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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000209021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900020902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900020902
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- LDP: Zeitungen
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Vellage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderuug _/L 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz la Leipzig. St. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. Februar. Der herkömmliche Journalist wird wegen der starken Be setzung des Hauses und der UeberfüllunH der Tribünen für die gestrige Reichstagssitzung nach der herkömmlichen Etiqnctte „großer Tag" gegriffen haben. Aber Weber das persönliche Gewicht der Redner, noch ihren Reden rechtfertigen diese Be zeichnung, und politisch ist sie erst recht nicht am Platze. Politische Erwartungen konnten aber auch billiger und ver ständiger Weise auf die erste Berathung deS Flottengesetzes, die gestern so gut wie erschöpft wurde, nicht gesetzt werben. Wenn ein Anderer als Herr I)r. Schädler für das Centruin gesprochen hätte, so würden die Reichstagsannalen vielleicht um eine derbe Rede ärmer, unser Wissen um die Zukunft der Flottenvorlage aber Wohl reicher sein, als eö ist. Herr Richter schreibt zwar im Tone des Frohlockens in seiner »Freis- Ztg.": „Der Gesammteindruck der Schäbler'schen Rede ist, baß die Chancen für die Vorlage weit ungünstiger sieben, als man bis dahin nach der Haltung der Cenlrumö- prcsse angenommen hatte." Wir gestehen, gar keinen Eindruck von dieser Rede erhalten zu haben, aber wir erinnern uns, daß, als im Jahre 1896 der Abgeordnete Rintelen als erster Redner des Centrums über das Bürgerliche Gesetzbuch und eigentlich gegen dieses gesprochen hatte, die Prognose aller mit der Taktik und den inneren Verhältnissen der klerikalen Partei nicht vertrauten Zuhörer dahin lautete: „DaS Bürgerliche Gesetzbuch ist ge- sallen". Es kam anders, und die Uebertragnng der Wort- sührerschast an den Abg. Schädler und die Art, wie dieser Herr sich seiner Aufgabe entledigte, lassen die bisherige, nicht allzu ungünstige Bcurtheilung der Chancen, die sich übrigens keineswegs aus die Haltung der CentrumSpresse stützte, so gut wie unberührt, vr. Schädler erklärte „im Namen seiner särnmtlichen politischen Freunde", sie seien „für das Gesetz in der Form und dem Umfang, wie es hier vorliegt, nicht zu haben." Einer solchen Verkündigung war aber mit aller Bestimmtheit entgegen ge sehen worden. Einmal, weil bas Centrum grundsätzlich von Forderungen für Heer nnd Marine Abzüge macht, um den Anhängern sagen zu können: „So und so viel haben wir Euch erspart." Sodann aber wegen des Charakters dieses Gesetzes, da» in der vorgelegten Fassung ein solches eigentlich gar nicht ist. Mehr als von Schädler's für bas ganze Centrum zum ganzen Gesetze gesprochene Nein will es besagen,, daß der Redner — im Auftrage offenbar — seine Fractions-Genossen in zwei Haufen theilt, von denen der eine „slottcnfreundlicher" sei al- der andere. Daß dies ausgesprochen wurde, ist die Haupt sache. Auf ein geschlossenes Vorgehen des CentrumS, obwohl neuerdings publicistisch dafür plaidirt wurde, rechnet man nicht; bekanntlich hat sogar gegen das bestehende Flotten gesetz eine bedeutende Anzahl klerikaler Abgeordneter gestimmt, darunter eben Herr Schädler. Daß er dennoch gestern für die Gesammtpartei zu sprechen hatte, läßt verschiedene Erklärungen zu, aber bestimmt nicht die, daß dasCentrum zurZeit entschlossen sei, jetzt so zu verfahren, wie das letzte Mal die von Schädler geführte Minderbeit. Wie es schließlich kommen wirb, kann darum dennoch Niemand voraussehen, und die Möglichkeit, daß das Centrum versagt, muß im Auge behalten werden. Niemand aber glaubt, daß die jetzt ausschlaggebende