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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189704308
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18970430
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18970430
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-04
- Tag1897-04-30
- Monat1897-04
- Jahr1897
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1897
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7» kommenden Vater, wie auch an dem Lbend, mit dem diese Erzählung beginnt, gestört ward. Erschrocken fuhr sie aus ihrem Schlaf auf, al- der Schornsteinfeger taumelnd die Treppe heraufgepoltert kam, brunnnend Licht »erlangte und auf seine Frau loSwetterte, die ungeschickt, wie sie stet» war, ihm Borwürfe über seinen Zustand zu machen versuchte. Esfie sprang weinend au» dem Bett, flehte für die Mutter um Gnade und lenkte den Zorn de» Betrunkenen damit auf ihr eigene» Haupt. Er trieb sie die Treppe hinunter, sich hoch und theuer verschwörend, daß sie von ihm keinen Bisse» Brod mehr erhalten solle — .sie faule, dumme, nase weise Gan»!" Wie kam er auch wohl dazu, sie ou-zufüttern? Er war — Gott fei'» gedankt — ihr Vater nicht! Und eS paßte ihm schon lange nicht mehr, sie seinen eigenen Kindern im Weg stehen zu sehen. Damit jagte er sie halb bloß, wie sie war, auf die Straße hinau» und schloß da» Hau» hinter sich ab. Am nächsten Morgen erschien mit einem blauen Auge Frau Blocker bei den Dewall», die ihren Sohn in aller Frühe schon zu den Schornsteinfegerleuten herumgeschickt hatten, um für Essie Sachen zum Anziehen zu holen. Blocker selbst ließ sich nicht sehen. Er schämte sich, lag daheim in seinem Bett, die Lecke bi» über die Ohren gezogen und schlief seinen Rausch au». Al» Esfie ihre Mutter im Gesicht so arg zuge richtet erblickte, brach sie in Thränen au» und klammerte sich an sie fest. .ES ist gar nicht so schlimm," meinte Frau Blocker mit gezwungenem Lächeln zu den Dewall». .Blocker ist eben ein etwa» komischer Kauz, und wenn er angetrunken ist, wird er gar wunderlich. Wa» kann man dagegen thun? Männer sind eben so, und wir müssen un» fügen. War übrigens auch Alle» gar nicht so böse von ihm gemeint!" Mit ihrem Manne hatte sie gleichwohl daheim ganz ander» gesprochen: .Du schwarzer Wütherich und Unhold, Du!" hatte sie dort zu ihm gesagt, wenn e» Dir einfällt, noch einmal meine Essie so zu behandeln, zerraufe ich Dir alle Deine Essrnbesen, daß Du Dir neue kaufen mußt. Dann wirst Du e» schon satt bekommen, Dich wieder an einem unschuldigen Mädchen so zu vergreifen!" .Willst Du ruhig sein, Weib," brummte der Essenfeger unter seiner Decke. .Ist da» ein Sonntag, wo man sich end lich einmal von all dem Frühaufstehen der Woche auSruhen mag? Benn Du nicht still bist und mich aurschlafen läßt, dann, dann —" Dabei zog er sich, ohne seine Bedrohung zu beenden, sein Bett weit über die Ohren, fing an, au» Leibeskräften zu schnarchen, und nun ging Frau Blocker, da sie von ihm keine Antwort mehr zu erhalten im stände war, in die Samen handlung hinüber, wo sich, nachdem sie Herrn Blocker und sein ungebührliche» Benehmen vom vergangenen Abend ent schuldigt, folgende» Gespräch entspann: .Dächte, Frau Nachbarin," meinte Frau Dewall, .Sie ließen die Kleine heute noch bei un», vielleicht reizt es Ihren Kann, wenn sie ihm so schnell wieder unter die Augen tritt." .Gerechter Himmel, nein," antwortete die Schornstein- fegerSfrau, .da» ist wirklich nicht nöthig. Er ist jetzt, wo er seinen Rausch au»geschlafen, so sanft wie ein Lamm, die Güte und Freundlichkeit selber." .Wie Sie wollen," meinte die Frau de» Eamenhändler», .ich bot e» Ihnen auch nur an." .Und ich bin Ihnen dankbar dafür," versetzte Frau Blocker. .Aber jetzt soll un» Jim, erst mir und Essie für den Wandel, den er gemacht hat, und für Alle», wa» wir auSgestanden haben — gleich heute noch — ein Paar schöne Pelzmuffen schenken. Er soll'» un» bezahlen, daß wir un» wieder mit ihm vertragen! Er soll un» —' .Rathe Ihnen aber doch," unterbrach ihren Redefluß Herr Dewall, „rathe Ihnen aber doch al» ein Mann, der e» gut mit Ihnen meint, Ihre Esfie so bald al» möglich au» Ihrem Hause heraus und irgendwo in den Dienst zu bringen. Wenn Blocker so scherzt, möchte ich nicht dabei sein, wenn er in Wuth ist. Suchen Sie ihr lieber doch so bald al» möglich eine Stelle, Nachbarin, glauben Sie mir, e» thnt nicht gut, Porzellan-Theetaffen mit Kieselsteinen zusammen in einen Sock zu thun und sie, wenn auch nur zu« Spaße, zu schütteln. Den Kieseln freilich thut'» nicht», allein da» Porzellan geht in Stücke. Da» ist meine Ansicht, die Sie Ihrem Manne ruhig wiederholen können." Frau Blocker hörte auf den Rath ihrer Nachbarsleute nicht und brachte Essie nicht au» dem Hause. Sie konnte sie eigentlich auch nicht entbehren. Esfie war da» einzige Element der Ordnung in der Birthschaft de» Schornstein feger». Sie war die Einzige im Hause, die etwa» richtig an faßte und auch zu Ende führte. Ihre Mutter fing ihre Ar beiten immer nur an. Voller Geschäftigkeit ging sie daran, Kleider zu flicken, Kniee und Gesäße in alte Hosen einzusetzen und zerlöchert« Strümpfe zu stopfen, aber fertig machte sie nicht». „Schau her, Essie," sagte sie wohl, „o Jemine, o Je mine, wo» habe ich wieder gethan I Nähe ich da» Stück Tuch verkehrt in Vater» Ellbogen ein! Sei gut, Kind, nimm e» heraus und nähe e» richtig ein." Oder aber sie rief: .All- mächtiger, Esfie, wie ist der Strumpf geworden! Hab ich von Anfang an falsch gezählt, und nun kommt der Haken heraus, wo der Spann sitzen muß. Komm, trenne ihn auf, Mädel, und bring ihn in Ordnung!" Seit Frau Dewall dem armen Kinde in der Nacht, da sie von ihrem Stiefvater auf die Straße hinau» gejagt worden war, Obdach gewährt, forderte sie sie wiederholt auf, ganz ungenirt in ihr Hau» hinüterzukommen und ihre Näharbeiten dort zu machen. Anfang» kam Essie nur sehr selten, sie war kein aufdringliche» Kind. Nach und nach wurden ihre Besuche häufiger und dauerten länger. Sie sand, und auch ihre Mutter merkte die», daß ihre Arbeit schneller fertig wurde und bester auSfirl, wenn Essie ungestört bei Frau Dewall im Ladenzimmer oder in der Küche saß. Essie wäre gleich wohl nicht so häufig zu den Gärtner»l«uten hinübergegangen, hätte sie nicht gesehen, daß ihre Gegenwart eigentlich auch Frau Dewall angenehm sein konnte. Die biedere alte Dame ward von ihren Ladenpflichten in einem fort in ihrer Küchen arbeit unterbrochen und ost mitten in Verrichtungen abge- rufen, die keinerlei Aufschub vertrugen. In solchen Fällen war Essie» Gegenwart ganz erwünscht. Sie paßte dann, ohne daß ihre eigene Arbeit darunter viel Schaden erlitt, auf die Milch über dem Feuer oder da» Schmorfleisch im Bratofen auf, bi» Frau Dewall wieder au» dem Laden zu zurückkam. Mit der Zeit machte man Essie sogar den Vor schlag, sie gegen eine kleine Bergütigung ganz in den Laden zu placiren, wo sie hinter dem kleinen Pult sitzen, und wenn Kunden kamen, sie bedienen sollte, wa» dem intelligenten Mädchen, da die Preise auf den Samenpaketen «eist ausge zeichnet waren, weiter nicht schwer fallen konnte. So kam Essie fast nur noch den Abend nach Hause. Aber gerade der Abend war am schlimmsten daheim, weil dann die Kinder alle au» der Schule waren. Der Schornsteinfeger war auch manchmal da und fluchte, und die Knaben zankten sich und spielten ihr allerhand Posten. Da» wußte Frau Dewall, und de»halb erwirkte sie schließlich dem Mädchen auch noch di« Erlaubniß, di« Stunden nach dem Abrndbrod bei ihr zu verwetten. War da» für Esfie, die ni. 71 ein trauliche» Familienleben keime» gelerut, eine schöne, glück liche Zeit! Kaum minder schön aber dünkte« ihr die klaren, regenfreien Abende, an denen sie auf Will» Aufforderung mit ihm in den Garten ging und Würmer suchen half. „Würmer suchen" ist in der Gärtnerei eine gar wichtige Beschäftigung. An schönen Abenden ginge» beide mit einer Laterne an den Eisenbahudamm vor der Stadt hinan». Dort hatte Herr Dewall mit Butter bestrichene Kohlblätter aus seine Blumenbeete und unter seine Glaskasten gestreut. Will trug die Laterne und Esfie einen Krug mit Seifenwaster darinnen. Sie hoben die Blätter und nahmen die Würmer und die Schnecken ab, di« in dem Dunkel au» ihren Löchern ge krochen waren, und warfen sie in de» Krug. Dann sah« sie die Ohrwürmer-Falle nach, Blumentöpfe mit nassem Heu darin; und die Ohrwürmer, die sich gesammelt, wanderten zu den Schnecken in da» Seifenwaster. „Schau!" meinte Will eines Sommerabends, „schau her, Essie!" Er hob dabei seine Laterne hoch, daß da» Licht auf eine Pflanze mit schwerem goldgelb« Blattwerk fiel. „Weißt du, wie diese Blume heißt? Goldlocke heißt sie bei un». Und seh« ich sie, Esfie, denke ich immer an Dich — weg« Deine» schön«, goldgelb« Haare»!" Will hatte nie eine Schwester gehabt, und dieser be ständige Verkehr mit Esfie weckte in ihm eine warme brüder liche Neiguug für da» Mädchen, da» unter so trüben Ver hältnissen in da» Gärtnerhau» gekommen war. Essie war durchaus gerade nicht schön. Um schön zu sein, war sie zu blaß. Zudem hatte sie, wmn auch feine, doch keine regelmäßig« Züge, doch ihre Augen warm blau wie Vergißmeinnicht, und ihr Haar war von seit« schöner Farbe und Fülle. Eine» TageS — e» war Esfie» Geburtstag — war sie bei deu DewallS zum Mittagessen eingeladm. Der Tag fiel in de« Jahr auf ein« Sonntag, und sie ging« zusammen zur Kirche. Boran schritt Herr Dewall in blauem, lang- schößigeu Frührock, den Regmschir«, ohne d« er nie die Kirche betrat, unter dem Arm; ein Stück hinter ihm her folgten Will und Essie, Frau Dewall war zur Zubereitung des Mittagessens daheimgrbliebm. Offenbar beschäftigte etwa» außerordentlich seine Gedanken, und er schien in sehr gehobener Stimmung zu sein. „Ah," meinte Will endlich, außer stände, seine Erregung länger zu bemeistern, „wir werden ja sehen, wa» wir seh« werden." „Wo, Will?" „Au Hause, wa» e» da giebt!" .Wa» denn? Meinst Du Ham«elbraten und gebackene Kartoffeln?" „Warte nur ab, noch weit Prächtigere» wirst Du vor finden!" Nach der Kirche gingen sie in umgekehrter Reihenfolge zurück. Jetzt gingen die jungen Leutchen voran. Will war zu sehr im Eifer, um hinter dem Vater herzuplaudern. Er zog Esfie mit sich vorwärts, riß weit die Ladenthür auf, sprang die zwei Stufen in da» Htnterzi«mer hinan, wieS nach dem Fenster und rief triumphirmd: „Nun — und wa» sagst Du dazu?" Am Fenster hing ein Tran»parent au» zwei aufeinander gelegt« Glasscheiben, die von einem Stück Goldpapier zu- sammmgehalten wurden. Und zwischen dem GlaS sah man, vollkommen au» Blumen gemacht, da» Bild eine» Mädchen kopse«. Die Bang« warm au» weiß« Geranien, der Mund war au» rothen Nelkenblätter», Hal» und Schulte« bildete weißer Flieder, Vergißmeinicht stellt« die Ang« dar, uud üppig umflutheten Kopf, Hals und Büste gelbe Goldlack« al» Haar. Und über diesem duftig« Bild stand in bunt« Lette« der Name des Geburtstagskindes und darunter in kleineren Buchstaben gleichwie in Parenthese: „Goldlocke?" „Da!" rief Will freudig, „das habe ich alles selber gemacht. DaS soll Dein Geburtstagsgeschenk sein von mir, liebe Goldlocke mein!" * * * Die Dinge warm in dieser Weise ein paar Jahre lang gegangen, als ein Ereigniß Platz griff, da« eine vollkommene Veränderung aller Verhältnisse mit sich brachte. Dies Ereig niß war Her« DewallS Tod. Er fiel eines TageS, wie er im Gart« über ein Resedabeet gebeugt stand und arbeitete, plötzlich vornüber, und als man ihn aufhob, war er todt wie ein Stein. Der Schlag kam so plötzlich und so unerwartet, daß Frau Dewall vor Schreck fast ihre Denkfähigkeit verlor. Nach dem Begräbniß ging einige Zeit alles sein« alt«, gewöhnlichen Gang, und Frau Dewall fing an, sich allmählich au» der Art Betäubung, in der ihr Schmerz sie gestürzt, zu erhol«, al» Will eine» Abends zu ihr meinte: „Ich fürchte, eS wird Dir nicht recht sein, Mutter, waS ich vorhabe, indeß ich kann nicht anders. Ich habe die Sache reiflich erwog«, und ich bin überzeugt, ich habe mich zum Besten ent schieden. Du weißt, in einem gewißen Punkte war ich mit dem Vater nie einig. Er baute seine Gemüse und züchtete seine paar einfachen Blumen dazu, und er hatte für die höhere Gärtnerei absoktt keinen Sinn. Ich denke jedoch anders darüber, ich hab« Ehrgeiz und möchte vorwärts kommen im Leb«, und ich sehe nicht ein, warum die Rosenzüchtung allein in Frankreich gedeihen soll; warum ein intelligenter Mann die Gärtneret in England nicht auf dieselbe Höhe bringen kann, auf der sie sich jenseits deS Kanals befindet. Und darum, Mutter, will ich eine Zeitlang nach Frankreich geh«, in dm Gärten eine» der bekannteren Rosmzüchter drüben Arbeit nehmen und seh«, Wa ich ihnen ablernen kann, um eines Tages selbst ein namhafter Züchter von Rosen zu werden." Frau Dewall war fast ebenso entsetzt über diese Mitthellung, wie seiner Zeit über die Kunde von de« Tode ihre» Mannes. Sie war sprachlos, legte ihre Hände auf ihren Schoß und sah ihren Sohn starr an. „Betrübe Dich nicht, Mutter," sagte Will heiter. „Ich habe alle» reiflich überdacht. Es liegt klar zu Tage, daß wir klein« Gärtner mit der Zeit von dm groß« vollkommen erdrückt werd«. Wer heutzutage nicht vorwärts kommt in seiner Kunst, geht unter, und well ich nicht unterzugehm gewillt bin, muß ich in die Fremde hinaus und etwas Tüchtige» lemen. Zu meinem eigen« Besten muß ich eine Welle von Dir fort. Indeß ich möchte Dich nicht so ganz allein hier last«, und dämm bitte ich Dich, Essie al» Tochter und Stütze zu Mr zu nehmen. Wir kennen sie beide und wißen, war sie werth ist. Die Frau Schornsteinfegerin wird sicher nichts dagegen hab«, weil sie selbst nur zu gut weiß, daß sie bei unS besser aufgehoben ist, als in ihrem Hause zwischen den schmutzigen, ungezogmen Mndern. Weiter habe ich auch an unseren Gart« gedacht. Mutter, ihn müßen wir ausgebm, mir ist er zu klein, wenn ich wiederkomme. Ueberhaupt liegt er zu hoch, der Frost im Frühjahr richtet zu groß« Schaden darin an, 's ist für einen Gart« ganz und gar kein Platz. Der Vater wollte dies nur immer nicht einsehen, ihm war daS Feld anS Herz ge wachsen; ich aber folge anderen, praktischeren Rüksichten und werde das Land für die Zeit, die wir es noch haben, weiter zu verpachten such«." „Will, Will!" rief seine Murter auS. „WaS für ein Umstürzler bist Dn!" „Nein, Mutter, ich bin gar kein Umstürzler, denn ich will nicht zerstör«, ich will nur verbessern, weil ich eiusehe,
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