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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000110025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900011002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900011002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Die Morgen-Au-gabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-aclion und Expedition: JohanniSgafle 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'« Sortim. UniversitätSstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharinenstr. 14, -art. und Königsplatz 7. BezugS.PreiS in der Hanptexpedition oder de« im Stadt' bezirk mrd de« Vororten errichteten Aus- gabestellen abgeholt: vierteljährlich^4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» X 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierte jährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung i»S Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. ttpMcr TagMM Anzeiger. Amis blatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Volizei-Anttes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich (»ge spalten) 50 H, vor de» Familiennachrichten (6 gespalten) 40 .H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördrrung 60.—, mrt Postbeförderuog ^l 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4Uhr. Bei den Filiale« und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von L. Holz in Leipzig. Mittwoch den 10. Januar 1900. 9t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. Januar. Der gestrige erste Berliner ParlamentStaz war nicht aufregend. Im Reichstage, bei der Debatte über die Er höhung de» Heringszolles, eine große Blamage für die kleinen Politiker vom Schlage des Herr» vr. Hahn, verschärft durch DeSavouirung dieses Herrn durch hartgesottene Agrarier, im Abgeordnetcnhause gar nichts. Die Präsidentenwahl und die Einbringung des Etats durch den Minister v. Miquel finden, entgegen früher getroffenen Dispositionen, erst heute statt. Wodurch die Aenverung verursacht wurde, ist nicht bekannt; die ZeitungSmeldungeu, daß die Freisinnigen gegen die Wiederwahl deS bisherigen Präsidenten durch Zuruf zu protestiren gedächten, halten wir für unrichtig. Heute also wird Herr v. Miquel sprechen. Er wird jedenfalls nicht Die jenigen entschädigen, die eS bedauern, daß die gestern verlesene Thronrede bei der Erwähnung der Eanalvorlage sich aller Piquanterien enthielt. Die „Kreuzztg." ihrerseits ist natür lich von der nüchternen Ankündigung des Schicksalsgesetzes hoch befriedigt, auch die „Deutsche Tagesztg." spricht ihre Vorbehalte zu den sie besonders interessirenden Stellen der Eröffnungsrede in ruhigem Tone auS. Die„Germania" hingegen lärmt ob der Form der Ankündigung des Comm un alwahlge setzes; das ist aber bei ihr nur Händlerbrauch, bestimmt, den Preis der offerirten Waare herabzudrücken. In Wirklichkeit läßt die Thronrede politisch nach keiner Richtung einen Schluß auf daö Kom mende zu; das Einzige, was Manche als Klärungömoment erwarteten, die annähernde Angabe des Zeitpunktes, in dem die Ei senb ahn Vorlage erscheinen soll, fehlt auch und des halb wird der Streit darüber, ob die preußische Regierung nach dem Spruche „Kein Wasser, keine Schienen" zu verfahren gedenke, noch eine gute Weile fortdauern. Die Beschlagnahme beutschrr Dampfer durch englische Kriegsschiffe sollte schon heute unmittelbar nach Beginn der zweiten EtatSberathung im Reichstage zur Sprache gebracht «erden: man hat aber davov, weil. Graf Bülow heute in, Sleskin einer Schiffstaufe beiwohnt, AbstcNltz genmtsir«? und wird dem Staatssekretär des Auswärtigen erst an einem der folgenden Tage Gelegenheit geben, die lang ersehnte Auskunft sowohl über die Schritte, die er zur Abwendung ähnlicher Maßnahmen ge- than, als auch über den Erfolg seiner Bemühungen zu er- theilen. Bis dahin wird ja wohl die Antwort Englands in Berlin eintrfffen. Ein Mitarbeiter der Münchener „Allgem. Ztg." will wissen, daS sei bereits geschehen; die Antwort mache zwar eine von der deutschen verschiedene NechtSauf- fassung geltend, der Ton aber sei so conciliant, daß eine Ver- ständigung zu erwarten sei. Daß die Antwort in der Form kaum etwas zu wünschen übrig lassen und auch einige sach liche Zugeständnisse enthalten werde, daraus bereiten die folgenden beiden Telegramme vor: * Ade», S. Januar. („Rcuter's Bureau.) Ter Postdampfer „General", der freigelassen worden ist, fuhrt heute Abend ab. Auf dem Dampfer wurden einige Chemikalien und Radachsen gesunden, sonst nichts. Auf einem Dampfer des Oesterreich ischen Lloyd, dessen Name im Telegramm nicht angegeben ist, wurde eine Menge Mehl gefunden, das, wie man annimmt, für Trans vaal bestimmt ist. Das Mehl wird zurückgehalten, bis das I Prisengericht seine Entscheidung getroffen hat. * London, 9. Januar. Wie das „Reuter'sche Bureau" vernimmt, wird nach Freigabe des Dampfers „General" auch wahrscheinlich dem Dampfer „Herzog" die Weiterfahrt gestattet werden. Dem Vernehmen nach ist nunmehr scstgestellt, daß die Passagiere des „Bundes rath", Mitglieder der italienischen Gesellschaft von: Rothen Kreuz waren, die in gleicher Weise verwundete Briten und Boeren Pflegen sollte». ES ist noch nicht cndgiltig festgestellt worden, ob unter der Ladung deS „Bundcsrath" Eon trcbande sich befindet, aber wie verlautet, wird die englische Regierung bereit sein,, volle Entschädigung für jede Verzögerung zu ge» währen, wenn sich keine Contrebande vorfindet. Die von der deutsche» Negierung unverzüglich gemachten Vor stellungen hinsichtlich der Behandlung neutraler Schiffe sind von der englischen Negierung mit aller Berücksichtigung e,'nt« gegengenommen worden. Wie verlautet, wird die Angelegenheit der neuerlichen Ausbringung eines deutschen PostdampserS in freundschaftlicher Weise zwischen beiden Negierungen geregelt werden. Dem Vernehmen nach befindet sich an Bord deS Dampfers „General" keine Contrebande, anscheinend auch nicht an Bord deS Dampfers „Herzog". Immerhin genügt eS nicht, wenn nach langem Zögern und Zaudern die beschlagnahmten Schiffe freigegebeu und voller Schadenersatz versprochen wird. ES handelt sich vor Allem darum, daß bindende Zusicherungen oder Garantien für das künftige Unterbleiben von Maßregeln ge geben werden, dir England selbst nicht dulden würde, wenn sie ihm gegenüber in Anwendung kämen. Wir begrüßen eS daher, daß die „Nat.-Lib. Eorr." die folgende, ihr „von sehr geschätzter Seite" zugegangene Zuschrift abdruckt, die einen Schluß auf die Haltung gestattet, die von national liberaler Seite bei der Debatte wird eingenommen werden: „Die bisherige Wirkung des Vorgehens der englischen Negierung gegen die deutsche» Postdampfer ist eine außerordentliche Verbitterung, und nicht znm Wenigsten darum, weil das Ver fahren völlig mit dem in Widerspruch steht, was England selbst Hmf-Eee ftzr-ldcht nnd KPch-«ebal'e>l. Mets hat es daran sest- gehalten, daß alle Maaren v ö rr'einem^n'cntraten Hafen unter neutraler Flagge »ach einem neutralen Hafen unbehindert gefahren werden können. Ein bezeichnendes Beispiel dafür hat England während des amerikanischen SecessionSkrieges gegeben; ohne Weiteres haben englische Schiffe große Massen von Kriegsmaterial, daS für die Südstaaten bestimmt war, nach einem im nörd lichen Mexiko bei Texas gelegenen Hafen MatamoraS verladen. Die Proteste der Nordstaateu bei England habe» nichts ge- fruchtet. Jtn vorliegenden Falle kommt aber hinzu, daß die Deutsch-Ostafrika-Linie ausdrücklich nach Ausbruch deS Krieges den Standpunkt eingenommen, keine Kriegscontrebande zu verladen. Und soweit die Rhederei Controle zu üben in der Lage war, ist nichts verladen worden, was als Contrebande angesehen werden konnte. Ter erste Beweis dafür ist die Frei gabe des Dampfers „General" — nachdem die ganze Ladung untersucht und stark beschädigt, aber nichts Verdächtige- ge« funden worden war. Noch schlimmer aber als diese I Schädigungen sind die weitere» Wirkungen deS englischen I Vorgehens. Es steht zu besorgen, daß die ganze Linie lahm gelegt wird. Der erste beschlagnahmte Dampfer „Bundes rath" verliert seine sämmtliche Rückfracht und Passagiere, und mit dem Dampfer „Herzog", der einen Werth von 2,5 Millionen Mark darstellt, wird cs wohl ebenso gehen. Zugleich besteht in Hamburg große Scheu, irgend etwas nach Deutsch- Ostasrika zu verladen, weil Jeder besorgt, daß die Ladung beschädigt oder gar nicht ankommt. Ebenso geht eS mit den Passagieren, die, soweit sie auf de» beschlagnahmten Dampfer» sich befinden, Schadenersatz beanspruchen, weil sie nicht an ihren Bestimmungsort gebracht sind. Tas sind Schädigungen, die sich auf Hunderttausende von Mark summiren. Der Gipfel aber bleibt, daß Dampfer, auf denen sich die deutsche Post befindet und die nach der deutschen Colonie Deutsch-Lstasrika bestimmt sind, wie der „General", aus diesem Weg« in Ade» angehalten und gezwungen werden, ihre Ladung untersuchen zn lassen. Das ist rin Verfahren, daß sich recht fertige» ließe, wen» Deutschland mit England in ernstlichen Differenzen läge, oder allenfalls vertheidigeu, wenn England irgend eine Erklärung abgegeben hätte, daß es Schiffe nicht nach der Telagoa-Bai gehen läßt oder diese Bai blockirt hält. Davon ist aber gar nichS geschehen. ES unterliegt keinem Zweifel, daß diese gerechtfertigten Beschwerden im deutschen Reichstage vernehmbar zum Ausdrucke gebracht werden." Ter italienische KricgSiuinister tztcneral Mirri ist, wie gemeldet, zurückgetreten. Tie Beröffentlichung deS Briefwechsels zwischen ihm und dem Palermitaner General- Staatsanwalt Venturini hat ihm den Hals gebrochen. Man erinnert sich noch der Aussage, welche General Mirri als Zeuge im Masfia-Proccß Notarbartolo kürzlich ablegte. Er sprach mit solcher Offenheit und Entschiedenheit, daß daS Publicum ihm, als er den Gerichtssaal verließ, eine stürmische Ovation bereitete. TaS Schwergewicht seiner Rede lag in der Anklage, welche er gegen die Polizei- unv Gerichtsbehörde» Palermos erhob. Er zieh sie der sträf lichen Schwäche gegen die Maffia. Und nun erfährt man auö dem Briefwechsel, der dem Mailänder „Tempo" zur Verfügung gestellt ward, daß der General als RemerungS- Commissar für Dicilie» von dem General «.StMSänwalt die Freilassung eines Menschen forderte, der sich unter der Anklage auf Theilnahme a» einer verbrecherischen Gesell schaft, auf Fälschung, Diebstahl und Mord in Untersuchung befand. General Mirri begründete sein Verlangen mit der Erklärung, daß daS bewußte Individuum ein trefflicher Agitator für die Wahl deS RegierungS-Candidaten Damiani sei, der um jeden Preis gewählt werden müsse. General Mirri hat also eine grobe Verletzung de» Gesetze» au- politischen Rücksichten begehrt und daher kein Recht, den sicilianischen Behörden, die daS Gleiche gethan haben, Vor würfe zu machen. Man citirt angesichts der Enthüllungen des „Tempo" unwillkürlich daS Bekenntniß der Prinzessin Eboli zu Füßen der Königin: „DaS Verbreche», dessen ich Sie zechte, beging ich selbst." Wie arg aber müssen die Zu stände in Sicilien sein, wenn sich ein alter Soldat, ein ehren hafter General, durch die Verhältnisse gezwungen sah, zu solchen Mitteln zu greifen! Der Krieg i» Südafrika. . —Tie allgemeine Aufmerksamkeit ist wieder auf jenen Theil deS Kriegsschauplatzes, wo beide Gegner ihre haupt sächlichste» Streitkräfte vereinigt haben, auf Natal, und dort wieder auf Ladysmith gerichtet. Obwohl es General White trotz zahlreicher Ver suche nicht gelungen ist, den Belagerungsgürtel zu sprengen nnd sich nach Süden über den Tugela durchzuschlagen — der letzte heroische Versuch am Freitag ist gänzlich mißlungen — muß man doch der tapferen Besatzung, welche nun schon seit dem 2. November, also über zwei Monate, urtter den schwierigsten Verhältnissen und unter großer» Entbehrungen Stand hält, die höchste Achtung zollen. Die Truppen White'« leiden an Proviant- und Wassernoth und unter MunitionS- mangel. Epidemische Krankheiten herrschen-in der Stadt und rednciren täglich den Stand der Streiter, da eS auch an Arzneimitteln zur Bekämpfung der Seuchen fehlt. Trotzdem wehrt sich die Garnison gegen einen ebenso muthigen und ausdauernden Feind mit bewunderungswürdiger Ausdauer. Wenn die Truppen White'S einen entschlossenen Wider stand leisten und sich vertheidigen, bi« die letzte Patrone verschossen und die letzte Krume Brod verzehrt ist, so thun sie dies in der Hoffnung auf baldige Hilfe, auf baldigen Entsatz. Nur wenige Stunden südlich von Ladysmith, bei dem kaum zwanzig englische Meilen entfernten Chieveley, steht unter General Buller'« Commando eine der schönsten und stärksten Armeen, welche Großbritannien jemals auf die Beine gebracht hat. lieber 30 000 Mann mit 70 Geschützen sind bereit, Ladysmith die ersehnte Hilfe zu bringen. Die beiden Heere Buller'S und White'S verkehren durch optische Signale mit einander, und man vernimmt ganz deutlich in Chieveley den Donner der Geschütze bei Ladysmith. Bis jetzt war aber General Buller nicht im Stande, den Truppen White'S die Hand zu reichen. Sei» erster am 15. December unteruommener Versuch, die bei Colenso stehenden und ihm den Vormarsch auf Ladysmith wehrenden Boeren aus ihren Stellungen zu verdrängen und sich den Ucbergaug über den Tugelafluß zu erzwingen, ist gescheitert. Die Engländer haben da« Wagniß mit dem Verluste von mehr al« tausend Manu und einem Dutzend Geschützen bezahlt. Seit jener Zeit hat General Buller bedeutende Ver stärkungen an Mannschaften und Geschützen herangezogrn. Auch die Boeren haben nämlich ihre Stellungen am Tugelaflufse verstärkt, und englische Berichte behaupten, daß sie in der Front geradezu unangreifbar wären. Geucral Buller müßte daher trachten, den Gegner durch eine Umgehung seiner Position zu delogiren. E« fragt sich aber, ob der englische Oberbefehlshaber heute schon in der Lage ist, sich von der Eisenbahn entfernen zu können. Bisher war ihm die« bekanntlich nicht möglich, da er keinen Transporttrain zur Verfügung hatte. Die Stellungen der Boeren sind sehr ausgedehnt, denn ihre Verschanzungen solle» den Tugelafluß auf 11—18 eng lische Meilen begleiten und dies würde für einen unter nehmenden Gegner sehr verlockend zu weit auSholenden, um fassenden Manöver» sein. Die Unternehmungslust des eng lischen Generalstabes dürfte jedoch durch den bereit- erwähn- ! tenMangel an einem TranSporttrain ziemlich eingeschränkt sein. Die Boerentruppen sind überdies, da sie meist beritten sind, I so beweglich, daß sie bedrohte Puncte rasch erreichen können Feuilleton. 7j Die ganze Hand. Roman von H a n s H o p f e n. Nachdruck vcrbottii. Der elegante Spindler kam wohl jede Woche einmal in seinem neuen Break, der allezeit eifrige Wendewalt öfter als einmal auf seinem Zweirad angesaust, und wenn sie nicht häufiger kamen und nicht länger blieben, als geschah, so war jener unausstehliche, radebrechende Schwätzer daran schuld, der sich mit seiner Staffelei und seinen Farbentuben bereits in Nanda's Werkstatt niedergelassen hatte, hier that, als ob er zu Hause wäre, wenigstens viermal in der Woche das Fräulein stundenlang mit verliebten Augen verschlang und über seine Leinewand hinweg die ältesten Meidinger und die dümmsten Mikoschgeschichten hervorzusprudeln und sie falsch zu pointiren nicht müde ward. Von den Andern begriff Keiner, daß eine Dame voll Geist und Geschmack, wie Nanda Wesselbrunn, solch eines Kaffern Gesellschaft so lange er trug. Aber freilich, das Bild versprach vorzüglich zu werden. Darin waren sie Alle einer Meinung und Jeder hätte es gern für sich erstanden; aber Nanda verbat sich das, und der Künstler dachte nicht daran, das Porträt irgend Jemand zu überlassen, es wäre denn dem schönen Urbild selbst. Aber auch diesem erst, nachdem sein Meisterstück von einer Großstadt zur anderen auf die Ausstellung gewandert wäre und den Ruhm seines Schöpfers gemehrt und verbreitet hätte. Das schöne Conterfei mußte ja dem Urbild schmeicheln. Von den Andern konnte keiner dergleichen. Und dieser wärmenden Ueberzeugung voll, pflanzte sich der Ungar frech fest in Nanda's Werkstatt und freute sich diebisch, wenn die Anderen vor ver haltener Wuth platzen wollten. Seine Mikosch und Meidinger konnte Keiner aushalten, und so behauptete er allemal das Feld. Nur vor Einem wich er, vor Einem schwänzelte und tänzelte und buckelte und grinste er immer und überall, und selbst neben der angebeteten Nanda. Das war der einflußreiche Kunstkritiker, der, breitspurig und unverfroren, ganz der Mann dazu war, wenn er sich über einen Künstler ärgerte, dessen schönstes Meister werk vor allem Volk mit einer Lauge von Spott und Hohn zu übergießen, daß kein Pinselstrich davon anerkannt wurde. Mit dem durfte es ein Strebender beileibe nicht verderben. Da wußte der Magyar, allein ihm wollt's auch dünken, als wäre der feiste Schlemmer, der nichts im Leben ernst nahm, auch der am wenigsten Gefährliche von Allen, die um dieses berauschende Weib sich mühten. Er versäumte nicht, sowie er sich mit ihr allein fand, über diesen infamen Schmarotzer die infamsten Anekdoten auszukramen, die diesen in guter Gesellschaft schlechter dings unmöglich machen sollten. Und nicht nur über diesen, sondern auch über die beiden Anderen, wie dies auch Jeder von den Dreien über den Maler und hinwiederum über sämmtliche ab wesende Nebenbuhler leistete, sobald einer das Glück hatte, bei der schönen Fächermalerin allein zu sitzen. So gab sich ein Jeder von den Vieren redliche Mühe, die freundliche Wirkung der anderen Freier zu Nichte zu machen, und arbeitete damit unbewußt zu Gunsten jenes Fünften, den Keiner nannte, den Keiner kannte, an dem aber Nanda mit ganzem Herzen hing, mochten Jene sich verleumden oder ihr Lob zu ihren Füßen singen, gleichviel. Denn obschon Immanuel in seiner quälenden Phantasie ganz richtig erkannt hatte, wer Alles bei seinem Liebchen aus» und einging, und was sie schwatzten und anstelle» mochten, in Einem hatte er sich doch umsonst gequält, er kannte Nanda's Herz noch lange nicht. Es giebt kein sichereres Mitel, ein Weib zu hüten und in Treue zu bewahren, als gegenseitige tapfere Liebe. Ein Weib, das leidenschaftlich liebt und sich leidenschaftlich ge liebt weiß, wird nicht leicht vom rechten Wege straucheln. Denn der geliebte Mann ist ihr ein Gott und jeder Andere, wäre er auch eingestandenermaßen dreimal so viel werth als der ihrige, ist ihr ein Gräuel und Abscheu, wenn er sich ihr begehrend nähert. Wohl litt auch Nanda bitter unter der andauernden Trennung vom Geliebten, aber sie litt in Freiheit und so litt sie leichter. Nur wenn sie jene seltenen, aus Noth verstellten, also nichtssagen den Brieflein des Gefangenen von der Post holte, wehte sie's bitter und öde daraus an. Aber es waren doch Lebenszeichen und Liebeszeichen doch auch. Dann ging sie wohl heim und schrieb aus voller Seele heraus einen langen, leidenschaftlichen Brief an den Einzigen, obschon sie wußte, daß sie diesen Brief ihm nicht würde schicken und er ihn mit so manchem anderen erst nach seiner Freilassung würde lesen dürfen. Aber für ihr gepreßtes Herz war's doch Erleichterung, mit ihrem armen Immanuel zu sprechen, ihm Alles zu sagen, was sie bewegte in Liebe, Sehnsucht und Hoffnung. Wunderlich blieb ihr's dann trotzdem, daß Der, an wrlchen diese Briefe gerichtet waren, nicht darauf antwortete und auf alle diese Gedanken und Gefühle keine Resonanz kam. Freilich, er erhielt diese Briefe ja nicht, sie mußte sich das immer wieder sagen, und doch schrieb sie weiter an ihn, wie in ein Tagebuch und über Alles. , . Don ihren Anbetern schrieb sie nichts oder nur wenig. Sie waren ihr ja auch nicht mehr. Warum sich mit gleichgiltigen Personen befassen, wenn man dem Entfernten so viel Wichtigeres zu schreiben hat. Spindler war ihr niemals sympathisch, der Kritiker mit der Paschamiene immer zuwider gewesen, und den Maler ertrug sie nur, weil er in ihrer Kunst sie richtig berieth und ein vorzügliches Bild von ihr schuf, das ihrem Geliebten Freude machen sollte. Etwas anders stand es mit dem Land rath. Sie kannte ihn von klein auf, er war ihr und ihrem Vater immer ein treuer und ehrlicher Freund, sein Denken, Thun und Gebühren ihr immer lieb und vertraut gewesen. Sie achtete ihn und wußte, daß sie auf ihn zählen durfte, wenn sie wollte. Aber da er schon ein erwachsener Mensch und Feldzugssoldat gewesen war, als sie noch im Flügelkleide mit Puppen, Katzen und Hühnern auf dem Hofe hcrumtollte, hatte sie sich daran ge wöhnt, ihn für einen älteren Herrn zu betrachten, für viel älter, als er wirklich war, und darum kam er als Courmacher bei ihr gar nicht in Betracht. Daß er trotzdem in sie verliebt war, that ihr leid, und daß er des kein Hehl hatte, war ihr oft peinlich. Aber sie hoffte noch immer, ihn als Freund abzurichten und von eitlen Wünschen zu heilen. Auch Wendewalt hoffte* jedoch das gerade Gegentheil, wenn er auch vor der Hand zu schweigen und sich zu gedulden für gut fand. Und so entstand ein wunderliches Freundschaftsverhältniß zwischen den beiden ungleich gearteten Menschen. Aber ohne daß Nanda sich dessen bewußt ward, fand sie in dieser Freundschaft, für die sie nichts von Liebe an sich hatte, Trost, der ihr leichter zu dulden half, was zu Ende geduldet werden mußte. Wendewalt glaubte zu fühlen, daß er der schönen Malerin etwas geworden war, das sie mit ehrlicher Freude begrüßte, wenn er bei ihr erschien und, wenn er ging, sie fragen ließ, wann sie sich Wiedersehen würden. Sie nannte es Zeitvertreib. Er hoffte, daß es der unbewußte Anfang eines köstlicheren Gefühls sei, und baute Hoffnungen darauf. Aber er kam in seiner Beflissenheit keinen Schritt vorwärts. Sie legte auf seine Besuche, auf seine Persönlichkeit nur darum Werth, weil er ihr die Langeweile scheuchen half, den schlimmsten Feind , der Einsamen, die sich sehnen. Ohne seine gute Laune, ohne die Abwechselung, die ihr das Gespräch deS klugen, diel» erfahrenen Mannes bot, wäre wahrscheinlich auch sie krank und nervös geworden. Sie fühlte dergleichen instinktiv und fühlte sich darum auch instinktiv zu Dank verpflichtet. In dieser Dankbarkeit spielte sie mit ihm. Ein gefährliches Spi^. Gefährlich zunächst für ihn. Darüber Gewissensbisse zu bekommen, war sie zu sehr Weib. Nichts natürlicher, al» daß Männer für sie schwärmten. Sie war's gewöhnt und ihnen machte das sichtlich Vergnügen. Sie zeigten sich überglücklich, Einer wie der Andere, wenn sie sichs nur ein bischen gefallen ließ. Warum sollte sie dem tapferen Wendewalt die Freude ver derben? Er verpflichtete sie zu nichts. Davor war sie sicher, und sie versäumte auch nicht, ihm das gelegentlich anzudeuten. In ihrer instinktiven Dankbarkeit und Vorsicht war sie auch zu Vertraulichkeiten gestimmt. Um ihm zugleich ein Zeichen ihrer Freundschaft zu geben und seine eitlen Hoffnungen abzuschrecken, lüftete sie einmal den Schleier ihres Geheimnisses «in wenig und gestand ihm in kameradschaftlichem Tone geradezu, daß sie ver liebt sei, daß sie seit Jahren ein intimes Verhältniß habe, daß sie aber wegen allerhand Hindernissen sich nicht kriegen könnten, vor Allem des dummen Geldes wegen, das keiner von Beiden hätte. Der Landrath hörte ganz andächtig zu. Er nahm aber die Sache bei sich gar nicht so ernsthaft und taxirte die Geschichte als eine altbackene Mädchenliebe, daran sich ein üppig aufblühendes, mit so viel natürlicher Lebenslust und Schaffensfreude begabtes Weib wie Nanda nicht die Zähne ausbeißen und dabei sinnlich verhungern werde. Sie war zu ihrer eigenen Ueberraschung etwas neugierig dar auf, ob Wendewalt nach solcher Eröffnung ausbleiben oder wiederkommen werde. Er kam nach wie vor auf seinem Rade, zu den gleichen Zeiten, und machte nie eine Anspielung auf ihr großmüthigeS Geständniß. Sie überredete sich, daß er durch dieses Verhalten klar be wiese, daß er für sie eben nur ein Freund, aber ein guter Freund sein wollte, und sie dankte ihm auch für diesen Beweis. Nur hätte sie gern noch mehr mit ihm über ihren Geliebten gesprochen. Natürlich, ohne ihn zu nennen. Es hätte ihr so wohl gethan, mit irgend einem verläßlichen Menschen von ihrem Immanuel zu plaudern. Der Landrath wich geschickt aus. Da bei merkte sie auch, daß besser davon geschwiegen würde. Und sie vertrugen sich gut auch ohne das. Sie malte fleißig. Auch in den heißen Sommertagen. Zwei ihrer kleinen Kunstwerke hatte sie während de» Geliebten Verhaftung schon ziemlich weit gefördert, und sie hoffte, sie bald zu vollenden und dann auch gut zu verkaufen. Nun gönnte sie sich etwas Erholung. Sie fuhr bei gutem Wetter mit Miß Max Minn, dem Landrath und dem Assessor, denen sich auch Manchmal der Maler zugesellte, zu Rad in den Grünewald und Wrt- und dahin. Papa hatte nichts dagegen, wenn sein zu verlässiger Freund Wendewalt dabei war. Sie fühlte, daß ihr
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