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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.01.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000113029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900011302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900011302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Filialen: Alfred Halm vorm. O. klemm'- Sorttm. Universitütsstraßc 3 (Paulinum), Louis Lösche. Katharineuslk. 14, pari, und Königs-Platz 7. Maction und Erpe-ition: Johauuiögasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt- tesirk und den Vororten errichteten Aus- «arrstellen abgeholk: viertesiahr!:ch.^4.üO, lei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus > ü.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Tirecte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: inonatlich ./» 7.50. Abend-Ausgabe. Wp.ngcr Tagtblall Anzeiger. Ämtsökatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ratljes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Sonnabend den 13. Januar 1900. Äuzeigert-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pig. Reklamen unter dem Redaction-slrick (Lg». spaltem 50/>s,, vor den Familirnnachrichkru sü gespalten) 40/^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderuag -/t 60.—, m«t Postbrförderung ^l 70.—. Innahmeschluß für ^uzeizen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expr-ition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 8t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 13. Januar. Daß der jetzige Reichstag keinen Stillstand der sozialen Resormgesetzgebung will, hat er gestern bewiesen, auf eine Weise freilich, die vorläufig wenigstens einen greifbaren Er folg nicht haben wird. Er hatte in die EtatSberathung die zum Invalidcnversicherungsgesetze eingebrachten Reso lutionen wegen Erweiterung dieser Versicherung zu einer Wittwen- unvWnisenversorgung eingeschobcn. ES find dies die Anträge des freiconscrvaliven Abg. v. Stumm und des ultramontanen Abg. Hitze, von denen der erstere die Versicherung für die Witlwen und Waisen aller in die Invalidenversicherung Embegriffenen, der letztere nur für diejenigen der Fabrikarbeiter will. Mit dieser Beschränkung fand das Eentrum nirgends Zustimmung. Der Staatssekretär Graf von Posadowsky ei klärte kategorisch, daß die verbündeten Negierungen sich keinesfalls zu einer solchen Bevorzugung der Fabrikarbeiter gegenüber den Arbeitern in der Landwirtbschaft, die der Ent völkerung des platten Landes noch Vorschub leisten müßte, verstehen würden. Für jetzt aber wies der Staatssekretär die Forderung einer Wittwen- und Waisenvcrsicherung über haupt ab, indem er zunächst die Durchführung der Revision der drei bestehenden Versicherungsgesetze verlangte. Insbesondere müsse die für viele Arbeiterfamilien verhängniß- volle Lücke zwischen dem Anfbören des .Krankengeldes und dem Eintritt der Invalidenrente ausgefüllt werden. Nack diesen nothwendigen Maßregeln werde man beurtbeilen können, ob Arbeitgeber nnd Arbeiter im Stande sein würden, auch noch die Last einer Wittwen- und Waisenversicherung, deren Kosten der Staatssekretär auf 90 Millionen Mark berechnete, zu tragen. Auch die Unbeständigkeit eines wirthschastlichen Aufschwunges, wie ihn Deutschland jetzt erlebe, dürfe man bei der Beantwortung dieser Frage nicht aus dem Auge lassen. Diese auf nüchterner Erwägung der Möglichkeit nnd der Verantwortlichkeit beruhende Auf fassung sand aber im Hanse nur bei der konservativen Partei Zustimmung, die aus jenen Erwägungen gegen beide Anträge Ilimmte. Von freisinniger Seite (Abg. Richter) wurde Ueber- weisung der Anträge an eine Commission beantragt, doch lehnte die Mehrheit Viesen vorsichtigen Weg ab und stimmtcfür den Antrag des Abg. v. Stumm, dem der socialdemokratiscke Abg. Molkenbuhr das Eomplimcnt machte, in diesem Falle den Collegcn Hitze an Arbeitersrcundlichkeit noch „über trumpft" zu haben. Der siegreiche Antragsteller betonte aber selbst, daß sein Antrag keine Frist setze, mit anderen Worten, daß er an eine baldige gesetzgeberische Folge dieses Antrags und seiner Annahme selbst nicht glaube und auch nicht drängen wolle. Die Socialdemokratie wird nun sagen, man habe gestern mit der Annahme des Antrags Stumm lediglich ein „Schauzericht" aufgelischt. Commil'sionSberathung des Antrags wäre daher Wohl taktisch richtiger gewesen. — Heute wird die EtatSberathung fortgesetzt. Kaum je hat ein Ausspruch deS Kaisers zu so vielen Dcutungsversuchen Anlaß gegeben, wie der: „Die Social- öcmokrätie betrachte ich als eine vorübergehende Erscheinung; sie wird auStoben." Einen der interessantesten finden wir in der „Köln. Ztg.", welche die Ansicht ausspricht, der hohe Werth des kaiserlichen Wortes liege in der Erkenntniß, daß man in der Angst vor der Socialdemokratie einen falschen Weg gegangen sei und infolge dessen auch da Hilfe gesucht habe, wo sie am allerwenigsten ,u finden gewesen sei, in einer Politik der Nadelstiche und bei dem sich als alleinigen Damm gegen diese Gefahr an preisenden UltramontaniSumS. Ueber die von diesem drohende Gefahr schreibt daS rheinische Blatt: „In ihm liegt eine viel schlimmere Gefahr sür unser Vater land. Die ultramontanen Gewässer schießen nicht tobend dahin und drohen anscheinend keinen Schaden anzurichtcn; sie versprechen viel mehr mit lieblichen Wogen staat- und volkerhaltend zu wirken. Aber die zerstörende Kraft deS UltramontanismuS dringt langsam durch alle möglichen von der Regierung zugelasscnen kleinen Rinnen in Las Land ein und untergräbt den Staatsbau: hier leckt ihr Gewässer an jedem vaterländischen Bauwerk, dort sucht es die Volksschule und die wissenschaftliche Bildung der höheren Schulen und der Universitäten zu unterwühlen. Genug, die Einsichtigen im Lande kennen diese langsam aber sicher wirkende Gefahr des Ultra- montanismus wohl, aber sie waren bisher fast machtlos geworden gegenüber der Blindheit mancher Parteien, insbesondere der Radikalen, der Regierung und der leitenden Kreise, die es dem UltramontanismuS sogar ermöglicht haben, die ausschlaggebende Partei im deutschen Parlament zu werden. Sollte mit dem kaiser« lichen Worte, Laß die Socialdemokratie eine vorübergehende Er scheinung ist, die Ueberzeugung unser ganzes Volk wieder durchdringen, daß die Gefahr des Ultramontanismus keine vorübergehend», sondern eine immer stärk er werdende und unser ganzesVolks- thum gefährdende ist, dann würde der Anfang des neuen Jahr hunderts auch vielen der Anfang einer gesündern und bessern Zeit unseres deutschen Volkes bedeuten. Zunächst aber wollen wir hoffen, daß die großen nationalen Fragen, die in diesem Jahre in den Parlamenten entschieden werden, die wichtige wirthschastliche Canal- frage im Innern unseres Landes und die die ganze Macht und Ehre Deutschlands im Auslande in sich schließende Flottenfrage, dem preußischen und deutschen Volke zur Lösung vorgelegt werden, ohne daß man nach dem Centrum blinzelt und seine Zustimmung durch Gemeindewahlordnungen, die den Westen bedingungs los dem Ultramontanismus ausliesertcn, oder durch sonstige Liebesgaben, die daS deutsche Volk nur entzweien können, sich verschaffen zu können meint". In der Tbat liegt in dein Ultramontanismus eine viel schlimmere Gefahr für unser Vaterlanv, als in der Social demokratie, schon deshalb, weil jener seine Mitwirkung an Eindämmungsvcrsuckcn der socialdemokratischen Propaganda von jeher von staatlichen Eoncessionen abhängig gemacht hat, die den ultramontanen Einfluß befestigten und stärkten. Wir hätten ganz andere Waffen gegen die radikalen Umstürzler, wenn nickt das Eentrum stets den mehr oder minder ge lungenen Versuch gemacht hätte, die Spitze der zu schmiedenden Waffe so zu biegen, daß sie die Gegner des Ultramontanismus hätte treffen müssen. Und wenn in Bayern, in Baden und anderwärts die Klerikalen bei Wahlen focialdemokratische Eandidaten unterstützten, so geschah dies hauptsächlich deshalb, um in den leitenden Kreisen die Angst vor dem „rothen Ge spenst" zu steigern und diese Kreise der Fraktion in die Arme zu treiben, deren oberste Führer sich den Anschein ent schiedener Gegner solider Wahltactik ihrer Parte,genossen gaben. Aus den Schultern der Socialdemokratie ist der Ultramontanismus emporgestiegen und eben wieder sucht er noch höher zu steigen, indem er die Jesuiten als die besten Helfer im Kampfe gegen den Umsturz anpreist. Wenn daS in der Tbat auch die Ueber zeugung deS Kaisers geworden wäre, so wären die Worte, die er über die Vergänglichkeit der SocialSemokratie gesprochen, den bedeutsamsten zuzuzählen, die je von ihm auSgegangen. Dann aber bedürfte er, um die ultramontane Gefahr als die schwerere mit Erfolg abzuwehren, festerer Helfer, als der Blätter vom Schlage der „Köln. Ztg.", die auf ihrem Zickzackcurse ost genug LandungSvrrsuche an derselben Küste gemacht hat, vor der sie jetzt Warnungssignale aufsteckt. Da- von „zuständiger Stelle" an die Firma Krupp in Essen gerichtete Ersuchen, „die etwa beabsichtigte Absendung von Waffen, Geschützen, Munition oder anderweitigem Kriegs material an eine der beiden kriegführenden Parteien ein- zustellen", wird die Beeren angenehmer berühren, als die Engländer. Von London aus batte man zwar in Ab rede stellen lassen, daß von dort in den letzten zehn Jahren irgend welche Bestellungen bei der Firma ge macht worden wären, aber daS an Krupp gerichtete Ersuchen, die Absendung von Kriegsmaterial „einzustellen", wirft auf dieses Dementi ein eigentbümlicheS Licht, denn daß nur England der Empfänger solchen Materials sein kann, liegt auf der stachen Hand. Tort weiß man auch aus allereigenster Erfahrung, daß die Lieferung von Kriegs material an ein kriegführendes Land seitens privater Fabri kanten eines neutralen Landes nickt völkerrechtswidrig ist; ob sie gestattet wird oder nicht, hängt von der Negierung deS neutralen Landes ab. Angesichts der englischen Versuche, die Lieferung der unverfänglichsten Dinge sogar nach Lourentzo Marques zu Verbindern, weil sie von dort nack Transvaal gelangen könnten, mußte die Gestattung von Waffen- und Munitionslieferungen an England der deutschen öffentlichen Meinung als eine unerträgliche Begünstigung des einen kriegführenden TheileS erscheinen. Dieser allgemein verbreiteten Empfindung entspricht daS an die Firma Krupp gerichtete „Ersuchen". Die AuSwanVcrung der russischen Bauern nach Sibirien nimmt seit einiger Zeit einen Umfang an, der nach gerade bedenklich wird In den letzten beiden Jahren haben an nähernd 200 000 bäuerliche Personen, Männer, Weiber und Kinder die Station Tscheljabinsk (den westlichen Anfangs punkt der großen sibirischen Eisenbahn) passirt, um sich in Sibirien anzusiedeln. Der Hauptstrom wendet sich nach den Gouvernements Tomsk, Tobolsk, IrkutSk und Semipalatinsk biS an die chinesische Grenze. Die Besiedelung ist aber eine ganz planlose und alle Versuche der russischen Negierung, diesem Auswanderungsstrome eine gewiffc Richtung zu geben und die Ansiedlung zweckentsprechend zu organisiren, sind bisher erfolglos geblieben. Die ersten Aus wanderer nach Sibirien waren immer noch leidlich bemittelt und vielfach auch geschickte Landwirthe. Jetzt mischen sich aber in die Sckaaren der Auswanderer schon große Massen de- ländlichen Proletariats, die gerade noch die Reise be streiten können, aber an ihrem Ankunftsorte so gut wie mittellos dasieben. Diese Leute sind natürlich nicht im Stande, neue Ansiedlungen zu begründen und fallen vielfach den sibirischen Behörden zur Last. Die meisten Auswanderer kommen aus den mittleren russischen Gouvernements, ein geringerer Tbeil auS den westlichen Gouvernement- Minsk, Wltebsk, Mohylew. Ganz gering ist die Auswanderung aus den westlichen Grenzzvuvernemenls nach Sibirien. Der Krieg in Südafrika. —k>. „Eine große Bewegung gegen die Boeren bereitet sick gegenwärtig vor, am Sonnabend oder Sonntag wird ihr Ergebniß bekannt gegeben werten", so ließen die englischen Blätter sich letzter Tage vom Kriegsschauplätze tels- grapbiren und beute schon ist die Aufklärung da. Wir meldeten im Morgenblatte: * London. 12. Januar. General Buller lele- grapliirt aus Spring sie kV, de» 11. d. M.: Ich habe das Süduser des Tugela bei der Potpi eters Trift heute früh besetzt und mich der Brücke bemächtigt. Ter Flutz ist im Steigen. Ter Feind steht stark verschanzt etwa 4'/z Meilen nordwärts. Da hätten wir also daS, was von Ansang an hätte ins Auge gefaßt werden müssen, was uun aber Wohl zu spät unternommen wird, einen UmgehnngSverstich Bullers. Tie Nachricht bedeutet, daß man sich in England allgemein über die Pläne Bnller'S getäuscht hat, daß diese nicht, wie man dort annabm, durch eine Umgehung-bewegung im Osten seinen in der Front verunglückten Versuch, Ladysmith zu ent- etzen, erneuert hat, sondern eine Flankirung im Westen rstrebt. ES ist freilich nicht ausgeschlossen, daß er seine Unterführer zugleich Demonstrationen im Osten über Wernen und in der Front bei Eolenso ausführen läßt, daß aber General Buller, wie der Aufgabeort seines Telegramm- zeigt, bei der westlichen Colonne weilt, ist ein Zeichen, daß hier der entscheidende Vorstoß beabsichtigt ist. Springfield, von wo die Depesche Buller's datirt ist, liegt 29 km nordwestlich von dem englischen Lager bei Frere, dem Hauptquartier Buller'-, an der Mündung des LindiqueS- Flusses in den Kleinen Tugela. Leider läßt sich au- den vor liegenden Karten nicht ersehen, ob der in der Depesche er- wäbnte Tugela der große oder der kleine Tugela ist, welch' letzterer sich 13 km östlich mit dem ersteren vereinigt. Potgietcrs Trift finden wir in deutschen Blättern al- eine Furth über den kleinen Tugela, in englischen als eine solche über den großen Tugela angegeben. Wie bereits vor einigen Tagen gemeldet, haben die Engländer eine Feldeisenbabn von Frere in der Richtung nach PotgieterS Drift gelegt, um eine rasckere Verbindung mit dem Hauptlager und über haupt größere Bewegungsfreiheit zu erlangen. Von Spring field bi- zum großen Tugelaflusse sind noch 11 km, und wenn General Buller in seiner Depesche sagt, daß der Feind 4 >,? Meilen, also 7 km, weiter nördlich stark verschanzt stehe, so kann man daraus ersehen, daß sic noch vor Ankunft am Süduser deS großen Tugela energischen Widerstand leisten wollen. Aber nehmen wir vorläufig an, Buller sei dort bereits anzclangt, so kann immerhin die Brücke, deren er sich bemächtigt hat, nur eine von den Boeren geschlagene Nolh(Ponton-)brücke sein, denn eine stehende Brücke gab cs in dieser Gegend nicht. Es wäre den über den Tugela zurückgehenden Boeren selbstverständlich leicht gewesen, diese Nolhbrücke hinter sich abzubrecken; wenn sie es nicht tbaten, so werden sie dazu ihren guten Grund gehabt haben, und es ist daran zu erinnern, daß sie auch bei Eolenso die I eine der beiden Brücken, die Bulwerbrücke, unversehrt ließen. Wenn sich General Buller nun auch der Nolh brücke bemächtigt hat, so hat er doch damit den Uebergang über den Tugela, der obendrein wieder im Steigen begriffen ist, noch nicht erzwungen. Die nordwärts gelegene Artillerie- Feuilleton. IO Die ganze Hand. Roman von HanS Hopsen. Nachdruck »rrl'dtiN. Ein Wähler Heißhunger nach den mit seiner Krankheit unter brochenen Studien war in dem jungen Agitator erwacht, und Nanda, die sich immer dem Geliebten fügen wollte, so eigensinnig sie anderen Menschen gegenüber war, fand alsbald, daß er nicht nur sür sich Recht hätte, sondern daß auch sie ihre Kunst und damit ihren Broderwerb sträflich vernachlässigte. Ach, die Ferien waren so wundervoll, und sie waren ihnen zu gönnen gewesen. Aber jetzt wollten sie alles Versäumte wieder einholen, fetzt wollten sie zeigen, was sie vermochten, jetzt wollten sie stark sein, ja . . . Und da saß sie nun und wollte stark sein und wollte malen; aber sie weinte vor Sehnsucht, weil sie den Geliebten schon wieder tagelang meiden sollte — wer weiß, wie viel Tage, sicher eine Woche lang; denn es war ein ernster Teufel in ihn gefahren, und er, ja, er war. stark und konnte sich und seinen Willen zwingen. Er war vollkommen, wie ihre Liebe zu ihm ... da wußte sie. So weit war sie, den Pinsel in der Hand, mit ihren Träume reien gekommen, als sie aufschrak. Es klopfte an die Thür, und sie war so tief in ihre Gedanken verloren, daß sie mit einem unbedachten Herein antwortete, sie wußte selbst nicht, wie. Die Thür ging auf, und Spindler stand verlegen lächelnd mit einem kostbaren Blumenstrauß vor ihr. Nanda schrie kurz auf und wollte fort. Er bat, er flehte, sie möchte bleiben, wie sie war. Er würde selbst gleich wieder gehen. Papa hatte nur gemeint, sie würde jetzt Toilette ge macht haben und diese duftende Huldigung gern selbst in Em pfang nehmen. „Ach Papa!" war Alles, was sie sagte, zornroth im Gesicht. Da durchzuckte sie ein boshafter Entschluß. Der freche Eindring ling sollte Strafe haben. Sie wies mit der Hand nach dem Diwan; er setzte sich auf wiederholten Wink, und sie setzte sich dicht neben ihn oder vielmehr über ihn auf die runde Seitenlehne. Dort wiegte sie sich halb rittlings hin und her, anmuthig wie eine Elfe und ausgelassen wie ein Kobold, dabei von den gleichgiltigsten Dingen schwatzend. Antwortete er, so hörte sie ihm mit innigem Augenaufschlag zu, wie weder sie noch sonst ein Weib ihn jemals angeblickt hatte, und sie lächelte dazu wie ein Schalk, der gern verspricht und gern gewähren wird. Spindler sagte sich, daß sie ihn mit Willen zum Besten hielte, und er fand sie trotzdem anbetungswürdig und begehrenswerth. Er brach in einen Strom leidenschaftlicher Worte aus, stürzte vor ihr aufs Knie und schwor, doß er ohne sie nicht mehr leben konnte. Sie bog sich nur vor Lachen. Da streckte der bethörte Mensch die Hände nach ihr aus. Im Nu sprang sie auf, stand mitten in der Stube und wies gebieterisch nach der Thür. Kein Lächeln war mehr in dem bösen Gesicht, und sie stampfte mit dem Fuß den Boden, bis er sich, Entschuldigung stammelnd, über die Schwelle drückte. Sie riegelte hinter ihm zu. Dann fuhr sie sich in die Haare und schauderte zusammen. Sie wusch sich Gesicht und Hände und sprach dabei: „Pfui, wie häßlich, also mit dem Feuer zu spielen. Aber er hat's verdient." . . . Und wieder sagte sie, nach einer Farbentube greifend: „Ein gefährliches Spiel . . . und ich möcht' es nicht bei Jedem versuchen. Wie leicht ist e- doch, Gewalt über Männer zu gewinnen! Man braucht nur ein bischen aus sich herausgehen. . . . Aus sich herausgehen? Heißt es nicht soviel, wie seinem eigenen Wesen untreu werden? Sich selber untreu werden . . . sich und auch Anderen?" — Die folgenden Tage lebte sie bei geschlossener Thür. Sie fing wirklich ernsthaft zu arbeiten an und sehnte sich dabei nach dem Einziggeliebten. Er hatte beim Abschied so bestimmt versprochen, zuerst zu schreiben, wann sie sich Wiedersehen dürften. Aber eine Woche verging, und er hatte keine Zeile gesandt. Er arbeitete wohl auch und wieder so toll drauf los, wie draußen in Plötzense». Er war so ehrgeizig und so starken Gemüths, unerbittlich gegen sich selbst. Sie war krank vor Sehnsucht, sie wurde nervös und konnte nicht mit ganzer Hingebung schaffen, wenigstens gefiel ihr nicht, waS sie so hinstrichelte; aber sie hatte jetzt an nichts Freud», als an ihm, und keinen anderen Ehrgeiz, als ihm zu gefallen. Warum hätte es anders sein sollen? Sie war ja schwächeren Geschlecht- und nur für ihn auf der Welt. Nach zehn Tagen kam endlich ein Brieflein. Dünne Zeilen, kalte Worte und kein Stelldichein darin angegeben. . . . Sie konnte solche Ernüchterung nach dem tollen Liebesrausch jener Flitterwochen in Südende nicht begreifen. Sie suchte nach Gründen. Dahinter steckte doch etwas. Und langsam schleichende Eifersucht begann sie anzunagen, vor der sie bald kein» Rettung wußte ... sie wär» denn in seinen Armen zu finden. Und sie schrieb ihm das; denn sie konnte ihm nichts ver hehlen. „Ich habe Dich gepflegt, da Du krank gewesen bist, meine Lieb- gab Dir Deine Wohlfahrt wieder. Nun Du wieder gesund bist, machst Du mich krank. Warum lassest Du mich darben? Ich vergehe vor Sehnsucht nach Dir. Ich mache Dummheiten, wenn ich Dich nicht bald wieder habe. Doch nein. Ich will Deine Gedanken nicht stören. Du sollst mich auch nicht küssen, nicht anrühren sollst Du mich. Ich will nur Deine Nähe fühlen, Trinen Athem hören, zu Deinen Fußen sitzen und Dir ins treue Gesicht schauen. Oder bist Du nicht treu und liebst Du mick nicht mehr? Mich, Deine Nanda?" IV. Nach einem launischen, wetterwendischen Sommer hatte der Herbst mit sonnigen, tadellosen Tagen eingesetzt. Es war, als wollte sich der October zum schönsten Monat im Jahr erklären lassen. Die Baume standen noch gut belaubt, einige noch voll saftig grün, andere roth, die meisten gelb, eine köstliche Farben schwärmerei in der weiten Teltower Landschaft, vom satten Altgold durch alle Mitteltinten bis zur blassesten Citronenfarbe. Immanuel lehnte am Fenster seines armseligen Stübchens, die Arme über der Brust gekreuzt, die Brauen ineinandergezogen, die seit Plötzensee nicht mehr geschnittene widerspenstige Locke streitbar über der Stirn, und sah hinaus über die sanfte Sen kung gegen Lankwitz, über Felder und Wiesen und Schienen gleise. Manchmal trug der Wind eines der welken Blätter an seinem Gesichte vorbei, manchmal sckrie ein Hubn aus des Nach bar- Gehöft, manchmal schütterte ein Bahnzug rasselnd vorüber und wieder und wieder einer. Der junge Mann stand so lange da, unbeweglich, wie eine Säule, und während der Blick, kein Bild auffassrnd, über die Landschaft strich, schaute die Erinnerung zurück in den wunderlichen Gang der letzten Wochen. Ihm war nie im Leben so ernst zu Muthe gewesen. Er fühlte die Grund vesten seines bisherigen Daseins wanken und schwinden, er wollte das nicht und vermochte es doch nicht zu hindern, er mußte es sogar gutheißen. Er wellte nicht fahnenflüchtig werden. Konnte er sich aber ehrlich bekennen, daß er noch der Alte war? Und, wenn er'S nicht konnte, wußte er sich von aller Schuld frei? Ja, sagte er, vollkommen frei, und er hoffte noch so viel von seinen erschütterten Grundsätzen zu halten und neu zu festigen, daß er sich nach wie vor einen werkthätigen Genossen Derer nennen durfte, welche das Elend des armen Mannes, des Mannes mit schwieliger Faust, aufheben und ihm einen gleich berechtigten Platz an der Tafel des Lebens neben den bisher Be vorzugten erobern wollten. Es war Platz für Alle, wenn sie nur endlich gutwillig zusammenrückten, die bisher Bevorzugten; aber sperrten sie sich dagegen, nun, so würde man sie zu schieben wissen Die stärkeren Schultern und die derberen Arme waren diesseits, mit ihm, neben ihm. So war sein Bekcnntniß gewesen all' die Jahre her, seit er sich auf eigenes Denken gestellt hatte, losgelöst vom Schulkram veralteter Generationen, die Stirne frei und frei das Herz. Aber waren Herz und Stirne denn noch also frei oder — Sie hatten ihm arg mitgespielt, die mit den schwieligen Fäusten, die mit ihm an den Tisch der Gleichberechtigten drängten. Er hatte nichts Unbillige- von ihnen verlangt, auch nachdem seine Stellung als Strohmann in der langen Haft verloren gegangen war, nur ein; mäßig; Ent schädigung, wie sie bei solchen Fällen der Brauch war. Man hatte ihm auch eine gewährt, o ja, die dürftigste, die man je ge geben hatte, zweihundert Mark für drei Monate! Und gegeben mit Worten, die wie Messer in die Bande schnitten, die ihn mit der gemeinsamen Sache verknüpften. Er wollte sich schlechte Behandlung auch von den erprobten Genossen nicht bieten lassen. Darum war er weiter und weiter gegangen, von den kleinen Tribunen bis zu den großen, die alle- Heft in Händen hielten. Ter Klügste von ihnen und der Mensch lichste, wie ihn dünken wollte, hatte ihn damals nach der Ver- theidigungsrede vor Gericht bei beiden Händen ergriffen und „Bruder" und „Zukunft der Partei" genannt. Mit dem wollte er sich auch nun auseinandersctzcn und sein Recht finden. Es war am vorigen Sonntag gewesen. An Werktagen war der Mann, der eine große Fabrik leitete und dabei im Gemeinde collegium und im Reichstage saß, für gewöhnliche Sterbliche nicht zu sprechen. Aber am Sonntag erholte er sich von Gewerk und Politik draußen auf seiner Billa im Wald am blauen Havelsee. Winkler kam früh hinaus, aber doch erst nach einem social demokratischen Gesangverein, der schon Sonnabend Abend auf gebrochen war und im Nachbarort genächtigt hatte, um dem an gesehenen Führer ein Morgenständchen zu bringen. Ta standen sie nun im Halbkreis auf der Chaussee, zwischen dem artigen Landhaus und dem See. Die Mäuler weit auf gesperrt, die Hälse hintenüber aus den Schultern gereckt, rothe Nelken in den Knopflöchern, auch etliche weibliche Wesen vrr- schiednen Alters darunter, diese meist in billigen, brennrothen
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