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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.03.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000320027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900032002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900032002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Und leider gewinnt es den Anschein, als ob die Odstruction, mit der die radikale Linke diesen Erfolg erzielte, kein vereinzeltes Vorkommniß bleiben, sondern auch in Zukunft in Anwendung gebracht werden sollte, um die Durchberatbung solcher Gesetzentwürfe, die den linksstehenden Parteien un bequem sind, wenn nicht zu verhindern, so doch möglichst weit hinauszusckicben. Wenigstens hat der Abg. vr. Hermes in einer Protcstversammlung gegen das Fleischschaugesetz erklärt, die Linke wolle die bei der lex Heinze betriebene Obstruktion auch bei der dritten Lesung deS FleischschauzesetzcS rücksichtslos zur Geltung bringen. Wir wollen hier ganz von der theoretischen Erwägung absehen, daß die von der Linken auf diese Weise betriebene Vergewaltigung der Majorität durch die Minorität den Principien des Liberalismus und deS Constitutionalismus überhaupt geradezu ins Gesicht schlägt, wir wollen vielmehr nur darauf Hinweisen, daß ein derartiges Verfahren praktisch die schwersten Gefahren für den Constitutionalismus überhaupt mit sich dringt. Denn waS diesmal der Linken recht ist, kann ein anderes Mal der Rechten billig sein. Man nehme nur einmal an, daß einmal wieder Handelsver träge ähnlicher Art wie in den Jahren 1892 und 1893 zur Berathung stehen. Dann wäre eS ja für die Rechte ein Leichtes, in ähnlicher Weise Obstruktion zu treiben, wie cS jetzt der Linken beliebt; ja, diese Obstruktion könnte noch mit viel mehr Gründlichkeit und Erfolg betrieben werden, da die Handelsverträge eine Unzahl von Paragraphen und Einzelbeftimmuiigen enthalten. Ueberhaupt ist ja jedes Gesetz einer Minderheit unbequem, und eS könnte also stets von dieser Minderheit Obstruktion betrieben werden. Auch würde, wenn erst diese Methode, Gesetze zu Hintertreiben, beliebt würde, die Obstruktion nach und nach immer leichter werden. Sckon jetzt läßt die Frequenz deS Reichstags sehr zu wünschen übrig; je mehr aber die Abgeordneten zu der Neber- zeuzung kommen würden, daß Dank der Obstruktion die Gesetze doch nicht zu Stande kommen, desto mehr würde die Frequenz ber- absinken und desto leichter würde dann bei chronischer Beschluß unfähigkeit die Gesetzesmaschine zum Stillstände kommen. Mit anderen Worten: das Parlament würde sich selbst beim Volke auf daS Schwerste diScreditiren, weil selbstverständlich die durch daS Aushören gesetzgeberischer Thäligkeit notbwendig eintretende politische wie wirthschaftliche Schädigung die größte Verbitterung erregen würde. Und damit wäre der Zeitpunkt sür den so ost berufenen Staats streich gegeben. So lange das Parlament seine Schuldig keit tbut, d. h. so lange es arbeitet, mögen nun die Gesetzes vorschläge angenommen oder abgelehnt werden^ ist in einem Bundesstaate wie Deutschland ein Staatsstreich unmöglich. Ganz anders aber wird eS, wenn daS Parlament zur bloßen Redeballe herabsinkt. Dann kann es denjenigen Elementen, die cS auf einen Staatsstreich abschen — und gerade die Linke behauptet ja, daß eS an solchen Elementen in Deutsch land nicht fehle —, nicht schwer fallen, im Volke die Ueber- zcugung wachzurufen, daß eS weiter kein Unglück sei, die Machtbefugnisse eines Parlaments zu verkürzen, das doch lediglich Zank und Streit betreibe. So wütbet unser Ra dikalismus selbst gegen die staatsrechtlichen Grundlagen, die er am eifrigsten zu schützen behauptet. Wie gegen den Reichskanzler wegen seiner allzu selbst ständigen Haltung gegenüber den Mehrheitsbeschlüssen des Reichstags io Sachen deS Schlachtvieh- und Fleisch beschaugesetzes, so ist die Presse der Berliner Leitung des Bundes der Landwirlhe gegen den Sohn des Fürsten, den Abg. Prinz zu Hohenlohe-SchillingSsürst, wegen seiner Stellnngnahme zur lex Heinze ergrimmt. WaS die „Kreuzztg." nur als Gerücht verzeichnete — daß nämlich der Prinz gemaßregelt werden würde —, das erwartet die „Deutsche Tagesztg." mit Sicherheit. Sie schreibt: „Es steht wohl außer allem Zweifel!, daß nach Len Vorgängen bei der Canalvorlage der Herr Bezirkspräsident zur Disposition gestellt werden muß, vorausgesetzt, daß dies nicht schon ge« geschieht wegen gewisser genügend erörterter Vorgänge bei seiner Wahl. Ob Prinz Hohenlohe auch von der Hosliste werde ge- stricken werden, muß abgewartet werden. Wenn der Abgeordnete Richter in seiner Erwiderung auf die Rede des Prinzen Hohenlohe der Hoffnung Ausdruck gab, daß der Prinz mit seinen Anschauungen auf die Rechte deS Hauses, die ihm nahe steht, Einfluß haben werde, so täuscht er sich gründlich. Prinz Hohenlohe steht der Rechten des Hauses durchaus fern. Zum lebhaften Bedauern der Rechten sitzt er ihr nur nahe und hat diesen Sitz trotz wiederholter öffentlicher Aufforderung nicht aufgegeben. Es wird nachgerade nothivendig werden, daß man das Verlangen an den Prinzen, sich auf der Linken seinen Sitz zu suchen, etwas deut- licher ausspricht. Uebrigens war die ganze Episode Hohenlohe ein des gesammlen Possenspiels durchaus würdiger Act." Wenn man sich erinnert, mit welcher Entrüstung daö Bündlerblatt die Maßregelung der canalgegnerischen preußi schen Landrälhe als verfassungswidrig bekämpfte, so würde man nicht begreifen, wie daS Blatt jetzt ein solches ^verfassungs widriges" Vorgehen gegen den Prinzen fordern kann, wenn man nicht wüßte, daß die Herren Bundesführer und ihre Gesinnungsgenossen wider ihre Gegner alles für erlaubt halten, waS sie als himmelschreiendes Unrecht ansehen, wenn es gegen sie s-lbst zur Anwendung gebracht wird. Im klebrigen ist die Behauptung, die Stellungnahme preußischer Landrälhe gegen die Canalvorlage sei mit der des Prinzen gegen die Mehrheitsbeschlüsse des Reichstags in Sachen der lex Heinze zu vergleichen, eine gröbliche Entstellung der Thatsachen. Bei der Canalfraze handelte es sich um eine Vorlage der Regierung und noch dazu um eine solche, welche die Regierung als eine hochpolitische angesehen wissen wollte, während eS sich bei den Beschlüssen zur lex Heinze um eine sehr wesentliche Erweiterung einer Regierungsvorlage bandelt, gegen die in der Commission und im Plenum Regierungsvertreter Stellung genommen haben. Würde nun der Prinz Hohenlohe, weil er alS Abgeordneter etwas bestimmter und entschiedener, als jene Herren Negierungsvertreter, gegen die von der Vorlage abweichenden Mehrheitsbeschlüsse sich ausgesprochen hat, gemaß regelt, so würde damit die Diktatur der Reichstags mehrheit proclamirt, selbstverständlich nur einer solchen Mehrheit, welche den Bundessührern sich unterwirft. Daß das in der Tbat daS Ideal der Herren v. Wangenbein, und l)r. Hahn ist, hat sich freilich sckon oft gezeigt. Für die „Kreuzztg." ist sogar die Revolution im Anzüge, wenn im Lande Stimmen für eine Regierungsvorlage und gegen einen bündlerisch - konservativ - klerikalen Mehrheitsbeschluß laut werten und an den Kaiser sich heranwagen. Wenn solcher Anmaßung gegenüber der Radikalismus auf allerlei Thor- heiten verfällt, so ist es kein Wunder. Um so entschiedener aber sollten die Vertreter der verbündeten Regierungen der artigen Anmaßungen entgegentreten. Es kann ihr Ansehen nur mindern, wenn sie, ohne ernsten Einspruch zu wagen, mit den Regierungsvorlagen machen lassen, was einer klerikal- conservativ-bündlerischen Mehrheit beliebt, und nicht einmal Einspruch erheben, wenn ihnen angesonnen wird, gegen die Verlheidiger dieser Vorlagen mit Gewaltakten vorzugehen, welche diese selbe Mehrheit als verfassungswidrige Brutali täten zu bezeichnen beliebt. Ein neuer Gewaltstreick seitens der ungarischen Regierung droht den Siebenbürger Sachsen. Einer dem nächst einzuberufenden Enquete gedenkt der ungarische Justiz minister folgende Novelle zum Strafgesetzbuche vorzuleben: „Wer ohne Erlaubniß der ungarischen Negierung von einer ausländischen Gesellschaft oder Person materielle Unter stützung für Kirchen- und Schul- oder Nationalitäten zwecke verlangt oder annimmt, ist mit Haft bis zu einem Monat und einer Geldstrafe bis 200 fl. zu be strafen." Dieser Entwurf, der bereits durch seine Zusammen stellung von Kirchen- und Schulzwccken mit Nationalität seine wahre Absicht verräth, enthält erstens einen schweren, durch nichts gerechtfertigten Angriff auf die bisherige Leitung von Kirche und Schule in Siebenbürgen; sie, die in muster hafter, wahrhaft staatSerbaltender Weise ihre Pflicht gethan hat, wird hier offensichtlich staatsfeindlicher Umtriebe be schuldigt. Dieser Entwurf bedeutet zweitens ein Ausnahme gesetz schlimmster Art und liefert die Kirchen- und Schul leitung dem Gutdünken der jeweiligen Machthaber aus oder, noch bedenklicher, er zwingt sie, um „Erlaubniß" zu bitten, und wirst ihr damit ein Netz von Chikancn um den Hals. Dieser Entwurf enthält drittens eine flagrante Verletzung der ga- rantirten und in die Strafgesetze ausgenommenen sicben- bürgiscken Kirchenversassung, deren tz 152 Punkt 7 ausdrücklich „die Vermittelung von Unlerstützungöbcilrägen und milden Gaben sür Kirche und Schule aus dem Jnlande und Aus lande" und ebenso die „Vermittelung deS Verkehrs mit der evangelischen Kirche und kirchlichen Vereinen in dem Jnlande und im Auslande" dem LandeSconsistorium zuweist. Noch ist zu hoffen, daß dieser rechtswidrige Entwurf nicht Gesetz werde; Venn wir können es nicht glauben, daß der gegenwärtige ungarische Ministerpräsident ihn zu billigen vermöge. Ueber ein angeblich im Einvernehmen mit Deutschland und Frankreich abgefaßtes russisches „Communiquü" be treffs der Friedensvermittelung in Südafrika, das bereits dem Zaren vorgclegt worden sein und dessen Zustimmung gefunden haben soll, wird in einem Berliner Blatte berichtet. Dieses, wie behauptet wird, im russischen Ministerium deS Auswärtigen ausgearbeitete Communiqus soll in den nächsten Tagen von der russischen Regierung veröffentlicht werden und zugleich die Antwort auf daö vom Präsiventen Krüger an die Mächte gerichtete Ersuchen um Intervention darstellen. Von unterrichteter Seite erfährt die „Nat.-Ztg.", daß diese Angaben, so weit sie eine deutsche Mitwirkung an einer russisch französischen Mittbeilung an England betreffen, den tbatsäch- licken Verhältnissen in keiner Weise entsprechen. Die deutsche Regierung hat die Note des Präsidenten Krüger für sich allein beantwortet uno diese Antwort ist ihrem vollen Wortlaute nach veröffentlicht worden. Vereinbarungen mit Rußland darüber, in welchem Sinne der Südafrikanischen Republik zu antworten wäre, haben nicht stattgefunden. Im klebrigen mag ja Rußland vielleicht für sich eine besondere Art der Beantwortung inS Auge gefaßt haben. Ueber bezüg liche russische Absichten ist jedoch an unterrichteter deutscher Stelle nichts bekannt. Der Krieg in Südafrika. Die Boeren ziehen sich nach ihrer neuen Operationsbasis bei Kroonstadt zurück. Auch General Olivier bat Aliral North verlassen und sich nordwärts gewandt. Bon Alival Nortb bis Kroonstadt geht über Winburg anscheinend, der Karte nach, eine Straße und daß Olivier sich hier vorläufig unbehelligt zurückziehen konnte, bedeutet, daß Roberts' Arm vorläufig nicht viel weiter als Bloemfontein reicht. Allerdings hat der Marsch Olivier's eine kleine Beunruhigung hervorgerusen und es ist nach einer Depesche deS „Daily Chronicle" Ca- vallerie abgesandt worden, um Olivier „zu entwaffnen", aber um dies zu tbun, müssen die Engländer ihn erst haben. Hoffent lich entgeht er ihnen und kann an dem Kriegsrath in Kroon stadt theilnehmen. In Natal scheint man einen Vorstoß der Boeren durch portugiesisches Gebiet zu befürchten, denn von Lourentzv Marques sind in der Nacht vom 18. zum 19. d. M. eiligst eine portugiesische Jnfanterie- abtheilung nach der Transvaalgrenzc gesandt worden, um die Garnison dort zu verstärken. * London, 19. März. (Privattelegramm.) In Capstadt batte am 17. März nach einer Depesche des „B.T." eine Abordnung von Capholländern eine Audienz bei dem Gouverneur Miluer. Sie protestirte gegen die Verschickung der Gefangenen nach St. Helena. Die Abordnung erklärte die Deportation für eine Bestrafung Aller. Milncr erwiderte, nur ein Theil solle sortgesandt werden, weil es unmöglich sei, genügende Wachen zu stellen. Ein holländischer Minister würde die Gefangenen begleiten. — AnS dem Haag wird der „M. Z." mitgetbeilt, daß die Gesandtschaft deS OranjestaateS den Mächten eine Protestnote gegen die Proklamation des Generals Prektymane übersenden werde, worin den Oraujcboeren die Confiscation ihrer Güter angevroht wird, falls sie die Waffen nicht niederlegen. Die Protestnote erklärt die Proklamation sür einen Verstoß gegen daS Völkerrecht. Ueber die allgemeine Kriegslage »ns ihre englische Auffassung wird uns auS London vom 18. März geschrieben: Der frühlingSsrcudigste Optimismus scheint sich wieder aller Welt hier bemächtigt zu haben, und kein sorgenvoller Mahner stört die freudige Zuversicht, mit der plötzlich doch wie niedrig einer raschen und selbstverständlich siegreichen Beendigung des Krieges jetzt entgegensieht — ganz so, wie in den ersten Tagen nach Erlaß des „Ultimatums". Und nicht nur die große Masse und der ihr schmeichelnde Theil der Presse, sondern sonst nüchternste nnd kompetenteste Männer theilen diese Auffassung, die schon deshalb verdient, un parteiisch betrachtet und sachlich auf ihren Gebalt und ihre Unterlage geprüft zu werden. Der oberste Krieg-lord der britischen Landtrnppen selbst, Lord Wolseley, erwartet die Rückkehr „eines großen Theile« der britischen Streit kräfte ans Afrika vor Anfang Juli" und Lord Wolselen ist kein Schwätzer, der lediglich aus Popnlaritätshascherei oder, Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt), üiachtixck Es ging Wie ein Kampf zorniger Bitterkeit über die un schönen, charaktervollen Züge Fred Tietjens'. Wiederum wurde er de» inneren Sturmes Meister. „Hör' mir zu, mein Herz", erwiderte er ruhig und mild. „Daß Du in Detiner Unerfahrenheit Deine reinsten köstlichen Iugendgrfühl« an einen Unwürdigen verschleudertest, war ein Unglück, kein« Schuld — hast Du Dir Vorwürfe zu machen, so geht es >mir ebenso, und wir haben Beide gründlich dafür zu büßen — nicht er, 'der längst über solch' kindische Sentimen talitäten hinaus ist. — Ich war bersit, ein Wiedersehen zu ge statten, ich hielt die Möglichkeit, nick einem hochgebildeten, vor nehm denkenden Manne auf freundschaftlichem Fuße zu ver kehren, Nicht für absolut au-ge'chloffen. — Mer der stadtkundige .Held einer wüsten Verführungsgeschichte darf meiner Frau nicht nahen. Sie darf nicht im Schauspielhaus« gesehen werden, während gemiebhete Hände die Ehre deS Dichters gegen das Ge richt vrrtheidigen, das über Ehebrecher ergeht. Ob mit Recht oder Unrecht, das geht uns nichts an. Ohne Grund entstehen solche Gerüchte nicht. — Und jetzt genug. Du hast mir Treue und Gehorsam gelobt, Irmgard, muß ich Dich an Deinen Eid vor dem Altar erinnern? Nein, nicht Dein Pflichtgefühl, Dein Vertrauen zu mir muß hier den Ausschlag geben. Komm!" Er legte den Mantel um Hre Schultern. Sie stieß seine Hand zurück. „Es ist Alles vergebens, Fred. I« größer seine Schuld, um so schwerer mein« Verantwortung. Fch klebe Hans, ich kann ihm nicht wi« einen Fremden seinem Schicksal überlassen. Ich bleibe boi ihm. Vergieb mir — und geh'!" In da- Antlitz Fred Treten»' stieg dunkle Röthe. Ein drohender, herrischer Ausdruck erschien in seinen Zügen, in seiner Stimme klang schneidender Hohn. „Mein Kickd, Dem« Liebe kann da gar nicht- au-richten, Du wiest Deinen Han» seiner schönen Abultera nicht streitig machen, ihm nicht mit Dckln?r zärtlichen Sorge lästig fallen wollen — o pfui! — Schömst Du Dich Nicht, noch einen Gedanken an diesen Lotterbuben zu verschwenden? — Kein Wort werter! — Komm!" Irmgard that mechanisch zwei Schritte. Der Mantel glitt von ihren Schultern, und sie fiel schwankend zu ihres Mannes Füßen nieder. „Ich will bei ihm bleiben! Laß mich hier! Wus Erbarmen, Fred!" stöhnte sie. Er beugte sich nieder, faßte sie unter beide Achseln und zog ihren zitternden Körper empor. Und da sie widerstrebte, nahm er sie in seine Arme, hob sie mit starker Gewalt an seine Brust und trug sie zur Thür, di« er mit einem Fußstoß öffnete, durch den Corridor und die Trepp« hinab. In ihrer ersten Verblüfftheit ließ sie Alles geschehen, dann sträubte sie sich, zürnend, hysterisch lachend und weinend zu gleich. „Laß mich, Fred, laß mich los, was sollen die Leute 'denken!" „Daß mein Frauchen krank ist, oder Launen hat — und daß ich der Mann bin, sie zu tragen und festzuhalten — di« Treppen hinunter — und durch's Leben. Willst Du jetzt gehen?" Ihr Widerstand war gebrochen. Tietjens rief «inem Be diensteten zu, Mantel und Shawl seiner Frau zu holen, führte sie zum Wagen und hob sie hinein. Er verschloß die Fenster, legte den Arm um sie und zog sie an sich. Irmgard schluchzte leise, ihr ganzer Körper bebte. „Still, still", beschwichtigt« Fred, küßte ihre Stirn und nahm ihre kalten Hände in di« seinen, si« zu erwärmen. „Zu Hause kannst Du Dich austtxinen. Mein Kind, mein liebes Weib! Das wird überwunden weiden. Du bist mein, und ich gebe Dich nicht wieder frei, niemals." » Beim Nachhausegehen machte Gertrud sich Vorwürfe, Irm gard beunruhigt, den Frieden ihres GemüthS, ihrer Ehe gefährdet zu haben. Sich sekbst durfte sie opfern, das war ihr Recht, nicht aber einen Anderen. Sich opfern? — Ihr Mut, ihr Lsben hingeben, den Brand der Leidenschaften zu löschen, di« Seele de» gelebten Manne- zu erlösen —? In diesen Stunden wurde sein Schicksal entschieden. Sein« schöne, edle Dichtung, die ideale Bliith« sein«» Ich, zerfetzt, in den Koth getreten, — seine Zukunft vernichtet, fern Gemiich ver giftet, die Schwingen seiner Phantasie gelähmt Wie? Oder wohnte seiner Dichtung vielleicht di« Wunder kraft des reinen Demant» bei, Schmutz und Schädlichkeiten ab- gustoßen, und die Wirkung drs Giftes zu entkräf^n? In Halbwachen, schreckhaften Träumen bracht« Gertrud di« Nacht hin. Sie folgte Hans, der sich vor ihr herbewegte und den sie nicht zu erreichen vermochte, durch weite Dunkelheiten, über steile, zerrissene Klippen, auf schwanker Brücke ohne Ge länder über Abgründe, in deren Tiefe schwarze Wasser tosten, zu letzt sogar durch di« Lüfte hin. Plötzlich drehte er sich um, und sie starrte in ein fremdes, geisterhaftes Gesicht. Da schrak sie zurück und stürzte und that einen tiefen, tiefen Fall. Darüber erwachte sie. Es war noch dunkel, und «in paar Sternlein blinkten in ihr unvsrhülltes Fenster hinein. Und Ger trud lag wach und schaute zu den Sternen auf. Warum war sie zurückgrschreckt? Wenn si« Hans wahrhaft liebte, mußte sie ihn erkennen und ihm nm den Hals fallen, in welcher Gestalt immer er ihr nahte. Aber es fehlte ihr der wahre, begeisterte, selbstvernichtende Opfermuth. Sie besaß noch einen Schatz, der kostbarer war, als das Leben, dem kein begehrlicher Gedanke nahen durfte: ihr« jung fräuliche Reinheit. War dieser Preis zu hoch als Lösegrld für sein« Seele, als Kausg«ld für sein Sekbst? Ihr kam die schöne alte Erzählung in den Sinn, vom armen Heinrich, den ein unschuldig Kind au- dem Volke mit Hingabe ihre» jungen Lebens aus schwerem Siechkhum zu retten, willig ist. Gott läßt daS Opfer nicht zu. Gott hilft und heilt ohne Opferblut. Gott Ein Strahl des anbrechenden Morgens fiel in das Fenster, und bald war das Stübchen von Tageshelle überfluthet. Ger trud erhob sich und begann sich anzuklciden. Und ein Strahl von Kraft und Hoffnung fiel auch in ihre verdüsterte Seele. Sie trat ans Fenster und hüb ihre Augen gen Himmel. „Denn Dein ist das Reich, und die Kraft, und die Macht und die Herrlichkeit — verlaß ihn nicht — verlaß ihn nicht, ewiger Gott!" Dek dumpfe Druck, der ihr Stirn und Herz belastete, begann sich zu lösen. Sie fühlte sich gerüstet, auf sich zu nehmen, was der neue Tag bringen mochte. Als sie ihr Frühstück einnahm, wurden zwei Brief« hereinge bracht, die der Postbote abgegeben hatte. Der eine trug die neuerding» etwas zittrige Schrift deS -Oberstleutnant- Pilgrim, der andere die krausen Züge Tante Wally's. Gertrud traten die Thränen in die Augen, indem sie die Zeilen ihres Vaters la». So weich, so liebevoll — kein Wort der Klage, und doch das drückende Gefühl der Kraftlosigkeit, des Entrücktseins von Welt und Leben, de» Densinlen» in Kränklich keit und Altersschwäche. Ueber Frida machte der Vater wie gewöhnlich seine gutmüthi- ' gen Glossen. Diesmal hatten sie einen bedenklich«!: Hintergrund. Frida hatte «inen neuen Schüler, einen angehenden Kaufmann, mit dem sie englisch sprach. Der junge Mann wäre ja soweit ganz nett, schrieb der Oberstleutnant, blos daß Frida für nichts Anderes auf der Welt mähr Sinn und Gedanken hätte als für die englischen Stunden. Rn, und wenn sie den jungen Menschen heirathen könnte, so wollte er ja kein Wort dagegen sagen, aber der war doch noch ganz grün, jünger als Frida, war nichts und hatt« nichts, nicht einmal die häusliche und gesellschaftliche Bil dung eines Sohnes aus guter Familie. Nachdenklich idic Brauen schürzend, erbrach Gertrud den anderen Brief und begann ganz mechanisch zu lesen. Ja, was hatte denn das zu bedeuten? „Wer den Menschen Gutes khut", schrieb Tante Wally, „uno Dank dafür erwartet, ist ein Narr und verdient Prügel; aber schweren Undank zu ernten, Ivo man nichts als Liebe und Güte gesäet hat, das verbittert das Herz und verleidet das Leben. Du wirst schon wissen, was ich meine, und wenn Du in Dein falsches Herz siehst, ist Dir vielleicht so viel Schamgefühl geblieben, vor Dir selbst zu erröthen, daß ich's kurz fass«, für »ine scheinheilige Intrigantin -ist in meinem Haufe kein Platz, und die saubere Kunst, einen schwachen Mann zu brihören und ein« glückliche Ehe zu zerstören, magst Du anderwärts üben; laß Dich von Deinem Hans nur immer tiefer in den stinkenden Pfuhl des modernen Sündenbabels hineinziehrn. Philipp weiß, daß es zwischen mir unid ihn aus ist, wenn er feinen Fuß noch einmal über Deine Schwelle setzt. Dein« Farben und Bodlagen bringt Dir em Dienstmann, und wenn Dein Gewissen Dich schlägt, ich habe keine Mitte! o, denk', daß es Gottes Finger ist, und geh' in Dich. Deine Taut« Wally." „Ist Tante Wally übergsschnappt?" fragte sich Gertrud und versuchte zu lachen. E» stieg glühend heiß in ihr auf von Scham und Empörung, und das Lachen brach schrill und verzweifelt über ihre Lippen. Sie hatte noch «inen Freund besessen, einen treuen, ehrlichen, gütigen Freund, den mußte wahnwitzige Eifer sucht ihr rauben! Achtundzwanzig st «s Lapitel. Geheimrath Martiny feierte feinen sechzigsten Geburtstag. Morgens beim Ankleiden hatte er im Spiegel ssin frische», wohl erhaltenes altes Gesicht mit Wohlgefallen betrachtet: keine Spur mehr des kleinen rnemento roori vom letzten Frühjahr. Man hatte dir Freuden des Lebens mit weiser Mäßigkeit genossen, da her mochte Geschmack und Kraft dafür wohl noch ein weitere-
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