Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010314021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901031402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901031402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-14
- Monat1901-03
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vezug-.PreiS in der Hauptexpeditiou oder den Im Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich .4! 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins vauS 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. .M V. Man abonnirt seiner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten» der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/»? Uhr, die Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action und Expedition: AohanniSgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm's Sortim. Ullwersitätsstraße 3 (Paulinum), LouiS Lösche, Katharinenstr. IH, Part, und KönigSvlatz 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Notizei-Amtes der Stadt Leipzig. Donnerstag den 14. März 1901. Anzeige«-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung ./t 60.—, mit Postbesörderung ./k 70.—. Annahmelchluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. SS. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Tie Friedeusvcrhaudluugcn. AuS London, 13. März, schreibt man unS: lieber das Resultat der bisherigen Verhandlungen zwischen Kitchener und Botha will immer noch nichlS OfficielleS laut werden; die Regierung weigert sich standhaft, irgend welche Auskunft zu geben, und so ist »ach wie vor den wildesten Spekulationen und Gerüchten Tbür und Tbor geöffnet. — Zn der gestrigen Parlamentssitzunz fragte der Abgeordnete Lloyd-George, ob die Verhandlungen mit Botha bereits rum Abschluß gekommen seien, und ob die Regierung daS Resultat derselben mittheilen könne. Mr. Balfour er widerte hierauf, daß „die Negierung bis zur Stunde dem Hause über diesen Gegenstand keine Mittbeilung zu machen habe, daß aber die gewünschte Information unverzüglich ge geben werden würde, sobald die Regierung hierzu nur eben im Stande sei." Aus verschiedenen Quellen wird auch heute wieder als verbürgt bestätigt, daß LouiS Botha die Verhandlungen mit Kitchener einstweilen eingestellt habe, um ein ZusammKilrcffcu mit General De Wet abzuwartcn, der auf dem Wege nach dem Norden ist und natürlich seine gewichtige Stimme in der Entscheidung abgeben soll. Am nächsten Freitag, bis zu welchem Datum De Wet die Vereinigung mit Botha erzielt haben dürfte, soll eine allgemeine Conserenz der verantwortlichen Böcrcn- führer unter dem Vorsitze deS Vice-Präsidenten Schalk Burger stattfinden, auf welcher sodann die englischen Vor schläge ihre endgiltige Beantwortung finden werden. Bis dahin herrscht im Transvaal zwischen Kitchener und Botha that- sächlich noch ein Waffenstillstand und irgend welche Opera tionen auf beiden Seiten finden inzwischen nicht statt. Die (heute Morgen nach der „Daily News" mitgetheilten) englischen Vorschläge, welche den Frieden endlich herbeiführen sollen, werden, wie bereits erwähnt, nichts mehr mit der Politik der „bedingungslosen Uebergabe" zu thun haben, sondern daS unter den vorliegenden Umständen denkbar größte Entgegenkommen der britischen Regierung darstelleu. Sie enthalten wenig substantielle Vortheile für Lis Aoercn, stehen jedoch in krassem Gegensätze zu den bisherigen eng lischen Bedingungen und bilden auf jeden Fall eine Grund lage, auf welcher die Boeren ihrerseits Gegenvorschläge und Gegenbedingungen machen können. Die Pest. * London, 13. März. Rach einer amtliche» Depesche aus Capftadt sind dort in der Woche vom 3. vis st. d. M. -ist Reuerkrankunge» und 18Todesfälle infolge von Pest vorgekommen. Vie Wirre» in China. Fiasko der italienischen Expedition. Es ist eine alte Erfahrung, daß nichts so sehr die praktische Beurtheilung der Streitkräfte eines anderen Landes erleichtert, als wenn man selbst Schulter an Schulter mit denselben zu kämpfen oder wenigstens zu operiren hat. So ist es natürlich, daß bereits jetzt die ersten vergleichenden Kritiken über den Werth der einzelnen nach China gesandten Ex peditionen erscheinen und von sich reden machen. Am schlechtesten von allen Nationen scheint dabei besonders Italien abzuschneiden. Nach den bitteren Erfahrungen, die es in seinem abessinischen Feldzuge gemacht hat, hätte man glauben dürfen, und seine Freunde haben es zu glauben versucht, daß das Land aus den I dortigen schweren Niederlagen feine Lehren ziehen, sein Heer > gründlich reorganifiren und ihm eine mustergiltige Verwaltung I geben werde. Leider scheint das nur in sehr geringem Umfange I der Fall gewesen zu sein, wenn anders man dem in Italien selbst als sachlich und nicht als incompetent betrachteten Urthcils des militärischen Korrespondenten des „Corriere della Sera" Glauben schenken darf. Bis dahin hatten sich die Berichte des selben durch ihre Sachlichkeit und ihr fachmännisches scharfes Ur- theil, wie besonders dadurch ausgezeichnet, daß sie, jede Ueber- treibung und alles Sensationelle streng vermeidend, sich auf eine nüchterne, den Dingen ohne Ansehen der Person auf den Grund gehenden Darstellung beschränken. Dieser Berichterstatter beschäftigt sich nun heule mit den Thaten, der Führung und der Ausrüstung der italienischen Truppen im Vergleich mit denen anderer Nationen, und kommt dabei zu einem sehr abfälligen Urtheil. Zu loben weiß er an den italienischen Truppen in China eigentlich nur ihre vorzügliche Marsch- und Kampffähigkeit, gegründet auf Bcdllrfnißlosigkeit und Ausdauer, welche sich besonders während der mißlungenen Expedition Scymour's, den Kämpfen bei Kunan-Hsien und den Expeditionen nach Paotingfu und Kalgan gezeigt. Er erklärt ausdrücklich, daß nach den gemachten Erfahrun-en der italienische Soldat zweifellos mit weniger und geringerer Nahrung, sowie minderwerthigerem Komfort als irgend weiche andere europäische Truppe auszukommen vermöge. So gut aber seine Meinung von dem italienischen Soldaten an sich i^ so wenig hält der Berichterstatter des „Corriere" mit seinem schlechthin abfälligen Urtheil über die Führung und Ausrüstung der Truppen zurück. Er beschuldiat die italienische Regieruna, eine vollständige Abwesenheit jeder Organisationsfähigkeit gezeigt zu haben, und sagt: „Tie Negierung sandte Soldaten nach China, als gingen die selben zn den Feldmanövern in Italien, wo die Localbehörden telegraphisch aufgefordert werden können, für so und soviel Mann schaften Nahrung und Unterkunft bereit zu halten. Hätte» die Chinesen wirklich gekämpft, nnd wäre dieser Krieg ein wirklicher Krieg gewesen, so würde Italien neue militärische Niederlagen zu beklagen gehabt haben. seiner Expedition fehlte f a st A l l e s. Ta war nichts vorgesehen für die Ausschiffung der Truppen und Borräthe, was zur Folge hatte, daß letztere im Werthe von Hunderttausenden in gebrechlichen chinesischen Tschunken untcrgingen, und andere während der Seymour-Expedition und auch später im Peiho versanken. Crst nachdem