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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000328014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900032801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900032801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-03
- Tag1900-03-28
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Finanziell dürfte das Geschäft mit der Regierung in Söul nicht glänzend sein. Die Geldverhältnisse des Landes sind arg zerrüttet und könnten wohl nur mit dedeutenden Anstrengungen und unter einer ge ordneten, gewissenhaften Verwaltung gebessert werden. Wie sollte aber letztere so rasch in einem Staate eingerichtet werden, dessen Negierung seit Jahrhunderten eine regelrechte Mißwirt schaft betreibt? Auf Geldgewinn dürfte es indeß den Russen bei der erwähnten Anleihe kaum ankommen, so wenig, wie in Persien, das ebenfalls seine Millionen erhielt. Was man bezweckt, das ist die politische Beeinflussung Koreas, dir allmählich soweit aus gedehnt werden soll, daß das Land zur Stellung eines Vasallen staates Rußlands herabsinken muß. Und das wird sicherlich ge schehen, wenn die zarischen Staatsmänner mit dem gleichen Ge schick und dem bisherigen Erfolge in Söul opcriren. Durch die Dollarsanleihe haben die Russen mit einem Schlage zuriickerobert, was sie im Laufe der letzten Zeit verloren zu haben schienen. Von Japan aus war dem zarischen Vordringen in den Grenzen Koreas eine ernste und wirkungsvolle Neben buhlerschaft erstanden. Grundstückserwerbungen, Eisenbahncon- ceffionen und mannigfache wirtschaftliche Unternehmungen hatten, verbunden mit einer gut geleiteten Presse, dem asiatischen Jnselvolke immer mehr Boden in Korea verschafft. Das Ansehen der Russen ging zusehends zurück. Trotzdem schienen die Peters burger Staatsmänner über diese Fortschritte ihrer Gegner nicht beunruhigt zu sein. Nur die Presse wies häufig auf diesen sicht lichen Rückgang in Korea hin und forderte zu energischen Maß nahmen auf. Es erfolgte aber nichts. Ein neuer und uner warteter Eingriff der Japaner bot indeß den Russen willkommene Gelegenheit, ihre lange geübte Zurückhaltung aufzugeben. Als nämlich japanische „Geschäftsleute" an der Südküste Koreas, bei Masanpho,ein Landstück erwarben, auf welches auch dieRussen ihre Blicke gerichtet hatten, da erhoben diese in Söul energischen Pro test; sie erwirkten in der That die Aufhebung des Kaufvertrages und das streitige Gebiet ist nunmehr in die Hände des Zaren reiches übergegangen. Auf diese Weise hat dieses die Möglich keit gewonnen, einen dritten Kriegshafen in Ostasien zu bauen, der ein treffliches Bindeglied zwischen Port Arthur und Wladi wostok darstellen und der russischen Seemacht eine erhebliche Festigung im Stillen Ocean gewähren muß. Japan war ge- nöthigt, sich in dieser wichtigen Angelegenheit zu bescheiden. Dieser rasche Erfolg, der allein schon genügt, die bisherigen Errungenschaften der Japaner auf Korea in Frage zu stellen, veranlaßte das Zarenreich zu einem weiteren Versuche, um daS kleine Kaiserreich durch Empfang eines Darlehens in vollste Ab hängigkeit von sich zu bringen. Auch das ist gelungen, ohne daß England und Japan Widerspruch zu erheben im Stande waren. Wenn der Krieg in Südafrika die nicht nur in Korea, sondern allenthalben in Asien wahriMmbare Zurückhaltung der Briten erklärt, so ist es doch unverständlich, warum sich die Japaner die Möglichkeit entgehen ließen, ihrerseits das Geldbedürfniß in Söul zu decken und dadurch das Land in ihre Gewalt zu be kommen. Es heißt, man habe in Tokio das Geschäft für zu un sicher gehalten, um sich mit größeren Capitalien «daran zu be- theiligen. Diese Mittheilung klingt recht unwahrscheinlich und gestattet die Vermuthung, daß Japan die Gewährung des Dar- lehns beabsichtigt habe, an der Ausführung des Planes aber gehindert worden sei. Auch die Engländer wollten bekanntlich eine Anleihe für Persien übernehmen, diese Absicht aber wurde von Rußland durchkreuzt. Gleich darauf verbreitete die britische Presse, man habe in London das Geschäft abgelehnt. Aehnlich wird es sich auch jetzt verhalten; wenn das Anleiheunternehmen zwischen England und Korea nicht zu Stande kam, so hatte Ruß land ohne Zweifel die Hand im Spiele. Die gegenwärtige Sach lage eröffnet dem letzteren die günstigsten Aussichten und ebnet den Weg, der zur unbestreitbaren Vorherrschaft in Asien führt. Wie erklärt sich unter diesen Umständen die plötzliche An näherung zwischen dem Zarenreiche und Japan, die kürzlich die „Nowoje Wremja" proclamirte? Ist «S denkbar, daß der Mi kado sich freiwillig mit dem Staate verbündet, von dem ihm die größten Gefahren drchen und dessen Fortschritte einen Rückgang seiner eigenen Machtstellung bedingen? An ein« dauernde Freundschaft zwischen beiden Reichen ist natürlich nicht zu deckten. Aber eine vorübergehende Verständigung ist deshalb nicht aus geschlossen. Die augenblicklichen Interessen Japan» an Korea sind vorwiegend wirthschaftlicher Natur. Gerade aber auf diesem Gebiete bereitet ihm Großbritannien «ine fühlbare Concurrenz. Da England ferner durch den Feldzug in Transvaal gehindert wird, in die politischen Verwickelungen Asiens einzugreifen, so ist es natürlich, daß der Mikado einen Rückhalt am Zarenreiche sucht. Er bindet sich dadurch nicht für die Zukunft und wird der- muthlich die rauhe Seite gegen Rußland hervorkehren, sobald England frei in Südafrika geworden und seine politischen Inter essen, die vielfach mit denen Japan» zusammenfallen, abermal» mit Nachdruck vertreten kann. ES heißt, der Zar habe Großbritannien da» Versprechen ge geben, die Verwickelungen in Afrika nicht gegen die englischen Interessen auszunutzen. Ist etwa» Derartige» wirklich geschehen, so kann e« sich nur um die Zusicherung handeln, keinen Krieg zu beginnen. Dazu hat Rußland um so weniger Anlaß, al» die dauernden Erfolge seiner Diplomatie ihm auch für die Zu kunft die günstigsten Aussichten eröffnen. In der That hat die Umsicht de» Grafen Murawjew den Zaren und seine Regie rung nicht getäuscht. Die letzten Monat« hab«n Rußland Er rungenschaften in solcher Fülle «ingHracht, daß an der Newa volle Zufriedenheit herrschen muh. Ohne «inen Tropfen Blut zu vergiehen, ist da» Zarenreich in Persien der bestimmende Factor geworden, in Korea vollzieht sich der gleiche Proceß und der Emir von Afghanistan hat ebenfalls eine Schwenkung im russischen Sinne gemacht. Selbst am Bokporu» ist daS Ansehen Rußland» erheblich gestiegen und über kurz oder lang wird sein Verhältniß zum nördlichen Kleinasien ein ähnliches sein, wie zu Persien und Korea. Stärker konnte eine diplomatische Ausnutzung der Verlegenheiten Englands kaum vor sich gehen, als es vom Zaren reiche geschehen ist. Wenn England in Afrika wirklich das er strebte Ziel erreicht, so wird es in Asien jedenfalls Verluste zu verzeichnen haben, die seiner Machterweiterung in Afrika gleich- werthig sind. Wenn es den Briten thatsächlich gelingt, diesen Schadenjemals wieder gut zu machen, so kann das nur mit großem Zeitaufwand und mit bedeutenden Kosten geschehen. Die Interessen -er Finanzkönige als neuer und demoralisirender Factor in der Wcttpolitik. Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht der „Schw. Merk." einen ihm aus London zugegangenen Artiikcl, der aufs Neue den Beweis liefert, daß es auch in England noch Männer giebt, welche die heutige Politik ihrer Regierung auf das schärfste verurtheilen und die Ursachen, auf welche diese Politik zurück zuführen ist, klar erkennen. Leider aber erhellt aus dem Artikel auch, wie gering die Aussicht ist, daß jene Männer zu dem Ein fluß gelangen, den sie haben müßten, wenn sie eine Aenderung der Dinge sollten herbeiftihren können. Gerade deshalb aber ist die Darlegung des Verfassers, obwohl sie nicht gerade Neues bietet, von besonderem Interesse für Alle, die «den englischen Ein fluß auf die Weltpolitik kennen. Der Artikel lautet: Die wirthschaftliche Entwickelung der Neuzeit hat es mit sich gebracht, daß Leute mit überschüssigem Capital in vermehrtem Maße ihr Geld in Unternehmungen außerhalb der heimischen Staatsgrenzen anlegen. So lange diese speculative Geldan legung in fremden Staat«n geschieht, die politisch mächtig da stehen, kann keine große Gefahr für das eigene Staatswesen daraus erwachsen. Erstrecken sich aber diese Finanzoperationen auf kleine, schwache, im Verfall begriffene, oder auf neue, un entwickelte Staaten, so ist damit auch gleichzeitig der Boden internationaler Verwickelungen betreten. Der Umstand z. B., daß in Egypten und in der Türkei «in große Anzahl von Eng ländern, Deutschen und Franzosen ihr Geld in egyptischen und türkischen Actien angelegt haben, hat in jüngster Zeit wiederholt den Gairg der europäischen Politik beeinflußt. Diese Tendenz, sein Geld in einem anderen Lande, als dem eigenen, anzulegen, läuft allen bisherigen Traditionen des Nationalismus zuwider und erzeugt einen Antagonismus zwischen der politischen und der wirthschastlichen Organisation der neuzeitigen Welt. Beim ersten Auftreten dieser Erscheinung -hätten jedem Staate zwei Wege für die Behandlung derselben offen gestanden. Er hätte erklären können, daß Diejenigen, die «Geld in ausländischen Unter nehmungen anleaen, selbst die Verantwortung für die Folgen übernehmen müssen, wenn ihre Wirthschastlichen Interessen mit den politischen Interessen des heimatlichen Staates in Conflict gerathen; oder Ä»er er hätte sich völlig mit den wirthschastlichen Interessen verfestigen seiner Bürger, die sich auf finanzielle und industrielle Unternehmungen im Auslande «inlassen, identrfiviren können, so daß die Ausdehnung des wirthschastlichen Einfluß gebiets des Individuums Hand in Hand ging mit der Aus dehnung des politischen EinslutzgebietS deS Staat«». Kein Land hat systematisch entweder nach dem einen oder nach dem anderen Grundsätze gehandelt. Aber die meisten Mächte, und namentlich England, gravitirten in der Neuzeit mehr und mehr nach dem zweiten Grundsätze hin. Da trat ein neues Moment in die Er scheinung, da» der englischen Politik in Südafrika «inen mächti gen Anstoß nach der letzterwähnten Richtung hin geb. Dieses treibende Moment bestand in der staunenswerthen Concentration fast aller wirthschastlichen Interessen Südafrikas in den Händen weniger Männer. In 30 Jahren hat der Er trag der DiamantmineN von Kimberley einen jährlichen Werth von 4 000 000 Pfund Sterling erreicht, und in 13 Jahren ist der Goldgowinn in Witwatersrand zu einem JahreSwerthe von 20 000 000 Pfund Sterling anaewachfen — und dies Alles in einem Lande, -das -landwirtschaftlich und industriell nur schwach entwickelt ist und dessen ausgedehnte "Gebiete von nur Milli onen Weißen bewohnt-werden. Gold und Diamanten sind di« zwei großen Stapelartikel Südafrikas, di« das ganze Land unter die Controle einer kleinen Gruppe von Leuten gebracht haben. Die DiamastteniNdustrie ist tatsächlich das Monopol 'der de Beers Company (d. h. der Herren Rhade», Beit, Barnato und ömiger Anderen), während die Goldindustrie sich in den Händen einer kleinen Gruppe von Finanzleuten befindet, di« unter dem domi- nirenden Einfluß der Hauptmacher der de BeerS Company steht und deren internationaler Charakter durch die Namen Wernher, Beit, Eckstein, Rhodes, Rudd, Neumann, Rothschild, Akku, Goetz, Roulist, Jarrar, Barnato und Robinson genügend gekennzeichnet wird. Man kann also sagen, die Vormacht (parnnaount povor) in Südafrika ist nicht England, sondern ein kleiner Bund von internationalen Finanzmännern. Dies« geschickten Geschäfts leute hstben die Angelegenheiten Südafrikas strengstens vom ge schäftsmäßigen GesichtSpunct« behandelt. RhstdeS wird zwar in England als „imperialistischer" Staatsmann und „ReichS- vermehrer gepriesen, aber im Grunde wurd« er nur aus Geschäft zum „Imperialisten". Im Jahre 1884 nsthm er mit Heftigkeit zu Gunsten der südafrikanischen Republik gegen di« britischen Reichsbehörden Partei und sprach von dem „imperialen Factor" wie von einer Heuschreckenplage. Erst al» di« Finanzinteress«n der Gold- und Diamantenindusiri« in» Riösenhafte stiegen, als die ganze Leitung der ungeheuren Unternehmungen sich mehr und mehr in wenigen Händen concentrirte, und als die Boeren sich nicht bereitwillig aenug zeigten, ihre Gesetzgebung dem Wunsche der Min«nbesitz«r nach skrupelloser Ausbeutung der farbigen und weißen Arbeiter anzupassen, erst da kamen die internationalen Finanzkönig« vom geschäftlichen Gesichtspunkte au» zu dem Schluffe, daß sie al» wirthschaftliche Herrscher auch politische Herrscher de» Landes werden und zur Erreichung dieses Zwecke» „imperiale" britische Politik treiben müßten. Nachdem der Jamesonssch« Raubzug an der Unzulänglichkeit der verfügbaren Streitkräfte und an der Wachsamkeit der Boeren schmählich gescheitert war, machten sich di« Hauptverschwörer an ein Unternehmen, wie «» die Welt nie zuvor gesehen hat — nämlich an den Versuch, den britischen Imperialismus unmittel bar in den Dienst ihrer Finanzintereffen zu stellen und die britische Regierung und da» britische Volk zu activen Thril« nehmern an einem zweiten Gewaltstreich zu machen, um das ihrer Ausbeutung des Landes hinderliche Staatswesen der Boeren zu vernichten. Daß dieser Versuch der Heranziehung aller britischen Staatskräfte gelang, beweist, daß der neue Factor, d. h. die Interessen der Finanzkönige, zum maßgebenden und unum schränkten Herrscher in der Politik Großbritanniens geworden ist. Ob Südafrika, wie behauptet worden ist, das Grab der britischen Macht werden wird, kann natürlich nur die Zukunft lehren, aber dieses Eine steht schon in der Gegenwart fest, daß Südafrika das Grab der gesellschaftlichen und politischen Moral der herrschenden Classen Englands geworden ist. Die von Gewissensscrupeln unbtirrten südafrikanischen Finanz männer haben sich mit Hilfe ihrer fabelhaft schnell erworbenen ungeheuren Reichtümer in die oberen Gesellschaftsklassen ein gedrängt und haben durch völlige Demoralisirung derselben fast alle politische Macht an sich gerissen. Wer daran zweifelt, den verweisen wir auf das Nrtheil Arnold White's, der in feiner furchtlosen Kritik über englische Zustände erklärt: „Während der letzten zehn Jahre ist das speculative Finanz element an Stellen in den Vordergrund getreten, wo man es vormals verachtete. Um heute in den Zaüberkreis der vor nehmen Gesellschaft einzutreten, bedarf es weder der Bildung, noch des Einflusses, noch des Ansehens der Geburt. Man braucht nur Geld, und daun mehr Geld — und dazu «ine freche Ver achtung für die Gesetze, die die unsichtbare Grundlage der civilisirten Gesellschaft sind. Ein so ausgestatteter „nützlicher" Abenteurer kann sich den Zugang zu den höchsten Kreisen ebenso leicht erkaufen, wie er ein Füllen auf dem Pferdemarkte in Newmarket ankauft. Diese Capitalisteu begeben sich nicht in die oberen Gesellschaftsklassen u-m ihrer Gesundheit oder um des Wohles der Nation willen. Sie geben viel Geld aus. Was wie Freigebigkeit aussieht, ist thatsächlich eine einträgliche Capitalanlage. Da der neuzeitige Nabob häufig ein Ausländer unv nicht selten orientalischer Abkunft ist, so blickt er auf fein Adoptiv-Vaterland mit kaltblütigem Geschäftssinn. Der ge heime Einfluß, den diese Finanziers und die ihnen anhängend« Rotte von Sybariten und Circen auf die Regierung auSüben, ist ebestso schlimmer wie tiefgehend«! Art. Die Oeffentlichkeit merkt davon «nichts, als eben nur die Wirkungen. Die Gesetz gebung, die auswärtige Politik und die Besteuerung werden nicht im Parlament entschieden. Die wirkliche Entscheidung wird in den vornehmen Salons getroffen. Es werden Pläne ent worfen, für deren Durchführung die Volksbegeisterung sür imperiale Weltpolitik sehr geschickt zum Vortheil der Finanziers und ihrer Leibdiener manipulirt und aukgenützt wird. Cha rakterlose Weiber, Männer ohne Selbstachtung, und eine Re gierung, die zu unfähig und zu schwach ist, um «inzufehen, -daß Englastvs Größe ihr unter den Händen entschlüpft — das sind die Hilfsgenoffen dieser schmachvollen Sippe." Hier ist ein Spiegel, wie er sich demüthigender keinem Volke vorhalten läßt. Und wir können nur mit dem Wunsche schließen, daß der neue politische Factor der Interessen skrupelloser und vaterlandsloser Finanzkönige aus englischen Boden beschränkt bleiben möge und daß das deutsche Volk sich davor wahre, «inen solchen Krebs schaden in feine eigene Weltpolitik einschleichen zu lassen. Der Krieg in Südafrika. Heute überrascht uns eine Depesche, die zwar nichts Ent scheidendes mittheilt, die aber die Lage in Bloemfontein mit anderen Augen ansehen läßt, als wir nach der anscheinenden Untbätigkeit der Boeren seit einiger Zeit gewöhnt waren. Das Telegramm lautet: L. c. London, 27. März. (Privattelegramin.) Au» Bloemfontein wird gemeldet, daß di« telegra- pdtscheverdilldung mtt Kimberley wie mttEprtng- sontetn von fliegenden Voerencorps abgeschnttte» ist. General Krench mntzte vor der Uebermacht des Kommando» Oll vter'S von Thadanchn aus Bloemfontein zurüSwetchcn. Ein Abschneiden Ser Boeren war wegen vom Oranjeflutz herauskommender Boerrncommando» aussichtslos und weil angesichts allerseits erscheinender Boerencorps die Lonren- trirnng des Gesammtheeres dei Bloemfontein nottzwendig ist. Edenfo ilt die Sicherung der Verbindung mit der be drohten Bahnlinie Kimberleh-Vranjeriver-Stattou vor Allem uuerlählich. Ohne Weiteres geht auS der Depesche hervor, daß Roberts die weitere Umgegend von Bloemfontein durchaus noch nicht gesäubert hat und daß eine Art Guerillakrieg organisirt worden ist, der vielleicht größere Unternehmungen voraus setzen läßt. Thatsächlich scheinen die Engländer recht sorglos zu sein, die Boeren desto aufmerksamer. Ein kleines Vorkommnis unterstützt unsere Meinung. Eine kleine, aber illustre Gruppe von Gardeofficieren ritt, etwas sorglos, gestern aus dem Gardelager bei Glen- station, 16 km nördlich von Bloemfontein, südlich der Modder, und traf etwa 10 km vor demselben auf 4 berittene Johannesburger Zarp» (Schutzleute). Die Garde- officiere, welche sämmtlich bereits in früheren Treffen ver wundet wurden, hielten es ihrer Traditionen und ihrem Tem perament gemäß für ein Leichtes, die 4 Polizisten gefangen zu nehmen, jagten im Galopp auf dieselben zu, ihnen zurufrnd, sie möchten sich ergeben. Die Zarp» sprangen au« dem Sattel, knieten nieder, legten die Gewehre an und al« di» englischen Gardeofficiere auf etwa 200 m herangrkommen, gaben sie Feuer: Jeder Schuß saß. Oberst Crabbe von den Gardegrenadieren hatte den rechten Vorderarm voll ständig zerschmettert und außerdem eine Wunde im rechten Bein, Oberstleutnant Codrington (Coldstream-Guard«) den rechten Oberschenkel verwundet, Hauptmann Trotter« den rechten Vorderarm zerschossen und Leutnant Lygnon von den Gardegrrnadieren blieb sofort todt. Oberst Crabbe winkte mit der Linken sein weißeö Taschentuch herau«ziebend, den Boeren zu, welche sofort heran kamen und sich in menschenfreundlichster Weise der verwundeten Officiere annahmen und dieselben sowie den gleichfalls verwundeten Burschen Crabbe'« nach der nabe gelegenen Farm von BischopSglen brachten, wo sie sorgfältig verbunden und gepflegt wurden. Dann sandten die Zarps einen Parlamentär in« britische Lager mit der Bitte, man möge die verwundeten Officiere holen. Leutnant Lygon, welcher einen Schuß durch da« Herz erhalten, ist der Bruder und Erbe deS bekannten Earl Beauchamp. Er wurde bereit« in der Schlacht an der Modder verwundet, sein Bruder befindet sich heute noch im Hospital, wo er an einer bei Belmont erhaltenen schweren Schußwunde daroiederliegt. Oberst Crabbe war gleichfalls bei Belmont verwundet, während Oberst Codrington verwundet fiel, al« er die Cvlv- stream-GuardS bei Magersfontein zum Sturm führte. Die erste Prüfung deS Zustandes der Staat-sinanzen deS Oranjefreistaates und der sie verwaltenden Maschinerie durch die Engländer hat zur größten Ueberraschung die musterhafteste Ordnung erwiesen. Sämmtliche Bücher be finden sich vollständig ü zour, die Bankdepositen sind intact, die Buchungen über den Farmern gemachte StaalSvorschüsse, und überhaupt Alles, was sich auf die Finanzen bezieht, in bester Ordnung. DaS in Gebrauch befindliche System scheitlt den Bedürfnissen des Lande», sowohl was die Finanzen, wir die Rechtsprechung und Pflege betrifft, in persecter Weise an gepaßt zu sein. Eine hochgestellte Persönlichkeit drückte ihre Verwunderung darüber aus, solche Beweise eine« kleinen Musterstaates zu finden. In Capstadt ist eine HochverrathSklage zusammengebrochen. Herr Mich au, einer der bekanntesten Anwälte d«S Cap- landeS und Stadtrath von Kimberley wurde heute vom Ober gericht bedingungslos und enbgiltig freigesprochen, nachdem er von den Militärbehörden drei Monate lang unter der Anklage des Hochverrates in Gefangenschaft gehalten worden. ES lag absolut kein Beweis gegen ihn vor. Von General Joubert verlautet, daß er auS Kronstadt wieder in Pretoria eingetroffen ist, er hofft in Kürze nach Natal zurückzukehren. Rudyard Kipling ist in Bloemfontein und arbeitet dort an einer vom KriegScorrespondenten herauSgegebenen Zeitung. Ein Brief Sarah Wilsons aus Masektng. (Per Läufer via Krokodilpool 19. März, via Lo«ren<;0 Marques 24. März.) Mafeking, den 14. März 1900. Die Boeren waren in der letzten Zeit außerordentlich thätig. Gestern wurden wir schwer beschossen und verloren acht Mann. Unser bester Schütze Korporal Jronside, batte Tags vorder seine Hüfte zerschmettert und Soldat Webb« von der Cappolizei wurde der Kops vollständig fortgerissen in den Schützengräben der Ziegelstein-Felder. Unsere Patrouillen waren auch sehr thätiz, um dem Vorgehen der Boeren wahrend der letzten Tage entgegen zu treten. Sie nahmen einen der Schützengräben deS Feinde« und erschossen sünf Boeren in einer Grube(ü) Eine andere Patrouille erbeutete glücklich 26 Stück prächtig«« Vieh, aber nicht ohne schweren Kampf, in welchem wir zwei Tobte und drei Ver wundete, der Feind sieben Tobte verlor. Nachrichten von dem Entsätze Ladysmith'« erhielten wir gestern, aber so hohe Befriedigung da- uns auch gewährte, so fühlte doch der bürgerliche Theil der Besatzuna um so größere Ent täuschung, daß unsere eigene Aussicht auf Entsatz immer noch nicht gestiegen. Seit sechs Monaten sind diese Leute Tag und Nacht auf Posten in den Schützengräben und haben schwer unter dem nassen Wetter gelitten. E« ist also kaum überraschend, daß die Leute erschöpft sind. Die Stadl bleibt dicht eingeschlossen und die Boeren sollen sehr zahlreich und stark verschanzt zwischen un« und Oberst Plumer'« kleiner Colonne stehen, über dessen Vormarsch wir natürlich unter richtet sind. Die Frage der Ernährung der Eingeborenen mußte auch sorgfältig berücksichtigt werden. AuS Pferdefleisch und Schrot gekochte Suppe wird den Wohlhabenderen ver kauft und den Aermeren umsonst geliefert, aber einigt sterben doch Hunger», infolge ihres Vorurtheil« gegen Pferdefleisch. Wir hoffen indeß, daß auch das allmählich überwunden wird. Sarah Wilson. Deutsches Reich. /l. Berlin, 27. März. (Der officiöse Mahnruf an die Industriellen und die Socialdemokratie.) Die Commentare, mit welchen die socialdemokratische Presse den bekannten Mahnruf der „Nordd. Allaem. Ztg." an die deutschen Industriellen (s. v. BolkSwirthschaftl. Dheil der Nr. 151 d. „Leivr. Tagebl.") begleitet, lassen klar erkennen, wessen Geschäfte die Industriellen Deutschlands besorgen würden, wenn sie jenen Mahnruf in den Wind schlügen. Beispielswelse schreibt die „Dächs. Arbeiterztg.": „Der Liebe Müh' wird und muß vergeblich sein . . . Die Krise, die sich schon ankündigt, zu verhindern, dazu ist der CapitaliSmuS völlig unfähig: er gebt so sicher wieder den Berg hinab, wie er hinaufaestiegen ist, und er kann die Richtung dieser Bewegung nicht im Mindesten be einflussen." — So selbstbewußt im Vorstehenden der socialistische Kritiker sich giebt, so zwrisello« dürfte e» sein, daß auch innerhalb der Socialdemokratie Einsichtige genug vorhanden sind, die nicht mehr auf dem orthodop-socialistischrn Stand- vunct in Bezug auf die Krisentheorie stehen, auf dem di« focialdemokratischen Zeitungen sich nach wie vor befinden. Die Darlegungen, die in dieser Beziehung Ed. Bernstein in seiner vielerörterten Schrift „Die Voraussetzungen de« SocialiSmu« und die Aufgaben der Socialdemokratie" gemacht hat, konnten ihren Eindruck nicht verfehle«, und da« um so weniger, al« di« thatsächlich»« Erfahrungen der letzten Zeit die alte socialistische Theorie keineswegs erhärteten. An die einschlägigen Ausführungen Bernstein'« darf daher besonder« unter dem Gesichtspunkte erinnert werden, daß sie zeigen, wie sehr ein planmäßige« Hinarbriten auf die Vermeidung von Wirtschaftskrisen durch die natürlich« Entwickelung der Wirtschaft-Verhältnisse erleichtert wird. Die wesent lichsten Stellen in Bernstein'« Ausführungen sind die nach stehenden : „Engel» wirft di« Frage auf, ob nicht der IndastriecyNu«, der in der Kindheit de« Welthandel» (1815—1847) annühernd füaf-
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