Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000206022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900020602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900020602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-02
- Tag1900-02-06
- Monat1900-02
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Li« Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nedaclion und Expedition: Aoha»ni»sasse 8. Di«Expedition ist Wochentags ununterbrochen ^öffnet von früh S bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm'» Gartt«. UniversitStsstrahe 3 (Paulinum«, Laut» Lösche, Latharinenstr. 14, part. und Königsplatz 7. VezugS'PreiS I» d« Hauptexpedttio« oder den i« Stadt - bezirk und den Bororten errichtete« Aus- aabestelle« abgeholt: vierteljährlich ^l4.50. vei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau- ^l ÜLO. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Dirrcte tägliche Krenzbandtendung inS Ausland: monatlich -/L 7.50. Abend-Ausgabe. UcWigcr Tagcblatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Molizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Z«7 Dienstag den 6. Februar 1900. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile -0 Pfg. Reklame« unter dem RedacttonSstrich (4ge- , spalten) 50 vor den FamUtr»Nachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra»Vrilagen (gefalzt), nur mit der Nlorgen-AuSgäb«. ohne Postbeförderung ^ll SV.—, mit Postbeförderung 7V.—. ^.unahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Bei de« Filiale» und Annahmestellen j« eine halbe Stunde froher. Anzeigen sind stet» an di« Expedition zu richten. »» Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. St. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Februar. Während es nach den letzten Mittheilungen der „Ger mania" als feststehend angenommen werden muß, daß vr. Lieber für geraume Zeit parlamentarisch in der Alottenangele»enheit nicht wird lhätig sein können, tritt der Abg. Müller-Fulda auf den Plan, gleichfalls als ein zu Vermittelungsarbeit nicht ungeeignetes und als solches nament lich auch schon in Marinefachen bewährtes Mitglied de» Centrum«. Herr Müller ist merkwürdiger Weise durch die Nationalliberalen seines Wahlkreises zu einer Meinungs äußerung über die Flottensrage angeregt worden. Eine nationalliberale Wählerversammlung, welche am 7. v. M. in Höchst a. M. stattgefunden, hatte folgende Resolution gefaßt: Die Versammlung hält im Interesse der Aufrechterhaltung unsere» Handels und im Interesse de» Fortschritt» unserer gesammten Wirth- schaftllcheu Entwickelung eine Vermehrung unserer Kriegsflotte sür unbedingt geboten; sie begrüßt daher freudigst dir auf die Ver größerung der Flotte gerichteten Bestrebungen der ReichSregierung und erwartet, daß der Reichstag dazu helfen wird, diese Bestrebungen zu verwirklichen. Diese Resolution war durch den Vorsitzenden des national liberalen Vereins am 20. v. M. an Herrn Müller als Ver treter des ersten nassauischen Wahlkreise- (Homburg-Höchst- Usingen-Idstein-Hofhrim) eingesandt worden. Herr Müller hat darauf folgende Erwiderung gegeben: Berlin, 31. Januar 1900. AuS Ihrem Geehrten vom 20. d. M. ersehe ich, daß die dortige Aählrrversammluug sich für ein« Vermehrung der deutschen Kriegsflotte auSgesprvchen hat. Die große Mehrheit d«» Reichstag» hat seit Jahren den gleichen Standpunkt eingenommen und die Au-goben sür Marinezwecke in stetig steigender Höhe bewilligt, nämlich: für da» Jahr 1895 .... 81679343 ./k . - - 1896 . . . . 86 259 906 - - - - 1897 .... 117525494 - - - - 1898 . . . .121 741548 - - - - 1899 .... 133413619 - Hiervon für Schiffsneubauten und Armirung: für da» Jahr 1895 .... 20943 000 - - - 1896 .... 26418000 - - - - 1897 .... 49 088000 - . . - 1898 .... 51812 000 - - - - 1899 .... 57155000 - Nach dem zur Zeit geltenden Flottengesetz werden diese Ausgaben auch in den nächsten vier Jahren eine weitere namhafte Steigerung erfahren. Wenn die Stärkung der deutschen Kriegsflotte scheinbar nicht in gleichem Maße mit den dasür bewilligten Mitteln vorangegangen ist, wen« insbesondere ein Theil der in den Jahren 1890 bis 1895 hrrgestellte« Schiffe Len Erwartungen nicht entsprochen Hot, so liegt dies a« außerhalb der Mitwirkungsbefugniß de» Reichstag» stehenden Ursache». Der jetzt vorliegende neueste Flottengesetzentwurf bedarf noch einer eingehende» Prüfung, welche demselben zunächst in der Reich»- hanshaUscommission zu Theil werden soll. Hierbei wird auch erwogen werden müssen, in welcher Weise die dadurch bedingte Vermehrung der Ausgaben-« decken ist. Es dürfte kaum angängig sein, auch fernerhin di« Deckung der gesummten Au-gaben für die Lande», vertheidigong, die colonialen Unternehmungen, den Schutz de» Handels und der Schifffahrt durch solche Steuern aufzubringen, welche gerade die unbemittelten Elassen, insbesondere die Arbeiter- und die ärmere bäuerliche Bevölkerung, die ohnehin einen schweren Kampf um ihre Existenz zu bestehen hat, am meisten belasten. Im Uebrigen dürfen Sie bei mir ein volle» Berständniß für die Wichtigkeit unseres Handel» und unserer wirthschaftlichrn Entwicke lung vorauSsetzen. Mit aller Hochachtung Richard Müller, Mitglied de» Reichstag». Ungefähr so würde sich wohl auch Herr Lieber in diesem Stadium ausgesprochen haben. Die Erklärung des gewandten kurhessischen CentrumSmanne« läßt allen diSber gebegten Hoffnungen und Befürchtungen Spielraum. Herr Müller verweist aus die Budgetcommission des Reichstags, jenen glatten Boden, auf dem die Diplomatie eine größere Rolle spielt, als jemal-auSdcnbekannt werdendenBerhandlungSberichten erhellt. Während der Commissionsverhandlungen, die sich beliebig auSdehnen lassen, seit vaS Centrum die ausschlaggebende Partei ist, ist schon häufig allerhand gescheben — und die Vermuthung, daß der letzte Schrei nach Aufhebung deS 8 2 des HesuitengesetzeS, den die „Germania" auS- stieß, mit der Flottenvorlage Zusammenhänge, wird auch von der „Nationalzeitüng" ausgesprochen. Daß die zweideutige, theil« geradezu slottenseindliche Haltung der agrarischen Presse, weil sie, wie hervorgeboben, auf etwaige Wahlen einwirken könnte, die geschäftliche Position de« CentrumS erleichtert, braucht nicht näher auSeinandergesetzt zu werden. Die „Deutsche Tageszeitung" ergeht sich übrigens heute in einer Betrachtung, die zwar auch nicht frei von Winkel zügen ist, aber wenigstens nicht die Behauptung wiederholt, die Flottenvorlage richte sich gegen die Landwirthschaft. Viel leicht hat eS einigen Eindruck bervorgebracht, daß ein auf der äußersten Rechten stehendes Blatt die Berliner Leitung des Bundes der Landwirthe darauf aufmerksam machte, daß die Zuckerindustrie, also ein landwirthschaftlicbeS Gewerbe, mehr als andere Industrien zu fürchten hätte, „wenn das Aus land sich gegen Deutschland noch mebr abschlösse, weil «S die Macht desselben nicht zu fürchten hätte" — jedenfalls eiue gegenüber der Bundesleitung angebrachte Erinnerung, denn der beliebteste Sport dieser Herren ist, wegen der Benachtheiligung deS deutschen Zuckers aus einen Bruch mit Amerika zu dringen, ein Unternehmen, daS an sich nicht unbedenklich, aber jedenfalls durch die publicistische Verdichtung der Parole „keine Kähne" nicht gefördert wird. Wollen und können wir trotz Allem hoffen, daß die Agrarier, vornehmlich unter dem Einfluß der Conservativen, aufhören, dem noth- wendigen nationalen Werke Hindernisse in den Weg zu bauen, so sollte man daS von Behörden erst recht erwarten dürfen. Was die deutschen Burschenschaften soeben über frühere Mißstände in der Flottenagitation erklärt haben, gilt tatsächlich vielfach noch heute. Doch dieses Capitel soll nicht aufgeschlagen werden, aber zwei Erscheinungen der jüngsten Tage fordern die Beachtung gebieterisch heraus. Ein sehr flottrnfreundlicheS preußisch-hessisches Blakt beklagt sich über eine Veranstaltung, die zu Gunsten der Flotte angeordnet war, aber ihrer Natur nach den entgegeusetzten Zweck erreichte. Ein Osficier in Uniform (kein Marmeofficier) kündigte «ine Flottenversammlung an, die auch stattfaud, aber unter gering fügigster Betheiligung des PublicumS, die durch die zahlreich anwesenden — Soldaten politisch nicht ersetzt wurde. Hinsichtlich der Freiwilligkeit der Theilnahme der Mann schaften herrschten Zweifel, im Ganzen machte. waS man dem erzählenden Blatte wohl glauben kann, das Arrangement einen schlechten Eindruck. Und zweiten«: Wie gar nicht mehr zu bezweifeln, vielmehr durch Beispiele aus BreSlau, Berlin, Stettin belegt ist, wird ia den preußischen Schulen die da« freie Treuverhältniß zum Monarchen be singende Strophe der preußischen Nationalhymne nicht mehr gesungen werden. Die Strcphe lautet: Nicht Roß. nicht Reisige Sichern di« steile Höh', Wo Fürsten stehn; Liebe de» Vaterland», Liebe de» freien Manns Gründen Len Herrscherthron Wie Fel» im Meer. Die Ausmerzung dieser Verse, deren Absingung bisher den Charakter des preußischen Volkes als eines Volke« in Waffen nicht beeinträchtigt batte, macht auch_ keinen der Flottensache zuträglichen Eindruck. Könnte man sich daS nicht selbst denken, so würde man darüber durch die Glossen belehrt, die demokratische süddeutsche Zeitungen zu dem neuesten Schritt auf dem Wege der Wegräumung bewährter Traditionen machen. Es wundert uns nur, daß diese Zei tungen aus dem Schritte nicht den für die Flottengegner sehr verwerthbaren Schluß ziehen, auch der neue preußische Unterrichtsminister vr. Studt sei ein solcher Gegner. Der natio nalsociale Führer Ti schen d örfer empfiehlt als ein Mittel, die socialdemokratischcn Gewerkschaften zu „neutralifiren". den Eintritt von Nichksocialdemokraten in dieselben. In den socialdemokratischen Arbeiterkreisen richteten Angehörige anderer Stände, auch wenn sie mit Engelszungen redeten, fast gar nichts auS; eine um so größere Aufgabe habe der nichtsocialdemokratische Arbeiter. „In seiner Gewerk schaft", schreibt Tischendörfer wörtlich, „muß er (der nicht socialdemokratische Arbeiter) nach deren Satzungen und, weil sie selbst zur Erreichung ihrer Zwecke auf große Mitglieder zahlen angewiesen ist, ausgenommen werden. Dort kann er für eine besonnene, objective Behandlung der Arbeiterfrage thätig sein und dadurch ein Verstandniß für andere Auf fassungen anbahnen, um die abgebrochene Brücke zwischen der Arbeiterschaft und dem Bürgerthume wieder aufzurichten." Etwas Wahres ist au dieser Ausführung zweifellos. Wie eine Kirche nicht durch Leute reformirt werben kann, die außer ihr stehen, so kann auch eine socialdemokratische Gewerk schaft nicht von außen her zu einer inneren Wandlung gebracht werden. Aber wer einen bedeutenden Einfluß in einer Körperschaft, in die er zu diesem Zwecke eintritt, ge winnen will, muß wenigstens die wichtigsten Ziele mit der Mehrheit der Körperschaft gemein haben, sonst begegnet er von vorn herein einem unüberwindlichen Mißtrauen, daS jede Einwirkung unmöglich macht. Oder glaubt Herr Tischen dörfer vielleicht, einige Dutzend Protestanten könnten durch den Uebertritt zur katholischen Kirche in dieser einen reforma torischen Einfluß gewinnen, und würde er solchen Uebertritt ebenso empfehlen, wie er den Eintritt nichtsocialbemokratischer Arbeiter in socialdemokratische Gewerkschaften empfiehlt? Sicherlich nicht. So ist e« denn erfreulich, daß der „Evan gelische Arbeiterbote" die Mahnung Tischendörfer'« zurückweist und die Gründung besonderer Gewerkvereine empfiehlt, die durch vorbildliche Thätigkeit Anziehungskraft auf die besonnene« Arbeiter auSüben. In den Räumen deS ReichSralhS-Präsidium« in Wien fand gestern die erste Sitzung der von der Regierung zur Schlichtung der nationalen Differenzen in Böhmen un- Mähren einberufenen Konferenz statt. Von Seiten der Re gierung waren anwesend: Ministerpräsident von Körber, Finanzminister von Böhm, Iuslizminister von Spen«, der Minister sür CultuS und Unterricht von Härtel, Minister vr. Rezek, Handelsminister von Call und Ackerbauminister Freiherr Giovanelli. Ministerpräsident von Körber be grüßte die Versammlung und dankte den Mitgliedern dafür, daß sie der Einladung der Regierung gefolgt seien. „Ich betrachte", fuhr er sodann fort, „schon Ihr Erscheinen al» einen Erfolg nicht der Regierung, soadern der hochwichtigen Sache, die un« hier versammelt, denn wir wollen Frieden stifte« ia diesem allen ehrwürdigen Reiche, da» schon allzu lange durch de« unseligen nationalen Kampf zerklüftet und in seinem wirthschaftlichrn Gedeih«« schwer geschädigt wird. Wenn Sie um sich blicken, meine Herren, so finden Eie, daß diejenigen Staaten am mächtigste« gebiete«» deren Bürger in rinträchtigem Bemühen der Größe und dem Ruhm« ihre» Lander zustreben, und sehr« in diese» Reichen alle Hand« bei der Arbeit, die geistigen und materiellen Reichthum schafft. Bei un» ist e» leider nicht so. Der unausgesetzte nationale Kampf hat alle Zuversicht, alle- Selbstvertrauen, alle freudig« Schaffenskraft zurückgedrängt. Hören Sie aber die Stimm« unsere» tüchtigen, so reich begabten Volke», so vernehmen Sie au» allen Lagern den sehnsüchtigen Wunsch nach Ruhe und Frieden. Allgemein ist die Ueberzeugung, daß e» kein größeres Glück für unser Reich gäbe, al» wenn an die Stelle der fortwährende«, jede Sammlung und Consolidirung hindernden Streite» «in« Politik der Eintracht und der wirthschastlichen Kraftevtfaltung träte. Führe« wir die nationale Frage mit männlicher Ruhe auf ihren sach lichen Kern zurück; die Schwierigkeit«« sind nicht so groß, daß sie nicht überwunden werden könnte«. Trotz aller Kämpfe be lebten Jahre« Hot sich in einigen Punkte« eine Annäherung der Anschauungen vollzogen. Wenn Sie, meine Herren, in Ihre« Be- rathungen die Differenzpunct« wohlwollend und in allseitig versöhn licher Stimmung zu mildern und au»zugl«iche« trachten, dann werden Sie wenigstens «ine Zeit der Erholung gewinnen, di« gestattet, alle Um- sicht und Energie den dringenden wirthschaftlichen Fragen zuznwenden, und haben wir hier erst de» Erfolg, so ist mir nicht bange, daß der Wohlstand de» Reiche» dereinst da» stärkste Argument sür den dauernden inneren Frieden sein wird. Der Regierung schwebt al» Ziel vor, die Machtfülle de» Staate» ia den Dienst der Eultur und der DolkSwirthschaft zu stellen, an Ihnen ist rS, meine Herren, di* Voraussetzungen für eine solche Politik zu schaffen. Ich darf sage«, meine Herren, daS Reich blickt auf Sie, geben Sie ihm sei« Glück und seine Ruhe wieder." Hieraus gab Abgeordneter vr. Engel im Namen der Vertreter der böhmischen Volksparteien auS Böhmen unv Mähren eine Erklärung ab, in welcher er sagte, daß die Be theiligung der genannten Parteien, da ein Verhandlungs programm bisher nicht bekannt gegeben worden sei, vor läufig nur einen informatorischen Charakter haben könne, daß man aber gern bereit sein werde, an einer Einengung des nationalen Kampfe« ehrlich mitruwirken. Als ersten Schritt hierzu bezeichnete Redner die Nothwendigkeit der Regelung der Sprachenfrage und betonte, daß eine Tbeilnahme an Conferenzen für die Haltung der böhmischen Volksparteien im Abgeordnetenhause kein Präjudiz bilden werde. Sodan« drückte Abgeordneter Funke die Geneigtheit au», an der Herstellung geordneter Zustände mit zu arbeiten, und fügte hinzu, daß eS zweckmäßig sein werde, sich aus diesen Conferenzen lediglich mit der Sprachenfrage in Böhme« und Mähren zu beschäftigen. Redner hob hervor, daß die gesetzliche Regelung der Sprachenfrage und die Aufrecht erhaltung der einheitlichen Verwaltung nicht nur mit dem allseits gewünschten ungestörten Zusammenleben aller Nationen in Oesterreich wohl vereinbar, sondern auch von der Macht stellung und dem Ansehen de« Staates untrennbar sei, und sprach den Wunsch auS» daß die Resultate der Conferenzen 30) Die ganze Hand. Roman von HanS Hopfen. Nachdruck »erboten. Wendewalt konnte nicht wissen, wie wahr er zu seinem jüngeren Freunde gesprochen hatte, wie jedes Wort gleich einem Feuertropfen brennend in dessen arme Seele fiel. Dange stand dieser brütend da, nicht» um sich her gewahrend, die geballt« Faust vor der Brust, wie Einer, der sie mit dem Ge- fiändniß erschüttert: ruea culpa! — Dieder gingen Wochen in» Land, der Gommer wurde warm, und die Geschäfte de» Generals in Berlin konnten, soweit sie nicht bereits erledigt waren, von einem Nachfolger übernommen werden. Er selbst aber drängte um so lebhafter zur Vermählung, als er mit seinem jungen Weibe nicht in der heißen Jahreszeit — die ungefähr unserem Berliner Winter entspricht — in seiner tropischen Heimath eintreffen wollte, wo ein Eingewöhnen schwer wird und böse Fieber auf den in anderen Welttheilen geborenen Ankömmling lauern. Rands, die sich lange gegen jede Beschleunigung gesträubt hatte, war endlich selbst dafür, die Hochzeit demnächst zu feiern. Den wahren Grund anzugeben, hielt sie nicht für nöthig. Sie sagte scherzend, sie wolle doch noch vor ihrem dreißigsten Geburts tag unter die Haube kommen. Und so ward eines Tage« mit vornehmer Schlichtheit und doch mit genügendem Pomp die Verheirathung de» vielgenannten Ge sandten und Ministers mit der schönen Nanda von Wesselbrunn gefeiert. Botschafter und andere hohe Würdenträger nahmen an der kirchlichen Ceremonie wie an dem köstlichen Diner Theil und Alma Seckenstedt hatte ihren großen Tag. Gie sah wie ein glor reiche, Staatsmann und Heerführer auf den gelieferten Feldzug zurück. Solch' einen Triumph hatte der Salon in der Tauentzienstraß« noch nicht erlebt. Dies« Verlobung und Der- heirathung war der Glanzpunkt ihrer Leistungen. Nanda dankte, nach ihrer Meinung, dies unerhörte Gluck nur ihr; und mit vollem Recht fühlte sie sich alö Brautmutter und überströmte gegen ihren Schützling von Zärtlichkeit und weisen Rathschlägen. Der wirkliche Vater der Braut war nicht beim Feste. Man hatte anfangs gedacht, eS zu ermöglichen, ohne Aufsehen zu machen. Er hätte wahrscheinlich mit seinem Nachbar doch nur von mittel- und südamerikanischen Finanzverhältnissen gesprochen und wie er diesen, demnächst dazu berufen, aufhelfen würde. Bei einem Besuch in Zehlendorf hatten die Verlobten den alten Mann aber in einem Zustande des Verfalle» gefunden, der auch aus so freudigem Anlaß keine Störung seiner Gewohnheiten gestattete. ES war ein tieftrauriger Abschied, den Nanda bei diesem letzten Besuche nahm, und ein finsterer Gedanke, der in dieser letzten Umarmung des Vaters in ihr aufgetaucht war, begleitete sie hinaus in die weite Welt. Der alte Geheimrath selbst zog die Runzeln hoch in die Stirne hinauf und sagte immer wieder. Paß er sich um keinen Preis und aus keiner Rücksicht jetzt von seinem Wohnort auch nur kurze Zeit entfernen dürfte, denn, da er seinem Eidam den Liebesdienst, ihn drüben überm großen Wasser in allen Finanzfragen zu berathen, nicht abschlagen könnte, sähe er sich gen'othigt, jede Minute darauf zu verwenden, fließend und elegant Spanisch und Portugiesisch sprechen zu lernen. Die» sei keine leichte Aufgabe bei seinem Alter und seinem schwindenden Gedächtniß. In diesem Gedanken verstockte er sich immer mehr und mehr. Nachdem alle Erinnerung an seinen Schwiegersohn und selbst an seine Tochter verwischt schien, sprach er doch noch immer von einer großen Reise hinüber in ein paradiesisches Land und be dauerte nur, über dem Studium der fremden Sprache zu seinem Kummer immer mehr und mehr die Fähigkeit zu verlieren, sich in seinem mütterlichen Deutsch nach Bedürfniß und Belieben auk- zudrücken. In gewissem Sinne behielt er mit dieser letzten Idee auch Recht. Denn kaum vier Wochen nach Nanda'S Verheirathung hatte ihr Vater jene weite Reise hinüber in rin paradiesisch Land angetreten, wo die schwindende Sprache ganz verstummte. „Die schöne Präsidentin", wie die Berliner Nanda nach ihrer Verehelichung nannten, war zunächst mit ihrem Gatten nach Paris gereist, wo dieser in Geschäften seines Staate» ungefähr einen Monat zu verweilen hatte. Auf dem Umwege nach dem Süden durch gute Gesellschaft und Laune in Biarritz auf gehalten, empfingen sie die telegraphische Nachricht vom Tode des Vaters zu spät, um zum Begräbniß rechtzeitig in Berlin ein treffen zu können. Nanda war darüber so bestürzt und be kümmert, daß sie in Marseille erkrankte und die Einschiffung um vierzehn Tage verzögert werden mußte. Unter vielen Beileidsschreiben, die sie nun auf ihrem Siech bett erhielt, war auch eine» von Immanuel Winkler, der mit wenigen Worten, durch die da- alte Gefühl wider Willen in der Leserin Augen schimmerte, sein Beileid zu dem schweren Verluste auSsprach. Noch einmal flammten Sehnen und Verlangen nach dem ver lorenen Glück in der leidenschaftlichen Frau empor und machte sie rascher genesen. Den Minister riefen Pflicht und Ehrgeiz, Stolz und Vaterlandsliebe nun immer dringender nach Hause. Seine Gattin war noch nicht im Stande, sich auf eine Meerfahrt von so langer Dauer zu wagen. Trotzdem erklärte Don Pedro, daß er mit dem nächsten Schiff unweigerlich abreisen und sie ihn krank oder gesund begleiten müsse. Ihr Kummer könne Tobte doch nicht erwecken, ihm aber würde längeres Säumen Stellung, Ansehen und vielleicht das Leben kosten, ihrem Befinden die Luft auf hoher See nur gut thun und endlich wollte er die Freude nicht länger verschieben, an der Seite seiner herrlichen Gemahlin, von Freund und Feind bestaunt und beneidet, in der alten Heimath zu landen und also in deren Hauptstadt einzuziehen. Dort werde sie schon sehen, waS das zu bedeuten habe und daß das ein bischen Ungemach und Heimweh reich verlohne. Immanuel Winkler erhielt aber um dieselbe Zeit ein Dank schreiben von der Einstgeliebten, und e» schloß also: „Rufe mich, unv Du kannst, wenn Du willst, die geschiedene Frau Don Pedro'» vor aller Welt al» Dein glückliche» Weib heimführen. Ich fleh« Dich noch einmal an. mach' un» Beide nicht unwiderruflich unglücklich. Telegraphire mir das einzige Wörtchen: Komm, und ich bin in drei Tagen in Berlin, mag man die Indianer auf die Höhe ihrer staatlichen und kulturellen Entwickelung führen ohne mich: Mein Ehrgeiz wird'» ertragen und meine Liebe Alles verwinden, wenn ich wieder bei Dir sein darf. Denk' an den barmherzigen Gott und denke, daß Alle» vorbei ist, wenn ich, von Dir für immer verstoßen, Europas Küste hinter mir versinken sehen muß." -» . . . Winkler telegraphirte nicht. Er schrieb. Er wiederholte mit wenigen Worten, waS er ihr im brennenden Schmerze münd lich gesagt hatte, und schloß mit dem so oft mißbrauchten Satze: „Gott helfe mir, ich kann nicht anders. Lebe wohl." Da erklärte Nanda ihrem Gatten, daß sie reisefertig sei, und der Minister bestieg glückstrahlend mit der schönen, stolzen Frau den Dampfer, auf dem er für sie Beide und ihr Gefolge Plätze bestellt hatte. Stadt- und Hafenbehörden versäumten nicht, dem hoch verdienten Fremdling, in dem man bereits das Haupt einer be freundeten seemächtigen Republik vor sich sah, den Abschied von Frankreich feierlich und ehrenvoll zu gestalten. Das freute Don Pedro seines WeibeS wegen. Er selbst dachte bereits mit schöpferischen Gedanken weit weg. In Gibraltar setzten sie noch einmal den Fuß auf europäisches Land. Nur für etliche Stunden. Und dann ging's hinaus aufs unendliche blaue Gewässer, hinüber in eine neue Welt. * * * Sie waren bereits über vierzehn Tage zu Schiff. Nur Wogen und Himmel, blauer Himmel und blaugraue See, soweit daS Auge reicht. Eine lange, aber eine stille, prächtige Fahrt. Einmal ein Stürmchen, daS sic schüttelte, einmal ein Wrack, da» steuerloS an ihnen vorübertrieb, sonst kein Verdruß, kein Un gemach, kein Ereigniß, und einen Tag wie den anderen jenes einlullende, nur Wetter und Mahlzeiten bedenkende Behagen, da» längere Reisen über Meer wie ein eigener Salzwaflersegen be gleitet. DaS Seiner Excellenz Gemahlin die Königin deS Fahrzeug war, verstand sich von selbst. Jeder Fahrtgenosse, vom Capitän auf hoher Brücke, der sie zu allen Tageszeiten, bi» zum Maschinenheizer, der sie nur hier und da einmal, von unten autz au» einer rußigen Luke spähend, sah. bewunderte und vergötterst sie. Ihr Wink war Befehl, ihre Ansprache die höchste Ehre, ilW mit jedem Tage der Reise sich besserndes, nun schon in gewohnter Schönheit strahlendes Aussehen der Stolz der ganzen Equipage. (Schluß solqt) L
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite