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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010128026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901012802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901012802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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- Tag1901-01-28
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einen Artikels, den er den Damen mitgebracht hatte, unter brechend, „haben Sie denn in Ihrem Heimathsdorf da hinten, das doch dicht dabei liegt, von all dem nichts erfahren? Die ganze civilisirte Welt wird jetzt dahingucken — und Sie, die's doch aus nächster Nähe hätte beaugenscheinigen können, haben's verpaßt?!" Elisabeth widerstrebte eS, sich in den Mittelpunct ziehen zu lassen, etwa gar als Zeugin in dieser sensationellen Angelegenheit vernommen zu werden. Still, wie sie gekommen, wollte sic wieder von der Bildfläche verschwinden. So ließ sie lieber von den Studentinnen und ihrem Eommilitonen, der seine Schwär merei für sie längst aufgcgeben hatte, weil sie seiner Ansicht nach keine „überzeugte Zwylcrianerin" war, willig ihre vermeintliche Indifferenz ein wenig bekritteln und belächeln. Aber wenn auch äußerlich ruhig — in wilderregtcr innerer Spannung folgte sic doch dem Bericht über die Vorgänge in Bern. Mit der Bahnfragr war", so las Ghey aus der Zeitung vor, „aufs Engste verknüpft das Interesse einer kleinen Gruppe von Züricher Capitalisten, als deren Führer der Seiden fabrikant Schwändi galt. Tas große Risico für den Fall einer Ablehnung des Bahnprojcctes auf sich nehmend, hatten diese Herren, wie unfern Lesern wohl erinnerlich, die gesammie Länderstrecke, die die Orcll'sche Trace berühren sollte, käuflich an sich gebracht. Um so bewundernswerther erscheint daher der Muth und die Opfersähigkcit des Züricher Hauptinteressenten Schwändi, der noch in derselben Stunde, da ihm auf privatem Wege Mittheilung ward von dem Zwyler'schen Werk, nicht anstand, dem Bundesrath das gesammte authentische Material, das von Zwyler gegen das Project aufgestellt war, selbst zu unterbreiten. Da ein Gichtleiden den opfermuthigen Mann, den wir Schweizer mit Stolz den Unsrigen nennen dürfen, an's Zimmer fesselt, erschien — wie gestern Abend schon durch Tele gramm nach Bern vorausgemeldet — heute in aller Frühe seine Tochter im Bundespalast, um sich in dieser sensationellen An gelegenheit zu Protokoll vernehmen zu lassen. Natürlich sind die Ankaufsverhandlungen, die heute Mittag zum Abschluß kommen sollten, sofort abgebrochen worden, und Kommissare befinden sich in dieser Stunde bereits auf dem Weg ins Brandeis- glctschergebiet, um die Minirarbeiten Zwylcr's, die unter den erschwerenden Umständen — nämlich daß zur Zeit ihrer Ausführung grimmiger Winter herrschte, daß Zwyler selbst kein berufsmäßiger Ingenieur und auch seine Arbeiter nicht geschulte Leute waren — zu den bedeutendsten Leistungen solcher Art zu rechnen sind, in Augenschein zu nehmen. Von Interesse für unser« Leser wird es wohl noch sein, zu erfahren daß Fräulein Schwändi mit Herrn Professor Zwyler verlobt war. Die Hoch zeit war bereits auf Weihnachten festgesetzt worden, als das Verschwinden Les Professor sensationelles Aufsehen erregte. Man glaubte damals an eine plötzlich ausgebrochene Geistes umnachtung des berühmten Mannes. Heute nun findet sein da maliges Verschwinden seine volle äußerliche und auch Psycho logisch begründete innere Erklärung: als Schwiegersohn Schwändi'L sah sich Zwyler in die peinliche Lage versetzt, ein Unternehmen von dessen Unausführbarkeit er überzeugt war, schweigend dulden zu müssen, wenn anders er nicht seinem Schwiegervater bedeutenden materiellen Schaden zufügen wollte. Es ehrt ihn, daß er die Beweise für feine Bedenken in aller Stille beibrachte, bevor er nach außen hin irgend etwas unternahm. Ebenso hoch aber ist anzuertennen, daß Herr Schwändi selbst in letzter Minute noch, seinen eigenen Vortheil hintansetzend, durch die Veröffentlichung von Zwylcr's Botschaft den Bund vor einem Millionenverlust bewahrte. Wir stehen nicht an, sein Vorgehen eine echt patriotische That zu nennen, die in der Ge schichte der heute allerorts üblichen Börsenmanöver und Speku lationsgeschäft« wohl einzig dastehen dürfte." Das war eine Sensation. Die Russin wäre am liebsten sofort zu Schwändi gelaufen, um ihm ihre volle Anerkennung zu sagen. Sie hielt im Ganzen nicht allzuviel von den Capitalisten, eigentlich betrachtete sie Jeden, der mehr Geld besaß als sie, als einen Feind. Um so erhabener erschien ihr diese ganz außerordentliche That des Millionärs. Frau Palm war über die Verhältnisse der alten Patrizier familien Zürichs ziemlich genau orientirt. Sie hielt — bei aller Anerkennung des von der Russin so begeistert herausgestrichenen Idealismus, den Schwändi da bewiesen — seine Handlungs weise doch für bodenlos leichtsinnig und querköpfig. Den Aus fall werde das Schwändi'schc Capital einfach nicht decken können, meinte sie, da er beim Verkauf der Riesenländerstrecke jetzt doch kaum ein Drittel des Ankaufspreises herausschlagen werde, und bei der heute bestehenden heißen Concurrenz auf dem Gebiete der Seidenindustrie sei es fraglich, ob er nach solchem Verluste den Fobrikbetrieb werde aufrecht erholten können. „So kommt Anna Schwändi also gleichfalls um ihr Ver mögen?" fragte Fräulein Grünwald lebhaft. „Mag sie doch", sagte die Russin hart. „Andere sind auch nicht auf Rosen gebettet. Und sie bekommt doch einen reichen Mann — hat's also noch tausendmal besser als viele von uni." „Pah, der Orell!" meinte der Studiosus Ghey verächtlich. „Einen Kerl, wie den, der sich in der ganzen Schweiz so un möglich gemacht hat durch so eine Blamage! Denn so etwa», wie die Geschichte mit den gestohlenen Plänen . . .!" Wieder wandte er sich an Fräulein Grimm. „E, aber nein, daß Cie auch gar nichts gehört haben davon! So nah dabei!" Elisabeth suchte die Rede möglichst schnell auf etwas anderes zu bringen. Fräulein Grünwald kam ihr dabei zur Hilfe. Sic vertrat die Ansicht, daß Anna Schwändi dem Schotten jetzt unmöglich noch die Hand reichen könne, nachdem sie selbst die Mittelsperson zwischen ihrem Vater und dem Bund abgegeben hatte, in einer Angelegenheit, die den Sturz Orell's zur un mittelbaren Folge gehabt habe. „Na, und der Zwyler wird sich für die erst recht bedanken! ' rief der Studiosus hitzig. „Der wird, sobald er wieder nach Zürich kommt, schon erfahren, wie schnell der Orell hat sein Nachfolger werden sollen — und nachher wird er sich bedanken! ' „Aber veröffentlicht hatte man doch die Verlobung Les Fräulein Schwändi mit Orell noch nicht?" fragte Elisabeth, ihre Erregung bemcisternd. „Sie wird den unseligen Schritt gewiß auch schon ernstlich bereut habrn. Wenn der Professor nun hört, in wie traurige Verhältnisse seine Braut durch ihr Opfer gerarhen ist — glauben Sic nicht, daß er's dann für seine Pflicht halten wird, ihr Alles zu verzeihen?" Es herrschten hierüber getheilte Ansichten. Ghey meinte: selbst wenn die Schwändi'L die heikle Sache der Wiederverlobung Les Fräuleins verheimlichen wollten — wer könne wissen, ob nicht irgend welche durch den Zufall gleich ihnen eingeweihte Gegner der Familie Schwändi dem Professor die Geschichte brüh warm berichteten — und dann müsse er sich doch ablehnend ver halten. Elisabeth sah die Pensionäre der Reihe nach ängstlich prüfend an als wolle sie sich vergewissern ob nicht etwa unter diesen selbst solch ein Mißgünstiger zu suchen sei. Beschämt ob ihre? Mißtrauens, zog sie sich dann aber bald zurück. In der Nacht dachte sie viel über dies Thema nach. Ihrer Schätzung nach mußte Anna jetzt bereits unterwegs nach Wängli sein. Ob sie Alexander nicht rwch inständig bitten sollte, die Corre- spondenz zu überwachen, die an Arnold einlief? Der unglückliche Leidende sollte Anna nach diesem schweren Schicksalsschlag erst Wiedersehen, ihren stolzen Muth anerkennen und sie um dieses stolzen Muthes willen lieben lernen» bevor irgend eine Nachricht, die neue Entfremdung zwischen ihnen schaffen konnte, an sein Ohr drang. Er sollte lernen, an Anva zu glauben, weil dies für ihn die einzige Rettung vor der Ver zweiflung an der Menschheit überhaupt war. (Fortsetzung folgt.) 706 «m Couuabend abgegebene Erklärung, bei Lichte besehen, nicht, denn daß die preußische Regierung den jetzigen Getieidezoll nicht für ausreichend hält und ibn deshalb so zu erhöhen ge denkt, daß er al- ausreichend betrachtet wird, wußte man längst und wußte e» trotz de- den extremen Agrariern nicht genügenden Versprechen-, für eine» „ge sicherten" Zollschutz Sorge tragen ru wollen. Die «Germania" ist denn auch nicht völlig zufrieden gestellt, weil „eine volle Aufklärung über die Absichten ter Negierung in diesen allgemeinen Bemerkungen nicht enthalten ist". Und wenn Graf Bülow glauben sollte, durch seine neue Erklärung die Gegner der Canalvorlage zu Freunden derselben ge macht zu haben, so würde auch er sich täuschen. Das gebt mit besonderer Deutlichkeit an- folgender Auslassung LeS „Reichs boten" hervor: „Von großer Wichtigkeit wäre es, wenn der Reichskanzler die Vorlage des Zolltarifs bei Lein Reichstage so beschleunigte, daß sie noch während der Verathung der Canalvorlage im Reichstage einträfe und so die Wertherklärung Les Reichskanzlers sich in be. stimmte Zahlen umfetzte. Man sei doch ganz offen: Jedermann weiß, daß die Vertreter der Landwirthschaft Len Canal als ein Pressionsmittel für die Zollerhöhung auSuutzen können — der Antrag deutet ja daraus hin und bei der Wichtigkeit der Zollerhöhung für die nothleidende Landwirthschaft kann man ihnen Las auch gar nicht verdenken und muß eL deshalb begreiflich finden, daß sie dieses Pressionsmittel nicht eher aus der Hand geben wollen, bis sie drrZollerhöhung ganz sichersind — und die volle Sicherheit geben ihr erst bestimmte Zahlen." DaS beißt mit anderen Worten: „Erst wenn der neue Zoll tarif vorliegt nnd uns gefällt, werden wir wegen des Canals mit uns reven lassen." Und da voraussichtlich der Tarif den extremsten Agrariern nicht gefällt, so werben diese auch die Ausführung Les Canals wenigstens zu verschleppen suchen. Die mit so großer Spannung erwartete Sonuabendsitzung des preußischen Abgeordnetenhauses hat also an der Lage so gut wie gar nichts geändert. Die Tttluerlrindgebiinncu der deutsche» Parlamente nach dem Tode der Königin Victoria sind nnseren Nachbarn jenseits des Canals nickt imposant genug gewesen. Wir schließen die- daraus, daß der „Nhein.-Westf. Ztg." anö London geschrieben wird: Kaiser Wilhelm soll sich unzufrieden darüber geäußert haben, daß weder der preußische Landtag nochderdeutjche Reichstag es beim Empfang der Nachricht vom Ableben der Königin Viktoria für angezezeigt erachteten, die Sitzung zum Zeichen der Trauer aufzu heben, wie das andere Parlamente, z. B. das belgische, das italienische, das ungarische und auch das Washingtoner Repräsentantenhaus, getban haben. UrberdteS wären die Herrscherhäuser dieser Staaten nicht einmal so nahe mit der verstorbenen Königin verwandt. Das, was der Kaiser in vertrautem Kreise als einen Mangel an Rücksicht iu den deutschen Parlamenten bezeichnete, werde der Kaiser Lurch eine außergewöhnliche officielle Trauerkundgebnng auszugleichcn wissen. Seltsamer Weise zieht die „Tägl. Rnndsch." diese Angabe nicht ernstlich in Zweifel, sondern bemerkt zu ihr: „Diese Nachricht scheint eine gewisse Bestätigung dadurch zu erfahren, daß die Trauerkundgcbungen, die der Kaiser für Armee und Marine angeordnet hat, in der That außergewöhnlich sind. Während z. B. die Armee für einen dem Kaiserhause gleichfalls nahe verwandten regierenden deutschen Fürsten, der Len höchsten militärischen Rang in unserer ein heimischen Armee bekleidete, bei seinem Ableben nur drei Tage Trauer anlegte, trauert sie um die ihr im vollsten Sinne LeS Wortes fremde Herrscherin vierzehn Lage. Armee und Marine stehen aber in einem so ausgesprochen persönlichen Berhältniß zum Kaiser, daß nicht nur das Recht des Kaiser-, sondern auch der menschliche Antheil an Len persönlichen Gefühlen deS Kaiser- jede Kritik an diesen Anordnungen ausschließt. Indessen gerade weil bei unS — in vollem Gegensatz zu Belgiern, Italienern, Ungarn und Amerikanern — der Herrscher in so auSgirbiger Weise die Möglichkeit hat, seiner persönlichen Stellungnahme Ausdruck zu geben, war es durchaus berechtigt, daß die Vertretungen die persön lichen und dynastischen Beziehungen nicht so stark betonten, sondern iu der Form ihrer Beileidsbezeugung mehr da- politische Moment und die Volksstimmung berücksichtigten." Jedenfalls ist die ,D. TageSztg." im Rechte, wenn sie die dem Kaiser untergeschobenen Aeußerungen als sehr unwahr scheinlich bezeichnet und hinzufüzt: „Es ist nicht parlamentarischer Brauch in Deutschland, die Sitzung infolge des Todes eines fremden Souveräns auszubeben. DaS ist nur bei dem Heimgänge des Kaiser- Wilhelm I. geschehen. Die parlamentarischen Gebräuche anderer Länder sind anders. Ob sie besser feien, möge hier nicht untersucht werden. Jedenfalls hastet daS deutsche Volk nicht so an Arußerlichkciten wie andere Bölter. Der Kaiser wild überzeugt sein können, daß die deutsche Volksvertretung a» seine,» Schmerze ebenso theilgenomme» hat und theilnimmt, wenn sie auch ihre Arbeit nicht unterbrochen hat." Wir nehmen sogar au, daß der Kaiser sich peinlich be rührt fühlen wird durck den Versuch de- Londoner Cor- respondenlen der „Rhein.-Wests. Ztg", die deutschen Volks vertretungen zu Hofmeistern und rinzuscküchtern und zum letzteren Zwecke dem Oberhaupt« de- brutschen RrickeS Acußc- rungen in den Mund zu legen, die lediglich englischer An maßung ihre Entstehung verdanken. Die deutschen Volks vertretungen werden selbstverständlich die Londoner Kritik ihres Verhalten- mit demselben Gleickmutbr hinnebmen, mit dem da- englischeParlament jede abfällige deutsche Acuße- rung, und käme sie selbst aus kaiserlichem Munde, hinnehmcn würde. Der italienische Canscilpriisidcnt Saracco bat sich sehr bald überzeugen müssen, wie gefährlich es ist, mit der äußersten Linien gleichsam einen Pact zu schließen. Als seiner Zeit das Ministerium Pellour zurücktrat, nachdem es, um der Obstruktion der Socialisten ein Ende zu machen, eine neue Geschäftsordnung in der Deputirtenkammer durchgesetzt hat:-, mußte die Nachgiebigkeit auffallen, mit der daS Ministerium Saracco alles, was auf parlamentarischem Gebiete erreicht worden war, wieder preisgav. Sogleich wurde jedoch darauf hin gewiesen, daß die äußerste Linke sofort wieder ihre Obstructions- taktik aufnehmen würde, wenn die Regierung sich den Forde rungen der Socialisten entgezenstellte. Die jüngsten Vorgänge beim Streik in Genua haben nunmehr dem Conseilpräsidenten die Augen geöffnet. Im Senate hat auZ Anlaß dieser Vorgänge eine sehr lebhafte Erörterung stattgefunden, bei der der Leiter der Regierung bedeutsame Erklärungen abgab. Um den Be weis zu erbringen, daß jedes Wort dieser Erklärung aufs Ge naueste erwogen war, verlas Saracco Len jedenfalls im Minister- rathe festgestellten Wortlaut. Er ging davon aus, daß der sehr ernste Ausstand nicht etwa durch Meinungsverschiedenheiten zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitern hervorgerufen wor den war, sondern ausschließlich durch die Agitation der Führer. „Die Negierung", fügte er hinzu, „wird wachsam sein, um die Wiederkehr derartiger Vorgänge zu verhindern; ihre Action muß jedoch unfruchtbar bleiben, falls sie nicht von einem wirksamen Wicdererwachcn der socialen Kräfte der Betheiligten unterstützt wird, die in einem verhängnißvollen Egoismus erschlafft zu sein und zu erwarten scheinen, daß ihnen etwas auf den Kopf fällt, um aus ihrer Lethargie zu erwachen und zur Wcrtheidigung der gemeinsamen Interessen zu eilen. Der Staat hat wohl di: Kraft, der Ordnung Achtung zu verschaffen, aber man darf nicht von ihm die ausdauernde und erziehende Action eines j:den Tages erwarten. Vielmehr muß dir Gesellschaft diese Action in sich selbst suchen und finden." Nachdem di- Regierung bisher die Zügel hat am Boden schleifen lassen, kling! die Erklärung Saracco's matt genug. Sicher ist nur, daß das Ministerium die von der äußersten Linken drohende Gefahr endlich erkennt, ohne jedoch den Gegnern so scharf ins ?buge zu sehen, wie Crispi es vermocht hätte. Deutsches Reich. * Berlin, 27. Januar. (Nunderlaß, betreffend die Streikklausel.) Der preußische Minister v. Tbielen bat bat unterin 14. Januar an die Oberpräsidenten in Danzig, BrcSlau, Magdeburg, Hanncver, Coblenz und Münster, an sämmlliche Regierungspräsidenten und an die Miuisterial- Baucemmission in Berlin folgenden Nunderlaß über die Emsübrung einer sogenannten Streikklausel in Vertrags bedingungen gerichtet: „Die von verschiedenen Vereinigungen deS Baugewerbes aus- gehenden Bestrebungen ans Einführung einer Streikklausel in die allaemeinen vertraglichen Bedingungen für Bauten und für Lieferungen haben mir Veranlassung gegeben, eine Stellungnahme der Centralbehörden deS Reiches und Preußen- zu den erhobenen Forderungen herbeizusnhren. Nach dem Ergebnisse der Be- rathungen habe ich dem Vorstände der Vaugrschäfte von Berlin nnd den Vororten den Bescheid vom 8. Tecembcr v. I. zu gehen lassen. Es ist danach die Aufnahme der Streik- clausel in die Vertragsbedingungen abgelehnt, Len An- tragstellera aber ein« wohlwollende Berücksichtigung der Verhältnisse im Falle unverickuldeter NrbeitZkämpse zugesichert. Ich ersuche, bei den Bauausführungen des dortigen Geschäftsbereichs dem Bescheide entsprechend zu verfahren und etwaige Anträge auf Verlängerung der vertraglich festgesetzten Fristen oder auf Nieder schlagung von Vertragsstrafen nach Maßgabe der Vorschriften recht zeitig einzureichen." Die in dem Erlaß erwähnte Mittbeilung des Ministers an den Vorstand der Baugeschäste Berlin- lautet: „Berlin, 8. D-cember 1900. In meinem Erlasse vom 8. März d. I. habe ich dem Vorstände die Bedenken mitgetheilt, welche bei staatlichen Bauten der Ausnahme einer Vertragsabrede entgegen- stehen, nach der im Falle eines AuSstandeS der Arbeitnehmer oder einer Sperre der Arbeitgeber sich ohne Weiteres die Vollendungs frist um die Dauer der Behinderung oder Unterbrechung verlängert. Die Bedenken sind grundsätzlicherNatur und vermindern sich auch nicht, wenn der Eingabe Les Vorstandes vom L7. Juni d. I. ent sprechend der Arbeitsstörung nur unter der Voraussetzung ein Einfluß auf die Vertragserfüllung zugrstauden werden sollte, daß die General-Versammlung deS Verbandes die Bausperre beschlossen, oder der Vorstand deS Verband«» den Ausstand der Arbeitnehmer, sei es öffentlich, sei es in einem besonderen Schreiben, on den Bauherrn bekannt gegeben hat. Nachdem ich mich auf die erneute» mündlichen und schriftlichen Vor stellungen hin mit den brthriligten übrigen Centralbehörden in Verbindung gesetzt habe, muß ich eS unter Bezugnahme auf mein» früheren ablehnenden Bescheide vom 8. März und 27. April dieses Jahres wiederholt für nicht mit de» staatlichen Interessen vereinbar erklären, allgemein die beantragte Streikklausel in die Vertragsbedingungen rinzusügen, mir vielmehr von Fall zu Fall die Entscheidung vorbebalten, inwieweit der Au-stand oderdicSperre gerecht fertigten Grund bietet, Len Unternehmer an- seinen Vertrag-pslichten zu entlassen, ihm eine Verlängerung der Fristen zuzugestehen oder die erwirkte Vertragsstrafe nackzulassen. Den mir niiterstellten Be hörden werde ich von Vorstehendem Kenntnis) geben und gleichzeitig anvrdnen, daß den durch unverschuldete Arbeitskampse hervor gerufenen besonderen Verhältnissen bri Beurlheüung der vertraglichen Verpflichtungen deS Unternehmer- in gleich wohlwollender Weise ausreichend Rechnung getragen wird, wie dies seither ge- schehen ist und in den Vorstellungen des Vorstandes auch an erkannt wird." " Berlin, 27. Januar. (Terrorismus der Social demo kra teil.) Die „Germania" theilt folgendes Beispiel deS socialdemokratischen Terrorismus mit: „Am Dienstag, Len 15. Januar d. I., legte aus dem Bau EberSslraße 16 in Schöneberg bei Berlin eine Anzahl Zimmerleute die Arbeit nieder, weil der Zimmerer Joh. Hoppe (Mitglied des Verbandes christlicher Maurer nnd verwandter Berufe, also ein organisirter Arbeiter) auf wiederholte Aufforderung, einer der bestehenden socialdemokratischen Zimmerer« Organisationen beizu treten, sich weigerte, dieser Auf forderung nachznkommen. Der Zimmerpolier KollekowSki ließ sich aber durch die Arbrit-niederlegung nicht dazu bewegen, den Hoppe zu entlassen. Als die „Genossen" sahen, daß sie damit nicht- er reichten, nahmen sie nach zweistündigem Streik die Arbeit wieder auf. Zimmerer Hoppe blieb ans dem Bau und seine socialdemo kratisch organisirtcn Kameraden hätten es wohl auch dnbei bewenden lassen, wenn nicht ein Mitglied der Lohncommission der social demokratischen Zimmerer onf dem Ban erschienen wäre. Dieses verlangte nun von dem Polier ebenfalls die Ent lassung des Hoppe, jedoch ebenfalls ohne Erfolg. Daraufhin griffen die Genossen zu einem anderen Mittel, um Len Hoppe arbeitslos zu machen. Wahrscheinlich auf Verabredung leisteten nun die „Genossen" bedeutend weniger, so baß der Polier sich gcnöthigt sah — um der Arbeit einen bessern Fortgang zu sichern — Len Hoppe am Montag, den 21. Januar, zu entlassen." Dieser Fall und zahlreiche andere Beispiele beweisen dock scklagend, waS sie «ocialvemokratie unter dem „Recht auf Arbeit" versteht. Es hat eben nur derjenige Recht, der zu den „Genossen" zählt. — Dir Kaiserin ist aus Homburg wieder -in Potsdam eingetroffen. — In der am 24. d. Mts. unter dem Vorsitz des Staats sekretärs des Innern, Staatsministers Or. Grafen von Posa- dowsky Wehner abgehaltenen Plenarsitzung des Bunoesrctthes wurde auch noch über den dem Kaiser zu unterbreitenden Vor schlag wegen Besetzung einer Mitgliedsstelle bei einer Disciplinar- kammer und über verschiedene Eingaben Beschluß gefaßt. — Gestern hielten die vereinigten Ausschü s s e Les Bunvesrathes für Zoll- und Steuerwesen, für Hanvel und Verkehr und für Rechnungswesen eine Sitzung. — Als Candidaten für die Bürgermeisterwahl werden in einflußreichen städtischen Kreisen die Stadträthe Kauffmann und Geh. Regierungsrath von Friedberg genannt. ! — Der evangelische Ober-Kirchenrath Hai nach der „N. Pr. Ztg." angeordnet, daß anstatt der bisher dem Kirchengebet eingefügten Fürbitte für die in China kämpfenden Truppen diese jeht in folgender Gestalt eingestellt werde: „Stärke und bewahre di: Söhne unseres Volkes, die in der Ferne unter den Waffen dem Vaterlande Lienen, und gied ihnen nach ehrenhaftem Frieden eine glückliche Heimkehr". — Der preußische Städtetag für 1901 wird am Dienstag und Mittwoch nächster Woche in Berlin zu seinen Be- rathungen zusammentreten, und zwar mit folgendem Programm: 1) Die Bedeutung des Kleinbahngesetzes für die Städte. 2) Die Betheiligung der Frauen an der offenen Armenpflege. 3) Die Fürsorge der Städte für die schulentlassenen Waisen. 4) Das Gesetz über die Zwangserziehung. Alle großen uno eine große Anzahl kleiner Städte werden vertreten sein, Berlin entsenvet allein neun Delegirte, und zwar außer dem Oberbürgermeister Kirschner drei Mitglieder Les Magistratscollegiums und fünf Stadtverordnete. — Die Berliner Zionistische Vereinigung hat Folgendes beschlossen: Die von mehr als 600 Juden besuchte Versammlung erklärt die Einrichtung eines allgemeinen deutschen Judentages für dringend wünschenswerth. DeS deutschen JuLentages Aufgabe soll t« sein, unsere bedrohte» staatsbürgerlichen Rechte zu wahre«, t»r Neiibelebimg LeS Zusammengehörigkeitsgefühls und zur Hebung des berechtigten Selbstbewußtsciu- der deutschen Juden beizutragrn. Die Versammlung erwartet, daß die Berufung der Drlegirten in einer Weise erfolge, die den deutschen Jndentag zu einer wirklichen Beo tretung der deutsche» Judenhrit macht. ä.Pascn, 27. Januar. DaS geplante große polnische G « w : rbr - und Vereinshaus auf dem Wilhelmsplatze wird — ein deutsches Hotel. Der Bau Les „Zorn (polnisches Gewcrbehaus) auf dem Wilhelmsplcch ist gescheitert, do der polnischen Gesellschaft, welche den Bau unternehmen wollte, das Capital zur Bebauung der Grundstücke fehlt. Die Gesellschaft hatte die Grundstücke Nr. 17 und 18 aus deutschen Hänven erworben und theuer bezahlt (600 000 L-k). Anstatt Vie Hausgrundstücke, die einen Miethsertrag von 30 000 jährlich brachten, vorläufig weiter zu vermiethen, riß man sofort sämmt liche Gebäude nieder. Der abermalige Versuch, Actien im Nomi- nalwerthe von 50 auszuschreiben und abzusetzen, mißlang, denn die Zeichnungen blieben aus. Es wurden daher Verhand lungen mit einer deutschen Gesellschaft behufs Ver kaufs ver beiden Grundstücke angeknüpft. Diese Verhandlungen sind jetzt dem Abschluß nahe. Mehrere deutsche Capitalisten, an deren Spitze zwei große Weinfirmen in Berlin uns Glogau in Schlesien stehen, werden die Grundstücke erwerben und darauf ein großes deutsches Hotel erbauen. — Die polnischen Gymnasiasten einer hiesigen höheren Lehranstalt sind von ihren Lehrern unter Hinweis auf die Haussuchungen an anderen polnischen Gymnasien ernstlich verwarnt worden. s Osnabrück, 27. Januar. Der Katholikentag wird in diesem Jabre bestimmt hier adgehalten. v. Ans Thüringen, 27. Januar. Wie sich die social demokratischen Verbände in die Angelegenheiten der einzelnen Fabriken unbefugter Weise mischen, zeigen die Vor gänge in dem gotbaischen Orte Gräfenroda. Di- Por- zellansabrik W. Her ne dort, sah sich Ende December veran laßt, einigen Arbeitern, die Unfrieden zwischen der Fabrik leitung unv den Arbeitern anzurichten drohten, zu entlasse:.'. Die Entlassenen wandten sich an Len Berliner Verband uns dieser verhängte die „Sperre" über die Fabrik. Letztere antwortete mit der Verhängung der Sperre über den Ver band, indem sie erklärte, keine Leute in der Folge mehr be schäftigen zu wollen, die dem Verband angehörken. 70 Ar beitern, die aus dem Verband nicht auStrelen wollten, wurv: in Folge dessen gekündigt. DaS Vorgehen der Porzellan fabrik W. Heene wird von den übrigen am Ort befiuoiicken Fabriken gebilligt. Fünf Tbonwaarenfabriken erlassen jetzt die Erklärung, Laß sie dem Vorgehen der Firma W. Heene folgend, überein gekommen sind, vom 25. d. M. ab keine Leute mehr zu beschäftigen, die dem „Berliner Ver band" angeboren. * Weimar, 27. Januar. Nachdem die Erkrankung der Großherzogs keinen Anlaß mehr zu Besorgnissen bietet, wird die Berufung des Huldigungs-Landtages gegen Mitte Februar erfolgen können. Dagegen wird von ver ordentlichen Landtagsscssion in diesem Frühjahre über haupt Abstand genommen werden. Die Etatsberathung für die Zeit von 1902 bis 1904 wird bis zum September verschoben werden; außerdem liegen dem Großherzog, wie der Regierung so viele dringliche Arbeiten vor, daß für einen Etatslandtag in den nächsten Monaten kaum die Zeit erübrigt werden kann. (Mgdb. Z.) * Darmstadt, 27. Januar. Die zweite hessische Kammer wird sich demnäckst mit der Entschädigung unschuldig erlittener Untersuchungshaft zu be schäftigen haben. Der GesetzgebungSauSschuß der Kammer hat einstimmig einen Gesetzentwurf, welcher diese Frage regelt, angenommen, und es erscheint sicher, daß das Plenum der Kammer diesem Beschluß ebenso einmülhig beistimmen wird. Ob der Entwurf wirklich Gesetz werden soll, ist aller dings fraglich. Die Regierung bat verschiedene, allerdings mehr formelle als sachlicke Einwendungen erhoben. Sie bat vor Allem darauf hingcwiesen, daß hier eine Collision zwischen der LandeSgesetzgebnng und der Reickszesetzgebung vorliege, insofern als die letztere diese Materie schon für sich in Anspruch genommen habe. * Rastatt, 27. Januar. Vor einiger Zeit erging, wie der „Bad. Beob." mittheilt, an alle Pfarrämter des Bezirks ein Erlaß über die Beerdigung der Selbstmörver, in welchem das großherzogliche Bezirksamt Rastalt die Uebung, Selbstmörder auf einem abseits gelegenen Platze LeS Friedhofs außerhalb der angelegten Gräberreihe zu beerdigen, als durchaus unzulässig bezeicknct und anordnet, daß auch die Beerdigungen von Selbstmördern in Zukunft in der in Ge brauch befindlichen Reihe, wie sie der Zeit nach aufeinander folgen, zu geschehen haben. Falls dieser Anordnung zuwider gehandelt wirv, soll aus Kosten des Veranlassers die Aus grabung ter Leicke und Wiederbeisetzung in der Reibe ver fügt, gegen den Todtengräber mit hohen Strafen und gegen den Bürgermeister auf discipiinarem Wege vorgegangcn werden. * München, 27. Januar. Bezüglich der Stellung deS preußischen Eisenbahnministeriums zu den zehn tägigen Rückfahrtkarten wird ver „Frkf. Ztg." folgende interessante Aufklärung von ihrem bekannten hiesigen Corre- spondcnlen zu Tdeil: Diese Vergünstigung wurde feiner Zeit sindczrmmer an der nebligen Küste Schottlands oder hoch oben im achten oder neunten Stockwerk eines jener beängstigenden „Wolkenkratzer" von New Dori schlafen ging, eine heiße Sehn sucht in ihr'eingestellt: nur einmal, ein einziges Mal, wollte sie ihre geliebten Berge Wiedersehen! Sie hatte schließlich einen halben Jahreslohn dafür hingeopfert, um die Reise nach der Schweiz ausführcn zu können — freilich hatte da auch noch ein stiller Jubel in einem geheimen Winkel ihrer Seele mitgeklungen, der ihr große Seligkeiten in der Heimath verhieß . . . Wie damals am ersten Abend nach ihrer Rückkehr stand sie nun wieder auf dem „Schänzli", dein kleinen Eiland in dem krystalltlaren See, und ließ ihre Blicke über das unvergleichlich herrliche Bild schweifen, das sich rundum aufrollte — über das im ersten Junggrün prangende Nfergelände, die sanft ansteigen den Rcbenhügel mit den blitzenden Billen, und weiterhin die sonnenglänzenden Gipfel der in unabsehbarer Kette sich hin ziehenden Alpenriesen. Da lag ihre Heimath, und doch — wie fremd war sie ihr ge worden! Nein, sie fühlte, daß die Nähe ihrer geliebten Berge sie nicht erhob, ihr zerrissenes, einsames Herz nicht befriedigte und heilte — sondern daß sie im Gegentheil immer von Neuem die kaum verharschte Wunde aufriß. Mittags begann Elisabeth nun mit allem Eifer die Suche nach einer Stellung. Sie wollte aber nur einen Wirkungskreis wählen, der räumlich von ihrer Heimath weit, weit getrennt war. Sie wanderte von einem Comptoir ins andere, um die Stellen angebote zu studiren, schrieb eine Unzahl Briefe, meldete sich da und dort al» Bewerberin — müde kehrte sie erst spät Abends in die Pension zurück. Hier herrschte große Aufregung. Die Abendausgabe der Züricher Blätter, die Ghey im Lese zimmer des Polytechnikums durchflogen hatte, und um die — wie er versicherte — die ehemaligen Hörer Zwyler'S sich rissen, hatten verschiedene ausführliche, höchst sensationelle Depeschen au» Bern gebracht. Die aufregendste war zunächst die: der Professor Arnold Zwyler lebte! Wochenlang hatte er sich im Hochgebirge auf gehalten, theils in einem elenden GebirgSdörflein, Windgäll am Grünberg, theilS in seiner selbst errichteten Hütte im Brandeis- gletschergebiet campirend, um trotz Winterkälte und hundert anderer Gefahren und Strapazen durch Arbeiten an Ort und Stelle nachzuweisen, daß die Theorien Götz Orell's, die die Grundlage bilden sollten für da» neue Bahnbauproject, auf ganz falschen Voraussetzungen bosirten. »tza, yritnlrin Grimm", rief der Student, die Lektüre dcS
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