Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189705071
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18970507
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18970507
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-05
- Tag1897-05-07
- Monat1897-05
- Jahr1897
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 07.05.1897
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
74 .Natürlich gleich I" rief Georg. »Und slug» die Kanne her, habe Durst!" Er nahm ihr den Krug aus der Hand, hob ihn an den Mund und leerte ihn mit einem Zuge fast bi» zur Hälfte. Er stand auf der Matte, breitbeinig, die Hände in den Taschen und stierte sie dreist an, wie fi« den Tisch deckte. .Ich werde inzwischen Dein Zimmer zurecht machen gehen," sagte seine Mutter. Effie machte ihre Arbeit weiter, ohne ihn zu beachten. Sie war von Jack an Rohheiten gewöhnt und verstand eS, auch wenn sie gehöhnt ward, ruhig ihre Pflicht zu erfüllen. Er streckte, als sie an der Matte an ihm vorbei lam, einen Fuß an», daß sie stolpern sollte, indeß sie war darauf gefaßt. Derlei Schabernack hatte man ihr zu ost zu Hause gespielt. .So", meinte er, .mein Bruder Will strich Sie also bei meiner Mutter heraus. Ihm haben Sie es wohl mit Ihrer blaffen Fratz« angethan?" Sie antwortete nicht und rrröthete nur. .Na, über Geschmack läßt sich nicht streiten," spottete er. »Wunderbar ist's immer, daß Sie bei soviel Ruß, wie Sie zu Hause gewöhnt find, so weiß ausgefallen." Sie machte ihre Arbeit weiter ohne zu antworten. Er war gereizt. .Sie gelber, schnippischer Kakadu. Wissen wohl nicht, daß ich hier Herr und Meister bin und meine Leute im Zog zu hatten gedenke. Gnade dem, der nicht wie ich will! In den Kielraum spaziert, wer aufsässig ist von der Mann schaft! Also hierher, will Ihnen More- beibringen! Hervor vor dem Ttsch und auf mein« Seite! Her zu mir, haben Sie verstanden?" Effie ging entrüstet mit wallendem Busen und glühenden Wangen in die Küche. Und er lief ihr nach, faßte sie beim Arm und zog sie zurück. In dem Augenblick trat Frau Dewall von der Treppe herein und fragte, was los war. .O", lachte Georg, .weiter nichts, daS Jüngserchen möchte nur mit mir spielen. Manche fangen'S so, ander« so an. Einen Rothrock oder eine Blaujacke können die wenigsten sehen, ohne Augen zu Wersen und Fallen zu stellen, daS kennt man. Bin aber, Gott sei Dank, zu alt, um auf den Leim zu gehen." Frau Dewall fuhr aus: .Aber, Effie, pfui, schäme Dich! Wer hätte daS jemals von Dir gedacht. Bist Du besessen? WaS — und verantworten willst Du Dich auch noch? Marsch, geh' in die Küche! Du kannst draußen bleiben und essen, wenn wir gegessen haben." * * Inzwischen hatte Will seinen Weg über den Kanal ge funden und in Chantilly in einer großen Kunstgärtnerei eine Stelle bekommen. Chantilly ist ein schmucker Ort. Di« Prinzen von Orleans besitzen ein prächtiges Schloß und einen herrlichen Marstall, für den sie eine ganze Kolonie englischer Grooms halten, so daß rS Will an Verkehr mit Landsleuten nicht gebrach. Allein Will war »ich: außer Landes gegangen, um in der Fremde englisch zu leben. Er wollte nicht nur seine Berufskenntnisse errnkileln, sondern auch seine allgemeine Bildung durch Ein blick in die jrcmdcn S tten und Gebräuche erweitern, und so suchte er, überall die Augen offen haltend, mit Vorliebe Um gang mit Franzosen. Dabei fiel dem jungen Dewall hauptsächlich di« Einfachheit der Lebensweise der französischen Landleute auf, das Geschick, mit dem sie bei geringen Mitteln sich ein appetitliches Mahl und ein wohnliches Heim herzustellen verstanden. Er hatte immer gehört, Franzosen lebten alle nur in SauS und Braus in den Tag hinein. Mit eigenen Augen überzeugte er sich jetzt, daß der Wälsche im Durchschnitt ein berechnender, fleißiger, spar samer Mensch war. Er sah, wie die englischen Grooms mit ihren Familien lebten und wie die französischen Bauern lebten, und der Vergleich, den er zwischen beiden anstellte, fiel zu Gunsten der ersteren nicht aus. So beobachtete, dachte und moralisirte Will, und wenn der Sonntag kam, setzte er sich hin und schrieb nach Hause, was er erlebt, in seine Beobacht ungen dann und wann ein herzliches Wort an seine Mutter und eine Anspielung an Essie einflechtend, über da» dem jungen Mädchen das Herz zu pochen und das Antlitz zu erglühen be gann. Indeß soviel Will um sich sah und soviel er überall Zer streuung und Anregung für seine Gedanken sand, so hatte er doch auch Stunden, wo ihn ein Gefühl großer Trauer und Verlassenheit, eine Art Heimweh befiel, und zwar ergriff ihn diese Bangigkeit meist abends, wenn er allein war. Dann wäre er glücklich gewesen, hätte er ein einziges Wort wieder an Essie richten können, so zart und blond wie sie, sah er in ganz Chan tilly kein Mädchen; selbst in der kleinen englischen Kolonie des Orte» war kein Gesicht, daS Essie auch nur von weitem ähnelte. Sie war daheim seine Jugeudgespielin und seine Vertraute gewesen, er hatte ihr von seinem Ehrgeiz und seinen Hoffnungen geschwärmt, und sie hatte in kindlicher Weise den lebhaftesten Antheil an allen seinen Plänen genommen. Hier im fremden Land hatte er Niemand, zu dem er von seiner Heimath, von seinem tobten Vater, von seiner Mutter, von Essie und von den Balsaminen in dem alten Garten reden konnte. Im Winter war es womöglich noch schlimmer, al» im Sommer. Dann konnte er nicht auf die herrlichen Wald- promknaden ChantillyS hinaus und war gezwungen, in seinen vier Pfählen zu bleiben. Dann versuchte er zu lesen, doch sein Geist schwang sich auf den Fittigen der Phantasie hinüber über das Meer, flog über London nach Lssie, sah Colchester und die breite, vom Bahnhof in die Stadt führende Straße, den Keinen Samenladen mit seinen Regalen, das gemüthliche Stübchen hinter dem Laden, wo um den großen, runden Tisch abend» die ganze Familie zu sitzen pflegte und der Schein der Hängelampe auf EsfieS volles, goldneS Haar fiel. Dann legte Will wohl manch mal seine Hand vor die Augen und zog fein Taschentuch hervor. Eines Sommertages kam er, als er durch die Gärten de» Schlaffes von Chantilly ging, an eine Beetenreihe, wo nur ganz gewöhnliche, strauchartige Blumen angepflanzt waren, als er plötzlich einen lauten Ruf der Freude auSstieß. Neben einem Beet schlichter Heckenrosen stand ein großer Busch Goldlocke in Blüte. Er sah den französischen Gärtner, der ihn begleitete, mit einem überraschten Blicke an, den dieser nicht begriff. War denn die Blume nicht bekannt in England? meinte er. Das war doch kaum zu glauben. In Frankreich war eS eine ganz gewöhnliche Pflanze, die man meistens in den besseren Gärten gar nicht einmal kultivirte. Will war aber glücklich den Tag; er nahm sich ein paar Blüthen von dem Goldlocken-Strauche mit und preßte sie zwischen den Blättern seiner Bibel, und wenn er sich wieder betrübt und verlassen vorkam, schlug er fortan seine Bibel auf und besah sich die kleinen, welken, gelben Blumen. Seiner Mutter Briefe waren kurz, steif und enthielten wenig Neuigkeiten. Sie war keine federgewandte Frau. Eines Tages erhielt er folgendes Schreiben: »Lieber Sohn! Hoffend, daß eS Dir noch immer gut geht, greife ich zur Feder, um Dir zu sagen, daß daS Geschäft so ziemlich geht. Mit meiner Gesundheit geht eS auch ziemlich. Ebenso mit dem Wetter. Dein Bruder Georg kam neulich unverhofft heim. Ich sagte Dir stet-, daß er noch am Leben sein müßte. 7S Er ist ein sehr hübscher Mensch geworden, aber reich ist er nicht. Wenn nur Effie nicht so gefährlich hinter ihm her wäre! Freilich, wie ich Dir sagte, ist er ein sehr stattlicher Mensch. Und die jungen Mädchen von heutzutage kennen meistens nicht mehr Scham und Schande. 'S ist bei der Essie eigentlich auch nicht zu verwundern, daß sie «anuStoll ist, wenn man bedenkt, wo sie herstammt. Mit allen Wünschen für Dein Wohlergehen Dein« Mutter." Will legte den Brief hin und wischte sich die Stirn. Dicke Schweißtropfen waren ihm bet der Lektüre de» Briefe» darauf hervorgebrochen. Essie schamlos! Essie, seine ruhige, bescheidene Essie mannStoll! Er konnte eS nicht fassen. N schwindelte ihm bet dem Gedanken. Er fühlte sich namenlos unglücküch. Die ge preßten, gelben Blätter in der Bibel aber sah er sich di« ganze Woche lang nicht an, und als der Sonntag kam, schriä er zum ersten Male nicht nach Hause. * G * In den kleinen Laden der Wtttwe »ar Leben gekommen. Georg Dewall blieb und schien keine Elle zu haben, wieder in seine Thätigkeit zurückzukehrm. Seine Mutter, deren Liebling er von jeher war, sah an ihm wie alS Knaben, so jetzt als Mann keinerlei Fehler; »der wenn sie welche sah, so entschuldigte sie dieselben und suchte die Schuld für sein Un recht Anderen auf die Schullern zu laden. ES war doch auch in der That ungerecht, daß Will die zweihundert Pfund von dem Vater bekommen, den Garten, die silberne Uhr und den Laden dazu, und Georg, der sich draußen in der Welt gequält und geplagt hatte, gänzlich mit leeren Taschen auSging. Daher hatte sie beschlossen, sollte e» ihm auch, so lange er im Mutterhau» wellte, an nicht» fehlen. Ihm, Georg, war e» ganz recht, eine Weile daheim auf Kosten der Wittwe zu leben und sich von seinem Matrosenleben auszuruhen. Einen großen Thell seiner Zeit schlenderte er in der Stadt umher, befreundete sich mit seinesgleichen, zechte und verjubelte da» Geld seiner Mutter, der gegenüber er sich übrigen» immer mit einer gewiff« Ehrerbietung zu benehmen versuchte. Ganz schlecht war er doch noch nicht, und für die alte Frau hatte er ein Herz. Er war ihr dankbar dafür, daß sie ihn als Knaben stets io Schutz genommen gegen den Vater. Essie brachte er aber mit seinem Betragen fortwährend in die größt« Verlegenheit. Bor den Augen der Mutter spöttelte er auf sie und that, al» hätte sie e» auf ihn abgesehen und könnte er sich ihrer nicht erwehre»; hinter dem Rücken der Wittwe suchte er jedoch mit ihr zu liebeln. Essie benahm sich über ihre Jahre verständig. Sie antwortete nicht aus sein Geschwätz und ging ihm, wenn Frau Dewall au» war, so gut sie konnte, au» dem Wege. Allein da» war nicht immer möglich. Die alte Dame ging in die Stadt, um Ein käufe zu machen, und dann mußte Essie hinter dem Ladentisch bleiben, um die Kunden, die kamen, zu bedienen. In solchen Fällen fand Georg sich immer ein, versuchte sich mit ihr zu befreunden, neckte sie und verschlang sie mit seinen dreisten Blicken, und Essie war gezwungen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Frau Dewall kam e» zu Ohre«, wie di« Leute in der Nachbarschaft über Essie und ihren Sohu zu reden anfingen, und ärgerlich darüber nahm sie sich eine» Tage» da» junge Mädchen vor. »Essie," hob sie an, ,wa» soll da» heiße»? Ich habe, weiß Gott, genug an Dir getha«! Al» Dein Vater Dich auf die Straße hinauSwarf, nahm ich Dich auf, mein seliger Mann war freundlich und gütig zu Dir und Will behandelte Dich wie eine Schwester. Und jetzt willst Du mir so danken! Ist da» schön? Nein, Mädchen, mein Georg ist für Dich nicht. Vergiß doch nicht, wo Du herstammst, und daß «S im Leb« Familien und Familien giebt. Zur Bedienung «hm dH Dich allerdings ganz gern zu mir — warum auch nicht? Ich hielt Dich für ehrlich und fleißig! — Zur Schwiegertochter ater möchte ich mir doch eine andere al» die Tochter eine» tys«- kehrerS aussuchen." Essie schoflen die Thräaen in die Auge«. »'S ist alles nicht wahr, wa» die Leute klatsch«," schluchzte sie. »Mir fällt e» nicht «in, au Mr« Sohn z» denken. Ich kau« ihn überhaupt gar nicht leide». Er ist" — ihr Zorn wallte auf — »er ist roh und «flächig zu mir. Ich Haffe den Menschen." »Wa»! Roh und uufläthtg! Du haßt ihn!" rief Fr« Dewall dazwischen, die diese Antwort jetzt ebenso erbitterte, al» ob ihr da» Mädchen ihre Liebe zu Georg gestand««, »da» kennt man schon, mein Püppchen, die Traube» hänge» immer zu hoch. Aber warte, die Dreistigkeit, mtt der Du z» mir gesprochen, sollst Du mir büßen!" Damit sprang Frau Dewall auf, lief erbost auS dem Zimmer «d ließ Effie allein. Wie sie in den Lade» trat, kam durch die Straßenthir vorn Frau Blocker kn hochgeschürzte«, fettflecklgen Uuterwck, die Haare wirr um den Kopf hängend, eineu groß« Ruß streisen im Gesicht, athemloS, den Kochlöffel schwingend, herein gestürzt. -Hilf, Himmel, so was muß man hör«! Meiner Seele," rief sie in den Lad« hinein, »giebt e» de« nur noch schlechte Menschen? Ist man denn ganz verrathen «d verbmft? Wo soll daS hin, waS soll nur daraus weick«k" »AuS wa»?" fragte die Sittwe, der« eigene Laune schlecht genug war, die erregte Schornsteinfegerin. »AuS waS? Au» wa»? Da» frag« Sie mich?" schrie die ander« zurück. »Wo ich extra Hergelaufe» komme, Sk zu frag«, ob e» wahr ist, waS die Leute schwatz«, sich ganz fvei und laut am Straßenbrunnen erzähl«?' »WaS erzähl« sie denn die L«te am Etraßackr»««?" „Du meine Güte, wenn da» wahr ist! Aber e» km» nicht wahr sein. Mein Tom, den ich mtt dem Eimer « de» Brunnen schickte, muß sich verhört hab«. Ganz gemißt AuS- gedacht kann der Junge sich die Geschichte aber auch nicht hab«." »So komm« Sie doch zur Sache! Wa» ist de« los wollte Frau Dewall wissen, der die Geduld auszugehe» begann. »Na also!" fuhr mit dem Küchenlöffel wtrthschastrnd die Schornsteinfegerin fort. »'S ist eine Schmach, daß »um sich so waS sagen lass« muß, 'S ist «erhört! So wie ich steh' und gehe, kam ich, wie ich «S hörte, gleich herüber. Heck' da bei keine einzigste Minute Zeit. Die Kinder schrei« «d da» Fleisch steht über dem Feuer. Muß auf der Stelle wieder nach Hause. Doch daß ich nicht vergesse, wa» ich Jh»« sag« wollte. Denken Sie sich, die Leute sag« — mir hat'» Fr« Middelmatsch erzählt — Ihr Sohu Georg, ja, ja, Ihr Soh», Frau Nachbarin, lief meiner Effie nach und — alle Wetwr, da» wollte ich mir verbeten haben." »DummeS Gerede!" rief die Wittwe SrgerÜch zurück, während Frau Blocker, sich de» Fleische» auf daa F«rr ent sinnend, das daheim «brennen konnte, ohne ihre Antwort ab zuwarten, athemlos wieder zur Ladmthür hinauSstürztr. »Dumme» Gerede! Die Leute find toll und albern. Met» Georg Ihrer Essie «achlauf«! Da» wäre noch einmal! Umgekehrt, Frau Effmräthiu, wird ein Schuh dar«»." Ein Gewitter zog sich zusammen. Essie sah, daß da» Antlitz der Wittwe bewölkt war und daß ingrimmige Blitze auS ihr« Augen schaff«, wo immer sie ste erblickte.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite