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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189401122
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18940112
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18940112
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-01
- Tag1894-01-12
- Monat1894-01
- Jahr1894
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1894
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das: die in ihrem Kummmer so exzentrische Dame nicht eines schönen Tages plötzlich ein Testament macht und ihre Million oder doch wenigstens den größten Theil davon einer wohl- ihäligen Stiftung vermacht unter der Bedingung, daß diese ,;mn Andenken an ihre unvergeßlichen, theuren Abgeschiedenen die Bezeichnung Willibald-Stiftung tragen soll, um darin ihren einst so schrecklich getödteten Gatten und Sohn für alle Ewigkeit in der Erinnerung unsterblich fortleben zu listen?" Leopold war unruhig auf und ab gegangen und hatte sich bei der Vorstellung, welche ihm durch Jordans Worte vor die Seele geführt wurde, vor angstvoller Erregung die Lippe blutig gebissen. Jetzt blieb er vor Jordan stehen, faßte dessen Arm und raunte ihm zitternd zu: „Das darf nicht ge schehen, dafür sind Sie da!" „Dazu kommen noch," fuhr Jordan fort, ohne Leopolds Einwurf scheinbar zu bemerken, „Ihr Herr Bruder und dessen Tochter, die sich auch, wie drohende Schreckgespenster als gefährliche Pätendenten in der Erbschaftsfrage am Hori zont einer dunklen Zukunft erheben. Beide find mit Ihnen durchaus gleich erbberechtigt." Leopold stampfte mit dem Fuße auf; er verlor jede Selbstbeherrschung. „Soll ich Ihnen denn wiederholen," suhr er den ehemaligen Buchhalter heftig an, „daß wir im Jahrhundert der Procente leben, und daß Sie von Allem, was ich von meiner Tante bei ihren Lebzeiten oder nach ihrem Tode an Geld und Geldeswerth erhalte, stets zehn Procent beziehen werden! Ich dächte, bis jetzt hätte ich diese Abmachung treu gehalten, und ich gebe Ihnen heute aber mals uiein Ehrenwort als Edelmann, daß ich sie stets halten werde!" Jordan verneigte sich. „Daran zweifle ich ja keinen Augenblick," sagte er ruhig, „ich mache nur auf die Schwie rigkeiten aufmerksam, die uns möglicherweise bei unseren Hoff nungen und Wünschen in den Weg gelegt werden können." Leopold ereiferte sich immer mehr. „Vergessen Sie auch nicht, Jordan, daß wenn irgend ein Anderer einst Erbe meiner Tante werden sollte — ja selbst nur ein Miterbe mir erstehen möchte. Sie Rechenschaft für Alles abzulegen hätten, was in diesen langen Jahren hier im Hause durch Ihre Hände gegangen ist, während Sie das bei mir nicht zu fürchten haben. Ich würde über Alles, was Sie gethan, beide Augen zudrücken." Jordan kam nicht aus seiner Ruhe. „Das klingt ja beinahe wie eine Drohung," lächelte er und setzte dann sehr gelassen hinzu: „Ein ehrlicher Mann, wie ich, hat Memand zu scheuen, ich könnte mit ruhigem Gewisim auf Alles befrie digende Auskunft geben." Leopold sah ein, daß er zu weit gegangen war. „Ja, ja," entschuldigte er sich kleinlaut und mißmuthig, „ich weiß, wie sehr ich Sie zu schätzen habe. Sie reizen mich aber wahrhaftig durch Ausmalm von Gefahren so sehr, daß ich zuletzt vor lauter Erregung gar nicht mehr Herr meiner Worte bleiben kann." „Ich reize Sie durchaus nicht, sondern ich wiederhole es, ich mache Sie nur austnerksam, wie schwierig meine Stel lung hier im Hause ist und daß ich nur sehr bedingten Ein fluß auf Ihre Frau Tante auszuübm vermag." „Aber Dore," fuhr der junge Offizier fort, „ist doch öfter um meine Tante als Sie, und wenn diese alte Jungfer unS wirklich so treu ergebm ist, wie Sie es mir oft versichert haben, so kann sie ja b.-m An- und Auskleidm ihrer Gebie terin ciu Wö.rato v- u <.,nem Testament zu meinen Gunsten ganz wie absichtslos zuflüstern." 6 — „Das hat sie schon mehrere Male gethan," versicherte Jordan, „ohne zu erfahren, welche Wirkung es gehabt hat, da die gnädige Frau ihr mit keiner Silbe darauf geantwortet. Sie können übrigens auf Mamsell Dorothea ebenso zuversicht lich rechnen, als auf mich selbst, da sie mich seit fünfzehn Jahren liebt und in ihrem Thun und Lassen ganz von mir abhängig ist." Leopold maß nach diesen Worten Jordan vom Kopf bis zur Zehe und konnte ein spöttisches Lächeln nur halb unter drücken. „Ich habe ihr immer mit der Aussicht geschmeichelt, meine Frau zu werden," suhr Jordan fort, ohne die spöttische Mime des jungen Offiziers zu bemerken, „und ich weiß sehr gut, wieviel ich dabei zu gewinnen hätte, wenn Sie Univer salerbe Ihrer Tante werden würden." „Unser Vortheil geht stets Hand in Hand," pflichtete Leopold seinen letzten Worten bei, „und da gestehe ich Ihnen auch offen, daß ich übermorgen nicht mit leeren Händen von hier gehen darf; mir hat in vergangenen Winter das Spiel enorme Summen gekostet, und mein Stand und Name zwingen mich außerdem zu vielseitigen anderen Ausgaben. Die mir von meiner Tante jährlich bewilligten fünftausend Thaler sind wie ein Tropfen Wasser auf einen heißen Stein, wenn man bedenkt, was es heißt, als Offizier und mit meinem Namen in unserem Regiment standesgemäß zu leben. Von dem, was ich erhalte, sind Ihnen wie stets die zehn Procent sicher." Jordan verneigte sich stumm. „Nun aber," rief Leopold in seinem gewohnten lebens lustigen Tone, „besorgen Sie mir vor Allem ein gutes Früh stück, denn ich bin verteufelt hungrig; es kann auch nicht anders sein, da ich heute früh die Residenz verlassen habe und vier Stunden auf der Eisenbahn gefahren bin, ohne auszu steigen, denn der saure Wein und die vertrockneten Kaviar- brödchen der Bahnstattonen sind mir ein Gräuel!" Jordan führte den jungen Mann in das keine Gemach hinab, das jetzt als Speisezimmer diente. Er verließ Leopold auf einige Augenblicke, um ihm ein gutes Frühstück auftragen zu lassen. Leopold blieb allein, denn seine Tante war erst zur Mittagsstunde für ihn zu sprechen. Frau Dreßler hielt eigen sinnig an ihrer Zeiteintheilung fest. Vormittags ging sie im Park spazieren oder brachte in ihrem kleinen Zimmer die Zeit mit schwcrmüthigen Träumereien oder mit Zeitungslesen hin. In den Zeitungen las sie aber nur eine ganz bestimmte Rubrik, die der Unglücksfälle und „Aufrufe an die Mildthä- ttgkeit edelmüthiger Menschen." Für ihr eigenes Leid gab es nur einen einzigen Trost, den, fremdes Leid und Elend zu mildern. Ihre förmlich zur Manie gewordene Sucht, sich bei den mannigfachsten Wohlthätigkeitsakten zu betheiligen, war das einzige schwache Band, daß sie noch mit der Außen welt verknüpfte. Von ihrer Lebensgewohnheit ging sie auch nicht ab, wenn ihr Neffe Leopold seine wenigen Urlaubstage in ihrem Hause zubrachte. Er sah seine Tante stets nur bei der Mittagstafel und Abends, wenn er in ihrem Zimmer in ihrer Gesellschaft den Thee einnehmen durfte. Als Jordan das Zimmer verlassen hatte, in welchem Leopold allein früh stückte, murmelte dieser leise vor sich hin: „Alter Gauner! Wenn ich nur das besäße, um was er meine Tante schon bestohlen hat." IV. ' . Bei der Mittagstafel traf der Lieutenant mit seiner Tante zusammen. Wie Hmmer hüllte ein langes schwarzes Gewand ihre hohe Gestalt ein, deren erschreckende Magerkeit wie die Blässe des Gesichts die Leiden der letzten Jahre er kennen ließen. ! — 7 Sie reichte dem Neffen mit aller Freundlichkeit, die der ernste, schwermuthsvolle Ausdruck ihrer Züge zuließ, die Hand. „Es ist mir lieb, Dich zu sehen, Leopold," sagte sie, „Du befindest Dich doch wohl?" „Meine Gesundheit läßt nichts zu wünschen übrig, liebe Tante," antwortete er, indem er ihr die Hand küßte, „und mein Wunsch ist nur, daß Du mir dies auch von der Dei nigen sagen könntest!" „O, mein Befinden ist immer noch gut," erwiderte sie, „ich bin ein sicherer Beweis dafür, eine wie große Wider standsfähigkeit im Menschen wohnt, und daß der Gram mich tödtet." Daraus - ahmen Beide am Tische Platz. Einige Minuten herrschte jetzl lieses Schweigen. Wegen Leopolds Anwesenheit war das Meou reichhaltiger als sonst. Die Suppe war schon abgetragen wo.den; Frau Dreßler hatte das Schweigen noch nicht gebrochen, und ihre niedergesenkten Augen ermunterten Leopold gleichfalls nicht zum Reden. „Hast Du mir denn gar nichts von Deinem Ergehen in der Residenz mitzutheilen?" fragte sie endlich. „Die Beschäftigungen meines Dienstes sind ebenso an strengend wie einförmig, es läßt sich davon wenig erzählen." „Ich diäte bei meiner Frage nicht an Deinen Dienst," sprach sie wciter, „ich bin überzeugt, daß Du ein braver Offizier bist, dafür bürgt mir Dein Name; aber well Du ein Baron von Bartenstein bist, hast Du auch besondere Ver pflichtungen, hast Du nie daran gedacht?" „An was, Tante?" „Du b st achtundzwanzig Jahre, ich hoffte immer ein mal, die Ai z ige Deiner Verlobung zu erhalten." Lcopola seufzte stark, und zwar mit heimlichem Vergnügen; denn Frau Dreßler kam ihm auf dem Wege entgegen, auf dem er sie s,crn haben wollte. „Du seufzest?" sagte sie und sah ihn prüfend an; der Gedanke an Pauls Mißheirath ergriff sie lebhaft, und so we nig sie auch sonst sich mit Dingen der Außenwelt zu beschäf tigen pflegte, erwachte doch plötzlich die Furcht in ihr, daß auch Leopold in blinder Leidenschaft, wie einst sein Bruder, eine Gattin unter seinem Stande wählen könnte und sie da durch den letzten Verwandten verlieren würde, für den sie auf der Well noch ein schwaches Interesse empfand. Sie liebte in L-opold den Namen ihres Vaters, ihren eigenen stolzen Mädchennamen, aber dieser Name mußte rein und fleckenlos erhalten bleiben. „Ich seufze, ja," erwiderte Leopold, „weil ich daran denke, daß ich meiner Armuth wegen zum Cölibat verdammt sein werde; wie kann ich eine standesgemäße Partie machen, da mein Einkommen nicht einmal für mich selbst ausreicht? Ich darf und kann mich nicht unter meinen Kameraden ein schränken, und wenn ich Dir Alles gestehen soll, ich bin sogar nicht ohne Schulden!" „Das ist kein Unglück für einen jungen Offizier," ver setzte sie, „und arm bist Du als mein Neffe auch nicht! Wenn Du Dich standesgemäß verheirathest, so werde ich die Dir jährlich ausgesetzte Summe verdreifachen." „Wie gut Du bist!" „Nur gerecht gegen Dich als meinen einzigen Verwandten. Außerdem, was Deine Schulden betrifft —" Sie sah sich um und rief Jordan herbei, der wie stets während der Mahlzeit seiner Herrschaft in der Fensternische stand, um jedes Befehls gewärtig zu sein. War dies doch die einzige Zeit des Tages, zu welcher seine Herrin für ihn sichtbar wurde. „Ich wünsche zu wissen," sagte sie zu Jordan, „ob wir baares Geld vorräthig haben?" „Es werden zehntausend Thaler in der Kaffe sein," lautete die Antwort; „befehlen die gnädige Frau Einsicht in meine Bücher zu nehmen?" „Nein, nein," unterbrach sie ihn und fuhr mit der Hand über die Stirn, als greife es sie schon an, nur solche Zu- muthung zu vernehmen, „ich kann mich mit solchen Details nicht beschäftigen, dafür find Sie da. Wohl mir, daß ich solchen treuen Diener habe! Hat mein seliger Mann doch kurz vor seinem Tode Sie mir noch ganz besonders empfohlen. Das war ein Fingerzeig Gottes, denn nun wußte ich, wem ich in meinem Kummer Alles anvertrauen durste." Sie war in Thränen ausgebrochen, sowie sie ihren ver storbenen Gatten envähnt hatte; ihre letzten Worte wurden dnrch Schluchzen erstickt. Jordan fuhr mit der Spitze des kleinen Fingers über sein Auge, als wollte er eine Thräne abtrocknen. Leopold ließ kläglich den Kopf hängen und erhob ihn erst wieder, als seine Tante sich wieder gesammelt hatte und, zu Jordan gewendet, fortfuhr: „Geben Sie meinem Neffen dreitausend Thaler, damit er seine Schulden bezahlen kann." Sie stand nach diesen Worten von der Mittagstafel auf. „Wie unaussprechlich gütig Du gegen mich bist!" rief Leopold, indem er sich rasch erhob und dann seiner Tante die Hand küßte. Als er Frau Dreßler in ihr Zimmer zurückgeführt hatte und darauf mit Jordan wieder allein war, sagte er mit dem Ausdruck froher Zufriedenheit zu diesem: „So gut und wohlwollend hat sie sich noch nie gegen mich gezeigt. Der Augenblick scheint mir zur Erreichung eines Testaments so günstig, daß wir ihn nicht Vorbeigehen lassen dürfen. Man muß das Eisen schmieden, so lange es warm ist!" „Ich werde," versprach ihm Jordan, „sobald Sie wieder abgereist sind, dahin zielende Schritte thun." Nachdem Leopold sich zwei Tage im „todten Hause," das er mit dem Kloster La Trappe verglich, aufgehalten hatte, empfing er dreitausend Thaler. Er gab Jordan von dem erhaltenen Gelbe zehn Procent ab und reiste wieder in die Garnison zurück. V. Jordan hatte bei der Verwaltung des großen Vermögens der Wittwe schon einige nicht unbedeutende Summen in seine eigene Tasche zu wirthschaften verstanden, aber es gelüstete ihn doch noch nach größeren Reichthümern, und Keiner wünschte mehr als er, daß Frau Dreßler ein Testament zu Gunsten Leopolds machen, sollte. Der junge Offizier war in gewisser Weise Jordans Geschöpf, denn jener hatte ihn systematisch in die Fesseln des „Dämon Gold" geschlagen, auf dessen Altar er selbst opferte. Jordan konnte nur zum wirklich reichen Manne werden, wenn Leopold Universalerbe wurde, und er war in seiner Geldgier entschlossen, jedes Hinderniß zu be seitigen, jede Persönlichkeit aus dem Wege zu räumen, durch welche dies Endresultat in Frage gezogen werden konnte. Er ging deshalb einige Tage, nachdem Leopold das Haus seiner Tante verlassen hatte und in seine Garnison zurückge kehrt war, in der Abendstunde zu Dorothea. Die alte Kammerjungfer wohnte in einem Zimmer des Seitenflügels, in der Nähe von Frau Dreßler. Sie hatte kein größeres Interesse, als die Aussicht auf eine Vcrhei- rathung mit Jordan, worauf sie heute noch ebenso sehr hoffte, als vor zehn Jahren. In der Einsamkeit des „tobten Hau ses" hatten sich alle Gefühle ihres Herzens mehr und mehr in dieser Liebe konzentrirt.
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