Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000219015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900021901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900021901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-02
- Tag1900-02-19
- Monat1900-02
- Jahr1900
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Li« Morgen-Au-gabr erscheint um '/,7 Uhr, dir Abend-Au-gabe Wochentags um 5 Uhr. Ne-action «nd Erpedition: Iohannisgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn vorm. v. Klemm's Torttm. Universitattstrotze 3 (Paulinum), Laut« Lösche, Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. BezugSPreiS t» d« Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und dm Bororten errichteten Au», oabkstellen ab geholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in» HauS —* 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich >l 6.—. Tirecte tägliche Krruzbandirndung in» Ausland: monatlich 7.50. Morgen-Ausgabe. cipMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nolizei-Ämtes der Ltadl Leipzig. Anzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (»ge spalten) bO^Z, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verjeichnlß. Tabellarischer und Ziffernsay nach höherem Tarif. -rtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung ./t 60.—, mn Postbesörderung 70.—. Fnnahmeschluß für Änzrigen: Ab end-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Druck und Verlag vou L. Polz in Leipzig. 94. Jahrgang. 99. Montag den 19. Februar 1900. Die Neuordnung der Lehrergehalle in Leipzig. ui. iä- Zn unserem ersten Artikel sind von uns die Gehalts staffeln — unter Anführung der einzelnen Classen — wieder gegeben worden, wie sie nach der Rathsvorlage vom 1. Januar 1900 bezw. von Ostern 1901 ab Geltung haben sollen. Diese Gehaltsvorlage des Rathes ist als eine „bittere Enttäuschung" bezeichnet worden. Darüber soll natürlich nicht gerechtet werden. Einspruch muß jedoch erhoben werden gegen die Art und Weise, in welcher Leipzig mit anderen Städten in Vergleich gestellt wird. Vorau-geschickt möge zunächst ein Beispiel sein. Nach dem Haushaltsplan für 1899 bezogen in Dresden 807 Lehrer (einschließlich der Oberlehrerverglltungen) ein Gehalt von 2013 100 <^, also im Durchschnitt 2494 ckk, in Leipzig da gegen 1231 Lehrer 2 960 600 im Durchschnitt 2400 ,/k. (Die Abkürzung des Provisoriums wirkte hierbei wegen des Auf rückens vieler provisorischer Lehrer besonders ungünstig mit.) Nun nehmen wir an, die Leipziger befänden sich in den Verhält nissen der Dresdener, und man sagte ihnen: „Seht, Ihr steht um 94 Mark im Jahre günstiger da!" Dann würde die Ant wort ohne Zweifel sehr prompt und präcis lauten: „Um eine einwandfreie Unterlage der Berechnungen zu gewinnen, muß das Stundenhonorar in Vergleich gestellt werden." Das Durchschnitts-Stundenhonorar aber beträgt in Leipzig 86 c/(, in Dresden jedoch nur, trotz äußeren Mehrgehalts, 83 c/(. Und das Stundenhonorar wird auch da in der Denkschrift deS Leipziger Lehrervereins als „einwandfreie Unterlage der Berechnungen" bezeichnet und erforderlichenfalls heran gezogen. (Denkschrift Seite 33.) Nur im Vergleich mit den Leistungen anderer Städte geschieht es nicht. Nun meinen wir, wenn ein solcher Vergleich gezogen wird, so sollte es auf einwand freier Grundlage geschehen. Von 167 Stadt- und Land gemeinden, die Scholze und Heidrich in ihrer Schrift „Die Be soldung der sächsischen Volksschullehrcr" auffllhren, sind nun 138 mit 32stiindiger, 27 mit 30stündiger und nur 2 (Leipzig und Tharandt, von denen letzteres 6 Lehrer zählt) mit 28stiindi- ger Unterrichtszeit in der Woche verzeichnet. Soll also Leipzig in einen Vergleich mit anderen sächsi ¬ schen Städten gestellt werden, so kann es nur auf Grund der Staffel geschehen, die für die künftig zu ertheilenden 30 Pflicht stunden (bei einer großen Zahl der Lehrer nur 28 Pflichtstunden) Geltung haben soll. Das ist die sogenannte Staffel II, anfangend mit 1800 cF Gehalt, das nach 27 Dienstjahren auf 4000 c/( steigt. Und da behaupten wir, daß keine Gemeinde Sachsens das Gleiche leistet oder bisher das Gleiche in Aussicht gestellt hat, und erwarten den Gegenbeweis. Und nun zu den „armen und ärmsten Dörfern", die Leipzig mit der Besoldung ihrer Lehrer in den Schatten stellen sollen. In Frage kommen hierbei nur einige Dörfer in nächster Um gebung Dresdens, wo die Lebenshaltung bekanntlich keine billige ist. Diese müssen (wie auch andere Dorfgemeinden) der Con- currenz halber, die ihnen von nahe gelegenen Großstädten bereitet wird, ein verhältnißmäßig hohes Gehalt zahlen, um das Ver ziehen der Lehrer nach der Großstadt hintenan zu halten. Und trotzdem gehen die Lehrer zur Großstadt! Im Uebrigen hat die günstige Gehaltsstaffel in solchen Orten nicht viel zu sagen. In 10 oder 12 Gehaltsclassen bewegen sich in der Regel 2 oder 3, wenn's hoch kommt 5 Lehrer, d. h. die meisten Classen sind unbesetzt, stehen also auf dem Papier. Selbst das so viel gerühmte, an der Spitze Sachsens marschirende Nieder lötz n i tz batte nach Scholze und Heidrich (Nachtrag von 1898) 3 Hilfslehrer und 3 ständige Lehrer, welche letztere sich in II Ge- haltsclasien umhertummelten. So etwas kann man doch nicht im Ernste mit einer Grotzstadt vergleichen wollen. Eher zu vergleichen ist Löbtau. Das zahlt seit I. Januar 1900 als Höchstgehalt 3800 eine sehr anerkennenswerthe Leistung. Allein durch 32 Dienststunden und eine verhältnitzmätzig be deutende Zahl Hilfslehrer sucht man den Aufwand abzumindern. So kamen dort (nach Ramming) auf je 73 Schulkinder ein ständiger Lehrer, in Leipzig aber, wie bemerkt sei, auf je 51 Schulkinder. Es ist unter solchen Umständen begreiflich, daß kein Lehrer von der Großstadt wieder aufs Land zuriickgcht. Dort würde ihn nur eine größere Arbeits last erwarten, und die Lebenshaltung wäre, abgesehen von der Wohnung, auch nicht viel billiger. Zu dem Verlangen des Vor standes des Sächsischen Lehrervereins, die provisorische Lehrzeit in Großstädten in Wegfall zu bringen, sagt denn auch der D e p u t a t i o n s b e r i ch t der Zweiten Kammer: „Aus dem Umstand, daß gewisse größere Gemeinden die Hilfs lehrer nicht so bald ständig machen, als es in anderen Gemeinden geschieht, und daß sie sie eine Probezeit durchmachen lassen, wird (in der Petition) eine Beeinträchtigung des Lehrerstandes her geleitet, die zu beseitigen sei. Die Angelegenheit ist hinlänglich gesetzlich geregelt und die Deputation kann um so weniger eine Aenderung empfehlen, als gerade nach jenen Orten der Zu- drang der Lehrer, und zwar der tüchtigsten Lehrer, erfahrungsgemäß ein sehr grotzerist wegen der Vortheile, die ihnen dort geboten werden." Die jetzt vom Rathe in Vor schlag gebrachte Gehaltserhöhung dürfte den Zudrang nur noch vermehren. Auch der in der „Sächsischen Schulzeitung" (Nr. 3 vom 19. Januar) enthaltene Mahnruf, „von Leipzig fern zu bleiben", wird hieran nichts ändern. Der angebrachte Zusatz, daß die nach Leipzig kommenden Lehrer sonst „zur älteren Lehrerschaft in Verhältnisse gerathen würden, die ihnen unerträg lich werden müssen", wäre wohl besser ungeschrieben geblieben. Man sei, um auf den Ausgangspunkt unserer Betrachtungen wieder zurückzukommen, also immer gerecht, und trage nicht nur allein alles Nachtheilige für eine Stadt zusammen, in deren Dienst man getreten ist, sondern lasse auch die Licht seiten zur Geltung kommen. Und da will es uns dünken, datz unsere Stadtverwaltung der Lehrerschaft gegenüber stets nach Möglichkeit Wohlwollen bekundet hat. Auf der anderen Seite zweifeln wir nicht, daß unsere Lehrer, die hier eine geachtete Stellung einnehmen, sich mit Stolz als Glieder unseres Ge meindewesens fühlen. Aus diesem Grunde werden auch gewisse, nur zu durchsichtige Agitationen bei ihnen nicht verfangen. Viel ist dann in letzter Zeit — zum Theil auch als Argu ment gegen die Rathsvorlage — das Lebensalter der Lehrer besprochen worden. Es war dabei sogar die Rede von einem „dabinsiechenden Lehrerstande" und dergleichen mehr. Schon anläßlich der in der „Sächsischen Schulzeitung" veröffent lichten statistischen Zusammenstellung über das Sterbealter der Volksschull-Hrec in Sachsen wurde in diesem Blatte nachgewiesen, daß das Erreichen eines höheren Lebensalters beim Lehrerstande den Durchschnitt für die Gesammtbevölkerung übersteigt. Nun beträgt nach einer Statistik des Leipziger Lehrervereins das Durchschnittsalter aller in Leipzig in den letzten 25 Jahren aus dein Amte (durch den Tod oder Emeritirung) ge schiedenen Lehrer 48s4 Jahre (Denkschrift Seite 5). Das Sterbealter muß also, da die Emeritirten doch nicht sofort nach dem Ausscheiden aus dem Amte gestorben sind, noch höher gelegen haben und dürste wahrscheinlich etwa 52Jahre betragen haben, was auch ungefähr der Goldhahn'schen Landesstatistik nahe käme. Nun beträgt aber das durchschnittliche Lebensalter aller in Leipzig verstorbener Personen im Alter von 20 Jahren und darüber nach einem von uns gemachten Ueberschlag ungefähr 51 Jahre, steht also auf keinem über dem der Lehrer. Da kann man doch von einem „dahinsiechenden Lehrerstande" nicht sprechen. Uebrigens sei nachstehend eine Zusammenstellung über das Lebensalter der amtirenden ständigen Lehrer und Direktoren (letztere dürfen, weil sie aus dem Lehrer stande hervorgehen, bei einer Berechnung des Lebens- oder Sterbealt-rS nie weggelasien werden) nach dein Stande vom 1. Januar 1900 gegeben. Von 1205 männlichen Lehrkräften an den städtischen Volksschulen (einschließlich der Fortbildungs schulen) waren alt: 25—30 Jahre ... 220 .30—40 „ . ... 528 40—50 „ . . . . 302 über 50 „ . ... 155 Die starke Besetzung der Altersjahre von 30—40 ist auf die zahlreiche Anstellung von Lehrern nach Aufnahme der Vororte zurückzuführen; sie eröffnet übrigens die Perspective auf ein in dem nächsten Jahrzehnt zu erwartendes bedeutendes Steigen des Aufwandes für Alterszulagen. Die stattliche Zahl der über 50 Jahre alten Lehrkräfte zeigt, daß es, Gottlob, um die Gesund heit unserer Lehrer gut bestellt ist. Bemerken wollen wir hierbei, daß die Ziffer der über 50 Jahre alten Lehrer nicht als maß gebende Procentziffer für das Erreichen eines solchen Lebens alters angenommen werden kann, weil seit mehr als einem Jahr zehnt die Zahl der jährlich Neuangestellten viel größer ist, als die Zahl Derjenigen, welche im Lebensalter um ein Jahr auf- rucken. (Beispielsweise sollen Ostern 1900 40 Lehrer neu ange- stcllt bezw. 68 provisorische Lehrer am 1. Juli 1900 ständig werden, während im laufenden Jahre nur 16 Lehrer das 50. Lebensjahr vollenden; es fehlt somit an dem nöthigen Be harrungszustand, um eine maßgebende Verhältnißrechnung auf zustellen.) Wir kommen nun zu dem Puncte der Rathsvorlage, der am meisten Anfeindung erfahren hat: die Erhöhung der Pflicht stundenzahl (von 28 auf 30), welche mit einer Mehrzahlung von jährlich 100 ckit in den ersten 5 Dienstjahren, sowie von jährlich 200 in den folgenden Dienstjahren ver bunden sein soll. Wir geben hier zunächst eine Berechnung, wie sich das Honorar für eine Jahrespflichtstunde jetzt und künf tig stellt. Es beträgt das Ein- das durchschnit!« kommen in licke Jahres» 30Dienstjahren rinkommen jetzt (28 Stunden) 77 850 >6 2595 ./L Stoffel I (28 Stunden) 85 400 - 2846 » Staffel II (30 Stunden) 90 900 - 3030 - das Pflicht stunden- Honorar 92,70 ./L*) 10t,70 - 101,00 - *) In Dresden bei 30 Pflichtstunden 89,70 .ck! Das Pflichtstundenhonorar soll also nach der Rathsvorlage vom 1. Januar d. I. ab im Durchschnitt um 9 ckil (— 9,7 Proc.) steigen, würde aber nach Einführung der Staffel H. von Ostern 1901 ab um 0,70 fallen. Bei 30 Pflichtstunden ergäbe sich darnach eine jährliche Minderhonorirung von 21 c/(, ein Betrag, den die „Leipziger Lehrerzeitung", wenn auch auf anderem Wege, in gleicher Weise als jährliche Minderhonorirung berechnet hat. Nach alledem kann die Staffel H. als eine Ge haltserhöhung nicht bezeichnet werden. Was die Minderhonorirung betrifft, so könnte sie leicht da durch beseitigt bezw. auf ein überhaupt nicht in Frage kommendes Minimum heruntergedrückt werden, wenn das Jahresgehalt für die ersten 5 Dienstjahre nicht um 100-^, sondern — wie in den späteren Jahren — ebenfalls um 200 erhöht würde. Allein wichtiger als das ist die Frage, ob man überhaupt auf eine Er höhung der Pflichtstundenzahl zukommen soll? Der Rath sagt selbst in Begründung seiner Vorlage, daß er sich „nicht leicht dafür entschieden habe". „Für uns ist bestimmend gewesen", sagt dann der Rath, „daß in den beiden zunächst zu berücksichtigenden Schwesterstädten Dresden und Chemnitz von den Volksschullehrern 30 Wochcnstundcn verlangt werden, ohne daß diese Einrichtung bisher zu irgendwelchen Uebelständen Anlaß gegeben hat, und wenn jetzt in Dresden um Herabsetzung der Pflichtstundenzahl auf 28 nachgesucht wird, diese Bewegung nur veranlaßt ist durch den Hinblick auf die bisher geringere Pflichtstundenzahl in Leip zig. Viele hiesige Lehrer übernehmen außer den Pflichtstunden noch gegen besondere Vergütung Ueberstunden und Privat - stunden, ertheilen an Fortbildungsschulen und an höheren Schulen stundenweise Unterricht, ohne an ihrer Gesundheit Schaden zu erleiden. Nicht unerheblich erscheint hierbei auch die Thatsache, daß in Leipzig die durchschnittliche Schulkinderzahl einer Classe nur etwa 40 beträgt, während die Lehrer in den meisten sächsischen Gemeinden bei einer Pflichtstundenzahl von 30 und 32 die Woche weit mehr, bis zu 60 und mehr, Schul-' linder in einer Classe zu unterrichten und deren Arbeiten zu corrigiren haben, so daß der Unterricht an einer mittleren oder an einer höheren Volksschule mit wesentlich geringerer Classen- stärke kaum eine größere Anforderung an die körperlichen und geistigen Kräfte der Lehrer stellt, als der Unterricht in den voll besetzten Classen einer einfachen Volksschule." Gegen die vorstehenden Gründe des Rathes wird man an sich wenig einwenden können. Leipzig ist mit seinen 28 Pflicht stunden thatsächlich eine Ausnahme unter den sächsischen Städten, und was die gesundheitlichen Verhält nisse Leipzigs betrifft, so sind dieselben vortreffliche (Mortalität 1897: Leipzig 19,7 Proc., Dresden 19,7 Proc., Plauen 20,4 Proc., Zwickau 24,6 Proc., Chemnitz 25,2 Proc.). Zu den Gründen des Raths tritt noch ein wesentlicher hinzu: Der Lehrermangel, der sich in Folge des starken W a ch s - thums der Bevölkerung bemerkbar macht. In den Altersklassen von 5—15 Jahren, die das schulpflichtige Alter umfassen, wurden in Sachsen 1890 762 800, 1895 822 200 Personen gezählt, was eine Zunahme von 59400 oder 7,8 Proc. ergiebt. Auf die drei Großstädte Leipzig, Dresden und Chem nitz entfielen hiervon 1890 145 000, 1895 163 600 Personen, so daß die Zunahme 18 600 oder 11,4 Proc. betrug. (Das An wachsen der Schuljugend ist also in den Städten bedeutend größer, als auf dem Lande, was um so mehr ins Gewicht fällt, Leuilletsn. Matthäus Schubert, der erste evangelische Bürger Leipzigs. ES war im Jahre 1538 am heiligen Dreitönigstage, als das niedliche Christinchen, mit einem zierlichen Kränzlein lebendiger Violen, Kornblumen und Stiefmütterchen auf dem blonden Lockenköpfchen, vor ihren Vater, den ehrsamen Bürger und Schuhmachermeister in Leipzig, Herrn Leberecht Krause, trat und ihm einen freundlichen guten Morgen bot. „Ei der Tausend! Kind, wie siehst Du aus?" fragte ver wundert der Vater. „Höre nur, Väterchen", antwortete die Mutter, welche daneben stand, „alle diese frischen Blumen habe ich gestern mit Christinchen in Gottes freier Natur gepflückt, und da heute ihr Geburtstag ist, sie festlich damit geschmückt." „O, möge Dein ganzes Leben so schön und heiter sein, wie der Tag, an dem Du Dein achtzehntes Jahr antrittst", sagte der Vater und legte segnend die Rechte auf das Haupt seines Kindes. „Die heilige Jungfrau nehme Dich in ihren Schirm und Schutz und leite Dich auf ebener Bahn, damit es Dir wohlgehe im Himmel unp auf Erden!" — „Amen!" sprach die Mutter, an dächtig die Hände faltend. Hierauf legten die frommen Leute ihre Feierkleider an und gingen mit ihrem Töchterchen in die Paulinerkirche, um bei den Dominikanern eine Messe zu hören; denn Meister Krause war ein eifriger Anhänger des römisch-katholischen Glaubens. Er eiferte oft gewaltig, daß der Reformator Vr. Martin Luther sich durch seine im Jahre 1519 auf dem Schlosse Pleißenburg gehaltene Disputation und Predigt so bedeutende Verehrer in Leipzig erworben hatte, die, in großer Anzahl, nahe gelegene evangelische Dörfer besuchten, um dem Gottesdienste in deutscher Sprache allda beizuwohnen. Die strengsten Maßregeln, welche sein Landesherr, Herzog Georg, auf Anstiften deS Bischof- von Merseburg deshalb ergriffen hatte, lobte er sehr. Das Einführen und Lesen der im Druck erschienenen Luther'schen Schriften war, auf höchsten Befehl, bei Lebensstrafe verboten und der Buchhändler Hergott in Leipzig, der dagegen ge handelt, öffentlich auf dem Markte enthauptet worden. Mehrere achtbare, der GotteSaelahrthrit beflissene Männer, des evan gelischen Glauben» verdächtig, hatte man schon längst nach Merse burg zum ewigen Gefängniß abgeführt. Allen Denen, die nicht auf ihrem Sterbebett das Abendmahl nach katholischem Brauch empfingen, ward ein ehrliches Begräbniß versagt. Jeden über wiesenen Abtrünnigen von der herrschenden Kirche peitschten Büttel und Schergen mit Schimpf und Spott zur Stadt hinaus. Um sich diesen entehrenden Mißhandlungen nicht auszusehen, verließen im Jahre 1533 achtzig Bürger mit ihren Familien die Stadt. . Meister Krause verlor dadurch manchen braven Kunden. Da aber die Ausgewiesenen — nach seiner Ansicht — Ketzer waren, so that ihm dies nicht leid. Oft, wenn seine Frau sich deshalb bitter beklagte, führte er ihr zur Beruhigung folgende Stelle aus dem Paulus an: „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermals vermahnet ist." — Uebrigens war der alte Schuhmachermeister ein grundehrlicher und braver Mann, der jeden Hilfsbedürftigen nach Kräften unterstützte — sollte er auch wirklich ein Ketzer sein. „Mensch ist Mensch", pflegte er dann zu sagen, „was geht mich seine arme Seele an; Umgang möcht' ich zwar freilich nicht mit ihm haben, aber verhungern kann ich ihn doch nicht lassen." Er lebte in der glücklichsten Ehe, obgleich sein Weib viel anders über Religionsangelegenheiten dachte; denn sie hatte eine gute Erziehung genossen, pflegte sich aber nie über Sachen, die den Glauben betrafen, auszusprechen, weil sie den Zorn ihres Ehe herrn fürchtete. Im Innern war Frau Krause Luther's höchste Verehrerin, und da ihr die Erziehung der einzigen Tochter fast ganz allein überlassen blieb, so wurde Christinchen eine ebenso eifrige Protestantin wie ihre Mutter, ohne daß der Vater das Geringste davon ahnte. Er saß auf seinem Schemel und arbeitete emsig, während die Seinen Luther's kleinen Katechismus, der 1528 im Druck erschienen war, und andere erbauliche Schriften, die sie — ungeachtet des strengen Verbotes — heimlich erhalten hatten, fleißig studirten. Christinchen reifte unter der besten Leitung und Pflege ihrer sorgsamen Mutter zur olühenden Jungfrau heran. Sie konnte fertig lesen und verstand die Feder gar zierlich zu führen — eine große Leistung für ein schlichtes Bürgermädchen der damaligen Zeit. Gar stolz war der alte Vater darauf und brüstete sich ge waltig, wenn die Nachbarsleute sein schönes, wohlunterrichtetes Töchterchen bewunderten und bei jeder Gelegenheit zum Muster aufstellten. „Es kommt Alles auf eine vernünftige Erziehung an", sagte er mit wichtiger Miene. — Der gute Alte! — er selbst hatte gar nichts dabei gethan, im Gegentheil, er war bei aller seiner eingebildeten Weisheit hinter's Licht geführt worden — denn Christinchen dachte in religiöser Hinsicht ganz anders. Da aber das ganze weibliche Geschlecht schon seit Mutter Eva ein wenig in der „Derstellungskunde" erfahren ist, so ward es auch der kleinen Ketzerin nicht schwer, dem bigotten Vater ein L für ein U zu machen. So betete sie auch heute in der Paulinerkirche ihr andächtiges Ave Maria und ließ ihren Rosenkranz durch die niedlichen Finger gleiten. Der Alte schielte immer sein wunderschönes Töchterchen von der Seite an und freute sich herzlich, daß sie so fromm war. „Kinderchen", sprach er seelenvergnügt zu den Seinen, als sie nach geendeter Andacht aus dem Gotteshause traten, „die Sonne scheint so warm, ich dächte, wir machten vor dem Mittag essen noch einen kleinen Spaziergang. Ich Hobe ohnedies mit Jemand auf der Gerbergasse zu sprechen und kann es nebenbei verrichten: dann wandern wir ein wenig zum Thor hinaus in die freie Natur." Dieser Vorschlag ward von Mutter und Tochter freudig an genommen. Sie gingen. Der Vater, heute voll guter Laune und gesprächiger als je, erzählte mancherlei lustige Fahrten und Schwänke aus seinen früheren Jahren, und dafür sangen ihm wieder Mutter und Tochter mit anmuthiger Stimme das Lied chen vom bösen Prinzenräuber Kaufungen, das er so gern hörte. Auf diese Weise kurzweilten sich die guten Bürgersleute und lustwandelten seelenvergnügt fast bis zum Dorfe Eutritzsch. Da auf einmal sahen sic auf der Heerstraße einen jungen, flinken Burschen, reinlich und nett gekleidet, sein Ränzchen auf dem Rücken, daherkommen. „Gott zum Gruß!" rief er freund lich den Spaziergängern entgegen. „Woher des Landes, Freund?" fragte Meister Krause und blieb stehen. „Dermalen von Wittenberg", entgegnete der Reisende. „Bin ein Schuhmachergesell und suche in der feinen Stadt Leipzig Arbeit." „Ei, so treffen wir uns ja zu guter Stunde", sprach Herr Krause. „Wisse, ich bin ein ansässiger Meister dieses löblichen Handwerks allda und eben eines Gesellen bedürftig. Du kannst also gleich bei mir Arbeit und Unterkommen finden." „Das ist ja sehr erwünscht", lächelte der muntere Bursche und reichte seinem zukünftigen Brodherrn treuherzig die Hand. „Es gilt, lieber Meister. Ich bin nicht gewohnt, Rühmens von mir zu machen, ober was Fleiß und Arbeit betrifft, so sollt Ihr ge wißlich mit mir zufrieden sein." „Dein Aeußeres zeigt dies schon", antwortete der Meister, seinen Angenommenen wohlgefällig betrachtend. „Dein Name?" „Matthäus Schubert, gebürtig aus Dresden." „Nun so laßt uns in Gottes Namen wieder nach Hause gehen", wendete sich der Vater zu Frau und Tochter, „und laßt uns unseren neuen Tischgenossen mit Speise und Trank erquicken, denn er wird Beides bedürfen." Auf dem Rückwege wurde gar mancherlei gesprochen, und Matthäus Schubert zeigte sich als ein wohlunterrichteter, dabei aber als ein äußerst bescheidener junger Gesell. Scherzend pflückte er am Wege mancherlei Feldblumen und überreichte sie mit zier lichem Anstande dem reizenden Christinchen, die sie hocherrötbend annahm und sich mit tiefem Knir für den rührenden Glück wunsch bedankte, welchen ihr der Dresdner, durch die redselige Mutter vom heutigen Wiegenfeste ihrer Tochter unterrichtet, zu gleich darbrachte. , An dem kleinen Schmäuschen, das diesen Abend nrlch alter, deutscher Sitte veranstaltet wurde, nahmen sämmtlicke Haus genossen Theil. Der junge Matthäus Schubert gefiel all gemein. Seine natürliche Fröhlichkeit, nie die Grenzen der Be scheidenheit überschreitend, erwarb ihm bald die Liebe seiner Mitgesellen. Man trank auf gute Brüderschaft und leerte auf das Wohl der schönen Meistertochter mehrere Becker. Meister Krause war sehr zufrieden, daß ihm das Glück einen so gewandten Burschen in den Weg geführt hatte; denn den anderen Tag schon bewährte er sich als ein tüchtiger und geschickter Arbeiter. So trieb er es die ganze Woche hindurch, und wenn des Sonntags seine Mitgesellen auf der Herberge saßen, blieb er daheim auf seinem Kämmerlein und sang zur Laute, die er kunstreich zu spielen wußte, ein fröhliches Lied. Das gefiel natürlich der Frau Meisterin und ihrem Christin chen sehr, und da zuweilen der Vater auch des Abends ausging, luden sie den lieben Dresdner ein, mit ihnen ein Stündchen zu plaudern. Bei aller Gesprächigkeit benahm sich der junge Gesell doch anfänglich sehr zurückhaltend, sobald die Rede auf Re ligion kam, und wagte es nicht, hier in einem Hause, wo man dem alten Glauben noch so treu anzugehören schien, seine wahren Gesinnungen laut zu äußern. Nach und nach aber ward man aufrichtiger gegeneinander, und die Glaubensverwandten er kannten sich bald. Jetzt zeigte es sich, daß Matthäus Schubert der eifrigste Protestant war. Obgleich noch jung, hatte er doch mancherlei gelesen und erzählen Horen, auch selbst viel Er fahrungen gesammelt. Er sprach mit Enthusiasmus von seinem hochverehrten Luther, dessen Predigten ihn so oft inWitte n berg christlich erbaut hatten; pries seine Standhaftigkeit auf dem merkwürdigen Reichstage zu Worms; las die Trost- briefe vor, welche dieser muthige Vertheidiger des Evangeliums an die aus Leipzig vertriebenen Bürger gerichtet hatte, aus denen sein Feuergeist mächtig hervorleuchtete, die aber auch die hart Bedrängten durch trostreiche Worte heilsam stärkten und auf- richteten. Dann schilderte er ihnen wieder den sanften, liebens würdigen Charakter Philipp Melanchthon's; erzählte von dem freimüthigen, leider zu früh verstorbenen Ulrich von Hutten und seinem Zeitgenossen, dem echten deutschen Ritter Franz von Sickingen, — und Liebe und Bewunderung bc geisterte auch die Herzen seiner beiden Zuhörerinnen für diese Vor fechter der heiligen Glaubensfreiheit. Gar hoch stand nach Verlauf eines Jahres der junge Gesell in der Gunst der Frau Meisterin, da er durch seine angenehme und zugleich belehrende Unterhaltung ihr manchen frohen Abend gewährte und sein Betragen in jeder Hinsicht musterhaft war. Auch schien sie keineswegs ungehalten darüber, als sie Christin - chens Zuneigung für den braven Jüngling bemerkte. Hätte sic ihrem geliebten Kinde einen besseren, würdigeren Gatten wün schen können als diesen Matthäus Schubert? Aber leider schwan den dergleichen liebliche Träume gar zu schnell, denn finster und drohend trat jedesmal das Bild ihres strenggläubigen Ehcherrn dazwischen, der lieber seine einzige Tochter dem Tode — als einem Ketzer vermüllt haben würde. Nach reifer Ueberlegung fand sie daher für nöthig, dieser aufkeimenden Leidenschaft der jungen Leute noch bei guter Zeit entgegen zu arbeiten, und schon hatte sie, obgleich mit schwerem Herzen, alle Maßregeln deshalb ergriffen, als in kurzer Zeit der seltsamste Vorfall das Schicksal ihre? Hauses auf immer entscheiden sollte. Ein hoher Todesfall führte Plötzlich in Leipzig die wichtigste Religionsveränderung herbei: Im Jahre 1539 starb Herzog Georg, der ein großer Feind der lutherischen Lehre gewesen,
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite