Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010323021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901032302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901032302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-23
- Monat1901-03
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis der Hauptexpedttion oder den im Stadt» bezirk und den Bororten errichteten Nus» gabestrllrn abgrholt: vierteljährlich4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau» 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!. 6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäische» Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staate» ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Uhr, die Abend-AuSgaoe Wochentags um 5 Uhr. Re-action und Erpe-ition: Johannisgaffe 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm's Sortim. Unwersitätsstraße ! (Paulinum), Louis Lösche, Katharinevstr. Part, und Künigsplatz 7. ^-151. Abend-Ausgabe. Uciprigcr TagMalt Anzeiger. Amts blatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatyes und Nolizei-Äintes -er Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis dir Kgespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 ,H, vor den Familiennach richten (V gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (erel. Portos Grtra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ./t 00.—, mit Postbeförderung ./k 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» IO Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stuude früher. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzi-. Sonnabend den 23. März 1901. 85. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die englischen FriedenSuorschläge zeigen einerseits, daß die Briten auf die bedingungslose Unter werfung der Boeren verzichtet haben, und andererieits, daß die Boeren noch Widerstandskraft genug in sich verspüren, um diese Forderungen der Sieger zurückzuweisen. Dadurch würden, so schreibt man dem „Berl. Loc.-Anz", die Bocren- repudliken in die letzte Kategorie der britischen Colonien geworfen, die bezüglich ihrer Selbstständigkeit am schlechtesten gestellt ist. Während die Colonien eriter und zweiter Ordnung sich einer der englischen nackgebildeten Ver fassung und eines vom Volke gewählten Parlaments erfreuen, Werden die übrigen britischen Besitzungen, die mau als „Kron colonien" bezeichnet, durch einen Gouverneur obne Thcilnabme der Bevölkerung verwaltet. Dem Gouverneur steht ein Geheimer Rath und eine Versammlung zur Seite, die sich aus den neun höchsten, natürlich von der Negierung eingesetzten, Be amten und neun von der Krone ernannten Mitgliedern zusammensetzt. In dem Theil der Bedingungen, der sich aus die Cap rebellen bezieht, liegt offenbar eine der größten Schwierig keiten für alle Verhandlungen, eine Schwierigkeit, deren Besiegung scheinbar unüberwindliche Hindernisje eiitgegen- stchen. Man kann den Engländern nicht zumuthen, daß sie eine zweifellose Rebellion, eine Handlungsweise, die unbe dingt als Hochverraih bezeichnet werden muß, ohne schwere Ahndung lassen sollen, während es andererseits Ehrensache für die Boeren ist, diejenigen Blutsbrüder, die ihnen in schwerer Bedrängniß beigesprungen, nicht im Stiche zu lassen und sie nicht bedingungslos der Rache der Engländer preiö- zngeben. In England wird dies auch keineswegs verkannt. „Daily Telegraph" sagt bei einer Besprechung dieser Angelegen heit: „In der Hartnäckigkeit der Boeren, die Annahme von Be dingungen znrückzuweisen, welche keine Amnestie für die Rebellen einschlössen, liegt etwas Ritterliches. Wenn man aber das auch anerkennt, so bedeutet dies doch nickt, baß die britische Regierung vergessen soll, was sie sich selbst, dem künftigen Frieden Südafrikas und den Colonisten, welche sich geweigert, ibre Flagge zu verratben, schuldig ist." Geradezu als persönliche Ehrverletzung mußten die Boeren eS empfinden, daß ihnen das Wasfentragen nur unter be sonderen Umständen gegen Erlaubnißschein gestattet werden sollte. Freiheitsliebende Boeren, die in ihrem Gewehr den besten Freund sehen, der ihnen im Kampfe gegen wilde Tbiere, gegen wilde Eingeborene und gegen feindliche Europäer stets so treu beigestanven bat, können in einer solchen Be dingung nichts anderes als den vollkommenen Verzicht auf ihre persönliche Selbstständigkeit erblicken. Ein fernerer Umstand, der einer Verständigung zwischen den kriegführenden Parteien im Wege steht, ist die Persön lichkeit Mllnxr's- Es war ein unkluger und wahrscheinlich im verfrühten Siegesdünkel gctbaner Griff, gerade den den Boeren bis in die tiefste Seele verhaßten Mann zum Gouverneur der besiegten Republiken macken zu wollen. Jetzt allerdings ist es eine starke Zumuthung an die Selbstüberwindung Eng lands, den einmal verkündeten Beschluß wieder umzuweifen. So wird also weiter gekämpft und der Becher des KriegS- clendS auf beiden Seiten bis zur Hefe geleert werden müssen. * London, 22. März. (Telegramm.) Unterhaus. Red mond fragt an, ob von den Führern der Boeren kürzlich die Be- dingungen mitgetheilt worden feien, unter denen sic bereit seien, dem Krieg ein Ende zu machen. Chamberlain antwortet, abgesehen von der Unterredung zwischen Botha und Kitchener sei dies nicht der Fall. Trevelyan fragt, welcher Theil der von der englischen Regierung gestellten Bedingungen die Ablehnung der Friedens bedingungen durch die Boeren hervorgerufe» habe. Chamberlain erwidert, er habe keine weiteren Mittheilungen, als in der heute zur Bertheilung gelangten Correspondenz enthallenen. (Wdrhlt.) Oie Wirren in China. Rußland und England. Durch die gesammte Londoner Presse geht es heute wie ein Aufatbmen, und wo gestern noch den schwersten Befürch tungen Raum gegeben wurde heißt es beute, daß ja überhaupt gar kein anderer Ausweg möglich und zu erwarten gewesen wäre. Wenn es somit auch dieses Mal nicht zu einem offenen Bruche zwischen England und Rußland gekommen ist, so Hal doch — wir heben dies nochmals her vor — der ganze Vorfall doch zur Genüge bewiesen, wie viel Zündstoff vorhanden und wie außerordentlich leicht der selbe zur Explosion gebracht werden könnte, und in diesem Sinne klingen auch die meisten Betrachtungen in der eng lischen Presse aus. London, 22. März. (Telegramm.) Unterhaus. William Redmond fragt an, ob mit Rücksicht auf den Abschnitt des eug- lijch-deutschen Abkommens, dec für die Aufrechterhal tung der Inte grität des chinesischen Reiches eintritt, die englische Regierung bei der deutschen ungefragt habe, ob sie bezüg lich des russischen Vorgehens in der Mandschurei irgend eine» Schritt beabsichtige. Parlamentsuntersekcetär Lord Cranbourne erwidert, die russische Regierung habe wiederholt erklärt, es sei ihre Absicht, die Integrität Chinas zu achten und die englische Negierung besitze keine Kenntnis; davon, daß Rußland die- selbe verletzt habe. Warum also das ganze Geschrei'? Oder ist man plötzlich in London so kleinlaut geworden, daß man auch nicht einmal mehr anzudeuten wagt, welche Pläne Rußland eigentlich in der Mandschurei verfolgt? politische Tagesschau. * Leipzig, 23. März. Der Reichstag hat vorgestern die Ermnerung an seinen vor dreißig Jahren erfolgten erstmaligen Zusammentritt durch Abreise in die Ferien gefeiert, sonst ist von dem bohen Hause das Gedächtnis; jenes bedeutungsvollen Ereignisses nicht aus gefrischt worden. Es sei denn, man betrachte es als eine Art Vorfeier, daß in der dem Tage vorhergehenden Sitzung wie nerisckeSkandalsceueii sich abspiellcn undSckimpfivorle sielen, wie sie hier noch nickt gesehen und gehört worden waren. Den verhältnißmäßigen Optimismus, dem wir zum Zubiläum dcö deutschen Nationalparlamenls Ausdruck gegeben haben, wollen wir uns dennoch nickt rauben lassen- Ter durch die Osterpause abgeschlossene TagungSabschnilt bietet, von dem häßlichen 20. März abgesehen, dazu auch keinen Anlaß. Zn Bezug aus die Arbeitsleistung ist diese Session bisher mcht schlechter als viele ihrer Vorgängerinnen gewesen. Der Reichstag ist vor Ostern so weit gekommen, daß er, da die Zolltarisvorlage nicht mehr zu kommen scheint, vor Pfingsten geschlossen werden kann. Tie ihm zugewiesene Arbeit wäre im Augenblicke Wohl auch nicht weiter gediehen, wenn nicht wegen der dauernden Beschlußunfähigkeit viel Zeit unnütz hätte vertrödelt werden müssen. Damit hat das Ansehen des Reichstages weiter gelitten und die positiven Parteien haben nichts gethan, um diese Wirkung durch den patriotischen Freimuth, nach dem die reichstreue Be völkerung förmlich lechzt, abzusckwächen. Zm Gegenlheil, es will scheinen, als ob die Gründe, die hohe Stellen bewegen konnte, de» Reichstag für eine guautitv uöFlißvuhIe anzusehen, sich in dieser Session gemehrt hätten. Die Kritik, die an der späten Einberufung zur Bewilligung der Forderung für China weitschweifig geübt wurde, hat jedenfalls tiefen Eindruck nicht hervorgebracht und auch nicht hervorbringen können, denn die nationale Wählerschaft stand mit nicht unrichtigem Zn- stincte dieser Frage äußerst kühl gegenüber und sie mag sogar vielfach gesunden haben, man habe sich durck die starke Betonung dieser Frage und die „Erzwingung" eines Zn- demnitälsgesuches, die eigentlich mehr die Aufzwingung der Indemnität, also ein etwas sinnwidriger Act gewesen, mit der Verpflichtung, die coustitutionellen Grundsätze zu wahren, auf billige Weise absinden wollen. Auf alle Fälle ist der Verlauf ter Erörterung über gewisse Begleiterscheinungen der chinesischen Expedition sowie der Frage, ob Deutsch land im südafrikanischen Kriege strikte Neutralität geübt habe und übe, nicht der gewesen, der er hätte sein müssen, um den Negierenden Rücksichtnahme auf den Reichstag als etwas Nützliches oder gar NöthigeS er scheinen zu lassen. Vielmehr bat er mit der ruhigen Hin nahme der Bezeichnung „Bierbaukpolitiker", der sich große Parteien befleißigten, sei» Neckt, die auswärtige Politik, wie sic gerade beliebt wird, anders als lobend zu besprechen, so gut wie aufgegeben. Und wenn auch die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten an sich ohne Zweifel nicht vom Parlamente mir besorgt werden kann, so siebt sie gerade deshalb und weil bei ihr die ve r b än gn iß vol lste n Fehler gemacht werden können, das Gebiet, auf dem der verantwortliche Leiter am wenigsten durch Improvisationen in Wort und Tbat gestört werden darf. Darauf nachdrücklich und vor allem verständlich binzuweisen, ist eine Pflicht des Reichs tags, die er in den verflossenen Monaten nicht erfüllt, sondern durck Nichtunterstützung eines positiv gerichteten Redners, der das Rechte mit den reckten Worten ausgesprochen, geradezu ver letzt hat. Mit einem Manco an seinem bis in die Gegenwart geretteten Neste von Ansehen gehl der Reichstag aus diesem TagnngSabschnitt auch deshalb hervor, weil er die Auffassung seines Präsidenten, daß konkrete Begnadigungsacte nicht der parlamentarischen Erörterung unterzogen werden dürfen, ohne Widerspruch anerkannt hat. Nechtspolitisck ist diese Ansicht sehr wohl zu begründen und in einer Reihe von deutschen Einzelstaaten wird sie praktisch ohne Schaden ver wirklicht, aber im Reichstage ist sie beute unhaltbar, und zwar fordert der monarchische Gedanke die Ab kehr von ihr ebenso gebieterisch, wie die Rechtspflege. Aber diese letztere hat auch der Reichstag zu wahren, und es ist sehr fraglich, ob er sich au seinem letzten Sitzungstage nicht weiter geschädigt hat durch die Art uno Weise, wie die große Mehrheit sich der Besprechung des Falles Schmidt und seiner Behandlung seitens des preußischen Zustizministers gegenüber verhalten bat. Dieser anläßlich eines unwillkommenen Unheils allem Anscheine nach vorgekommene Fall einer nicht völligen Abstandnahme vom Eingreifen in richterliche Unabhängigkeit läßt, obwohl er zeitlich weit znrückliegt, das deutsche Gewissen nicht ruhen und aus diesem Grunde war es ein um so größerer Fehler, der Socialdemvkratie allein da» Wort zu lassen, als das deS Verhaltens des preußischen Zustizministers, der im Abgeordnetenhause ein Reichstagsmitglied persönlich aufs Schärfste angegriffen batte, im Reichstag aber der ber Entgegennahme der vorher angekündigtcn Erwiderung sich entzog, ein sehr ungewöhnlicher genannt werden durfte. Um zu unserer freundlicheren ReichstagSjubiläumSbctracktung zurückkehren zu können, heben wir gerne hervor, daß das Reichs-Parlament in diesen Monaten auch Energie gegen die Negierung zu zeigen vermocht hat. Es ist ihm durch festes Auftreten endlich gelungen, die Vorlegung eines Kriegs invalidenversorgungsgesetzes zu erzwingen. In seinen beiten wichtigsten Initiativanträgen stehen die endgiltigen Beschlüsse noch auS. Aus dem sogenannten Toleranz gesetze des CentrumS werden, falls die Connivenz der Parteien auhalten sollte, die Negierungen nichts werde» lassen und die Frage der Art der Durchführung eines Gesetzes über Gewährung von AnwescnheitSgeldern scheint in der Commission noch wenig geklärt. Nächst der Klage über die stetige Nichtanwesenheit ist neuerdings die über ein zu ausgedehntes Commissionswesen die lauteste geworden. Vielleicht mit Recht, aber die Sache hat ihre zwei Seiten. Herr Richter ist der eifrigste Verfechter einer Einschränkung dieser Berathungsform und ihm war der Reichstag auch praktisch gefolgt, als er in der zweiten Lesung des Etatsgesetzes ohne voihergegangene CommissionSverhand- lung einen Antrag dieses Abgeordneten annahm. Zn dritter Lesung wurde der Beschluß rückgängig gemacht, weil sich ctatSrechtliche Bedenken Geltung gegen ihn zu verschaffen wußten. Das commissarische Ueberlegen bat also doch sein Gutes, selbst dort, wo ein Großer, wie Herr Richter, seine Autorität für die Möglichkeit einer Neuerung eingesetzt hat. Eine sehr befriedigende Lösung der Frage, wie daS VintgungSamt gebildet werde» soll, ist in der Reichs ter gscom Mission für die Gewerbegerick tSform gefunden worden. Mit allen gegen eine (socialdemokratische) Stimme bat die Commission beschlossen, die Zusammen setzung des EinigungSamtrS auS de» streitenden Pac teien selbst anheim zu geben. Der Vorsitzende ist unter allen Umständen gegeben in der Person des Vor sitzende» des Gewerbegerichls. Wenn aber das Gewerbe- gerickt als Einigungsamt in Function treten soll, so bleiben die Beisitzer deü Gewerbegerichls gänzlich bei Seite. Viel mehr ernennt jede der streitenden Parteien ibre Vertrauens männer in gleicher Zahl als Beisitzer. Damit wird jeden falls am zuverlässigsten vorzesorgt, daß die Beisitzer mög lichst genau über die besonderen Verhältnisse desjenigen GewerbczweigeS unterrichtet sind, in dem ein Streit zu schlichten ist. Andererseits haben die streitenden Parteien auf diese Weise die sicherste Gewähr, daß nur Männer ihres unmittelbaren Vertrauens an der Vor bereitung und Formuliruug des Einigungsvorschlages be teiligt werden. Zwar hat die Socialdemokratie jetzt aber mals Nein gesagt — diesmal zur Abwechslung aus Anhäng lichkeit an daS Unvollkommene deS Gesetzes von 1890, nickt etwa im Drange nack dem Besseren. Aber daß sie damit in Arbeiterkrcisen Zustimmung finden werde, ist mehr als fraglich. Hat doch die Socialdemolratie soeben erst den Entwurf Millerand gerade deshalb lebhaft vertheidigt, weil er Sckiedögerichte einsühren will, die ähnlich aus frei gewählten Vertrauensmännern der streitenden Theile gebildet werden sollen, wie das künftige EinigungSamr des iöj Zwei Brüder. Roman von Franz Rosen. viaLdruck »ttlotkn. „Mit wem verkehrt denn Manfred am meisten?" fragte er endlich, von einem plötzlichen Verdacht ergriffen. Sie setzte die Taffe hin und sah ihn erstaunt an. „Wie soll ich das wissen! Sie verkehren ja Alle untereinander im Casino. Anfangs ging ja Manfred überhaupt fast nie aus — und seit er es so oft thut, erzählt er mir nichts davon", schloß sie gekränkt. „Lazinsky geht viel bei uns aus und ein", fügte sie ganz harmlos hinzu. Peter sah seine Schwägerin prüfend an. Sie merkte es, und es ärgerte sie. „Ich habe ihm schon meine Sorgen angedeutet", fuhr sie eigen sinnig fort. „Er ist immer so nett und freundschaftlich und außerdem Manfred's Vorgesetzter." Peter konnte nur mit Mühe eine ärgerliche Aufwallung unter drücken. „Vertraue Lazinsky nicht allzuviel", sagte er streng. „Du kennst seinen Auf." Sie schwieg ein wenig betroffen. Dann meinte sie leichthin: „Ich gebe nicht viel auf das Gerede der Leute." „Nun gut — wenn Du 'Dir Lazinsky schon zum Vertrauten gewählt hast — wozu brauchst Du dann noch einen zweiten." Maria war sehr erschrocken. „Aber Peter — Du bist ja schrecklich reizbar — wer spricht denn gleich von Vertrauten — mir lief nur mal das Herz etwas über — und wenn an meinen Bermuthungen etwas Wahres ist, weiß es ja Lazinsky doch schon längst!" Ja — daS glaubte Peter freilich selber. Und daß es ein Unterschied ist, ob die Leute solche Sachen durch eigenen Augen schein oder durch die leibliche Frau des Betreffenden erfahren, dafür hatte Maria wohl kein Verständniß. „Ach, Peter", sagte sie wieder unter Thränen, „ich weiß ja, wie Du über solche Sachen denkst, und daß ich Manfred keinen Gefallen thue, wenn ich ihn bei Dir verklage. Aber wie sollte ich mir sonst helfen — ich fühle, «S kann nicht so weitergehen, und ich kann es nicht aufhalten. Thu' es uns zu Liebe und sprich mit ihm! — Du hast Dich so wenig um uns gekümmert — man sieht Dich fast nie — und das ist Manfred nicht gut. Du darfst ihn nicht seine Wege gehen lasten. Er hört auf Dich, ich weiß es, und das macht Dir es zur Pflicht, ihm beizustehen. Hättest Du ihn mehr im Auge behalten — er hätte sich zu sammengenommen, weil er — sich — geschämt hätte." Peter sah sie an mit einem Gemisch von Rührung und Trauer. Er zürnte ihr nicht, daß sie ihm gleichsam Vorwürfe machte — ihm Verantwortung beimaß für Manfred's Leichtsinn. Sie wußte nicht, von wie kurzer Wirkung sein Einfluß auf ihn war. „Liebe Maria", sagte er ernst und freundlich, „ich glaube wirklich nicht, daß ich hier etwas ausrichten kann. Manfred würde mich fragen, mit welchem Recht ich mich in seine Ange legenheiten mische " „Mit dem Recht der Liebe!" fiel sie freudig ein. „Das Wird nur anerkannt, so lange es bequem ist. Man fred würde die Ausübung dieses Rechts im vorliegenden Falle sehr unbequem empfinden und außerdem meine Worte wahr scheinlich ebenso in den Wind schlagen, wie er es schon oft gethan hat. Was ich ihm zu sagen hätte, ist mir freilich sehr klar —" „Was denn?" fragte sie ängstlich gespannt. „Ich würde ihm sagen, daß ec sich versetzen lassen muß." Maria ließ den Kopf hängen. Daran hatte sie augenschein- sich noch nicht gedacht. „Ich habe vorausgesehen", fuhr Peter's klare, feste Stimme fort zu reden, „daß sein Eintritt in dies Regiment ein Quell immer neuer Versuchungen und Verführungen sein würde, denen zu widerstehen Manfred nicht charakterfest genug ist. Aber sein Großvater wünschte es damals, und ich mußte es geschehen lassen. Ich habe Manfred später oft genug vorgehalten, daß sein Leben nicht mit seinen Verhältnissen in Einklang stehe, noch stehen werde, wenn er sich nicht von seiner Umgebung trennen könne. Ich habe auch einmal mit Deinem Vater davon gesprochen — er war im Grunde derselben Ansicht, aber er hat es wohl nicht erzwingen wollen. — Väterliche und großväter liche Liebe ermöglichten es Euch, in den alten Verhältnissen zu bleiben. Nun haben sich Eure Einkünfte verringert — uno Manfred ist von Neuem seinen guten Vorsätzen untreu geworden; er hat wieder Schulden — und wie es scheint, recht bedeutende. Ich sehe keine andere Möglichkeit für Euch, eine solidere Lebens führung anzufangen, als eine Versetzung in einfachere Ver hältnisse, in denen er nicht Gelegenheit hat, so viel auszugeben, und in denen es Euch leichter werden wird, auszukommen mit dem, waS Ihr habt." Regungslos, in vorgebeugter Haltung, wie Jemand, der sein Urthril vernimmt, hatte Maria ihm zugehört. Als er schwieg, hob sie langsam das Gesicht zu ihm empor und sah ihn trostlos an. „Ich glaube, Du hast Recht, Peter; aber das wäre schrecklich!" Peter nahm neben ihr Platz und begann ihr weich und freundlich zuzureden, wie einem Kinde. „Warum wäre cs denn so schrecklich, Maria? Hängt denn Euer Glück so sehr von den äußere» Verhältnissen oder einer mehr oder weniger eleganten Umgebung ab? Liegt es nicht viel mehr in der Aufrichtigkeit der Herzen, in der Ordnung und dem Behagen des eignen Herdes? — Wozu nützt Euch ein Glanz, der eine glänzende Lüge ist? Ihr liebt Euch und seid glücklich miteinander — müßt Ihr denn durchaus Euer Glück mit soviel äußerem Flitter behängen, damit es der Welt nur auch recht in die Augen steche? Warum könnt Ihr es nicht in der Stille ge meßen, wo sein wahrer Glanz, sein beglückendster Inhalt Euch erst so recht eigentlich zum Bewußtsein kommen wird? — Wenn es so weitergeht, Maria, dann wird ein Tag kommen, an dem das äußere Gebäude dieses Glückes Schiffbruch leidet — und wer weiß, ob das innere Glück unversehrt aus diesem Schiff bruch hervorzugehen vermag, wenn Ihr es so sehr von seinem glänzenden Gehäuse abhängig machtet!" Maria war ganz in sich zusammcngesunken. „Du hast ja Recht — ich muß es ja selbst eiirsehen. Aber wir sind nicht so unabhängig wie Du. Wir werden uns nie zurecht finden in engen Verhältnissen. Sie werden uns — und wir uns gegenseitig anöden. Denke Dir, eine Kleinstadt mit Spieß bürgern, Kaffeeklatsch, Engherzigkeit und Geistesträgheit — ohne Theater, ohne höhere Bildung — ohne Alles, was dem Leben Glanz und Reiz vexleiht —" „Du übertreibst, Maria. Meinst Du, die Bildung der ganzen civilisirten Welt beschränke sich auf ein paar Hauptstädte?" „Es ist aber doch so — woher sonst der Ausdruck klein städtisch? Und das können wir nicht aushallen. Die Folge wird sein, daß wir immerfort hierher reisen, und auf diese Weise auS- geben, was wir an einer einfacheren Häuslichkeit etwa sparen." Peter machte ein unwilliges Gesicht. „Ihr werdet also in jedem Falle mit vollen Segeln weiter fahren, bis das Schiff auf der Sandbank sitzt. Nun gut. Wenn Du aber von vornherein wußtest, daß das nicht zu ändern ist — warum kamst Du dann hierher?" Da fing Maria an zu weinen. Peter, der im Begriff ge wesen, seiner Entrüstung vollen Lauf zu lassen, bereute sofort seine raschen Worte. „Rege Dich nicht auf, Maria", begütigte er. „Du mußt nur einsehcn, daß Euch nicht zu helfen ist, wenn Ihr von vornherein jedes vernünftige Hilfsmittel von der Hand weist." „Wir könnten doch —" begann sie kläglich — „auch hier ein facher leben — eine billigere Wohnung nehmen —" „Das wäre schon etwa», aber ich kann darin keine große Ab hilfe sehen. Dre billigere Wohnung hindert Manfred nicht an allen übrigen Ausgaben, zu denen die Hauptstadt und, was viel wichtiger ist, sein Regiment ihn verführt." Maria hatte darauf nichts mehr zu sagen, und die Unter redung schien erschöpft. Maria war gedrückt und cntmuthigt. Sie hate gehofft, eine leichtere und bequemere Erledigung der Angelegenheit zu finden. Peter's Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, war ihr um gemüthlich. Seine ernsten Worte waren ihr zu Herzen gegangen, und doch war sie überzeugt, daß er Alles viel zu schwer nahm. Sie hate eine solche Wendung dieser Unterredung nicht vorher gesehen. „Peter", sagte sie kleinlaut, „ich halte die Sache zwar nicht für so schlimm, aber wenn Du meinst, Versetzung sei die einzig- Rettung, so will ich nicht dagegen sein und sogar versuchen, Man fred dafür zu gewinnen. Der eigentliche Zweck meines Kommens war aber doch. Dich zu bitten, sein heimliches Treiben zu er gründen — und das mußt Du mir auch versprechen, Peter; das ist augenblicklich das Nöthigste. Nackber kann man ja sehen " Ihre Hilflosigkeit., ihr betrübtes Gesicht erbarmten ihn. Trotz all ihrer unreifen, thörichten Auffassungen hatte er sie in dieser Stunde wieder wärmer beurtheilen gekernt, weil sie sich ihm wahr und natürlich gegeben hakte. Er versprach ihr Alles. „Und noch eins — Manfred darf nie erfahren, daß ich mit Dir über ihn gesprochen habe —" „Selbstverständlich nicht." „Ich habe sonst keine Heimlichkeiten vor ihm", entschuldigte sie sich und wurde dunkelroth dabei. „Aber diese ist doch nur zu seinem Besten —" „Ja, ja, klein« Maria", meinte ec zerstreut und strich flüchtig mit der Hand über ihr blondes Haar. Sie plauderten dann noch eine Weile von weniger aufregenden Dingen, und Maria's Ruhe und Heiterkeit kehrten allmählich zurück. Ihr Mund lachte schon wieder, ehe die Thränenspuren auf ihren Wangen noch ganz ver trocknet waren. Dann half er ihr in ihr« tvrich«, schöne Jacke und dachte dabei, ob die wohl auch noch unbezahlt sei» möchte, holt« sich selber Hut und Mantel und begleitete sie durch die schmutzigen Straßen nach Hause. An einer Ecke hielt Maria inne. „Manfred hat Regimentsfest — da kommt er doch erst spät noch Hause — es wird ein tödtlich langweilig«! TageSschluß für mich — weiß Du, Peter, ich möchte den Rest des Abends bei den Eltern verleben." Willig änderte er die Richtung und brachte sie nach der
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite