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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.01.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010130027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901013002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901013002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-01
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Anzeige« »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 15 Neelamen unter dem Redactiousstriq (4 gespalten) 75 B,, vor dm Faimlimnach» richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz mtsprechmd höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenanuohme 25 P, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-AuSgabe, ohne Postbrfördrrung SO.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Aunahmeschlllk für Äuzeigen: Sb end-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgab«' Nachmittags 4 Uhr. Bei dm Filialen nnd Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Pol» tu Leipzig. 95. Jahrgang. Politische Tagesschau. " Leipzig, 30. Januar. Nach elftägiger Debatte hat der Reichstag gestern endlich den ersten Titel deS Etats des Reichsamts des Innern in zweiter Lesung erledigt und das Gehalt des Staatssekretärs dieses Amtes bewilligt. Wäre es freilich nach dem Wunsche der Freisinnigen und der Socialdemokraten gegangen, die gegen den Antrag auf Schluß der Debatte stimmten, so wäre das Haus noch nicht so weit und würde sich heute abermals über alle mög lichen Gegenstände, die nur irgendwie mit dem Reichsamtc deS Innern in Verbindung gebrach! werden können, besonders aber über die Wirkung erhöhter Getreidezölle, unterhalten. Selbstverständlich bildete dieses Thema auch gestern wieder den Hauptgcaenstand der gehaltenen Reden, obgleich wohl jeder der Redner dem Abg. Fürsten Bismarck beipflichtete, der zu Anfang der Sitzung die Ueberzeugung aussprach, daß keine noch so gründliche Auseinandersetzung einen Gegner bekehren werde. Die Gegner jeder Erhöhung dieser Zölle würden denn auch schwerlich das Pulver, das sie für die bevorstehende Berathung der Zolltarifvorlage auf der Pfanne haben, vorher verschossen haben, Wenn sic nicht gereizt gewesen wären durch die große Mehrheit, die der bekannte conservativ-klerikale Antrag bezüglich der Stellungnahme der preußischen Regierung zur Frage des höheren Zollschutzes für landwirthschaftliche Producte im Abgeordnetenhause gefunden hat. Sic wollten wenigstens anschaulich machen, daß im Reichstage das Stärkever- bältniß der wirthschaftlichen Gruppen ein für sie gün stigeres ist- Aber sie erreichten es nicht einmal, daß die ausschlaggebende Partei, das Centrum, ein Wörtchen dar über sagte, was es seinerseits urrtec einem „ausreichenden" Schutze der Landwirthschaft versteht. Darüber gab die gestrige Sitzung deS prentztschcn Abgeordnctcntmnscs wenigstens insofern Auf schluß, als der Centrumsabgeordnete Schmitz, augenscheinlich auf Grund einer Verständigung mit seinen Fractionsgenossen, zu einer vom Abg. vr. Barth ausgestellten Berechnung über den Ein fluß erhöhter Getrridezölle auf eine Arbeiterfamilie erklärte, diese Berechnung gründe sich auf da- Verlangen nach einem Schutzzoll von 8 diesem Verlangen aber stehe das Centrum durchaus fern. Trifft das, was Herr Schänitz im Namen der Crntrumsfraction des preußischen Abgeordnetenhauses erklärte, auf den größeren Theil der Ccntrumsfraction des Reichstages zu, so ist eine Gewähr dafür gegeben, daß die Bäume der extremen Agrarier nicht in den Himmel wachsen, ganz abgesehen davon, daß die verbündeten Regierungen sicherlich nicht daran denken, dem Verlangen der Berliner Leiter des Bundes der Landwirthe zu willfahren. — Am Montag wird das Abgeordnetenhaus in die erste Berathung der Canalvorlage eintrcten, zu deren Studium die Mit glieder am Freitag und Sonnabend sitzungsfreie Tage haben werden. Schwerlich wird aus der ersten Berathung ein Schluß auf das Schicksal der Vorlage gezogen werden können; di« Gegner der Wasserstraßen wollen erst sehen, wie die Zoll tarifvorlage aussieht und welche Aussicht sie selbst auf eine „Ver besserung" derselben haben. Man wird daher die Canalvorlage voraussichtlich sehr bald an eine Commission verweisen, die sich mit ihren Berathungen nicht übereilen dürfte. Man thut den kentrumSleuten bitteres Unrecht an, wenn man ihnen Vorwürfe wegen ihrer Poleusrcun-lichkeil macht; sie unterstützen die Polen nicht etwa um ihrer selbst willen, sondern um das Vaterland vor schweren Gefahren zu bewahren. Das Polenblatt am Rhein hat wiederholt darauf hingcwiescn, daß eine Verärgerung der Polen die schwersten politischen Schädigungen mit sich bringen müßte, weil die Polen dadurch Rußland in die Arme getrieben würden. Das Polenblatt an der Isar bringt jetzt eine neue Nuance in die Sache hinein, in- asm eS vor den schweren wirthschaftlichen Schäden, die der Kampf gegen das Polenthum im Gefolge habe, graulich macht. Es berichtet, daß die polnischen Kaufleute in Krakau und Warschau beschlossen hätten, in Zukunft alle reichs deutschen Fabriken zu boycottiren; sie wollten in Zukunft irur noch von polnischen Fabrikanten in Preußen uns Rußland kaufen und Maaren, welche diese etwa nicht liefern könnten, aus England beziehen. DaS bayerische officielle TentrumSorgan prophezeit, daß auch andere polnische Städte diesem Beispiele folgen würden, und dann würde das Ergebniß der preußischen Antipolenpolitik sein: „Schwere Schädigung des deutschen Handels und der Industrie und wirthschaftltche Stärkung des Polenthums." Nun, das letztere Ergebniß wäre ja sicherlich dem bayerischen Centrumsorgan gar nicht so unangenehm, denn seine Gesinnungsgenossen in der Ostmark thun schon jetzt das Ihre, um den polnischen Kaufmann, Arzt und Rechtsanwalt in seiner wirthschaftlichen Existenz zu stützen. Was aber die Polen und die Polenfreunde außerhalb der Reichsgrenzen anbelangt, so möge sich das Blatt nur beruhigen. Die polnischen Kaufleute in Warschau, Krakau, Lemberg und wie immer die Centren des Polenthums außerhalb Deutschlands heißen mögen, kaufen schon seit langer Zeit nur dasjenige vom deutschen Fabrikanten, was sie anderwärts nicht so gut oder nicht so billig bekommen können. Bei dieser Maxime werden sie wohl auch fernerhin ver bleiben, denn wenn sie etwa aus Groll gegen das Deutschthum anderwärts schlechtere oder theucrerc Waare kaufen wollten, nur, um nicht vom Deutschen zu beziehen, so würden sie sehr bald wirchschaftlich ruinirt sein. So weit Pflegt aber der Patriotis mus nicht zu gehen. Geht er doch auch bei den chauvinistischen Franzosen, die an Abneigung gegen das Deutschrhum sicherlich nicht hinter den Polen zurückstehen, auch nicht so weit, daß sie nichts bei den Deutschen kauften. Die französischen Kaufleute beziehen jahraus, jahrein für mehr als 300 Millionen Francs Maaren aus Deutschland, was- sie sicherlich nicht thun würden, wenn sie diese Maaren ebenso gut oder ebenso billig von ander wärts beziehen konnten. DaS bayerische Centrumsblatt glaube nur ja nicht, mit derartigen Schreckgespenstern die deutsche Re gierung oder die deutschg-sinnienParteien einschüchtern zu können. Dazu ist die Drohung"mit dem geschäftlichen Boycott ein viel zu verbrauchtes Mittel. Als vor einigen Jahren die preußische Regierung die Ausweisung von Dänen aus Nordschleswig ver fügte, kündigten die darüber erbosten radicalen Parteien einen gänzlichen Boycott deutscher Maar: durch dir dänischen Kauf leute an und sie führten dabei als unwiderleglichen Beweis einige von dänischen Kaufleuten herrührende Briefe ins Gefecht, in denen der deutschen Einfuhr der Krieg angekündigt wurde. Das Ergebniß dieser Hetze blieb aber vollkommen gleich Null. Selbst wenn aber der eine oder der andere polnische Kaufmann in Russisch- Polen oder Galizien seine Drohung wahrmachcn und wenn da durch rin gerinaer Ausfall für den deutschen Handel entstehen sollte — bciläus'g bemerkt, kauf en doch d.e polnisch«.» Ge werbetreibenden nicht nur bei uns, sondern sie verkaufen auch, beispielsweise Getreide, und sie müssen sich deshalb vor Repressalien in Acht nehmen, was ihre Kampfeslust wohl dämpfen dürfte —, so könnte darum die oeutsche bezw. preu ßische Regierung ihre Haltung gegen das Polenthum noch schwächlicher machen. Denn diese ohnehin wenig wirksam: Hal tung geht nicht hervor aus irgendwelchen Launen, sondern st: ist geboten durch die Rücksicht auf die gesicherte und unver- kümmert« Existenz des Staatswesens und der deutschen Nationa lität. Diese Factoren sind denn ooch so wichtig, daß sie nicht wohl der Rücksicht darauf, ob für ein paar Millionen Mark weniger Waare verkauft wird, weichen dürfen. Ucber eine französische Geschützlicfcrung berichtete kürz lich der „Rumänische Lloyd": „Die vor zwei Jahren auf Be treiben des damaligen französischen diplomatischen Vertreters erfolgte bulgarische Bestellung von Geschützen, und zwar von solchen 12- und 15-cm-CaiiberS für Positionszwecke und 6,5 cm für die Flottille bei Schneider in Le Creuzot ist, wie auS Sofia berichtet wird, nunmehr fast vollständig effectuirt worden. Die Ablieferung verzögerte sich, weil die bedungenen Vorauszahlungen von Bulgarien nickt geleistet werden konnten. Nunmehr scheint dir Constellation zwar keiner Zahlung, Wohl aber einer Creditgewäbrung günstiger geworden zu sein, nachdem die Mehrzabl dieser Geschütze in Bulgarien eingetroffen ist. Demgegenüber wird der „Echtes. Zeitung" von unterrichteter Seite geschrieben: Daß die Bestellung bei Schneider-Canet übrigens nicht vor zwei Jahren, sondern bereits im Februar 1897 auf Betreibe» des fran zösischen diplomatischen Vertreters und sehr gegen Len Wunsch Bul gariens erfolgte, ist richtig, di« Version aber, daß die Ablieferung der bestellten Geschütze sich deshalb verzögert habe, weil die bedungenen Vorauszahlungen von Bulgarien nicht geleistet werden konnten, ist eine Umkehrung der Thatsachen Hs gerade Gegenlheil. Nicht daß die Firma Schneider-Canet dir Geschütze geliefert habe und Bulgarien die Bezahlung schulvig ge- blieben sei, ist die Wahrheit, sondern: Bulgarien hatte längst bezahlt und wartete mit Schmerzen auf die Geschütze, aber Schneider-Canet war nickt im Stande, seine Verpflichtungen inne zu halten. Der Lieferungsvertrag datirt vom Februar 1897 und bezieht sich auf 24 12-em-Geschütze I-/28 in Belagerungslafetten, 24 15<m.Belagerungsdoubitzeii D/12 und 3 Batterien 7,5-om- Gebirgsgeschütze. Hinsichtlich deS LiefcruvgstermiuS war ver- ctnbart, daß achtzehn Monate nach Vorführung und Nb- nahine der vorher anzufertigenden Modcllgeschütze der Gefammt- austrag geliefert sein mußte. Modelltypen wurden mehrfach vor gestellt, ohne jedoch Zustimmung zu erlangen, bis schließlich im Frühjahr 1898 die Commission wenigstens den Typ für die 12-cw«Geschütze adoptirte, während die Modelle der 15-cm- BelagcrungSkaiwne, wie des 7,5-cw-GebirgSgeschützeS verworfen wurden. „Die Fabrik, welche selbst zugab, daß namentlich daS vorgeslellte 15-em-Geichütz in keiner Weise den Anforderungen entsprach, wußte jedoch damals folgende» Vorschlag durchzudrücken. Sie erbot sich, auf eigenes Risico und ohne vorher nochmals Tyven vorzustellen, die ganze Bestellung in Arbeit zu nehmen und auf die Gefahr hin, daß bei Nichtconvenienz keine Abnahme erfolge, vom November 1898 ab je 4 Geschütze jeder der bestellten Arten fertig zu stelle». Aber dieses Versprechen wurde auch nickt gehalten, denn bis zum November 1900 war noch kein Geschütz geliefert. Wohl ober wurde die Mißstimmung der bulgarischen Behörde» Lurch allerlei Winkelzüge und Schwierigkeiten der Firma Schneider- Canet, die nur den Zweck hatten, die Lieferung »och weiter zu ver- schleppen, gesteigert, und zwar umsomehr, als keine Hoffnung vor handen war, sich auS dem lausenden Geschäfte zu befreien. Tenn die schlimme pecuniäre Lage des finanziell von Frankreich in einer gewissen Abhängigkeit befindlichen Bulgariens verhinderte ei» festes Ailstrcte» der Regierung gegenüber der französischen Fabrik, anderer- s-its aber hatte Bulgarien üerei'-r eimn großen Theil den Kauf- summe vorausbezahlt." Sollte es sich nuu wirklich bewahrheiten, daß die im Februar 1897, also beinahe vor 4 Jahren in Auftrag gegebene Geschützlieserung uunmebr „fast vollständig", wie es heißt, effectuirt worden ist, so ist den Bulgaren immer noch Glück zu wünschen: bcsser einige vcralkeleGesckütze als gar keine. Daß sie aber bei dieser Gelegenheit als säumige Schuldner kingestellt und vie Verzögerungen mit ihrer Zahlungsunfähig keit begründet werden, ist doch etwas hart. Der Krieg m Südafrika. Ter Thronwechsel in England. Ein österreichisches Blatt schreibt: „Der Thronwechsel ist wie ein Einschnitt, der fast wie ein Naiur-ereigniß die Möglich keit eines solchen Schrittes eröffnet. König Eduard lvar als Thronfolger air der Politik persönlich unbethciligt, die zum süd afrikanischen Kriege trieb, ohne seine Dauer und seine Gefahr zu überblicken, ja, ohne zur erfolgreichen Führung desselben ge nügend gerüstet zu sein. Er ist der ueneMann, der einen neuen Weg einzuschlagen vermag, wenn es ihm er wünscht ist, in seine Regierung-zeit nicht ein Verhängniß mit herüberzunehmen, das nicht er verschuldet hat, und ein Odium von sich fernzuhalten, das feiner alten Mutter ihr letztes Regie- rungsjahr verbittert hat. Und wie sollte es ihm nicht erwünscht sein§ Weit verbreitet ist in England selbst das Verlangen, daß diesem Kriege, der die Bewegungsfreiheit des britischen Welt reiches bindet, ohne ihm Ruhm und Machtzuwachs zu verheißen, ein Ende gemacht werde; mühsam wird der unablässige Truppen nachschub aufgebracht, den der zäh« Widerstand der Boeren erheischt; abgelöst ist der KriegSrausch der ersten Monate von der Erkenntniß, daß das reiche und mächtige England den tapferen holländischen Bauern Großnnrth und Gerechtigkeit erweisen kann, ohne seine Macht und sein Ansehen zu beeinträchtigen (?). Eng land bleibt England, auch wenn es den Boeren da unten ein Maß der Selbstregierung einräumt (?), das die heldenmüthigen Kämpfer zufriedenstellt und ihm selbst keine Einbuße an den Zielen und Zwecken seiner südafrikanischen Politik auferlegt. König Eduard hat, bevor er auf den Thron gelangte, reich liche Zeit gehabt, zu ruhiger Besonnenheit und Mäßigung zu reifen, und das Schicksal bietet ihm die Gelegenheit, schon an der Schwelle seiner Regierung eine schöne That des Friedens und der Versöhnlichkeit zu vollbringen. In diesen schweren Tagen, da er sich anschickt, dem Sarge seiner Mutter zu folgen, befindet sich der Kaiser Wilhelm, sein Neffe, an seiner Seite, und dankbar überschüttet er ihn mit Ehren und Auszeichnungen, mit dem englischen Feldmarschallsstabe und den Diamanten zu dem Hosen- band-Orden, den auch ein König Eduard einst gestiftet hat; aber schwerlich wird sich der neue Herrscher von England verhehlen, daß die warmherzige Pietät und Familien-Anhänglichkeit des mächtigen Gastes, welche angesichts des Todes von dem ge- sammten deutschen Volke sympathisch empfunden wird, nicht immer mit der allgemeinen Stimmung in Deutschland zu sammentraf. Es ist erst vierzehn Monate her, seitdem der Be such des deutschen Kaisers bei seiner Großmutter im Schlosse Windsor die öffentlich: Meinung in Deutschland gegen sich hatte, und gerade der südafrikanische Krieg war es, der dieselbe wider England aufregte. Jetzt wird für em« kurze Weile das politische von dem menschlichen Moment überwogen; es ist ein« Pause. Abtt eine solche Pause des Ueberiviegens der menschlichen über die politische Stimmung ist auch die des Thronwechsels für den neuen König; er kann einen Act großherziger Selbst überwindung vollbringen, noch bevor die Zeit der Sorge und Verantwortung beginnt. Darum wartet die ganze Welt mit berechtigter Spannung, ob die große Gelegenheit an rhm den Mann der großen Entschließung finden wird. Gerade in der äußeren Politik ist seinem WiÜen ein weiterer Spielraum ge lassen; hier kann er zeigen, ob er durch eine kräftige Friedensthat die kriegsmüde Stimmung des englischen Volkes mit sich fort« zureißen und verlorene Sympathien außerhalb Englands für sein Volt wieder lebendig zu machen vermag." Alle diese Illusionen werden wohl über den Haufen ge- worsc.: durch die Meldung, daß König Edu>ard VII. in srinen Titel bereits die Bezeichnung „Oberster Herr von und über Transvaal" (entsprechend wird die Formel für den Freistaat lauten) ausgenommen hat. Damit giebt er kund, daß er Transvaal als eiiren integrirenden Bestandtherl Großbritan niens und seine staatliche Selbstständigkert und Unabhängigkeit für erloschen ansieht. Sollte Lord Salisbury, wie an gekündigt wird, nächster Tage demissioniren, so ist darin noch lange nicht ein den Boeren günstiges Symptom zu erblicken, denn als eventueller Nachfolger wird u. A. — Joseph Cham berlain genannt. Von gut unterrichteter Seit« wird außerdem versichert, daß der von der Königin Victoria wenige Tage vor ihrem Tode geschriebene Brief an Lord Kitchener keineswegs den Wunsch enthielt, cs möge der Krieg durch Nachgiebigkeit gegen die Boeren beendet werden. Die Königin hat vielmehr Kitchener zu den von ihm getroffenen umsichtigen Maßregeln beglückwünscht und die Hoffnung ausgesprochen, daß diese Maßregeln nun mehr zu einer wirklichen Beendigung des Krieges führen würden, wobei sie allerdings Kitchener ermahnte, bei der Behandlung der Gefangenen, der nicht be waffneten Boeren, sowie der Frauen und Kinder daS denkbar größte Mas; von Schonung anzuwenden. Nach Mittheilung des „Daily Expreß" hat Lord Roberts einem Besucher erklärt, es könne von einer Einstellung des Kampfes vor der vollständigen Unterwerfung beider Boercn- republiken gar keine Rede sein. Die von Kitchener be- nöthigten Verstärkungen würden binnen zehn Wochen in den Kampf eingreifen können, so daß dieser alsdann wieder 200 0ÖO Mann kampffähiger Mannschaften zur Verfügung haben werde. FrrriHeton. wj Das neue Lahnproject. Roman von Paul OSkar Höcker. RaLdnia c irdotr». Sie athmete tief auf, wie erlöst. „Ich danke Ihnen für das offene Wort. Es befreit mich von einer quälende», schweren Sorge." Fragend sah er sie an. Aber sie war zu bewegt, um gleich weiter sprechen zu können. Sie rang lange mit sich, eh« sie ihm eine Erklärung gab. Endlich kam es leise und schamhaft von ihren Lippen: „Daß ich an Arnold viel, viel wieder aut zu machen hatte, daß wußte ich seit jenem Abend, an dem Ihre Schwester — wie ein guter Engel, mahnend und bittend zugleich — vor mich hin trat. Aber das Gefühl der Ohnmacht quälte mich, ihm nichts mehr sein zu können — und die Verzweiflung darüber, ihm nichts mehr sein zu dürfen, marterte mich. Und doch schreckte mich der Gedanke wieder, daß er in trostloser Vereinsamung verharren müßte. Wie eine Erleuchtung kam's da über mich, nachdem ich bis dahin mit Blindheit geschlagen war: Ihre Schwester ist vom Himmel für ihn bestimmt — sie lieb«» einander Beide, sie ge hören zu einander — und nur um das mir einstmals gegebene Wort zu erfüllen, und um Arnold mit dieser vermeintlichen Pflicht ans Leben zu fesseln, wollte sie entsagen? .... Nicht wahr, so verhält sich'- doch? . , . Und Sie glaubten Beide, daß ich dieses Opfer annähme, selbst wenn ich'S könnte?" „Sie können's — und Sie müssen'-!" sagte Alexander mit letzter Kraft. „Sie Haden schon deshalb krin Recht, Arnold an der Erfüllung seine- Worte- zu hindern, lvril Sie durch ihn um Hab und Gut gekommen sind, und Sie ihm Gelegenheit geben müssen, für Sie zu sorgen. Ja, wenn Sie »och reich wären, wen» Sie sich da- Leben noch ebenso wie früher sorgenfrei und -ngemhrv gestalten könnten, dann würde er Ihnen vielleicht die Freiheit wiedergeben dürfen. So aber sind Sie Beide a» ein ander gebunden. Wenn Sie ihn auch seiner Pflichten für ledig erachten, weil Sie Elisabeth seine Liebe gönnen wollen — Sie dürfen es ihn nicht einmal wissen lassen, »ein, wahrhaftig nicht, denn der Gedanke, daß Sie der Nothdurft des Lebens durch seine Schuld preisgegeben wären, würde ihm unerträglich sein, würde ihn für alle fernere Zeiten an einem wahren, großen, unge trübten Glück hindern!" Anwachsende Leidenschaftlichkeit brach sich nun in stürmischen Worten Bahn aus Anna's Munde. „Nun, so lassen Sie mich's Ihnen denn endlich gestehen — was ich nur Arnold heimlich, in demüthiger Scham beichten wollte: ich habe kein Recht mehr auf seine Liebe, weil ich da- Band, daS mich an ihn knüpfte, eigenmächtig zerrissen — weil ich ihm in meinem Trotze die Treue gebrochen — weil ich mich in meiner unseligen Verblendung mit Drell, seinem grimmigsten Widersacher, verlobt hatte!" Sie wunderte sich darüber, daß der Geistliche nicht entsetzt zurückfuhr, sich nicht schaudernd über diese schimpfliche Fahnen flucht von ihr abwandte, wie sie'- erwartet und gefürchtet hatte. Alexander aber nickte nur ernst mit dem Kopfe. „Ich wußte eS, Fräulein Schwändi." „Sie wußten es?" „Don meiner Schwester, der e- ein Zufall verrathen hatte. Um zu verhüten, daß Arnold von Ihrer Uebereilung hörte, be vor Sie sich mit ihm ausgesöhnt hatten, kam sie her. Nun kann ich'S Ihnen ja sagen: Elisabeth weilt noch immer in meinem Hause." „Und Sie Beide haben Arnold uichtS von meinem Treubruch verrathen?" fragte sie, ali ob sie diese Großmuth nicht fassen könnte. „Oh, Fräulein Schwändi!" verwahrte sich Alexander fast ge kränkt. „Leltsame, wundersame Menschen!" tam es ergriffen von ihren Lippen. Doch dann richtete sie sich stolz auf. „Aber glaisüten Sir denn, bester Freünd, ich würde es ihm verschweigen können und wollen?" -' « ... „Ich würde es wenigsiens — begreiflich gefunden haben, Fräulein Anna. Denn schließlich. . ." Nun brach Anna mit einem Male in ein herzzerreißendes Weinen aus. Sie setzte sich auf den nächsten Felsblock am Wege, preßte das Antlitz in beide Hände, und lange, lange Zeit klang ihr erschüttertes Schluchzen durch die Sonntagsstille des Lenz- tageS. Alexander stand rathlos, hilflos dabei. Am liebsten hätte er mitgeweint — so bewegte es ihn, das unglückliche Geschöpf, dessen Stolz und Hochmuth vom Schicksal so tief gebeugt war, leiden, weinen und verzweifeln zu sehen. Schüchtern trat er näher. Er legte seine Hand zart auf ihre Schulter und sprach ihr bittend zu. Dann nahm er ihr endlich die Hände vom Antlitz und hielt sie bewegt in den seinen fest. „Wir wollten Sie doch damit nicht demüthigcn, Fräulein Anna. Ich ebensowenig wie Elisabeth. Gott ist mein Zeuge. Denn di« Hand deS H«rrn hat Sie so schwer getroffen, daß Ihnen ein Glück nun endlich zu gönnen wäre!" „Für mich giebt'S kein Glück in der Welt mehr!" hauchte sie in unsagbarer Trostlosigkeit. „Ja, in der großen, lärmenden, rauschenven, glänzend«,, Welt vielleicht nicht mehr, Fräulein Anna. Aber wenn Sie au» dieser fliehen wollten, sich, und waS gut in Ihnen ist, hinüberretten wollten in eine stillere — in den Frieden der Seele . . ." Er hatte sich scheu und zaghaft zu ihr gesetzt, ihre kalte, schlanke, zitternde Hand noch immer in der seinen haltend. Sie hörte nicht auf zu weinen. SS lag jetzt eine tiefe Rührung in ihrem Au-druck. Zu antworten vermochte fie ihm mit keinem Wort, weil die Thronen ihre Stimme erstickten. . . , SonntagSstillr herrscht« ringsum. Laue Lenzwinde spielten wohl hoch da droben über dem stillen Thal, aber hier unten bewegte sich kein Blättchen in dem jungen Grün der Matten und dem braunen Gestrüpp der vom Winterschne: befreiten Alpenrosen. Kein Laut der Außenwelt mengte sich in die rührende, schlichte Rede d«» Dorfgeistlichen, der di« Weinende mit so innigen Herzen-- tönrn aufzunchten, zu trösten, zu Sott zurückzuführen suchte.... Zum ersten Male hatte Arnolv gewagt, da- Bett zu verlassen. L«neli hatte es erst nicht dulden wollen. Immer wieder war fie in des Hausherrn Stube geeilt, al- müsse sie den Pfarrer zu Hilfe holen, damit der d«n Kranken in seinem Vorhaben hindere. Arnold lächelte darüber, denn er wußte ja, daß Alexander seine« neuen Gast entgegengegangen war — daß er mit der alten Magd ganz allein im Pfarrhaus weilte. Leneli fügt« sich endlich. Geschäftig rückte sie den Lehnstuhl ans Fenster und brachte Decken und Kiffen herbei. Arnold wun derte sich über die Umsicht der Alten. Ein halb Stündchen mochte er so, in stillen Träumen zum BrandeiSgletscher und zu den benachbarten Gletscherriesen em porschauend, zugebracht haben, als er endlich Anna Schwändi in de- Pfarrers Begleitung über den Wiesenhang daherkommen sah. Der Wagen, der das Handgepäck führte, war schon vor einer Stunde «inaetroffen. Tiefe» Mitleid zoa nun doch in sein Herz «in, als er daS bleiche Antlitz deS im TrauerNeid daherschreitenden Mädchen» er kannte. Kummer und Leid hatten der früher so kalten, stolze» Miene Anna's ihren Stempel aufgedrückt. Das Wiedersehen, die erste Aussprache mit ihr überzeugte ihn denn auch, daß Alexander Recht gehabt hatte: niedergebrochen war endlich die Hoffart der Millionärttochter — bittend, de« müthig, schuldbewußt trat sie ihm gegenüber. Einen flehenden Blick hatte der Pfarrer ihm zugeworfen, bevor er die Thür hinter sich schloß, daS Paar allein lafferch. Arnolv verstand ihn zu deuten. Aber e» hätte der Mahnung wahrlich nicht bedurft: er war nicht so grausam, s» kleinlich, da« er sich in solcher Stunde eine «neble Gemegthuuag verschafft Hätte. Die Rede war ernst, fast feierlich zwischen ihnen. Alexander stand mit seiner Schwester währenddessen »ntrrl still am Fenster. Er hatte seinen Arm um lhte» Nacken ge schlungen; Elisabeth'» Stirn lehnte am Fenster — ,nd langsam rannen «in paar Thronen an der Scheib« nieder. Lodtenstil, herrschte im ganzen Hause. Nur hier und da vernahm ma« ein hatzverloren«» Wort de» Haares do otzm. '
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