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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010325024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901032502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901032502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-25
- Monat1901-03
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Auzeigeu-Preis die 6gespaltene Petit-rile Reklamen unter dem RedaciionSstriN. (4 gespalten) 75 H, vor den Iamiliennmlp richten gespalten» 50 Tabellarischer und Ziffernsah entsorechend l,ök»er. — Gebühren für Nachweisungen und Osfertenaunabme (excl. Porto ---- Grtra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeforderung .4t 70. Iinuahmeschluß für ^uzeigk». Abend-Au-gabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen ;e eine halbe stunde srüker. Anzeigen sind stets au die Lrpeditton zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 85. Jahrgang. Montag den 25. Mär; 1901. Der Krieg in Südafrika. Die verunglückten ArtcdenSverhandlnngklt. Man schreibt uns aus London unterm 23. März: „Die gestern endlich erfolgte Veröffentlichung des Wortlautes der zwischen Botha und Kitchener gepflogenen Verhandlungen giebt der englischen Presse eine neue willkommene Gelegenheit, die augenblickliche Lage der Dinge in Südafrika eingehend zu be leuchten und je nach ihrer politischen Richtung die entsprechenden Schlnßfolgerungen zu ziehen. Selbstverständlich txrfuchen all: jene Blätter, welche fortwährend von der nahe bevorstehenden ilebergabe Botha's und dem damit zusammenhängenden Ende des Krieges sprachen, heute auf jede denkbare Art und Weise eine nur einigermaßen glaubhaft klingende Erklärung dafür zu finden, daß ihre Prophezeiungen oder besser gesagt ihre Er» findungen und gewagten Kombinationen sich nicht bewahrheitet haben. Dabei wird natürlich viel weises Gerede, viel verdrieß liches Geschimpfe und eine große Menge von Drohungen auf getischt, was im Allgemeinen nur dazu dienen soll, den maßlosen Aerger und die wütycnoe Enttäuschung zu verdccten, welche durch sie Votha'sche Weigerung, die englischen Bedingungen seiner Re gierung zu emvfehlen, hervorgerufen worden sind. Wenn selbst liberale Blätter ^ctzt in den allgemeinen Chorus einstimmen und von nun an „rücksichtslosestes Vorgehen" gegen die Boeren und Aehnliches verlangen, so muß man nicht vergessen, daß hier in England selbst die Organe der Opposition mit wenigen Aus- nahmen selten „aus der Bahn brechen" und in den Grundzügen schließlich doch immer den officiösen Inspirationen folge». Im Großen und Ganzen lautet der Tenor der langathmigen Besprechungen dahin, daß, wie z. B. die „Times" ausdrücklich hervorheben, „die Engländer den Boeren ganz außerordentlich liberale Bedingungen anzeboten haben, also eine Großmuih an den Tag legten, wie sie die Boeren, die doch den Krieg begonnen hätten, nicht erwarten konnten, und Saß sie in Folge dessen nun mehr jeden Anspruch auf Gnade verwirkt l>aben." Für die „Times" ist es selbstverständlich, daß die ganzen Verhandlungen nur auf der einen Basis geführt werden konnten, — daß nämlich die Boeren unter allen Umständen die britische Oberherrschaft acceptirten und dann in einzelnen Punkten einige besondere Gnadcnbeweise der glorreichen Sie-^-" crlwltrn sollten. In ähnliche: Weise äußern sich die beiden ver Regierung nahestehenden Blätter «Daily Telegraph" und „Standard", die ebenfalls auf die ganz besonders großmiithigen Be dingungen Hinweisen, di« von englischer Seite angeboren worden sind. „Telegraph" fühlt sich noch besonders veranlaßt, die Aeuße- rung Botha's, daß er die Bedingungen seiner Regierung nicht empfehlen könne, mit Hohn und Spott zu überschütten und mir ziemlich kindlichem Sarkasmus zu fragen, wer, wo und was denn eigentlich diese Regierung sei? Im Uebrigen setzt daS Blatt mit ganz außergewöhnlicher Energie auseinander, daß an eine Amnestie für die Caprebellen unter keinen Umständen zu denken sei und daß diese Leute nach den in der iColonie herrschen den Gesetzen bestrast werden müßten, da „sonst geradezu eine Prämie auf offene Empörung und Gesetzlosigkeit gegeben würde". Es ist der englischen Regierung natürlich Alles daran gelegen, den Tapholländern ein für alle Mal die Lust zu benehmen, jemals wieder die Waffen gegen England zu ergreifen und sich überhaupt >ür die Boerensache zu erwärmen. Selbstredend ist dies einer der wichtigsten und delikatesten Punkte in der ganzen südafrikanischen Frage, und man weiß dies auf beiden Seiten nur zu genau. Der „Daily Graphic" erklärt schlankweg, daß „noch niemals so günstige Bedingungen einem besiegten Feinde dargebotrn worden sind", und weist im Uebrigen darauf hin, daß die Boerei- niemals hoffen dürfen, wieder auch nur annähernd so groß- müthig behandelt zu werden. In dieser Hinsicht ist man aber hier in London in eingeweihten Kreisen etwas anderer Ansicht und hält durchaus nicht damit zurück, daß die enMche Regierung nach wie vor froh sein würde, wenn sic mit den Boeren zu einem nur einigermaßen raisonablen Friedensschluß kommen könnte. Es wurde uns sogar versichert, daß selbst die Möglichkeit ruch: ausgeschlossen ist, eines Tages auch den schon jetzt etwas weniger unbeugsamen Herrn Chamberlain noch viel entgegenkommender zu finden, wenn nur erst die weitere Fortsetzung des für die Eng länder so unendlich aufreibenden Krieges die Kriegsmüdigkeit im Lande noch mehr vergrößert und Sie öffentliche Meinung ent sprechend weiter beeinflußt. Die „Morning Post" betont, daß Milner und Kitchener, als die beiden einzigen Männer in der Welt, welche wirklich berechtigt sind, zu sagen, was im jetzigen Augenblicke für Südafrika das Beste :st, bereit waren,den Boeren soweit al» möali ch en tgegeu zu kommen, und daß sie in dieser löblichen Abftchi durch dte Instructionen Chamberlaiu ' s kalt ge sie l l t wurden, so daß also, wie auch die „Daily News" ausdrücklich hervorheben, „die ganze Verantwortung für das negative Re sultat der Verhandlungen Chamberlain und nicht etwa .Kitchener zur Last fällt. Also auch hier wieder entpuppt sich nach Ansicht seiner liberalen und radikalen Gegner „Joe" als der einzige und wirtliche Sündenbock, unv „Morning Leader" versagt es sich denn auch nicht, ihm den Borwurf zu machen, daß er sich über haupt in seinen Instructionen au Milner durch und au gar nichts bindet, und daß seine jesuitische n Winkelzüge, Sie wahrscheinlich die ganzen Friedensaussichten zum Scheitern gebracht haben, nur außerordentlich zu bedauern sind. Wie die verschiedenen Organe des krassesten Jingoismus über die Consequenzen der verunglückten Friedensverhandlungen denken, geht am klarsten aus dem Resnmä liervor, welches sich „Daily Mail" leistet: „ U n s e r e e i n z i g e P f l i cht i st j e tz t, die Boeren zu schlagen, bis sie s e l b st „genug" schreien und um Gnade wimmern". Letzteres ist natürlich überhaupt oer Grunstou in der ge- sammten öffentlichen Meinung England-, soweit sie nicht die jenige ehrlicher Leute ist, welche entweder aufrichtig des Blut- vcrgießeus und der erhöhten Steuern müde sius, oder auch den Boeren ihre Unabhängigkeit gönnen, wenn cs auch nur als eine Belohnung für ihr tapferes heloenhaftes Verhalten wäre." * Capstadt, 24. März. Lin heftiger Kama? sand nm 22. März bei Haartebristfoutrin statt, wobei dir Imperial Light-Horse und die Deomanry stark betheiligt waren. — Gestern und heute sind 18 Pestfälle vorgekoinnien. Unter den Erkrankten befinden sich 4 Europäer. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2ä. März. Die Antwort des Kaisers auf die Ansprache des Herrn v. Köller liegt — wie unsere Leser wissen — in drei ver schiedenen Lesarten vor. Die Verschiedenheiten bereuten aber keine materiellen Widersprüche, sie sind nur quantitativer Natur, d. h. die drei Quelle» fließen in ungleicher Reichlich- keit, wesentlich Unrichtiges ist nicht gemeldet worden. DaS ergiebt sich daraus, daß der zweite Bicepräsikent dcS Ab geordnetenhauses, vr. Krause, als „einziger Zeuge des Vor gangs der Audienz", als welchen er sich selbst bezeichnete, nicht nur — wie sich von selbst verstand — die Darstellung de» Herrn v. Krockier bestätigt, sondern auch die „Wieder gabe in der Presse" — das sind die beiden anderen Lesarten — in unzweideutiger Weise als zutreffend bezeichnet bat. Abweichungen sind vorhanden und finden sich auch in Zeitungsreferaten über die Erzäbluag des Präsidenten, die unverkennbar stenographischen Aufnahmen aus ter Journa listentribüne ihr Dasein verdanken. So berichten z. B. „Krenzzeiluug" und „Freisinnige Zeitung" übereinstimmend, Herr v. Kröcher habe einen Wunsch des Kaisers erwähnt, alle Parteien (wohlgeniertt, alle Parteien im Abge ordnetenhause) möchten dahin wirken, daß die Achtung vor den Autoritäten wieder so gewonnen würde, wie es „nöthig" wäre, und in der im Uebrigen coiiclurcnten Wiedergabe der „Germania" wird nach Der Mitthcilung deS Präsidenten die Wiedergewinnung der Achtung vor den Autoritäten vom Kaiser erhofft, so weit eS „möglich" sei. Da wir entschlossen sind, gegenüber diesen, zunächst daS preußische Parlament berührenden Zwischenfalle die Auffassung unseres verehrten preußischen Parteigenossen vr. Krause, der erklärte: „ES handelt sich nicht nm einen RegierungSact", uns so lange zur Richtschnur zu nehmen, bis den taiscrlichen Worten Regieruugsacte folgen, so brauchen wir der Verschiedenheit der Versionen kein hoch- polilischeSGcwicht beiznlcgen. Parteipolitisch interessant erlauben wir uns aber wenigstens eine Abweichung zu finden. Während die „Nationalztg.", und zwar ohne jede Frage authentisch, den kaiserlichen Ausspruch von der Verfolgung von Sonderinteresscn statt der allgemeinen Voltsinteressen verzeichnet, wußte Herr v. Kröcher darüber nichts zu berichten. Ein im Lager der vor gerückten Agrarier stehender Politiker kann aber ein solche» Wort innerhalb weniger als 24 Stunden nickt vergessen und er kann eS auch nichl für nebensächlich erachtet haben. Der eouservative Herr ist also bei seiner Mittheilung — eklektischer verfahren, als der jedenfalls nickt conservative Gewährsmann ter „Nationalzcitnng". Die Unterlassung des ersten Präsi denten wird nicht unauffälliger durck vcu geradezu komischen Versuch der „Krenzzeilung", die Aulhenlicität LeS AuS- spruckeS über die Vertretung von Sonderinteresscn in Zweifel zu ziehen. Dies nebenbei. Gewichtiger ist der Vor halt, den Herrn v. Kröcher gemacht wird, daß er aus Anlaß der Thal dcS Bremer irrsinnigen in dem Kaiser die Er innerung an die vorbedachten Berbrcchen Hödcl'S nnd Nobi- ling'ü wackgerusen habe. Die „Nationalzcitnng" nennt dies Verfahren „durchaus vcrsehtt unv ungehörig". Wir schließen uns diesem Uriheil an, soweit es den Präsidenten des Abgeordnetenhauses trifft: vom Standpuucle dcö conservative» Parteipolitikers war aber die ReminiScenz wohl nicht „verfehlt". Cs ist notorisch, das; der Kaiser nach dem Breslauer Anfallsversuche ungehalten war, wenn er diesem Vorfall irgend welche politische Be deutung beilegen hört«. Der an sich so beklagenSwerthe Umstand, daß ter Csfect dcü Bremer Angriffes ein cnipsintlicherer war, als ter drö von ter alten schlesischen Frau nusgegangencn Angriffs, begründet keinen polnischen Unterschied zwischen beiten Handlungen, da hier wie dort unbestritten der Thäter geisteskrank war. Wenn Herr v. Kröcher dennoch eine „Aehnlicvkeit" LeS Bremer „Zwischenfalles" — so Hal ter Prinz- Rcgenk von Bauern das betrübende Vorkommnis; genannt — hervorheben zu sollen geglaubt hat, so war er wobt sicher, damit Anklang zu finden. Herr v. Kröcher ist ein kluger Mann nnd vermöge seiner StanteSbeziebungcn sehr wohl ,n ter Lage, über die jeweiligen Stimmungen an, Hose sich unterrichten zu lassen. Zwischen dem Breslauer und dem Bremer Attentate scheint die Umgebung des Reichs oberhauptes einen Umschlag herbeigeführt zu haben, denn der Kaiser beurlheilt den späteren, von dem früheren nach allgemeiner Ueberzeugung in psychologischer Hinsicht nicht verschiedenen Anschlag als ein Symptom, einer Reibe von kraukhastcn Erscheinungen am Körper des deutschen Volkes. Wir haben schon erklärt, auf eine materielle Erörterung der Urtheile deü Monarchen vorläufig nicht eingehen zu wollen, möchten aber zur muthinaßlichen Ge nesis ter gegenwärtigen kaiserlichen Auffassungen mil- tl,eilen, daß auch ein sehr conservativer Publicist, ter sich in der „Täglichen Rundschau" zu den. Empfange im Schlosse vernehmen läßt, „zur Zeit", wie er sagt, „start" empfindet, dem Herrscher würden „die Dinge in einem dickte geschildert unv berichtet, wie cs der Wirklichkeit nicht ent spricht". Aebnlich hat sich kürzlich der conservative Freiherr v. Wangenbein, im Abgeordnetenhause geäußert. Uebrigcns erklärt selbst die „Kreuzzcitung". sie hätte „gegen die frei- inulhigo und ehrerbietige Bekundung einer Ausfassung, tie von tcrjenigen LeS Monarchen abweicht, gar nichts cinznweilven", sie sei „sogar ter Meinung, daß es Fälle giebt, in Lenen gerade die KönigStreue in Lieser Beziehung ein offenes Wort gebietet". Daß Blatt bat freilich gegründeten Anlas; zu dieser Rechtswahrung, denn es hat erst kürzlich über die Verleihung des Schwarzen Aeler- vrdt'nö an Len Herrn Roberts fick mit aufsehenerregendem „Freimut!)" ausgelassen, allerdings, wie gern anerkannt sei, auch mit „Ehrerbietung". Diese Meinungsäußerung der rechtScon- scrvativen „Krcnzzeituug" macht vielleicht auf den — nach unserer Meinung — in der letzten Schloßrede an gesprochenen preu ßische »Instiz m inister cinigeuEinLruck.uudwaSdasklerikale Schulgesetz anlanzt,auf da» in derselben Rede angespiklt Wor ten ist, so wird es vor Bewilligung LeS EanalS kaum ans der Bildfläche erscheinen. Man Lars also wahrscheinlich die Acten über die letzte Kundgebung Les Kaisers vorerst schließen. Der Versuch des Herrn Eugen Richter, sie und ihre Wiedergabe Lurch den Präsidenten vom conslitiitionellen Gesicktspuncle abfällig zu behandeln, ist mit Recht fehlgeschlagen. Tic Doctriu, daß der Präsident eines Parlaments Aeußerungen politiscyen Inhalt», die der Monarch zu ihm ohne Anwesenheit LeS verantwortlichen Minister» gethau, nicht reserircn dürfe, läßt sich hören, wie jede Doctriu. Aber Herr Richter handelte am Freitag nicht als Doktrinär. Vor Kurzem hat ter Präsident Les Abgeordnetenhauses auch eine kaiserliche Mitlheiliuig dem Abgeordnetenhaus; bestellt, aber Herr Richter schi'üeg, weil ihm der Inhalt, obwobt gleichfalls politischer Natur und gleichfalls ohne Auwesenheil eines Ministers vor getragen, nicht mißfiel. Der Freisinn hat eben nicht einmal mehr falsche Grundsätze, er hat gar keine Grundsätze mehr. Unter der Urberschrift „ithiuamü»«!" veröffentlicht die „Nativnalliberale Eorrespondeuz" in ihrer letzten Ausgabe Folgendes: „Manche Blätter sprechen neuerdings in« Rainen Deutschlands von den chinesischen Dingen, als ob in unserem Baterlande eine große Chiliamildlgkeit Platz gegriffen habe und als ob inan in Deutschland Lei, Zeitpunkt nicht erwarten könne, wo die deutschen Truppen ans China zurückgezogen werden. Gewiß ist der Wunsch ein sehr berechtigter, daß unsere Soldaten und die deut'cheu Schisse keinen Tag und keine Stunde länger in Petschili festgehalte» werde», als unbedingt nöthig ist. Dafür bürgt iudcsseu das Wort des Reichskanzlers, daß wir sroy sein würden, wenn wir China verlassen könnten. Ter Reichskanzler fügt« aber diesem Herzensergüsse hinzu, wir würde» China mit dem Wunsche verlasse», es so bald nicht anders iviederzusehen, als In Verfolgung unserer wirthschastlichen und kulturellen Mission. Die Erfüllung dieses Wunsches ist wesentlich davon abhängig, ob eS uns gelingt, unsere Beziehungen zu China in jo feste Verhältnisse zu bringen, wie das unseren Interessen entspricht. Feuilleton. isj Zwei Lrüder. Roman von Franz Rosen. SNiittruck virbeieii. XXVI. Als der Winker zu thauen begann, wurde Manfred ein Sohn geboren. Die Freude darüber enthob ihn Tage lang allen unliebsanun Gedanken. Als Peter kam, ihm Glück zu wünschen, lief er ihm mit au-gebreiteten Armen entgegen. «Mach' doch nur, und herrathe", rief er, „damit Du auch die» Glück kennen lernst. Denn nun ist es doch erst da» wahre!" Der in letzter Zeit so leicht gereizte Verkehr zwischen den Eheleuten war wieder eitel Wonne und LicbKseligkeit. Maria hatte alle Sorgen vergessen. Von geschäftlichen Dingen war keine Rede. Beide schienen nur noch in der neuen Zukunft zu leben, deren Wundcrthilr das kleine, dicke, rosige Geschöpf Da in der Wiege ihnen aufgeschlossen hatte. Maria war frisch und munter und immer guter Laune. Mutter und Schwestern leisteten ihr treulich Gesellschaft. Dann nnd wann kam ein« gut« Bekannte; einmal auch Elisabeth Lazinsky mit einem großen Veilchenstrauß, den ihr Mann dem jüngsten Regimentskameraden schickte. Trotz all dieser Abwechselung begann Maria es doch, je mshr sie sich erholte, je unliebsamer zu empfinden, daß Man fred jetzt fast jsdr-n Abend auSbtieb. Sie stellt« ihn endlich ernstlich darüber zur Rede. „Warum bist Du so oft fort? Was zieht Dich so un widerstehlich? Warum kannst Du nicht bei mir aushalten?" „Aber liebe» Herz — wa» soll ich denn Abends machen. — Du gehst frühzeitig zur Ruhe — Du kannst doch nicht verlangen, daß ich Wochen lang Abend» allein fitze!" „Da» Kind ist fast fünf Wochen alt, und ich bin munter wie ein Fisch im Wasser. Wenn ich wüßte, daß Du zu Hause bliebst, würde ich am Tage mehr ruhen und Abends bei Dir sitzen." „Das wäre Dir gewiß nicht gut. Wir sehen uns ja auch am Tage genug —* „So — nun, wenn es Dir genug ist, dann ist's ja gut — ich will Dir auch gewiß kein Hinderntztz sein. Ich denke nur manchmal, wieviel Dich diese Ausgänge, diese Verabredungen wohl kosten mögen." Manfred sah jäh zu ihr auf. Jede Spur von Unmuth war aus seinem in letzter Zeit viel frischer aussehenden Gesichte ent schwunden. „Manchmal bringen sie mir auch etwas ein!" sagte er ver schmitzt. Maria wurde ganz blaß vor ehrlichem Schreck. „Also Du spielst!" rief sie außer sich. Und dann glitt sic plötzlich von ihrem Stuhl auf den Teppich vor ihn hin und nahm« seine Hände in die ihren. „Manfred, wie kannst Du so entsetzlich ge wissenlos sein! Denkst Du denn gar nicht an mich — unser« Zukunft — unser Kind —" Ihm wurde sehr unbet>aglich zu Muthe. Er zog Maria auf seine Knie und drückte ihr Haupt cm seine Brust. „Aber, lieber Schatz — wie kannst Du das nun wieder so tragisch nehmen! Es ist doch nur ein ganz harmloses Vergnügen — nur so zum Zeitvertreib —" und er versuchte, mit den ver schwenderischen Liebkosungen Den Eindruck seiner unbedachten Wort« zu verwischen und sie wieder zu beruhigen. Es gelang ihm aber nur zum Thril. Wenn sie auch seinen Versicherungen, daß eS sich immer nur um Kleinigkeiten handle, Glauben schenkt«, so wußte sie doch genug von den Gefahren dieser verderblichen Leidenschaft, deren Gewalt schon Manchen zerschmettert«, der nur ein wenig mit ihr spielen wollte. Und wa» das Schlimmste war — er hatte ihr durchaus nicht ver- sprechen wollen, es nicht wieder zu thun. So behielt sie «in« nagende Unruhe im Herzen, die sich ver schärfte, wenn Manfred ihren heimlich forschenden Blicken ge flissentlich auswich; wenn er bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande — oft heimlich — noch spät Abends fortlief, und wenn er ihr gegenüber eine gewaltsame Heiterkeit nnd Unbe fangenheit zur Schau trug. Noch einmal wurden ihre Gedanken auf frohere Dinge ge richtet durch den Taufiag ihres Kindes. Rur der engste Ver wandten-undFreunde»kreis war geladen, aber es war doch eine ganze Zahl von Gästen, die sich erst feierlich um den kleinen, vlumengeschmückten Hausaltar und vann fröhlich um die voll besetzt« Tafel versammelte. Peter hatte Mühe, in diesen fröhlichen Ton mit einzu stimmen. Er empfand schmerzlich und sorgenvoll den Conlrast dieses heiteren Festes mit den ungeordneten Verhältnissen dieses Hause». Er sah^ daß Manfred trotz seiner Bemühungen, liebens würdig zu sein, nervös und reizbar war. Er sah NikolaS La zinsky an Diesem Tische essen und trinken und hörte ihn der Hausfrau Artigkeiten sagen — und es zuckte ihm in der Hand, ihn in das glatte Gesicht zu schlagen und ihm zu sagen: „Laß die Maske fallen nnd bctmitt Deine Beziehungen zu diesem Hause." Nur, wenn er Elisabeth ansah, kam es wie Ruhe über ihn, wie Erlösung aus einer quälenden Spannung; dann wußte er, daß es doch noch Wahrheit und Treue gäbe in der Welt der Lüge. Als der letzte der Gäste zu ziemlich früher Stunde das Haus verließ, wich die heitere Miene aus Manfred'S Gesicht und machte einem mieten, troftloscn Ausdruck Platz. Er ließ sich schwer in einen Sessel fallen und starrte trübsinnig vor sich hin. Maria, die nach dem Kinde gesehen hatte, blieb bei seinem Anblick er schrocken an der Thür stehen. „Aber, Freddi, was ist Dir?" „Ich bin müde", sagte er unwirsch. „Ich habe wohl auch zu viel getrunken. Der Kopf thut mir weh." Sie lachte. „Als ob Tu nichts vertragen könntest!" und dann begann sie, von dem so befriedigend verlaufenen Tage harmlos und heiter zu plaudern. Dabet ging sie im Zimmer hin unv her, hier und da eine Kleinigkeit ordnend oder .inem vor beigehenden Diener ein puar Worte zurufend. Die Schleppe ihres Hellen Kleides schleifte nachlässig über den Fußboden und nahm Stand und Flecke getreulich mit. „Du könntest Dir eigentlich das Kleiv aufnehmen, ivenn Du aufräumst", unterbrach er plötzlich gereizt ihr liebenswürdiges Geplauder. „Um es durch den Schmutz zu ziehen, war es zu theuer." Maria stand erschrocken still. Dann ärgerte sie sein Ton, und sie versetzte schnippisch: „Du hättest mir ja ein billigeres schenken tonnen." „Weiberlogik", brummte er. „Als ob Du mit einem billigen Stoff zufrieden gewesen wärst!" Sie zog es vor, sich nicht auf weitere Erörterungen einzulassen. „Du gehst nun wohl bald zu Bett", meinte er nach einer Weil«, indem er mühsam aufstand. „Der Tag war anstrengend genug für Dich." Sie sah ihn argwöhnisch an. „Was hast Du denn noch vor?" „Ich habe Lazinsky versprochen, noch .ine Stunde ins Casino zu kommen", enviverte er gleichmüthig. Maria stand ver steinert. „Heute — an unserm Tanflage — nein, Manfred, das ist zu arg. Wenn Du mich heut' allein läßt, wo ich mich so sehr auf eine gcmllthliche Stunde mit Dir freute — dann ist daS mindestens gefühllos." Er hörte ihr mit tiefgefalteter Stirn zu und rührte sich nicht. „Kannst Du es nicht noch avsagen!" ries sie ungeduldig. „Du hast ohnehin schon Kopfschmerzen." Da fuhr er auf. „Nein, das ist unmöglich: das verstehst Du nicht. Es ist jetzt 10 Uhr — hohe Zeit, daß Du zur Ruhe kommst. Ich bin auch bald wieder hier. Gute Nacht, Liebling." Er urinarmte sie hastig. Es sah aus, als wolle er noch etwas sagen — aber ee muhte ihm wohl unmöglich sein. Sie erwiderte seine Liebkosung sehr tiitzl und ging getränkt hinaus. Er sah ihr traurig nack. Als sich die Thür längst hinter ihr geschlossen, stand er noch immer mitten im Zimmer und stiert« auf dieselve Stelle mit einem ganz irren, abwesenden Ausdruck. Daim griff er sich mit beiden Händen nach 'dem Kopfe, als müsse er verhindern, daß dieser arme Kopf auseinanderplatze. Dabei stöhnte er tief auf. „Lieber Gott im Himmel — laß mich doch nur dies eine Mal noch durchkommen — ich verspreche Dir bei »inner Seele Selig teil, Laß ich dann vernünftig sein will!" Er stand noch eine Weile so; dann lief er hinüber in sein Zimmer unv warf sich mit solcher Wucht auf einen Strchl, daß das Holzwert knackte. Er vergrub die Hände in das dichte, blonde Haar, und so blieb er sitzen. „Lieber Gott, nur noch dies eine Mal! Dies eine, einzig« Mal!" Wenn er nur noch einmal Glück hätte, er wollte gewiß die Karten n-icht mehr anrühren. Diese Qualen waren ja zum Ber rücktwerden. — Er hatte ja schon einmal ein« Zeit lang tapfer widerstanden. Dann war er doch erlegen; aus Noth, wie er sich einredete. Er konnte ja Glück haben und dann ein paar Reck nungen bezahlen. Wie viele seiner Kameraden machten es so! — lind er hatte auch Glück gehabt, mitunter recht erheblich. Und da packte ihn die alte Leidenschaft wieder. Er tonnte nicht mehr anfhörcn; er spielte immer verwegener. Das Glück schlug um. Er verlor Sumuren, die ihn unv die Seinen zu Bettlern macken mußten, wenn er sie nicht wieder einbrachte. Heute tam der letzte, entscheidende Schlag. Dann wurde abgerechnet. „Nur noch dies «ine, einzige Mal!" Jetzt lag Maria woht schon zu Bett. Es war wirklich ge fühllos gegen sie, daß er sie heute Abend allein li«ß. Was lag daran — er that ihr ja viel Schlimmeres; er hinterging unv bestahl sie, sie und das Kind. Was sollte aus ihnen werden, wenn nein, er konnte daran nicht denken; es war zu fürchterlich. Ec sprang auf, hängte den Mantel um und schlich sich leise, wir ein Tieb, aus brr Wohnung. Vom Flur au» hörte er da»
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