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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.03.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010313012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901031301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901031301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Polizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reelomen unter dem Redactionsstrich (-gespalten) 75 H, vor den Familiennach« richte» (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offcrtcnannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung .6 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Amlalimeschluk sür Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: MchmittagS 4 Uhr. Bei den Filialen und Annabmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Tie Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Mittwoch den 13. Mär; 1901. 93. Jahrgang. Der Antrag -es Centrums auf Erlaß eines Reichsgesetzes betr. die Freiheit der Religionsübung. Wohl selten hat ein Initiativantrag au« der Mitte des deutschen Reichstags so überrascht, ja verblüfft, alS der in der Ueberschrist erwähnte, von den Abgeordneten vr. Lieber, Gröber, l)r. Pichler, Or. Spahn, vr. Bachem als Antrags stellern unterschriebene, vom gejammten Centrum unterstützte sogenannte Toleranzantrag, durch welchen ein Entwurf zu einem ReichSgesctze, betreffend die Freiheit der Religions übung dem Reichstag zur verfassungsmäßigen Zustimmung vorgelegt wurde. Man war ursprünglich geneigt, dem An träge mehr einen demonstrativen Charakter beizulegen und war deshalb zweifelhaft, ob dem Centruin daran gelegen sein würde, ihn überhaupt zur Beratbung im Reichstage zu bringen. Gleichwohl hat die Beratbung am 5. Deccmber vorigen Jahres stattgcfunden und ist der Antrag an eine Commission von 28 Mitgliedern verwiesen worden. Es liegt deshalb Veranlassung vor, sich mit dem Anträge eingehender zu beschäftigen, zumal da die Verhandlungen im Reichstag den Eindruck machen, daß es den meisten Rednern und den hinter ihnen stehenden Parteien noch nicht möglich gewesen war, zu dem Anträge mit voller Beherrschung Les Stoffes Stellung zu nehmen. Einen breiten Raum in der Verhand lung nimmt die Zuständigkeitsfrage ein und eS muß deshalb auch hier davon ausgegangen werden. Bekanntlich hat der Herr Reichskanzler sofort bei Eröffnung der Verhandlungen Namens der verbündeten Negierungen eine Erklärung abgegeben, welche in den Worten gipfelt: „Die verbündeten Regierungen achten die Ueberzeugungen und Ge fühle, welche dem Anträge der Herren Abgeordneten Lieber und Genoffen zu Grunde liegen; sie sehen sich jedoch außer Stande, diesem Anträge zuzustimmen, welchen die verfassungs mäßige Selbstständigkeit der Bundesstaaten auf einem Gebiete beschränken will, da« sie der Zuständigkeit der Landesgesrtz- gebung Vorbehalten müssen." Der Reichskanzler fügte aber hinzu: Meine Herren! Die auS älterer Zeit überkommene Gesetz, gebung dieses oder jenes Bundesstaates mag Vorschriften enthalten, die mit den im größten Theil des Reiches anerkannten Grundsätzen freier Religionsübung nicht überall im Einklang stehen. Wenn ich für meine Person hoffe, daß derartige landeSgesetzliche DiSpori- täten verschwinden werden (Bravo) — ich bin durchaus für die Gleichberechtigung auch der Religionsgemeinschaften — so muß ich als Reichskanzler mir doch vor Allem vor Augen halten, daß meine erste Aufgabe dahin geht, den bundesstaatlichen Charakter des Reichs und die Autonomie der Bundesglieder, soweit die Neichsgesetzgebung dieselbe gewährleistet, nicht ohne willige Zustimmung der Einzel, ftaaten beeinträchtigen zu lassen. (Hört, hört! links. Bravo recht-.) Tarin wurzelt das Vertrauen, auf welches die Reichsgewalt bei den Bundesstaaten zählen muß. Dieses Vertrauen ungemindert und ungeschmälert zu erhalten, ist meine vornehmste Pflicht (Bravo rechts) und ich bin überzeugt, daß das Hohe Haus mir in dieser Auffassung beistimmen wird. Dieses mit der vorhergegangenen Erklärung der ver bündeten Regierungen schwer vereinbare persönliche Eingeben auf daS sachliche deS Antrags, die summarische Billigung desselben hat selbstredend dem Herrn Reichskanzler lebhafte Anerkennung Seiten« des Centrum« eingetragen, im Uebrigen aber da« „Hohe HauS" nicht abgebalten, den Einwand der Unzuständigkeit zu erörtern und der „Auffassung" deS Herrn Reichskanzlers von seiner „vornehmsten Pflicht" wenigstens insoweit nicht beizutreten, als eS den Antrag einer Commission überwiesen hat. Wie man liest, bat die Commission den BundeSrath ersucht, ihr eine Zusammenstellung der in den einzelnen Bundesstaaten z. Zt. noch geltenden kirchlich politischen Gesetze zu geben, und wenn damit auch die Sache etwas au« dem Feuer gerückt ist, so darf man daraus doch wohl den Schluß ziehen, daß die Commission gesonnen ist, den Einwand der Unzuständigkeit nicht ohne Weitere« zu be achten, vielmehr in das Materielle der Sache einzugehen. ES ist deshalb dringende Veranlassung, sich mit der Frage auch außerhalb de« Reichstage- zu beschäftigen, und nicht bei dem Einwande mangelnder Zuständigkeit des Reiches sich zu beruhigen, um so weniger, als die Entscheidung über die letztere doch nicht so ganz klipp und klar liegt, als e« nach der vom Herrn Reichekanzler verlesenen Erklärung der Bundesregierungen scheinen möchte. Die Frage der Zuständigkeit deS Reiches für die Rege lung deS Verhältnisses zwischen Staat und Kirche hat in der Tbat bereits ihre Geschichte, und da für Verfassungsfragen ge schichtliche Vorgänge doch immer eine Bedeutung behalten, auch wenn sie einige Jahre zurückiiegen, und dem Herrn Reichs- kanzler deshalb unter dem Gesichtswinkel von suecula saocu- lorum erscheinen, so wird man sich ihrer doch zu erinnern haben. Die Vorgänge sind theil- durch die wissenschaftliche Behandlung unsere« ReichSrecktS, theil- durch Beschlüsse und Beratbungen der Organe deS Reich-, BundeSrath und Reichs tag, gegeben. Es je» hier in ersterer Beziehung nur kurz Folgendes erwähnt: Die Behandlung seitens der Männer der Wissenschaft, die allerdings zugleich als Mitglieder gesetzgebender Versamm lungen in der Politik standen, bat ibren AuSgangSpunct von dem Unfehlbarkeits-Dogma deS Vatikanischen ConcilS genom men, und der Erste, der aus der Verkündung dieses Dogmas Schlüffe für die Zuständigkeit deS Reiche» zog, war wohl der StaatsrecktSlehrer H. A. Zachariä. In einer wissenschaft lichen Besprechung einer Schrift deS Münchner außerordent lichen Professors der Rechte Berchtold „Die Unvereinbar leit der neuen päpstlichen Glaubensdecrete mit der bayerischen Staatsverfassung", erklärte er es, da die Frage der Unfehl barkeit weit über das religiöse Gebiet hinausreiche und hoch politischer Natur sei, für eine Pflicht der Regierungen und Landtage, Stellung dazu zu nehmen; diese Pflicht und da« Recht dazu wir« er aber auch dem deutschen Reichs tage zu und fand die Competenz gegeben in dem verfassungsmäßigen Zweck deS Reichs, wie er in der Ein leitung zur ReichSverfassuug geförmelt ist: „Schutz des inner halb desselben gütigen Rechtes, sowie Pflege der Wohlfahrt de« deutschen Volkes". In einer Antwort hierauf in der „Nat.-Ztg." erklärte sich G. Beseler gegen diese Begründung der Competenz deS Reiches, indem er einwand: WaS bliebe an staatlichen HobeitSrechten den Einzelstaaten Vorbehalten, ja, welche Grenze wäre überhaupt der NeuhSgewalt gezogen, wenn der Bundcözweck für jede Angelegenheit, welche den Schutz deS gütigen Rechtes und die Wohlfahrt des deutschen Volkes berührt, Vie Competenz der ReichSregicrung und deS Reichstag« begründete. Die Stellung Zachariä'« zu der Frage war ihm um so unbegreiflicher, als gerade dieser Ge lehrte sür die Ansicht gekämpft hatte, daß eine Erweiterung der Competenz der ReichSgewalt selbst unter den beschränken den Formen der Verfassungsänderung nicht zulässig sei. — Zn einer Replik hierauf (in der „Nat.-Ztg." vom 21. Juni 187 l) verwahrte sich Zachariä dagegen, als ob eS ihm bei gekommen sei, dem Eingang der Verfassung, eine so weit reichende Bedeutung für die Begrenzung der Competenz Les Reiches zu geben, dieselbe müßte vielmehr ergänzt werden durch eine die Existenz in den Fortbestand des Reiche« be dingende Nolbwendigkeit. „Es giebt eine nach Umständen recht weit greifende Competenz LeS Reiches, die gar nickt ausdrücklich Vorbehalten zu werden brauchte, weil sie sich selbst für jedes Individuum und für jedes organische Gemeinwesen ganz von selbst versteht, das ist die Competenz der Selbst erhaltung, zur Abwehr jeder die Existenz und LcnFortbestand be drohenden Gefahr durch Anwendung der dazu dienlichen Mittel. Für einen Bundesstaat ist dabei von selbst die natürliche Scheidung gegeben, daß Alles, was zur Wahrung de« Rechtszustandes und zur Woblfahrtssörderung in den Einzelsraatcu gehört, so lange die diesen zu Gebote stehende Macht dazu auSrcickt, präsumtiv lediglich Sache der Einzelstaaten selbst ist, bei einer gemeinsamen den Gesammtbestand oder alle Glieder des Ge- sammtkörperS, wenn auch nickt unbedingt in ganz gleicher Weise bedrohenden Gefahr aber, ebenso präsumtiv, die Organe der Centralgewalt berechtigt und verpflichtet, also in diesem Sinne competent sind, die zur Abwehr einer solchen Gefahr^ erforderlichen Maßregeln zu ergreifen, und damit den ein- - zelncn Bestandtbeilen denjenigen Schutz zu gewähren, den sie 1 sich in ihrer Vereinzelung entweder gar nicht oder nur in mangelhafter und unzureichender Weise würben verschaffen können." Auf einen ähnlichen Vorgang berief er sich nämlich aus die Behandlung der Iesuitenfrage durch die eidgenössische TageSsatzung vom 3. September 1847, die nach der zu jener Zeit bestehenden Verfassung an sich dafür gewiß nicht kom petent gewesen sei, und auf die Aufhebung der Sklaverei in den Vereinigten-Staaten Nord-Amerikas, die Beseler nach ihrer formellen Entwickelung auch für seine Ansicht angeführt batte. Im Uebrigen ließ er nach der Fassung, welche Artikel 78 der Reichs-Verfassung erhalten batte, die Bedenken fallen, welche er nach Artikel 78 der Verfassung des Nord deutschen Bunde- bezüglich der Erweiterung der Competenz deS Reiches gehabt hatte. Beseler erwiderte hierauf ebenfalls in der „National-Zeitung" (vom 28. Juni 71), daß nach der neuen Formulirung Zackariä's die Competenz in der Con- cilsfrage nicht im Zwecke des Reiches liege, und bezweifelte den Fall der Nothwebr. (Vgl. über das Ganze: Zachariä: Zur Frage von der ReichScompetenz gegenüber dem Unfchlbarkeitsdogma, Braun schweig 1871). AlS Intervenient in dieser Meinungsverschiedenheit zweier ausgezeichneter NechtSgelehrten trat Bähr (Kassel) in einem Artikel in den „Prenßischen Jahrbüchern" (Band 28, Seite 72, Juli 1871) auf, welcher seinerseits wieder auf den E ugang der Reichs-Verfassung das größte Gewicht legte, und zu folgendem Schluffe kam: „Die rechtliche Sachlage ist hiernach folgende: ES giebt, kann man sagen, eine doppelte ReichScompetenz: eine engere und eine weiter«; die eiigere, gebunden an die Form einfachen Mehr- hritSbeschlusseS im Reichstag und Bundesrath, begrenzt Lurch Artikel 4 der Verfassung, und die weitere, gebunden im Reichstage wiederum nur an eine einfache, im BundeSrathe aber an die über- wiegende Mehrheit von allen gegen 13 Stimmen (Artikel 78) be grenzt durch die im Eingänge formulirten BundeSzwecke . . . Eine Ausdehnung der engeren Competenz kann in einer doppelten Weise erfolgen: entweder allgemein, durch Aufnahme des betreffenden Gegenstände« in Artikel 4 der Verfassung, wodurch dann dieser Gegenstand ein für allemal in die engere Competenz übergeht, oder nur für den concrrten Fall, indem man, ohne die Verfassungs- Urkunde zu ändern, eine nicht in Artikel 4 begriffene Angelegenheit unter Anwendung der Form des Artikel- 78 ausnahmsweise als Reich-augelegenheit behandelt . . " Er fragt dann noch, ob dem Reichstage nicht allein auf dem Gebiete der engeren, sondern auch der weiteren Com petenz die Initiative zustebe; mit ankeren Worten, ob in Artikel 23 der Ausdruck „innerhalb der Competenz des Reichs" auch das weitere Compctenzgebiet in sich faßte. „Theoretisch läßt sich vielleicht darüber streiten. Praktisch ist aber die Frage längst entschieden." Es werden dann einige präjudi ziell« Vorgänge erwähnt, namentlich aber auf einen Com- Missionsbericht über einen Antrag Schulze wegen Erlaß eines Gesetzes über die privatrechtliche Stellung der Vereine Bezug genommen, worin eS hieß: „Man «iaigt« sich schließlich darüber, daß es einer Entscheidung, ob der Entwurf unter den Artikel 4 der Verfassung falle, nicht be. dürfe. Da nämlich die nach Artikel 78 zulässigen Verfassung- äuderuugeu ohne Zweifel auch in der Form erfolgen können, daß einzelne über die Kategorien de« Artikel 4 hinauSgreifende Gesetze geschaffen werden, der Reichstag aber für Beschließung solcher Gesetze an keine ander« Form gebunden ist, al« em die Form der gewöhn lichen Gesetzgebung, so ergiebt sich hieraus, daß für den Reichs tag die Frage, ob ein Gesetz innerhalb oder außerhalb des Rahmen de« Artikel 4 liege, von keiner praktischen Bedeutung ist, dies« Frage vielmehr uur für den BundeSrath, bezügiich der Entscheidung ver Frage, ob daS betreffende Gesetz nur einfacher Stimmenmehrheit oder einer Mehrheit nach Artikel 78 bedürf», von Erheblichkeit wird. Darüber, daß da« vorliegende Gesetz unter diejenige Competenz falle, welche durch den im Eingänge der Bundesverfassung form» Urten Zweck ihre Bestimmung findet, war man allseitig ein verstanden." Auf diese Ausführungen Bähr'S antwortete Beseler in einem Artikel res AugusibefteS der Preuß. Jahrbücher 1871, indem er aus den im Eingänge der Verfassung enthaltenen Zweck deS Bunde« weniger Gewicht legte, andererseits aber zugab, daß eine Erweiterung der ReichScompetenz auch ohne neuen Vertrag ini Wege des Artikel 78 zulässig sei, und nur betonte, daß diese uur durch eine ausdrückliche Erweiterung deS Artikel 4 und nicht durch Beschluß eines concreten, die Erweiterung enthaltenden Gesetzes, wobei die Frage der An wendung des Artikel 78 dec Verfassung lediglich für den BundeSrath bestehe, geschehen dürfe. Deshalb fand er aber auch die Erweiterung der Competenz des Reichstags entgegen Artikel 23 der Verfassung auf Initiativanträge zu solchen Gesetzen, die eine Ueberschreitung der Verfassung enthalten, rechtlich und politisch bedenklich. Eingehender hat sodann Mohl, Deutsches NeicksstaatS- recht S. 92 slg., die Frage behandelt; er geht ebenfalls ans von dem Gesichtspunkte der Sicherung des Reichs gegen eine Gefahr unv sagt darüber u. A.: „In dem fo kurzen Bestände des deutschen Reich» ist nun ober bereits die Nothwcndigkeit einer Sicherung gegen eine Gefahr, an welche bei der Gründung gar nicht gedacht wurde, und in Betreff welcher denn auch die Verfassungs-Urkunde stumm ist, an die träger seines Wollens und Handelns hecaugctreten. Es ist dies das Bc- dürfniß, das Reich und sein innerstes Wesen als eine Ordnung der neuzeitlichen Verhältnisse zu schützen gegen Len längst vorbereiteten, mit Leichtsinn unbeachtet gelassenen, endlich aber mit Keckheit hervor tretenden Plan der katholischen Hierarchie, ihre mittelalterlichen Ansprüche aus die Beherrschung der ganzen Christenheit, sowohl der zu ihrem Glauben gehörigen als der seit Jahrhunderten von ihm getrennten, wirklich geltend zn machen." „Selbslvertheidigung war nothwendig, Recht und Pflicht. Dabei konnte eS von keinerlei Belang sein, haß »Mer den vom Reiche für sich selbst in Anspruch ge- nomi.'Snen Zuständigkeit-gegenständen die Ordnung der Verhältnisse zu Leu Kirchen und die Bertheidigung namentlich gegen die katholische Hierarchie gar nickt erwähnt sind. DaS Vergessen mußte nachgeholt werden, nnd nur auS dem formellen Grunde der richtigen Mehrheit»- berechnung konnte dabei die Frage überhaupt entstehen, ob die Aus füllung dieser Lücke eine Verfassungsänderung sei?" Mohl behauptet nun, daß daS Recht zur Selbstvertheidigung auS der jeder menschlichen, individuellen oder collectiven Persönlichkeit zustebenden natürlichen Befugniß, einem An griff auf seine Existenz zu widerstehen, abzuleiten sei. Und wenn Beseler eingewandl hatte, daß die Nolbwendigkeit zu einer Selbstvertheidigung zu schreiten, noch nicht dazu befuge, in die Rechte Dritter einzugreiscn, so bezeichnet er es als eine falsche Voraussetzung, daß daS Reich die zu seiner Ver- theidigung gegen die katholische Hierarckie erforderlichen Milte! von den Einzelstaaten zu erwerben habe. „Diese haben, wenn und soweit da- Reich keine Maßregeln getroffen hat, allerdings das Neckt, sich selbst, jeder in seinem Bereiche zu schützen; allein sie haben nickt die Aufgabe und auch gar nickt die Fähigkeit, daS Reich zu vertbcidigen. DaS Reich ist allein berechtigt, für fick und die Gesammtbeit zu handeln, und nur das Reick bat die Mittel hierzu. Es braucht sie keineswegs von den Einzelstaaten zu borgen. WaS diese in dem engeren Kreise thun können, so lange dieser frei ist, kann das Reich unmittelbar und mit den eigenen Kräften für den Bundesstaat tbun. Es wird dabei auch gar nicht in die Neckte der Einzelnen eingegriffen, eben weil diese kein Recht haben, die Gesammtheit zu wahre». Also kann man auch nicht einwendcn, daß durch Reichsmaßregeln die LandeS- gesetzgebung beschränkt, dadurch aber ein Reckt verletzt werde." Ja, Mohl gebt noch weiter, er behauptet nicht nur die Be rechtigung, sondern sogar die Zweckmäßigkeit reichSgesctzlichcr Regelung; er sagt: „Cs ist daher auch auf daS Dringendste zu wünschen und zu rathen, daß in dem begonnenen Kampfe gegen die katholische Kirche auf dem Wege der einheitlichen Neichsgesetzgebung und nur auf die'em vorgegaugen werde, nickt aber einzelne Staaten, selbst Preußen nicht, sich durch LanLeSgesetze zu schützen suchen. DaS Recht zu solchem vereinzelten Vorgehen soll, so lange keine allgemeine ReichSmoßrcgel besieht, nicht bestritten werden; auch mag vielleicht in einzelnen Fällen ein Gesetz in einem besonderen Lande leichter zu Stande zu bringen sein, und dann die Verbandlung im BundeSrathe und Reichstage lästig erscheinen; allein unzweifelhaft ist ein solche- Verfahren unzweckmäßig. Früher oder später wird man doch zu gemelnsckaft- licken Sckutzvorkehrungeii kommen müssen, und dann ist deren Er lassung schwieriger. Auch ist wohl zu bedenken, daß nickt bloS der Einzelstaat, sondern auch da§ Reich al- solches angegriffen ist, er aber mit letzterem und durch dasselbe geschützt wird." Nacktem im Vorstehendem einige beachtliche Stimmen an- der theoretischen Behandlung der Frage angeführt worden sind, ist nock ein Blick auf die praktische Behandlung derselben im Reickstage und BundeSrath zu werfen. Hierbei ist von besonderer Bedeutung zunächst die Ver handlung im Reick«tage vom 14. Mai 1872, bei welcher von dem Abg. v. Bennigsen die Einziehung der Gesandt schaft beim päpstlichen Stuble in Anregung gebracht wurde nnd in welcher die bistorisch denkwürdige Aeußeruna de« Fürsten Bismarck siel: „Seien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig." Der Abg. v. Bennigsen bemerkte über die Verhältnisse des Reichs zur katholischen Kirche u. A.: „Diese Verhältnisse za regeln, wird zwar zunächst noch den Competenzbestiinmungen in der Verfassung LeS Reiches die Ausgabe der einzelnen Länder sein. Rach dem von mir vorhin ongezogenea Eingang der Rcich-veriassunq, auch nach dem Art. 4 derselben fallen aber schon jetzt manche dieser Gebiete in die Competenz der deutschen Reich-gesetzgrbung und deutschen Reichsverwaltung. Soweit da« nicht der Fall ist, kann die weitere Entwicklung sehr wohl dahin führ», daß die einzelnen Länder in Deutschland und deren Regierungen und Vertretungen dieser Aufgabe sich nicht voll ständig gewachsen zeigen in ihrer Jsolirung, namentlich wenn es sich darum handelt, einen gleichmäßigen Zustand aus dem Boden deS deutschen Reiches herzustellen. Wenn diese Verhältnisse so sind, so möchte ich sehr gern die Hand dazu bieten, jeden Argwohn und alle- Mißtrauen zu beseitigen, welches darin liegt, daß man in diese» unglücklichen Weg die Verhandlungen und Concordate wieder einlenkt und dazu einen solchen diplomatischen Posten beim päpst lichen Stuhle benutzt von dieser oder jener Seite. Wir wollen diesen Weg ein für allemal unsererseits zurückweiscn. Wir nehmen Recht und Pflicht in Anspruch, einfach auf dem Wege der Verfassung und Gesetzgebung diese Frage zu lösen". Noch viel unbedingter sprach der Fürst v. Bismarck den Gedanken einer Regelung von ReickSwegcn auS, indem er in Erwiderung auf den Abgeordneten v. Bennigsen sagte: „Ich halte eS nach den neuerdings ausgesprochenen und öffentlich promulgirten Dogmen der katholischen Kirche nicht für möglich, für eine weltliche Macht zu einem Concordate zu gelangen, ohne daß diese weltliche Macht bis zu einem Grade und iu einer Weise afsicirt würde, die das deutsche Reich wenigstens nicht annrhmen kann. Leien Sie außer Sorge, nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig. Aber nichtsdestoweniger kann sich Niemand verhehlen, daß die Lage des deutschen Reiches . .. daß die Stimmung innerhalb des deutschen Reiches auf dem Gebiete des confessionellen Friedens eine getrübte ist. Die Regierungen Les deutschen Reiches suchen emsig, suchen mit der ganzen Sorgfalt, die sie ihren katho- lischen, wie ihren cvangelischeu Unterthaneu schulden, nach den Mitteln, um in einer möglichst friedlichen, in einer dir confessionellen Verhältnisse Les Reichs möglichst wenig erschütternden Weise aoS diesem jetzigen Zustand in einen annehmlicheren zu gelangen. ES wird dies ja schwerlich anders geschehen können, als auf dem Wege der Gesetzgebung, und zwar auf dem Wege einer allgemeinen Reichsgesetzgebung, zu welcher die Regierungen gen öthigt werden, die Beihilfe de« Reichstag- in Anspruch zu nehmen. (Bravo, hört, hört!)" Der Abgeordnete Windthorst erwiderte den beiden Vorrednern: „Dann ist gesagt worden von dem Herrn von Bennigsen, daß' die Ordnung deS Verhältnisses zwischen Kirche und Staat geschehen möge in den Einzelstaaten zunächst, und erst dann, wenn man da nicht fertig werden könne, im Reiche. Der Herr Reichskanzler seiner seits hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, sofort den letzteren Weg bezeichnet. Wenn wir zu einer guten Ordnung kommen, so kann eS an sich einerlei sein, w o die Dinge gemacht werden, vor- läufig aber mache ich aufmersam darauf, daß ich nach der Bunde-- und Recht-verfassung das Reich zu der fraglichen Ordnung nicht competent erachte. (Oh, oh.) Ja, ich weiß sehr wohl, Laß wir schon sehr weit gekommen sind in Beziehung auf die Compctenzsragcn, wir wollen alles DaS, waS unS angenehm und bequem ist, hier zurecht machen, besonders wenn wir zn Hause Schwierigkeiten damit haben." Die letztere Aeußerung charakterisirt Wohl daS jetzige Vor gehen Les Centrum« am besten; mau ersieht eben daraus auch, in welchem Grade die Dinge im Reiche sich geändert haben; jetzt sucht das Centrum im Reichstage das zu machen, WaS es in den Einzelstaaten nicht erreichen kann. Die Frage der Competenz deS Reicks kam aber noch viel eingehender zur Erörterung aus Anlaß der gegen und für oeu Jesuitenorden beim Reichstag: eingegangenen zahlreichen Petitionen und namentlich der vom Abg. Gneist verfaßte Commissionsbericht wie die Verhandlungen des Reichstags vom 15. und 18. Mai 1872 geben interessante Beiträge zur Beurtheiluug der Frage. Merkwürdig sind besonders auch die von den dem Centrum angehörigen Mitgliedern der Commission für die Incompetenz deS NeickeS angegebenen Gründe; sie sagen u. A.: vom Gesichtspuncte deS Vereins wesens lasse sich eine Zuständigkeit de« Reichs nicht deduciren; die geistlichen Orden als Einrichtungen und Bestandtheile der katholischen Kirche seien dem Aufsich'.Sreckte deS Staates nicht nach den Vorschriften über da« Verein-Wesen, sondern nach den Rechtsgrundsätzen unterworfen, weiche in Betreff des SouveränetätSrechtS de« Staats gegenüber der Kirche bestehen. Nun fehle aber dem Reiche die GefetzgebungSgewalt gerade in Betreff d:S sura circa kacra gänzlich, im Gegentheil be ständen in den Einzelstaaten sehr wichtige Verfassung«- und sonstige gesetzliche Bestimmungen, welche die Rechte des Staate« gegenüber der Kirche und der geistlichen Orden wahrnehmen, die mittels der ReichSgesetzgebung zu er schüttern, sehr bedenlich erscheine. Andrerseits würden wertbgehaltene Bestimmungen fast sämmtlicher deutscher Einzelstaaten damit durchbrochen werden, wie beispielsweise die Selbstständigkeit der Kirchen, die Freiheit de« religiösen Bekenntnisse», der Lehre u. A. Die Zuständigkeit de« Reiches au« dem GesicktSpuncle eines NotbstandeS, d. h. bei gefährdeter innerer und äußerer Sicherheit, sei unter gewissen Voraussetzungen allerdings nicht zu bestreiten, im Allgemeinen müsse anerkannt werden, daß jedes Staatengebilde, sei eS Einzelstaat, sei eS Bundesstaat, zuständig sei, im Falle seiner bedrohten Eristenz Mittel zur Abwehr zu treffen. Es wurde also die Richtigkeit deS von Zachariä eingenommenen Stand punktes im Allgemeinen anerkannt, nur wurde dann in den weiteren Ausführungen daS Vorhandensein der Voraussetzung, deS NothstandcS, bestritten. Von der Mehrheit der Com mission wurde die Competenz des Reichstages entschieden festgebalten und in dessen Verhandlungen wurden schließlich Anträge angenommen, wonach die Petitionen dem Herrn Reichskanzler zu überweisen seien, mit der Auffordrrung: 1) darauf hinzuwirken, daß innerhalb des Reiches ein Zustand de« öffentlichen Rechtes hergestellt werde, weiche den religiösen Frieden, die Parität der Glaubensbekenntnisse und den Schutz der Staatsbürger gegen Verkümmerung ihrer Rechte durch geistliche Gewalt sicher strllt; 2) in-desondere einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher auf Grund Lei Eingangs und deS Artikels 4 Nr. 13 und 16 der Reich-Verfassung die rechtliche Stellung der religiösen Orden,
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