung des Handels ministeriums in den socialpolitischen Fragen in die Besprechung zu ziehen, worüber wir uns etwa Stunde unterhalten haben. Ich nahm keinen Anstand, zu erklären, daß die Ablehnung des im Uebrigen ganz vernünftigen Handelskammer-Gesetzes hauptsäch lich gegen die weiteren Pläne des Herrn v. Berlepsch gerichtet gewesen sei, und zwar hauptsächlich gegen die von ihm geplante Organisation der Arbeiter. Die Gefährlichkeit dieser extremen Maßregel erkannt« er vollkommen an. Ich setzte eingehend den Standpunct des Central verbandes zur socialpolitischen Gesetzgebung auseinander, betonte, daß wir dieselbe thatkräftig unterstützt und gefördert haben, be zeichnete aber auch die Puncte, in denen man unseres Erachtens bereits zu weit gegangen sei. Die Stellung des Herrn Brefeld läßt sich nun etwa wie folgt charakterisiren. ?rimc> loco ist er von der Ueberzeugung durchdrungen, daß sich die Lage der arbeitenden Elaste gegen früher ganz außerordentlich gebessert habe, daß sie als eine vollkommen befriedigende bezeichnet werden müsse, und daß die oon gewisser Seite ausgehenden Klagen über die traurige Lag« der Arbeiter ein Unfug sei. Daher sei er dafür, jetzt in dem Lause der socialpol.lischcn Gesetzgebung mehr Ruhe eintrcten zu lassen, und das sei auch die Ansicht des Kaisers. Dabei unterließ er nicht, Lohmann als den zu bezeichnen, der, von weitgehenden socialistischen Ideen besangen, wohl das treibende Element in der bisherigen Richtung gewesen sei und um so mehr habe durchdringen können, da Berlepsch, vielleicht nur in Folge der Bewegung zur Zeit, als er in das Amt eintrat, sich vollständig geistesverwandt mit Lohmann erwiesen hat. Ich schicke voran, daß Brefeld mit Loh mann sehr befreundet ist und auf „Du" mit ihm steht. Herr Brefeld schien mich bezüglich des genannten Herrn mit der Be merkung beruhigen zu wollen, daß Lohmann, mit dem er voraussicht lich oft in Meinungsverschiedenheiten fein werde, doch nachgiebt, wenn er sich bei seinem Ches einem ernsten Willen gegenüber be finde; auf diese Eigenschaft Lohmann's habe ihn auch schon Berlepsch aufmerksam gemacht, und auch er habe bereits Gelegenheit gehabt, sie zu erkennen. Im klebrigen gilt Brefeld als ein ruhiger, ernster Mann mit festem Charakter und festem Willen, und so weit ich die Sache zu übersehe» vermag, können wir mit dem Tausch wohl zu frieden sein. Wir schieden, ich möchte fast sagen, in freundschaftlicher Weise, er ersuchte, auch ihm im gegebenen Falle mit Rath und That zur Seite zu stehen und stets zu ihm zu kommen, wenn wir irgend etwas haben. Was nnn den BundderJndustriellen betrifft, so bitte FrnrHeton i8j Das neue Lahnproject. Roman von Paul Oskar Höcker. Nacbkruck »ubolcn. „Fünf Tage hintereinander hackten, gruben und schaufelten wir. Ein tiefer Schacht klafft nun im Eise. Und jedem An hänger Orell's, der meine Einwendungen engherzige Äuße rungen vom grünen Tisch her nannte, steht cs frei, hier herauf zu wallfahrten und sich zu überzeugen mit eigenem Augenschein, ob Jener oder ich Recht hatte! „Das Werk ist gethan. Alles, was ich besaß, ließ ich den unerschrockenen Gehilfen. Sie haben die Ruhe und ihren Lohn reichlich verdient nach solcher Winterarbeit. „Während der Schneesturm hier oben sein Unwesen treibt, Steinschlag über den Firn rollt, und ein furchtbares, dichtes, erstickendes Leichentuch sich um alle Glieder der starren Alpen riesen schlingt, sitzen die Getreuen da unten in ihrem armseligen, «ingeschneiten Gebirgsdörflein und stoßen an auf das Wohl ihres seltsamen Bauherrn: „Verrückt wird wohl die Mehrzahl der Braven daS gehcim- nißvolle Werk und seinen Schöpfer gefunden haben? Was thut'S? Ich hab' erreicht, was ich wollte. „Anna Schwändi hat es nun in der Hand, mein Andenken und meine wissenschaftliche Ehre zu retten — falls sie's über sich vermag, den Vortheil ihres Vaters nutz damit den eigenen preiizugeben. Sie wähle. „Der Sturm hat sich gelegt. Aber noch immer währt der Steinschlag fort. Ich höre ihn donnern und dröhnen. Möglich, daß eine der unheimlichen Lawinen die Hütte aus dem Fels«', hebt und sie m Lieser Nacht noch in den grausigen Abgrund schleudert. Dann wird auch dieser Bries unter einer Schneelast begraben, die vielleicht erst nach Jahrzehnten unter den Strahlen einer heißen Iulisonne ins Schmelzen gcräth. „Ich werde es nie erfahren, ob Du ihn zu lesen bekommst, Elisabeth. „Dennoch lege ich hier meinen letzten heißen AöschieoSgruß für Dich nieder. „Das Schicksal hat uns getrennt; nno was daS Schicksal nicht that, um uns unglücklich zu machen, das thaten wir selbst. Es irrt der Mensch, so lange er strebt. »Msik e- .dl-ußvl stiller geworden ist, so weroe ich vor di: Thür treten. Vom Erdaufwurf an der östlichen Seite der Hütt: vermocht' ich an klaren Tagen ost über ein wunderliches FelS- gewirr hinweg tief, tief unten im Thal ein Holzkrenz zu erkennen; cS war das Thurmkreuz des kleinen Kirchleins von Wängli. Vielleicht scheint der Mond so klar, daß ich's mit dem Fernrohr auch jetzt in der Nacht erkennen kann. Dem Holzkreuzlein trag ich meinen letzten Gruß für Dich auf. Dann lösch ich das Licht. „Und morgen in aller Frühe wandre ich noch einmal — ein letztes Mal — zur^Brandeisspihe. Ob ich sie in den Schnee massen, die heule Nacht medecgegangen sind, finden werde, ich weiß es nicht. Nur das eine weiß ich, daß meine «pur hie: im Hochgebirge verweht sein wird für immer uno ewig, sobald ich diesen Brief geschlossen uns die Hütte verlassen habe. „Lebe wohl, Elisabeth. Du warst mir viel in meinem Leben —> warst das einzig warme Lichtlein, das meinen düsteren Dornenpfad «rhellte. Du hättest meines Daseins ganze Sonn sein können, wenn — wir beide die Prüfung des Schicksals besser bestanden hätten! „Hab' ich Dir weh gethan mit diesen Zeilen, so verzeih dem Armen, dem unsagbar Unglücklichen, der sich so heimlich aus der Welt wegschleichen muß. „Und flicht in Dein Gebet eine Füroiite ein für die irrende Seele Deines Freundes!" .... Vie: Uhr Morgens . . . „Wie die Stunden schleichen!" stöhnt Arnold Zwylcr. Er hat vergebens versucht, Schlaf zu finden. Immer wieder schreckt ihn die Vorstellung an das empor, was vor ihm steht. Sterben sollen! So jung noch —-und schon von hinnen scheiden müssen! Er zündete Licht an und holte die Bibel, dle dort in dec Ecke der Hütte auf der Samariterkiste liegt. Die Stirn in die eisigen, zitternden Hände pressend, liest er. Aber waS da geschrieben steht, bringt ihm keine Erquickung. Die Sünde an Gott, die er plant, rückt nnr um fo deutlicher vor sein Gewissen. Sein Haupt sinll endlich aufs Buck, nieder. Er- schütttert weint er seit vielen, vielen Jahren zum ersten Mal wieder. Plötzlich schreckt ihn ein wimmernder Laut empor, der eine andere Klangfarbe hat, als das heulende Pfeifen und Klirren deS an den Eisendrähten rüttelnden Windes. Wie «ine menschliche Stimme klingt es — wie oaö Weinen eines Kindes. Mächtig greift ihm der Ton ans Herz. Er hat sich schon so fern aller Gemeinschaft mit lebenden Wesen gewähnt — hak' ge glaubt, das letzte Mal zu Menschen gesprochen, Menschen in Auge gesehen zu haben, als er von seinem treuen Gefährten, dem alten Wurmspach, Abschied nahm. WaS bedeutet nun dieses Wimmern und Klagen? Rauschend geht wieder Sieinschlag nieder. Lange hallt daS Surren des über die Hänge fließenden Moränenschutts nach. Dann wird'S wieder still — aber der Wind ist stärker geworden, und das Geklirr des schweren Materials, von dem die Hütte er baut ist, mischt sich in das Brausen und Klagen der Winds braut, so daß der matte Laut von vorhin übertönt wird. Wieder läßt sich der Einsame vor der Bibel nieder und beginnt zu lesen. Da erklingt abermals der Hilfeschrei. Nun läuft es ihm eisig kalt über den Nacken. Er fährt em por. Ohne Zweifel ist da cin Mensch in Gefahr. Er muß suchen, ihn zu retten. Nacht ist's draußen. Zwischen jagenden schwarzen Sturm wolken blitzt die Sichel des Mondes hervor. Oben vom Brandeis rollt der Steinschlag hernieder — die ganze Platte, auf der die Hütte steht, «inhüllend in den feinen weißen Schneestaub, der durch den Luftdruck von den Firnhängen mit herabgewälzt wird und hier einen wilden, wirren Tanz aufnimmt. Arnold muß sich an der Thür festhalten, so zerrt der heulende Sturm an ihm. Mit großen, starren Augen blickt er rundum aus. Dann ruft er. Sein Name tönt zurück. Er glaubt nicht recht gehört zu haben. Seine erregte Phan tasie muß ihn narren. Denn Keiner weiß hier, wer ec ist und wie er heißr. Absichtlich hat er die Leute ja über seine Person im Unklaren gelassen. „Arnold!" vernimmt er noch einmal aus ermatteter Brust. Es giebt keinen Zweifel mehr, sein eig'ner Name ist's, den der Fremde da ruft. Es muß ein Knabe sein, der Stimme nach zu urtheilcn. Er denkt sofort an Wurmspach's tapfern Sohn. Doch nein, es liegt ein weiblicher Klang in dem Ruf. Wenn er nur sehen könnte, wo die Ruferin sich befinde:. Ringsum lieg! Schnee. Während die Wolken sekundenlang die Mondsichel freigeben, treten die weißen Schncefelder in schim mernde, blendende Beleuchtung. Doch nirgends ist ein mensch liches Wesen zu entdecken. Aber da — in dem lcsselariigen Einschnitt, durch den der Steinschlag hinabsaust — bewegt sich dort nicht etwas? Ja, dicht unter dem Rand Les Couloirs, auf einem altan artigen Vorsprung, wie angeklebt an den Felsen, kauert ein: Gestalt. Sie muß ihn bemerkt haben, denn sie hebt die Arm: zu ihm empor. „Barmherziger Gott!" schreit er plötzlich auf, denn in diesem Augenblick sieht er dicht über dem Rand des CouloirS eine polternde, stäubende Ladung Geröll und Moränenschutt an kommen. Noch eine Secunde, und sie muß die Ruferin getroffen und mit in die Untiefe gerissen haben. Doch nein — der Steinschlag geht über sie weg. Sie be findet sich im todten Winkel des Felsabsturzes — wenigstens vor dieser Gefahr scheint sie gesichert. Aber wie lange mag die Unglückliche dort schon ausgehalten haben? Wie kam sie überhaupt dahin? Wollte sie zu ihm? War es das Weib, die Tochter eines seiner Arbeiter? Und war vielleicht unten ein Unglück geschehen — wollte man seine Mild- thätigkeit wieder in Anspruch nehmen? Die Armen, Betrogenen, die bei ihm noch Reichthllmer vermutheten. .... Arnold war sofort in die Hütte zurückgestürmt, um den Eispickel und das lange Seil zu holen. Wenn ihm auch daS eigene Leben nichts mehr galt, — das seiner Mitmenschen schätzte er höher ein. Und seine Versündigung an Gott war vielleicht ge ringer, wenn er mit einem guten Werke aus dem Dasein schied. Die Stelle, an der die Unglückliche kauerte, war überaus schwierig in Angriff zu nehmen. Am Rand entlang dahin zu gelangen, war des Steinschlags wegen ganz und gar ckllsge" schlossen. Man muhte sich vielmehr einen Weg im Kouloir selbst zu bahnen suchen. Die Wand war aber senkrecht und bot nur hier und dort kleine FelSvorsprünge; auch Firnschnee oder Ver gletscherungen, in denen man hätte einen Halt finden können, gab's an dem ganzen Rande nicht. Für alle Fälle befestigte Arnold das End« des Seile», an das er sich selbst anschloh, an einem der Hauptpfosten der Hütte. Dann trat er bis an den Rand des im Bogen sich nach der Un glücksstelle hinziehenden Abgrundes. Die Felswand stürzte ihre 100 Meter jäh ab — dann traf sie einen Moränenwall, jenseits dessen die Vergletscherung des Gscherhornausläufers zu Thal ging — was dahinter kam, war im Mondlicht trotz des reflectirenden Schnees nicht zu eri kennen. Ein Absturz in diese schauerliche Untiefe bedeutete den ge wissen Tod. Arnold kletterte über den Rand auf einen Felsvorsprung und überlegte hier den Angriff. Er mußte zunächst 40 Meter tief abfahren, um auf ein gegenüberliegende FelSripp« zu stoßen. Die bot für einen geübten und unerschrockenen Kletterer hier und da einen winzigen Griff
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