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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010125022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901012502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901012502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
- Tag1901-01-25
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Abend-Ausgabe Druck uud Verlag vou L. Polt t« Leipzig. Freitag den 25. Januar 1901. Feuillets« 213,30 8495 216,15 810 2SS 365 »IO S40^— 14SS > 35SS rtx,. 110.60 131,40 144,— 138.10 13300 116 75 100.10 100,— 46,— 151.10 103 75 74,00 200,— 128,— 121,— 219,— 177,75 ISS 75 188.50 130.25 100,— 332.25 170 — 159.50 70,50 7525 139 — 168.60 53,— 200.50 102.10 176, - 84,85 400 2350 7750 1300 8. srlkei» 176,50 77,00 195 40 Z1450 173 10 170 75 182,75 131 40 11890 75,— kekrt» «, Oour»- Oit-s»- ll tv«t. i« <11« ooL»ll. 1t ao» tlruiie d<0 6,, iott««- wollt» <»., 225 8., U»r- lckd»i-r Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbefürdenwg 80.—, mit Postbesürderung .Sl 70—, 94.— 84,20 9150 100 — 87 SO 87,50 83,75 58.— 104,20 69,90 88 60 ,625 100,90 11225 86,25 lick- 98 75 169,50 71, III »Illi»- idure. 0 voo »ttlo; )ovor, OllL Der ständige schkcchie Besuch des Reichstage-- hat sa schon öfter dahin geführt, daß Plenarsitzungen wegen festgestcllier Bcschlui;u»fiihigkctt plötzlich aufgehoben werden mußten. Daß aber auch die Sitzung einer Commission wegen Beschluß unfähigkeit nicht stattfindcn konnte, ist doch wohl etwas Neues und beweist aufs Schlagendste die völlige U n h a l t b a r k e i i der gegenwärtigen Zustände. Am letzten Dienstag war dir I u st izco m m i s s i o n nicht in der Lage, die Be- rathungen über die Anträge Rintelen und Lenzmann fortzusctzcn, weil trotz cinstündigen Wartens eine beschlnßfähigeZahl von Mit gliedern sich nicht eingefundcn hatte; erst am Mittwoch konnten alsdann di: Berhandlungcn dieser Commission wieder ihren Fortgang nehmen. Die Beschlußunfähigkeit am Dienstag wurde nun nicht etwa dadurch herbeigeführt, vast die Commisstonsmit- glicder dem Beispiele derjenigen Collegen, die sich nur an den Plenarsitzungen bethciligen oder vielmehr nicht betheiligen, gefolgt wären und „geschwänzt" hätten, sondern ein Theil von ihnen Die Wirren in China. Die-OperationeninChina werden auch in deutschen militärischen Kreisen als in der Hauptsache beendet angesehen, vorausgesetzt, daß die Nachrichten von der Zusammenziehung großer Masten regulärer chinesischer Truppen sich nicht bewahr heiten oder bedeutungslos sind. Doch wird es als ausgeschlossen erklärt, daß Deutschland in naher Frist seine Truppen zuriickziehen könnte. Wenn einzelne der verbündeten Mächte es damit eiliger haben, so wird man in weiteren Kreisen wohl ver- zu veröffentlichen, in der er kräftig gegen die Doruriheile und Machtgelüste seiner religiösen Genossen ankämpft. Er hat seinem Merkchen den klaren, über seinen Inhalt und seine Absichten keinen Zweifel lastenden Titel „Die praktische Politik zur gegen wärtigen Stunde" gegeben. Und die Flugschrift hält ganz und voll das Versprechen des Titels. Keine philosophischen, dogmati schen oder sophistischen Auseinandersetzungen, keine Trugschlüsse, kein Hereinziehen der wahren Religion in die weltlichen Streit fragen, sondern ruhige Besprechungen der thatsächlichen Ver hältnisse und Rathschläge eines weltklugen und doch aufrichtig frommen Mannes zum möglichen Frieden und zur leichten Ver söhnung. Pater Vincent Maumus erklärt zunächst kurz und bündig, alle Geistlichen müßten ihre Herrschgelüste auf politischem Gebiete endgiltig fahren lassen und ohne jeden Hintergedanken sich der Republik anschließen. Er ruft sehr richtig bei seiner Beweisführung für die Noth- wendigkeit dieser Forderung aus: „Unsere Zeit bäumt sich schon bei dem Aussprechen des Wortes Kleritalismus wüthend auf, sie duldet nicht die Einmischung des Priesters in die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. Verzichten wir für alle Zeiten auf Dinge, die außerhalb unseres Bereiches liegen. Zweifellos müssen wir unsere Bürgerrechte ausüben und eifersüchtig über sie wachen, aber das ist doch von dem Begehren eines mächtigen Einflusses auf die politischen Angelegenheiten des Landes weit entfernt. ... Wir Priester müssen höhere Ziele verfolgen. Es darf nicht unsere Aufgabe sein, Leuten zu Abgeordnetensitzen zu verhelfen. Wir haben vielmehr die Seelen zu retten und das Reich Christi auS- zubreiten. . . ." Der Pater wünscht, daß seine geistlichen Brüder ihre Vorurtheile ablegen und ohne jeden Hintergedanken die Menschenrechte anerkennen möchten. Er bekämpft heftig die Fanatiker, die in der Erklärung der Menschenrechte eine Ver wirrung der göttlichen Rechte erblicken wollen. Seiner Ansicht nach ist die Philosophie der Principien von 1789 großentheilS christlich. Scharf geht der Pater gegen den Antisemitismus los. Er bringt Auszüge aus den Kirchenvätern, den päpstlichen Encykliken, und beruft sich besonders auf Bosiuet. Er erinnert auch daran, daß auf der hebräischen Synode im Jahre 1807 mehrere Delegirte das Verhalten zweier Päpste den Juden gegen über lobend .verkannten. Er drück» ferner den Wunsch aus, daß auch die Israeliten augenblicklich nicht mit ihrer Macht und ihrem Einflüsse gegen die Katholiken Mißbrauch treiben, und daß die Katholiken ihrerseits ihre Ohren den Stimmen des heiligen Bernhard und Clemens III. öffnen mögen. Dann würden sich alle Zwistigkeiten von selbst lösen. Diese kühne Zuversicht wird leider nur von Wenigen getheilt werden können. Das mindert aber nicht im Geringsten das Verdienst des ehrwürdigen, auf richtigen Prediaermönchs, der natürlich von Klerikalen, Anti semiten und Nationalisten in unwürdigster Weise angegriffen und verleumdet wird. „Für welche Beiden?" fragte Elisabeth, der diese Zwangslage immer unerträglicher ward, betreten. „No, für den Schwändi und für den Orcll. Der Eine wollte sein Geld nicht verlieren — und der Andere wollte dabei Geld gewinnen. Morgen ist das Geschäft ja endlich perfect, und dann können sie lachen, die Zwei; ich aber meine: man hat 'blos dort nachgcsucht, wo sich der Professor in jener Nacht etwa selbst um gebracht haben könnte, aber man hätte lieber einen Nachweis von Orell fordern sollen, wo der sich an jenem Abend aufgchalten hat, nachdem er die Gesellschaft von Schwändi verlassen hat!" „Es wird immer verwickelter, immer abenteuerlicher!" scherzte Fräulein Grünwald. „Ich kann auch noch deutlicher werden, wenn mein Verdacht den Damen bislang zu unklar war; wenn ich der Zwyler ge wesen wäre, dann hätte ich mich in jener Nacht gar sehr bedacht, bevor ich etwa mit dem Herrn Orell am Seeufer oder sonstwo ohne Zeugen spazieren gegangen wäre!" „Sie, Ghcy", warnte die Russin, „reden Sie sich nicht in einen Jnjurienproceß!" „Das wäre mir ganz egal. Ich schwätze, wie mir der Schnabel gewachsen ist." „Aber es ist doch ungerecht", mischte sich Elisabeth unsicher ein, „blos auf mangelnde Sympathie hin einen Mitmenschen gleich in einen so — entsetzlichen Verdacht zu bringen!" „Mangelnde Sympathie?" wiederholte der Student zornroth. „Für einen Erzgauner halte ich ihn, den Herrn Orell, für einen ganz ausgemachten Lumpazi!" Elisabeth preßte die Hände ineinander. „Sie sind so außer sich. Habsüchtig mag er ja gewiß sein, dieser Herr Orcll. Aber ihm blos des Geldes wegen ein solches Verbrechen zuzutrauen . ." Sie brach verwirrt ab. Ihr Gerechtigkeitsgefühl war so stark entwickelt, daß sie selbst «inen so niedrig gesinnten Mitmenschen wie Orell nicht in einem unbegründeten Verdachte sehen wollte. „Des Geldes wegen nicht allein!" wehrte Ghcy ab. „Ich weiß wohl, daß er brav Batzen im Sacke hat — wenn freilich so ein Volk nie genug von der Sorte kriegen kann. Aber auf das hübsche Fräulein Schwändi ist's ihm angekommcn und auf der ihre Mitgift!" Die Fremde sah verwundert von dem ausgebrachten Studenten zu den anderen Pensionären hinüber. „Ich verstehe nicht recht . . ." „Was — Sie wissen das Allerneueste nicht?" riefen sie alle Drei wie aus einem Munde. „Von Fräulein Schwändi und Orell?" „Wirklich nicht — ich habe keine Ahnung — wenn freilich nach den letzten Andeutungen . . ." „Verlobt haben sic sich!" stieß Ghey hitzig hervor. „Verlobt?!" Elisabeth's Bestürzung war so groß, daß sie nicht weiter zu fragen vermochte. Sie wollten ihr den Hergang alle Drei zu gleicher Zeit mit möglichst präcisen Details berichten. Und so erfuhr sie die zunächst abenteuerlich klingende Geschichte, zwar wirr und ungeordnet, aber doch in ausführlicher Breite. Also bald nach Neujahr hatte Anna Schwändi in Be gleitung des Fräulein Hubinger die Stadt doch noch verlassen gehabt, nachdem man sich lange genug darüber gewundert hatte, daß sie trotz des peinlichen Aufsehens, das der Conflict in ihrem Hause hervorgerufen, sich noch limmer den sensationsbedürftigen Zürichern so ungenirt zeigte. Wohin sie sich schließlich vor dem Geklatsch der Menge ge flüchtet hatte, das wußte in der nächsten Zeit kein Mensch. Erst als Schwändi, dem es bei seiner zunehmenden Kränklichkeit un möglich war, das Räderwerk des großen Haushaltes allein im Betrieb zu halten, seiner Tochter folgte und die ziemlich um fangreiche Korrespondenz, die der Verhandlungen mit dem Bund halber geführt ward, ihm nachgesandt werden mußte, erfuhr man, daß sic sich in Locarno am Lago maggiore niedergelassen hatten. Der Fortgang der wichtigen schwebenden Transaktionen er forderte eine öftere Conferenz zwischen Schwändi und Orcll. Der Letztere fuhr daher häufig nach Locarno hinüber, nahm dann in demselben prunkvollen Hotel Wohnung, in dem Schwändis sich einquartirt hatten, und vor drei Tagen war dort in engstem Kreise die Verlobung der Beiden gefeiert worden. Sie wären all« Drei wohl noch länger in Locarno geblieben — so wußte Ghey, der ja stets über alle Züricher Neuigkeiten orientirt war, noch Yinzuzufügen — eine Depesche aus Bern hatte die beiden Herren vorgestern aber vor den Bundesrath dahin be rufen. „Und Fräulein Schwändi?" stieß Elisabeth, die diese Mit theilung noch gar nicht fassen konnte, in athemloser Erregung hervor. „Sie ist am Lago maggiore geblieben?" Ter Student zuckte die Achsel. „Ja, jetzt wird sie doch bald wieder Herkommen müssen, um ihr Heiratksgut für ihren neuen Freier hcrzurichten." Elisabeth forschte hastig weiter, um einen Anhalt dafür zu bekommen, wie Anna es überhaupt fertig gebracht habe, so rasch AnzeigeU-Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS Reel» men unter dem Redactiontstrtch ft gespalten) 75 H, vor den FamilirooLch» richten (8 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). bestrebungen günstigere Seiten abzugewiuuen, aber kann sie sich nicht auch selbst treu bleiben, wenn sie in der Form auf lebhafte Explosionen eines ei regten Temperaments verzichtet?" Selbstverständlich beantwortet die „Kölu. VolkSztg." diese Frage bejahend, und darin gerade liegt die jesuitische Natur ihres NaihschlagcS. Denn bleibt die polnische Presse sich selbst treu, so tritt ihr Widerstand gegen die vermeintlichen „GcrmanisirungS- und ProtestantisirungSbeslrebungen" voll ständig zurück' hinter die Erregung vou Haß gegen Alles, was Deutsch heißt, und hinter die national-polnische Propaganda für die Wieder- berstellung eines KönigreichsPoleu. Die „Explosionen eines erregten Temperamentes", wie sie gerade in den