das Unglück statt gesunden, kaufte man den nothwendigen Lichter." Transportmittel und Train fehlten ganz. Während die Deutschen, Japaner, Franzosen, Engländer und Amerikaner vollständig ausgerüstet waren, mußten die Italiener ihre Trans porte mit chinesischen Karren improvisiren; die Folge davon war, daß sie auf Schritt ui/s Tritt in ihren Bewegungen gehemmt wurden und z. B. nicht einmal in Tung-tschau, 20 Kilometer vor Peking, für sie bereit liegende Vorräthe nach Peking hinein schaffen konnten, weil es unmöglich war, die nöthigen Transport mittel zu beschaffen. An Ambulanz u. s. w. fehlte es ebenso vollständig. So mußte ein armer Italiener (der einzige, der während der Ex pedition überhaupt verwundet wurde) 60 Kilometer weit in einem holprigen chinesischen Karren transportirt werden. Wäre es zu ernsten Kämpfen gekommen, so würde jede Fürsorge für dis ver wundeten Italiener vollständig unmöglich gewesen sein. Was die Verpflegung der italienischen Soldaten anbetrifft, so fehlte dieselbe ebenso: „Unsere Soldaten lebten allerdings vorzüglich, aber auf Kosten des Landes." Unsere Regierung konnte aller dings nicht wissen, daß das möglich sein würde, und wenn die besetzten Landstriche von den Chinesen vorher brachgelegt wor den wären, so würde das italienische Verpflegungswesen zu sammengebrochen sein. Der schlimmste Mangel aber zeigte sich in der Ausrüstung, und besonders der Bekleidung der Truppen. Sämmtliche übrigen Truppen waren vollständig darauf vorbereitet, dem kalten Pe kinger Winter zu widerstehen, nur die Italiener zitterten und froren in ihren gewöhnlichen, für das warme italienische Klima berechneten Mänteln und Oberröcken, und selbst die später von der Regierung in Shanghai gekauften Pelze blieben Werth- und nutzlos, da sie (wieder infolge Mangels an Transportmitteln) überhaupt nicht herbeigeschafft und den Truppen ausgehändigt werden konnten. Unter diesen Umständen waren die Italiener häufig ge zwungen, sich an die anderen Expeditionen um Hilfe zu wenden. So wären unsere Truppen nicht einmal nach Tientsin gelangt, hätten nicht britische Dschunken uns das ermöglicht. Ebenso halfen die Amerikaner und Deutschen immer wieder aus. Die Folge dieser fortwährenden erzwungenen Betteleien aber war naturgemäß eine schwere Demoralisation der italienischen Truppen. Wir haben uns bei diesem kleinen chinesischen Unternehmen als Kinder erwiesen, die noch nicht gehen gelernt haben. Auf Schritt und Tritt haben wir irgend Jemandes Hand und Hilfe erbeten. End lich beklagt sich der Berichterstatter bitter über die „wohlver diente Lection, die die Engländer den Italienern ertheilt haben, indem sie ihnen wohl immer gern halfen, aber jedesmal dabei die Rolle des Protektors und des Mannes spielten, der den Schutz einer schwächeren und unfähigen Person übernommen und nun mit übertriebener Aenystlichkeit jeden Schritt derselben über wacht", und schließt mit den Worten: „Ein wenig mehr Vor aussicht hätte uns davor bewahrt, eine so traurige Figur zu schneiden." politische Tagesschau. * Leipzig, 14. März. Der Reichstag wird vvraussichtlich morgen wieder einen seiner „großen Tage" haben; wahrscheinlich wird nämlich der zweite NachtragSctat für die Cbina-Expedition auf die Tagesordnung gesetzt werden und jedenfalls wird bei der Berathung dieser Forderung auch die beim Etat deS Auswärtigen Amtes noch nicht berücksichtigte ost asiatische Frage zur Sprache kommen. Es sind aber nicht die Auf schlüsse deS Reichskanzlers über diese Frage allein, was mit Spannung in parlamentarischen Kreisen erwartet wird: mindestens ebenso gespannt ist man auf die Haltung der „ausschlaggebenden Partei", des Centrums. Dieses fängt an, ungeduldig zu werden und die Erfüllung der Zusiche rungen, die ihm für seine beim Flottengesetze und bei dem ersten Nachtrags-Etat für die China-Expedition geleisteten Dienste ge macht worden sind, nachdrücklich zu fordern. Es weiß jedenfalls, daß der preußische CultnSminister Studt die Aufgabe bat, Zahlung für jene Dienste zu leisten. HerrStudt bat es nun aller dings an Entgegenkommen bisher nicht fehlen lassen, aber daS, was er bisher gctban und in Aussicht gestellt, genügt den klerikalen Herren bei Weitem nicht. Es ist also nicht ausgeschlossen, daß sie bei der Berathung deS zweiten NachtragsetatS für die China-Expedition Schwierigkeiten machen und nicht undeutlich zu verstehen geben, sie würden zu schlecht behandelt, ums bei Geberlaune bleiben zu können. Vielleicht aber wirv diese Laune aufgcfrischt in der heutigen Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses, auf deren Tagesordnung der Nest deS CultuSetats in Verbindung mit einem Anträge auf Erlaß eines Schuldotationsgesetzes siebt. Zn der Debatte über diesen Antrag wird jedenfalls von klerikaler Seite das Verlangen nach einem allge meinen Schulgesetz nach dem Muster des Zedlitz- schen laut werden. Die Conservativen werdcu dieses Verlangen unterstützen und Herr Studt wird dadurch Ge legenheit erhalten, zu erklären, was in dieser Hinsicht von ihm zu erwarten ist. Die Art, wie er sich bereits über die geistliche Schulaufsicht ausgesprochen hat, läßt erkennen, daß er der klerikalen Herrschaft über die Schule enge Grenzen zu ziehen nicht sür nöthig hält. Genügen seine Erklärungen, so wird derHerrReichskanzler morgen amCentrumbeSNeichStagswieder seine Freude haben. Um so mehr Ursache haben die Liberalen, der weiteren Entwickelung des Handelsgeschäftes mit dem Centrum mit ernster Sorge entgegenzusehen. Auch die frei- conservative „Post" wird von dieser Sorge mehr und mehr ersaßt, heute giebt sie ihr Ausdruck in einem „Ultramon- tane Staatslehre und moderner Rechtsstaat" überschriebenen Artikel, der anknüpfl an folgende Auslassung der ultramontanen Bonner „Deutschen Rcichsztg.": „Als Protestanten erblicken sie (die preußischen Conservativen) im Landesherrn, jedenfalls aber in einem von ihm ernannten Collegium, ihre oberste kirchliche Behörde und deshalb können sie sich von dem Gedanken nicht losmache», daß über alle Confessionen, und demgemäß auch über die katholische Kirche, der Staat die Ober herrschaft haben müsse. Daß eine göttliche Institution, wie die Kirche, die Sendung hat, ihre Aufgabe auch unabhängig vom Staate bezw. von wechselnden Fürsten und Regierungen unter allen Umständen ungehindert von ihnen zu er füllen, dafür fehlt Leu Protestanten, mögen sie sonst auch noch so wohlmeinend denken und handeln, durchweg das Verständniß." Hierzu bemerkt das Organ der Freiconservativen: „DaS ist zweifellos die echt ultramontane Lehre. Man kann hier kurzer Hand den Stil umdrehen und sagen: dasür, Laß der moderne Staat mit seiner Mehrheit von Confessionen und Kirchengemeinschasten nicht einer einzigen diese exceptionelle Stellung, die völlige Unab hängigkeit und absolute Selbstständigkeit auch in ihrer äußeren Er scheinung als Rechtssubject einräumcn kann, ohne einen Staat im Staate zu gründen, und Laß ec folgerichtig, wenn er gar eine Parität mehrerer solcher Confessionen oder Kirchengemeinschasten stipuliren wollte, wie cs ja der Ultramontanismus sür Deutschland jetzt so heiß begehrt, sich in eine Menge einzelner Kirchenstaaten auflösen würde, — dasür fehlt den Ultramontanen jedes Verständniß. Wollte aber der Staat diese exceptionelle Stellung der katho lischen Kirche deswegen allein einräumen, weil sie den Charakter einer göttlichen Institution für sich ausschließlich in Anspruch nimmt, so müßte er glauben, daß die katholische Kirche kraft ihrer Göttlichkeit nichts unternehmen oder geschehen lassen kann, was mit den Lebensinteressen des Staates im Widerspruch steht, d. h. er müßte an die katholische Kirche als die allein göttliche glauben, also katholisch sein oder werden. Auf einem Umwege kommen die diplomatischen Ultramontanen zu demselben Ziel. Sie sagen, der Staat müsse jede Confession nach ihren eigenen Grund sätzen. behandeln. Das ist nur bis zu einem gewissen Grade richtig, nämlich so weit, als die Interessen von Staat und Kirche zusammeu- falleu. Tritt eine Divergenz der Interessen ein, so müßte sich der Staat der Kirche blindlings unterwerfen, wenn er dann noch jene Maxime stricte durchführen wollte. Die katholische Kirche FeitNleton. n Zwei Lrüder. Roman von Franz Rosen. Nachdruck rul-olkn. XI „Wo bist Du heute Abend zu findens" fragte Peter, als sie sich an einem sonnigen Februarmorgen auf der Straße trennten. Manfred fach bestürzt auf. „Gar nicht", sagte er schroff und mürrisch. „Schade", meinte Peter gleichmüthig. „Bei diesem gesell schaftlichen Trubel kommt man zu keinem gemüthlichen Beisam mensein mehr. Nun — ich versuche es auf jeden Fall; vielleicht glückt es. Lebewohl solange." — Es war Manfred zweifelsfrei, daß es glücken würde. Wo anders sollte Peter nach ihm suchen, als in seinem Casino? Uikd wo anders würde Manfred zu finden sein? Einen Ball oder ander« Gesellschaft gab es heut« nicht für ihn. — Es blieb nur zu hoffen, daß Peter es vergessen oder irgend welche Abhaltung bekommen würde. Wenn nicht — nun, so war es eben nicht zu ändern. Manfred empfand heute eine verzweifelte Gleichgiltigkeit dem Leben gegenüber. — Zu vorgerückter Abendstunoe betrat Peter Waldburg den Casino-Saal. Er war leer. Die halb abgeräumte Mittagstafel bot einen unerfreulichen Anblick. Peter ging hinüber in das Rauchzimmer, wo er von den fast vollzählig versammelten jünge ren Officieren mit lauter Freude begrüßt wurde. Ein flüchtiger Blick überzeugte ihn, daß Manfred nicht unter ihnen war. Nach dem er so und so viel Hände geschüttelt und eine Reihe von Frage» beantwortet hatte, sagte er in halb bedauerndem, halb fragendem Ton: „Ich hatte gehofft, meinen Bruder hier zu finden." Ein« verlegene Stille trat ein. Endlich sagte Jemand: „Ihr Bruder ist nebenan. Aber ich weiß nicht, od Sie ihm gelegen kommen werden." — Peter wußte, daß da nebenan das Spielzimmer war. „Ich will ihn wenigstens begrüßen", sagte er ruhig. Als er eintrat, saß Manfred an einem kleinen Tisch, der mit Geld und Karten bedeckt Ivar. Ahm gegenüber saß Nicolas Lazinsky. Ein paar Andere standen als Zuschauer flüsternd herum. Mr Spielenden begrüßten Peter flüchtig. Manfred warf ihm einen Blick zu, der, in Worte uingesetzt, eine Verwünschung gewesen wäre. „Wir sind gleich fertig", sagte er hastig. „Entschuldige mich so lange." „Ich habe keine Eile", sagte Peter. „Wenn Ihr erlaubt, seh- ich ein wenig zu." Er sprach noch ein paar Worte mit den Herumstehenden; dann trat er hinter Manfred'- Stuhl. Manfred's Hände flogen; ec konnte kaum die Karten halten. Seine blonde Haarmähne hing ihm wirr in die Stirn. Sein Athem ging wie im Fieber. Er war bald blaß, bald roth. Er verlor jede Karie nnd spielte immer gewagter, immer unüber legter. Lazinsly's steinerne Ruhe stach grell gegen diese Aufgeregtheit ab. Er that mit kühler Besonnenheit Schlag um Schlag und zuckte mit keiner Wimper dabei. Von seinen sonst so beweglichen Augen ging eine starre Kälte aus. Peter theilte seine Aufmerksamkeit zwischen Beide. Immer schärfer beobachtete er das erregte Spiel. Seine Hände hielten dabei Manfred's Stuhllehne umklammert, als bedürften sie einer Stütze. Er sprach kein Wort. Auch die Spielenden sprachen nur, was streng zur Sache gehörte; kurze, abgerissene Laute. Manfred schien seines Bruders Anwesenheit ganz vergessen zu haben. „Leiden Sie es doch nicht!" flüsterte Jemand in Peter's Ohr. „So treiben sie es nun schon mehrere Abende. Er hat immer Unglück. Das kann nicht gut endigen." Peter schien es nicht zu hören. Er rührte sich nicht. Plötzlich wurde Manfred ganz fahl im Gesicht. Seine Hände zitterten heftiger. Er warf einen Blick voll Wuth und Haß auf seinen Gegner und schmetterte die Karten auf den Tisch. „Ich bin fertig", saate er heiser und sprang auf. Als er da bei seines Bruders wieder ansichtig wurde, prallte er mit einem dumpfen Stöhnen zurück. Mit unverwüstlicher Ruhe legte Graf Lazinsky die Karten aus der Hand und lehnte sich in den Stuhl zurück. „Wie Sie wollen", sagte er mit leichtem Gähnen. „Dann können wir wohl einmal abrechnen." Er zog sein Notizbuch hervor, warf ein paar Zahlen darauf hin, riß das beschriebene Blatt aus und legte es vor Manfred auf den Tisch. „Bitte, überzeugen Sie sich. Es ist etwas hoch ausgelaufen. Aber es hat ja keine Eile. Ich stunde Ahnen die Summe gern drei Tage." Die Umstehenden waren zurückgetreten und verließen das Zimmer, in dem es ihnen ungemiithlich geworden war. Nur Peter trat näher heran und warf einen schnellen Blick auf die offen hingelegte Rechnung. Er verfärbte sich dabei. Manfred sckh kaum hin. Er griff sich heftig in den hohen Kragen, al- würge ihn etwas, und steckte das Blatt ein. Sein ganzer Mensch war in bemitleivenswerther Erregung. Er wußte kaum noch, was er that und sagte. „Ich brauche keinen Aufschub", rief er hochfahrend. „Mor gen Abend sollen Sie Ihr Geld haben." Er drehte sich kurz um und verließ das Zimmer. Lazinsky und Peter blieben allein. Lazinsky legte die Karten zusammen; er konnte trotz aller erkünstelten Ruhe doch nicht ver bergen, daß ihm dies Zusammensein peinlich war. Peter stand noch einen Augenblick regungslos. Dann ging er hin und schloß mit einem festen Griff die Thür, die Manfreo offen gelassen hatte. „Ich habe mit Ihnen zu reden, Graf Lazinsky", sagte er. Er sah sehr ernst, sehr blaß und sehr entschlossen aus. Lazinsky sah ihn unruhig an und bewahrte nur unvollkommen seine kühle Haltung. „Sie haben heute Abend falsch gespielt, Lazinsky", sagte Peter Waldburg mit gedämpfter, fester Stimme. Der Angeredete prallte einen Schritt zurück; sein Gesicht nahm einen völlig verstörten Ausdruck an; er wurde erst blaß vor Wuth, dann brennend roth und fand kein einziges Wort zur Erwiderung. „Ich habe kein Recht, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen", fuhr Peter nach einer kurzen Pause in demselben un anfechtbaren Tone fort. „Aber Sie haben sich als Opfer meinen unerfahrenen Bruder auserlesen, den ich liebe unv für den ich in gewisser Weise verantwortlich bin. Ich kann und werde es nimmermehr dulden, daß mein Bruder in solcher Weise aus genutzt wird. Ich verlange von Ihnen n-chts weiter, als das Versprechen, daß Sie niemals wieder meinen Bruder zu Ihrem Thcilnehn'.er machen. Geben Sie mir darauf Ihr Ehrenwort und nehmen Sie dagegen das meine, daß kein Wort über diese Angelegenheit gegen irgend Jemand, — auch gegen meinen Bruder nicht — über meine Lippen kommen soll. Es liegt in Ihrem eigenen Interesse, mir diese Forderung zu gewähren. Menn ich Ihr Ebrenwort nicht bekomme, muß ich Anzeige machen. Ich tin es der Existenz meines Bruders schuldig." Mährend d'eser ganzen Rede stand Lazinsky vor ihm, wie Jemand, der sich ganz und gar nicht zu benehmen weiß. In seinem Kopfe wirbelte Alles bunt durcheinander. In dem- jelbcn Athem nannte ihn der Mann da einen gemeinen Betrüger n::b bezeugte ihm, daß er ihn trotzdem für einen Ehrenmann halte, indem ec ihm sein Ehrenwort abfacderte. Naturgemäß sieutc ober die Entrüstung über die in dieser Anschuldigung aus gesprochen« Bel-idiguna. „Herr — wie können Sie es wagen, zu behaupten —" „Ich behaupte nichts, was ich nicht weiß", unterbrach ihn Peter nsig. „Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, wie es zugegangen ist. Ich denke, Sie werden mir einige Kenntniß in dieser Sache zutrauen." Lazinsky sah ein, daß Leugnen hier gar nichts nütze. Und außerdem, daß er verloren war, wenn er Peter's Forderung nicht erfüllte. Jedes Wort mühsam hervor stoßend, versprach er. was Peter verlangte. „Ich bitte Sie", fuhr ec fort, „mir den Schuldschein von Ihrem Bruder wieder zu verschaffen — ich kann unter diesen Umständen das Geld natürlich nicht nehmen." „Es wird kaum anders gehen. Es zurückweisen, hieß« meinen Bruder beleidigen, oder Sie verrathcn." „Was soll ich denn aber mit dem verfl . . . Geld: machen!" brach Lazinsky in verzweifelter Wuth aus. „Ich kann es doch nicht auf die Straße werfen!" „Ich muß es Ihnen überlassen, einen passenden Ausweg zu finden. Für mich ist diese Angelegenheit hiermit erledigt. — Guten Abend, Graf." Er verneigte sich höflich und ging. Er jprach nicht die Hoffnung aus, daß dieser Zwischenfall ohne Folgen für ihr persönliches Verhältniß bleiben möge. Er blieb streng sachlich bis zuletzt. Einsam ging er durch die nächtlichen Straßen, die ein feuchter Dunst erfüllte, indem die Laternen nur trüb und röthlich leuchteten. Er war ganz darauf vorbereitet gewesen, daß LazinSky ihn fordern würde, und begriff nicht, wie es hatte unterbleiben können. Ec ertappte sich sogar auf einem flüchtigen Bedauern darüber, daß es nicht geschehen war. Jedenfalls trug eS nicht dazu bei, Lazinsky in seiner Achtung zu heben. Der ganze Vorfall hatte in Peter Waldburg's Seele «ine» brennend scharfen Schmerz zurückgelaffen. Nicht um Manfred; an den dachte er jetzt eben gar nicht. Er dachte vielmehr mit hart näckiger Jntensivität au Elisabeth, die jetzt allein und ahnungs los in ihrer eleganten Wohnung lag. Ahnungslos? Peter Walvburg öffnete energisch die Thür seines dunklen Hauses. Er fano seinen Bruder nicht mehr in »en vorderen Räumen und suchte ihn im Schlafzimmer. Da saß er auf dem Stuhl vor seinem Bette mit aufgeknöpftem Rock, an den Schläfen klebenden Haaren, ein Bild von Verzweiflung, Reue, Scham und Hoffnungslosigkeit. Bei Peier's Eintritt sprang er nervös auf. „Ja, ja. Du weißj Alles", fuhr er ihn an, „und eS ist mir ganz lieb, daß Du'S so erfuhrst, was Du doch erfabreiZ mußtest. Aber thu' mir dir Liebe und mach' mir keine Vorwurfs-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite