Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010327026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-27
- Monat1901-03
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezuqs-PreiS in der Hauptexpeditiou oder de» sm Stadt bezirk und den Bororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus./L 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl. 0. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donanstaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« . Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-Ausgabe erscheint um V»? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr./ Re-action und Expedition: Johannisgasse 8. Filialen: Alfred Hahn vorm. O. Klemm's Sortlm. Unwersitätsstraße 3 (Paulinum), Louis Lösche, Katharineostr. 14, Part, und KönigSvlatz 7. 158. Abend-Ausgabe. WpMtrTaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Valizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 vor den Familieanach» richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zifferasatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung t>0.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von <k. Polz in Leipzig. Mittwoch den 27. März 1901. 95. Jahrgang. Professor vr. Liedermann im Jahre 1866. — Zn Anknüpfung an die in Berliner Blättern ausge sprochene Verwunderung darüber, daß von Seiten der sächsischen Regierung, insbesondere vom sächsischen Cultns- niinisterium, vom Ableben und der Beisetzung des Professors l>r. Biedermann keinerlei Noti; genommen worden ist, schreibt die bündlerische „Deutsche Tageszeitung" unterm 22. d. M. Folgendes: „Unseres Erachtens ist dieser Vorwurf unbegründet. Es ist in Sachsen nicht Sitte, daß die Regierung oder das Kultusministerium in solchen Fällen ähnliche Bekundungen (wie die des Reichskanzlers Grafen von Bülow) veröffentlicht. Daß das Cultusministerium von seiner Gepflogenheit in diesem Falle nicht abgewichen ist, wird man ihm nicht verdenken können, wenn man sich die Thatsache vor Augen hält, daß cs, wenn es im Jahre 1866 nach den Wünschen des verstorbenen Professors Biedermann ge gangen wäre, überhaupt kein sächsisches Cnltusministe- rium, keine sächsische Negierung und kein Königreich Sachsen mehr geben würde." Die konservativen „Dresdner Nachrichten" beeilen sich, diese Auslassung der „Deutschen TageSztg." zu über nehmen und binzuzusiigen: „Bei der größten Hochachtung, die man vor dem Verstorbenen haben mußte, sind diese Thatsachen doch unbestreitbar." Wir nehmen an, daß die beiden Blätter die vielberufene „Landesversammlung vom 26. August 1 866" im Auge haben und den Verlauf derselben zu Unrecht erneut zu einem Vorwurf gegen Professor vr. Biedermann ver dichten. Das ist um so verwunderlicher, als die angeb lich „unbestreitbaren Tbatsachen" längst richtig gestellt und von Professor vr. Biedermann in seinem Werke „Mein Leben und ein Stück Zeitgeschichte" 1886 in so schlichter, überzeugender Weise dargelegt worden sind, daß nur Unbelehrbare an dem alten Vorwurfe festhalten können. Das Andenken des Verstorbenen auch in dieser Sache fleckenlos zu erhalten, ist eine Pflicht der Gerechtigkeit. Man kann ihr nicht besser genügen, als durch Wiedergabe dessen, was Pro fessor vr. Biedermann selbst darüber geschrieben und wogegen sich zu seinen Lebzeiten ein beweiskräftiger Widerspruch nicht erhoben hat. Es heißt in dem oben angezogenen Werke: „Je länger die Iriedensverhandlungen sich hinzogen und je mehr es den Anschein gewann, als ob trotz des erklärten Willens des Königs (den ich und den wir Alle mit aufrichtigem Danke begrüßt hatten) dennoch ein fester und inniger Anschluß an den Norddeutschen Bund nicht zu Stande kommen werde, desto mehr regten sich — das ist nicht zu leugnen — in manchen Kreisen der Bevölkerung annexionistische Wünsche. Aber nicht blos im Schoße der nationalen Partei. Diese Wünsche sanden bekannt lich einen öffentlichen Ausdruck in der vielbcrufenen „Landes versammlung vom 26. August". Wenn ich die Liste der mehr als 300 Theilnehmer LieserVersammlung durchmustere, so stoße ich darin auch auf Namen, die später in den Reihen der Conservativen glänzten. Der auf Antrag des vorberathenden Ausschusses, dessen Referent ich war, gefaßte Beschluß der Landesversammlung war übrigens ein streng im Rahmen des bundesstaatlichen Verhältnisses gehaltener. Er lautete: „Es liegt im Interesse des sächsischen Volkes, Laß nicht allein in allen nothwcndigen gemeinsamen Angelegenheiten, ins besondere des Verkehrswesens, die Gesetzgebung und bez. Verwaltung an die Organe Les Bunde-, Centralgewalt und Parlament, übertragen werde, sondern daß auch Sachsen seine Militärhoheit und seine diplomatische Vertretung völlig und bedingungslos an die Krone Preußen abtrete, der gestalt, daß nur der König von Preußen Kriegsherr, wie im ganzen Gebiete des Bundes, so auch in Sachsen sei, daß nur er das Recht habe, Gesandte an auswärtige Hose zu schicken und solche zu empfangen. Nur unter diesen Beschränkungen erachten wir es für möglich, daß der Fortbestand der Selbst ständigkeit Sachsens nicht den allgemeinen und auch den eigenen sächsischen Volksinteressen nachtheilig werde." In diesem letzten Satze verrälh sich die Besorgniß, es könnte wieder einmal die Politik Sachsens auf falsche Wege gelenkt werden, wenn sie nicht fest und unauflöslich gekettet sei an die Geiamnit- politik eines deutschen Bundesstaates. Nach dem, was 1866 die Großmannssucht eines einzelnen Ministers über Sachsen gebracht hatte, wird man eine solche Besorgniß nicht ausfallend und nicht unberechtigt finden. In den heißblütigeren Mitgliedern der Ver- sanimlung wirkte eben diese Besorgniß so stark, daß sie der vermeintlichen Gefahr nur durch eine Einverleibung Sachsens in Preußen entgehen zu können meinten. Das war der Sinn jenes „Annexionsantrages", der im Lause der Debatte aus der Versammlung selbst auftauchte und, obschon von anderer Seite bekämpft, von mir in meinem Schlußworte zurückgewiesen, gleichwohl ein großes Stimmen mehr für sich gewann, vr. Joseph, der ein entschiedener Annexionist war, hatte damals sofort von der Versammlung ans diesen letzten Beschluß derselben an das Präsidium Les gerade versammelten preußischen Abgeordnetenhauses tclegraphirt und sich dabei meiner Mit Unterschrift, ohne mein Vorwissen und meinen Willen, bedient. Gegen diesen Mißbrauch meines Namens habe ich alsbald öffentlich mich verwahrt. Ich meinerseits habe als die eigentliche, weil allein einstimmig gefaßte, Kundgebung der Versammlung vom 26. August ins Land hinaus den Beschluß wegen bundes staatlichen Anschlusses Sachsens an Preußen versendet und habe Lazu eine ganze Reihe von Anschlußerklürungen, nament lich aus den Kreisen der großen Industriellen, erhalten. Loch in Len Augen der Partikularisten, der leidenschaftlichen Gegner einer jeden Annäherung Sachsens an Preußen, vollends jener Con servativen, welche sogar das durch Len Frieden geschaffene Ver- tragsvcrhältniß Sachsens zu Preußen ni»r wie eine „Fessel" an sahen, die man so bald als möglich wieder abzuschütreln suchen müsse, in Len Augen Solcher waren jene beiden Beschlüsse, der bundesstaatliche und der annexionistische, nahezu völlig gleichbedeutend, waren wir Nationalliberalen insgesammt Annexionisten." Diese Auffassung scheint auch beule noch jene beiden Blätter zu beherrschen, die der sächsischen Regierung in ihrer Vereinsamung — gegenüber den antheilnchmeuden Schreiben des Grafen Bülow und des preußischen Cultusministers Studt — hilfreich beizuspruigen für nölhig erachtet haben. Der Krieg in Südafrika. Milner. -p. ES ist vielfach behauptet worden, daß die Persönlichkeit des jedem Boeren bis in den Tod verkaßlen neuernannleu GeneralszouverneurS der neuen „Kroncolonie" Transvaal und Oranje in erster Linie daran schuld sei, daß die Friedens- verhandlungen gescheitert sind. Dies ist aber nicht der Fall. TaSSchuldconto Milner'S bleibt allerdings noch schwer belastet, da er vor Allein die Verantwortung für den fluchwürdigen Krieg trägt, aber was die Friedensbcdingungen ankangt, so hielt er eS doch für klüger, den Boeren weiter entgegen zu kommen, als ursprünglich beabsichtigt war und — Cbambcr- lain war es, der davon nichts wissen wollte und Milner bas Coneepl corrigirte. Wie die Differenzen sich werter entwickelt haben, zeigt folgende Meldung: I'. London, 27. März. (Privattelegramm.) Milner er- suchte um Amtsenthebung wegen Uneinigkeit mit Kirchener und Chamberlain's Verwerfung seiner Vorschläge. Die Regierung Wies die Demission zurück. Cbamberlein besteht auf der vollständigen Vernichtung der Selbstständigkeit der Boerenrepubliken, und diese Bedingung ist es, an welcher die Verhandlungen scheiterten und immer scheitern werden. Es ist daher im Grunde genommen glerch- giltig, ob Milner's Demission angenommen oder verworfen worden ist. vinc englische Schlappe. Heute mir, morgen dir, das ist die Losung in jedem Guerillakriege. Kaum hat De la Ney einen Wischer weg bekommen, so meldet der Draht schon, daß es Len Engländern auf einem anderen Thsil des Kriegsschauplatzes höchst übel ergangen ist. Uns liegt folgende Nachricht vor: v. London, 27. März. kPrivattelegramm.) Ans Capstadt wird über cinc Niederlage der Engländer bei Nichmond nnd prefattgennahmc von ILOtxng- ländern durch isonim «ndant Malaie berichtet. Richmond liegt in der Eapcolonie, etwa 80 lern süd-süd östlich von de Aar. Also auck dort sind die Boeren noch mobil und keineswegs nach Te WetS „Rückzug" demoralinrt, oeer aufgelöst oder zu Paaren getrieben, wie es hieß. Man weiß, welche Bedeutung de Aar für die englische Armee hat. Boerencommandos in der Nähe dieses großen Generaldepots sind immer ein Zeichen imminenter Gefahr. Andries Te Wet nnd Joostc. Die „Frankfurter Zeitung" schreibt: An knüpfend an unseren Bericht über die Boerenversammlung in Frankfurt a. M. am 4. Februar sendet uns Herr Or. I. Hanau, DistrictSarzt und Friedensrichter für den District Carnarvon (Kap- colouie) aus Carnarvon vom 3. März ein Schreiben, in dem er n. A. behauptet, daß der junge De Wet, der in Frankfurt und anderen deutschen Städten Reden gehalten hat, mit dem General Christian De Wet gar nicht verwandt sei. „Ich", schreibt Herr Hanau, „wohne feil 21 Jahren in Carnarvon. Aus einer Farm in unserem Districl wohnen die Eltern Andries De Wet, der hier geboren und groß geworden ist." Derselbe, habe sich mit seinem Vater nicht vertragen können und sei dann nach Transvaal gegangen, wo er nach dem Ausbruche des Krieges als Radfahrer zur Ueberbriugung von Depeschen verwendet wurde. Eine größere Schlackt habe er reicht mitgemacht, ebensowenig wie Herr Jooste, der ebenfalls in Carnarvon eine wohlbekannte Persönlichkeit fei. In Gemeinschaft mit Herrn Steenekamp hätten sie in Ken Hardt und Upington einen Aufstand hervorzurufen versucht, seien dann aber bei der Annäherung britischer Truppen gestoben. Was De Wet in Frankfurt von seiner Gefangen nahme und Wegsendung durch die Engländer erzählt habe, sei nicht wahr. Die Wirren in China. Tic ManSschurei-Frage. Ashmead Bartlett fragt in der gestrigen Sitzung deS englischen Unterhauses an, ob die chinesische Negierung die Unterzeichnung des Mandschurei-Vertrages abgelehnl habe, und ob die englische Regierung Cbina bei einer ab lehnenden Haltung Unterstützung leisten werde. UnterstaatL- fekretär Cranborne erwiderte, die englische Regierung könne nicht beanspruchen, genau über den Stand von Unter handlungen unterrichtet zu werden, an denen Eng land nicht bettzeiligt sei. Unter diesen Umständen müsse er die