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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000212028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900021202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900021202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Reklamen unter dem Redactionsstrich (4g» spalten« 50-H, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Cchrislen laut unserem Preis» vcrzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit de. Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung .sl 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde frnher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 9t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Februar. Der dritte und letzte Taz der Alottcndcbatte im Reichs tage war, den Gegenstand der Tagesordnung in Betracht gezogen, noch weniger ergiebig, als die vorausgegangenen. Leibst in England dürfte man das finden und die feurigen Liebeserklärungen, die die Abgz. Bebel und Haußmann über das Aermelmeer klingen ließen, für mehr als compensirt erachten durch die anders lautenden Kundgebungen Anderer, die dem deutschen Volksempfinden näher stehen, als der Socialdemokrat und der Demokrat. Herr Bebel ist ganz zu» frieden mit England; dieses — wir citiren nach dem Sitzungs berichte des „Vorwärts" — „sollte unser natürlichster Bundes genosse sein". Nicht ganz logisch, auch nicht sonderlich gut deutsch, dafür aber gewiß gut englisch gemeint. Engländern gehört nun einmal zum unentbehrlichen Hausrath des deutschen Demokraten. Auch der Abg. Haußmann hat an den Briten überhaupt und im Allgemeinen nichts auszusetzen. Für die Zukunft meint er, „stehl zu hoffen, daß Chamberlain nicht dauernd das Steuerruder führt". Das hätte Herr Hauß mann aber besser nach England geschrieben, wo er von den FricdenLcongressen herjedensaUsgute Freunde hat; etwa während der Adreßdebalte im dortigen Parlamente, die gewiß weniger chamberlain freundlich ausgefallen wäre, wenn man dort gewußt hätte, wie die schwäbischen Demokraten über den Staatssekre tär der Colonien denken. Das englische Parlament wäre auch ein geeigneterer Ort als der deutsche Reichstag für die Verlesung des „Friedensmanifestes des Zaren" gewesen, durch die Herr Haußmann den Präsidenten bemühte. Das deutsche Reich hat seit seinem Bestehen dreißig Jahre hindurch Frieden ge halten, trotz wiederholter Verstärkung des Heeres und sogar der Flotte, Acle, welche Herr Bebel als untrügliche Zeichen unchristlicher Unsriedfertigkeit brandmarkte. Wie vzel Kriege hingegen hat England in dieser Zeit geführt! Herr Bebel hat sich auch als Marinetechniker aufgethan. Das Geld für die großen Schüfe ist seiner Ansicht nach hinauS- geworsen, denn wenn so ein Koloß von einem feindlichen Geschoß getroffen wird, so liegt es im Wasser und kann sich nicht rühren. Mit dieser „Erwägung" kann man alle Aufwendungen für VertheidigungSzwecke als unsinnig hinstellen, insbesondere auch für die Ausbildung der Soldaten ' nd O'ficiere, denn wenn so einem General von einer Granate der Kopf weggerissen wird, ist es aus mit der Verwerthung seiner Kriegskunst. Bebel erntete das verdiente Lob des welfischen Abgeordneten v. Hodenberg, während Herr Richter, der Tags vorder schlecht abgeichnitten hatte, sich von Haußmann loben lassen mußte. Herr v. Hodenberg lobte aber auch den Abgeordneten I»r. Hahn, der als Hannoveraner ganz recht gelhan habe, bei CentrumSleuten gegen die Flottenvorlage auszustacheln. Daß auch dieses Lob, wenigstens soweit eS sich um die Richtigkeit der ihm zu Grunde liegenden Thatsachen handelt, vollauf verdient war, geht aus dem erschöpfenden ReichS- ragsbericht in unserer Sonntagsausgabe hervor. Herr Hahn hat in der That gethan, wessen er von der „Germania" beschuldigt war und fast der ganze Reichstag zeigte sich davon überzeugt. Als vorgestern der Abg. Graf Stolberg, dem Jntriguen gegen die Militärvorlage nachgesagt worden waren, die Erklärung abgegeben, er wisse nicht, ob er etwas darüber zu einem CentrumSmitgliede bemerkt habe, er könne aber nach seiner ganzen Auffassung jener Vorlage dieser un möglich Gegner geworben Haden; — nachdem diese schlichten Worte gesprochen waren, zeigte daS ganze Haus, Freund und Feind, eine Haltung, wie man sie eben gegenüber der Recht fertigung eines glaubwürdigen Mannes beobachtet. Als hingegen Herr vr.Hahn seine Verantwortung begann: „Wer mich kennt . . . .", erscholl ein allgemeines Gelächter, das zugleich dem Herrn von Wangenheim galt, der — dem Sinne nach — auch für Herrn Hahn die Erklärung ab gegeben batte, daß die Behauptung der „Germania" bis auf den letzten Buchstaben „erfunden und erlogen" sei und man nur die Wahl habe, ob man die Mittheilung des Blattes für em Erzeugniß „der Dummheit oder Gemeinheit" ansehen wolle/ Der Abg. Szmula hatte gleich darauf daS Haus vor eine — andere Alternative gestellt und Dr. Hahn hätte gar nicht mehr zu reden brauchen; man wäre doch überzeugt gewesen, daß er das Centrumsmitglied zur Rekruttrung möglichst vieler Gegner der „lästigen" oder „häßlichen" Flotte — die Frage, welches dieser beiden Eigenschaftsworte der Patriot gewählt, ist die einzige, die offen blieb — aufgereizt bat. Und zwar ernstlich. Die Verantwortung 0r. Hahn'S, daß seine Worte scherzhaft und „harmlos" gewesen, daß die „Germania" „nach Art deS Ari;ona-K,cker" referire, fand die gebührende Aufnahme. Ein national-polnisch angehauchter Klerikaler, wie Herr Szmula, ist der rechte Mann, dem man die Bekämpfung einer nationalen Sache wie die Flotte im Scherz anrätb, und einem extremen Agrarier, der Herr Szumla gleichfalls ist, kommt man nicht zum Spaß mit dem Argument, daß die Flotte die Landwirthschasl ruinire. Wenn Herr- Hahn nur scherzen wollte, würbe er sich wohl an Abgeordnete wie Hasse oder Bassermann gewendet haben. Tie Scherzhaftigkeit wird denn auch von Niemand geglaubt, selbst die „D. T." sagt über ihres Patrons Verdesendirung nickls. Die „Kreuz zeitung" in ihrer Besprechung der Sitzung streift nur flüchtig die Episode Hahn. Der ganze Vorfall ist übrigens nicht überraschend, er läßt Herrn vr. Diedrich Hahn so erscheinen, wie ibn der Abg. vr. Sattler wiederholt und neuerdings auch der Abg. Friedberg im Abgeordnetenbause abconterfeit haben. Höchstens, daß man der Gruppe, der er in der Marine sache angehört, nun einen Namen geben und sie den „Flotten gegnerclub der Harmlosen" nennen darf. Sonst war durch die Presse der Berliner Leitung des Bundes der Lanb- wirthe Alles bekannt geworben, was wissenswerlh ist: daS BundeSdirectvrium reizt gegen die Flotte auf. Was der Abg. Graf Schwerin-Löwitz vorgestern im Reichstag vor brachte, war auch überwiegend gegen die Flottcnvernwhrung gerichtet. Uno der Frhr. v. Wan gen heim, der Präsident des Bundes, war unerschöpflich in AufstachelungSreden: „Wir", so ließ er sich vernehmen, „sind uns vollkommen klar, daß gerade für die Lanbwirthschaft diese Vorlage die aller schwersten Nacbtheile haben muß." Und weiter: „Zu meinem Bedauern hat sich in einem großen Tbeil der landwirtbschaftlichen Bevölkerung allmählich doch eine ganz erhebliche Mißstimmung gegen diese Vorlage gellend gemacht und macht sich von Tag zu Tag mehr gellend." DaS ist eben das Werk der Bundesleitung, Las Herr v. Wangeuheim „zu seinem Bedauern" entstehen sieht. Es ist nicht ungewöhnlich, daß der Brandstifter Feuerjoh schreit. Nach Herrn v. Wangenbein: ist natürlich die „Wirlh- schastspolitik der Regierung" schuld, lieber diesen Punct verbreitete sich der konservative Redner in einer Weise, die die Absicht, Gegenleistung für die Flottenbewilligung zu fordern, trotz entgegengesetzter ausdrücklicher Versicherung deutlich bervortrclen ließ. Dabei aber bietet der Herr vor läufig nur sich, die Zustimmung zur Flottenvorlage bat er lediglich für seine Person erklärt. Wie groß ist die flotten gegnerische Minderheit in der konservativen NeichstagS- fraction? Diese Frage interessirt unS natürlich besonders in Sachsen. Wir fürchten, die Antwort kann noch nicht gegeben werden, denn diese Minderheit scheint im Steigen begriffen. Herr v. Wangenheim arbeitet jedenfalls auf die Ablehnung hin. Nur auf Neuwahlen konnte es berechnet sein, wenn er von dem Abgeordneten Hilpert, über den gelacht worden war, weil er direcl unsinniges Zeug vor gebracht, sagte, die Rede und die Ungereimtheiten deS Mannes seien „der Ausdruck dumpfer Verzweiflung, weil alle Hilfe auSgeblieben." Diese Wendung steht auf der Höhe der Auf forderung an die Landwirthe, „unter die Socialdemokraten zu gehen", und der sich ihrer bediente, ist Mitglied der konservativen Fraction. Die Aussichten -er Flottcnvorlage werden von der national-socialen „Hilfe" folgendermaßen berechnet: „Sicher für die Flotte sind: Die Nationalliberalen (47), die Frei sinnige Vereinigung (13), die beiden konservativen Fraktionen (74), von denen aber vielleicht manche bei der Abstimmung stillschweigend feklen werden, die Deutsch-Socialen (10), bei denen das vielleicht auch der Fall sein wird. Von den 39 bei keiner Fraction Befindlichen darf man etwa auf 15 sicher zählen. Zusammen sind also etwa 140 bis 150 Stimmen für die Flotte sicher. — Sicher gegen die Flotte werden stimmen: 57 Socialdemokraten, 35 Volksparteiler, 27 Welfen, Polen und Elässer, 4 Bauernbündler, wenn auch in allen diesen Gruppen außer den Socialdemokraten sich mancher der Abstimmung enthalten wird; daS macht IlO bis 120 Stimmen gegen die Flotte. Die Entscheidung liegt also beim Centrum; cS kommt daraus an, ein wie großer Theil der Führung Liebcr'S folgen wird. Wenn eS auch nur stark die Hälfte der 106 CentrumSstimmen sind, so ist die Annahme der Vorlage gesichert. Und daß auf die Losung „Flotte und Erbschaftssteuer" sich so viele finden werden, scheint nicht zweifelhaft." Das Ausscheiden vr. Lieber's beeinträchtigt, wie schon bemerkt, diese Aussichten einigermaßen; ein Berliner Mitarbeiter der „Allgem. Ztg." meint z. B., daS Centrum werde, nachdem I)r. Lieber so gut wie aufgegeben sei, unter ter Aegide Schätler'S in der Mehrheit gegen die Vorlage votiren. Trotzdem glauben wir noch nicht an eine Ablehnung, nachdem das Cenlrum erfahren bat, wozu eS Herrn vr. Hahn und seinen Gesinnungsgenossen dienen soll. Der kürzlich zurückgetretene und nicht wieder gewählte Bürgermeister von Prag, vr. Po-lipnp, hat an den Heraus geber der allslawischcn Zeitschrift „Russisches Wort" zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts folgenden Brief gerichtet: „Ich erlaube mir, dem russischen Volke an der Schwelle des zwanzigsten Jahrhunderts meine aufrichtigsten Glückwünsche zu übermitteln. Mögen die Gebete der ganzen Welt den Himmel erreichen, daß die Idee deS allgemeinen Friedens, den die christlichen Seelen anstreben, sich verwirkliche, Laß der erhabene Traum des großen Zaren des heiligen Rußlands sich verwirkliche, daß Gott Se. Majestät belohne, ihm Segen und Gnade spendend. Möchten die vereinigten Gebete der ganzen slawischen Welt den Himmel erreichen, daß alle Zweige der slawischen Familie sich kräftigen sollen, daß das mächtige russische Volk an der Spitze aller slawischen Völker ununterbrochen, mit der Fackel der Civilisation, des Friedens und der Freiheit in der Hand, vorwärts marschiren soll. Die Deutschen beten ihren Gott, den Gott der Gewalt und der Macht, an; wir Tschechen glauben aber an unseren Gott, den Gott der Wahrheit nnd der Menschenliebe. Wir glauben an die Gerechtigkeit der Geschichte und hoffen, auf dem Wege ehrlicher Arbeit unser Ziel zu erreichen. Wir, der äußerste Schutzdamm des Clawen- thums, halten seit den ersten Jahrhunderten die Hochsluth de» feind seligen Stromes aus. Nach jahrhundertelangem Kampfe, als unsere Todtengräber wähnten, uns schon zu den Tobten zählen zu dürfen, haben wir unsere Muttersprache gerettet und stehen nun auf den Beinen, hoffen auch, daß wir mit Gottes Hilfe für immer so bleiben werden! Während dieses schweren Kampfes diente uns die Civili- sation der Brüderlichkeit als Stütze und als Quelle unserer eigenen Wiedergeburt. An der Schwelle deS neuen Jahrhunderts wäre es undankbar, sich der moralischen Stütze nicht zu erinnern, welche Rußland uns auf dem Gebiete der Civilisation erwiesen hat. Wir schulden ihm dafür ewige Dankbarkeit." Bei Lickte besehen, ist der ganze Friedensappell nur eine Hetz-Rodomontade gegen Deutschland und den Dreibund. Daraus kann man ersehen, wie aufrichtig die „Gebete" Pod- lipny's gemeint sind. Leider steht hinter ihm, wenn er auch nicht wieder zum Bürgermeister gewählt ist, daS gesammte Tsckechenthum. Mebr als komisch wirkt eS, wenn Herr Pok- lipny den Gott der Menschenliebe als den Gott der Tschechen in Anspruch nimmt; derselben Tschechen, die durch ihre Bru talität und bluttriefende Rohheit gegen ihre deutschen Mit bürger den tschechischen Namen vor aller Welt gesckänvet haben. Wir glauben nickt, daß ein gebildeter Russe besonders erbaut davon sein wird, daß der Exbürgermeister von Prag die Russen gewissermaßen als die civilisatorischen Lehrmeister der Tschechen reclamirt. Der Krieg in Südafrika. —e- Die englischen Blätter bringen noch Schilderungen ketzten Kämpfe am Tugela, aus denen wir noch einiges herausgreifen. So wird der „Dailu Mail" aus dem Lager bei Frere, 8. Februar, berichtet: „Der Schauplatz, auf welchem der Angriff am Montag begann, hat die Form eines Amphitheaters. Er ist westlick vom Spion Skop begrenzt, nördlich von Brakfontein und Vaalkrantz und östlich von Doorukloof. Der Swart skop erhebt sich vor unserer Front rechts über das vier Meilen breite, drei Meilen tiefe wellige Laad, durch welche« sich der Tuge la hindurchwinbet, der die beiderseitigen Stellungen tbatsächlich trennt. Buller'S Taktik bestand darin, daß zum Schein (?) ein Frontalangriff vorgrnommen werden sollte, während die Hauptcolonne auf dem rechten Flügel den Tugela überschreiten und dann versuchen sollte, in dem engen Thale zwischen den Hügeln Vaalkrantz und Doorn- kloof vorzudrmgen, den ersteren zu besetzen und dann nach Brakfontein vorzurücken, durch welche- die Straße nach Ladysmith hindurchsührt. Nach Erreickuag dieses PuncteS würden sich keine ernsten Hindernisse mebr bieten, bis die Umgebung der belagerten Stadt selbst erreicht ist. Der zum Schein unternommene Frontal angriff vollzog sich wunderbar. Die Batterien, welch: unterstützt waren von der Lancashire-Brizade, lockten das Fener der Boeren-Artillerie hervor, und nachdem dieser Zweck erreicht war, zogen sie sich mit bemerkenswerthem Elan zurück, nachdem sie einige wenige Verluste erlitten hatten. Ein Protz wagen der 78. Batterie wurde beschädigt, aber trotz furchtbaren Hagels von Shrapnel- wurde er von den Kanonieren gerettet. Inzwischen bauten die Pioniere aus dem rechten Flügel eine Pontonbrücke über den Tugela, und Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachcruck vccdolc». Zweites Capitel. vr. Eickstedt, ein Neffe meiner Frau", stellte Henning den zuletzt erschienenen Gast vor und führte ihn dann zu Gertrud. ..Fräulein Pilgrim, Deine Cousine, wie Du weißt, Hans. Du wirst die Ehre haben, sie zu Tisch zu führen. Sie wird Dich gut behandeln, denn sie ist ein liebes Mädchen." Gertrud sah zu dem „Schlingel", dem „verbummelten Referendar" auf, denn er überragte sie fast um Haupteslänge. Sie hatte ihn sich anders oorgesteut, weniger männlich, wenige» selbstbewußt. Im ersten Augenblick mißfiel er ihr entschieden. Im zweiten ward sie neugierig, welch' eine Art Mensch er sein möchte. Schön war er keineswegs. Ader schöne Männer sino ja meist unausstehlich. An Eickstedt's Gestalt war übrigens nichts auszusetzen; Haltung und Kleidung zeigten, daß er in den höheren Gesellschaftskreisen zu Hause war. Der Kopf mit dem kurz verschnittenen braunen Haar besaß edle Formen, eine aristo kratische Nase, eine interessante Stirn mit feinem, bläulich durch schimmernden Geäder an den Schläfen, blaugraue, etwas ver schleierte Augen. Der Mund, von dunklem Bärtchen beschattet, hatte einen entschieden unangenehmen Zug — ja, einen Zug von Hochmuth und Kälte und spöttischer Bosheit. Dazu stimmte die Art, wie der junge Herr den Kopf im Nacken trug. Aber noch hakt« Gertrud keine fünf Minuten mit dem neuen Vetter geplaudert, als dieser erste Eindruck gewandelt und ge wichen war. In den müden Augen schien ein verborgenes Feuer zu schlummern. Der unangenehme Zug um den Mund machte beim Lächeln einem gutlaunigen, fast naiven Ausdruck Platz. Er gestand, daß ihm bisher von dem Büschen kaum der Name zu Ohren gekommen. — Dann, nach einem Augenblick des Nach sinnens, rief er lebhaft: „Aber nicht doch, ich kenne ja Ihren Herrn Vater! — Oberstleutnant Pilgrim, nicht wahr?" „Außer Dienst", bestätigte Gertrud halblaut. „Er schreibt für militärische Fachblätter, nicht?" „Auch das hat leider in den letzten Jahren aufgehört* „Wo lebt er jetzt? Hier in Berlin?" „O nein — in Elbing — mit meiner ältesten Schwester." „Elbing — so — idyllisches Nest, wie?" „Ach ja! — Sehr idyllisch! — Schrecklich idyllisch!" Bevde sahen sich an und lachten. „Wo trafen Sie meinen Vater?" fragte Gertrud. ,/Bei uns in Sivbenlinden. Die Manöver fanden in der Nähe statt, er kam mit anderen Officieren herüber — es kann — warten Sie — acht oder neun Jahre her sein. Die Verwandt schaft wurde damals klargestellt und mit einem guten Tropfen begossen. Ihr Papa hatte schon weißes Haar und etwas Bedacht sames, sehr Vertrauen Erweckendes in seinem Wesen, war aber beim Glase ein munterer Kamerad." „Ja, so ist er", bestätigte Gertrud. „Dieser Besuch Ihres Herrn Vaters wurde nämlich von Be deutung für mich, daher haben sich all' jene Umstände mir ein geprägt. Ich wollte damals Ofsicier werden, — setzte Kops u,.o Kragen darauf, wie auf alle meine verschiedenartigen Zukunfts pläne. Weltumsegler — Afrikaforscher — Heldentenor — das waren glücklich überwundene Stadien. Preußischer Leutnant, das ließ sich ckher hören. Mein Vater war ganz dafür, es gab jedoch praktische Bedenken. Ihr Herr Vater wurde um seinen sach verständigen Rath ersucht. Die Folge war, daß ich Jura studirte." „Ach, da waren Sie meinem Vater sicherlich böse." „Anfangs freilich — jetzt möchte ich ihm die Hand küssen, die mir den Impuls gab, wenigstens annähernd in der Richtung, wohin Natur mit mir hinaus wollte — aber darf ich bitten?" Di« Flügclthüren des Speisezimmers hatten sich aufgethan, die Hausfrau lud zu Tisch. Der Hausherr reichte dem Stern des Abends, Frau von Martiny,, den Arm: die Schleppe ihres schwarzen Sammetkleides schleifte über den Teppich, so daß ihr Gatte mit Frau Wally nur in gemessenem Abstande folgen konnte. Baumeister Spielberg führte Frau Lüdeke, Ingenieur Lüdeke Frau Spielberg. Eickstedt und Gertrud machten den Schluß. „Ist das ein Gethue mit diesen Wunderthieren", murrte Frau Lüdeke im Hinblick aus das geheimräthliche Paar. „Finden Sie die Frau schön, Herr Spielberg?" „Hm — eigenartig — spanischer Typus — feiner Bissen für den alten Knaben!" „Ich hatte sie mir jünger gedacht", flüsterte Frau Spielberg Herrn Lüdeke zu. „Der Geheimrath sieht noch ganz munter aus. Ich taxire ihn höchstens für 'nen hohen Fünfziger. Und sehr 'was Würdiges, fast wie'n Geistlicher. Den hätte Jede genommen." „Sie kann noch keine Fünfundzwanzig sein", muthmaßte Herr Lüdeke. „Prachtvolles Weib!" „Prachtvolle Toilette jedenfalls. Hat er das Geld oder sie?" „Ich denke sie." — Philipp führte die Geheimräthin zu dem „Ehrenplatz" an der Schmalseite der Tafel, ihr 'Gatte saß ihr gegenüber, neben ihm die Hausfrau. Dazwischen vertheilten sich die übrigen All tagsmenschen. Die Spielbergs und Lüdekes hatten einander wenig zu sagen, da sie wöchentlich wenigstens einmal zusammenkamen. Die beiden Herren resignirten sich daher, den Schwerpunkt ihres heutigen Abendvergnügens in die guten Schüsseln und vortreff lichen Weine zu verlegen, die man an der Hrnning'schen Tafel zu erwarten berechtigt'war. Die Damen studirten verstohlen den Schnitt des schwarzen Sammetkleides der Geheimräthin, das im Nacken tief ausgeschnitten und mit breiter Scidenspitze verziert war, die reizvolle Anordnung des dunklen Haares, das in antiker Weise, hochgesteckt, von einem schmalen goldenen Reifen ge halten wurd«, das feine goldene Halsband und die goldenen Armringe. Das war Alles hochmodern — selbstverständlich bei einer Jungv«rmählten, und vom gewähltesten Geschmack. „Haben gnädige Frau sich bereits eingelebt in Berlin?" fragte Henning seine Nachbarin, während Eaviarbrödchen und Capwein gereicht wurden. Die junge Frau schüttelte leicht den Kopf, ihre langen, dunklen Wimpern senkten sich wie ein Schleier über die mandelförmigen braunen Augen. „Niemals werde ich mich hier einleben. Berlin ist entsetzlich spießbürgerlich, finden Sie nicht? — Aber wir gehen nach Paris^ noch in diesem Monat!" fügte sie frohlockend hinzu. „Mein Mann ist so gut, er hat nachgegeben, aber es hat Thränen und Kämpfe ge kostet. Denken Sie, er findet es gefährlich, nach Paris zu gehen!" ,-Gnädige Frvu sprechen jedenfalls fließend französisch", erwiderte Philipp. „Sonst würde auch ich rathen, mit dem Aus flug zu warten, bis der Rachedurst unserer interessanten Nach barn sich besänftigt hat." „O, sind auch Sie ängstlich?" fragte Frau von Martiny. „Seien Sie ruhig, ich spreche besser französisch, als deutsch." Philipp lächette zu dem kindlich herausfordernden Blick der schönen Augen und zu der Zumuthung, ängstlich zu fein, er! „Gnädig« Frau sind in Petersburg erzogen worden, nicht wahr?" „Bis zu meinem zwölften Jahre, dann in Dresden." „Immer in Instituten", vervollständigte der Gehtimrath. „Meine arme Vera kannte das deutsche Familienleben bisher nicht. Sie hat früh Vater und Mutter verloren." „O, wie traurig!" bedauerte Frau Spielberg, deren braves deutsches Haussrauenherz sich sofort für da? „Waffenkind" zu erwärmen begann. Gertrud ließ ihre Blicke über ihre Umgebung wandern. Licht Wirkungen und Farbenharmonien waren immer das Erste, was ihr äußeres und inneres Auge berührte, wohlthuend oder ver stimmend. Das Speisezimmer war mit weniger gutem Ge schmact ausgestattet, als das Wohnzinnner, denn es mußte dem künstlerischen Steckenpferde Frau Wally's zum Tummelplatz dienen. Allerlei Majoliken und verzierte Blechschilder, von ihre: unerschrockenen Hand grell und luftig, ohne alle Rücksicht auf Technik und Stil, bemalt, reihten sich aus Simsen und Borden, zum Entsetzen Gertrud's und zum Gaudium Philipp's, der das doppelte Vergnügen hatte, seine stets zu kecker Abwehr gerüstete Frau mit ihren Klecksereien zu hänseln und sich im Stillen, wenn sie Dinger erst von den Wänden herunterlachten, auf ihre Ge schicklichkeit doch nicht wenig zu gut zu thun. Die Unterhaltung war jetzt allgemein geworden. Herr Lüdeke und Herr Spielberg gaben ihre Zurückhaltung auf, da der Ge heimrath ein Thema anschlug, daS Alle elektrisirte: die Bauver hältnisse Berlins und das wunderbar rasche Wachsthum der Reichshauptstadt. Ja, darüber konnten sie mitredon, daran halten sie selber ihren rechtschaffenen Antheil; in die neuerstandenen Straßen hatten sie das beste Stück ihrer Manneskraft hinein gemauert, und hinwiederum waren sie selber gewachsen und ge worden mit der werdenden Stadt. „Mir ist dieses pilzartige Ausschüßen ganzer Staditheile un heimlich und unsympathisch, ich muß es bekennen", nahm der Ge Heimrath das Wort. „Ich wurzele zu fest in den alten, soliden preußischen Traditionen. Dies maßlose Anschwellen der Haupt stadt steht in keinem Verhältniß zu der Bedeutung des Reiches. Da ist noch Alles im Fluß, Alles noch unfertig. Die Grund mauern stehen noch nicht fest, der Bau kann eines Tages ebenso schnell wieder Zusammenstürzen, wie er aufgerichtet wurde, und jetzt sehen wir eine Kuppel von riesemnäßigen Dimensionen daraus, die ihn erdrückt." Hans Eickstedt, der sich bisher mit seiner Nachbarin unter halten hatte, hob den Kopf, seine Augen blitzten über die Tafelrunde hin. „Das deutsche Reich steht auf festen Füßen, es stürzt nicht zusammen, wenn auch PartikulariSmuS und Anarchismus oben und unten daran rütteln." „Mein Herr Doctor, Sie übersehen noch nicht wi« ich «in Stück Weltgeschichte, in dem Reiche aufgerichtet und gestürzt wurden", versetzte der Geheimrath nachsichtig. „Der Schwindel ist eine Weltmacht geworden, aber sein« gefährlichste Form ist der modern« Nationalitätensckwindrl. Wir Deutsch« sind keine Nation. Wir sind «ine Anzahl sehr ungleicher Dölkerstämme,
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