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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.01.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-01-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000127010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900012701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900012701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-01
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Wir verstehen und ehren Alle die Gesinnung und Gemüthserregung König Wilhelm'S von Preußen, die ihn in den ersten Wochen der werdenden deutschen Einigung der Uebernahme der Kaiser würde widerstreben ließe», aber wir wissen auch dem unver gleichlichen Herrscher für keine seiner vielen großen Thaten böherenDank, als für den Verzicht auf dieAufrechthaltung äußerer preußischer, dem Hochbetagten zur zweiten Natur gewordener Neberlieferung; einen Verzicht, den Wilhelm I. leistete, indem er, den Gründen seines großen Berathers zugänglich, den die volle Souveränetät ankündigenden ererbten Titel zurücktreten ließ gegen einen neuen, der zwar höher ist, aber doch das den König von Preußen in seine» Befugnissen beschränkende Bundes- vcrhältniß anzeigt. Das Kaiserlhum hat Ländern und Stämmen einen Sammelpunkt gegeben, den ein Bundes vorsteher niemals hätte bilden können, und es vergegenwärtigt dem Auslande deutlicher als eine den föderativen Charakter des Reiches ausdrückenbe Bezeichnung die große und unum stößliche Thatsache der Einigung Deutschlands. Kaiser Wilhelm II. vollendet heute da- einundvierzigste Jahr, einen Lebensabschnitt, in dem er wie es MenschenlooS und noch immer hoch beneidenswerthes MenschenlooS, im bunten Wechsel Erstrebtes erreichen und mißlingen sah. Zwei Unternehmungen, für die sich va- ReichSoberbaupt persönlich eingesetzt, müssen in veränderter Gestalt späterer Zeit Vorbehalten bleiben, die Fehlschläge aber sind vollauf wettgemacht durch den schon jetzt erkennbaren Erfolg der kaiser lichen Anregung in der Flottenfrage, einer Angelegenheit, in der auch in jedem Betrachte die Initiative dem ReichS- oberhanpte zusteht; denn der Kaiser ist vor allen Dingen Bundesfeldberr und als solcher den Fürsten und der Nation für die Instandhaltung der deutschen Vertheidigungskrast verantwortlich. Die nächste Entscheidung in der Seewehr- srage mag fallen, wie sie wolle: daS Volk wird dem Kaiser helfen, dies Werk richtig erkannter Nothwendigkeit zum guten Ende zu bringen. Darf ihn hier beste Zuversicht erfüllen, so kann Wilhelm II. einen Erfolg seiner Regierung im ver flossenen Lebensjahre am heutigen Geburtstage bereits als abgeschlossen buchen: die Wirren auf Samoa sind beseitigt, Deutschland ist zu seinem Rechte gekommen. Als eine Millionen zur Freude und Keinem zu Leide in diesem Jahre vvllführte Thal des Kaisers war die Gleichstellung der technischen Hochschulen mit den alten BildungS- und Forschungsstätten höchsten Ranges anzusehen. Diese Ent schließung verkörpert gewissermaßen das Verständniß und das Interesse, das Wilhelm II. den Ständen und Erwerbszweigen entgegenbringt, deren Gleichberechtigung im socialen Leben anzuerkennen man sich noch nicht überall gewöhnt hat. Gegenüber solchen Handlungen, mit denen Wilhelm II. sich als Sohn seiner Zeit und berufenen Mitarbeiter an der Gestaltung der Zukunft zeigt, will eS wohl nicht viel besagen, daß der Inhaber des deutschen Kaiser- tbroneS gelegentlich die Neigung verräth, einen Zustand wieder zu beleben, den — gemäß dem Bedürfnisse jener Zeit — ein seit hundertundsechzig Jahren todter Vor fahr auf dem preußischen Throne geschaffen: die Etablirung der svnveralnetö comnw un roclier äs drorwo. Neue Verhältnisse verlangen neue Befestigungsmittel und neue Ziele fordern neue Wege. Und unser Kaiser bewährt alltäglich, daß er dem Neuen nicht abhold ist. Demnächst geht die Flottenvorlage dem Reichstage zu und dies Ereigniß wird das Signal zu vielleicht schweren inneren Kämpfen werden. Wir geloben nochmals, in ihnen dem Kaiser zu folgen, zu folgen mit doppelter Freudigkeit, denn wir wissen: Wilhelm H. hat die beim Antritt seiner Regierung unter den Fremden lebendige Besorgniß, er könnte nach blutigen Lorbeeren geize», in elfjährigem Wirken auf dem ganzen Erdenkreis in ihr Gegentheil, in Vertrauen, verwandelt. Der deutsche Kaiser fordert auch diese Kriegsschiffe nur als Stützen seiner Politik deS Friedens und der Förderung friedlichen Wett bewerbes unter den Völkern. Möge da- neue Lebensjahr dem ReichSoberhaupte die Erfüllung seine- heißesten Wunsche- sür sein Volk und die friedliebende Welt bringen und ihm wie seinem Hause jegliche Trübsal fernhalten! Die Steigerung der -rutschen Seeinteressen. Wie dem Flottengeseh vor zwei Jahren eine Denkschrift über die See-Interessen des deutschen Reiche- beigegeben war, so stützt sich auch die Begründung der jetzt dem Reichstage zugegangenen Novelle auf den Nachweis, daß seitdem unser Seehandel, unsere Seeschifffahrt, der Schiffsbau, die Serschifferei u. s. w. einen neuen Aufschwung genommen habe: „Die deutschen See-Inter essen im Innern und nach außen haben in der kurzen Spanne von wenig mehr als zwei Jahren eine noch niemals dagewesene Steigerung erfahren. So sind sie heute mit der gesammten deutschen Wirthschaft inniger verwachsen und spielen eine größere Rolle für sie als je zuvor." Das ist das Hauptergebniß der amtlichen Erhebungen, die in einer stattlichen Druckschrift jetzt vorliegt. Als besonders bezeichnende Resultate allen namentlich die nachfolgenden Angaben ins Auge: Die Bevölkerungsvermehrung des deutschen Reiches hat sich rapide gesteigert. Sie beträgt heute mehr als 800 000 Köpfe im Jahr und vollzieht sich schneller als in irgend einem anderen europäischen Großstaat; ja, der Ueberschuß der Geburten über die Sterbefälle war 1898 in Deutschland mit rund 847 000 Köpfen größer als die Gesammtzahl der Geburten in Frankreich überhaupt. Trotz des raschen Bevölkerungs anwachsens aber ist die Auswanderung stetig zurück gegangen. Von 1894/96 sank sie von 32 000 auf nahe 20 000 im Jahr. Sie war in den letzten Jahren in allen anderen Staaten verhältnißmäßig viel größer als in Deutschland, was für den aufsteigenden Wohlstand des Landes spricht. Der deutsche Außenhandel hat sich von 1894/96 dem Werthe nach um 13, von 1896/98 aber um 16 Procent ver mehrt, eine annähernd ähnliche Steigerung ist in der deutschen Handelsgeschichte bisher ohne Beispiel gewesen. Am Außen handel aber hat der 'Seehandel einen steigenden Antheil. 1894 waren 64 Proc., 1896 66 Proc., 1898 70 Proc., 1899 über 70 Proc. des deutschen Außenhandels Seehandel. Der deutsche Seehunde! machte 1894 4,9 Milliarden, 1896 6,7 Mil liarden, 1898 6,6 Milliarden aus, er wird 1899 7 Milliarden erreicht haben, eine Steigerung von 2100 Millionen in 6, von 1300 Millionen in 3 Jahren! Der Seehandel ist seit 1894 um 36, der Landhandel um 16 Proc. gestiegen, und in stetig sich steigerndem Tempo wird er zu einem unentbehrlichen Lieferanten für Rohmaterialien für die deutsche Volksernährung und In dustrie, zum Abnehmer derjenigen fertigen Jndustrieproducte, die die deutsche Volkswirthschaft zur Bezahlung ihres Bedarfs am Weltmarkt her an das Ausland absetzen muß. Diesen steigenden Seehandel zu bewältigen, ist der Schiffs verkehr in den deutschen Hafen rapide gestiegen. Von 1894 bis 1896 stieg die Zahl der verkehrenden Schiffe in den deutschen Häfen um 3000, dagegen von 1896 bis 1898 um 25 000, die Tonnage vermehrte sich von 1894 bis 1896 um 1H4 Millionen, 1896 bis 1898 um 4^ Millionen. Von 1894 bis 1896 stieg der Schiffsverkehr in der Nordsee um 2^ Millionen Tonnen und ging in derOstsee um fast IMillion Tonnen zurück; von 1896 bis 1898 stieg er in der Nordsee um drei, in der Ostsee um zwei Millionen Tonnen. Besonders bedeutsam war in dieser Zeit die Entwickelung der K ü st e n s ch i f f f a h r t, die durch die Ausbildung des 'Seeschleppverkehrs einen neuen Charakter erhält und die heimischen Meere in steigendem Umfange zur großen Verkehrsstraße zwischen den einzelnen Gebieten des Binnenlandes durch Vermittelung der Flußläufe macht. Won 1894/96 stieg die Küstenj^ifffahrt um 0,9 Millionen, von 1896/98 um 1 Million Tonnen. Gleichzeitig stellt sich im Verkehr mit fremden Ländern die Steigerung 1894/96 auf 700000 Tonnen, 1896/98 aber auf 2 900 000 Tonnen. Der überseeische Verkehr und die Verkehrsleistungen nehmen rapide zu. Die deutsche Flagge aber hat in diesem Verkehr einen ständig steigenden Antheil. 1894 waren 73 Proc. der Schiffe, 1896 nur 72,3 Proc., 1898 dagegen 75 Proc. aller verkehrenden Schiffe deutsch, ihre Tonnage stieg von 46 auf 54 Proc. des Gesammtverkehrs. Auch hier war dieEntwicke - lung überall nicht nur in der letzten Zeit in Deutschland be sonders rapide, sondern in ihrer Schnelligkeit war sie auch den anderen großen Staaten erheblich überlegen. Es steigerte sich nämlich von 1894/98 der Verkehr Deutschlands um 20 Proc., der Großbritanniens nur um 12 und derjenige Frank reichs um 18 Proc., während der Verkehr der Vereinigten Staaten zwar um 27 Proc. zunahm, diese Steigerung indeß wesentlich gerade auf der Zunahme des deutschen Verkehrs mit Amerika beruht. Schließlich ist auf diesem Gebiet auch die Entwickelung der überseeischen Küstenschifffahrt besonders be- merkenswerth. Von 1894/97 stieg die Tonnage im Verkehr deutscher Schiffe zwischen überseeischen Ländern um über 29 Proc., neuerdings aber ist durch den Erwerb der großen eng lischen Dampferflottille von 28 Schiffen in Südostasien eine weitere gewaltige Steigerung auf diesem Gebiete gewährleistet, i Der Aufschwung aber zeigt sich noch deutlicher in der Ent- I Wickelung der Rhederei, die vom 1. Januar 1895 bis 1897 eine Tonnagevermehrung von 100 000 Tonnen, von 97/99 eine solche von 107 000 Tonnen erfuhr, oder, da dieses sich aus einem theilweisen Rückgänge der Segelschiffe und Steigerung der Dampfschiffe erklärt, von 1894 bis 1899 eine Steigerung der Transportleistungsfähigkeit um rund 33 Proc. zu verzeichnen hatte oder bis Ende 1899 gar eine solche um 45 Proc. Der Werth der deutschen Rhedereiflotte aber hat sich in den letzten Jahren in ganz beispielloser Weise erhöht. Die in Rhedereiactiengesellschaften angelegten Capitalien waren 1897 177 Millionen Actiencapital und 70 Millionen Prioritäts anleihen, 1899 aber ist eine Steigerung von 96 Millionen Actien capital oder 60 Proc. auf 273 Millionen eingetreten, und 2 Mil lionen Prioritäten sind hinzugekommen. Der Courswerth der Rhedereicapitalien der Hamburger und Bremer Rhedereiactien gesellschaften allein ist 1899 mit 325 Millionen Mark anzusetzen. Entsprechend hat sich der Werth der deutschen Handelsflotte gesteigert. Von 1896/98 hat er sich von rund 300 auf gegen 450 Millionen Mark, um 50 Proc., erhöht, Ende 1899 aber ist der derzeitige Werth der deutschen Handels flotte auf 500 Millionen anzusetzen, eine Wertherhöhung von 66 Proc. in drei Jahren. Der Neubeschaffungswerth der deut schen Handelsflotte ist heute mindestens Milliarden. Gewaltig ist der Aufschwung deS deutschen Schiff bauer. Seit 1894 hat sich die Zahl der für Schlachtschiffbau in Frage kommenden Werften von zwei auf fünf vermehrt, für den Kreuzerbau ist die Zahl seit 1896/97 von sechs auf neun gestiegen, Schnelldampfer wurden 1894/96 nur auf einer Werft gebaut, in Zukunft werden hierfür vier bis fünf leistungsfähige Werften vorhanden sein u. s. w. Die Bauleistung für Handels schiffe schwankte von 1894 bis 1896 von 123 000 auf 80 000 Tonnen hinunter, um von 1896 bis 1898 wieder auf 153 000 Tonnen zu steigen. Die Werften repräsentiren heute einen Werth von 110 Millionen Mark, und seither ist noch ein bedeut sames weiteres Wachsthum eingetreten. Neue Hafenbauten und Flußcorrectionen sind in großem Umfange längs der ganzen Küsten in den letzten Jahren fertiggestellt oder in Angriff genommen. Durch den Dortmund-Ems-Eanal, den Elbe-Lrave-Canal, den Königs berger Haffcanal ist eine erhebliche Verkehrserleichterung an gebahnt. Die Hochseefischerei an der heimischen Küste ent wickelt sich gedeihlich. Neue Capitalien werden darin angelegt. Der Colonialbesitz Deutschlands hat durch den Erwerb von Kiautschau, der Karolinen u. s. w., und von Samoa in Folge des Gebietsaustausches in der Südsee eine wünschenswerthe Be reicherung erfahren; erhebliche Capitalien beginnen auch hier die Ausbeute intensiver in Angriff zu nehmen. Deutschland baut zur Zeit sein er st es überseeisches Kabel nach Amerika. Lassen sich auch die Erhebungen über die überseeischen Eapitalinteressen Deutschlands des Jahres 1897/98, die Anlagewerthe von 7^ Milliarden ergaben, nicht be reits in erneuter Form wiedergeben, so steht fest, daß auch hier Vergrößerungen der Jnteressenkreise stattgefunden haben, nament lich in der Türkei und Kleinasien, in Afrika und Ostasien. Es ist ein rapide angewachsener Complex von Interessen, die Deutschland auf der See zu schützen hat, und schneller mehrt er sich, als die See-Interessen fremder Staaten, so daß die Gefahren, die Angriff oder Bedrohung bringen, weiter steigen. Immer verhängnißvoller aber für die deutsche Volkswirthschaft würde es werden, wenn der Versuch eines Angriffs mächtiger . anderer Staaten mit der Möglichkeit eines Erfolges auf die Dauer rechnen könnte. „Der ungeahnt rasche Auf schwung bringt gesteigerte Veantwortlich- keiten und gesteigerte Anforderungen an die Schutzvorkehrungen mit sich." Der Krieg in Südafrika. -t- Ein Mann beißt sich auf die Lippen, stampft mit dem Fuße auf und ballt die Hand in der Tasche — daS ist John Bull nach der Nnglücksbotschafl Buller'S, der, 'wie wir schon berichteten, gestern Mittag an da- Kriegsamt mit Bedauern melden mußte, daß General Warrcn SvionStop in Ser Nacht zum Donnerstag wieder aufgebcn mutzte. Da- heißt: das furchtbare Feuer der die hoch gelegenen beherrschenden Partien deS PlateanS in bomben- icheren Positionen haltenden Boeren hat Warren von den niedriger gelegenen Hängen, auf die er sich hatte herauf locken lassen, wieder zurückgelrieben. Waren seine Verluste chon am Dienstag und Mittwoch, wo er den „Spionskopf -esetzte, schon sehr schwere, wie müssen seine bedauernswerthen tapferen Leute erst in der Nacht vom Mittwoch zum Donners tag gelitten haben, als sie gezwungen waren, vor den Feuer schlünden der treffsicheren Boeren den Rücken zu wenden! ES war also wieder nichts. Enttäuschung folgt auf Ent täuschung, Sieg auf Sieg verwandelt sich in Niederlage, ein General nach dem andern muß das ominöse „Bedaure melden zu müssen" in die Feder nehmen: French, Gatacre, Mcthuen und Buller nun schon zweimal, einmal für sich, als bei Colenso seine Regimenter wie unter Sensenhieben zusammen knickten und nun für Warren, den einzigen bisher noch un besiegten englischen General. Was nun? Wird er den „Sturm" auf den SpionSkop noch einmal wagen, wird er den Muth haben, ihn noch einmal zu „besetzen"? Mit seinen arg geschwächten und wohl auch demoralisirten Truppen dürfte das ein Ding der Unmöglichkeit sein. Aber auch auf nennenswertbe Ver stärkungen kann er, wie wir gestern schon auSfübrten, nicht rechnen. Die Lage ist für ihn und Buller total verfabren und beiden droht jetzt dasselbe Schicksal, wie White und Methuen, von den Boeren, die nun wohl Streitkräfte zur Umgehung deS Buller'schen Heeres, die dieser ihnen erst zugebacht hatte, frei bekommen, eingekapselt zu werden. Was aber soll dann aus Ladysmith werden? Allerdings lauten dir jüngsten Meldungen aus der belagerten Stadt wieder optimistischer. Man höre die folgende: * Landon, 26. Januar. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" meldet au- Ladysmith vom 21. d. M.: Zwischen hier und Pot- gieter'S Drift sind sechs Boerenlager sichtbar. Man sieht seiud- liche berittene Truppcnabtheilungen sich in der Richtung auf den Tugela bewegen, doch deutet nichts darauf hin, daß die Boeren Geschütze von hier fortnehmen; vielmehr brachten sie kürzlich andere in die Stellung der verstärkten Befestigung-Werke. Ladysmith ist jetzt thatjächlich uneinnehmbar. Die Fieber-Epidemie hat infolge der trockenen Witterung sehr nachgelassen. Alle Truppen haben jetzt au-reicheuden bekömmlichen Proviant. Da- klingt ja sehr vertrauensvoll, aber man fragt sich, woher der ausreichende und bekömmliche Proviant auf einmal herkommt. AuS der Bewegung berittener Truppcnabtheilungen in der Richtung von Ladysmith nach dem Tugela ist dagegen zu schließen, daß Joubert keinen neuen Ausbruchsversuch ver Belagerten mehr fürchtet oder überzeugt ist, daß er einen solchen mit geringen Streitkräfte» abschlagen kann. So ver mag er seine ganze Kraft nördlich der Tugeladriften zu con- centriren, vielleicht auch östlich davon einen erheblichen Theil über den Fluß uud Buller in den Rücken zu werfen. Dann wäre die Falle geschlossen! vr. LeytzS. AuS Pari- wird gemeldet: Der europäische Vertreter deS Transvaal Vr. Leyds, der seit vierzehn Tagen dort weilte, reist Donnerstag Abend nach Berlin. Einem AuS- frager versicherte er, Macrum könne nickt der Ueberbringer eine- Schreiben» Krüger'S an Mac Kinley sein, da Lcyd» sonst darum wissen müßte. London im Vanne der Angst. X. 6. London, 25. Januar.*) Seit Beginn deS Kriege- hatlen Sorge und Angst nie einen solchen Höhepunkt erreicht, als diese Nacht. Seit 36 Stunden erwartete man mit immer steigender Ungeduld die Nachricht von der Erstürmung deS Spionskops, welche Buller den Sieg sichern und in der Ein bildung der Meisten damit zugleich den Weg nach Lady smith öffnen sollte. Wie da- zu geschehen hätte, darüber legte sich kaum einer unter Tausenden Rechenschaft ab. Aber selbst unter den Gebildetsten galt eS für eine selbstverständliche Sache, daß mit der Er stürmung des SpionSkopjes das am Tugela stehende Boeren- heer in zwei ohnmächtige Haufen getrennt und gezwungen werde, in wilder Flucht die FreistaatSpässe zu erreichen und Natal zu räumen. Den Meisten galt eS als feststehend, daß mit der Entscheidung auf jenem Hügel daS Schicksal des Krieges überhaupt zu Gunsten Englands entschieden sei. Und daS waren Ansichten, wie man sie nicht etwa bei dem Manne auf der Straße und hinter dem Biertisch fand, sondern die gang und gäbe waren in den leitenden Kreisen der vor nehmen englischen Gesellschaft. Die Thatsache erklärt und entschuldigt sich durch die vollständige Ahnungslosigkeit dieser Kreise von militärischen Dingen im Allgemeinen und der Lage am Tugela im Besonderen, woran zum guten Theil wieder die Unzuverlässigkeit der dem großen Publicum zugängigen Karten und die schlecht unter richtete Presse Schuld sind. Buller hatte selbst in seiner letzten officiellen Depesche bekanntlich kein Hehl auS der Schwierigkeit seiner Lage gemacht, aber ausdrücklich erklärt, Warren werde noch denselben Abend, d. h. also vorgestern, den SpionSlop stürmen. Seine Depesche war vom r/,7 Uhr Abends datirt, und Dank der Zeit differenz bereits an demselben Nachmittage im KriegSamte eingetroffeu. Man nahm allgemein an, daß im Augenblicke, wo Buller gekabelt, der Angriff auf den SpionSkop bereits begonnen und der Erfolg desselben gesichert sei — sonst hätte, sagte man, Buller nichts darüber geäußert oder die Censur die Mittheilung gestrichen. Und nun verging die folgende Nacht und Tag- darauf verrann Stunde auf Stunde, ohne daß die Meldung von dem „ent scheidenden Siege" eintraf. Immer dichter wogten die Schaaren, immer ungestümer wurde der Andrang im Kriegs amte, wo bald sämmlliche Spitzen der Verwaltung sich ein fanden. Schon um 1 Uhr Mittags harrten dort der Marine minister, der KricgSminister, der Oberstcommandirende, Lord Wolseley, denen sich, als die Stunden vergingen, ein Minister nach dem anderen, ein Peer hinter dem anderen vor fahrend, zugesellten. Die in schneller Reihenfolge erscheinenden Extraausgaben der Blätter gaben der allgemeinen Spannung und bald einer nicht mehr zu bezähmenden Erregung immer rückhaltloseren Ausdruck, bis sie, ohne auch nur den Schatten einer wirklichen Nachricht zu geben, auf ihren Affichen bald ein „furchtbares Ringen am Tugela", bald ein „helden- müthizes Erstürmen des SpionSkop-", dann wieder „furcht bare Aufregung in London" u. s. w. ankündigten. Aber die immer ungeduldiger erwartete Nachricht kam nicht. Ein kalter Regen trieb allmählich die Leute aus den morast-schlüpfrigen Straßen, und als Theater und Concertsäle Abends sich geöffnet hatten, erschienen die großen Verkehrsadern der Stadt öde und menschenleer. Wer da englische und besonders da- Londoner Leben nicht genau kennt, hätte um diese Stunde von Aufregung auch nicht die leiseste Spur bemerkt. Um so erregter war die Stimmung hinter den Mauern und als die Vorstellungen zu Ende und die seit Kurzem immer spärlicher werdenden Theaterbesucher die letzten Plätze in den schon überfüllten großen politischen und militärischen Clubs von Pall Mall und Waaterloo Place bis nach Park Lane gefüllt hatten, machte sich die herrschende Aufregung immer wieder Luft. Es war i/z12 Uhr Nachts geworden und noch immer keine Nachricht, als die einzige des KriegSamts, eS habe nicht« mitzu theil en. Das schlug dem Faß den Boden auS, und es war kaum Einer noch, der dieses Schweigen nicht als absichtlich und als die Vorbereitung für die kommende Niederlage betrachtet hätte. Die Commentare waren bitter und man erörterte jetzt rückhaltSloS die Consequenzen dessen, waS man bereits den Zusammenbruch nannte. DaS Ministerium müßte gehen —, aber durch wen solltee ersetzt werden? Der einzige, der kommende Mann, Lord Rosebery, war, das wußte Jedermann, noch nicht bereit, das Steuer in die Hand zu nehmen. Von einem Ministerium der Opposition konnte natürlich die Rede überhaupt nicht sein — die Radikalen wollten davon noch weniger wissen als die Conservativen. Die schärfsten Kritiker, und eS waren darunter hervorragende Conservative, welche vor AuSbruck deS Krieges von einem solchen nichts wissen wollten, gingen jetzt bereits soweit, die Verfassung und „unser un seliges parlamentarisches System" verantwortlich zu machen, denn nur „die Angst vor der Opposition bätte die Regierung abgehalten, rechtzeitig die nötbige Truppeuzahl zur schnellen Erdrückung jedes Widerstande« der rebellischen Republiken" auSzusenden. Dann war die Reibe an der „lächer lichen HumanitätSduselei", die daran Schuld sei, daß man nicht ohne Weiteres 150000 Mann farbiger Truppen an- Indien und anderen Colonien nach Natal geworfen. Der Krieg ist „keine Friedenskonferenz" und AebnlicheS mehr. Da fiel wie ein die Gefammtlage grell beleuchtender Blitzschlag eine Kabelmeldung in diese erregt diScutirendeu Gruppen. Sie kam auS New Hork und meldete, die dortigen großen Zeitungen in der vierten und fünften Avenue und am Printinghouse Sqnare schlügen soeben an ihren Telegramm- tafeln Meldungen an, nach deuen die Engländer am Tugela geschlagen seien uud ein furchtbare- „Massacre" erlitte» hatten. „New York Herald", „World" und „Sun" hatten gleichlautende Meldungen erhalten. DaS war der Zusammenbruch. Die erregten Gemütber wurden plötzlich merkwürdig ruhig und bald war in den dichtgedrängten Räumen kaum noch ein lautes Wort zu hören. DaS Kritisier» hatte aufgehört. Nur zwei Dinge *) Der Bries ist noch vor dem Eintreffen der „Siege-"-Nachricht Buller'« ge'chrieben. D. Red.
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