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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000108024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900010802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900010802
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Pannwitz herauSgegebenen ossiciellen Vereinsschrift „Das Rothe Kreuz" liest. Diese Erklärung legt der englischen Negierung die Rechtfertigung für die Be schlagnahme deutscher Schiffe förmlich in den Mund, fordert die englische Regierung geradezu heraus, zu entgegnen: „Wir haben an Bord der betreffenden Schiffe von Privat» comitSs gebildete, fragwürdig zusammengesetzte Sanitäts-Abord- nungen, die sich „vom Rothen Kreuz" nennen, vermuthet, und diese näher auf ihren Ursprung zu untersuchen, ist unser gutes Recht nicht nur, sondern auch unsere Pflicht, deren Erfüllung von der ossiciellen Vrreinsschrift „Das Rothe Kreuz" mit Freuden begrüßt wird." Wird man sich in Berlin — d. b. in dem ossiciellen Berlin — mit einer solchen Antwort begnügen? England, darüber kann kein Zweifel aufkommen, würde das nicht, wenn eng lischen Schiffen dasselbe Schicksal bereitet worden wäre, das es deutschen bereitet hat. ES trifft vollständig zu, was die ,,Vofs. Ztg." schreibt: „Besitzt, nicht England, sondern Deutschland sei mit der Republik Transvaal in kriegerische Verwickelungen gerathen und nun untersuchten deutsche Kriegsschiffe einen englischen Post dampfer auf hoher See, brächten ihn auf, zwängen ihn, im nächsten Hafen zu löschen, und stellten Schiff und Ladung vor ein deutsches Prisengericht. Würden sich die Engländer das gefallen lassen? Jeder Engländer, dem man diese Frage vorlegt, würde lachend antworten, daß England sich das nicht gefallen ließe; das sei ja etwas ganz Anderes." Wir und sicherlich die meisten deutschen Blätter sind nun allerdings der Ansicht, daß das nicht etwas ganz Anderes, sondern genau dasselbe sei und daß der Mächtige sich nach denselben Grundsätzen behandeln lassen müsse, wie der Macht lose. Wir meinen auch, das „Rothe Kreuz" hätte sich gegen den Mißbrauch seines Namens auf andere Weise schützen können, als durch die öffentliche Erklärung seines ossiciellen Dereinsorgans, aber da diese Erklärung nun einmal durch das deutsch-officiöse Telegrapben-Bureau verbreitet worden ist, ist leider auch die Vermuthung nicht abzuweisen, daß eine auf diese Erklärung gebaute und sich ausdrücklich auf sie berufende englische Antwort wenigstens vor geharnischter Gegenantworl gesichert sei. Bevor man darüber Gewißheit bat, verlohnt eS kaum, zu constatiren, daß nach den letzten Nachrichten der nach der Delagoabai bestimmte deutsche Dampfer „Herzog" mit der in Hamburg gebildeten zweiten Transvaal-Expedition deS deutschen Rothen Kreuzes von einem englischen Kriegsschiffe aufgebracht und nach Durban geführt worden ist, während der Postdampfcr „Kanzler" un behelligt von Neapel nach Port Said hat weiter fahren dürfen, wahrscheinlich um anderwärts abgefange« zu werden. Vielleicht aber erfährt man bald, ob sich die deutsche Regie rung wenigstens von der Bekundung des Unwillens Ruß lands über britische Uebergriffe nicht ausschließt. Die im Morgenblatte mitgetheilte Nachricht, daß Rußland bei den Regierungen in einem Rundschreiben angefragt hat, ob man sich die Unterbindung des Depeschenverkehrs mit Südafrika weiter gefallen lassen müsse und solle, diese inhalt schwere Nachricht »st zuerst in einem deutschen Blatte mit- getheilt worden. Das deutsche osficiöse Telegraphen-Bureau hat die Thalsache weiter verbreitet und sie aus Paris datirt. Kein Wunder, daß man von einem gemeinsamen Schritte der Mächte reden hört. Zeit wäre es, daß solche Bermutbunz sich bestätigte, Zeit namentlich für Deutschland. Unser Ansehen hat am meisten gelitten. Es sind ja auch franzö sische und amerikanische Schiffe behelligt worden, aber zwischen diesen Staaten und Großbritannien war nicht unmittelbar vor den englischen Gewaltacten — was sie trotz der Ansicht deS Herrn vr. Pannwitz sind und bleiben — ein Freund schaftsbeweis zu verzeichnen, wie es die Reise des deutschen Kaisers nach England gewesen ist. Viel wäre ja das Nicht fernbleiben Deutschlands von einer Action wegen der Depeschen- chicanen auch nicht. Die Vergewaltigung der deutschen Handelsflagge und die Schädigung unsres Handels wiegen viel schwerer, als die Depeschensperre; daß sie auch moralisch schwerer wiegen, soll ein sebr regierungsfreund liches Blatt, die „Post", bezeugen. Dieses Blatt schrieb noch am 6. d. M.: „Alle Völker scheinen nunmehr auserseben zu sein, Englands Herrschermacht auf den Meeren fühlen zu sollen; denn die Handels flagge keiner Nation wird in diesen Tagen mehr von Großbritannien resvectirt. Doch nein, von der Beschlagnahme irgend eines russischen Schiffes hat man bisher nicht gehört und dürfte auch schwerlieh davon hören." Es ist ein mehr bundestägliches, als erhebendes Gefühl, daß die Macht, deren Nichtbehelligung zur See bier ein deutsches Regierungsorgan vielleicht mit Neid, jedenfalls nicht ohne Bitterkeit hervorhcbt, die Initiative zur Abwebr gering fügigerer Belästigungen ergreift und nicht das auf dem Meere am härtesten von britischer Rücksichtslosigkeit betroffene Deutschland, dessen Nationalgesühl, wie dieselbe „Post" nicht zu leugnen vermag, „in diesen Tagen eine schwere Wunde ge schlagen ist, die nicht so bald vernarben wird. „Schließt man sich, um diese Wunde wenigstens zu kühlen, der von Rußland an geregten Action an, so bleibt wenigstens noch ein Schimmer von Hoffnung, daß man an maßgebender Stelle in Berlin eine auf die Pannwitz'sche Veröffentlichung ausgcbaute eng lische Antwort nicht als befriedigend ansehen werde; er bleibt, obschon die Nachrichten, nach denen der deutsche Generalconsul in Capstadt (nicht Johannesburg, wie es am Sonnabend infolge eines Schreibversehens hieß) im Schutze der deutschen Reichsangehörigen viel zu wünschen übrig läßt, bestätigt werden und obwohl die Zungen unserer Ofsiciösen gespalten sind. Des Morgens knirschen sie national, des Abends predigen sie Enthaltsamkeit und schieben alle Schuld auf das Nichlvorbandensein einer Flotte, wie sie bisher nicht verlangt worden ist und jetzt, wo man sie fordert, im Wesent lichen geschaffen werden wird, wenn nicht dieDiplomatieden Flot- tenenthusiaSmusabkühlt. Dabei laufenAusschreitunzen undTact- losigkeiten unter, die im Interesse der Monarchie und der Marine nicht wiederholt werden sollten. So stellt cs eine Regierungs feder so hin, als ob der Kaiser in seiner feierlichen Neujahrsansprache an die Officiere mit der Wiederholung des Königswortes von der Aussichtslosigkeit von Actionen, die nicht „durch die Schärfe des Schwertes soutenirt" werden, im Hinblick aus die Beschlagnahme deutscher Schiffe — die des „Bundesrath" wenigstens war schon am 30. Decembcr der Regierung bekannt — gesprochen habe, also das Gefühl der Hilflosigkeit habe andeuten wollen! Das ist grober Unfug, der die Flottensache schwer schädigt. Für die Ver wirklichung ihres neuen FlottenplaneS nimmt die Marine verwaltung ein halbes Menschenalter in Aussicht. Sagt man dem Volke, und die „Post" z. B. tbut eS, daß es bis dabin Demüthigungen von Seiten der zu Meere stärkeren Mächte rubig binnebmen müsse, dann nährt man nur in weiten Kreisen die Unlust, für die Flotte Opfer zu bringen. In Anbetracht der Hemmnisse, die dem deutschen Schiffsverkehr mit Portugiesisch - Lstafrika durch das Vorgehen der Engländer bereitet werden, ist eine kurze Schilderung der Handelsverbältnisse dieser Colonie angezeigt, die den vom Reichsamt res Innern Ende deS verflossenen Jahres berausgegebenen „Berichten über Handel nnd Industrie" ent nommen sind. An der portugiesischen Küste befinden sich vier Häfen: Tsckinde, Mozambique, Beira und Louren^o MarqueS. Drei Häsen sind in schnellem Aufblühen begriffen wegen deS reichen Hinterlandes, mit dem Tschinde durch den Sambesi, Beira aber und Louren^o an der Delagoabai durch Eisen bahnen mit Nhodesia und Transvaal verbunden sind. Wie groß insbesondere der Handels- und noch mehr der Durch fuhrverkehr allein von Louren^o MarqneS ist, geht aus den Zahlen hervor, die für 1897 vorliegen. Danach betrug die Ausfuhr aus diesem Hafen rund 400 000^, die Einfuhr rund 15 Mill. Mark, die Durchfuhr 52 Mill. Mark. Das Fracht geschäft nach und von Mozambique wird überwiegend von der deutschen Ostasrikalinic besorgt; ihre Dampfer verkehren alle drei Wochen von Hamburg durch den Suezcanal nach Natal und zurück und alle sechs Wochen von Hamburg über das Cap. Ende deS Jahres war in Aussicht ge nommen, den Verkehr in einen zwciwöchentlichen bezm. monatlichen zu verwandeln. Außerdem legt die „Messageries Maritimes" von Marseille nach der Delagoabei über Diego Suarez monatlich einmal an und die Britisck-Jndia-Linie ebenso oft. Weil bedeutender ist Louren^o Marques an der Delagoabai. Die Einfuhr von Louren^o Marques in« localen Verbrauch kommt namentlich auö England und den englischen Colonien. Deutschland führt in steigendem Maße Cement ein, der zu den neuen Hafenbauten umfangreiche Verwendung findet; im Schiffsverkehr herrscht die britische Flagge vor; es liefen in die Delagoabai ein im Jahre 1897: Schiffe britischer Flagge im Gesammtbetrag von 703 000 Tonnen, Schiffe anderer Nationen mit einem Raum von 246 000 Tonnen. Im Jahre 1898 betrug der Tonnengebalt der britischen Schiffe 506 680 Tonnen, zeigte also einen Rückgang; über die Schiffe anderer Nationen fehlen für 1898 noch die Angaben. Britische, deutsche (Ostafrika-Linie) und französische (Messageries Mari times) Linien vermitteln einen schnellen und häufigen Ver kehr zwischen der Delagoabai nnd Europa. Zum Theii liegt hierin die Erklärung, daß zuerst die deutschen Schiffe betroffen werden mußten, sobald die Engländer den Entschluß faßten, den Verkehr nach Transvaal, der zumeist über diese Häfen geht, abzuschneiden. In Bezug ans die Verhältnisse zwischen Rußland und England übermittelt der Wiener Correspondent des „Standard" seinem Blatte folgende Mittheilung: „Wie ich von glaubwürdiger Seite höre, versicherte der Zar wiederum dem britischen Gesandten Sir Charles Scott, daß Eng» land keine Intervention oder andere Schwierigkeiten in der gegen» wärtigen Zeit von Rußland zu erwarten habe, und betonte der Kaiser wiederholt seine unerschütterliche Freundschaft für die könig liche Familie und seine Sympathie für die englische Nation." Es ist nicht anzunehmen, daß der Zar bei aller persön lichen Friedfertigkeit die Absicht hat, die fest instradirte russische Politik in andere Bahnen zu leiten, d. h. dem russischen Vorgehen in Asien deshalb ein Ziel zu setzen, weil England dadurch in noch mehr Schwierigkeiten gerathen könnte, als es sich schon unter den gegenwärtigen Umständen befindet. Die russische Politik gegen England in Asien ist durch ihr eigenes Schwergewicht der Aenderung selbst durch den Zaren entrückt und wir wüßten nicht, wie eS Eng land anfanzen sollte, Rußland von der weiteren Ver folgung seiner Pläne, den Weg nach dem Meere auf Kosten Euzlands in China und Indien zu machen, abzuhalten. Zwischen England und Rußland giebt es keine Verständigung. Hier beißt es: Ich oder Du! Wir wissen nicht, ob sich der Zar so geäußert hat, wie der „Standard" es ihm zuschreibt, sollte er es, was wir mit den „Hamb. Nachr." nicht glauben, getban haben, so wird es nicht an Leuten fehlen, welche die Freundschaflsbezeugung auf die Absicht zurückführen, die Engländer über das russische Vorgehen an der persischen und afghanischen Grenze in Sicherheit zu wiegen. Von dort wird nämlich gemeldet: * TifliS, 6. Januar. (Russische Telegraphen - Agentur.) Mit Rücksicht auf die kürzlich verbreiteten Nachrichten, nach denen die Lage in Afghanistan in Folge des angeblichen Ablebens deS Emirs Abdurrhaman Khan, sowie in Folge von Gerüchten über eine Gährung unter den Hindustämmen zur Beunruhigung Anlaß gegeben hat, hat der Kriegsminister einen Versuch mit der Beförderung von Truppen aus dem Kaukasus nach dem transkaspischen Ge» biete machen lassen. Eine Truppenabtheilung wurde mit der Bahn aus Tislis nach Baku, dann auf dem Seewege aus Baku nach Krasnowodsk nnv von hier aus wieder mit der Bahn nach Kuchka befördert, wo sie am 20. December (1. Januar) eintraf. Dieser Versuch muß als vollkommen gelungen erachtet werden, denn er hat den Beweis erbracht, daß die Spitze einer aus einem Armeecorps bestehenden Colonne vom Kaukasus aus Kuchka erforderlichen Falls in acht Tagen erreichen kann. Der Petersburger „Herold" bespricht die Bedeutung dieser Meldung und bezeichnet die betreffende Entschließung der russischen Regierung als einen handgreiflichen Beweis für die Festigkeit der russischen Friedensliebe und als eine Bürgschaft für die Fortdauer des Frie dens. Rußland wolle Ruhe. Das Blatt meint, die Friedens demonstration gelte nicht allein für die afghanische Grenze, sondern auch für Persien. JnEnzland wird man dieseProbe- mobilmachung sicher nicht als einen Beweis der russischen Friedensliebe, sondern eher alö das Gegen theil ansebeu. Wenn die Spitze eines ArmeecorpS so leicht und wohlbehalten nach der afghanischen Grenze hat gebracht werden können, so dürste das Armeecorps selbst nicht lange auf sich warten lassen. Der ganze Vorgang ist jedenfalls ein reckt deutlicher Wink an die Adresse Englands. Odessaer Meldungen haben, jedenfalls übertrieben, die Ziffer der zu befördernden oder Ichon beförderten Truppen verschieden auf 10 000, 16 000, ja 60 000 Mann angegeben. Feuilleton. 5, Die ganze Hand. Roman von Hans Hopsen. Nachdruck verboten. Er stammst« zornig mit dem Fuße den Boden. Sie legt« sanft die Hand aus seinen Arm und sagte: „Immanuel, miß traust Du mir?" Er schüttelte verneinend den Kopf, aber er sagte nichts. „Bist Du eifersüchtig?" fragte sie weiter. Er blickte sie an, als wollt' er sie mit den Augen in sich saugen, und sprach nach einigem Zögern laut: „Ja . . . ." „Immanuel, Du? Sei doch nicht unklug!" Und sie mußte lachen. Ihm kam's nun wider Gewohnheit hastig von den Lippen: „Ich weiß, daß Dein Fühlen und Denken mein ist, daß Du mich liebst, mir treu sein willst; aber Du bist auch nur ein Messschen- kind mit Fleisch und Blut und Nerven, und dazu belagert und bestürmt von allen Seiten . . . Die Gedanken können miöH toll machen. Hab' ich's doch heute mit eigenen Augen sehen muffen, wie sie um Dich schwärmen . . ." „Die Mücken schwärmen, die Flamm« nicht", sagte Nanda selbstbewußt und lächelte dazu. ,„Jch wollte, die Flamme leuchtete mir aus dem häuslichen Herde!" fuhr der Unwillig« fort. „Ja, sieh' mich nur betroffen an. Ein Röst von Bourgeois steckt trotz aller weitest fortge schrittenen Principien doch in einem Jeden von uns. Nicht unsere Ueberzeugung ist daran schuld, sondern unsere Umgebung, die eben noch immer nach der alten Methode zugeschnitten ist. Und so hab' ich etliche Stunden und Tag« vor meiner Jnternirung keinen sehnlicheren Wunsch als den: daß ich so ganz gewöhnlich standesamtlich, oder meinetw«g«n auch kirchlich mit Dir ver- h«irathet wäre, wie es bei Gevatter Schneider und Handschuh macher üblich ist." .^VAdSst Du Dir ein, ich wär« Dir dann sichrr, treuer?" „Nein, aber Du wärst als Gatkin widerstandsfähiger um friedet; es bildete sich nicht jeder Lasse, dem Du in die Augen stichst, ein, Du wärest noch herrenlose» Gut, das zu seiner Er oberung auf der Welt wäre. Und Du könntest als mein ange- trvutes Werb mir ins Gefängniß schreiben, wie Dir's ums Herz wäre; kein GefLngnitzVirector witterte unerlaubte Beziehungen dahinter. Du könntest mich sogar besuchen, und die Woche mehr als einmal. Welche Gutichat wäre das! Und . . ." „Und? Und?" rief Nanda. „Und Du wärest der nämliche mißtrauische Thor wie heute. Betrügen verheirathete Frauen ihre Männer niemals? Wär' ich mit dem Ringe am Finger häßlicher als so? Würdest Du mich und Dich in der Trennung weniger entbehren als jetzt? Ich bin treu von Natur und mit Willen, das muß Dich trösten unv bei Laune erhalten. Uebrigens weißt Du seit Langem, es wäre lein lebendig Wesen froher als ich, wenn ich vor aller Welt Dein regelrecht angetrautes Weib sein könnte. Allein es ist ja keim Menschenmöglichkeit. Zuerst mein Vater. . . ." „Dein Vater?" unterbrach er sie. „Hätt' ich morgen die Mittel, mir einen eigenen Herd zu gründen, «in Weib zu er nähren, ich wartete nicht bis übermorgen, Deinem Vater zu er klären, daß ich Dich heirathen müßte und würde, ob er damit einverstanden wäre oder nicht. Und er wär's, glaub' es mir; so wüthend er jetzt gegen mich declamirt, er wär' einver standen." „Ich glaub's nicht; aber wenn schon, Du bist doch noch nicht in der Lage, den eigenen Herd zu gründen und die Mittellose heimguführen, und hast auch keine Aussichten dazu." „Aussichten hab' ich." „So? Wo?" „Ich bin der Partei unentbehrlich . . ." „Das träumst Du. Niemand ist unentbehrlich und der Partei der Rücksichtslosen erst recht Niemand." „Du irrst. Ich weiß, daß mich maßgebende Leute hoch schätzen." „So lange sie Dich ausbeuten." „Nein. Aus Ueberzeugung und Anerkennung. Ich habe bestimmte Zusagen. Man ist mir zu Dank verpflichtet. Hält' ich reden wollen, es müßten jetzt wohl Andere für Plötzensee Bagage machen, nicht ich. Man rechnet mir meinen Opfermuth hoch an und wird mich enlschädigen, sobald ich frei komme. Dann wird sich mancher Wunsch erfüllen und hossentllch auch der, Dich mit jedem möglichen Bande an mich zu fesseln." „Gott geb's", sagte sie ganz nach alter Mode, „Gott geb'S, obwohl ich Dir auch dann nicht treuer sein könnte, als ich bin. Glaub'-!" „Ich glaub' es!" rief er aus und preßte sie, von Dust wie von SiSmerz bewegt, unter den noch kahlen Bäumen in seine stürmi schen Arme. Sie schloß an seiner Brust die Augen und athmete tief. Doch plötzNch schauderte sie zusammen und horchte. Ein jubelndes Stim'mengeräusch tönt« von mäßiger Ferne her. Man hätte meinen können, mit angespannten Ohren die Worte zu verstehen, die da durch die Nacht klangen. „Ich hatte gar nicht daran gedacht", sprach er, „vie Genoffen haben eine große Versammlung heute zur Besprechung der Mai feier einbecu'fen. Auch ich sollte dort sein, und es war vielleicht unklug, gerade heut zu fehlen. Ich hätte meinen jüngsten Erfolg für meine Beliebtheit ausbeuten und kurz vor Antritt meiner Freiheitsstrafe die Theilnahme an meinem Geschick steigern können. Aber mir scheint, der Liebhaber ist noch immer stärker in mir, als der Politiker, und so schlug ich den vielversprechenden Abend bei Frau Seckenstedt todt, und die dort unten behalfen sich ohne mich." „Es war mir so lieber", flüsterte Nanda und sah dankbar zu ihm auf. Ehe er noch darauf erwidern konnte, erscholl wieder ein hundertstimmiges Rufen, durch die Ferne gedämpft, von den Zelten her, und wieder machte es das Mädchen in seinen Armen schaudern. „Es klingt so wüst, es klingt so roh", sagte die Schöne; „es klingt so ganz anders, als Du bist. Nein, Du gehörst nicht zu ihnen." Er aber richtete sich hoch auf und warf sich in die Brust: „Wchl gehör' ich zu ihnen, und sie gehören zu mir, die Armen und Enterbten, die bislang nur darum auf der Welt zu sein scheinen, damit die Reichen und der Staat, der nur die Reichen schützt, sie ausbeute." „Aber, Schatz", wagte Nanov einzuwenden, „wenn Jene dummes Zeug schreiben, und dann Dich, der es nicht geschrieben hat, dafür drei Monate einsperren lassen mir nichts, dir nichts, dann scheint mir, daß Du Derjenige bist, welcher ausgebeutet wird, und nicht vom Staat und von den Reichen, sondern von Deinen lieben Brüdern und Genoffen." „Das scheint nur so", sprach Winkler; „in Wahrheit dulden sie mit mir und ich mit ihnen. Und ich dulde freudig, duld« nach eigener Ueberzeugung und werde mit Jenen dulden und kämpfen und das Liebste entbichren, bis das Morgenroth des Sieges unsere Mühen und Opfer vergelten wird, bis di« heute noch Geknechteten sich in die Herrschenden verwandeln werden und eine neue Ge- sellschastseinrichtung den verrosteten Staat ersetzen wird. Dann, ja dann . . . ." Sie sah zweifelnd und ängstlich in seine sprühenden Augen und auf seinen bebenden Mund. Seine Worte überzeugten sie nicht, aber sie entzückten und berauschten sie. Es war jetzt in seiner bebenden Stimme, in seiner aufgereckten Haltung, in seinen gespannten Zügen etwas, das hinreißend wirkte, eine schwärme rische Gewalt, ein Feuerschein der Ueberzeugung, ein fegender Sturmwind der Leidenschaft, daß man in seine Zukunft als Volkstribun wohl Vertrauen fassen durfte. Auch war die Liebende weit oavon entfernt, seine Worte zu wägen; sie säh nur, daß sein Gefühl ihn verschönte, und weil er ihr also herrlich und gehoben erschien, dachte sie nicht an Widerspruch und wäre am liebsten ihm verehrend zu Füßen gesunken. Da war's mit einem Male, als ob der fernher dröhnende, verworrene Lärm den überfüllten Saal mit einem einstimmigen, langhin gellenden Schlachtruf bersten gemacht hätte, so daß nun die bisher aufgestaute Menge ins Freie floß. Man hörte deutlich, daß die vordem in vier Wänden eingeschloffenen Stimmen nun mehr in frischer Luft weiterpolterten, mäßiger, gelinder, trupp weise durcheinander gemischt, aber näher und immer näher kommend. Das Liebespaar hatte diese dunkle Allee nicht gewählt, um einer aufgeregten Menge zu begegnen, noch weniger, um auf einen oder anderen Bekannten zu stoßen. Es spähte nach dem nächsten Weg aus dem Holge, und versuchte, raschen Fußes zu ent kommen. Der Königsplatz war ja ganz nahe. Aber schon quollen auf allen Pfaden ihnen die von der Feier heimkehrenden Leute truppweise oder paarweise entgegen. Hinter jedem Baume gingen hastige Menschen vorbei, und die Laternen am Wege be schienen aufgeregte, manchmal auch vom Eifer oder vom Trinken verzerrte Gesichter. Wichen sie ihnen hier aus, begegneten ihnen vort Andere, di« doch dieselben schienen. Alle hatten große Eile, sprachen überlaut und fuchtelten mit aufgeregten Armen in der Nachtluft herum, in deren Dunkel sie jählings auftauchtrn und ebenso wieder verschwanden. „Um Gotteswillen, die Menge Leute ... und wie aus dem Boden gewachsen! Wenn uns nur Keiner kennt!" hauchte Nanda voll Angst, das Gesicht dicht zu Jmmanuel's Schulter gewendet, als könnte sie sich so besser verbergen. „Dich kennt keiner von Denen. Wie sollt' er!" flüsterte Winkler. „Mich werden wohl ihrer Etliche grüßen. Das schadet nichts. Aber nun dort hinüber an die Fahrstraße. Dort werden wir eine Droschke finden." In der That, keine fünf Meter weit sahen sie aus Düster und Dunkel den Fahrweg und dahinter die Laternen von der Straße „Hinter den Zelten". Sie hüpften über verwelktes Laub und vorjähriges Gras und standen aus der Straße. Nun recht» um das Kroll'sche Theater herum! Aber noch ehe sie an den anderen Rand des Fahrweges ge«
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