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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.03.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010311018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901031101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901031101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-11
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen «Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RrdactionSstrich («gespalten) 7d H, vor den Famtlienuach« richten («gespalten) «0 Lj. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2ü L, (excl. Porto). Srtra Beilagen (gefalzt), nur mit dec Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .-L «0.—, mrt Postbesörderung 70.—. Innahmeschlub für Anzeizeu: Abeud-Au-gab«: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Dre Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Truck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 11. März 1901. .1° 127. 95. Jahrgang. Bayerns Prinz-Regent. 1821. — IS. März. — 1W1 Von Paul Büsching (München). Hochdruck verboten. Der 12. März des ersten Jahres im neuen Jahrhundert ist «in vaterländischer Festtag, nicht nur im Bayernlanv, sondern im ganzen deutschen Reiche. Das deutsch« Volt, dessen monarchische Gesinnung in politischem Sturm und Weiter erprobt worden ist, feiert den achtzigsten Geburtstag des Regenten unseres zweit größten deutschen Bundesstaates. Wärmer und herzlicher, als mancher andere Festtag, wird dies Familienfest des Hauses Wittelsbach herüberdringen in das Volt der Deutschen; eine alte, tiefe Neigung, die einen wesentlichen Grund in der Sehn sucht deS Deutschen nach den Bergen haben mag, und die allem politischen Particularismus zum Trotz lebendig bleibt, ver knüpft den Norden des Vaterlandes mit Bayern, und von der nicht immer erwiderten Sympathie des Norddeutschen für den Süddeutschen, speciell für den seiner Eigenart stolz bewußten und zu nationaler Anpassung schwer geneigten Bayern gehört ein guter Theil dem Prinzregenten Luitpold, der in allen Therlen des engeren und weiteren Kreises eine festgewurzelte Verehrung genießt, die er nicht einem nach außen prunkvollen Auftreten, nicht dem hohen Flug eines genialen Geistes, sondern der Tüchtigkeit des Charakters, der verständnißvollen Fürsorge für seine Unterthanen, der unvergleichlichen Liebenswürdigkeit und Einfachheit seines Auftretens, seiner Vornehmheit, Gerad heit und Treue verdankt. Es wäre nicht wohl angebracht, in tönenden Worten das Lob des in seinem innersten Wesen bescheidenen und jedem Byzantinismus abholden Fürsten zu singen, weil es nicht möglich ist, gerade die besten Eigenschaften dieses Mannes gebührend zu würdigen, wenn man die Schilderung seiner Persönlichkeit, seines ganzen Wesens und seines Lebens in lauten und grellen Farben entwerfen wollte. Luitpold Karl Josef Wilhelm Ludwig, königlicher Prinz von Bayern, wurde als der dritte Sohn des Königs Ludwig I. am 12. März 1821 im königlichen Resivenzschlosse "zu Würzburg geboren. Sein« Jugend verlief still und einfach; seine Erziehung wie- den Prinzen von Anfang an auf das Militärische hin. Bayerns Prinz-Regent hat al« Artillerist von der Pike auf ge dient. Zwar hatte er an feinem vierzehnten Geburtstage das Patent als Hauptmann im 1. Feldartillerie-Regiment erhalten, aber nichtsdestoweniger machte er die Wachen als Gemeiner, Bombardier, Corporal und Feuerwerker. Prinz Luitpold hat damals vor dem Schilderhause am Hause des Generals v. Zoller in der Remisenwache an der Lebelcaserne und am Pulvermagazin beim Schlosse Grünwald im Jsarthal Posten gestanden. Im Juli 1839 trat der Prinz als Leutnant ein, er avancirte dann zum Oberstinhaber und schließlich zum Oberst seines Artillerie- Regiimnts. Auch nachdem er Brigadier in der ersten Armee- Division (Infanterie) geworden war, bewahrte er der Lieblings waffe die Treu«. Im Jahre 1848 finden wir ihn denn auch schon wieder als Generalleutnant und Artillerie-Corpscommandanten. Am 6. Juni 1861 erfolgte die Ernennung zum Feldzeugmeister bei der Armee-Inspektion; in dieser Stellung hat er sich in erster Linie mit der Organisation der Artillerie beschäftigt. In dem ereignisreichen und folgenschweren Jahre 1866, dessen Bruderkämpfe den Bruderbund der deutschen Stämme vor bereiten sollten, finden wir den Prinzen Luitpold als stell vertretenden General-Jnspecteur der nichtmobilen Armee; doch »ach dem Tode des Generals v. Zoller hatte der Prinz das Com- mando über die dritte Armeedioision zu übernehmen; ec führte die Bayern in dem Gefecht bei Helmstadt; seine Truppen mußten dem Ansturm des Gegners weichen, aber auf diesem «chlachtfelde, auf dem Prinz Luitpold mit unerschrockenem Muth« im Feuer auSharrte, ohne sich durch die schwere Verwundung seines ältesten Sohnes Prinz Ludwig in dec unerschütterlichen Pflichterfüllung behindern zu lassen, gab der Prinz eine vollgiltige Probe seiner kriegerischen Tüchtigkeit und seiner hohen Tapferkeit. Und nach diesem Kampfe, bei dem sich der Norddeutsche und der Süddeutsche als Feinde gegenllberstanden, finden wir vier Jahre später, im deutsch-französischen Kriege, den bayerischen Prinzen im Hauptquartier Wilhelm's I. als militärischen Ver treter des Königs. Auch in dieser Stellung bewies Prinz Luit pold die außerordentliche Charakterfestigkeit und die Fähigkeit, den Wünschen deS königlichen Neffen auch gegen den eigenen Willen unbedingt gehorsam zu sein. Seine Neigung hätte ihn zu d«n bayerischen Truppen geführt, als es galt, das Corps v. d. Tann herauszuhauen, aber seine Pflicht hielt ihn lm Hauptquartier zurück, wo er ein entschiedener Förderer der Gründung des Reichs war — wie auch Fürst Bismarck in seinen „Gedanken und Erinnerungen" bestätigt. Wilhelm I. ehrte durch die Verleihung des Eisernen Kreuzes an den Prinzen Luitpold die tnue Mitarbeit des bayerischen Prinzen an dem gemein samen Werke der Einigung nicht minder, als die Tapferkeit der bayerischen Armee. Damals verlieh ihm auch dec König die Chefstelle deS preußischen 4. Feldartillerie-RegimentS; auf aus drücklichen Wunsch Wilhelm's I. wohnte er am 16. Juni 1871 dem Einzuge der Truppen in Berlin bei. Am 16. Juli 1871 be grüßten die Münchener ihren Prinzen an der Spitze der heim kehrenden bayerischen Sieger. Schon bei der Reorganisation der bayerischen Armee nach dem Feldzüge von 1866 war der Prinz Generalinspecteur der Armee geworden. Auf seinen Inspektionsreisen kam er Furch ganz Bayern: der Bevölkerung mußte er ven König ersetzen, oer sich immer tiefer in seine selbstgesuchte, traumerfüllte Einsamkeit zurückgezogen hatte. — Den Kameraden von der Armee blieb der Prinz immer nahe; seine Beliebtheit bei Officieren und Mannschaften, namentlich aber bei den Veteranen, die er bek feder Gelegenheit auszeichnete, wurde bei diesen Inspektionsreisen no l erhöht. Im Mittelpunkte einer größeren militärischen Feier stand der Prinz vor dem Antritte der Regierung noch, als die Armee sein 40jähriges Dienstjubiläuzn, bei dem er zum Gencral- feldzeugmeister (Generaloberst) aufrückte, festlich beging. War somit auch der Lebensgang des Fürsten im Großen und Ganzen der militärischen Laufbahn gewidmet gewesen, so hat er doch schon sehr früh verantwortliche Aufgaben deS Herrschers übernehmen müssen. Obwohl Ludwig I. ihn in keiner Weise für die spätere Stellung als Regent hatte erziehen lassen — war cs doch nicht oorauszusehen, daß Luitpold als dritter Sohn jemals an die Regierung gelangen würde —, fiel ihm schon bei Lebzeiten LMvig'Z I. häufig die Vertretung des Königs bei Festlichkeiten und Staatsaktionen zu; diese Aufgabe verblieb ihm auch währenv der Regierung Max'II., des Nachfolgers Ludwig's I- und in noch weit erhöhtem Grade, als Ludwig II. auf dem Throne saß. Hatte Prinz Luitpold sich schon nach dem schönen Brauche im Wittelsbacher Hause regelmäßig und mit besonderem Eifer an den Plenar- und Ausschußberaihungen der Rrichsrathskammer bctheiligt, so fiel ihm mit den Jahren immer mehr die Leitung der Staatsgeschäft« zu. ES mag Diesen oder Jenen Wunder nehmen, wenn an dieser Stelle auf die schwerst- Zeit, die das bayerische Volk und der Prinz Luitpold in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr hunderts durchgemacht haben, eingegangen wird; und doch ge bietet das die historische Aufrichtigkeit und vor Allem die Ge rechtigkeit dem Regenten gegenüber, dem sein Volk, insbesondere für sein vornehm-schlichtes und stilles Wirken während der letzten Regierungszeit Ludwig's II., zu tiefstem Danke verpflichtet ist. Auf der Höhe seiner leuchtenden, schönen Phantasien lebte der unglückliche König fern von dem Volke, dem sein Geist längst entfremdet war, und das mit der abgöttischen Liebe der ein Herbe- Geschick nicht Begreifenden an seinem Herrscher hing, ihn mit einer Gloriole und einer Märtyrcrkrone umwand und mit einem Ge wirr von Legenden umgab, die das Bild der Wirklichkeit stark entstellten. In selbstloser Treue gegen seinen Neffen und das bayerische Volk, von starkem Pflichtgefühl beseelt, der Undankbar keit seiner Mühe Wohl bewußt, regierte der Prinz Luitpold, dem weder der weltferne König, noch das geblendete Volk für diese entsagungsvolle, schwere Arbeit dankte. Heute, zu seinem acht zigsten Geburtstage, wo die dunklen Schatten eines tragischen Schicksals gewichen sind, darf das bayerische, darf das ganz deutsche Volk dem Prinz-Regcnten Luitpold in Ehrfurcht herzlich danken für das, was er in jenen Tagen geleistet und — gelitten hat. — Es kam der verhängnißvolle Pfingstmontag 1886 — der Abgott des Voltes war gestorben, dunkle, wirre Gerüchte eilten von Mund zu Mund, das grauenhafte Ereigniß zeitigte zahl lose Mären und Hirngespinnste — und inzwischen stand Prinz- Regent Luitpold nach der Erzählung seines vertrautesten Freundes in fassungslosem Schmerze am Fenster und weinte, von Niemandem bemerkt, stundenlang um den glänzenden König. Das Amt, das Prinz-Regent Luitpold übernommen hatte, war nicht leicht; wenn je ein Fürst um die Liebe seines Volkes mit guten Thaten und echter Liebe hatwerben müssen, war es der Prinz Luitpold. Das bayerische Volk hatte den verstorbenen König so begeistert, so rührend-zärtlich geliebt, daß es dem Nach folger schwer werden mußte, sich Vertrauen und Verehrung des Volkes in vollem Maße zu erwerben. Er hat eS verstanden, und in warmherziger Freude und .Herzlichkeit jubeln ihm heute die Franken und Pfälzer zu, wenn er sie besucht; in schweigsamer Freude grüßen ihn die wortkargen Gebirgler, und mit stiller, ehrfurchtsvoller Liebe und Dankbarkeit grüßen ihn seine Münchner, Lei denen er von Jahr zu Jahr populärer ge worden ist. Bayern ist ein glückliches Land, zwar nicht gar zu reich mit Glücksgütern uno Reichthum des Bodens gesegnet, aber für ein arbeitsames, kluges Volk ein unerschöpflicher Schatz. Und doch fehlt es nicht an Noth und Streit. Der Regierung ist mit der Hebung der wirthschaftlichen und socialen Wohlfahrt des Volkes eine mühevolle, aber auch erfolgreich« Aufgabe zugetheilt, di unter der verständnißvollen, ruhigen und allem unüberlegten Experimentiren abholden Führung des Regenten glücklich in An griff genommen worden ist. Alle, die den hohen Herrn in der Näh« beobachten konnten, auch der Verfasser dieser Zeilen, haben seinen außerordentlich feinen Blick für die Bedürfnisse des Volkes, zumal des kleinen Mannes, oft bewundern können. Er besucht mit Vorliebe industrielle Anlagen und erfreut seine Begleiter immer wieder durch die feine Beobachtung auch anscheinend ganz untergeordneter Theile eines großen Betriebes und sein schnelles Erfassen technischer und socialpolikischer Neuerungen. Während die Förderung wirthschaftlicher und socialer Werke zwar durch die Initiative, oder doch das rege Verständniß des Fürsten bedeutsam beeinflußt werden kann, zeigt sich in allen Fragen, in denen es sich um die Lösung kultureller Aufgaben handelt, stets die Persönlichkeit des Landesherrn als eine bedeu» tungsoolle Triebfeder für kulturelle Entwickelung. Nicht nur die großen Culturaufgaben, die Hebung von Kunst und Wissenschaft, kommen hier allein in Betracht, sondern in erster Linie>die Be festigung der Grundpfeiler jeglicher nationalen Cultur: deS inneren Friedens in politischer und religiöser Hinsicht. Diese Aufgabe ist in Bayern besonders schwierig. Die politischen Par teien haben, wie in allen anderen deutschen Gauen, so auch hier, das gemeinsame Wirken aller Glieder der Staatsgemeinschaft zu großen Zielen unmöglich gemacht, und der religiöse, besser der konfessionelle Unfrieden, der sich aus dem gleichberechtigt«« Be stehen von Katholicismus und Protestantismus ergeben mußte, verhindert die Hinlenkung Aller auf solche Arbeit, die von Allen gemeinsam gethan werden sollte. Je weniger man sich einer Illusion über die Möglichkeit solchen gemeinsamen nationalen Schaffens hingeben darf, um so lebhaft«! verdient das Bestreben des Landesherrn freudige Anerkennung, durch völlige Unpartei lichkeit den Consessionen und Parteien gegenüber zu verhindern, daß der konfessionelle und politische Hader zum Schaden der Cullum deS ganzen Landes gereiche. Und wie in dieser allgemeinen kulturellen Thätigkeit, so finden wir ganz besonders in der Pfleg« der Künste und Wissenschaften den Prinz-Regenten als den unermüdlichen Hüter großartiger und schöner Traditionen. Und wenn auch die Neigung des Regenten, im Gegensätze zu der seines Neffen Ludwig 1^., der" darstellenden Kunst, dem Theater, niemals besonders zugeneigt Ivar, so weiß doch auch hier der Landesherr seine Pflicht, durch die Pflege der Musik und des Schauspiels auf das Volk ver«d«lnd einzuwirken, durch die bedeutende Subvention der königlichen Theater aufs Schönste zu erfüllen. — Wie seinem Vater Lud wig I., ist ihm die bildende Kunst besonders ans Herz gewachsen. Er hält es für feine vornehmste Aufgabe, München den großen Ernst Wichert. Zusrinrm 70. Geburtstag. Wichert feiert am 11. März dieses Jahres seinen siebzigsten Geburtstag. Da erscheint es wohl an der Zeit, einmal im Zu sammenhänge auf das künstlerische Schaffen dieses vielseitigsten und fruchtbarsten unter den Schriftstellern unserer Zeit hinzu weisen. Folgen wir aufmerksamen Blickes seinen schriftstellerischen Bahnen, so finden wir, daß sein Schaffcnstrieb nicht in erster Linie von der Lust zum Fabuliren geweckt wird, sondern von dem Drange ausgeht, lebhafte Empfindungen, sei es Begeisterung, sei es Mitgefühl, Abscheu oder Verachtung, die die Außenwelt in ihm wachgerufen hatte, zur Gestaltung zu bringen, und so sich einmal die Seele frei zu schreiben, dann aber auch reformatorisch auf weitere Kveise einzuwirken. Sein Erstlingsdrama, das er schon ass Schüler verfaßt hatte, „Johann Huß", entstand aus dem Erbarmen mit dem unseligen Märtyrer seiner religiösen Uiberzeuaung. ,, Unser General Jork" (1857), das -cst« Schauspiel, das von Wichert zur Aufführung gelangte, strebte danach, dem viel geschmähten Helden gerecht zu werden. Ein anderes Bühnenwerk noch, „Licht und Schatten", und ebenso die Erzählung „Parcifal" („Wider den Erbfeind" und ander« Erzählungen, drei Bände, 1873) legen die Verfolgungssucht der Kirche gegen freies Denken und Lehren in ihrer ganzen mitleidslosen Härte bloß. Von letzterer hatte Wichert einen direkten Beweis erhallen durch die Bekanntschaft mit einem Candidakn der Theologie, den kirchliche Unduldsam keit in den Wahnsinn getrieben. Auch gegen thörichte Standcsvorurtheile nimmt unser Autor mehrfach S-ellung, so in dem Roman „Aus anständiger Familie", wo der Dünkel eines kleinen Beamten den Aus- gantzSpunct eines tragischen Conflictes bildet. Der prächtigen Erzählung „Schuster Lange" liegen ähnlich« Züge zu Grunds nur tritt hier neben dem Hochmuth noch der sklavisch« Abhängigkeitssinn des bureaukratischen Strebers in den Vorder grund. Adlige Anmaßung, Selbstsucht und Engherzigkeit wer den in den Romanen „Rosa Licht wart" und „Ein vornehme Schwester" energisch gegeißelt. Des Weitern kennzeichnet Wichert feinen Standpunkt gewissen Ehrbegriffen g«eniiber, die nur von StandeSrücksichten abhängig find, in „Aui der Briefmappe d«r Freundin* (AuS dem Leben, II) als einen außerordentlich freien und kühnen. Er sagt, „der Ehrbegriff, der io gewissen «xclusiven Schichten der Gesell schaft herrscht, ist durch und durch korrupt, vor dem natürlichen Gefühl für Recht und Unrecht gar nicht haltbar, auf einer bloßen Convention beruhend, die den Schein für das Wesen geltend zu machen strebt." Ich hab« bisher absichtlich nur älterer Werke Wichert's ge dacht, um hierbei gleich auf ein besonders auffälliges Mom«nt in seinem Schaffen hinzuweisen. Zu einer Zeit nämlich, in der unsere belletristische Literatur lediglich von der Frage beherrscht wurde, ob der HanS seine Grete kriegt?, in der HerzenS-Problcme die van Schriftstellern und Publicum bevorzugten waren, wandte sich Wichert ausschließlich den ernsteren und tiefer greifenden Stoffen des öffentlichen socialen, politischen und kirchlichen Lebens zu. Was wir heute als moderne Schriftstellerei bezeich nen: das Hineingreifen in das volle Leben der Gegenwart, den scharfen Blick für daS Wirkliche, und die Kunst, dieses Wirkliche mit allen seinen großen und kleinen Zügen plastisch wiederzu geben, hat Wichert's Schaffen vor Jahrzehnten schon seinen besonderen Stempel ausgeprägt. Schon im Jahre 1872 schrieb er in dem Roman: „Hinter d e n C o u l i ss e n": „Es genügt nicht mehr, im stillen Studirstübchen bei der traulichen Lampe die Phantasie arbeiten zu lassen. Der Dichter muh auf den Markt des Lebens hinaus, wo um die wichtigsten Fragen der Mensch heit, Freiheit, Gleichberechtigung, Erziehung, Arbeit und Lohn, gestritten wird. In der Politik, in der religiösen Anschauung bereiten sich die wichtigsten Umwälzungen vor. ES gilt nun, den Bestrebungen der Gegenwart ihre Ideale zu zeigen, und das ist der Dichter und Denker heilige Aufgabe." Das war auch von jeher die Aufgabe, die Wichert sich selbst gestellt hat, und wie hqt er dieselbe gelöst! Klaren Auges ist er auf den Markt des Lebens hinausgetreten und empfänglichen Ge- müthes hat er die vielen seiner dort harrenden Eindrücke in sich ausgenommen! Nie aber ist er in den Fehler seiner Epigonen ver. fallen, daß Mindererfreuliche der Lebenserscheinnngen für das Wirkliche und das Beglückende für das Phantastische zu halten. Von Weltschmerzelei und Stepticismu- ist Wichert völlig frei ge blieben, und auch von der Sucht, der Sonne aus dem Wege zu gehen und nur den Schatten aufzusuchen. Aus seinen Werken strahlt uns der leuchtende und wärmende Glaube an das Gute und Schöne in der Welt und im Menschen entgegen und belehrt uns, daß auch der anscheinend Verkommene sich doch noch einen göttlichen Funken in seinem Innern zu bewahren vermag. Sei dies die Treue, die selbst dem Tode trotzt, wie in „ Ansasund Gritta" (Littauische Geschichten); sei es der Abscheu vor der Schande, der selbst in der verkümmerten Seele der Frau Pfan nenbier („Hinter den Coulissen") noch mächtig ist; sei eS die Reue, die auch der finstersten Mächte noch Herr zu wer den vermag, wie wir an Eduard's Verhalten („Advokaten briefe") sehen. Dabei huldigt Wichert aber keineswegs der von kleinen Geistern zur Moral erhobenen schwächlichen Duld samkeit gegen selbstherrliche Gelüste. Werthschätzung findet bei ihm nur sittlich« Energie, Reinheit des Empfindens, edle- Wollen, geläutertes Können. Den Schwächlingen und Schuldigen aber ruft «r mahnend zu: eS kostet Jeder, waS er sich bereitet, der Eine früher, der Andere später — einmal gewiß. Und eS aiebt keine Reinigung d«s Lebens von der Schuld, als durch das Leid." Dieses tiefe Erfassen von Menschen und Dingen hat zur Folge, daß Wichert zu den wenigen Autoren gehört, die auch da» Interesse von männlichen Lesern wecken und fesseln. Letztere sehen in seinen Werken Kämpfe sich entwickeln, Gegensätze auf einander stoßen und Streitfragen erörtern, die Alle auf die eine oder die andere Weife für j«den von ihnen einmal wichtig waren oder werden können. Die männlichen Figuren, für die Wichert ihre Theiknahme erweckt, find wirkliche, nn Lebenskämpfe stehende Männer, keine blutleeren Troubadoure, die nur von Liebe und Lust leben. Und wie dem männlichen Mann, so schätzt Wichert auch nur die echt weibliche Frau, und kennt er diese vor Allem. Unser« Jüngst«» kennen nur Kellnerinnen und ckerni rnonck«,. — Wichert'« Anschauung reicht auch hierin sehr viel weiter, und sehr viel weiter reicht sein Gestaltungsvermögen. In fein«« Frauen typen vereint sich poetisch« Kraft und güäutertr» Empfinden zu einem ergreifenden Ganzen. Seinem Vertrauen zu sittlich be gründeter Reinheit, zu Opfermuth und Treue im Weibe giebt er mehrfach in hinreißender Weise Ausdruck. Das von Wichert beherrschte Stoffgebiet erscheint unbegrenzt, die denkbar mannigfaltigsten Eindrücke eines langen und klug ausgenützten Lebens spiegeln sich in dieser kaum absehbaren Fläche wider. Welch ein wundersames Stück Weltgeschichte aber auch durfte er miterleben. Von der Pariser Julirevolution bis heute, tvelche gewaltigen socialen, politischen unv religiösen Um wälzungen sind in diesem Zeiträume vor sich gegangen. In der Kunst auch welche Wandlungen, und alles Neue, Drängende und Treibende wirkte befruchtend auf des empfänglichen Dichters Denken und Fühlen ein. Charakteristisch für ihn ist, daß Wichert's viele Reisen ihm so gut wie gar keinen schriftstellerischen Stoff zugeführt haben. Es ist dies nur durch sein außerordentlich stark ausgeprägtes natio nales Empfinden zu erklären. Wichert ist in dem littauische» Städtchen Insterburg geboren, hat aber einen großen Theil der Kindheit in Königsberg, wohin sein Later bald nach des Sohnes Geburt versetzt worden war, verlebt, dort auch das Gymnasium und die Universität besucht, und ist später wieder in Königsberg jahrzehntelang amtlich, vom Stadtrichtec bis zum Oberlandes gerichtsrath aufsteigend, thätig gewesen. So steht er als ein echter Ostpreuße vor uns, der sich eins fühlt mit der Heimath erde. In ihr auch wurzelt der tricöträftige Stamm seiner Künst lerschaft. Eine lange Reihe von Romanen, Novellen und Dramen, die alle kulturgeschichtlich bedeutungsvolle Motive aus Altpreußen behandeln, legen dafür beredtes Zeuaniß ab. Zu diesen Schöpfungen gehören auch die bekanntesten Romane Wichert's: „HeinrichvonPlauen" und „DergroßeKurfürst inPreußen ", Werke von geradezu monumentaler Schönheit. Die DielseitiAkeit von Wichrrt's Können ist bekannt; er hat sich als Schauspiel- und Lustspieldichter bewährt und beherrscht die Technik des breiten Romanes ebenso sicher, als auch die der Novelle, bei der es mehr auf die feinciselirte Ausführung an- iommt. Wer nach Sensationswirkungen hascht, wird freilich bei Wichert nicht auf seine Rechnung kommen. Des Letzteren Stärke liegt in der Fähigkeit, die treibenden Faktoren unser«« socialen Zustande klar zu erkennen, charakteristische Figuren zu erfinden, ihre innere Wesenheit allmählich und konsequent zu entwickeln und sie dem allgemeinen Verständniß nahe zu führen. Ferner di» Handlung spannend zu gestalten, sie aber stets auch in den Grenzen des Wahrscheinlichen zu halten. Diesen Vorzügen ge sellt sich noch ein vorzüglicher Stil, der zu überzeugen, aber nicht zu blenden sucht, reich an poetischen Bildern ist, aber nie schwül stig oder gar vulgär wird. Auch in den Liebesscenen verschmäht Wichert alles Phrasenthum und all«» Ueberschwängliche. Da gegen weiß er tiefe» Empfinden, alle Hindernisse besiegende Treue, mannhaftes Werben, keusche» Gewähren auf herzgewinnende Weise darzustellen. Trotz seiner rastlos thätigen Arbeitslust und der großen Ansprüche, di« rr an fein ErfindungSvermögen stellt, läßt sich Wichert doch nie oberflächliche Leistungen zu Schulden kommen, und ebenso wenig ist bisher ein Erlahmen seiner dichte rischen Kraft zu spüren gewesen. Im Gegentheil, sein vor jähriger großer Roman „Getrennte Wege" spricht eher noch für eine Steigerung seines Könnens. Im Januar 1888 wurde Wichert als Kammrrgerichtsrath von Königsberg nach Berlin versetzt, und im Jahre 1806 hat er den Abschrrd genommen und sich pensioniren lassen. Nicht weil er sich als Arbeits-Invalide fühlte oder dafür gelten wollte, son dern von dem Wunsche getrieben, noch ein paar Jahre in vollster Freiheit als Schriftsteller thätig sein zu können. Während der zweiundvierzig Jahre, die er im Staatsdienste thätig gewesen ist, und zwar zumeist auf sehr verantwortungs- und arbeitsreichen Posten, hat unser Autor trotz derselben mehr als dreißig Theater stücke, achtzehn Romane, viele oaoon drei-, einer sogar fünf bändig, sechzig Novellen und eine nicht geringe Zahl von drama turgischen, politischen, historischen und anderen Artikeln, Ge dichten u. s. w. verfaßt. Dieses Vollmaß von Zeit und Kraft verbrauchender Doppelarbeit setzt eine ganz außergewöhnliche Leistungsfähigkeit voraus, und einen ebensolchen Schaffenstrieb. Wichert selbst erklärt das Außerordentliche seiner Wirksamkeit in seiner Selbstdiographie „Richter und Dichter", in Berlin bei Schuster L Loeffler erschienen, in erster Linie aus seiner körperlichen Gesundheit, die ihm mit geringen Unter brechungen erlaubt hat, seine Zeit bis auf die letzte Minus« aus' zunutze«, täglich vom Morgen bis meist über Mitternacht hinaus thätig zu sein. „Wenn man in der günstigen Lage ist, dauernd durchschnittlich zwölf statt sechs Stunden arbeiten zu können, so läßt sich in einer Reihe von Jahren schon etwas fördern. Meine gewöhnliche Lcbensordnung war darauf eingerichtet, Zeit zu sparen. Morgens pflegte ich mir nur die nothwendigsten Klei dungsstücke iioerzuwerfen, und erst kurz vor dem AuSgehen, wo dann schon Alles zum Zugreifen bereit lag, oder in der sonst doch unbrauchbaren Stunde nach dem Mittagessen vollständige Toilette zu machen. Was Ermüdung sei, habe ich kaum gekannt, auch ist mir oas übliche Erholungsbediirfniß eigentlich immer fremd gewesen. Erholung ist mir stets der Wechsel der Arbeit gewesen, in diesem Sinne oft auch die langweiligste Nctenarbeit nach starker productiver Anspannung. Ich habe aber auch selbst nach langen Gerichtssitzungen nur ein wenig Schlaf oder eine Tasse Kaffee gebraucht, uin gleich wieder leistungsfähig zu sein. Dabei habe ich die Fähigkeit besessen öder sie mir in langer Hebung anaewöhnt, geistig zwei Dinge neben einander in der Weise betreiben zu können, das keins das andere störte. Ich hatte gleichsam zwei gesonderte Arbeitsräume zu. meiner Ver fügung, konnte aus dem einen in den anderen gehen, und die Thür so fest schließen, daß gänzlich aus meinem Gedächtniß ent schwunden war, was ich soeben noch in jenem getrieben hatte." Gewiß sind das „Fähigkeiten", für die einzig der gütigen Natur zu danken ist: aber wer solche Fähigkeiten in der Weise ausgenützt hat und fortgesetzt noch ausnützt, wie dies Wichert S Art war und ist, dem ist auch eine eminente Tüchtigkeit nach zurühmen, die un» berechtigt, seine persönlich« Individualität ebenso hoch zu stellen, wie seine künstlerische. Sein Leben ist köstlich, denn e» ist eitel Müh« und Arbeit; getreulich hat er mit dem ihm anvertraut«n Pfunde gewuchert und nie ist er sich selbst untreu aeworden. Nie hat er der Oberflächlichkeit, nie dem mangelnden UrtheilSvermögen der Menge Zugeständnisse gemacht. In Einem aber ragt er besonders hervor: er ist nie etwas An deres gewesen und hat nie etwa« Andere» sein wollen, al» ein echt deutscher Schriftsteller! Darum sollt« an den zweifellos ihm von seinen College» und allen ihm persönlich Nahestehenden zugedachten Huldigungen zu seinem 70. Geburts tag sich auch das gesammte Lesepublicum betheiligen, denn es ver dankt Wichert Werke von bleibendem Werthe, die deutsche? Em pfinden, Thun und Denken klar widerspiegeln und überzeugen, daß es etwas Gutes darum ist: ein deutscher Mann, ein deutschetz Weib zu sein! M. Uhse,
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