ge dachten beiden Richtungen nur zu häufig erfolgen, er schweren dem Eentrum das Eintreten für die Polen, comprom ittireu das Eentrum und sollen deshalb wenigstens der Form nach beseitigt werden — dem Wesen nach kann, so viel cs an der „Köln. Volksztg." liegt, die Erregung von Haß gegen das Deutschthum und die Propaganda für die Wiederherstellung Polens ruhig fort gesetzt 'werden; ja, die „Köln. BolkSztg." verspricht sich von der in der Form maßvollen natioualpolnischen Agitation größere Erfolge für die polnische Sache! Ein solches Gebabrcn dcS rheinischen Pvlenblattes verdient eine nm so schärfere Geiße lung, je klarer auch die Eentrumsprefse sich darüber ist, daß eie Erregung dcSDeutschcnhasseS dasEdarakieristikumdcrpolnischeu Hetzpresfe auSmacht. Selbst die „Köln. BolkSztg." hat in ihrer Nummer vom 2 t. November 1900 diese Presse ausdrücklich als „Hetzpresse" bezeichnet, die „fortgesetzt Len schwersten An stoß auch in den Kreisen der Eentrumöpartei errege". Da mals nämlich batte die Tborner „Gazeta CcLzieuua" die deutschen Bischöfe von Ermland und Münster als Nichtkatho- liten bezeichnet, weil der erstere zwölf deutsche Predigten jäbrlich in gewissen Parochien ungeordnet halte, während der zweite die polnischen Wünsche in Bezug auf polnische Pre digten nicht vollkommen erfüllt hatte. Daß aber die „Köln. BolkSztg." derartige Excesse nicht um ihrer selbst willen, sondern bloS ihrer temperamentvollen Form wegen verirrt heilt, das lehrt ihr obiger Nalhschlag. Für das Linsengericht eines klerikalen Fraktionsprvfits verräth eben daü rheinische EeutrumSblatt die vitalsten ^Lut schen Interessen. Und aus Rücksicht aus LaS Eeutrum müssen die deutschen und die preußischen Behörden sich allen polnischen Provocationen gegenüber auf lahme Abwchrmaß- rcgeln beschränken! das Andenken an den Professor zu überwinden. Aber darüber wußte auch der allwissende Ghey keine Auskunft zu geben. „Auf die Weiber ist halt nie kein Verlaß!" brummte er nur, in seine ehemalige Misogyne zurückfallend. Fräulein Grunwald, die dieser ganze Vorgang am kältesten ließ, meinte spöttisch: „Ein Anstandstrauerjahr hätte sie allerdings verstreichen lassen können, das Fräulein Schwändi! Das war doch das Wenigste!" „Und ich glaube" rief die Russin, „gerade auS Trotz gegen den Professor hat sie den Orell genommen — und lediglich aus Trotz so empörend rasch nach Zwyler's Tod Verlobung ge feiert!" „E was", sagte Ghcy traurig, „unser Professor erfährt ja doch nichts mehr von all den Sachen! Dem ist wohl im Himmel." Es preßte Elisabeth das Herz ab, ihr Geheimniß noch immer nicht loswerden zu dürfen. Sie machte sich den Umstand, daß man gleich nachher zu Tisch gehen wollte, zu Nutzen und verließ hastig das Haus. Hatte es überhaupt einen Zweck, jetzt noch zu Anna Schwändi zu gehen? Nur eine Secundc lang schwankte sie. Dann entschied sic sich: Ja, sie mußte zu ihr — nun gerade! Sie mußte endlich erfahren, wer und waS sie war, diese stolze, schöne, kalte, un getreue Millionärstochter! Schwändi ward diesen Winter — eine Folge seiner schwelge rischen Lebensweise — heftiger denn je zuvor von der Gicht geplagt. In Locarno hatte er vierzehn Tage hindurch mit der Heizdecke Uber den Knieen im Lehnstuhl aushalten müssen. Die Anstrengungen der hastigen Reise nach Bern und die Mit den Geschäften verknüpften Aufregungen trugen die Schuld, daß der kaum überwundene Anfall sich nach seiner Ankunft in Zürich nun in verstärktem Maße wieder einstellte. DaS Brennen und Jucken der angeschwollenen Füße und stark verkrampften Hände steigerten sich bei ihm bis zur Unerträglichkeit. Seine Laune war daher nicht die rosigste, und das Gesinde sehnte die endliche Heimkehr der jungen Gnädigen mit Fräulein Hubinger herbei, welch' Letztere in ihrer Eigenschaft als Wirthschafterin und Re präsentantin bei früheren ähnlichen Gelegenheiten die nicht eben beneidenswertste Rolle des geduldigen SiindenbockeS zu spielen gehabt hatte. Der Hausherr lag stöhnend und zankend in seinem Ameri kaner am Fenster. Für das wundervolle Panorama des Züricher Sees mit seinen in blauen Nebeln Verschwimmenden Alpen silhouetten, das sich vor dem Fenster ausbreitete, hatte er kein Auge. Seine Füße lagen in plumpen Filzstiefeln auf einer Mahagonibank, die man ihm ganz dicht hatte heranrücken müssen; Politische Tagesschau. * Leipzig, 25. Januar. Die Erklärung dcS Reichskanzlers Grafen Bülow in der gestrigen Sitzung dcS Reichtageo, eine Aufbesserung der Bezüge aller KriegSinvaliben und ihrer Hinter bliebenen zu ihrer Sicherstellung gegen Roth uud Sorge sei unaufschiebbar und er werbe seinerseits das Erforderliche veranlassen. damit noch im Laufe der Session eine ent sprechende Vorlage an das Haus gelangen tönue, stebt in auffälligem Gegensag« zu dem mehr atü kühlen Verhalten, dem bisher das Verlange» deS Reichstags nach einer solchen Aufbesserung am Tische Leö BundeSralhcü begegnete. Wvdcr diese Wendung? Verhielt man sich vielleicht damals nur deshalb mehr als kühl, weil der Reichstag aus eigener Initiative den Gegenstand zur Sprache brachte, und wollte der Herr Reichskanzler sich seine cntgegculommende Antwort bis zur Empfehlung einer Regierungsvorlage (Invaliden- und Relictengesetz für die Chinakämpfer) Vorbehalten? Oder hat die damalige einmürhige Kundgebung deü Hauses den Bundcö- rath zu der Einsicht gebracht, baß jenes Verhalten ein schwerer Fehler war? Wahrscheinlich wird man heute Antwort auf diese Frage verlangen. Wie sie auch lauten mag: jedenfalls bat gestern der neue Reichskanzler durch seine Erklärung seine Popularität nicht unwesentlich erhöbt. Weniger Anlaß zur Zufriedenheit bet der Verlauf der Po len de batte, die sich vorher an die vou polnischer Seite eiugebrachte Interpellation wegen Nichtbcsörderung vou Briefen mit polnisch geschriebenen Adressen knüpfte. Mau erfuhr, daß eS sich bei dieser Maßregel lediglich um eine aus vcrkehrStcchnischcn Gründen nöthige Abwehr deS Versuches handelte, durch lleber- schwemmung der Postauslalten in den gemischtsprachigen LanbeStheileu mit Werthsendungen, Packeten und Briefen unter polnischen und ost schwer leserlichen Adressen diesen Anstalten Schwierigkeiten zu bereiten; man ersah aber leider auch, daß daS Cent rum an diesen Versuchen nichts, um so mehr aber an der Abwehrmaßregel auszusetzen hatte und überhaupt seinen polnischen Schützlingen, die cS unlängst im Stiche gelassen, wieder mit dem alten Feuereifer zur Seite zu treten entschlossen war. Da konnte cs denn auch nicht überraschen, daß der Staatssekretär v. PodbielSky sich auf die möglichst energische Abwehr der gegen ihn gerichteten Angriffe beschränkte und wiederholt betonte. Laß er, wenn cS ihm in seiner Verwaltung auf den Kampf gegen daS Polenlhuru ankäme, diesen Kampf mit ganz anderen Mitteln zu führen wissen würde. Also immer nur Abwebr deS aggressiven PolcnlbuiuS, niemals Angriff auf die Positionen, welche die Schützlinge des Centrumö in Folge dieser Schonung nach amtlichem Zugesländniß bereits erobert haben und fast täglich neu erobern! Kein Wunder, daß daS Centrum und seine Presse ihre Schützerrollc weiter spielen oder immer wieder neu aufnehmen, wenn einmal tactische Rücksichten ein scheinbares Abrückeu geboten haben. Für die jesuitische Schürung der polnischen Agitation durch die klerikale Presse liegt gerade beute ein charakteristisches Beispiel vor. Die „Köln. Volksztg." richtet nämlich eine Mabaung an die polnische Presse, rühmt darin die angeblich maßvolle Haltung der CentrumSorgaue während des Cultur- kampseS und empfiehlt sie den polnischen Hetzblättern zur Nachahmung. Um den letzteren diesen Vorschlag annehm barer zu machen, betheuert die „Köln. VolkSztg.": „Selbstverständlich muthen wir ihr (der polnischen Presse) in keiner Weise zu, den GermanisirungS- und Protestantisirungs. Anvahmeschluß für Anzeige«: Ab end-Au-gabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. vei den Filialen und Annahmestelle« je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oou früh 8 bis Abends 7 Uhr. W d« Haspterpedttüm «der de« t» Gtnd» begdck und d« Vorort« errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 6. M« abonnirt ferner mit entsprechenden! Postauffchlog bei den Postanstaltrn in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaateu, der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Moraen-AuSgabe erscheint nm >/,7 Uhr, di» Abend-Ausgabe Wochentag» um 5 Uhr. Redaktion und Lrpe-ition: Johannisgasse 8. Filialen: Ulfted Hahn vorm. v. Klemm'» Sortim. NnwersitätSstraße 3 (Paulinum), Soul- Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und König-Platz 7. i/Ulldr Vns« 25 3900 3500 14900 3250 3525 1125 16800 9050 7300 11850 3850 3425 475 1325 2975 850 1775 2125 2525 14300 1325 525 1625 110 2675 1700 30 18700 1125 2725 35 310 12800 mußte mit Rothschild sprechen: „Bin ich denn ein Vogel, daß ich lann sein an zwei Stellen zu gleicher Zeit?" Dies: Herren sind nämlich außer in der Justizcommission noch in anderen Commi;- sioncn beschäftigt, die gleichzeitig tagten, und es blieb ihnen somit nur die Wahl, entweder in der einen oder in dec anderen Com mission die Beschlußunfähigkeit herüeizuführen. Daß aber eine Anzahl von Mitgliedern des Reichstags mehreren Commissionen gleichzeitig angehören, liegt wiederum daran, baß in Folge deS hartnäckigen „Schwänzens" von sicherlich zwei Dritteln des Reichstags die Parteien unter den Mitgliedern, die sie in die Commission entsenden können, mir eine beschränke Auswahl haben. Selbst wenn ein so drastischer Vorgang, wie die Bc- schlußunfähigleit der Justizcommission am Dienstag, sich nicht ereignet hätte, müßte man sagen, daß die Beschäftigung von Ab geordneten in mehreren Commissionen durchaus kein er wünschter Zustand ist. Wenn ein Abgeordneter regelmäßig und mit Aufmerksamkeit den Plenarverhandlungcn folgt, wenn er sich ferner über die eingehenden Gesetzentwürfe und Anträge zu unterrichten sucht und wenn er schließlich an den Berathnngen einer Commission theilnimmt, so hat er gerade genug zu thnn. Je mehr im Laufe der Jahrr die eigentliche Arbeit von dem Plenum in die Commissionen abgeschoben worden ist und je mehr das Schicksal der Gesetzentwürfe von den Commissionen abhängt, desto nothwendigcr ist' es natürlich, daß in diesen gewissenhaft gearbeitet wird. Wenn aber eine Reihe von Reichstagsabgeord- neten gleichzeitig in mehreren Commissionen beschäftigt ist, so wird entweder in den Commissionen überhaupt nicht gewissenhaft gearbeitet werden tönnen, oder die Commission verläßt sich der Hauptsache nach ans die Arbeit, die der Referent leistet, und auf den allgemeinen Eindruck, den die Verhandlungen zwischen den wenigen informirten Commissionsmitglievern und den Regie rungsoertretern während der Sitznngen machen, oder endlich darauf, wozu sich das in der Commission führende Mitglied jeder Partei entscheidet. Es findet also gewissermaßen eine fortgesetzte Verengung statt: vom Plenum wird die eigentliche Ent scheidung an die 'Commission abgegeben, von der Commission wieder an einen beschränkten Kreis von Commissionsinitgliedern. Mit anderen Worten: man gelangt gewissermaßen zu einer gesetzgeberischen Oligarchie. Nominell entscheidet zwar der Reichstag in seiner Gesammtheit, thatsächlich aber sind eS nur ein Dutzend Mitglieder. Indem der Vorgang vom letzten Dienstag in drastischer Weise die Unhaltbare«' dies-- Zustände v°le,ich!et, ist er dankvat zu begrüßen. Es wäre nur erwünscht gewesen, daß das Schicksal der Beschlußunfähigkeit nicht eine Commission betroffen hätte, die über Anträge, welche aus dem Hanse selbst hcrvorgcgangen und der Regierung deshalb ziemlich gleichgiltig sind, zu berathen hat, sondern eine solche Commission, die über einen von der Regierung ausgegangencn und ihr am Herzen liegenden Gesetzentwurf zu befinden hat. Das kommt vielleicht auch noch einmal, und wenn dadurch eine Verzögerung der Erledigung von Regicrzingsentwürfen entsteht, so wird die Regierung vielleicht der' Forderung, den Reichstag durch Ge währung von Anwesenheitsgeldern beschlußfähiger zu machen, geneigter zeigen als bisher. Daß unter den weltlichen Priester» Frankreichs viele in dem vom Cavinet Waldeck-Rousseau gegen die Uebermacht der Congregationen unternommenen Kampfe entschieden aufSeiten der Regierung stehen, wenn sie auch wegen der strengen Weisungen aus Rom diese Gefühle zur Zeit nicht offen bekunden dürfen, ist bereits verschiedentlich, besonders auf dem Priester- congresse zu Bourges, zu Tage getreten. Aber einen Mönch selbst gegen die Congregationen auftreten zu sehen, war bisher noch Niemand vergönnt gewesen, und man muß daher den. Predigermönch Pater Vincent Maumus aufrichtig be- > stehen, warum dies der Fall ist. Deutschland aber ist anderweit wundern, in diesem gefährlichen Augenblicke eine Flugschrift j in der Welt nicht engagirt und hat in China eigennützige Inter- (28/1) USQ0« : von U.kl» uplov Al) 2D Das neue Lahnproject. Noma» von Paul Oskar Höcker. Nachdruck verbot!!!. Wie sie kaum hatte anders erwarten rönnen, befand sich der unvermeidliche Studiosus Ghey in der Pension am „Gräbli", eifrig mit dem Vortrag der neuesten Studenten- und Stadt ereignisse beschäftigt. Die Überraschung bei Elisabeth's Eintritt war allgemein eine fröhliche. Herzlich hieß man sic willkommen, fragte sie aus, was sie plane, ob sie schon eine neue Stellung in Aussicht habe, warum sie die ganze lange Zeit über so wenig von sich habe hören lassen u. s. w., u. s. w. Au» einer wehmüthigen Betrachtung Ghey's über ihre früheren gemeinsamen Gänge nach der Universität und einer daran ge knüpften Aeußerung über das geheimnißvolle Verschwinden Zwyler's entnahm Elisabeth, daß hier in Zürich von den winter lichen Arbeiten im Brandrisgletsch«rgebiet: noch nichts bekannt war. „Na, einmal wird sich die Geschichte schon aufklären", schloß der Student in fast drohendem Tone, „und dann werden wir ja sehrn, wer Recht behält. Ich sage blos soviel, an einen Selbst mord glaube ich noch lange nicht. Wenn der Professor wirklich umgekommen ist, nachher scheint mir doch Einer ein besonderes Interesse daran gehabt zu haben, daß er gleich so ganz von der Bildfläche hat Virschwinden müssen — und auch seine Leiche!" Elisabeth war bestück über diese dunklen Worte und den grimmigen Ton, in dem sie vorgebracht wurden. Es fehlte nicht viel, so hätte ein Ausruf von ihr sofort verrathen, daß sie Zwy ler am Leben wußte. Die deutsche Studentin lachte ihren Commilitonen aber tüchtig aus. „Er ist ganz von der Schwarzseherei der Petrowitsch angc- stcckt!" rief Fräulein Grünwald, zu Elisabeth gewandt. „Immer giebt's für die Beiden ein anarchistisches Eomplot zu wittern, oder ein gar geheimnißvollcs Verbrechen . . ." „So, eS ist also etwa kein Räthsel, warum der Professor just den Tag verschwunden ist, an dem die Geschichte mit dem Bund begonnen hat? Ha, denkt doch, was für die beiden Leute davon abgehangen hat!" UcipMcr TlWbialt Anzeiger. Amtsblatt des Königliche» Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nattjes und Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig.
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