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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189711194
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-18971119
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-18971119
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-19
- Monat1897-11
- Jahr1897
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 19.11.1897
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186 Es war ein Paradies auf Erden und Alles noch vor wenigen Stunde» ihr Eigenthum! Konnte sie es aufgeben? Nein, nein und tausendmal nein. Die Versuchung tritt ost so plötzlich in ungeahnter Weise an unS heran, und immer dann, wenn wir am schwächsten sind, ihr zu widerstehen. In Leonies Herzen tauchte sie auf, als sie an jenem Morgen auf die schöne Landschaft zu ihren Füßen schaute, eine schreckliche Versuchung, die sie zittern ließ und ihr das Blut ins Gesicht trieb. „Und doch," rief sie auS, „es muß sein! Lieber Gott, hilf mir, laß mich Alles verlieren, nur meine Ehre nicht." Aber die Versuchung war groß. Mochte sie dieselbe auch erst zurückwrisen, immer deutlicher schienen die Worte an ihr Ohr zu klingen: „Warum schweigst Du nicht? Keiner hat eine Ahnung von dem Testament. Vernichte es doch." Wieder und wieder glaubte sie von allen Seiten zu hören: „Vernichte das Testament!" und Leonie wies die Ver suchung nicht mehr so bestimmt zurück, sondern ließ sie auf sich wirken. Würde eS wirklich ein so sehr großes Unrecht sein, wenn sie daS behielte, was sie so lange als ihr Eigen thum angesehen hatte? Sie war die nächste Verwandte und hatte daher ein Recht aus Titel und Besitz. Mußte sie entsagen, weil der alte Graf einst Paul Bar- lowS Mutter geliebt hotte? Die anders lautende Verfügung im Testament war ein Unrecht, aber trotzdem war Graf Charnleigh geistig ganz klar gewesen und die Ehre gebot ihr, seinen Willen anzuerkennen. Mochte sie alle Gründe zu Hilfe rufen, eines konnte sie sich nicht verhehlen: die nackte Thatsache war die, daß Graf Charnleigh sein Vermögen nicht ihr, sondern einem Andern hinterlassen hatte. Eignete sie es sich doch an, so war das ebenso gut Diebstahl, als wenn sie einem Fremden seine Börse fortnahm. Während so in ihrem Innern Recht und Unrecht um die Oberherrschaft stritten, fielen ihre Blicke auf oen Bries, den Paul Barlow ihr gegeben hatte und der ihr ganz aus dem Sinn gekommen war. Mechanisch erbrach sie ihn und las: „Nur in wenigen Worten, Leonie, lassen Sie mich Ihnen aussprechen, was ich schon lange aus dem Herzen habe und nicht länger zurück drängen kann. Ein anderer könnte mir auch zuvorkommen und mir mein Kleinod rauben. Ihnen, Leonie, gehört mein Herz und meine treue Liebe. Erwidern Sie dieselbe, werden Sie mein Weib! Ihre Liebe zu erringen, Sie mein eigen zu nennen, wird mein höchstes Lebensglück sein. Lassen Sie mich nicht zu lange aus eine Antwort warten. Stets der Ihrige Paul Barlow." Sie ließ das Blatt in den Schooß sinken. War das ein Wink des Himmels? Sollte hier die Lösung vor ihr liegen? „Heirathe Paul," sprach die Stimme der Versuchung, „dann wird der Wille des verstorbenen Grafen erfüllt und s Du bleibst Lady Charnleigh. Es ist ja einerlei, auf welche ' Weise der Besitz in seine Hände kommt. Heirathe ihn, dann § brauchst Du das Testament nie zu erwähnen, er wird doch Herr in Lighton Hall und Du behältst Deine Unabhängigkeit." Eine furchtbare Versuchung! Leonie kämpfte einige Minuten dagegen und flüsterte: „Gott im Himmel, hilf mir! Laß mich wahr uud ehrenhaft bleiben, laß mich nicht in diesem Kampfe erliegen!" Aber wieder sprach die innere Stimme: „Heirathe Paul ! Barlow und Alles wird sein Eigenthum sein. Es ist genau . dasselbe, als wenn Du ihm das Testament giebst. Warum ! soll die Welt die Sache erfahren, warum willst Du Dich ihrem Urthril, ihrem Mitleid auSsetzen? Du weißt jetzt, daß es sein höchstes Glück ist, Dich zu heirathen, Du thust ihm kein Unrecht, wenn Du ihm diesen Wunsch erfüllst. Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Ich muß es thun," rief sie leidenschaftlich. „Ich kann nicht all das aufgeben, woran mein Herz mit jeder Faser hängt. Reichthum, Ueberfluß, meine ganze Stellung, Alles soll ich mit einem Schlag verlieren! Nein, nein es ist un möglich." Und dann dachte sie an Sir Gordon, dem ihre ganze Liebe gehörte. Er würde ihr treu bleiben, auch wenn sie als Bettlerin vor ihm stände. Aber er hatte Ihr gesagt, daß er nicht reich sei, und wie hatte sie sich daraus gefreut, ihren Ueberfluß mit ihm zu genießen. Jetzt würde sie seine Sorgen vermehren, und das durfte nicht sein. Nein, sie wollte Paul ihr Jawort geben und mit demselben auch das, was ihm durch das Testament bestimmt war. So stritten Recht und Unrecht in ihrem Herzen. Die bessere Natur schien noch einmal zu siegen, und Leonie be schloß, Paul das Dokument zu geben. Sie wollte die Erb schaft aufgeben und Sir Gordon heirathen, nur ihrer Liebe leben und dem herrlichen, glänzenden Leben entsagen; sie wollte ihr Gewissen rein halten. Und dann fielen ihre Blicke auf die Diamanten, die sie heute getragen, und in dem Augenblick zog ihr ganzes Leben und Alles, was sie aufgab, an ihrer Seele vorüber. Mit voller Kraft trat die Versuchung noch einmal an sie heran, und jetzt war der Widerstand gebrochen, Leonie erlag ihr. Sie wollte das Testament nicht vernichten, diese Kon zession machte sie ihrem Gewissen, aber es so verbergen, daß es Paul nie in die Hände fallen konnte und durch ihre Ver bindung mit ihm, ihm volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Als Leonie sich zu diesem Entschluß durchgekämpft hatte, athmete sie tief auf. Sie hatte ihrer Eitelkeit, ihrer Genuß sucht alle besieren Neigungen ihrer Natur zum Opfer gebracht, und sie war sich des Preises, den sie zahlte, voll bewußt. Das Glück Ihres Herzens war vernichtet, denn sie liebte Walter Gordon, aber ihre Liebe hatte die Probe nicht bestan den. Sie war nicht stark genug, um Entbehrungen zu er tragen. Leonie war erschöpft von dem, was sie in den letzten Stunden durchgemacht hatte, sie legte sich auf das Bett und verfiel in einen tiefen traumlosen Schlaf, der ihr wenigstens vorübergehend Vergessenheit brachte. Aber als die Sonne hell ins Zimmer schien und sie weckte, war ihr sofort Alles wieder klar: sie mußte Ihren Geliebten aufgeben und die langen Jahre ohne seine Liebe leben. Und trotzdem der Schmerz hierüber fast unerträglich war, konnte er an ihrem Entschluß nichts mehr ändern. 13. Leonie machte am Morgen nach dem Ball sorgfältig Toilette. Ihr Spiegel zeigt ihr, wie verändert sie aussah und alle ihre Bemühungen, das zu verbergen, waren vergeb lich. Ihr Gesichtsausdruck war ein anderer geworden und es lag etwas darin, was sich gewiß nie wieder verwischen konnte. Lady Fanshawe sagte ihr, sobald sie das Frühstückszimmer betrat, daß das Fest ihr wohl nicht gut bekommen sei, und Nelly Day sah sie sie so erstaunt an, daß Leonie sie nach dem Grunde fragte. „Du siehst wie eine geknickte Blume aus, was fehlt