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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000307024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900030702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900030702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr, die Wend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Nr-actiou und Expedition: JohanniSzaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Alfred Hahn norm. v. Klemm'» Tortim. UniversitätSstraße 3 (Paulinum,, Loui» Lösche, Katharinenstr. In, Part, und KönigSpleitz 2, Vez«g-'Prei- > der Hauptexpeditioa oder den i» Stadt» Amirk und de» Vororten errichtete» Aus- «prestelle» abgeholt: vierteljährlich ^14.50, »ei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung i»S Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. eipMer TaMalt Anzeiger. Amtsökatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Volizei-Ämles der Stadt Leipzig. 1A. Mittwoch den 7. März 190K AnzeigeN'Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclame» unter demRedactionsstrich (4ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichtrn (6 gespalten) 40 >4. Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilage» (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Tlnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen- Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. vei de» Filialen und Annahmestellen je ei» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expeditio» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 9-1. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Mär;. Während gestern das sog. Plenum des Reichstags über BereinSrecht, Baugewerbe und Zunftwesen eine ziemlich belanglose Debatte führte, stellte seine 15. Commission een vom Abg. Herold versagten Bericht über das Tchlnchlvirh- und Aletschbcschau-Gcsctz fest, der beute der überwiegenden Mehrheit deS Hauses willkommenen Borwand geben dürfte, der Plenarberathung wiederum fern zu bleiben. Wesentliches Neue enthält er allerdings nicht, da ziemlich ausführlich über die Verhandlungen der Commission berichtet worden ist und ihre Beschlüsse, wie wir schon gestern erwähnt habe», in der Presse und in zahlreichen Körperschaften einer eingehenden und meist sehr scharfen Kritik unterzogen worden sind. Sie gehen in der Hauptsache dahin, das; die Einfuhr von Fleischconserven und Würsten sofort, die von frischem Fleisch vom 1. Januar 1904 an verboten werden soll; bis dahin soll frisches Fleisch an der Grenze nach detaillirten Vorschriften untersucht werden. Die Regierungs vorlage hatte, während sie für das Inland eine Beschau deS Viehes vor der Schlachtung und eine solche des Fleisches nach der Schlachtung angeordnet, für die Beschau aus ländischen frischen Fleisches bestimmt, daß mit dem Fleisch alle thierischen Organe, die der Sitz von Krankheiten sein können, vorzulegen seien; wo dies nicht möglich, wie bei Büchsenfleisch und Würsten, sollte der BuntcSrath befugt sein, die Einfuhr zu verbiete». Man siebt, die Aenderung der Commission ist eine radicale. Da das ausländische Vieh, dessen Fleisch cingeführt wird, von deutscher Seite nicht beschaut werden kann, hat man die Einfuhr fremden Fleisches überhaupt verboten. Die Trag weite deS Beschlusses braucht nicht erst gezeigt zu werden. Das Einfuhrverbot würde einschneidende sociale Bedeutung erlangen, auch wenn die Erwartung der CominissionSmehrheit, daß nach drei Jahren die deutsche Landwirthschasl im Stande sein werde, den gesammten Fleischbedarf im Reiche zu decken, sich erfüllen sollte. Der gesetzliche Ausschluß fremden Fleisches gäbe den inländischen Producenten die Handhabe, die Preise übermäßig hoch zu halten. Dann die handelspolitische Seite. DaS ganze Fleischbeschaugesetz soll, auch nach der Meinung der Commission, ein bhgieinischcS sein. Aber der Umstand, daß bei den sogenannten Hausschlachtungen jede Beschau, vor und nach der Schlachtung, unterbleiben darf, schwächt diesen Cha rakter des Gesetzes so erheblich ab, daß eö dem durch das Einfuhrverbot betroffenen Auslande ein gewichtiges Argument gegen die deutsche Maßnahme darbictet. Unseres Erachtens ist daS Einfuhrverbot nur diScutabel, weuu eS als reines Kampfgesetz gedacht ist. Ein solches gegen Amerika zu schaffen, daS Deutschland zollpolitisch ungerecht behandelt, läge mehr als ein Anlaß vor; man erinnere sich nur an die Benachtheiligung des deutschen Zuckers, die Cbikancn der amerikanischen Consuln u. s. w. DaS Einfuhrverbot, wie cS von der Commission voraeschlagen ist, richtet jedoch seine Spitze auch gegen andere Länder. Die Hamburger Handels kammer macht darauf aufmerksam, daß das Fleisckbcschau- gesetz insbesondere auch Australien in Mitleidenschaft ziehe, mithin die handelspolitischen Beziehungen zu England zu schädigen geeignet sei. In erster Linie saßt diese kaufmännische Corporation der ersten deutschen Handelsstadt die Gefahr eines Zollkrieges ins Auge. Dies ist Hamburg gewiß nicht zu verargen und auch andere Gebietstheile deS Reiches haben keinen Grund, den Verlust deS noch immer großen amerikanischen Absatzgebietes zu wünschen. Auf der anderen Seite darf freilich keinen Augenblick außer Acht gelassen werden, daß Amerika sich den billigsten Forderungen Deutsch lands hartnäckig widersetzt und daß die Vereinigten Staaten, deren Ausfuhr nach Deutschland mehr als doppelt so groß ist, wie ihre Einfuhr aus Deutschland, an der Vermeidung einesZollkrieges noch weit stärker interessirr sind als wir. Aengst- lichkeit, wie sic in freisinnigen Blättern wegen des FleiscbgesetzeS sich bemerkbar macht, ist also ebensowenig am Platz, wie das handelspolitische Kriegsgeheul, mit dem sich die Presse des Bundes der Landwirthe die Zeit vertreibt. Zunächst wird Alle» darauf ankommen, wie sich die Negierung endgiltig zu den Beschlüssen der Commissionsmehrheit stellt. In der Commission hat sie zur Zurückhaltung gemahnt, aber an scheinend nicht mit sonderlichem Nachdruck. Die Aufbauschung der „TrckungSfrnge" in der Flottcn- augclegcuhcit tbut die von Mariucgcgnern gewünschte Wirkung: die Presse der Parteien, die für die Flottcnvcr- stärkung tbeilS zweifellos einmüthiz eintreten werden, theils in überwiegender Zahl für sie stimmen zu wollen erklären, liegt sich dermaßen in den Haaren, daß die Richter, Bebel und Cousorten ihre Helle Freude daran baden. Ursache: ein Artikel der „Kreuzzeitung", der dem Blatte aus dem Flotten gegnerclub der Harmlosen zugcgangen sein muß. Wahrend noch vor wenigen Tagen der Abg. Gras Stolberg im Reichstage betont hat, daß gerade die Conservativen auf die Deckungsfrage kein Gewicht legten, kommt jetzt daS Hauptorgan dieser Partei mit der Erklärung, ohne die gleichzeitige, d. h. also die vorherige Regelung der Deckung, werde es wohl nicht gehen. Tie Vorschläge, die LaS Blatt seinerseits mackt, fuhren mit zwingender Gewalt zu der von nnS geänßerten Vcrmuthuug über ihre Herkunft. Sie sind fast alle populär und zumeist undurchführbar, also die richtige Mephisto-Arbeit. Die „Kreuzztg." will zunächst „ein schärferes Anziehen der Steuerschraube der Börse" und eine Tantiömensteuer bei den Aktiengesellschaften. Letztere Forderung wird mit einer packenden Frivolität be gründet. Tas conservatire Blatt weist auf einen „Herrn am Rhein" hin, der bei 16 Gesellschaften Aufsichtsralh sei, also jährlich mindestens 32 Versammlungen mitmache, „Vie ja zumeist mit einem Festessen abschlicßen"; dafür gebe es Tantiemen, der Herr könne also eine Ertrasteuer bezahlen. Die Tantiömensteuer würde eine nennnenSwerthe Summe nicht ergeben, darauf kommt es der „Kreuzztg." aber auck nicht an. Als dritte Einnahmequelle schlägt sie eine Dividendcnsteuer für die über den landesüblichen Zinsfuß hinausgehenden Erträgnisse aus Wcrthpapiercu vor. Dieser Gedanke ist besonders fein. Er gefällt den Socialdemokraten, die ja trotzdem für die Flotte nickt zu fürchten sind, und er verspricht, die zahllosen kleinen Rentner Deutschlands dem Flotienplan abspenstig zu machen. Der vierte Vorschlag geht auf die Heranziehung „der an den Lieferungen zum Bau der in Aussicht genommenen neuen Schisse betheiligtcu Firmen mit einem bestimmte» Procentsatz ihres Reingewinnes". Also, was man sckon öfter hörte, „Krupp und Stumm sollen's bezahlen". Warum aber nicht auch die für das Land heer Jahr ans Jahr ein zu besonders günstigen Be dingungen, für sie besonders günstigen Bedingungen Fourage liefernden Großgrundbesitzer „heranziehen"'? Die „Kreuzztg." ist aber noch nicht fertig, daS Beste hat sie sich bis zuletzt aufgehoben: „Zum Schluß sei noch eine stärkere Heranziehung der großen Vermögen, befinden sie sich nun in Privatbänden oder im Besitz von Acticngescllschasten, empfohlen. Einkommen über 50 000 können ruhig eine Flottensteuer von 10—20 Proc. der Einkommensteuer aus sich nehmen." Daß ein procentualer Ausschlag auf die Einkommensteuer in Deutschland wegen der Verschiedenheit der Grundlagen dieser Steuer in den versckiedenen Staaten — Bayern hat überhaupt die allgemeine Einkommensteuer nicht — unmöglich ist, daS genirt die „Krcuzzeituug" ebensowenig wie die von ihrem Vorschlag unzertrennliche Doppelwirkunq, die Nation zu zerreißen und die durch Progression zur Enteignung strebende Steuerpolitik der Socialdemokratie zu fördern. Wir sind neugierig, wie sich die sächsischen Conservativeu zu diesen Vorschlägen ihres leitenden Organes stellen werden. Daß die Anregungen der „Kreuzztg." keine ernsthafte Dis- cussiou vertragen, entlastet die Partei nicht, denn sie stören, was ja ihr Zweck ist, die Propagirung deS Gedankens der Flottenverstärkung, die die conservative Partei angeblich auch will. Schon wegen seiner bösen Absicht ist daö Ganze nicht erörterungssähig; aber um der Gerechtigkeit willen sei hervor- geboben, daß ihm gegenüber nickt mit vollem Rechte auf England verwiesen wird, das seine KriegSkosteu von 1200 Millionen Mark ganz anders zu decken sich anschickc. In einem Puncle ist der Hinweis nickt berechtigt: auch in England figurirt, was ter „Nationalztg." entgangen ist, eine Ausdehnung der Börsensteuer unter den DeckungSvorschlägrn. Je länger die Verworrenbeit der österreichische» Zu - stände andauert, um so zahlreicher werden die Stimmen, welche die nahe Auflösung deS Donaustaates ankündigrn. Dieser Ansicht tritt der Berliner Historiker Max Lenz im Märzhrft der „Deutschen Rundschau" in einer Betrachtung über die großen Mächte entgegen. Lenz schreibt u. A.: „Schon vor bundertunksechzig Jahren speculirten die Nachbarn auf den Zerfall Oesterreichs. Und gerade da begann die große Kaiserin es auf de» alten Grundlagen neu zu befestigen. Die napoleonischen Kriege hat cS besser überstanden als irgend eine Macht LcS Festlandes, außer Rußland. So tauchte es auch aus der Fluth der deutsche» Revolution unversehrt hervor und die Niederlage» von 1859 und 1866 haben seine Großmachtstelluug doch nur erschüttert, nicht gebrochen. Immer bat sich noch daS Gemeingesübl seiner Nationen in den großen Kreisen seiner Geschichte aufs Kräftigste geregt und haben die stärksten Säulen seiner Macht, Armee und Be- amtenthum, ihre alte Kraft bewährt. Heute freilich zeigen auch sie schon, wie selbst die dritte, die Kirche, aller hand Sprünge und Riffe; auch auf sie beginnt der Natioualitätenhader zersetzend einzuwirkcn. Jedenfalls wird das Gesetz der Selbsterhaltung diesem Staate eine Politik des Friedens, der Defensive vorschreiben. Es ist ein Macktgebiet, das wirthschaftlich und durch die Gunst seiner Lage, die es gegen den Orient hin wendet und ihm den Zugang zu dem Mittelmeer, der uns verschlossen ist, gelassen bat, wie geschaffen erscheint, um in den großen Fragen, die dort der Lösung harren, das entscheidende Wort mitzusprechen. Aber der innere Zwiespalt verbietet ihm, seine Kraft nach irgend einer Richtung einzusetzen: weder nach der polnischen, nach der türkischen oder gar nach der deutschen Seite hin. Es ist die Politik Metternich'S, an die Oesterreich gebunden ist, wahrend die Staaten, mit denen es noch vor dreißig und vierzig Jahren wetteifern konnte, ihre Kraft über alle Grenzen der Erde hinweg zu tragen begriffen sind." Ein Mitarbeiter deS „Echo de Paris" hat Sir Charles Dille aufgesucht, um seine Ansichten über die Beziehungen zwischen Frankreich und England zu hören. Ter liberale englische Politiker bat die Erwartungen deS französischen Journalisten sehr enttäuscht. Er begann seine Erklärungen mit der Behauptung, daß von den Boeren kein ernster Widerstand mehr zu fürchten sei (?) und bestritt jehr energisch die Meinung, England hätte die Verpflichtung, sich im Siege großmüthig zu zeigen. Die Boeren seien „Aus rührer" und verdienten eine Züchtigung. Auf die inneren Verhältnisse Englands übergehend, sagte er, die liberale Partei habe mit Lord Rosebery nichts mehr zu schaffen, da er ein reiner Imperialist geworden sei. WaS da-? Verhältnis zu Frankreich betreffe, so würde sich darin nichts ändern, wenn Salisbury durch ein liberales Cabin.l abgelöst werden sollte. „Rechnen Sie um Himmelswillen", sagte Dille, „auch dann nicht auf eine Aenderung der Haltung unserer Diplomatie! Unsere Reckte sind formell, sie bilden ein unantastbares Ganzes. Gewiß wäre eine Ver ständigung möglich, aber ick muß zu meinem Bedauern er klären, daß Frankreich sich uns gegenüber fortwährend aggressiv zeigt. ES läßt sich oft zu beleidigendem Vorgehen uns gegenüber sortreißeu. Vor Allem weiger! eS sich, die Veränderungen anzuerkennen, welche die Umstände in den politischen Wechselbeziehungen herbeiführen. Daraus erklären sich vor Allem die so aufreizenden Meinungsverschieden heiten. So beruft sich Frankreich bezüglich der Neufundlandfrage auf einen Vertrag von 1713, den es in seinem ganzen Umfange und in seiner ganzen Kraft aufrecht erhalten sehen will, während gewisse, im Jahre 1815 unterzeichnete, also unS viel näher liegende Verträge mit Füßen getreten werden. Sie erkennen daraus, wie schwer eine Verständigung zwischen den beiden Ländern ist. . . ." Derselbe französische Journalist hat auch Sir Campbell Bannermann interviewt. Auch dieser Liberale erklärte, früher könne kein Friede geschlossen werden, ehe nicht alle „Ausruhr-Elemente" in Süd-Afrika erstickt seien. Dann könnte man den Boeren eine beschränkte Autonomie zu- erkenneu. Mit Frankreich könne sich England wohl ver ständigen, aber Frankreich müsse ein Unterpfand für seine Freundschaft geben. Die Colonial - B »strebunge» Frankreichs stünden derselbe» im Wege. Der Krieg in Südafrika. -(>. Nach englischen Blättern nimmt die Armee Lor- Roberts' zwischen KoodooSrand und AbrahamSkraal, nahe dem Letzterem, eine recht vortheilhaste Stellung ein. Die sechste Division unter Kelly-Kenny hält auf der Rechten alle Kopjen fünf Meilen südlich vom Modder. Die siebente Division unter General leutnant Tucker steht im Centrum, unmittelbar südlich vom Fluß, und General Colville mit der neunten Division steht nördlich. Die Carallerie-Brigade unter French ist auf der linken Flanke, und die berittene Infanterie unter Oberst Ridley Martyr auf der rechten. Das Gelände besteht aus weiten, grasbewachsenen Ebenen, welche nur von Höhen kanten und isolirten Kopjen unterbrochen werden. Ein Theil der Boeren, welche unter dem Oberkommando Joubert's fechten, steht auf einer solche» nördlich vom Modder, fünf Meilen weiter als French. Eine andere, Feuilleton» Hans Eickftedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt),. Nachdruck verbvlcn. In Erinnerung schöner Zeiten machte der Dreibund einen Spaziergang durch den entblätterten menschenleeren Thier garten. Irmgard hatte Gickstödt's Arm genommen, Gertrud ging an ihrer anderen Seite und blieb einen Schritt zurück, wenn Niemand in Sicht war. Die Sonne hatte die Nebel nicht durch brochen, sic lasteten hellgrau und dumpf auf dem feuchten Boden, die spärlichen rochen und gelben Blätter zitterten an den Ge büschen, die Luft war schwer und rauh. Die Liebenden flüsterten miteinander, und Gertrud war es trüb und weh ums Herz. Sollte, was im Frühling erblüht, mit dem Winter welken und ckbfierben? Alles, Blumen und Grün, Freude und Hoffnung und Liebe? Zum Mttagejsen kehrten sic in den Zelten ein, wo jetzt wenig Besuch war, und traten dann den Rückweg an. In Gcrtrud's Stübchen fand sich ein Telegramm an diese vor. Es lautete: „Bin 7 Uhr Abends da. Irmgard soll sich bereithalten. Stein häuser." Das Telegramm ging von Hand zu Hand und wurde schwei gend gelesen. Irmgard klammerte sich an den Arm des Ge liebten, als fürchte sie, zu versinken. Gertrud hatte Hut und Paletot gar nicht abgelegt, jetzt packte sie ihre Täfelchen zusammen und griff nach Handschuhen und Regenschirm. Die Ablieferung der fertigen Arbeit hätte zur Noth bis morgen bleiben können. Aber Hans hatte sie Mittags bei Seite genommen und gebeten, ihn noch ein Stündchen mit Irmgard allein zu lassen. Er hätte ja nicht nöthig gehabt, zu bitten. Wie hätte sie die Beiden hindern können, miteinander fortzugehen? Daß er es that, war ihr Gewähr, daß er nichts Unrechtes im Sinn hatte. Aber doch würde sie tief erschrocken sein, hätte sie die Gespräche der beiden Zurückgebliebenen be lauschen können. Irmgard war auf den kleinen Balcon hinausgetreten. Sie beugte sich weit über das feuchte Eisengitter vor und fragte, als Hans den Arm um ihren Gürtel legte: „Was meinst Du, Hansi, wenn wir Beide da hinabstürzten, wären wir wohl auf der Stelle tckdt?" Er zog sie mit sanfter Gewalt zurück und erwiderte ernst: „Spiele nicht mit dem Tode. Wir Beide haben es noch mit dem Leben zu thun, nicht mit dem Sterben." „Warum nicht? Ich fürchte mich nicht, Hans. Bester todt auf einmal, als ein langes, ödes Leben ohne Glück und Liebe. Ich werd: nie einen Anderen lieben, als Dich, Hans, und würde ich hundert Jahre alt." Sie lehnte an seiner Brust, und er küßte ihren blonden Scheitel. „Erkläre Dich so gegen Tietjens, Irma. Ist er nicht ein ehrloser Lump, so tritt er zurück." „Er wird mir beweisen, daß ich mich irre, daß ich eigent lich immer ihn geliebt habe, und wird so lange predigen, bis ich müde und matt bin und zu Allem stillschweige. Freilich — ver sprochen hat er mir —! Ach, Hans! Es hilft ja Alles nichts, sie geben mich ja nicht frei. Es hängt zu viel davon ab. Vater hat sich zu fest gebunden; Tietjens leitet die ganzen auswärtigen Geschäfte, alle Fäden liegen in seiner Hand, und sein Vermögen steckt in unseren Werken. Scheidet er aus, so stürzt Alles zu sammen. Oder es geht später Alles in seinen Besitz über." „Ich weiß, von Deinem Vater haben wir nichts zu erwarten. Er hat gedroht, Dich zu verstoßen, wenn Du seine Pläne durch kreuzest, als Abschreckungsmittel für schlaue Mitgiftjäger." „Weißt Du nichts Anderes, Hansi?" Er spielte mit ihren seidenweichen Haaren und gab keine Antwort. „Ersinne etwas, Hans. Giebt es nichts Anderes?" „Es giebt etwas, ja, etwas Großes, Schweres, Herrliches", erwiderte er halblaut. „Es gehört aber mehr — viel mehr Muth dazu, als mit geschlossenen Augen in den Tod zu springen. Es heißt, mit offenen Augen dem Leben Trotz zu bieten, da wo es nur Kampf ist und Entsagung, dem Leben mit mir, für mich, Irma." Sie blickte ihn bang« und fragend an. „Bin ich nicht zu Dir gekommen? Habe ich nicht bewiesen, daß ich Muth habe?" „Ja, mein einzig Lieb, Du bist zu mir gekommen. Du hast für mich gewagt, was ich nie unb nimmer von Dir gefordert — erbeten hätte. Du hast mir den höchsten Liebesbeweis gegeben, den ein Weib dem geliebten Manne geben kann. Wärest Du einige Jahre älter, so würde ich ohne Bedrucken sagen, thu' den letzten entscheidenden Schritt, gieb Dich ganz mir zu eigen. Du wärest dann vorher entschlossen gelvesen — oder Du wärest nicht ge kommen. „Aber — Irma — ein Mädchen, das einen Mann von ganzem Herzen liebt, ist kein Kind mehr. Ich hab« gestern zu Dir gesagt: „Bleibe bei mir, sei mein Weib." Jetzt sage ick cS noch einmal — —* Irmgard blickte vor sich nieder und hatte die Finger beider Hände um des Geliebten Hand gepreßt. Er führte sie zum Sopha.und sie saßen sine Weile schweigend. Die Dämmerung begann, ihre grauen Schleier zwischen den vier Wänden auSzubrciten. Hans stand auf, die Balconthür zu schließen, weil die Luft rauh und feucht hereinströmte. Dann stand er vor Irmgard, und sie blickte offenen Auges zu ihm auf. „Ich weiß, Du forderst nichts von mir, was nicht recht ist, und was ich nicht mit gutem Gewissen thun kann. ' Sagst Du mir also jetzt: „Bleibe bei mir!" — oder: „Geh' mit mir bis ans Ende der Welt!" so thu ich's, Hansi, und Du brauchst nicht zu fürchten, daß ich Dir jemals einen Vorwurf daraus machen werde, wenn es zu unserem Verderben ausschlägt." So legte Irma sich und ihr Schicksal in seine Hände, mit so unbedingter .Adersicht, wie cs nur hingebende Frauenliebe ver mag. Aber sie legte auch die ganze Last der Verantwortung für ihr Thun und dessen Folgen ihm auf die Seele. „Fordere nichts Uebermenschliches von mir! Ich kann nicht in einem Athem für und gegen mich plädiren, kann Dich nicht vor Dem warnen, was ich mit aller Macht meiner Seele wünsche. Du selber mußt für Dich entscheiden, und Du mußt auf der Hut sein und Dich nicht überreden und überrumpeln lassen." „Sprich nur, Hans, was soll geschehen?" Er setzte sich wieder zu ihr, und sie schmiegte sich eng an seine Seite, während er sprach. „In zwei Stunden kommt Dein Vater an, und wir werden getrennt, auf immer vielleicht. Aber diese zwei Stunden ge hören noch uns. Es führen Bahnzüge nach allen Himmels richtungen. Wir gehen nach Schottland oder nach Amerika und erlangen dort, was man uns hier verweigern würde, die gesetz liche Sanktion unserer Ehe. Dann suchen wir uns einen blühen den Erdwinkel und leben in tiefster Verborgenheit unserer Liebe, ganz still, ganz einfach, immer nur wir zwei —" Das idyllische Glück dieses weltentrückten Liebeslebens ge staltete sich in seiner Dichterphantasie zu so rührender Schönheit und Lieblichkeit, daß er, aus Furcht, in zu verführerischen Far ben zu malen, jetzt um so dunklere Schalten auf die Kehrseite des Bildes warf. Er und Irmgard würden arm sein, anfangs ganz arm. Der TÜchternchm würde ihn in seinem Versteck vielleicht nicht aufsuchen. Sie würden unter Bauern und Kleinstädtern leben, vergessen von der Welt, Entbehrungen unterworfen, von denen Irma noch keine rechte Ahnung hätte, sie würden Schritt für Schritt sich ihre Stellung erobern müssen, materielle Sicher heit, gesellschaftliches Ansehen. „Kein Hochzsitsfest wird es für Dich geben, mein süßeS Lieb, keine schön eingerichtet« Wohnung, keine Dienerschaft und keine Gäste. Alles, was wir brauchen, werden wir uns selber schaffen müssen. Vielleicht erlangen wir mit der Zeit die Verzeihung Deiner Eltern. Vielleicht bleibst Du zeitlebens, wie Dein Daker sagte: für Deine Familie ein« Verlorene." Ein dumpfer Druck, der ihm die Brust zusammenpreßte, ließ ihn die Worte hastig, abgebrochen hervorstoßen. Während er noch sprach, fühlte Hans die Gestalt der Geliebten an seiner Schulter beben, er fühlte das Erkalten ihrer Hände, die er in den seinen hielt, er hörte ihre mühsamen Athemzüge, und als er sich vorneigte, ihr ins Gesicht zu sehen, schimmerte dies weiß und wie erstarrt durch die Dämmerung. Er warf sich zu ihren Füßen nieder und küßte ihre Hände warm. Sie senkte ihre Stirn, daß sie die seine berührte. ,,Giebt es nichts Anderes, Hans? Dann lass' uns lieber zusammen sterben, das ist leichter." „Es giebt noch Eines, Irma, das Leichteste und Schwerste von Allem: warten, beharren, dem Andringen der Deinigen unbeug samen, passiven Widerstand entgegensetzen, — bis ich ein Mann von Ruf und Vermögen bin — bis ich so stehe, daß jeder Vater, und wäre er noch reicher und angesehener als der Deine, es sich zur Ehre schätzen muß, wenn ich um seine Tochter werbe —" „Aber das kann noch lange dauern", meinte Irmgard traurig. Warme Tropfen fielen auf die Stirn des Knieenden nieder. Sein Muth und seine Kraft waren erschöpft, er konnte nichts mehr, als sein« Arm« um den Leib der Geliebten, seinen Kopf an ihre Brust legen und seine Thränen mit den ihren mischen. Dann ertönte ein Schritt im Corridor, ein Pochen an der Thür, und Gertrud trat ein. „Mein Gott, es ist halb Sieben, und Ihr habt noch kein Licht —?" Sie zündete hastig die Lampe an; dann sah sie in das bleiche, verstörte Gesicht Eickstedt's vor sich, der ihr stumm die Hand zum Abschied drückte. Bevor sie ihm em Wort sagen konnte, hatte er seinen Hut genommen und war aus dem Zimmer gestürzt. Entsetzung folgt)
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