Partei einer etwa durch ihre Schuld nothwendig gewordenen Auf lösung deS Reichstags so leichten Herzens entgegcnsehe, wie ihr gestriger Redner glauben machen wollte. Mit der Frage der „Deckung", die die klerikale Partei ohne Zweifel in den Vordergrund schieben wird, läßt sich agitatorisch Manches ausrichten, aber nicht Alles. Die Vorwände sind noch bei allen Wahlen, die sich um die Wehrhaftigkeit deS Reiche« drehten, von den Wählern als solche erkannt worden. Daß trotz der wenig freundlichen und zum Theil dem modernen Münchener Kammerton entlehnten Sprache des CentrumsmanneS dieser die Brücke nicht ab gebrochen habe, durfte der Wortführer der Nationalliberalen, der Abg. Bassermann, mit vollem Recht aussprechen. Hatte Herr Schädler doch auch die Notkweubigkeit einer starken Flotte hervorgehoben und seine Bedenken hauptsächlich mit den Bedürfnissen des LandheereS und der schuldigen Rückstcht- nahme auf die schwächer» Schultern begründet. Alledem stimmte Herr Bassermann zu, cS mag aber den Parteigenossen Schädler's aus Rheinland, Westfalen und Schlesien nnd es wird allen Genossen des socialdemokratischen Abgeordneten Frohme unangenehm in den Ohren geklungen haben, als der nationalliberale Sprecher bei beiden Vorrednern die Würdigung der großen Handels- nnd socialpoliti- schcn 'Gcsichtöpuncte, die Rücksicht auf die Erwerbs- interessen der Industrie und ihrer Arbeiter vermißte. Der Eine wie der Andere hatte in der Tbat diese Lücke gelassen, in der Ausführung deS Socialisten klaffte sie noch weiter als in der deö Vertreters der Partei, die sich, obwohl mit Unrecht, der stärksten Anhängerschaft unter Len nichtsocialdemokratischen Arbeitern berühmt. Herr Bassermann ergänzte das Ausgelassene in ruhigstem Tone, vielleicht aber gerade darum mit bestem Erfolge, und verstand cs, die allgemeine Darlegung des nicht sonderlich eindrucksvoll gewesenen einzigen Redners vom Regicrungslisch, deö Staatssekretärs Tirpitz, lichtvoll und einleuchtend zu interpretiren. „Wir wollen" — dies ist nach der gesetzcStechnischen Seite die „Quintessenz" der Darlegungen Les national liberalen Redners — „Len planmäßige »Ausbau LerFlotte", ein Wunsch, der bei keiner Partei fehlen sollte, die Solidität in Politik und Finanzen gebührend schätzen zu können erklärt. Abg. Bassermann durfte, was dem überwiegend negirenden Centrumsmanne und erst recht dem Socialdemokraten verboten war, auch an den Boerenkrieg erinnern und auf die Erfahrungen hinzuweisen, die die deutsche Schifffahrt während desselben gemacht. Und das war nicht die einzige Stelle, wo der nationalliberale Redner einer ungetheilten Meinung deö deutschen Volkes Ausdruck gab. Bei der Zusammensetzung der Parteien und der allgemeinen inner politischen Lage verstand es sich von selbst, daß der Ver treter der nationalliberalen Partei den Wunsch, mit dem Centrnm wieder zu einem positiven Ergebnisse zu ge langen, ohne allen Rückhalt äußerte. Die National liberalen, das konnte Bassermann auf einen Zwischen ruf des Abgeordneten Singer erwidern, sind bei Neuwahlen, die zur Beseitigung eines dem Sicherheits bedürfnisse des Reiches widerstrebenden Reichstags aus geschrieben worden waren, jedesmal gut gefahren. Aber die Partei empfindet zu patriotisch, um die Gelegenheit, das gute Geschäft auch in der Flottenfrage zu machen, herbeizusebncn. Von NeichStagSauflösung zu einem Conflict — Bassermann machte aus dieser Meinung kein Hehl — ist nur ein Schritt, und daß einen Conslict die Leute wollen, die nach dem starken Manne rufen, liegt klar zu Tage; Bassermann hat cs aber noch einmal ausdrücklich hervorgehoben. Die Gefahr eines Conflictes wird dadurch nicht geringer, daß die konservative Partei nicht einmal in dieser Flottenfrage die aufwühlenden Elemente in ihren Reihen zu meistern in der Lage gewesen. Herr v. Levetz ow, eS mag diesem altverdienten Herrn schwer angekommen sein, konnte gestern nur erklären, daß seine „Freunde in ihrer allergrößten Mehrheit der Vorlage sympathisch gcgenüberstehen." Also es eristirt eine Minderheit, die anders denkt. Man kennt ihre Methode, weiß, daß sie leider die Rührigsten und nicht selten die Maßgebenden unter den Conservativen sind.— Die Parteien haben gestern sämmtlich gesprochen, heute kommen die Gruppen an die Reihe: eine von ihnen ließ sich schon gestern ver nehmen, der bayerische Bauernbund, der einen Nachahmer Sigl'S einige Sätze gegen die Flottcuvorlage ausstoßen ließ. Die „Germania", die behauptet hatte, eS seien Mit glieder der conservativen Partei, die im Bunde Vor Land- wirthc eine große Nolle spielten, an Mitglieder deS Centrums herangetreten mit der Empfehlung, die Flotten vor läge unter allen Umständen abzulehnen, hat bis jetzt die Aufforderung der „Dtsch. Tagesztg.", die Namen dieser Ab geordneten zu neunen, mit Stillschweigen beantwortet. In seiner neuesten Nummer wiederholt das agrarische Organ sein Verlangen und fährt sodann fort: „Wenn die „Germania" die Namen der conservativen Ab geordneten selbst nicht kennt, weil sie ihr von ihrem Gewährs- manne nicht angegeben worden sind, so mag und muß sie ihren Gewährsmann nennen. Wir können schon heute feststcllen, daß von den conservativen Abgeordneten, die dem „Bunde der Land- wirthe" näher stehen, keiner eine Unterredung mit einem Centrumsabgeordneten gehabt hat, wie sie von der „Germania" dargestellt worden ist. Hüllt sich die „Germania" ferner noch in Stillschweigen, nennt sie weder die Namen der conservativen Abgeordneten noch den ihres Gewährsmannes, so wird sie die denkbar schärfste Vcrurthcilung ihres Vorgehens in der gesammtcn anständigen Presse erwarten müssen." Tas klingt sehr zuversichtlich; nach der gestrigen Erklärung des Abg. v. Levetzow muß man jedoch annebmcn, daß es Leute giebt, die den Wunsch couservativcr Bündler, daS Centrum möge die Flottenvorlage zu Falle bringen, genau kennen. Andererseits fehlt es allerdings auch nicht am Stimmen, die in der Behauptung der „Germania" eine Jntrigue erblicken. So wird der Münchener „Allgem. Ztg." aus Berlin geschrieben: „Weit glaubhafter, als daß die „Germania" wirklich das weiß, was sie in dem betreffenden Artikel nach bekannter.Hintertreppenmännerart dunkel andentrl, erscheint es, daß irgend ein LentrumS- mann oder Mitläufer des Bundes auf den schlauen Ge danken gekommen ist, gewissen Organen der in der Flotten frage uneinigen Linken einen Köder hinzuwcrsen, um in das Lager der Flottensreunde Zwietracht zu tragen. Jeden falls ist dem Centrum augenblicklich sehr viel daran gelegen, Reclame für sich zu machen. Herr vr. Lieber, von dem in Negierungskreisen allgemein angenommen wurde, daß cr einen be trächtlichen Theil seiner Fractionsgenossen auf die Jaseite ziehen werde, ist todtkrank, nnd das Spiel um die Nachfolgerschaft beginnt schon jetzt, genau so wie zur Zeit des Abscheidens Windt- horst's. Seit gestern wandelt in der Halle des Reichstages der fanatische Herr Julius Bachem auS Köln herum und pflegt bald mit dem einen, bald mit dem anderen prominenten Parteigenossen intime Unterhaltungen. Es heißt, daß cr Führer des Centrums werden und sich zu dem Zwecke im Licbcr'schen Wahlkreise nufstellen lassen möchte." Vielleicht bringt nun Herr Julius Bachem Licht in das geheimnißvolle Dunkel. Eine neue Revanchclundnebung des Präsidenten der französischen Tcpntirtkllkannner und jüngsten Mitgliedes der Akademie, Paul Deöchanel, liegt in einer der letzten Nummern der „Jndependance beige" vor. Nachdem Tesckanel in der bei seiner Aufnahme in die Akademie gehaltenen Rede weniger seine staatsmännische Begabung als seinen ungestümen Drang nach Revanche an den äiag gelegt batte, beschränkt er sich nunmehr nicht darauf, Aeußerungen Edouard HervsZ wiederzugeben, sondern er führt sich selbst aus Anlaß eines Interviews mit dem Correspondenten des „Jndependance", Jean Bernard, redend ein. Nachdem er diesem versickert hatte, daß er von einem patriotischen Ideal geleitet werde, kennzeichnete er dieses Ideal, unter Hinweis auf eine früher von ihm gehaltene Rede, wie folgt: „Die Generation, die zum Geistesleben während des Krieges mit dem Auslände und während deS darauf folgenden Bürger- krieges erwacht ist, wird den Schwur verwirklichen, den sie sich damals geleistet hat, nämlich: Frankreich im Innern mehr Ge rechtigkeit, nach Außen eine Wiederherstellung von Macht nnd Ruhm durch die Revanche des Rechts zu geben." WaS Paul Deöchanel unter ,,Ia rsvancko du ärolt" ver standen wissen will, bedürfte auch dann keiner besonderen Er klärung, falls nicht von ihm zugleich auf die Wiederherstellung der französischen „gloirs'' hingewiesen würde. Um ganz deutlich zu sein, fügt Deöchanel hinzu: „Ich habe mich nicht geändert und ich könnte nur diese Worte wiederholen, die durchaus und stets alle meine Gedanken zusammensassen." Auf welches Ziel aber zunächst die Absichten deS franzö sischen Kammerpräsidenten gerichtet sind, erhellt aus den Aeußerungen, wie er die Präsidentschaft der Republik mit größeren Befugnissen ausgestattet wissen will. Vielfach wird denn, wie wir gestern schon andeuteten, auch angenommen, daß der Ehrgeiz Paul Tesckanel's weiter und höher strebt, als nach dem Fauteuil des Kammerpräsidenten und dem Sitze in der französischen Akademie. Ter englische Botschafter in Paris ist bekanntlich von dort nach dem Süden abgereist, weil er die Qu een - Carricaturen der Pariser Witzblätter, über die er aufs Aeußerste entrüstet ist, nicht mehr ersehen kann. Diese Ent rüstung Sir Edmund Monson'S und derer, die hinter ihm stehen, über einige überderbe Spottbilder auf die Queen muß den Franzosen um so unbegreiflicher erscheinen, als sie sich noch mit großem Behagen der schamlosen Spottbilder auf den deutschen Kaiser erinnern, die nach dessen Telegramm an den Präsidenten Krüger anläßlich des Jameson-Zuges die britischen Witzblätter füllten. WaS damals in England an gezeichneten, geschriebenen, gesungenen und gemimten Gemein heiten gegen den Enkel der Königin Victoria unter dem wiehernden Beifall deö Pöbels aller Gcsellsckaftsschichten her vorgebracht wurde, geht noch über daS Schlimmste hinaus, was in den letzten Wochen an der Seine gegen die betagte Kaiserin von Indien und Königin von England gesündigt worden ist. Man sollte meinen, was damals nach englischer Auffassung dem deutschen Kaiser gegenüber Recht war, müßte heute gegenüber der Königin von England billig sein. Es liegt uns mit der „Voss. Ztg." fern, gewisse Ausschreitungen der sranzösiscken Spottsncht gegen die Queen zu billigen, aber die Zulässigkeit eines doppelten Maßstabes, wie ihn die Eng länder anwenden möchten, muß mit dem Berliner Blatte ernstlich bestritten werden. Es giebt ein deutsches Weisheits sprüchlein, daS da lautet: „WaS du nicht willst, daß man dir tku', daS füg' auch keinem Andern zu!" Vielleicht läßt Sir Edmund Monson diesen Spruch, der bei uns zu Lande jedem Kinde von sechs Jahren eingeprägt wird, inS Englische übersetzen und an alle die Leute vertheilen, die vor etlichen Jahren die gemeinen Verhöhnungen und Beschimpfungen des deutschen Kaisers ersonnen oder — beifällig belächelt haben. Feirrlletoii Im Wiistensande. Novellette von H. v. O st e n. Nachdruck verboten. Er sah sich allein und unbeachtet am Fenster stehen, während die Mutter und Joachim sich herzten mnd küßten, nicht ahnend, in wie bitterem Schmerze sich sein kleines, verschmähtes Herz züsammenkrampfte, denn ser krankhaft reizbare Stolz — Alfred'» Erbtheil von dem früh gestorbenen Vater — hieß ihn ja, jedes Verlangen nach Liebe und Zärtlichkeit unter einer abstoßend rauhen Außenseite verbergen. Schämte er sich doch vor sich selbst, daß er sich halb krvn' sehnte nach der Zuneigung dieses Bruders, der sich so gar nichts aus ihm machte, den es im Gcgentheile zu belustigen schien, ihn überall zu verdrängen, wo cr um Liebe oder Freundschaft warb, — auch bei ihr, der er sein ganzes Herz erschlossen, Maria von Sonatzky. Dem einsamen Träumer war's plötzlich, als müsse er er sticken in dem engen Zelte. Hastig warf er seine Kleider über und trat hinaus ins Freie. Finster schweifte sein Blick über das im Mondlicht schlummernde Lager. Unter welchem Zelte mochte sie wohl ruhen, die falsche, treu lose Maria, — die ihm die schönste und die qualvollste Stunde seines Lebens bereitet, die ihn so bitter enttäuscht? Er drückte die Hand vor die Äugen, aber er konnte es doch nicht bannen, das Bild, das so greifbar deutlich vor seinem geistigen Auge aüfstieg: das halbzerfallene Schloß in das ihn und Joachim der Quarticrzettel an jenem verhängnißvollen Ma niiver gewiesen. Er sah die weinerhitzten Gesichter des Bruders uckd der Kameraden sich über den mit Karten bedeckten Tisch beugen, an dem ihr Wirth, der alte, heruntergekommene Edel mann, Bank hielt. Er sah di-e scheue, zarte Tochter seines Gastgebers vom Garten aus auf die Terrasse treten und neugierig durch die bilboffcnen Fenster in den Saal schauen. O, wäre cr nicht zu ihr hinausgegangen, hätte cr sic niemals kennen gelernt! Aber es war doch so schön, wenn sic die lauen Sommerabende durch den verwilderten Garten streiften, sie ihm erzählte von ihrer einsamen Kindheit, ihrer Sehnsucht nach der tobten Mutter, nach der Welt, die sie nur aus ihren Büchern kannte, und die sie sich so schön träumte, wie ein Märchen aus Tausend und eine Nacht. Und weil er ihr die Thore zu diesem Märchenlande erschließen konnte, deshalb hatte sie ihn wohl auf ihre Liebe hoffen lassen, bis sie sicher gewesen, Kaß der flatterhafte Joachim Ernst machte. Und er hatte so fest an sic geglaubt wie an den Himmel! Mit einem Gefühl leidenschaftlicher Bitterkeit gedachte er des sicheren Vertrauens, in dem er den Wunsch ihres Vaters erfüllt, nicht eher mit seiner Werbung an Maria heranzutreten, Lis Joachim gesprochen, damit ihr frei und unbeirrt die Wahl zwischen ihm und dem Bruder bliebe. Der kluge Vater kannte seine kluge Tochter, und auch den Charakter des Majoratsherrn schien er nur zu wohl zu kennen; denn nichts auf der ganzen Welt hätte Joachim wohl sicherer zu einer Werbung treiben können, wie diese scheinbare Bevorzugung seines jüngeren Bruders. Es war ihnen ja nur allzu gut gelungen, ihr schlaues Spiel. Maria war Herrin des Majorats geworden, und ihr Later durch die Freigebigkeit des reichen Schwiegersohnes noch einmal frei von Schulden. Alfred Lary konnte so hohen Preis für die Braut nicht zahlen. „Herr Graf, es ist Zeit, daß wir aufbrechen." Mit diesen Worten trat einer der Dragomans an Lary heran. Der Traum war zerronnen. Eine Stunde später, und nur ein paar zerstreute Papicrfehen, die Aschcnreste der verglommenen Feuer zeigten die Stätte, wo die Karawane gerastet. Ti- Zelte, eisernen Bettstellen und -Waschgeräthe waren wieder auf dem Rucken der geduldigen Kameele unteraebracht. Der Leiter voran, rechts und iinks die bewaffneten Araber, einzeln oder zu zweie», ritt man hinaus in den frischen, thau feuchten Morgen. *in buntcS, farbenschöncs Bild war es, wie sic so durch die Wüste zogen, in ihren weiten, wehenden Mänteln von weißem Seivcntuch Die Hellen Tücker, die zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen um den Hut gesteckt waren, flatterten im Winde, der kühl von -Osten herüberwehte, das Nähen des Tages verkündend. Und dann brach sie plötzlich aus den dunklen Wolken hervor, die heiße, glühende Sonne des Südens. Wie in ein einziges Flammenmeer getaucht, loderte der Himmel, und, geblendet, überwältigt von dem herrlich groß artigen Naturschauspiel, zog Maria Lary die Zügel ihres Pferdes an. Unverwandt schaute sie in die flammenden, glühenden Farben töne, lange, lange, und dann drückte sie plötzlich das Gesicht in die Mähne ihres Rosses. Heißes, leidenschaftliches Schluchzen schüttelte ihren Körper. -Sie merkte es nicht, daß die Karawane ohne sie weiter zog. Die Worte des Dragomans, die sie vor dem Zurückbleiben warnten, klangen an ihr Ohr, ohne daß sie ihren Sinn verstand. Sic empfand nur das Eine, daß ihr Opfer umsonst, daß, wenn sie auch ihr Leben der Pflege der armen Ausgestoßenen weihte, sie doch nimmer den Mann vergessen konnte, der schon die Liebe des jungen Mädchens gewesen. Ein Gefühl brennender, unbezwinglicher Sehnsucht wallte in ihrem Herzen auf. Galt sie der Heimath, ober galt sie Alfred Lary? Plötzlich schreckte sie auf. Der Wüstensand zitterte unter fliegendem Hufschlag, und als sie verwirrt und verstört das Ge sicht von dem Hals ihres Pferdes erhob, sah sie «inen Beduinen mit vorgestrecktcr Lanze auf sich zu galoppiren. Das Herz begann ihr in bangen, lauten Schlägen zu klopfen; denn ein einziger Blick überzeugte sie, daß sie allein war, kein menschliches Wesen, so weit ihr Auge, so weit der Ton ihrer Stimme reichte. Ter unverantwortliche Leichtsinn ihrer Handlungsweise kam ihr erschreckend zum Bewußtsein, während sie der wilden Reiter gestalt entgegenblickte, die jede Secunde ihr näher brachte. „Hilfe, Hilfe!" rief sie, aber nur der Sirocco gab ihr Ant wort, der mit seinem sengenden Hauch den heißen, glühenden Sand »ufwirbelte. Die Dragomans, deren Pflicht cs war, in ihrer Nähe zu bleiben, hatten sich längst den anderen Reisenden angcschlosscu. Hatte sic doch die Lackschischspcndc, welche sic für das Zurückbleioen gefordert, unberücksichtigt gelassen, und um sonst seht sich der Araber keiner Gefahr aus. Vergeblich versuchte Maria, ihr Pferd zur Flucht anzu treiben. Der mit der Pflege der Thierc betraute Araber hatte das Futter vermuthlich gespart, um das dazu bestimmte Geld in seine Tasche wandern zu lassen. Nun versagten dem hungernden, über fein Vermögen angestrengten Pferde die Kräfte. Rathlos ließ Maria den Arm mit der Gerte sinken, und „Hilfe, Hilfe!" rief sie noch einmal, immer lauter, immer ver zweifelter. Welch' widerspruchsvolles Ding ist doch das Menschen herz! Wie oft hatte sich Maria den Tod gewünscht, aber nun sic seine Möglichkeit an sich herantreten sah, da klammerte sie sich doch mit allen Fibern ihres Seins an das Leben. Ihr war es plötzlich, als ob es noch tausend Freuden für sie haben müsse. „-O, Gott, verlaß mich nicht", flüsterten ihre bebenden L'ippcn, „sei barmherzig, Gott!" — und er war barmherzig. In der Gestalt des Mannes, an den sich jeder Gedanke von Glück und Freude fürste knüpfte, sandte er ihr den Retter. Lary sprengte mit zwei bewaffneten Arabern zu ihrer Hilfe herbei. Das braune, habgierige Gesicht des Beduinen verzerrte sich in ohnmächtiger Wuth. -Mit einem leidenschaftlichen Flück stieß er seinem Hengst die Sporen in die Weichen, und bald hatte die Wüste ihn in ihre Schatten ausgenommen. „Gerettet", flüsterte Maria, „o, Alfred, wie soll ich Dir danken?" „Gar nicht", antwortete cr raub. „Ich tlrat nickt mehr, wie jeder Andere auch an meiner Stelle gctüan. Ein Zufall fügte es nur, daß gerade ick als letzter den Zug beschloß und deshalb allein Deinen Hilferuf horte." Maria sagte nichts mehr. Stumm duldete sie es, daß er ihr Pferd mit Brod und Branntwein stärkte; stumm ritten sie weiter, Seite an Seite. Der heiße Wins wehte noch immer. Wirbelnd fegte er den feinen Sund den Reitern ins Gesicht. Lary schmerzte die Brust. Gepreßt rang sich der Athem aus seinem Munde. Maria sah angstvoll zu ihm auf. ..Du darfst Dir solche Anstrengungen nickt zumuthen", sagte sie flehend. „Es kann Dir den Tos bringen." Er zuckte Sie Achseln, ohne ein Wort, ohne einen Blick für sie zu haben.
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