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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000306023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030602
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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- Wahlperiode
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- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem Prell- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Tarif. -o—s»«— EPtr»-vetla»cn (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. ."^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Altzeigen sind stet« au die Expediti»» zu richten. »- Druck und Verlag von E. Polz ln Leipzig O IlS. Dienstag den 6. März 190H S4. Jahrgang, Politische Tagesschau. Leipzig, 6. Marz. Der Schriftsteller und Jurist Ernst Wichert hat dieser Tage in Offenbach beklagt, daß seine College» von der Feder die Beschwerden und Wünsche ihres Berufsstandes, mit denen sie nicht selten an die Gesetzgebung herantrelen, nicht recht zu formuliren wüßten. Gilt dies schon von Leuten, die mit der Sprache als ihrem Werkzeug hantiren, so darf man sich nicht verwundern, wenn Bildhauer und Schauspieler etwa- „daneben greifen", wie dies in der am Sonntag abgehaltenen Protestversammlung der Berliner Schriftsteller und Künstler wider die lex Heinze mehrfach geschehen ist. Zwar gegen die dort angenommene und von uns mitgetheilte Resolution ist nichts einzuwenden, aber in den dazu gehaltenen Reden ist Manches gesagt worden, woraus die Fanatiker der Kunst« und Literaturknebelung im Reichstage Riemen schneiden werden. Freilich das vorgetragene Hauptbedenken gegen den Literatur-, Theater- und Kunst paragraphen ist vollauf begründet. DaS Wesen der Kunst verbietet es, Bestimmungen, die ihre „Auswüchse" be schneiden sollen, so zu lassen, daß eine die Kunst ins Herz treffende richterliche Auslegung unmöglich gemacht wird. Und was man von dem augenblicklichen Aus sehen der lex Heinze, obwohl sie unter Verschluß gehalten wird, mit Sicherheit weiß, ist geeignet, ernste Befürchtungen zu wecken. WaS das Sittlichkeitsgefühl, daS Schainaefühl ist, daS wird auch ein in der Psychologie kundiger Richter nicht in unanfechtbarer Weise anzugeben wissen, und wann ein Erzrngniß der Kunst oder Literatur, „ohne an sich un züchtig zu sein", jene Gefühle gröblich verletzt hat, daS zu finden ist der Zuristenschaft nicht gelungen, obwohl sie m ihrer Gesammtheit nicht so kunstfremd ist, wie ein ehemaliger preußischer KammergerichtSrath sie im Reichstage geschildert bat. Zn der Berliner Versammlung wurde die Unmöglichkeit einer ungefährlichen, unschädlichen Rechtsprechung nach der lex Heinze stellenweise recht glücklich dargethan. Namentlich ein Citat auS Vischer'S: „Auch Einer" ist sehr überzeugend. Dieser Aesthetiker war ein klarer Kops und wußte sich mit Prägnanz auszudrücken, aber gewisse Grenzen deS Schicklichen vermochte auch er nicht so deutlich zu ziehen, daß ein Richter sich an sie halten könnte. Auch in einem Proteste deS Hauptvorstandes der Allgemeinen Deutschen Kunst genossenschaft (unterzeichnet von A. v. Werner, der nie Bilder erzeugt hat, wie sie sich ein katholischer Priester in sein Würzburger Schloß von Tiepolo hat malen lasten) wird die der Kunst von dem Mangel einer Codification der Gesetze der Sittlichkeit und Scham mit dem Inkrafttreten der tox Heinze drohende Gefahr richtig geschildert. Und wenn man bedenkt, daß selbst der sehr conservative, sehr fromme, ja wie Viele finden, etwas muckerische Berliner „Reichsbote" den Literaturparagraphen seiner eigenen Er klärung gemäß ohne Bedauern verschwinden sehen würde — daS Blatt verspricht sich nichts „von der Polizei" —, so sollte man meinen, das Eintreten für die tztz 184—184 d der lex Heinze könnte ausschließlich dem Centrum überlassen bleiben, dessen Anhänger übrigens in Rom, wohin sie in diesem Zubeljahre in Schaaren wallen, sich überzeugen können, daß viele Päpste, Cardinäle rc. von der Kunst eine andere Auffassung gehabt haben, als Herr Roeren. Nun heißt eS aber: in dem Schaufenster gewisser Händler sieht man Darstellungen, die mit der Kunst kaum etwas zu thun haben, deren Anblick aber auf Uuerwachsene entsittlichend zu wirken geeignet ist. Aber die Unterbringung solcher Bild werke, oder solcher, die dafür gehalten werden können, in Schaufenstern, kann die Polizei schon jetzt Hintanbalten, und sie hat es soeben in Berlin gethan. Freilich sind dabei Mißgriffe untergelaufen, aber eS ist doch ganz gleichgiltig, ob die Mißgriffe von der Polizei oder von einem Gerichte gemacht werden. Oder vielmehr eS ist bester, wenn die Polizei allein entscheidet. Zn Berlin hat der Polizeipräsident einen von unteren Organen auS dem Schaufenster verjagten Böcklin wieder zugclassen, wenn aber einmal die Zustiz gesunden hat, daS Bild verletze das Schamgefühl „gröblich", so ist es mit der Möglichkeit der Rehabilitirung aus. Zn der Berliner Versammlung ist, unter Bezugnahme auf einen Aussatz des Reichsaerichtsrathes a.D.Stcnglein, dicFrage, ob die Sittlichkeit im Rückgänge sei, erörtert wird, verneint worden. Wie dem aber auch sei und welches Gewicht die Thatsache bat, daß die Sittlichkeitsvergehen in Deutschland um 7000 gestiegen sind: die Kunst ist daran unschuldig. Die Fabrikation von Schamlosigkeiten ist vielleicht an der Steigerung betheiligt, trifft dies aber zu, so wird eine lex Heinze nichts Helsen. Denn auch auf dem Lande hat sich die Zahl der Sittlichkeits vergehen gesteigert und zwar sehr, dort aber werden Scham losigkeiten nicht ausgestellt. Gelangen sie dennoch in die Hande von Landbewohnern, und das kommt häufig vor, so geschieht es auf Wegen, die in 999 von 1000 Fällen dem Auge von Polizei und Gericht verborgen bleiben. Vom Theater gilt noch in höherem Maße als von der bildenden Kunst, daß die polizeilichen Befugnisse vollkommen auS- reicken, Ausschreitungen zu verhindern. Die Polizei kann jede Vorstellung verbieten und sie ist nicht auf Vermutbung beschränkt, wie ein Theaterstück im Puncte der Sittlichkeit etwa wirken könnte, sie kann sich vielmehr durch „Separat vorstellung" überzeugen, wie es — immer nach ihrem Dafürhalten, daS aber nicht unzuverlässiger ist als das richterliche — damit steht. DaS Beste also wäre, die ZK 184—184d dem Papierkorbe aut Ni n- "«»irders'hen zu überantworten. Es ist aber nicht viel Ausßwt, daß das geschehen wird. Der Bildhauer Eberlein bat am Sonntag in Berlin die beste Hoffnung der Künstler auf den Kaiser gesetzt. Scheinbar muß die Hoffnung eitel sein, denn der Gedanke der lex Heinze ging gerade vom Kaiser ans. Aber die Künstler wissen, was daS Publicum zum Thcil vergessen hat, daß nämlich der Monarch zu seiner Zntervention ver anlaßt war durch eine Erscheinung, die mit der Kunst — unbestritten — nichts zu schaffen hatte, nämlich durch die — den Criminalisten allerdings nichts Neues bietende — Auf deckung schändlichsten Treibens verworfenster Menschen. Die lex Heinze war ursprünglich als ein Zuhältergesetz gedacht und man versteht es wohl, daß die Künstlerschaft durch den Mund Sudermann's mit Entrüstung schon gegen den Anlaß zur Schaffung von Kunstparagraphen und gegen die Gesell schaft, in die der Reichstag die Künstler bringen möchte, protestirt hat. DaS Alcischschaiigrsrtz soll schon am Donnerstag im Reichstage zur Verhandlung kommen; heute aber erst wird der Bericht in der Commission festgestellt und wird vor morgen schwerlich zur Vertheilunz kommen. Wie kann man, fragt da die „Freis. Ztg.", in einer solchen wichtigen und im Einzelnen schwierigen Frage von Abgeordneten verlangen, baß sie innerhalb höchstens 24 Stünden sich über dir Umgestaltung in der Commission unterrichten und in den Fraktionen Stellung nehmen bezw. Gegenanträge vor bereiten? Warum überhaupt jetzt diese furchtbare Eile, nachdem viele Monate hindurch der Gegenstand in der Commission liegen geblieben ist? Ausnahmsweise muß man die Auswerfung dieser Frage für berechtigt anerkennen, und zwar nm so mehr, je tiefer die Beunruhigung ist, die durch die von der Commission angenommenen Bestimmungen über die Fleischschau in den Kreisen der Znteressenten aus Handel, Industrie und Schifffahrt hervorgerufen worden ist. Dies geht nicht nur auS den bereits mit« getheilten einstimmig gefaßten Beschlüssen des Ausschusses de- Deutschen HandelstageS, sondern auch aus der Haltung der hanseatischen Blätter hervor, die sich mit Nachdruck gegen den Entwurf wenden, weil sie in ihm nur die erste Staffel zu einem Zollkriege gegen Amerika seben, der ja zweifelsohne die wichtigsten und berechtigtsten deutschen Interessen in Mit leidenschaft ziehen würde. Tie „Weser-Zeitung" berechnet, daß die in Zukunft unter Verbot fallende Einfuhr an Fleisch und Fleischsabrikaten nach Deutschland im Zahre 1897 rund 47 Millionen Mark an Werth betragen habe, wovon auf Amerika über 21 Millionen entfallen. Die „Weser- Zeitung" hebt hervor, daß Amerika sich mit Gewißheit zu Wiedervergeltungsmaßregeln entschließen werde und daß des halb die Industrie sich darüber klar werden müsse, was hier für sic auf dem Spiele steht. Ein Zollkrieg bedeute nicht nur die vorübergehende Unterbindung wichtiger Handels beziehungen, sondern in vielen Fällen auch deren vollständiges Aushören, da andere mit uns in Wettbewerb stehende Länder nicht verfehlen würden, sich derjenigen Kundschaft zu ver sichern, die von deutschen Handelshäusern mit großer Mühe erworben worden ist. Auch die Landwirthschaft solle sich überlegen, ob sie bei dem vermeintlichen Vortheil durch Ver drängung der Fleischconserven stärker interessirt sei, als an der Aufrechthaltung der ZuckerauSfubr nach Amerika, Vie in den Zähren 1896—1898 von 89 auf 40 Millionen zurückgezangen sei. An diesem Rückgänge, der in zollpolitischen Maßregeln der amerikanischen Behörden begründet ist, könne man vorbildlich sehen, welche Wirkung prohibitive Zölle auSüben können. Auch die Hamburger Blätter äußern ihr Befremden und ihre Besorgniß in ähnlicher Weise und sagen, es hieße die Pferde zugleich vorn und hinten an den Wagen spannen, wenn man überseeische Weltpolitik betreiben und zugleich mit vollen Segeln in einen Zollkrieg hinein fahren wolle. Zn einen solchen werden sich die verbündeten Regierungen nun schwerlich treiben lassen; eben deshalb liegt es aber auch nicht in ihrem Interesse, wenn die Be- rathung deö Gesetzentwurfes überhastet wird. Auf die chauvinistische Tendenz der Rede, die der französische Kammerpräsident Paul TcSchanel am Sonntag in seinem Wahlkreise Noyant-le-Rotrou gehalten, ist bereits hingewiesen worden. Der ganzen Welt verkündet DeSchanel, der vielfach als der „kommende Mann" gilt, daß Frankreich bereit» die beste Artillerie habe und bald auch das beste Gewehr haben werde. „Wir haben außerdem ein fest begründetes Bündniß" fügt« DeSchanel selbstbewußt hinzu. Gerade in Bezug Sus'die chauvinistische Tendenz der jüngsten Rede deö französischen Kammerpräsidenten ist jedoch der Wortlaut nur unvollständig von der „C. T. C." übermittelt worden. Zn der That hat Paul Deöchanel in vollem Maße bestätigt, daß sein letzte», nie au- den Augen zu verlierendes Ziel die Revanche ist. Nach der in der französischen Akademie gehaltenen Rede deS Kammer präsidenten versuchten einige Organe, den chauvinistischen Charakter dieser Kundgebung zu bestreiten. Die „Zn- dependance belge" und ein russisches Blatt veröffentlichten dann aber Berichte über Unterredungen mit Paul DeSchanel, auS denen aufs Deutlichste erhellte, daß jene Ableugnungen durchaus verfehlt Ware». Zn der „Petite Republigue" ruft nun Zauros gerade mit Beziehung auf die jüngste Kund gebung des Kammerpräsidenten auS: Welche seltsam« Manie bcrauSzufordern unsere Staatsmänner haben! Die Aeußerung DcSnachcl'S auf die sich diese durchaus berechtigte Kritik bezieht, lautet, wie wir im Morgenblatl schon mittbeilten, wörtlich: „Lasten wir uns von den großen Pflichten, welche die continentalen Kriege in der zweiten Hälfte des 19. Zahrhunderts un» auferlegten, nicht ablenken und geben wir graben Weges auf unser unabändrr- lich es Ziel zu." WaS unter dem „unabänderlichen Ziele" des mit der „besten Artillerie der Welt" versehenen und demnächst zugleich mit dem „besten Gewehre" auSzurüstendcn Frankreichs verstanden werden muß, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Zn Deutschland weiß man aber auch nunmehr, wessen man sich von Seiten deS Herrn DeSchanel zu versehen haben würde, falls er in der That in die leitende Stellung berufen werden sollte. Zn zusammenfassender Weise werden in einer englischen Zeitschrift die Gesichtspunkte, die einen Krieg zwischen Eng land und Frankreich als praktisch vortheilhaft für letztere» erscheinen lassen würden, erörtert. „Frankreich", so heißt eS, „baut seine Berechnungen aus folgend« Thatsachen: Der größte Theil der waffenfähigen Mann- jchaft Englands befindet sich gegenwärtig in Afrika. In England fehlt es an Soldaten, Waffen, Munition und an dem führenden Geist an der Spitze der militärischen Organisation Englands. Lord Wolseley ist alt. Sir Evelyn Wood ist taub. Lord Laus- downe ist schwach und unentschlossen. Indien wird von Hungers- noth heimgesucht. Egypten ist beständig von Meutereien unter den Soldaten bedroht. In den Bereinigten Staaten spricht sich die Volksstimme immer mehr zu Gunsten der Boeren auS. Nur zwei Lichter heben sich von diesem für die Briten so düsteren Poli tischen Hintergründe ab: die Stärke der britischen Flotte und die Friedensliebe deS Zaren. Obgleich aber letzterer zu einem Angriff aus England niemals seine Zustimmung geben wird l'?), ist er doch vertragsmäßig verpflichtet, Frankreich zu unterstützen, wenn es in seinem Krieg gegen England von irgend einer Macht an gegriffen werden sollte. Al» einzige Schntzmauer gegen eine In- FenrHston. 2^ Hans Eickftedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). NcaHdruck rcrdolin. Während sie sprach, beobachtete sie das Gesicht ihres Freundes. Nervöse Spannung, tiefe seelische Unruhe spiegelten sich Sarin, und in seinen Augen flackerte «in unstätes Feuer. „Was soll denn nun werden, Hans?" fragte sie leise. „Irm gard muß doch jedenfalls morgen nach Hause?" »Ich glauoe nicht, daß sie das beabsichtigt", antwortete er ausweichend. „Aber ihre Eltern müssen doch erfahren, wo sie ist. Du wirst sie nicht die Nacht hindurch in Unruhe lassen, Irma." „Sie wissen ja, daß ich nicht zu Schaden gekommen bin. Ich bin ja so lange hier in Berlin allein gewesen. Sie werden sich schon denken, daß ich nicht gleich zu Grunde gehe." Gertrud blickte mit einem Gesicht voll unverhohlener Miß billigung von Einem zum Anderen. „Quäle das Kind nicht", verlangte Hans, indem er auf stand. „Morgen wird sich Alles finden. Wann darf ich kommen?" „Nicht vor halb neun, selbstverständlich." Es war ein trübe», naßkaltes Wetter, und die Steglitzer Straße fast, nur von einigen Milchkarren, Kohlenwagen und eiligen Dienstmädchen belebt, al» Han» sie noch vor der bestimmten Stunde am folgenden Morgen betrat. Die Nacht hatte er Uber unaufschiebbaren Schreibereien verwacht, zwischen denen seine aufrührerischen Gedanken, in rasendem Wirbeltanz um sich selbst gehetzt, sich bi» zur Erschöpfung abmarterten. Warum hatte er Irmgard zu Gertrud geführt? Warum waren die Instinkte des Gentleman allezeit stärker rn ihm al» die de» einfach aut ungebrochenem inneren Drang wollenden und handelnden Menschen? Wäre Irma jetzt sein, so gab e» keine Zweifel und Bedenken mehr. Gaben die Eltern ihren Segen, oder gaben sie ihn Nicht, sie konnten Geschehene» nicht unge schehen machen und würden mit Thatsachen zu rechnen haben. Für die wird immer Raum geschafft in der Welt, und ein prak tischer Mann wie Steinhäuser findet sich so oder so damit ab. Abrr wie, wenn Irmgard unglücklich würde? Äe war noch so jung und voll so felsenfesten Vertrauens in sein« Rechtschaffenheit und sein Zartgefühl — voll so unsinnigen, tollkühnen Vertrauen». Aber würde sie glücklicher sein al» Tietjen»' Weib? Sie war zu ihm gekommen aus dem tiefsten, unabweiSlichen Gefühl der Zusammengehörigkeit mit ihm. Jetzt war es an ihr. Glück und Leid mit ihm zu tragen. St« stürzten sich Beide vom Schiffsbord in das Wellengeiöse, damit man sie nicht nach beiden Enden der Welt auseinander führte. Sie hatten sich zu sammen in Sturm und Noth nach dem festen Lande ducchzu- kämpfen. Ob das Meer sie verschlang, ob es sie an eine wüst« Insel oder an gastliche Ufer trug — das wurde im Rathe der Götter bestimmt. Auf dem nassen, schmutzigen Trottoir kam Gertrud in ihrem alten braunen Regenmantel und Filzhütchen Hans entgegen. Sie sah frostig und überwacht aus, wie er, und reichte ihm eine kalte Hand, an der der Handschuh fehlte. „Ich bin heruntergekommen, um Dich hier abzusangen — nebenbei etwas zum Frühstück zu besorgen. Irmgard ist noch bei der Toilette — und ich muß Dich allein sprechen, ehe Du heraufkommst, Hans." „Hat sie gut geschlafen?" fragte er. „Ja, und sie ist ganz frisch." Daß Irmgard in Gertrud's Bett geschlafen hatte, während sie selbst bis zwei Uhr an ihren Täfelchen malt« und den Rest der Nacht in schlafloser Unruhe auf dem Sopha hinbrachte, er fuhr Hans nicht. „Ich bitte Dich, Hans, bestimme Irmgard, heute so früh wie möglich nach Hause zu reisen. Ich bin vergeblich in sie ge- druugen. Ich begleite sie anstandshalber, und Du gehst statt meiner zu meinem Elfenbeinmann." „Gern, aber wenn Irmgard nicht fort will, so ist die Sache doch erledigt und kein Wort darüber weiter zu verlieren." „Im Gegentheil, e» ist jetzt cm Dir, Deinen Einfluß zu brauchen." „Verzeih', das ist meine Sache", erwiderte er gereizt. „Wir hohen Dich überfallen, Deine Gastfreundschaft erzwungen, das mußt Du mit dem Drang der Umstände entschuldigen. Jeden falls Wirst Du noch heute entlastet werden." „Aber Hans — das ist doch Wahnsinn!" rief Gertrud erregt. „Irmgard kann doch nicht — ihr Elternhaus ohne Weiteres ver lassen? Sie ist minderjährig. Man wird Dich verantwortlich machen für ihre Flucht." „DaS soll man thun, ich werde Rede stehen." Daß ihr Freund vorwurfsfrei war, wußte Gertrud. Irm gard hatte ihr versichert, daß er von ihrem Kommen keine Ahnung gehabt, daß sie selbst, ohne vorherige Ueberlegung, dem Impuls des Augenblicks gefolgt war. „Aber wird man ihr glauben? Wird man nicht alle Schuld von ihr aus Dich abwälzen, ihre Thorheit auf Dein«n Einfluß zurückführen? Wird man nicht Deinen Charakter und Dein Vrrheiltniß zu Irma in ganz falschem, ganz abscheulichem Lichte sehen?" „Möglich", erwiderte er. „Das ist Alles ganz gleichgiltig. Es giebt jetzt nur eine Potenz, deren Wille mein Schicksal ist. DaS ist Irmgard selbst." „Ich glaube nicht", sagte Gertrud halblaut, „daß sie selbst über Das, was sie will, im Klaren ist." Hans schien das nicht zu hören. An der Ecke der Potsdamer Straße blieb Gertrud stehen, und er folgte unwillkürlich ihrem Beispiele. Sie hatte ein be schriebenes Blättchen aus ihrer Tasche geholt. „Ich habe hier ein Telegramm aufgesetzt, Hans, an Jrm- gard's Eltern. In meinem Namen, da sie erklärt, zu einem demllthigen Schritt den erzürnten Eltern gegenüber unfähig zu sein. Nur die Benachrichtigung, daß Jrmgavd bei mir ist, und die Frage, ob sie nach Hause kommen darf. Sie hat sich dazu verstanden, es ckbgehen zu lassen, falls Du nicht Einspruch thust." „Jedenfalls hat das Zeit, bis ich mit Irmgard überlegt habe." „Ich meine, es hat keinen Augenblick länger Zeit, und zu überlegen fft da gar nichts weiter", versetzte Gertrud energisch. Eickstedt's Kopf fuhr in die Höhe, seine Augen blitzten Gertrud zornig an. „Ich bitte Dich, unterlasse es, zwischen Irmgard und mir zu vermitteln und für uns Entscheidungen zu treffen", ent gegnete er in herrischem Tone. „Jede Einmischung, und wäre sie noch so klug und wohlgemeint, ist hier vom Uebcl." „Aber wie kann ich anders, als mich einmischen", rief sie ver zweifelt, „wenn ich doch die Einzige bin, di« nüchtern und ihrer Sinne mächtig bleibt zwischen Euch beiden Berauschten? Soll ich mit ansehen, wie Ihr zusammen dem Abgrunde zutaumelt? Ich bitte Dich herzlich, Hans, bedenke! Jetzt ist zum Glück noch nichts geschehen, das nicht so gut wie ungeschehen zu machen wäre. Jede Verzögerung verschlimmert die Sache, denn sie macht Dich faktisch zum Mitschuldigen — zum Hauptschuldigen an Jrmgard's Abenteuer, Du selbst brichst Dir dir Brücken zu ihr ab. Ihre Eltern werden sie Dir weder jetzt noch künftig geben, und sie werden recht daran thun, wenn Du Dich nicht in dieser schwierigen Lage als taktfester Ehrenmann bewährst." Sein Antlitz verzog sich zu bitterem Hohne. „Du meinst, falls ich nur brav bin, bekomme ich Irmgard al» WeihnachtSbescheerung, nicht wahr? Leider ist die Wirklich keit kein Garienlaubenrvman noch «in Märchen für artige Kinder. Ohne Zwang geben Strinhäusers mir ihre Tochter niemali, und wäre ich ein Heiliger — und dann erst recht nicht." „Ohne Zwang? Welchen Zwang kannst Du denn aus üben?" Hans antwortete nicht, er kehrte um und schritt die Steg litzer Straße wieder hinauf. Gertrud folgte ihm, so verwirrt und betäubt, al» wäre der Blitz dicht neben ihr eingeschlagen. Erst an der Hauithür sah er sich nach ihr um. Da» heißt, er sah über sie hinweg, mit fieberheißen Augen, die in eine weite Ferne voll Wunder und Schrecken zu blicken schienen. „Mr gehen jetzt wohl hinauf", sagte er. „Hans, ich will wissen, was Du vorhast!" Die Worte brachen ungestüm, fast gegen ihren Willen, über Gertrud's Lippen. „Zwang! Jawohl, Du kannst Zwang brauchen! Wie der Straßenräuber, der den guten Fang sesthält, bis er sich da reiche Lösegeld gesichert hat. Du kannst die Geliebte um Ehre und guten Namen bringen, wenn man Dir ihre Hand verweigeri. Ja, Hans, thu das nur! Aber zwischen uns Beiden ist'» dann aus, für immer! Ich gehe dann auf der Straße an Dir vor bei wie an einem Fremden und wende den Kopf weg —" „Nicht so hitzig, Schwesterchen", mahnte er mit erzwungenem Lächeln. „Und jetzt — großer Gott! Jetzt, wo Du auf der Höhe stehst, wo die Welt auf Dich sehen wird, wo die schönsten, reinsten Triumphe Deiner warten — jetzt willst Du mit eigener Hans Alles zerstören — der Welt Stoff liefern für schmutzige Scandal gefchichkn! — Jetzt — ich könnte Irma hassen, daß sie Dich jetzt wieder gewaltsam herausreibt aus Deiner Ge müthsruhe, Deiner Arbeitsfreudigkeit!" „Man ist halt erst Mensch und dann Dichter", erwiderte er gelassen. «Aber davon versteht mein tugendhaftes BäSchen nichts." „Und Deine Mutter!" rief Gertrud, außer sich. „Denke an Deine Mutter, Hans! Und daß Du ihr einst eine Schwieger tochter zuführen mußt, deren sie sich nicht zu schämen hat." „Zu schämen? Was? Jrmgard's?" Zornige Röthe flammte in seinem Gesichte auf. Er drückte heftig an der großen Thür, die nach dem Hofe und dem „Garten haus" führte, und trat ein. Gertrud eilte ihm nach und vertrat ihm entschlossen den Weg. „Ich duld« es nicht, Han»! Ich geh« jetzt nach dem Postamt? und gebe daS Telegramm auf. Und Dir verbiete ich — hörst Du, ich verbiete Dir, meine Stube zu betreten, bevor ich zurück bin." „So?" entgegnete er, und es zuckte toie ein Schimmer von Lachen über sein Gesicht. „Wunderbar, daß Du Irmgard nicht oben eingeschlossen hast. Da» hatte Dir ähnlich gesehen " Sie standen einander gegenüber, Gertrud empört und dem Weinen nahe, Hans mit seinem unergründlichrn Gesicht. „Nun, wo hast Du Dein Telegramm?" fragte er endlich. „Gieb her, ich will'» besorgen. Geh' nur hinauf und mach' Dich mit Irmgard zum Au-gehen fertig. Wir treffen un» hier unten." „Hans, ist's auch wahr? Ganz ehrlich, willst Du «» be sorgen?" „Ganz ehrlich." „Er aab ihr die Hand und drückte die ihre kräftig. Es fehlte nicht viel, daß sie ihm nicht angesichts sämmtlicher Küchenfenster, die auf den Hof hinaus führten, um den Hals fiel. (Fortsetzung folgt.)
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