Beantwortung einer hypoihetischcn Frage beresfS der Haltung der Negierung ab leb neu. Auf eine andere Frage über den gleichen Gegenstand erwiderte Lord Cranborne, die der Regierung bekannt gewordenen Versionen über den ge planten Vertrag enthielten Bestimmungen, die allem Anscheine nach die englischen Hand elSinleressen in den Theilen Chinas, auf die sich das Abkommen bezieht, berühren. politische Tagesschau. * Leipzig, 27. März. Die mehr und mehr sich geltend machende österliche Stille giebl den Zeichendeutern in der Berliner Presse die Gelegen heit, allerlei Sensation ins Publicum zu bringen. Die ent täuschten Vertreter derjenigen Handelsvertragspolitik» die sich als unhaltbar erwiesen hat, prophezeien heute bereits dem Reichskanzler, daß er in die innere Krisi» unver meidlich hineintreibe, obwohl er als hauptsächliches Ziel sick vorgenommen habe, innere Krisen zu vermeiden. Daß die Parteien im Begriff stehen, ihre Beziehungen zur Regierung und unter einander selbst zu revidiren, soll nicht geleugnet werden. Es liegt ja offen zu Tage, wie die freisinnige Presse, die den Grafen Bülow seiner Zeit mit dem lautesten Hvsiannaruf begrüßt hat, immer weiter von ihm abrückt. Andererseits darf man die Bedeutung des interessanten Zwiegesprächs, welches Fürst HerbertBismarck und Graf Bülow jüngst im Reichstage geführt haben, als ein bemerkenswerthes politisches Symptom bezeichnen. Gewiß bat Fürst Herbert Bismarck keine politische Partei hinter sich. Wenn er spricht, geschieht eS zunächst nur im eigenen Namen. Aber die Beziehungen des Fürsten zu den angesehensten Häuptern der conservativen Partei im Lande und auch im Parlamente sind notorisch. Es geschieht jedenfalls in ihrem Sinne, wenn er die auswärtige Politik deS Reichs kanzlers insoweit anerkennt, als sie politisch und bandels- politisck das gute Einvernehmen mit Rußland wieder herzustellen sucht, und wenn er sie von der Ver antwortung für Zustände freispricht, die aus der AmtS- tbätigkeit der beiden vorigen Kanzler als unvermeidliche Folgewirkuug sich ergeben hat. Obgleich der Reichskanzler die gute Absicht der Erklärung des Fürsten anfänglich ver kannte, wird er sie nachträglich erkannt und als geeignetes Mittel zur festeren Verknüpfung der Fäden benutzt haben, die von ihm zu den conservativen Kreisen, in deren Sinne Fürst Bismarck sprach, hinüber führen. Es kommt bloS noch darauf an, daß dieselben conservativen Kreise auch wegen des Canals in Preußen zu einer Verständigung mit der Regierung sich anschicken. Da kann nicht unbeachtet bleiben, wie namentlich die „Schlesische Zeitung" den Conser vativen täglich ins Gewissen redet, daß sie den reckten Augen blick nnd den Anschluß nicht versäumen. Dies Alles deutet aber nicht auf eine innere Krisis hin, sondern auf eine ersprieß- licke Erledigung des Zolltarifs. Sobald die Freunde einer gemäßigten positiven WirtbschaftSpolitik unter sich ebenfalls einig geworden sind, wie sie die extremen und unmög lichen Forderungen der Agrardemagogen niederhalten und wie sie andererseits ihre zweifellos vorhandene Mehrheit für die parlamentarischen Verhandlungen zu sicherer Wirkung dringen, scheint die Gefahr einer inneren Krisis weiter ent fernt denn je. Womit wir gar nickt gesagt haben wollen, daß die Verstärkung des conservativen Einflusses, die dann sicher zu gewärtigen ist, nicht neue Schwierigkeiten auch für die gemäßigte liberale Richtung im Lande zur Folge haben könnte. Aber eine innere Krisis wird durch solche Schwierig keiten nicht herbeigesührt. Sie können freilich nur durch die Tbalkraft, die Besonnenheit und die kluge Leitung der ge- mäßigtliberalen Partei überwunden werden. Die in unserer heutigen Morgenausgabe mitgetheilte, vom Bischof von Fulva in seinem diesjährigen Fastenhirtenbriefe niedcrgelegte Auslassung über die gemischten Vhen erregt be greiflicherweise im ganzen Reiche Aufsehen. Besonders ist eS der Satz: „Wie, wenn der katholische Tbeil sich so weit ver gißt, daß er die von der Kirche geforderten Bedingungen nicht erfüllt, also auch seinerseits taS Sacramcnt entweibt, vielleicht gar nicht empfängt, indem er an gewissen Orten vor Gott und der Kirche überhaupt keine giltige Ehe ein gebt", — der gerade jetzt, wo daS Centrum in „Toleranz" macht, wenn nickt Erstaunen, so dock Erregung Hervorrufen muß. Die Münchener „Allgem. Ztg." bemerkt zu diesem Satze: „Die „gewissen Orte" sind das Standesamt, diese von der Fenrlleton. in Iwei Brüder. Roman von Franz Rosen. »iagtruck vlrloun. XXIX. Als der blaffe Frühsommermorgen zum Fenster herein dämmerte, raffte Peter sich gewaltsam auf, löschte die qualmende Lampe und verschaffte der frischen, starken Morgenluft unge hinderten Zutritt. „Karina", sagte er leise zu 'der Alten, „Du mußt nun noch einmal allein bei ihm bleiben — ich habe ein paar wichtige Gänge zu machen." Als könne er sich dennoch nicht entschließen, stand er noch und sah den tobten Bruder an, dessen Gesicht, mit dem steifgewor- denen, blutigen Tuch verbunden, einen immer trostloseren An blick bot. Maria durfte jetzt nicht länger bleiben; das war zu viel für ihre kaum zurückgewonnenen Kräfte. Sie folgt« seinen Anordnungen stumm und willenlos, und so brachte er sie, völlig erschöpft und halb bewußtlos, in ihre Woh nung zurück, die er nicht eher verließ, als dis sie einen starken, heißen Trank bekommen hatte und zu Bett gebracht worden war. Dann fuhr er zum Oberstin. — Und dann auf's Gericht; zum Geistlichen; zum Tischler. Er war übermenschlich, was er leistete. Er befand sich in einer seelischen Betäubung, die ihn nichts mehr fühlen ließ; weder geistig, noch körperlich. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er in sein schmerzensreiches Heim zurückkehrte. Er hatte «ine traurige Freude, als er seinen Tobten wieder sah. Er kniete neben ihm nieder; so war er noch einmal ganz allein mit ihm; Niemand zwischen ihnen; so war eS lange, lange nicht gewesen. Es schnitt ihm ins Herz, wie er da lag — jung, hoffnungsreich, vielgeliebt, lebenskräftig und todt. „Mein Sorgenkind — mein Einzig:: — ich habe Dich Deiner Mutter schlecht gehütet —" Dann holte er den Zettel aus der Brusttaschc und legte ihn vor sich auf das Bettuch. Unablässig starrte er auf die runden Zahlen — unablässiger auf die geschnörkeite, elegante Unter schrift. Dann legte er den Kopf in die Hände. „Elisabeth — Elisabeth — sage mir, was ich thun muß! — Ich weiß vs ja selber ganz genau — aber ich kann nicht — kann nicht Dich mit ihm vernichten! Zwei von Manfred's Kameraden wurden ihm gemeldet. Sie tamen als Abgesandte des Regiments, sich nach den näheren Umständen theilnehmend zu erkundigen. Schweigend uns er griffen standen sie an der stillen Leiche des blühenden, lustigen Gesellen. Dann führte sie Peter zurück in das Vorzimmer, wo sie für einige Augenblicke noch Platz nahmen. Sie hatten etwas mit ihm zu besprechen. Sie waren alle der Ansicht, daß Lazinsky an dem entscheiden den Abend falsch gespielt habe; sie glaubten, es ihm beweisen zu können. Manfred selbst sei natürlich ahnungslos gewesen; sonst würde er wohl wo anders hin gezielt haben. Wenn man es ihm doch gleich gesagt hätte — aber wer giebt sich dazu her! Kurz und gut, sie waren entschlossen, Anzeige zu machen und wollten nur vorher Peter fragen, ob er als Bruder des Todten etwas dagegen «inzuwenden habe. Peter sprang auf, als müsse er ersticken. Es tobte und wühlte in ihm von widerstreitenden Gewalten. „Nein", sagte er endlich mit harter Stimme. „Ich am wenigsten. Denn mir hat er sein Ehrenwort gebrochen." Sie gingen befriedigt ab. Als sie hinaus waren, lachte Peter kurz auf. „Nun kannst Du Dich bei mir bedanken, Elisabeth." Der Nachmittag verging ihm mit traurigen Nothwendigkeiten. Als gegen Abend Maria in Begleitung ihrer Eltern wieder- kam, war das kleine Schlafzimmer in eine friedliche Todten- kammer verwandelt. So gut es ging, war alles Ueberflüssige fortgeräumt. Das Bett, darauf der Tobte lag, sauber ge waschen, und die Wunde mit einem kaum sichtbaren Pflaster ge schlossen, hatte man in die Mitte gerückt und mit weißen Blumen geschmückt. Am Kopfende stand das Crucifix, das schon auf Frau Josefa's Sterbebett herabgeschaut. Maria hob ihr verhärmtes Gesicht zu Peter empor, sah ihn dankbar an und drückte ihm lange die Hand. „Du hast so schön für Alles gesorgt", sagte sie traurig; „mir Alles so liebevoll abgenommen. Ich danke Dir, Peter. Aber nun bin ich da. Nun sollst Du ruhen." Es hätte ihm recht noth gcthan — aber wo war seine Ruhe! .Er legte sich zwar im Wohnzimmer auf das Sopha, aber es wollte kein wohlthuender Schlaf kommen, den armen Kopf von dem beständigen Marterwerk seiner Gedanken zu erlösen. Und es war keine treue, weiche Hand da, die sich auf seine schmerzende Stirn legte — keine sanfte Stimme, die da sprach: „Gieb mir den Theil Deiner Leiden, der mir gehört, auf daß es Dir leichter werde." Es kam auch für Peter eine Stunde, in der seine Willens kraft ihn verließ. Körperlich und seelisch erschöpft, war es, als ob die allzuscharf gespannten Saiten seines Seelenlebens plötz lich zerrissen. Dumpfe Gleichgiltigkeit — Muth- und Hoff nungslosigkeit überkamen ihn. Was nützte es denn, sich ehrlich und anständig durch's Leben zu schlagen? Ueberall seine Pflicht zu thun, verbotenen Genüssen gewissenhaft zu entsagen — fremdes Eigenthum heilig zu halten? War cs nicht weit besser und rich tiger, das kurze Leben nach Kräften zu genießen — jede Frucht zu pflücken, die am Wege reift, ohne zu fragen, wem sie gehört nnd ob sie giftig ist? — DaS Unglück erreicht den Gewissenhaften ebenso, wie den Leichtsinnigen. Es kommt nur darauf an, wer das Glück am besten zu nützen versteht. — Manfred hatte das Talent gehabt, glücklich zu sein; ohne Nachgedanken, ohne Dorgedanken; so recht in den Tag hineinge tragen von seinem leichtsinnigen, liebenswürdigen Temperament. Das Ende war eine kurze Nacht der Verzweiflung und ein schneller Tod. Er selber — was war die Frucht seiner Gewissenhaftigkeit, seiner Pflichttreue, seines grübelnden Ernstes? Ein schmerz volles Entsagen — ein eintöniges, freudeleeres und voraussichtlich sehr langes Leben. Aber Dank eben jenes grüblerischen Ernstes dachte er weiter. Und das rettete ihn aus dieser dunklen Stunde: Was hinterließ Manfred? Eine unversorgte Wittwe, die mit gerechten Vorwürfen an seinem Sarge stehen konnte; einen Sohn, an dem er seine Vaterpflichten nicht erfüllte; einen schrillen Mißton in der Trauer Aller, die um ihn weinten. — Und was hatte er sich gewonnen? — Peter schloß die brennenden, überwachten Augen; es kam eine kurze, tiefe Ruh« über ihn. Das ist doch der Segen der Pflichterfüllung, daß man die schwersten Schläge des Lebens standhafter ertragen kann, mit der Festigkeit und dem inneren Frieden mitten im Kampf, die nur das gute Gewissen und ein wohlgeordnetes Innenleben zu verleihen im Stande ist. Daß man mit aller Pflichttreue doch oft nicht zum Ziele kommt — das muß man dann gläubig Gott überlassen. XXX. Um die Mittagsstunde deS folgenden Tages meldete sich Peter in der Lazinsky'schen Wohnung. Der Herr Rittmeister sei nicht zu Hause, wurde ihm gesagt; aber die gnädige Frau lasse bitten. Zu Allem entschlossen, betrat er Elisabeth'; Zimmer. Zwischen leeren und halbvollrn Kisten, aufgezogenen und durchwühlten Schubfächern kam sie ihm entgegen. Aus ihren Augen sprach deutlich und unverschleiert die theilnehmende Angst der Liebe. „Was kann Sie zu mir führen — beute — o war für Tage sind das für Sie! Wie viel habe ich Ayrer gedacht!"
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite