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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010318027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901031802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901031802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
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Aitttsökatt des Königlichen Land- und Äinlsgerichles Leipzig, -es Natljes und Nolizei-Ärnles der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile Reklamen unter dem RedaetionSstrick (4 gespalten- 75 H, vor den Familiennuä»- richten («gespalten) SO Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend lücher. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertknannahmr L5 H (excl. Porto). > Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung -et 60.—, mit Postbefördernng 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filiale» und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlag vou E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. ^-141. Montag den 18. März 1901. Vie Wirren in China. Rußland, Japan und die Mandschurei bilden gegenwärtig in der englischen Presse den Gegenstand lebhafter Erörterung. Die „Daily News" legen einem her vorragenden japanischen Diplomaten, der augenscheinlich in London lebt, sehr kriegerische Aeußrrungen in den Mund. „Wenn Rußland", so soll der Diplomat aus Befragen erklärt haben, „an Japan nicht irgend eine materielle Concession macht, und das sofort, so fürchte ich, wird es nicht möglich sei», einen Krieg zu vermeiden." Rußland sei, im Besitze der Mandschurei, eine beständige Drohung für Korea, dessen Unabhängigkeit für Japan von vitaler Bedeutung sei. Die durch die Verminderung des britischen Prestiges im Osten noch vermehrte russische Vor herrschaft würde, wenn Rußland Korea erhielte, so gewaltig sein, daß Japans Existenz als Nation gefährdet sein würde. Die Slirnmung in Japan dränge zum Kriege, falls Rußland nicht einige Japan annehmbare Anerbieten mache und seinem Ehrgefühl in der Angelegenheit Genüge leiste. Der Premier minister, Marquis Ito, werde zweifellos Alles thun, um einen Krieg zu verhindern und der Kaiser sei ein friedliebender Fürst, aber Japan habe eine constitutionelle Negierung und der Druck der öffentlichen Meinung könne vielleicht zu stark werden. — Vom englischen Standpunkt beleuchtet die „West minster Gazette" die mandschurische Frage wie folgt: „England hat kein Interesse daran, Rußland herauszufordern, um die Aonectirung der Mandschurei Lurch Rußland zu verhindern. Halten wir es doch, so hätten wir vor drei Jahren handeln sollen. Die Russificirung der Mandschurei war «ine abgeschlossene Sache, seit wir unseren Anspruch, daß Talien-Wan Freihafen sein solle, ausgaben und unser« Schiffe von Port Arthur zurückzogen. Unser Interesse ist jetzt, die Thatsachen anzuerkennen und die besten Handelsbedingungen zu erhalten, die eine wachsame Diplo- matie sichern kann, aber nicht, wegen einer erledigten Sache zu lameatiren oder einen Streit zu schüren, der Ruß- land nur zum Vorwand dienen würde, unseren Handel auszu schließen. Noch unrichtiger würde es sein, die japanischen Heißsporne durch Aussicht auf unsere Hilfe zur Herausforderung Rußlands zu ermuthigen. Japan würde zu Beginn Rußland vielleicht empfindlich treffen können, aber das Resultat würde schließlich ein so vorübergehendes sein, wie das der uns im Anfang von Len Boerrn beigebrachten Niederlagen. Denn Rußland würde in der Mandschurei, wie wir in Südafrika, gezwungen sein, bis zu Ende durchzu,kämpfen." UebrigenS ist, wie gemeldet, die japanische Regierung zur Zeit noch selbst bestrebt, die herrschende Erregung zu be schwichtigen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 18. März. Je schleppender die Verhandlungen de- Reichstag» sich monatelang hingezogen haben, um so mehr muß das Hobe HauS sich jetzt beeilen, noch vor den Osterferien die dritte Berathung des Etats zu Ende zu führen. Die zweite ist am Sonnabend glücklich beendet worden, nachdem vorher der zweite Nachtragseiat (Chinacredit) auch die zweite Lesung in vrr- hältnißmäßig kurzer Zeit passirt hatte. Gegen die Bewilligung stimmten nur die Socialdemokraten, die damit bewiesen, daß sie noch sehr weit davon entfernt sind, sich zu „mausern". ES liegt doch wohl auf der Hand, daß das „chinesische Abenteuer" nickt Knall und Fall abgebrochen werden kau» und daß die Expedition zu einem Ende gebracht werden muß, ras der Ehre Deutschlands und den bereits aufgewendeten Kosten wenigstens einigermaßen entspricht. Wie kann man also die Mittel, die zur Durchführung dcS Unternehmens unentbehrlich sind, rundweg verweigern, wenn man mit seinen Sympathien nicht mehr auf der Seite der chinesischen Mörder und Boxer als auf der des eigenen Vaterlandes steht oder nickt wenigstens der eigenen Regierung in einem sehr ernsten Falle Schwierigkeiten bereiten will? Ueberdies wurden gerade am Sonnabend die Vorwände, unter denen die socialdemo- kratische Fraction das Unternehmen bisher bekämpfte, die an- gebiicken Grausamkeiten der deutschen Truppen u. dcrgl., vom Kriegsminister v. Goßler als leere Vorwände erwiesen und dargethan, daß unsere in China kämpfenden Truppen durch strenge Strafen innerhalb der Grenzen gehalten werden, die den Soldaten einer Culturmacht selbst im Kampfe gegen entmenschte Feinde gezogen sind. Daß nur die Socialdemokraten gegen den China - Credit stimmten, darf der Reichskanzler, der am Sonnabend gar nicht nöthig hatte, in die Debatte einzugreifen, als einen bedeutenden Erfolg verzeichnen; bossentlick ist er in dem Bemühen, Rußland zu bewegen, die übrigen Gläubiger Chinas nicht durch Selbstbefriedigung zu benachtheiligen, ebenso glücklich, wie er es jetzt im Reichstage gewesen ist. Dieser bat am Sonnabend endlich auch den RcichSzuschuß zum Wiederaufbau der H o h k ö n i g S b u r g bewilligt, nachdem es am Freitag der Socialdemokratie gelungen war, die Beschlußfassung hinauszusckieben. An und für sich ist gegen diesen Ausbau, der die Reichslande um ein landschaftliches Kleinod von ungewöhnlicher Anziehungskraft bereichern soll, kaum etwa» einzuwenden. Einiges Bedenken könnte nur erregen, daß der elsaß - lothringische LandeSauöschuß den auf das Neichsland entfallenden Theil dcö Zuschusses mit einem sehr deutlichen Augenzwinkern nach Gegenleistungen bewilligt bat. Da aber diesem Zwinkern keine Zusage gefolgt ist, so fällt auch dieses Bedenken hinweg. Jedenfalls ist es eine ganz falsche Auffassung, daß mit der Bewilligung dem Kaiser ein persönlicher Dienst erwiesen werde. Der Kaiser hat sich die Ruine von der Stadt Schlettstadt schenken lassen, aber dadurch doch wahrhaftig nicht die Verpflichtung auf sich genommen, sie auf seine Kosten auszubauen. Die „ausschlaggebende Partei", das Centrum, ließ sich daher, da die HohkönigSburg in keinerlei Beziehung zur «katholischen Literatur steht, seiner Mehrheit nach zur Zustimmung bewegen; die Mehrheit der unterliegenden Opposition bildeten die Socialdemokraten, die dadurch wiederum bewiesen, daß sie zunächst »och nicht monarchenfromm sind und werden wollen, wie daraus geschlossen worden ist, daß der Abg. Ulrich sich kürzlich in Darmstadt gegen eine Unterredung mit dem Groß herzog von Hessen nicht zu sträuben geruht hat. „Im Anfang war die Tbat", so schloß am Freitag der Staatssekretär Graf Posadowsky seine Rede zur Resolution deS Reichstags, welche zwei Millionen Mark jür Kleinwohnungen für Arbeiter und für gering besoldete Beamte fordert. Einstimmig nahm der Reichstag diese Resolution an und beschritt damit de» Weg zu dem Versuche der Lösung einer Frage, die im Brenn punkt unseres socialen Lebens steht. Wird doch von vielen Sociaipolitikern daS Problem der Lösung der Wohnungsfrage mit der socialen Frage überhaupt identisicirt; die in jüngster Zeit ins Riesenhafte angewachsene Literatur über WohnungS- und Bodenfrage beweist dies. Eine orien- tirende Uebersicht darüber giebt die empfehlenswerthe Mono graphie von Arthur Dix (Heft 6 der „Burschenschaftlichen Bücherei"), die besonders auch die Förderung des Baues von Kleinwohnungen befürwortet. Wenn jetzt daS Reich thatkräftig von dieser Seite den Hebel anzusetzen ver sucht, so darf die Befürchtung Wohl als ausgeschlossen gelten, daß bei dem Erwerb von billigem Grund und Booen zum Ban von Kleinwohnungen der dämonische Geist der Speculation sich des gemeinnützigen Zweckes bemächtigt, den Preis des Bodens zu schwindelhafter Höhe hinauftreibt und die ursprüngliche Absicht in ihr gerades Gegentheil umkehrt. Wie leicht Lies geschehen kann, lehrt an typischen Beispielen ein für die Bodensrage wissenschaftliches grundlegendes Werk deö der Socialwissenschast durch einen jäbeu tragischen Tod leider allzu früh entrissenen vr. Paul Voigt („Grundrente und Bodenfrage m Berlin und seinen Vororten." Jena, Verlag von G. Fischer). Beim Studium seiner Untersuchungen über die Steigerung der Bodenpreise am Kurfürst en dämm in Berlin und über die Entwickelung der Villencolonie Grüne wald wird Jeden — selbstverständlich nicht den durch Preis steigerung reich gewordenen Speculanten — ein unsäglich trauriges Gefühl beschleichen, daS an einer Lösung der Wohnungsfrage überhaupt verzweifeln läßt. Faßt jetzt das Reich mit schwachen, scküchternen Versuchen das Problem der Wohnungsfrage ins Ange, so dürfen die leitenden Stellen nicht achtlos an dem Buche Paul Voigt's vorbeisehen, sondern müssen cs als Warnung sich dienen lassen, damit der Geist der Speculation für immer von der Sckwelle der Reichs-Unternehmungen fern bleibt. Um einige positive Mittheilungen aus dem genannten Werke zu geben, führen wir die Berechnung des Gesammlwerlhs des Grund und BodenS am Kurfürst end am in an. Er betrug im Jahre 1860 0,1 Million Mark, stieg dann 1865 auf eine Million, 1870 auf 2,5, 1872 auf 6,5, 1885 auf 14, 1890 auf 30, 1898 auf 50 Millionen. Nach Vollendung des Ausbaues der Straße, wahrscheinlich 1903/4, wird der Gc- sammtwcrth 60—65 Millionen, die pro centnale Steigerung des Ackerwerthes also 60 000—65 000 betragen. In etwa 40 Jahren sind am Kurfürstendamm durch eine Steigerung dcS Bodenwertbes um ungefähr das 600facke des reinen Ackerwerthes private Vermögen von rund 60 Millionen Mark rein aus dem Nichts entstanden! Wie der Boden- specnlation auch die Villencolonie Grünewald zum Opfer falten mußte, wie die Familienhäuser sich in große MiethScasernen verwandeln und wie binnen Kurzem auch diese für gesunde, verhältnißmäßig billige Wohnungen ge plante Schöpfung in die Roth der Wohnungsfrage hinein gezogen werden muß, führt der Verfasser greifbar vor Augen. — „Es waren feingebildete Leute mit gutem Ein kommen", schreibt Paul Voigt, „jedoch im Ganzen mit mäßigen Mitteln, die sich dauernd im Grüne wald anzusiedeln gedachten. Neben ihnen aber erschien von vornherein eine ziemlich große Anzahl meist dem Bau gewerbe angehöriger, erwcrbsmäßiger Speculanten, die mit scharfem Blick die Zukunft dieser ungemein günstig, dicht vor den Thoren Berlin- gelegenen und mit den besten Bahnverbindungen versehenen Colonie erkannten. Sie er warben größere Complexe, sie trieben die Preise bald in die Höhe, sie fingen an, größere MiethShäuser zu errichten, deren Einbürgerung allein im Stande war, die Preise dauernd bock zu halten und noch weiter zu steigern. Ihre günstigen Erfolge wirkten ansteckend auf die übrigen Besitzer, die ebenfalls großen- theilS von der SpeculationSgier inficirt wurden. Biele von ihnen hatten von vornherein größere Complexe erworben, um einen möglickst großen Garten zu haben, den sie nunmehr zu parcellircn begannen oder in Zukunft zu parcelliren gedenken. Diese Entwickelung kündet sich schon jetzt in der Erhöhung der durchschnittlichen Bewohnerzahl eines HauseS an, die durch die Vermehrung der großen Miethlandhäuser herbeigefübrt wird. Während Ende 1895 auf ein Haus im Grünewald im Durchschnitt 7.9 Bewohner und 1,5 Haushaltungen kamen, betrug die durchschnittliche Dewohnerzahl Ende 1897 schon 10,4 Personen in 2,1 Haushaltungen, während in London im Durchschnitt nur 8 Personen auf ein HauS entfallen. Durch die Terrainspeculation ist die Villencolonie Grünewald geschaffen worden; die fortgesetzte Speculation wird sie in ihrer Eigenart auch wieder zu Grunde richten!" Ueber einen bezeichnenden Fall der Verquickung von Politik und Religion in Ser römischen Kirche wird der „Tägl. Rundschau" aus Rom berichtet. Peter Johannes, der dort in der Kirche S. Carlo al Corso das zahlreiche Publicum, darunter besonders viele fromme Frauen, erbaut, batte zum Gegenstände seiner Betrachtung „die volks- wirthschastliche Seite der socialen Frage!" gewählt. In langer Erörterung erging er sich über die Theorien von Marx und Lassalle und behauptete endlich auch, die Socialisten leugneten daS Eigen- thumsrecht. „DaS ist nicht wahr", erscholl es einmal mit Stentorstimme aus dem Publicum. Im ersten Augenblick war der Pater verblüfft vor Staunen und Schrecken, dann aber machte er sich mit Blitzesschnelle so eilig wie seine Beine ibn tragen konnten von der Kanzel herunter und floh in die Sakristei. Ein gewaltiger Tumult erhob sich. Die Liberalen klatschten Bei fall, die Klerikalen erhoben Widerspruch. Es wurde auf die Stühle geklettert und gerauft, während ängstliche Damen schrien und zum Ausgange drängten. Mehrere von ihnen wurden ohnmächtig. Nach einiger Zeit gelang eS, die Ruhe wieder herzustellen, und die Predigt konnte ihren Fort gang nehmen. Die Klerikalen werden nicht verfehlen, auch diesen Vorfall für ihre Zwecke auszuschlachtcn, während gerade sie selbst die Hauptschuld an solchen Vorkommnissen tragen. Warum gestattet die geistliche Be hörde, daß dergleichen Gegenstände, die doch mit dem „Worte GotteS" oder dem „Leiden Christi" nichts zu thun haben, in der Kirche und in der Fastenzeit behandelt werden? Wenn die Besprechung ausgeschlossen ist, sollte man nicht dergleichen weltliche Gegenstände in h ö ch st leidenschaftlicher Weise im Gottcöhause behandeln. Man muß es gehört haben, wie hier oft der Prediger die Ansichten der Gegner grauenhaft entstellt, um sie dann leichter und sicherer dem Gespötte eines leichtgläubigen PublicumS preis- geben zu können, das dann oft ohne Rücksicht auf LaS HauS GotteS in tosenden Beifall auSbricht. Durch ein solches Benehmen wird der Widerspruch ia geradezu herauSgefordert. Wenn also die Klerikalen mit Reckt über dergleichen Vor kommnisse sich beschweren wollen, so mögen sie erst dafür Sorge tragen, daß in den Gotteshäusern in christlicher Weise christliche Gegenstände behandelt werden. Ferrttleton. 10) Zwei Lrüder. ' Roman von Franz Rosen. kaLtrua »«rronn. „Wenn Du erlaubst, Freddi, so möchte ich morgen einmal mit dem Obersten sprechen." Manfred schnellte empor. In seinen von niodergedrückten Thränen gerötheten Augen blitzte ;chon wieder di» Hoffnung auf. Aber er dämpfte sie noch und sagte mit einem Anflug von Trotz: „Was willst Du ihm denn noch sagen? Betteln sollst Du für mich nicht." „Ist eS meine Art, zu betteln? Aber ich kann vielleicht unparteiischer und ruhiger mit ihm reden, als Du es im Stande warst, und oft richtet em zweiter Bersuch ohnehin mehr aus, als der erste." Manfred seufzte tief. „Meinetwegen " und dann sprang er auf und fiel seinem Bruder um den Hals. „Peter, Du bist doch ein schreck lich guter, ein ganz famoser Mensch! Wenn ich doch auch ein mal etwa» für Dich thun könnte." XVI. Der Oberst saß allein in seinem Zimmer und las die Zeitung. LS war Mittagsstunde. Sein« Frau hatte in der Küche zu thun, und Maria war in der Musikstunde. Es war dem Obersten sehr lieb, daß man ihn allein ließ. Dir Stimmung seiner werblichen Hausgenossen war seit gestern ein« sehr unerquickliche. Frau von Rosen weinte über die väterlich« Härte; Maria machte ein gekränktes, bitterböses Gesicht — sie war ja nicht einmal gefragt worden. Gesprochen wurde nicht mehr über die Angelegenheit. Einer ging dem Andern schweigend aus dem Wege, mißtraute ihm und ärgerte sich über ihn. Der Oberst that Anfangs, als merke er nichts davon. Dann wurde er bärbeißig unld verbat sich da» Maulen. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück. Er selbst war sehr zufrieden mit sich und der energischen Bei legung dieser Liebesgeschichte seiner Tochter, und blickte mit grimmiger Genuhthuung auf seine leidtragende Gattin herab, die, wie alle Weiber, von einer vernünftigen Handhabung ge schäftlicher Angelegenheiten keine Ahnung habe, da sie immer nur TelühlSpolitik treiben wolle. In seinen selbstzufriedenen Betrachtungen wurde er durch den Diener «stört, der ihm Peter Waldburg meldete. Der Oberst suh, «f, al» hab» «r nicht recht gehört. „Sehr angenehm", schnarrte er endlich und ließ sich in seine bequeme Lage mit einem kräftigen Fluch zurückfallen. „Mag cr sich doch die Bestätigung besten holen, was sein Bruder gestern allem Anschein nach nicht hat begreifen können." Er erwartete seine Gast mitten im Zimmer stehend, die Hände in den Taschen seines Hausvocks, sah ihn kampfbereit an und ging ihm keinen Schritt entgegen. Peter Waldburg ignorirte das und grüßte ihn freundlich und höflich, wie immer. Der Oberst forderte ihn zum Sitzen auf, that aber nichts, um eine Unterhaltung zu beginnen oder ihm den Anfang einer solchen zu erleichtern. Peter Waldburg schien auch das nicht zu bemerken und be gann ohne Zögern und ohne Umschweife: „Herr Oberst, ich komme wegen meines Bruders." „Ich wüßte nicht, was Sie in dieser Hinsicht noch von mir verlangen könnten", entgegnete der Oberst kühl. „Verlangen nichts. Bitten hingegen viel. Nichts weniger, als Ihre Tochter." „Sie werden wissen", begann der Oberst in ganz dem selben Tone, „daß ich Ihrem Bruder bereits gestern meine Weige rung, sowie die Gründe derselben mitgetheilt habe." „Ich weiß, Herr Oberst. Daß ich trotzdem komme, wird Ihnen beweisen, wie nahe meinem Bruder Ihre Weigerung geht." „Ach was", polterte der Oberst. „Wenn Jemand so ein leichtes Blut hat, krankt er nicht lange an einer unglücklichen Liebe, sondern greift zu dem besten Gegengift — zu einer glücklichen." „Sir sprechen mit Recht von Gift, Herr Oberst. Es giebt Naturen, bei denen ein getäuschtes Hoffen zu Leichtfertigkeit oder Verzweiflung führt." Da fuhr der Oberst ärgerlich los: „Machen Sie mir doch nicht glauben, daß Ihr Bruder so tiefgehender und nachhaltiger Gefühle fähig ist! Daß über haupt eine sogenannte unglückliche Liebe im Stande sei, einen vierundzwanzigjährigen Menschen für sein ganzes Leben zu ver giften. — Und wenn ich das Alles zugeben wollte — ist dann meine Tochter dazu da, Ihren Bruder vor diesem Gift, wie Sie cs zu nennen belieben, zu retten und cs dafür selber zu trinken? Denn daß die Ehe mit ihm ein Glück für sie werden könnte, werden Sie doch selber nicht glauben!" Peter'» Stirn batte sich bei diesen schroffen Worten flüchtig geröthet, aber er verlor sein Gleichmaß'nicht. „Herr.Merst", sagte er mit unerschütterlicher Ruhe, „man kann sich nie für den Charakter eine» Andern verbürgen. Aber ich glaube doch, daß die Land Ihrer Tochter meinen Bruder in ein bessere» Leben hineinführen könnte." „Ach was", fuhr der Oberst auf. „Meine Tochter ist nich! geboren, um leichtsinnige junge Leute zu einem tugcndbaften Lebenswandel zu bekehren." „Gewiß nicht; aber wenn ein freundliches Geschick es fügt, daß eine gegenseitige herzliche Liebe die Rolle der Lehrmeisterin übernimmt —" Wie gestochen fuhr der Oberst auf seinem Stuhle herum. „Was reden Sie da von Gegenseitigkeit! Das hat ja nicht einmal Ihr Bruder gewagt! Was wissen Sie von «den Gefühlen meiner Tochter!" schloß er drohend. Peter's ruhige Augen sahen ihn forschend an. „Mein Bruder hat Ihnen gegenüber davon geschwiegen, aus Rücksicht für das junge Mädchen. Aber er ist einer Arzlichen Gegenliebe gewiß." „Und was giebt ihm diese Gewißheit?" fragte der Oberst bissig- „Der Scharfsinn der Lieb« vermuthlich", entgegnete Peter. „Redensarten!" brummte der Oberst; sprang plötzlich auf und lief mit finsterem Gesicht und langen Schritten im Zimmer umher. Lange war es ganz still. Der Oberst kämpfte mit sich, und Peter erwartete geduldig den Ausgang. Endlich blieb der alte Soldat dicht vor ihm stehen, der sich nun auch erhob, stemmte di« Arm« in die Hüften und sagte in polterndem Tone, um seine innere Bewegung zu verbergen. „Das ist es ja eben — eigentlich kann ich Ihren Bruder mit seinen lustigen Augen und dem gewissen großartigen Zug so gut leiden — aber diese leichte Ader — und diese Jugend — so Einem kann man doch wirklich nicht eine Tochter anvertrauen. Maria ist nicht arm — aber solche Leute verstehen ja nicht mit Geld umzugehen, und werden je schneller fertig, je voller sie die Hände nehmen können. Und für meinen Schwiegersohn Schulden bezahlen — das werden Sie mir wohl nicht zumuthen. Ein Krösus bin ich nicht und habe überdies fünf Töchter. — Es klingt ja sehr schön, wenn sie so überzeugungstreu sagen: Maria s Liebe wird ihn bessern. Aber eS bleibt cin Wagniß, und Sie werden begreifen, wenn ich davor zurückschrecke. — Maria ist außerdem «in Charakter, der trotz aller scheinbaren Selbstständig keit — oder eben deswegen — einer verständigen Leitung bedarf. — Ja — wenn er mir beweisen könnte, daß er im Stande ist, vernünftig zu sein —" „Herr Oberst", fiel Peter freudig rin, „er war auf dem besten Wege dazu. Er wollte Ihnen zeigen, daß er Ihres Vertrauens würdig sei. Ihre Reisepläne brachten ihn um seine Ruhe." Der Oberst machte wieder ein paar Schritte hin und her, um dann abermals vor Peter stehen zu bleiben. ,,Mein lieber Waldburg", sagt« er, „ich versteh« Sir doll« kommen. Sic haben Angst um das zeitliche und ewige Heil Ihres Bruder, der — das weiß ja doch Jeder — chne Sie schon längst kopfüber gegangen wäre. Sie möchten jede Gelegenheit benutzen, ihm ein Lenkseil um den Hals zu werfen und ihn daran auf sicheren Grund und Boden zu ziehen. — Diesmal ist das Lenk seil meine Tochter. Aber meine Tochter gehört mir. —" Nach diesen wuchtigen Schlußworten trat er zurück ans Fenster — und wieder an den Tisch — und so fort. Peter blieb lange nachdenklich, bis er endlich sagte: „Sie haben in Allem Recht, Herr Oberst. Ich wage Ihren Standpunkt durchaus in keiner Weise anzugreifen. Aber ich wiederhole Ihnen: ich bin nicht gekommen, zu verlangen, sondern um zu bitten. Und ich bitte noch einmal, trotz aller Vernunftgründe. ^Zch wende mich an Ihr Herz, und bitte in ständig: lassen Sw meinem Bruder wenigstens eine Hoffnung! Prüfen Sie ihn — setzen Sie ihm eine Wartezeit. Ich bin über zeugt, er wird die Probe bestehen." Der Oberst antwortete nicht, sondern überlegte schweigen? weiter und fragte endlich schroff: „Hat Ihr Bruder Schulden?" „Ich weiß es nicht) aber ich nehme es an", sagt« Peter ehrlich. „Die müßten also vor allen Dingen bezahlt werden", er klärte der Oberst rücksichtslos. „Meine Tochter kann nicht von vornherein in ungeordnete Verhältnisse heirathen." „Das ist eine billige Forderung, die selbstverständlich erfüllt werden wird", sagte Peter mit ruhrger Bestimmtheit. Der Oberst sah seinen Gast nachdenklich an. Dann seufzte er ein wenig — ein Seufzer des Bedauerns, daß er nicht lieber für sich selber warb, statt für seinen Bruder. „Ich möchte Ihnen Vorschlägen, daß wir einmal rechnen", sagte er endlich. „Wir müssen doch vor Allem wissen, wovon der Haushalt bestritten werden soll, und ob er bestehen kann. Ihr Bruder hat ja von all' diesen Dingen keine Ahnung." Sie setzten sich und unternahmen schwarz auf weiß eine ge naue Klarl-gung aller in Betracht kommenden Verhältnisse. Nachdem sie etwa eine Viertelstunde mit rücksichtsloser, geschäfts mäßiger Offenheit verhandelt hatten, legte der Oberst den Stift beiseite und sagte aufathmend: „Nun, bei vernünftigen Ansprüchen und soliden Grund sätzen könnten sie davon ganz gut leben. Aber weniger dürst's auch nicht sein — wenigstens nicht hier, in diesem Regiment. Vielleicht wäre eine Versetzung in einfachere Verhältnisse das beste — aber man kann sich daS für den Nothfall aufhebrn. Meine Frau würde sich nicht gern von ihrer Tochter trennen — Maria ist verwöhnt und unerfahren — und auch »in wrni- leicht«
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