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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010326025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901032602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901032602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-26
- Monat1901-03
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rvezugS-PrelS i« der Hauptexpeditio« oder de« im Stadt- bezirk u«d den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl..Si 6. Man abonntrt ferner mit entsprechendem Postausschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egvpten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr,, die Abend-Au-gabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: Iohannisgaffe 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm'- Sorilm. Umversitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Kathartneostr. 1^, Part, und Königsplatz 7. Abend-Ausgabe. UlMger Tageblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Natizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Dienstag den 26. März 1901. Anzeige« «Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen nnter dem Redactionsstrich ^4 gespalten) 75 H, vor den Famllteanach» richten («gespalten) 50 Ls. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Grtra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung «0.—, mit Postbesürderung »l 70.—. Annahmrschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Brrlag von E. Polz in Leipzig. 93. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Te la Reh geschlagen -p. Der bisher noch nie „geschlagene" Boerenführer De la Rey, der im westlichen Transvaal, hauptsächlich in den MagalieSbergen, seit Monaten den Engländern viel zu schaffen gemacht und ihnen mehrere Schlappen beigebracht hatte, hat nun auch eine solche erlitten, und sie ist, wenn die englische officielle Meldung nicht aä usum populi über treibt — nach dem Scheitern der FriedenSverbandlungen bat man ja irgend einen Erfolg dringend nötbig — bedauer licher Weise eine recht empfindliche gewesen. Man be richtet unS: * London. 26. Mär;. Lord Kitchener telcgraphirt aus Pretoria vom 25. Mär;: Tie Colonne vabing- to» griff südwestlich von UenterSdorp 1566 Boercn unter Te la Rey an, schlug sie völlig und verfolgte sie rasch. Sie crbentete 2 Feldgeschütze, 320 Geschosse, 1 Pompomgcschüy, 6 Maximgcschütze, 15 000 Kartätsche». 160 Klintcn, 5Z grötzcre nnd 24 kleinere Wagen. 140 Boercn wnrden gefangen, viele gctödtet und verwundet. Unser Verlust ist gering. Auffallend sind die angeblich sehr großen Verluste der Boeren, unv nach den Erfahrungen, die man in letzter Zeil mit derartigen englischen Meldungen gemacht hat, darf man wohl dem Zweifel Raum gewähren, ob die neun Geschütze und die Unmasse an Munition De la Rey im Kampfe abgenommen oder wieder — auSgegraben worden sind. Man bat nie ge hört, daß De la Rey über so viel Geschütze verfügte. Auf die Ehrlichkeit der officiellen englischen Berichterstattung wirft es ohnehin ein sehr verdächtiges Licht, daß über die amtlich zugegebene Niederlage, welche General Campbell kürzlich bei Standerton im Südosten Transvaals erlitten hat unv die ihm 200 Verwundete kostete, dis jetzt englischerseits das tiefste Stillschweigen bewahrt wird. Scheut das Kriegsamt in London in diesem Falle nickt vor einer offenbaren Bemänte lung eines empfindlichen Schlages zurück, so ist ihm auch zu zutrauen, daß es im anderen Falle, wo die Engländer einmal wieder einen Erfolg errangen, absichtlich übertreibt. Vielleicht kommt noch nähere Aufklärung. Die Wirren in China. -p. Noch immer liegt ein Conflict zwischen Rußland und den übrigen in der Mandschurei sowohl wie in Korea wesent lich inteiessirten Mächten in der Luft. Kaum ist ein strittiger Punct, äußerlich wenigstens, erledigt, so droht ein anderer das Conccrt der Mächte zu zersprengen. So wird jetzt aus Tokio gemeldet, daß die aufVeranlassung des russischen Bevoll mächtigten am Hofe in Söul, Pavloff, bewirkte plötzlicheEnt- lassung deSenglischenGeneraldirectors der korea nischen Zollverwaltung Mr. Brown in Japan den denkbar sck lech testen Eind ruck bervorgerusen hat,zumal vcr- lauiet, daß Mr. Pavloff an Stelle des Engländers einen Ruffen für diesen hochwichtigen Posten vorg. schlagen hat. Zapan kann natürlich diesen, selbstsüchtigen Auftreten Ruß lands in Korea nicht gleichgiltig zuseben und es überrascht daher nicht, daß im japanischen Kriegsministerium unausgesetzt Berathungrn statlsinden, die sich nicht nur mit der Lankes- vertheidigung, sondern auch mit den drohenden Möglich keiten eines AuSlandkriegeS beschäftigen. ES ist sehr wohl möglich, daß die militärische Partei im Lande stark genug wirkt, um an Hand der herrschenden anti-russischen Stimmung und der in Korea drohenden Gefahr die japanische Negierung zu zwingen, eine ausgesprochenere und rücksichts losere Politik gegen Rußland durchzuführen, als dies bisher der Fall war. Der japanische Vertreter in Seoul hat strikte Ordres, die koreanische Regierung weitestgehend in ihren Widerstand gegen die russischen Aspirationen zu unterstützen. Auch in den Vereinigten Staaten macht man sich darauf gefaßt, mit Rußland ein ernstes Wort reden zu müssen. Man meldet uns: * Washington, 25. Marz. („Reuter's Bureau.") In hiesigen amtlichen Kreisen ist man der Ansicht, daß die auf Ver anlassung Rußlands erfolgte Entlassung des Generalzolldirectors von Korea, Milcarz Brown, nicht ohne eine Gegenvorstellung seitens der Vereinigten Staaten bleiben dürfe, La die russische Herrschaft auf Korea eine völlige Verdrängung der dortigen amerikanischen Interessen bedeuten würde. Welche Gesinnungen gewisse Kreise in England selbst hegen, gebt aus folgender Meldung hervor: * Loudon, 26. März. (Telegramm.) Edward Grey hielt gestern bei einem Festmable der liberalen Imperialisten eine Rede, in der er hervorhob, der Conflict in China zwischen Rußland und England sei nicht so viel werth, daß man sich deshalb schlage. England müsse aber Rußland darauf auf merksam machen, daß dieses seine Bestrebungen auf eigene Kosten, nicht aber aus die Englands verwirkliche. Das wahre Interesse Englands in China liege in der Politik der offenen Thür. Wenn die Mächte versuchen sollten, besondere Privilegien zu erlangen nnd ihre ehrgeizigen Pläne auf Kosten Anderer zu verwirklichen, so würde daraus sicher ein Conflict entstehen. Wenn England nicht, wie bisher, mutbig zurückweicht. ES steht ja nicht bloS Ostasien auf dem Spiele. — Sonst liegen noch folgende Nachrichten vor: * Uokohama, 25. März. („Reuter's Bureau".) Im Ober- Hause erklärte der Minister des Auswärtigen auf eine Anfrage, Japan habe mit Rußland bezüglich des Mandschurei.Ab kommens keine Verhandlungen gepflogen. * London, 26. März. (Telegramm.) „Daily Chronicle' berichtet aus Hongkong unter dem 25. März: Der zur Zeit in Amoy ankernde Kreuzer „Terrible" hat telegraphisch die An- Weisung erhalten, sofort nach Taku zu gehen. * Tientsin, 25. März. („Reuter's Bureau") Der englische Missionar Stonehouse wurde in dem Dorfe Whangalo, wo sich eine Fähre über den Fluß Hunho befindet, zehn Meilen westlich von Tunganhsien, ermordet, als er unter die nolhleidenden Bc- wohner deS Dorfes Unterstützungen vertheilte. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. März. Die Ansprache des Kaisers an die Präsidenten des preussischen Abgeordnetenhauses beschäftigt begreiflicherweise »och immer den größten Tbeil der deutschen Presse. Ganz besonders aber die „Köln.Ztz.", die der kaiserlichen Kund gebung zwei längere Artikel widmet. Ter eine, an der Spitze der gestrigen Abendausgabe, entstammt anscheinend der Redaktion deS Blattes, der zweite in der heutigen Morgen ausgabe scheint officiösen Ursprungs zu sein. Der erstere betont das Recht deS Kaisers, in solcher Weise zum Volke zu sprechen, und die Pflicht des Letzteren, „den Ursachen und der Wirkung solcher Kaiserworte in freimüthiger Selbstprüfung nachzugeheu"; dann heißt eS: „Wir alle, alle Stände seien mitschuldig daran, so sagte der Kaiser, daß seit dem Tode Wilhelm's I. die Hochachtung vor der Autorität im Volke abgenommen habe. Wenn er dabei, was kaum zweifelhaft ist, vor Allem die kaiserliche Autorität im Auge hat, so wird Niemand ernstlich die Wahrheit dieser Worte bestreiten können; weniger Einmüthigkeit aber wird herrschen, wenn es gilt, die Schuld an solchem Zustande, von der der Kaiser sich selbst nicht ausschließt, nach Gebühr zu verthetlen. Die Autorität der Krone ist natur gemäß am größten und wird am bereitwilligsten anerkannt, wenn ihr Träger sich durch ruhmreiche, weithin hallende Groß- thaten in den Vordergrund der weltgeschichtlichen Entwicklung stellt. So wurde aus dem „Kartätschenprinzen", aus dem Könige, der in schwerem Verfassungsconflict mit seinem Volke stand, Wilhelm der Siegreiche, der Große, ein Abgott seiner Unterthanen, und auS seinem Minister,dem reichlich mit Haß beehrten „Junker" Bis marck der Conflictszeit eine ideale Heroengestalt, der getreue Ekkehart des Deutschthums. Vor dem Lichte, das solche Idealfiguren auch nach ihrem Tode noch ausstrahlen, mußten ihre Nach- folger nolhwendigerweise in den Hintergrund treten, zumal da der Ruhm jener auch auf das Volk abfärbte und eine völkische Wcrthschätzung zeugte, die an Selbstvergötterung und Selbstüber hebung grenzt, die stets bereit ist, an dem neuen Träger der Krone und seinen neuen Berathern nach dem Maßstabe ihrer großen Vor gänger zersetzende Kritik zu üben, die eS eben nicht liebt, daran er- innert zu werden, daß das Volk zu jenen Großthaten — man denke nur an den Krieg von 1866 — wider seinen Willen hat gezwungen werden müssen. Diese Erscheinung ist zu menschlich natürlich, um eine Eigenart unserer Zeit zu sein." Es wird dann auf Stimmen hingewiesen, die während und nstck der Regierung Friedrich s deS Großen laut wurden, und ,'r c Vermutbung ausgesprochen, nach dem Tode Friedrich s würde dec Ausdruck „ZickzackcurS", wenn er damals schon erfunden gewesen wäre, genau in dem Sinne gebraucht worden sein, wie nach dem Tode Wilhelm's I. Endlich wird betont, daß die patriarchalische Regierungsform deS aufgeklärten Despotis mus, die Friedrich dem Großen wie auf den Leib geschnitten war, der neuzeitlichen Regierungsform der konstitutionellen Monarchie Platz gemacht habe, durch die dem Herrscher wie dem Volke ganz neue Pflichten auferlegt worden seien: „Sie entlastet den Monarchen nicht von seiner Verantwortung, theilt ihm aber darüber hinaus die Ausgabe zu, aufmerksam den Pulsschlägen des Volkslebens zu lauschen und dafür Sorge zu tragen, daß seine Anschauungen und die seines Volkes möglichst harmonisch ineinanderfließen, niemals aber nach gegensätzlichen Richtungen aus einandergehen. Andererseits legt diese RegierungSsorm auch dem Volke als Ausgleich für sein Recht der Mitarbeit und Mit bestimmung bei der Staatslcilung zweifellos dieselbe Pflicht auf, darauf zu achten, Laß seine Anschauungen und Empfin- düngen, so weit nationale Angelegenheiten in Betracht kommen, nicht in unversöhnlichen Widerstreit mit denen der Krone gerathen; darüber hinaus aber belastet sie da» Lolk mit demjTheil« der ihm gebührenden Verantwortung. Gerade heute erscheint «S zeitgemäß, auch die Pflichten deS Volkes wieder einmal hervor zukehren, denn wenn sich diese Vertheilung von politischen Rechten und Pflichten im Bewußtsein deS Volkes verschoben haben sollte, so wird ein kräftiger, zur Führung bereiter Wille der Gutgesinnten genügen, um das Gleichgewicht wieder hrrzustelleu. Nur «in solch ebenmäßiger, verständn iß vollerAuS gleich derbeiderfeitig en Rechte, Pflichten und Empfindungen wird dem Herrscher wie dem Volke den Weg zeigen, der zu dem gemeinsamen Ziel, dem Heil unseres Vaterlandes führt; darum Achtung vor der Auto rität der Krone, Achtung aber auch vor der Aatoritüt des Volkes." Ganz ander- der zweite Artikel, der nur von einer Autorität weiß und natürlich auch nur eine solche geachtet und befestigt sehen will. Hier heißt eS: „ES ist in der That richtig, daß die Achtung vor de« Autoritäten im Volke abgenommen hat, nameutlich in der Jugend, und wir Alle haben dringend Ursache, dafür zu sorge«, daß diese Achtung vor den Autoritäten zurückkehrt und mehr al- bi-her befestigt wird. Daß gerade jetzt dem deutschen Kaiser, der auf sein Reich und seine Bürger so stolz ist, der sich rühmt, ein Deutscher zu sein und den stolzen AuSruf: civis germanu« zum jedem Deutschen in- Herz geschrieben sehen möchte, die Schattenseiten de- deutsche« Charakter-, das ewige Nörgeln, die Zwietracht und das Mißvergnügen, ganz besonders vor Augen treten, wa- könnte natürlicher sein! NufS Neue ist ibm klar geworden, in welch steter Gefahr das Leben eine modernen Herrschers sich befindet .... Und aufs Neue mußte dem Kaiser in diesen Tagen vor Augen treten, wie vielseitig sein unermüdliches Schaffen für des Reiche- Frieden und Gedeihen auf Verkennung, auf Verhöhnung, auf bittere Gegnerfchaft gestoßen ist. Kann man es nicht dem Kaiser nach'ühlen, daß in diesen Tagen, in denen er nicht lesen und schreiben und arbeiten konnte, in denen er stundenlang allein mit seinen Gedanken war, gerade die Erinnerung an alle diese gegen seine Bestrebungen gerichteten An griffe und die Sorge über manche schwere Auswüchse deS moderne« Lebens vor feinen Geist trat und ihn gedrängt hat, ihr öffentlich Ausdruck zu geben, um zn mahnen und zu bester» ? War habe« selbst die vornehmsten Kreise in den Jahren seit seiner Regierung dem Kaiser Alles angedichtet» wie hat die Verleumdung über unheilbare Krankheiten, über unermeßliche Schulde« Gift auS- grstreut, wie sind die Pläne und Unternehmungen, denen er sein besonderes Interesse zuwandte, gerade um deswillen der Gegenstand schärfster und bitterster Opposition gewesen, wie haben die bekannten Wochenschriften, gewisse Witzblätter immer und immer wieder, und leider unter Duldung und Förderung der sogenannten gebildeten Kreise, in Bosheit und Verzerrung gegen den Kaiser uad seine Bestrebungen gcwüthctl" Man ersieht daraus, daß nicht einmal in ein und dem selben Blatte Einmüthigkeit herrscht, „wenn e» gilt, die Sckuld an einem Zustande, von der der Kaiser sich selbst nicht ausschließt, nach Gebühr zu vertheilen". Der Kaiser selbst wird aus beiden Auslassungen erseben, wie verschieden die Wirkung seiner Kundgebung ist und wie sehr diese einer Ergänzung durch keiner Mißdeutung unterliegende Hand lungen bedarf, wenn die gewünschte Wirkung herbeigeführt werden soll. Ist die zweite Auslassung osficiöS, so wird man annehmen dürfen, daß Maßnahmen geplant sind, bei deren Fenrlleton. Zwei Lrüder. Roman von Iranz Rosen. Nachdruck vttbotni. Während all dieser Vorgänge lief Manfred in der Stadt herum, mit schmerzendem Kopf nnd hämmernden Pulsen, von einem Juden zum andern. Keiner wollte ihm das Geld geben, das er brauchte, um sich zu retten. Sie wußten Bescheid mit ihm. In seiner Verzweiflung nahmen seine gemarterten Gedanken hartnäckig immer wieder den Weg — die hohen Treppen hinauf in seines ernsten Bruders einsame Wohnung. Nie im Leben hatte er solche Sehnsucht nach ihm gehabt, als an diesem Tage. Nie im Leben hatte er sich so vor ihm geschämt, als gestern, an dem fröhlichen Festtage, wo er zu fühlen meinte, wie Peter s Augen seine heitere Maske durchschauten und bis auf den trüben Grund seiner gehetzten Seele vorwurfsvoll blickten. Aber was sollte er bei ihm? Sich noch einmal von ihm hel fen lasten? Es war nicht anzunehmen, daß Peter das noch mals thun würde. Und eine Fehlbitte zu wagen — dazu war Manfred auch jetzt noch zu stolz. — Oder, wenn Peter ihm den noch helfen wollte — er könnte es nur, indem er sich selbst seines Letzten beraubte. Und das konnte Manfred nicht annchmen, so lange er noch einen Funken Mannesehre in der Brust hatte. Zwar — Maria — und das Kind — der Kopf ging ihm fast auseinander, wenn er ihrer dachte. Ihretwegen brachte er am Ende auch noch das Letzte fertig — ihretwegen vielleicht würde Peter sich erweichen lasten. — Nein — es wäre erbärmlich. Sein redliches Denken sollten selbst Weib und Kind ihm nicht nehmen. Redlich! War er denn noch ein reolicher Mensch? Er lachte auf und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. Ach, er sehnte sich nach Peter, bis zur Verzweiflung. Weniger nach seiner Hilfe, als nach seiner Liebe, nach seiner starken, be ruhigenden Anwesenheit. Aber dies eine Mal endlich mußte er sich selber durchfinden, sich selber zu helfen wissen. Dies eine Mal, — und wenn er sich nicht durchfand? Alles begann vor seinen Blicken zu tanzen und zu flimmern. Er sah ganz ferne, entlegene Dinge — seine behagliche Stube — seine ganze Wohnung — sein junges Weib — sein Kind — Alles drehte sich wie in einem unheimlichen, geheimnißvollen Trichter — immer schneller — immer tiefer — uüd endlich verschwand Alles in einem bodenlosen Nichts. Er allein war noch übrig. Was fing er nun mit sich an? — Er taumelt« mehr, als das er ging, aus der Enge der Straßen in die abendliche Frische der Anlagen, den entlegenen Theilen zu. Birken und Buchen durchströmten aus üppig schwel lenden Knospen und jungem Blattwerk die Luft mit einem star ken, betäubenden, nervenerregenden Duft. Er sog ihn gierig ein, ohne es doch recht zu merken. Auf einer verlassenen Bank knickte er zusammen. Er hatte keine einzige Hoffnung mehr. XXVIII. Peter kam an diesem Abend erst spät nach Hause. Er hatte mit Bekannten gegessen und machte nun noch einen Umweg durch die Anlagen und am Friedhof vorbei. Nur wenigschattenhafte Gestalten begegneten ihm auf seinem Wege. Das Mondlicht lag hell auf Häusern, Büschen und Bäumen und warf scharfe Schatten über das graue Pflaster und den gelben Kies. Die Nachtigallen sangen überlaut, und der Fluß rauschte verschlafen. Es war eine zauberhafte, Helle, warme, träumerische Früh lingsnacht. Peter ging sehr langsam; er versuchte zu vergessen, was ihm Sorge und Weh schuf und von dem Kampfe des Tages aus zuruhen in diesem unschuldigen, ahnungslosen Frieden. Daheim angelangt, hatte er noch eine Arbeit zu beenden. Er schickte Karina, 'die ihn erwartet hatte, zu Bett uNd setzte sich an den Schreibtisch. Bald herrschte lautlos« Stille um ihn her. Eine Stunde mochte vergangen sein, als der scharfe Ton seiner Klingel ihn zusammenfahren machte. Er erhob sich schnell, ging hinaus und öffnete. Der Schein der Lampe, die er in der Hand trug, fiel auf das bärtige Gesicht eines ältlichen Mannes in Arbeitertracht, der seit Menschengedenken das Todtengräber- amt auf dem Anlaaen^Friedhof verwaltete. Der Mann machte ein verstörtes Gesicht, sah Peter rathlos an und drehte krampf haft die abgegriffene Mütze zwischen den großen Fingern. „Was gisbt's denn, Alter? was wollt Ihr noch so spät von mir?" fragte Peter, der sich nicht erklären konnte, was ihm diesen nächtlichen Besuch verschaffte. Der Mann umklammerte seine Mütze noch krampfhafter, schluckte und würgte ein paar Mal und fuhr endlich mit verzweifeltem Entschluß heraus: „Ach — daß Gott erbarm' — es ist ein schlechtes Geschäft, solche Botschaften bringen —" und zitternd setzte er hinzu: „Eben hat sich der junge Herr auf dem Grabe der seligen Frau erschossen." Es war, als hab« der Schuß, von dem der Alte sprach, Peter ins Herz getroffen. Er wurde ganz weiß, lehnte sich gegen die Thür und schloß einen Augenblick die Augen. Dem alten Mann war das Schweigen unheimlich; muthiger fuhr er fort: „Ich mußt' mir keinen andern Rath, als hierher zu laufen — die Wohnung des jungen Herrn kenne ich nicht, macht' auch nicht so vor die junge Frau treten. Sie sind immer wie ein Bater zu ihm gewesen — schon wenn Sie vor Jahren — Jesus Maria, Herr, was ist mit Euch —" Aber Peter hatte die momentane Schwäche schon überwunden und richtete sich auf. „Kommt herein", befahl er dem Alten, ging voran, machte die Thür hinter ihm zu und stellte die Lampe auf den Tisch. „Seid Ihr gewiß, daß Ihr Euch nicht irrt?" fragte er mit unnatürlicher Ruhe. „So gewiß, wie daß ich jetzt vor seinem Bruder stehe! Habe den jungen Herrn zu gut gekannt und er hat mir ja selbst ge'sagt, er wolle zu seiner Mutter —" „Erzählt — Alles, was Ihr wißt!" befahl Peter weiter. Er setzte sich und vernahm mit steinernem Gesicht, was der Mann zu erzählen hatte. „Es ist wohl zwei Stunden her — ich wollt' eben das eiserne Thor schließen, da kommt er an, mit langsamen, schleppenden Schütten, und ich überleg' mir, ob er sich etwa zu viel aethan hat. Warum ich schon zumache? fragt er, ob ich keinen Platz mehr habe? O ja, sag' ich, Platz ist schon noch genug, aber spät ist's. Da legt er mir die Hand auf den Arm und zieht mich vom Thor zurück. Ich möcht' noch ein Weilchen warten, er wollt' sich nur ein wenig ausruhen bei seiner lieben Mutter, meint er; er sei so ein gehorsamer Sohn gewesen, sie würd' sich gewiß freuen, ihn wiederzusehen und mehr solch wunderliches Zeug. Da ich ihn kannte, that ich ihm den Willen und ließ ihn ein und setz mich auf die Steinbank am Thore und wart' auf ihn. Aber da hatt' ich gut warten — er kam nicht. Und plötzlich hör' ich einen Schuß. Ich weiß, es ist Niemand auf dem Kirchhof, außer ihm — ich stürze bin — und da liegt er " Dem Manne versage vor Aufregung die Stimme. Lange blieb es todtenstill im Zimmer. "lüsten holen", sagte 'Peter plötzlich sich erhebend. Als sie eben die Wohnung verlassen wollten, kam Karina auf den kleinen Flur geeilt. Sie war, durch die Klingel geweckt, schnell in die nöthigsten Kleidungsstücke geschlüpft und blieb beim An blick der beiden Männer erschreckt stehen. „Karina", sagt« Peter mühsam, „mach' mein Bett frisch zu- recht — für Manfred — es ist ihm ein Unglück geschehen, und ich werde ihn hierberbringen." Mit offenem Munde starrte sie ihm nach. Er aber kehrte sich nicht weiter an sie und folgte dem Manne nach, der sich mit seinen schweren, lautknarrrnden Stiefeln die Treppe hinunter tastete. Schnell und schweigend legten sie den langen Weg zurück. An der Kirchhofspforte blieb Peter stehen. „Besorgt inzwischen einen Wagen, ich finde ihn auch allein." Entschlossen schritt er den schmalen Steg hinauf, bis sich in dem Gewirr von Bäumen und Büschen deutlich die Umrisse der alten Traueresche abzeichneten. Da hielt er einen Augenblick inne. Die Furcht vor dem Schrecklichen, das er dort finden würde, übermannte ihn. Dann raffte er sich auf und legte ohne Zaudern das letzte Wegstück zurück. Aber erst, als er dicht am Ziele stand, hob er den Kopf und schlug die Augen auf — Quer über dem grünen Hügel, das Gesicht in den üppigen Epheu gedrückt, die Arme weit von sich gestreckt, als habe er sie im Fallen noch nach irgend Jemand voll Sehnsucht ausgebreitet, lag der Lodte. Das Mondlicht funkelt« in den Knöpfen und Schnüren der Uniform und blinkerte lustig auf dem polirtrn Lauf der kleinen Pistole, die neben dem Grabe auf der Erde lag. Weiter fort, mitten auf dem Wege, lag die blauweiße Mütze. Im Eschenbaum sang eine Nachtigall. — Ihr schwermüthig jauchzendes Lied brachte Peter zur Be sinnung. Er kniete neben Manfred nieder und ergriff die Hand, die ihm zunächst lag. Sie war schlaff und kühl. Er versuchte, den Kopf zu wenden, um ihm ins Gesicht sehen zu können; wider standslos gab er dem Drucke nach, und Peter's Finger färbten sich roth von dem warmen Blut, das in einem langsamen, schmalen Strom aus einer kleinen, schwarzen Wunde in der Schläfe rann. Peter's starkes Herz erbebte. Er ließ den blonden Kopf los, nahm den schweren, leblosen Körper fest in di« Arme, dreht« ihn um und legte ihn so, daß er ausgestreckt im Grase ruhte und nur der Kopf sich, wie auf einem weichen Kissen, auf dem sanft gewölbten Hügel bettete. Dann drückte er ihm die Augen zu. Und nun sah er ihm lange und zärtlich in das blasse, starr« Todtengesicht. Es war nicht entstellt, nicht schmerzverzerrt. Er batte aut gezielt. Um den Mund, den sonst meist das Lachen sorgloser Lebensfreude umspielte, lag ein tiefer, trauriger Ernst. Und unaufhörlich, still und leis«, rann das warme Blut. „Manfred — mein Junge, — mein lieber, lieber Jung« — warum hast Du das gethan!" Aber vergeblich forderten sein« flehenden Augen, seine streichelnden Hände den festgeschlossenen Lippen eine Antwort ab. Mit widerstrebenden Fingern begann der kniende Mann seines Bruders Taschen zu durchsuchen. Die Uhr, «in Messer, ein Bild von Marie, eine Geldtasche mit wenig Inhalt; und endlich «in Notizbuch, in dem ein loser Zettel lag. Mühelos ge lang eS Peter, im Hellen Mondschein zu lesen, war darauf ge schrieben stand. "
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