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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010208025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901020802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901020802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-08
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Verheimlichte Schlappen; englische Gesammtverlustc Wenn die englischen Verlustlisten nicht wären und ihre grau same und rücksichtslose Sprache redeten, so würde manches Ge sucht und manche Schlappe der britischen Truppen in Südafrika wahrscheinlich überhaupt niemals bekannt werden, Dank der Vertuschungsmame des Londoner Kricgsamies. — In einem Scharmützel bei Tabacksberg am 29. Januar wurde eine englische Abtheilung von den Boeren gründlich aus- Haupt geschlagen, wobei di« Besiegten nicht weniger als 1 Officier und 6 Mann iodt, 50 Marrn verwundet und einen Hauptmann von der Ar tillerie nebst 17 Mann gefangen verloren, — und von Allem diesem hat Lord Kitchener bislang nichts zu berichten gehabt. — Am 1. Februar fand zwischen Frankfurt und Heilbronn ein anderes Gefecht statt, welches ebenfalls für die Engländer un günstig ausfiel und sie 5 Todte und 13 Verwundete kostete. Bei Middelburg wurden am 29. Januar 16 Gordon - Highlander verwundet und am gleichen Tage bei Jakobsdal im Freistaat in einem Engagement, welches von Tagesanbruch bis zum Mittage dauerte, 4 Mann getödtet, 15 verwundet und 6 gefangen ge nommen. So wird die bereits unendliche Reihe kleinerer Nieder lagen der Engländer fast mit jedem Tage länger und länger, und das englische Hauptquartier oder das Kriegsamt nimmt sich schon längst nicht mehr die Mühe, die lästigen „Einzelheiten" zu melden. >*s dient natürlich auch nicht zur Förderung der ohnehin rapide im Schwinden begriffenen Kriegslust im Lande, daß auf diese grausame und gewissenlose Art und Weise Hunderte von Familien über das Geschick ihrer Angehörigen brausten im Felde mit voller Absicht im Unklaren gelassen werden, so dast in ungs- ählten Fällen die sehr spät veröffentlichten Verlustlisten die erste Nachricht über so viele Gefechte und die entsprechenden Abgänge bringen. Noch den neuesten Veröffentlichungen betragen übrigens die bisherigen Totalverlustc der britischen Truppen r!.353 Officiere und 52 371 Mann nach folgender Zusammen- "ellung: Gefallen im G'fecki: 334 Officiere und 3343 Morn; on Wunden gestorben: 103 Officiere, 1081 Mann; in Gefangen schaft gestorben: 4 Officiere, 92 Mann; an Krankheiten ge storben: 188 Officiere, 7605 Mann; verunglückt: 6 Officiere, 230 Mann. (Summa, todt: 635 Officiere und '2 354 Mann.) Ferner wurden 1703 Officiere und 30035 Mann als unbrauchbare Invaliden nach England und den Colo nien zurückgesandt, während heute noch, sage und schreibe, 115 Officiere und 922 Monn sich in der Gefangen schaft der Boeren befinden oder sonst vermisst werden. Natürlich sind in die letzteren Zahlen jene 4—5000 Officiere und Mannschaften nicht einbegriffen, welche die Boeren freiwillig oder unfreiwillig wieder haben laufen lassen oder in Pretoria zurücklassen müssen. * Kapstadt, 7. Februar. (Meldung deS „Neuter'icbeii Bureaus".) Wie berichtet wird (von wem? D. Red.), drängen die britischen Trupven den Feind in der Cavcolonie zurück (?) und ein ausgedehnter Frontvormarsch der Cavalieri« aus beiden Flanken säubere daS ganzes!» Gelände. (?) Unabhänqig von dieser Bewegung sind auch die in dem südlichen Tistrict befindlichen Truppen in ein heitlichem Borrücken begriffen. * Capftadt, 7. Februar. („Reuter'L Bureau") Der Heraus geber der ,South African News" ist unter der Beschuldigung, ein verbrecherisches und aufrührerisches Pamphlet geschrieben zu haben, verhaftet, später aber gegen Bürgschaft wieder frei» gelassen worden. Politische Tagesschau. " Leipzig, 8. Februar. In allen Blättern, die Betrachtungen über die Rückkehr dcS Kaisers aus England anstcllcn, giebl sich ein Gcfiidt ler Genugrbuung darüber kund, daß das Oberhaupt des R icheS wieder auf deutschem Boden angelangt und sein Aufenthalt jenseits des Canals zu Enke ist. Dieses Gefühl ist aber trotz der bekannten Versicherung teS Reichskanzlers vom 12. Tccember vorigen Jahres, daß er nickt einen Tag langer Minister bleiben würde, „wenn irgend welche ver wandtschaftlichen Beziehungen, wenn ugend welche dynastischen Rücksichten Einfluss hätten auf unsere auswärtige Politik", nickt frei von Besorgniss wegen der politischen Folgen der Reise, und riese Besorgniss wird erst schwinden, wenn demnächst bei passender Gelegenheit im Reichstage eine abermalige ent sprechende Erklärung des Reichskanzlers erfolgt. Besonders werden diese Besorgnisse genährt durch die Meldung, daß dem Obeicomniantirenden des englischen Heeres, Earl Roberts, vom Kaiser der Eckwarze Adlcrorden ver lieben Worten sei. Deutlich drück: sich riese Besorgniss schon auö in den Zweifeln, denen die Meldung auf allen Seilen begegnet. Roch deutlicher gber in der Art und Weise, wie diese Zweifel begründet werden. So schreiben die „Hamb. Nackr.": „Wir haben nichts gegen Lord Roberts und gönnen ihm auch die kaiserliche Gnade, wenn er sie hat; aber die Verleihung des Schwarzen Adlers an ihn nach seiner Rückkehr aus Südafrika könnte alS nichts Anderes denn eine Anerkennung nnv Belohnung der Verdienste aufgesastt werden, die sich der General in einem Kampfe erworben hat, der, genau genommen, nichts Anderes ist, als eine Fortsetzung deS Jameson'schen Einfalles in grösserem Massstabe, des nämlichen Einsalles also, den der Kaiser seiner Zeit in seinem Telegramm an den Präsidenten Krüger vor aller Welt als einen rechtswidrigen Jrredensbrum gebranvma.lt bat. Unter diesen Umständen musste die geinelvete hohe Ordens- auszeichnung LeS Lord Roberts noch viel verwirrender und befremdender ans die Gefühle des deutschen Volkes ein wirken, als alle die betrübenden Erfahrungen zusammen, die es in der letzten Zeit hat machen müssen. Auch würde die Verleihung Les höchsten preussischen Ordens an Lord Roberts, als Anerkennung der Lesstunaen des Lord Roberts auf dem süd- astikauischen Kriegsschauplätze, als ein Heraustreten aus der bisher von Deutschland in dem Kampfe zwischen England und Transvaal beobachteten Neutralität bewachtet werden können. Schon auS diesem Grunde glauben wir die englische Nachricht für apokryph halten zu sollen und würden es im höchsten Masse be- dauern, wenn wir mir dieser unserer Annahme ins Unrecht gesetzt werden sollten." Nur in einer Zeitung, die allerdings vorläufig auck noch zu zweifeln behauptet, finden wir eine Auslassung, die den Versuch macht, die off ntlicke Meinung mit der etwaigen Verleihung zu versöhnen: in dem nickt selten zu ofsiciösen Kundgebungen benutzten „Hamb. Corr.", der sich folgender massen vernebmen läßt: „Sollte sie (die Meldung) sich dennoch als richtig erweisen, so würden wir die Verleihung bedauern und zwar doppelt, weil sie voraussichtlich auf zahlreiche deutsche Gemüther verletzend und provocirend wirken und als ein eclatanter Bruch der moralischen Neutralität bezeichnet werden würde. Wir selber halten allerdings eine solche Deutung weder für noth- wendig noch für erlaubt. Bor Allem commandirt ja Roberts nicht mehr in Südafrika, sodann aber batte er den Schwarzen Adler-Orden, wenn er ihn überhaupt erhalte» hat, natürlich nicht für seine Leistungen in Südafrika erhalten, sondern in seiner nunmehrigen Stellung als Ober« commandirenver dec britischen Armee. Wenn der Kaiser seine Erueuunng zum britischen Feiduiarichall zum Anlaß genommen hat. eine grössere Anzahl von Auszeichnungen zu verleihen, so hat dabei der Lbercoinmaiidireude nicht wohl umgangen werben können. Sollte er aber überhaupt einen Orden erhalten, so konnte für einen Ritter deS tzoieubandocdens kein anderer Orden als der vom Schwarzen Adler in Bewacht kommen." Das klingt fast, als sollte die öffentliche Meinung auf eine Bestätigung der Melkung vorbereitet werden. Bezeich nender für die Lage könnte kaum irgend etwas sein, als wenn man in Berlin das Ledürfniß empfände, erst nach und nach mit der Sprache herauSzurlicken. Während der Reichstag gestern nach längerer Debatte, über L:c der Sitzungsbericht hinlänglich orienlirt, mit der zweiten Beralhung des Etats des Reichsjustizamts zu Snc: gekommen ist, bat das vreustische Abgeordnetenhaus die erste Lesung der Canalvorlage beendet. Während an den drei ersten DebaNentagen wiederholt die Reckte und das Lenkrum den Versuch gemacht hatten, die Vorlage zu zer- nückeln, versuch!« gestern ein Mitglied der freisinntgen Volks partei, der Abg. Wiemer, der Commission, an die der Ent wurf verwiesen ward, den Nhein-Elbc-Canal zu entreißen nnd ihn für das Plenum zurück zu behalten. Für seinen Antrag erhob sich jedoch nur ein kleines Fähnlein von fünf oder sechs seiner FractionSgenosicn. Tie 28gliedrige Com mission wird sich bereits heule constituiren und in nächster Woche ihre Tbäugkeit aufnehmen. Neber die Aussichten der Vorlage herrscht, w).' die „Nal.-Lib Corresp." miktbeiik. in Aggeortnctenkreisen trotz der viertägigen Debatten noch völlige Unklarheit. Bemerkewi-wertb ist jedoch, daß die conserval'.ve „Scklcs. Ztg." sich bemüht, die conservative Fraktion für die Vorlage zu gewinnen. Auf die Erklärung des Abgeordneten v. Pappenbcun, dass seine Partei eS nicht zu verantworten habe, wenn mit dem Mittcllankcanal auch die Compenjatwnen fallen sollten, erwidert sie: Die conservaiwe Partei hat stets den Grundsatz vertreten, dass eS Sache der Regierung sei und jein müsse, die Grenzen anzuqeben, bis zu denen ihr Entgegenkommen sich erstrecken könne. Erklärt die Regierung also, das Hauplstuck der Vorlage sei der Miltellandcanal — oder vielleicht daS Anfangs- stück desselben — und scheitert der Entwurf durch daS Votum des Landtages, so kann diesem beziv. den Mehr- heitSparteien die Verantwortung auch für Las Schei- tern der Compensationen nicht wohl abgenommen werden. So wird wenigstens aus Grund der conservativeu Weltanschauung, die von einem Beugen der Regierungsautorität unter die Gewalt des Parlamentarismus nichts wissen will, geurtheilt werden müssen, und wir glauben. Lass auch die Rechte ebenso denkt. Von anderer Seite werden die Conservativeu auf folgende Meldung aufmerksam gemacht, die dem „Hann. Cour." aus Berlin vom 6. d. zugegangcn ist: Das Eentrnm, so verlautet zuverlässig, wird geschlossen für die ganze Eanalvorlage zu habe» sei», wenn die Regierung sich mit dem Centrum über die Lippesrage verständigt. Schon gestern hat zwischen dem Finanzminisler v. Miquel und einem der hervorragendsten Mitglieder der Centrumssraction des Abgeordnetenhauses eine Besprechung io dieser Angelegenheit slattgesunden. Das Centrum verlangt, dass in der Canalvorlage nicht, wie die Regierung vorgejchlagen Hot, die Emscherthallinie, sondern die Lippelinie als Dorunund-Rheincaual gewählt werde. Jedenfalls wird im Laufe der nächsten Wochen binter den Coulssscn noch mehr gearbeitet werden, als ia der Canal- Commission. DaS italienische Cabinct Saracco ist gefallen und es ist kein Schade darum, denn seine Haltung gegenüber den revolutionären Elementen, den Socialisten sowohl wie den extremen Republikanern, war eine geradezu klägliche und sie hat ibm schließlich auch daS Dasein gekostet. DaS Cabinet Saracco bestand seit 7 Monaten und hat in dieser Zeit eigentlich bloS von der Gnade der Parteien gelebt. Es bandelte sich bloS um den Zeitpunct und die Veranlassung, welche die Parteien zu seinem Sturz wählen würden. DieVor - gänge in Genua, die nun dazu bienen mußten, waren, wie man sich erinnert, folgende: Saracco löste eines Tages die Arbeitekammer von Genua auf, weil sie die Brut stätte revolutionärer Elemente geworden war. Sofort be gannen die Arbeiter von Genua zu streiken, ohne baß es sich um einen Gegensatz von Capital und Arbeit gebandelt hätte, einzig und allein, um gegen die Auslösung der Arbeilskammer zu prolesliren. Der Ministerpräsident beauftragte nun den republikanischen Abg. Mazza aus Rom, sich nach Genua zu be geben und dem Ausstand ein Ende zu macken. Der republi kanische Abgeordnete eilte nach Genua und bearbeitete den Präfekten dermaßen, daß dieser sich gezwungen sah, sich den Streikenden zu unterwerfen, während der socialistiscko Abg Cbiesa durch den Telegraphen mir dem Minislerpräsi- den.en wie ^ine Mackt mit der anderen verbandelte und »hm die Bedingungen für das Enke des Ausstandes auferlegtr. Die von ter Regierung anaenommenen Bedingungen waren folgende: die sofortige Neubildung der Arbeitskammer und eine große Volksversammlung im Theater Carlo Felice, um den vollständigen Sieg über die Regierung zu feiern. Bei diesem Volksfest hielten die repuvli- kanischen und socialistischen Abgeordneten die übeimütbigsten Reden. Wenige Tage darauf fand in Genua eme Ersatz wahl statt, und natürlich trug der republikanische Candirat einen großen Siez davon. Die Regierung hat durch ihr Verhalten gleichsam feskgestellt, daß die der Monarchie feind lichen Parteien das Recht eines Vetos gegenüber den Regie- rungskandlungen haben, und sie fällt jetzt wegen ibrev Schwäche gegen die anti-monarckischen Parteien, die sie ver gebens durch das Gesetz gegen Len Anarchismus hat wieder gut machen wollen. * Rom, 7. Februar. Der König batte heute Nachmittag Be sprechungen über die Lage mit dem Präsidenten der Teputirlen- kammer Villa und dem SenatSpräsidenten Cannizzaro. " Rom. 7. Februar. Die Abendblätter halten eS für wahr scheinlich, Lass der Kammerpräsident Villa oder Saracco (?) Leu Austrag zur Bildung des Cabmets erhalte. Frurlleton. Die Geschwister. 8) Roman von Alexander Römer. Nachdruck kirtoUu. Ihr rann plötzlich eine Eiskalte durch die Adern. Scheu, verstört, hilflos wie ein Kind, stand sie da und starrte auf den, der ihres Lebens einziges Licht geworden war und der weit über sie hinweg sah. Sie verstand nicht, was geschah, sie hatte keinen einzigen klaren Gedanken. Es senkte sich wie eine schwarze Wand über ihr Dasein, sie fühlte dumpf das Näher- und Näher- lommen, bis sie sie erdrückte und begrub. Sie weinte nicht in diesem Augenblicke, sie, der sonst die Thränen so lose saßen: es war in ihr Alles erstarrt. Sie hatte mechanisch ihren Arm aus dem seinen gelöst, ohne zu wissen, was sie that. Er gewahrte es nicht. Sie standen im kleinen Gehölz hinter den Wiesen, wo die Kühe weideten, wo sie einander zufällig getroffen. Sie hatte seiner geharrt, da sie wußte, daß er zu einem Club in der Festenburg gegangen war, und war selig gewesen, alt er wirklich allein heimkam, den Weg, den sie ver- muthete. Nun schritt er mit dem finstern Gesicht, das er jetzt immer hatte, neben ihr her und redete weiter. An eine Hcirath war in langen, langen Jahren noch nicht zu denken, — sie möge sich um Gottes Willen keinen thörichten Illusionen hingeben. Der Justizrath willige so lange er lebe in solche Heirath nie — was aus ihm unter diesen Umständen würde, sei gar nicht zu berechnen. Sie hörte und verstand kaum. Es war lote rin dumpfes Ge braust, aus dem sich in ihrem Hirn nichts formte. Dann besann Leopold sich, und es flog ihm wohl durch den stopf, zu wem er sprach. Er wandte sich nach ihr um, er wollte sie in seine Arme ziehen und küssen, >wie sonst. „Na. Kleine, war das Hagclschlag in Deinen Blütheugarten." Zum ersten Male empfand sie den herablassenden, gering- schätzenden Ton, der ihr galt, und eine jähe Blutwelle schoß in ihr stssndergesicht. Sie bog den Kopf zurück und verweigerte ihm den Kuß, sie wandte sich still ab und ging von ihm fort. Er sah ihr in maßloser Betroffenheit nach; was kam sie plötzlich an? Eine alberne Empfindlichkeit? Was batte er denn gesagt? Nur, waS sie doch wissen mußte, ewig konnte sie kein Kind bleiben. Er blickte der langsam über die Wiesen dahinschrcitenden Gestalt nach und ihn frappirte der sonderbar müde Gang. Etwas regte sich da in seinem Gewissen, etwas sehr Unbequemes, was er gern in Hellem Zorn ersticken wollte. Sic war ein zimper liches Ding, ganz unerfahren, auch beschränkten Geistes, leider. Er nahm den Hut ab und kraute seinen Kopf, ja — man stürzte sich manchmal so besinnungslos in solche Leidenschaften — Leidenschaft — nein! Das Wort umfaßte Anderes — dies war Tändelei. Spiel, Zeitvertreib gewesen — du lieber Gott! Man langweilte sich in solchem kleinen Nest ja schier zu Tode. Sie würde schon darüber fort kommen, im Grunde paßten sie ja gar nicht für einander, sie mußte dereinst den Apotheker da an der Ecke, oder den Krämer da drüben, oder einen Andern dieser Sorte hier hcirathen, und würde eine reizende, glückliche Hausfrau werden. Er war doch gar nicht hart zu ihr gewesen eben, und da ging sie so von ihm- Hatte sie etwa gefühlt — ? Abe: das wäre jo schon Hellseherei, und sie sah nicht einmal, waS in ihrem nächsten Umkreis geschah. Kleinliche Ucbclitthmerci war's, ein ganz dummes Schmollen — na, dabei wollte er sie belassen. Er wandelte seine Straße mit stolzem Schritt weiter, zur Stadt zurück, begegnete Diesem und Jenem, wechselte Worte und Scherze und kneipte bis nach Mitternacht im „Deutschen Hanse". Im Kneipen leisteten diese Pfahlbürger hier Er kleckliches. Susi war nach Hause gegangen. Den Vater fand sie um diese Stunde nie daheim. Er trank dann seinen Schoppen im Raths keller, pünktlich nach der Uhr, sein Leben war eingctheilt und geregelt nach Minuten. Um acht kam er dann, um mit ihr seine Abendsupp« zu essen, gesprochen wurde dabei nicht viel, der Vater nahm bald seine Zeitung und las bis zum Schlafengehen. Jetzt war cs erst sechs Uhr, es lagen noch Stunden vor ihr, wo Niemand sie störte. Sie saß mit im Schooß gefalteten Händen und starrte auf die Blumen am Fenster und den lustig zwitschernden Vogel in seinem blanken Messingkäfig. Was war denn geschehen? Sie konnte sich gar nicht recht darauf besinnen. Die Worte, welche unter dem Brausen ihrer Gefühle an ihrem Ohr vorüber geglitten waren, ohne sic zu erreichen, kamen ihr jetzt wieder, als hätten sie sich da irgendwo festgesetzt, uno lösten sich nun und drangen in ihr Hirn. An eine Heirath war in langen Jahren nicht zu denken — „gieb Dick keinen thörichten Illusionen hin, der Justizrath willigt nie in eine Heirath —", ja, was bedeutet daü? Dann — dann waren sie ja getrennt — und er hatte gesagt, er ginge bald fort. Es stieg ihr herauf, wie ein Krampf — er hatte sie nicht zurückgerufen, als sie ohne Abschied von ihm ging in dem instink tiven Gefühl einer furchtbaren Kluft, die plötzlich zwischen ihnen lag. Kam er denn jetzt nicht, um sie zu trösten, um dir in Un- muth gesprochenen Worte rasch zurückzunrhmen? Kathrin trat ein und deckte den Tisch, sie hörte des Vaters Tritt draußen — Stunden waren vergangen, seit sie hier saß — sic sprang verstört auf, ihr war zu Muthe^ als wüßte sie sich nicht mehr zurecht zu finden in der Welt, wenn Er, der sie ihr er schlossen hatte, sie verließ. Sic wartete und wartete von da an — ihr ganzes Denken war ein Warten, ein Horchen auf seinen Tritt, ein Spähen nach einem Lebenszeichen von ihm. Endlich vermochte sie den Zu stand nicht mehr zu ertragen. Er war nock in der Stadt, von Andern erfuhr sie es, er zürnte ihr, weil sie damals von ihm gegangen war, er erwartete von ihr ein Entgegenkommen. So schrieb sie denn ihm, zum ersten Male. Er hatte es ihr ehemals verboten, je solch' ein Verkehrsmittel zu gebrauchen, es war zu gefährlich für ihr Geheimniß in der kleinen Stadt, ihre ungeübte Handschrift war zu leicht kenntlich und auffällig, er fand genug Mittel und Wege, sie zu sehen. Aber jetzt — jetzt mußte es sein. „Warum kommst Du nicht? Warum rufst Du mich nicht? Ich sterbe über diesem Warten." Leopold war beim Packen und Ordnen seiner Sachen und notirtc die AbsckiedSvisitcn. die zu erledigen waren. Er batte seine Abreise beschleunigt, ibm brannte hier plötzlich der Boden unter den Füßen. Er wurde bleich, als seine Wirthin ihm den Vries brachte. Die neugierige Person beäugelte noch die Adresse, als sie ihm denselben reichte, und machte ein fatales, lächelndes Gesicht. Er war wüthend. Ganz ausdrücklich hatte er eS der Susi untersagt, an ihn zu schreiben, und nun — wäre er doch fort! Er erbrach das Couvert und über'log die flehendeu Worte. Ich sterbe — ja, mit dem Sterben waren sie immer gleich bei der Hand, — ob ihn das etwa einschüchtern sollte. Da trete sie sich. Er empfand jetzt sehr hart gegen die arme Susi. Die ganze Geschichte war ein Unsinn gewesen, je eher da abg«. schnitten wurde, desto bester. Denn der Alte gar noch Wind bekam, platzte vielleicht noch ein Höllenspektakel los. Er übersäte — reisen tonnte er erst übermorgen, — er mußte sich noch ovmelden beim Vorgesetzten — sie war im Stande, dem Vater zu beichten, oder sonst heillose Geschickten ciinubändeln, wenn er nicht aniwortete — das Veste war wohl, ec versuchte. st> zu sorechen, einstweilen zu beruhigen und den zwingenden Ver nunftsgründen zugänglich zu machen. Zein Leben nahm nun einen so ganz anderen Verlauf, daß er sie wahrhaftig nicht an sich binden wollte, nein — das wäre jetzt Unrecht — sie mußte frei sein, cs fand sich gewiß bald für sie eine passende Partie. Er warf sich in die Brust und fühlte sich ganz erfüllt von Pflichtbewusstsein. Er ging um die Abendzeit, zwischen sechs und acht Uhr, wo er sie allemal allein wußte. Da wollte er ungestört zu ihr reden. Seine Schritte waren langsam und zögernd heute als er den gewohnten Weg machte, hinten an den Gärten entlang, durch die kleine, schmale Gasse, wo auf der einen Seite die Mauer, welche die Wollfabrik umgrenzte, auf der anderen hohes Gebüsch jeden Aus- und Einblick hinderte. Der Pfad war schmutzig, eng und düster, und selten begangen, ihn hatte er oft heimlich zur Geliebten geführt. Wenn er am Ausgang um die Ecks bog, war er beim Häuschen deS Amts schreibers Kern. Was war denn das heute? Ein Rudel Jungen stand da auf den Zehen und versuchte in die niedrigen Fenster des Erd' gcschosscs zu blicken, sie flüsterten und sahen verstört auS. Leopold hielt finsteren Blickes inne. „Was ist das?" fragte er lzerrisch mit unterdrückter Stimme, „was habt Ihr hier zu suchen?" Die Jungen wandten sich um — und tuschelten dann. Der Größte unter ihnen, der auf dem Gesims stand und bis an die Fensterscheiben heranreichte, sagte grinsend: „Sie haben ihn eben gebracht — da liegt er — er ist wohl todt." Leopold erschrak jäh, es rann ihm eiskalt durch die Adern. „Wer — wer ist todt, dummer Junge?" fragte er athemlos. „Na, wer denn sonst, der Herr Ämtsschreiber, sehen Sie mal hin, da liegt er." Leopold's Füße wankten, er trat aber doch einen Schritt vor und riss den Jungen von dem Fenstersims herunter. Vor seinen Augen zuckten bunte Lichter, er sah nichts klar, er hört« nur — hörte einen schrillen Schrei, und er kannte dir Stimme. Ihm war, als müsse er da hineinstürzen und die, welche da im wilden Sckmerz ihm Hilfe suchend ihre Arme entzegenbreitetr, an seine Brust nehmen. Einen Moment empfand er so, dann trat er unwillkürlich ein paar Schritte zurück, dem dunkeln engen Sange zu, aus dem er gekommen war. Zwei Männer schritten von der anderen Seite auf das Haus zu, der Arzt, den er kannte, und ein College des AmtSschreibers. Bald darauf auch zwei Frauen, Susro Tante, dis Frau Lontroleurin, der er gern in weitem Bogen aus dem Wege ging, und Susi'S Freundin. Er besann sich und holte tief Athrm. Die standen ihr bei, und paßten da besser, als er. zu dieser Stund«.
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