von Schuberts Werk gewertet wissen wollte, waren kaum hundert wirklich leben diger Besitz geworden. So gewann — in breitesten Kreisen gefördert durch so verhängnisvolle Produkte wie den „Schwammerl"-Roman von Rudolf H. Bartsch und die Operettencollage „Das Dreimäderlhaus" von Heinrich Berte — ein Schubert-Bild Gestalt, das die tatsächliche Leistung des Komponisten völlig verzeichnete, das ihn allenfalls als Meister des Liedes gelten ließ: das Bild eines biedermeierlich beschränkten, „von Musik überquellenden, gutmütigen, aber leichtlebigen und weinseligen Musikanten, der den Problemen seiner Zeit nicht nur fernstand, sondern sie nicht einmal erfaßte" (Markgraf). Unsere Zeit hat mit diesem verzerrten, verfälschten, verkleinerten Klischee gründlich aufgeräumt. Walther Vetter war es, der als erster mit Nachdruck die klassische Geltung von Schuberts Werk unterstrich. Otto Erich Deutsch, der ver dienstvolle Wiener Musikforscher, den der faschistische Rassenterror ins Exil zwang, hatte zuvor bereits durch seine umfassende Dokumentensammlung zu Schuberts Lebensgeschichte und sein thematisches Werkverzeichnis Grundlagen für ein tieferdringendes Verständnis seiner wegweisenden schöpferischen Lei stungen geschaffen, auf denen marxistische Musikwissenschaftler unserer Re publik wie Harry Goldschmidt und Georg Knepler aufbauen konnten. Sie wie sen unmißdeutbar nach, welchen wachen, bewußten Anteil Schubert an dem politischen Geschehen seiner Zeit genommen hat, wie er unter dem geistigen Terror des Metternich-Regimes, unter der gesellschaftlichen Misere, der Ver äußerlichung und Sinnentleerung des Lebens in den Restaurationsjahren litt, ihnen jedoch sein „Memento", sein „Dennoch" entgegenhielt — anders gewiß als Beethoven, aber sicher mit nicht geringerer Entschiedenheit. Heute wissen wir, daß Schubert nichts weniger war als ein naiv unbekümmert Schaffender. Wir wissen, daß er — genau wie Beethoven — mit großem Ernst und Verantwortungsbewußtsein um jedes seiner Werke gerungen und inner halb von wenig mehr als eineinhalb Jahrzehnten eine Entwicklung von weitem Ausmaß durchlaufen hat. Nur so war es ihm möglich, neben dem zunächst unüberwindbar erscheinenden Gipfel Beethoven sich selbst zu verwirklichen, seinen eigenen Weg zu finden — einen Weg, der weit in die Zukunft weisen sollte: auf sinfonischem und vokalsinfonischem Gebiet bis hin zu Bruckner, Liszt und Mahler, in der Kammermusik zu Schumann und Brahms und im Lied schaffen sogar noch über jene beiden Meister, über Hugo Wolf und den Schweizer Otmar Schoeck hinaus bis in die Gegenwart. Selbst Hanns Eisler und Paul Dessau und andererseits Hans Werner Henze haben es nicht ver schmäht, bei Franz Schubert in die Schule zu gehen, von ihm zu lernen, wie man das Dichterwort bis in seine tiefsten Dimensionen auszuloten vermag. Und was könnte Schuberts Größe und Klassizität treffender bestätigen als gerade diese Wirkung über rund eineinhalb Jahrhunderte hinweg! Eine Aufgabe bleibt uns noch: Schuberts Werk in seiner ganzen Breite, seinem gesamten Reichtum zu erschließen. Ihre Verwirklichung hat in unserer Repu blik verheißungsvoll begonnen: Mit den zahlreichen Konzerten, Vortragsveran staltungen, Opernaufführungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen des Ge denkjahres 1978, den Aktivitäten unserer Musikverlage, die zunehmend auch bislang Unbekanntes, kaum Gehörtes in den Brennpunkt rücken. Nicht zuletzt aber auch mit der Schubert-Edition des VEB Deutsche Schallplatten, die — bisher auf 50 Langspielplatten angewachsen — neben den Hauptwerken auch den vergessenen, verkannten Schöpfungen, nicht nur der Liedkunst breiten Raum gewährt. Diese Bemühungen gilt es weiterzuführen auch über Gedenk jahre hinaus, denn noch immer bleiben Schätze von großer Kostbarkeit zu heben. Wolfgang Hanke Programmblätter der Dresdner Philharmonie - Spielzeit1978/79-Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Produktionsstätte Pirna - 111-25-12 - 2,850 T. ItG 009-27-79 EVP —.25 M