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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010202027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901020202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901020202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-02
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. «Hs kl. Sonnabend den 2. Februar 1901. Anzeigen «Prei- hie Sgespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedactionSstrich (»gespalten) 7ü H, vor deu Familiennach» richten (6 gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Leilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Posrbesörderung 80.—, mit Postbejürderung 70.—. Ilnnatimeschlub für Anzeige«: Abend-AuSgabe: Bornrittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe- Nachmittag» 4 Uhr. Bei deu Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen find stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet oon früh k bi» Abends 7 Uhr. Druck «md Verlag voo E. Polz tu Leipzig. 93. Jahrgang. Der Lrieg in Südafrika. Tie Lage auf dem Kriegsschauplatz. Da die Divisionen der Generale Knox und Bruce Hamilion, welche Lord Kilcheuer bebufS Sicherung Ler Golvmiuenbezirke nack Transvaal zurückgezogen hatte, abermals im Süden des Oranjefreislaates den Kampf gegen De Wet aufnebmen mußlen, so bat Kilcheuer die Division Smith-To, rien von der Delagoa- babn-Linie nach dem Mincnbezirk zurückgernfen. — Diese Tbatsache beweist, daß die britischen Streitkräfte nickt mehr iu der Lage sind, an zwei Stellungen zugleich angreisend aufzutreten. Die Sickerung von Pretoria und Johannesburg einschließlich deS RandbezirkeS nimmt die Kräfte Kitckcner's so sehr in Anspruch, daß selbst der abermalige Vorstoß gegen De Wet kaum als ein ernst hafte» Unternehmen angesehen werden kann. Es sind somit die britischen Garnisonen in Belfast-Helvetia, Mackadodorp und Komali Poort der Absckließung durch die Truppen Bolba'S ebenso preisgegeben, wie die Besatzungen von Rustenberz und deS westlichen Transvaal schon jetzt fast gänzlich durch Delarey abgeschnittcu sind. * Kapstadt,!. Februar. (Meldung des „Reuter'schen Bureaus".) Mehrere BoerencommandoS vom Norden und Nordosten LcS Oranjefreislaates rücken nach dem Süden vor. Ein neuer (?) Ver such derBoeren, in dieCapcolonie ein zu dring en, wurde von den britischen Truppen vereitelt. (?'?) TasBocrencommando, welches ins Centrum der Capcolonie eingedrungen ist, wurde von den britischen Truppen sehr bedrängt. (?) Die Boercn ließen viele Pferde und Wagen im Stich und zogen sich in östlicher Richtung in zwei Abtheilungen zurück. (Diese Musterdepeschc >u ihrer vagen, unbestimmten Redemeie ist zweiselwü in London bestellte und in Loudon besorgte Albeit, damit au« Tage der Bestattung der Königin der Bevölkerung zur befohlenen Landestrauer nicht auch noch unbesohlene» aber allgemeine und wirkliche BolkStrauer über die jüngsten Ereignisse in Südafrika hinzu komme. Vielleicht hat der kühne 2e Wet heute schon deu Lranjefluß .iberschi-tten und den Bodr.: der Capcolonie betreten. T. Lied.) Tie Zahnkrankheitcil Ser englische» Soldaten. Die anfangs unverständliche Meldung, daß Kilckencr aus den i» Natal befindlichen Flüchtlingen alle „Zadnkünstler" berufen bat, wird jetzt vom KriegSamt aufgeklärt. Es gratsirte nämlich unter Leu englischen Soldaten eine furcktbare Zahn- und Kieferkrankhcit, wclcke als Folge der verschiedenen klimatischen Krankheiten angesehen wird." Ti: Mannschaften verlieren zu viejen Hunderten ihre ganzen Gebisse, wobei sie tbeilweise laum fähig sind, irgend welche Nahrung zu sich zu nehmen. Tic neuen KricgScrc-itc. Die Ankündigung, daß von dem Parlament bei seinem Zusammentritt ein neuer Credit von beinahe anderthalb Milliarden Mark für die Fortsetzung des Krieges gefordert werden soll, wird auf das Betreibcu des Lord Robert» zurückgeführt. Derselbe soll erklärt haben, er könne seme Aufgabe nur dann durchführen, wenn ibm zur Volleudung des Krieges der Zeitraum des ganzen JakreS 1901 gelassen werde und wenn das Parlament in Bausch und Bogen die gejammte Summe bewillige, welche für diese Frist erforderlich sei. Die Wirren in China. Gerüchte vom Tode Li-Hung-Tschang'S. Der „Standard" erfahrt aus Sbaugbai unter dem 31. Januar, der Taotai Sckeug bestreite die Wahrheit des Gerüchte», Li-Hung-Tsckang sei schwer trank, wahrend das Blatt unter demselben Tage aus Tientsin be richtet, dort sei ein Gerückt vom Tode L>-Hung-Tsckang's und von der Berufung Zuan-Scki-Kai's nach Peking verbreitet. — In London liegt zur Zelt eine Bestätigung des Gerüchts, Li-Hnng-Tsckanz sei todt, nickt vor. Nack einer Blättcrnackrickt aus Peking vom 31. Januar hat L>-Hung-Tfckang ein kaiserliches Schreiben er halten, in dem er beschuldigt wird, die Hinrichtung der Beamten VON Paoriugfu durch die Verbündeten veranlaßt zu haben. Li-Hung-Tsckang habe den Beamten gerathen, sich widerstandslos den Verbündeten zu ergeben. FricScnSconfcrcn;. Die Londoner Blätter berichten aus Peking unter dem 31. Januar: Die Gesandten haben beschlossen, die erste Zusammenkunft m.t deu chinesischen Bevollmächtigten auf den 5. Februar fesizusetzen. Die Gesandten werten die Bestrafung der schuldigen Beamten verlangen. politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Februar. Unter der Uebersckrift „Tcr Kronprinz in England" schreibt heute die „Tägi. Rundsch.": ,,Eia Birminghamer Blatt, dem, wenn wir nicht irren, Be ziehungen zu Chamberlain nechgcsagt werden, will wissen, daß unser Kronprinz aus Wunsch deS Kaisers im Lause dieses JahreS einige Zeit in England verbringen soll, nin die politischen, commerziellcu und socialen Ver hältnisse Englands zu studireu. Wir möchten vor läufig diese Meldung fchr stark bezweifel», denn abgesehen davon, daß der Kronprinz zunnckst noch einige Zeit-actio zu dien.» hat, was für den künftigen obersten Kriegsherrn doch richtiger ist als die Kcnntniß der englischen Einrichtungen, so harrt Seiner noch die Bonner Universität und die Entführung iu die Staats- und Berivaltungögeschärre. Erst wenn der Thronerbe Liese Lehrzeit hinter sich hat, dürste er die Muße für englische Studien erübrigen." Auch wir bezweifeln zunächst, daß der Kaiser einen solchen Entschluß gefaßt habe, aber wir bezweifeln nickt, daß Herr Edambcrlain wünscht, es möge ein solcher Entschluß gefaßt werden, und mit allen ibm zu Gebote stehenden Mittel» auf die Erfüllung dieses Wunsches hinarbeiiet. Nichts könnte dem Manne lieber sein, als wenn der dereinstige Erbe der preußischen Königs- und der deutschen Kaiser krone in einem Alter, das für neue Eindrücke besonders empfänglich ist, und in einer Zeit, in der die Trauer um Leu Verlust Ler Urgroßmutter in dem jugendlichen Gemüthe noch nachziltert, aus deutscher Umgebung in englische verpflanzt würde, um unter einer Anleitung, auf die ja Ler Vater des Gedankens einigen Einfluß haben würde, die poli tischen, commerziellcu und socialen Verhältnisse Englands zu studircn. Nichts läge näher, als die Annahme, daß der Prinz in diesem Alter, zu dieser Zeil und unter solcher Führung nicht nur die politischen, commcrziellen und socialen Verhältnisse Englands kennen lernte, sondern auch die politischen, csmmerziellen und socialen Ver hältnisse überhaupt vom englischen Standpuncte aus zu beurtbeilen sich gewohnte. Rechnet man zu diesem Erfolge »och die Tankbarkeii, zu der ter Kaiser sich verpflichtet fühlen würde, wenn seinem ältesten Sobne am englischen Hofe daS ausgesuchteste Entgegenkommen bereitet würde, so begreift man nickt nur, daß Herr Ebamberlain erreichen mochte, waS die ihm ergebene Presse als Thatsacke dinstellt, sondern auch warum er eS erreichen möchte. Aber gerade der Grund des Wunsches macht den Plan zu einem sehr ernstlich ins Auge zu fastenden. Wir wollen nur nebenbei erwähnen, baß cs in Rußland sehr eigenthümlich berühren würde, wenn der deutsche Kronprinz gerade in England und unter englischer Führung seine ersten politischen, commerziellen und socialen Studien mackre. Tiefer würde der Eindruck in Deutschland selbst sein, und zwar nicht nur auf die „Bierbankpolitiker", sondern auch auf andere Kreise. Werden koch schon jetzt, besonders in „Süddeutschlaud", in conservativen Blättern Stimmen laut, die eine Erschütterung des Vertrauens aus die Neickspolitik als nolhwendige Folge der Hinneigung ihrer Träger zu englischem Wesen und englischer Politik Voraussagen. Gelänge es Herrn Ebamberlain, seinen Plan zur Nealisirung zu bringen, so würben solche Stimmen sich mehren und dock wahrscheinlich noch nicht der Stimmung im Laude vollen Ausdruck geben. Wir bezweifeln auch nicht, daß der Herr Reichskanzler, wenn er eine neue Rundreise an die deutschen Fürstenböfe machte, fast überall der Ansicht begegnen würde, es wäre seine Pflicht, mit allen Kräfien darauf binzuwirken, daß der Meldung des Birminghamer BlatteL baldigst ein unzweidelltizcsDementi folge. Den dem Reichstage angehörigen Gegner;, jeder Er höhung der Gebrauchs,öllc, die im Lande eine weit größere Zahl von Anhängern zu baden behaupten, als durch rie letzte Rcickötagswabl zum Ausdruck gekommen sei, ist durch den Verlauf der gestrigen Sitzung der würrtembergiscken Abgeordnetenkammer eine schwere Enttäuschung bereitet worden. Mit Nicht weniger als 63 gegen 20 Stimmen wurde, wie der Tckcgrapb b reitS gemeldet hat der Antrag, der dir Regierung ersucht, im BundcSratke für eine ausreichende Erhöhung der Einfuhrzölle auf Getreide, insbesondere auf Gerste und Hafer, eiuzulrctcn, angenommen, und unter Len für den Antrag stimmenden Abgeordneten be fanden sich nicht weniger als 6 Mitglieder der Volkspartei. Freilich werden die extremen Agrarier im Reichstage sick wobl hüten müssen, die Bedeutung LieseS Abstimmungsergeb nisses zu übertreiben und aus ibm die Berechtigung herzuleiten, die 63 würltembelgisckcn Befürworter einer ausreichenden Er höhung der Gnreidezölle für sick und ihre Ansprüche zu reclamircn. Denn soeben hat es sick in Bayern gezeigt, daß selbst die landwirthschaftlichcu Kreise nicht geneigt sind, sich die Forderungen der Führer deS Bundes tcr Landwirtbr unbe dingt anzueignen. In der letzten Sitzung deS bayerischen Landwirlhfckaflsraths lag nämlich ein Antrag deS KreiS- ausichusseS von M-ttelfranken vor, in welchem neben dem Maximal- und Minimaliarif sieben Mark alö Minimal zollsatz für Len Toppelcenlner aller vier Getrelbearten geforLert wurde. Ter Antrag wurde von dem agrarischen Hnßsporn Beckü begründet. Allein eS gelang, eins vom Direktorium vorgefchlagene Resolution einstimmig zur Annahme zu bringen, wodurch der Land- wirlbsckaflSralh der Erwartung ÄnStruck giebt, baß unter Einführung dcS Doppeltarifs eine Erhöhung der Zölle in dem Maße stattfinden werde, wie e» die landwirtbsckaftkiche Production und dasGesammtintereste des Staates an dem Fort bestehen der einheimischen Landwirtbschast als unbedingt er forderlich erscheinen lasse. — AuS dem Umstande, daß die Höbe des Zollsatzes unbestimmt gelassen wurde, kann natürlich nickt gefolgert werten, daß auck nur ein eiuzigeS Mit glied dcS LantwirlbschafiSraldS etwas gegen den 7-Mark- Zoll einzuwenden hätte. Je böber, desto besser! Aber es läßt sich dock daraus schließen, daß die Herren sich auck mit weniger zusiieven geben — und auf weniger rechnen. Viel leicht sind sie durch vertrauliche, aber bestimmte Mittbeilungen über die Anschauung der bayerischen Regierung zu einiger Resignation gekommen. Und eine solche ist den extremen Agrariern LeS Reichstags ebenso zu empfehlen, wie ihren freihLndlerischku Gegnern. Die TiSciplin tm englischen Heer bat immer zu wünschen übrig gelaßen, zu solchen Meutereien, wie kürzlich in St. Helena, dürste eS noch nickt gekommen sein. DaS „Neuler'jche Bureau" berichtet darüber: „Unter den hier (aus St. Helena) liegenden westindischen Truppen sind ernste Ruhestörungen vorgekommen. In der Neujahrs nacht kam es zwilchen einigen Matrosen vom Kriegsschiff „ThetcS" ond einigen der westindischen Soldaten zu einer Rauferei, bei der ein Soldat verletzt und infolge Lessen in» Lazareth geschickt wurde. Während eines am folgenden Abend von den Leuten der „Thetis" abgehaltenen Wohlthätigkeits - CvncerteS durchzog eine Anzahl Soldaten des westindischen Regiments mit Knütteln und Stöcken, an denen Rasirmesser gebunden waren, die Stadt. Zahlreiche Bewohner wurden verletzt, verschiedene Frauen ge schlagen, einer wurde ein Auge ausgeschlagen und einem Manne der Schädel gebrochen. Einige in dem Concertsaal befindliche Kmder wurden durch Rasirmesserschnitte verletzt. Zwölf Matrosen erlitten mehr oder weniger schwere Verletzungen. Die Leute brachen au» ihren Casernen auS, und die Versuche der Oisiciere, sie wieder zurückzubringen, erwiesen sich als vergeblich. Starke Patrouillen wurden von der Thetis" gelandet, aber infolge der fortgesetzter. Versuche Ler Soldaten, die Mattoien anzugreisen, mußte das Concert beendet werden. Die Soldaten wurden von ihren Olficieren die halbe Nacht hindurch durch die Straßen hin- und hergejagt, damit sie mit den an Land befindlichen Matrosen nicht zusamuicn- geriethen. Schließlich stürmten die Soldaten das Seemannsheim und schlugen dort Thüren und Fenster kurz und klein. Am folgen den Tage wurde ihnen besohlen, nach dem Lager zu gehen. Sie verweigerten jedoch den Gehorsam und drohten, die Häuser in der Stadt in die Lust zu sprengen. Die Pioniere und Artillerie wurden alarmirt und eine starke Abtheilung von dem Kriegsschiff wurde gelandet und die Straßen wurden die ganze Nacht besetzt gehalten. Ain nächsten Morgen wurde eine Compagnie dcS Gloucester-Regiment» von Teadwood geholt und deu Westindiern befohlen, sofort nach dem Lager zu gehen, widrigenfalls man auf sie schießen würde. Da sie sahen, daß man Ernst mache, formirten sie sich und marjchirten ruhig nach dem Lager. Ter ganze Ort ist in Aufregung und mau fürchtet, Laß die Westindier ihre Drohung wahr machen und einen Uebersall der Stadt versuchen werden. Vorsichtsmaßregeln sind getroffen worden. Tas Lager wird von Len Westindiern bald geräumt werden müssen, da neue Kriegs- gefangene «»kommen und 250 Mann Militär nach St. Helena unterwegs sind. Die westindischen Soldaten sollen in einem Lager Die Geschwister. 3j Roman von Alexander Römer. Nachdruck vkröctni. Die beiden Mädchen stemmten leise die Ruder ein und hielten das Boot still, sie lugten durch die erst matt grün schimmernden Zweige, die, noch nicht dicht belaubt, einigen Durchblick ge statteten. Da lagen zwei Jünglinge im Grase, sie wandten ihnen den Rücken und hatten von dem Boot augenscheinlich noch nichts gewahrt. Leopold hielt bie Arme unter dem Kopf verschränkt und schaute durch die Wipfel über sich an den blauen Himmel. Er declamirte ein Gedicht, ein pathetisches Liebeslied. Ellen unterdrückte ein Kichern, solch' hohen Schwung kannte sie an dem Poldel nicht. Der Andere, auch ein Abiturient, schlug mit einer Weiden gerte gegen den Baumstamm, an dem er lag. „Famos, Kramer! Hast Du das wirklich selbst gemacht?" „Sicher — ich schreibe jetzt an einem Drama — das spukt mir im Kopf, Du hast keinen Begriff davon — etwas Großes muß eS werden." „WaS für «inen Stoff hast Du denn?" „Na, aus d«m Mittelalter, zur Zeit der Minnesänger, und di« Heldin, das stolze Burgfräulem —" „Die schwarze Ulamn natürlich", sck^altete der Andere rin. Adine packte Ellen's Arm, ihre Augen blitzten spöttisch und triumphirenb. Sie wußte genau, wer damit gemeint war. Ellen hielt den Äthern an. „Vielleicht", sagte Leopold langsam, „sie wäre, das kannst Du nicht leugnen, eine poetische Figur, wie sie nicht besser zu finden ist." „Na — ob sie für Dich blos eine poetische Figur ist, wollen wir lieber nicht weiter untersuchen", rief der Freund lackend. Unsinn!" erklärt« Poldel unwirsch, „sie ist mir im Uebrigen völlig Wurscht." Adine tauchte plötzlich mit lautem Schlag die Ruder ein und ließ ein Lachen erschollen, das silberhell, nixengleich, über das still« Wasser ballte. Dir Jünglinge fuhren empor und sprauaeu auk iure °>üfie. Sie sahen sich ganz entsetzt um und entdeckten erst, als sie ein pa«r Schritte durch daS Dickicht sich bahnten, die Ursache deS SHuU, Leopold Kramer erschrak heftig. „Donnerwetter! Solch eine Hinterlistigkeit. Ob sie wirklich Alles gehört hat?" „Daß sie Dir Wurscht ist, wohl jedenfalls", meinte der Kamerad. Sie zogen sich eilig wieder in das Gebüsch zurück, in der schwachen Hoffnung, doch vielleicht nicht erkannt zu sein, und von ihrem Versteck aus verfolgten sie den Kahn mit seinen beiden Insassinnen. Die Helle Gestalt in dem blauen Kleide, deren sirenenhaftcs Lachen noch herübertönte, wiegte sich auf und ab nach dem Tacte der Ruder; in der ihr gegenüber sitzenden, kleineren dunklen er kannte Leopold die Schwester. „Na, Ellen soll mir berichten", sagte er. Seine Gefühle klärten sich allmählich, die Sache war nicht so haarsträubend. Schließlich — wenn sie sein schönes Gedicht gehört hatte, und die Be merkungen dazu — es war nicht geeignet, ihn in ihren Augen herabzusetzen. Warum horchte sie. Wenige Tage darauf nahm er Abschied; die sorglosen Schülerjahre waren vorüber, nun ging es hinaus ins Leben, in die Freiheit, in die akademische Burschcnhrrrlichkeit, von de: die Dichter gesungen. Vorher kam für ihn noch eine feierlcche Stunde in des Justiz rath Goldan'S Junggesellenheim. ES benahm Einem immer den Athcm, wenn man da über di: Schwelle trat. Frau Holz, der CerberuS, die Kiichenmegän — wie Leopold sie getauft hatte —, welche des pedantischen alten Herrn Hauswesen Vorstand, guckte mit ihren rothen, thränenden Augen jedesmal aus ihrer Thür, «wenn ein Besucher vorn in des Herrn Wohnräumc trat. Sie sorgte dafür, daß derselbe sich erst gründlich die Stiefel abkratzt:. Dann stand man in einem feierlichen Raume, dessen Wände mit Bücherregalen von oben bis unten bedeckt waren, dazwischen weiße Büsten, Galiläi, Newton, Leibniz, Goethe, Herder — auch ein Moderner — Nietzsche. Es roch hier immer nach Moder und Staub. Weiche Teppiche bedeckten die Dielen, Alles ließ auf große Wohlhabenheit des Besitzers schließen. Die nach hinten hinaus gelegene Schreiberstube, wo die gewöhnlichen Clienten warteten, war kahl genug, und daran stieß ein fast dunkler Raum, in dem eine ewige Lamp: brannte, di: Arbeitsstub: des JustizrathZ. Leopold kannte jene Gelasse, brauchte sie aber nicht zu be treten, er schritt vom Flur auS gleich in dieses Bibliothekzimmcr und rückte dann in das Merheiligste des Hausherrn vor, wo nur die Nächsten Zutritt hatten. Hier war äußerst behagliche Einrichtung, mit dunklem Plüsch bezogene Polstermöbel, schwere Vorhänge, «in großer, mit vielen Schubfächern versehener, mit Papieren und Briefschaften be deckter Schreibtisch, schöne Orlgemaldr, Copien alter Meister an den Wänden. Ter Justizrath erhob sich beim Eintritt seines Mündels und Schützlings. Er stand ganz allein, ohne irgend nahe Verwandte in de: Welt; ein Bruder, dessen Porträt über dem Schreibtische hing, war als junger Mensch gestorben; sein einziger Freund, Leopold s Vater, hatte auch nur knapp daS vierzigste Jahr er reicht. Seitdem lebt: d:r Justizrath ganz einsam, verkehrte nur mit seinen Clienten, und verbracht: zuweilen eine Abendstunde in seinrm Club. Dieser bestand aus einigen, ihm sympathischen Herren seiner Altersclafie, und führte im Publicum den Spott namen „Das WachSfigurencadinet". Fama behauptete, daß die Mitglieder außer einer kurzen Begrüßungsformel nie ein Wort mit einander wechselten, sondern schweigsam, lesend und rauchend, allabendlich eine Stunde gemeinsam verbrächten. Ob der Justizrath je eine Herzensaffäre, irgend welche traurige Erfahrungen mit dem weiblich:n Geschlecht gehabt hatte, wußte Niemand zu sagen. Auffallend war seine Weiberscheu. Außer Frau Holz, der Küchenmegäre, die ihm nur selten zu Ge sicht kam, sorgte sein Factotum, Schneider, für seine Bedürfnisse, — ein grauhaariger, mit bcträchtlickem Phlegma ausgestatteter Diener. Mit Schneider mußte sich Jeder stellen, der vom Justiz rath etwas wollte. „Du kommst, Abschied zu nehmen", sagte der alte Herr mit einem ungewöhnlich wohlwollenden Klange in seiner Stimme. „Freust Dich natürlich auf daS Hinausfliegen, und aus dem Frauenzimmergeplempel heraus. Ist auch nothwendia für einen Jungen, daß er früh vom Schürzenbande der Mutter los kommt." Leopold saß in strammer Haltung auf der Kante des Stuhles und versuchte, in correcter Rede nochmals seinen Dank auszusprechen. Er drehte dabei seinen ersten Cylinder, die un- begueme und unkleidliche Angströhre, zwiscb:n den behandschuhten Händen, bis der Justizrath ihm die Kopfbedeckung abnahm und auf den Tisch legte, wohl weil ihn dir drehende Bewegung nervös machte. „Ja, schon gut, schon gut", sagte ec auf die gedrechselten Dankesphrasen, „ich hoffe von Dir, daß Tu im Herzen dankbar bist und daS durch Dein Verhalten ferner beweisest. Du hast von Natur den nöthigen Verstand mitbekommen, brauche ihn, schaffe Dir Kennt nisse, die Dir eine frei: Stellung im Leben ermöglichen. Hüte Dich vor übermäßigem Kneipen, — ich wünsche nicht, daß Du in rin Corps eintrittst —" Leopold zuckte erschreckt zusammen, darauf hatte er sich be sonders gefreut; er wagte indcß keinen Einwurf. Der Justizrath, welche: die Bewegung sehr wohl gesehen und auch richtig ge deutet hatte, fuhr unbeirrt fort: „In den Corps herrscht jetzt, wie ich höre, ein übertrieben schwelgerischer Comment. Zu meiner Zeit war das anders — wir kneipten auch und standen auf der Mensur, aber es geschah Alles mit Maßen. Wir Alten haben uns unsere Gesundheit er halten. Nach den Studienjahren hörte das Kneipen gänzlich auf, jeden Abend um 10 Uhr zu Bett, am Morgen mit der Sonne wach. Ich habe stets in den frühen Morgenstunden gearbeitet und empfehle Dir das zur Nachahmung. Und dann noch eins: Hüte Dich vor den Weibern. Du kommst nun in die Jahre, wo sie Dir gefährlich werden. Du findest da nur zwei Sorten: entweder sind sie dumm, garstig und langweilig, oder schön, klug und falsch. Den Letzteren fallen wir zur Beute, wenn wir nicht auf der Hut sind. Ich habe Erfahrungen gemacht — Er fahrungen. Doch lassen wir daS — ich wollte Dich nur warnen zur rechten Zeit." Er saß in seinem geblümten Hausrock nach altväterischem Schnitt, nahm di: Brille von der Nase und sah grimmig vor sich hin. Um Leopold s Mundwinkel spielte ein mühsam verhaltenes Lachen. Der Alte war zu komisch; was der wohl für Erfahrungen gemacht hatte — wenn man sich den je als Verliebten dachte. Ueberhaupt machten ibm die Lehren des Vormunds geringen Eindruck. DaS Frühaufstehrn war des jungen Herrn Sache gar nicht, er dacht« es sich köstlich, endlich allen Zwange» ledig zu sein, sich seinen Tag eintbeilen zu können nach Lust und Laune. Gottlob blieb er nicht unter den Augen deS Gestrengen. Trotz dieser rebellischen Gedanken benahm sich Leopold indeß sehr manierlich und betonte seine guten Vorsätze in überzeugen dem Tone. Der alte Herr entließ ihn befriedigt. „Siehst Deinem unvergeßlichen Vater ähnlich", sagte er, «bleibe ferner in seinen Fußstopfen." Am nächsten Morgen geleiteten Mutter und Schwester den Scheidenden zum Bahnhofe. Leopold hatte es eigentlich nicht ge wünscht und zu Hause Abschied nehmen wollen, aber die Doctorin hatte erklärt, daß sie seine Gegenwart bi» zum letzten Augenblick genießen müsse. Ein wenig verstimmt, wenn auch nicht ganz ohne weich« Ge fühle, schickte Leopold sich darein. Er erwartete einige von seinen Commilitonrn auf dec Station. Die Unpünktlichen verspäteten sich indeß. und er blickte sich recht enttäuscht nach ollen Seiten um. Seine Eitelkeit hatte einen glanzvollen, die allgemeine Aufmerksamkeit erregenden Ab glanz geträumt. —.
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