Dir?" war die Antwort. „Was meinst Du damit?" ries Leonie heftig. „Ich ver stehe nicht, was Du andeuten willst, drücke Dich doch noch deutlicher aus." — 187 — Miß Day erschrak. „Liebste Leonie," fugte sie, „ich meinte nichts, als daß Du müde auSsiehst und so blaß bist." Leonie ärgerte sich über sich selbst. „Wie kann ich nur so thöricht und aufgeregt sein," dachte sie, „und eine harmlose Aeußerung gleich als Anklage auffasien." Gleich nach dem Frühstück schrieb sie an Paul. Sie wollte alle Brücken hinter sich abbrechen, denn die Gewißheit, sich von Walter Gordon trennen zu müssen, wurde ihr immer schwerer. „Ich habe heute nicht viel Zeit," lautete der Brief, „und kann Ihnen nur kurz antworten. Wenn Sie wirklich glauben, daß es in meiner Macht steht, Sie glücklich zu machen, dann gebe ich Ihnen mein Jawort. Aber um zwei Dinge bitte ich. Kommen Sie heute aber noch nicht hinüber, ich bin noch zu abgespannt, um Jemand zu empfangen. Und dann lassen Sie unsere Verlobung vorläufig noch geheim bleiben. Ich habe meine bestimmten Gründe für diesen Wunsch." Klar und deutlich unterzeichnete sie „Leonie Charnleigh," und ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie dachte, was Paul wohl sagen würde, wenn er ahnte, daß der Name ihr gar nicht zustände, sondern nur er berechtigt sei, ihn zu führen. Als der Brief fortgeschickt war, athmete sie erleichtert auf. Jetzt war sie Pauls Braut, und was ihr gehörte, würde auch bald das Seine sein. Aber schon am selben Tage sah sie ein, wie hoch der Preis war, um den sie ihren Reichthum erkauft hatte. Die Stunden vergingen so endlos langsam, und alle die Pracht um sie herum machte ihr kein Vergnügen mehr, denn Walter Gordon würde sie nie mit ihr theilen. Und wenn ein einziger Tag, an dem sie ihn nicht sah, schon kein Ende zu nehmen schien, wie sollte sie das Leben ohne ihn ertragen? Wenn er käme und sie ihm sagen mußte, daß sie nicht ihn, sondern seinen Freund heirathen wollte, dann würde er im Zorn von ihr gehen und sie würden sich nie wieder sehen. „Wie mag es kommen, daß Sir Gordon sich heute gar nicht sehen läßt?" bemerkte Nelly Day, als die drei Damen nach dem Mittagessen beisammen saßen. „Er wird wohl annehmen, daß wir heute zu müde sind, uni Gäste zu empfangen," meinte Lady Fanshawe. Leonie sagte kein Wort. DaS Herz war ihr zu schwer, und der Trost den sie sich einreden wollte, daß sie in einigen Tagen ihr gewohntes Gleichgewicht wieder finden würde, wollte ihr nicht recht einleuchten. „Leonie," begann Miß Day wieder, „was fehlt Dir nur? Du bist wie ausgetauscht seit gestern Abend." „Wie kann man sich in vierundzwanzig Stunden ganz verändern, Nelly! Sprich doch nicht solchen Unsinn." „Laß uns noch ein bißchen durch den Park gehen, ich habe heute gesehen, daß die hochstämmigen Rosen, die Sir Gordon Dir im Frühjahr schickte, ansangen zu blühen." Leonie erröthete bei Nennung des NamenS. „Ich bin zu müde, Nelly sie werden gewiß auch ohne mich erblühen." „Soll ich Dir etwas Vorspielen?" „O nein, ich könnte heute keine Musik hören." „Die neuen Bücher sind aus London gekommen, wollen wir sie durchsehen?" „Thue Du es, wenn Du Lust hast, mir macht es kein Vergnügen." Nelly Day trat an Leonies Stuhl und legte ihren Ann zärtlich um die Schulter der Freundin. „Weder Bücher noch Blumen sind heute nach Deinem Sinn und nicht einmal Musik magst Du hören? Ich hielt Dich immer für das fröh lichste, glücklichste Geschöpf, bist Du es nicht mehr?" „Vielleicht geht es mir wie der Prinzessin im Mär chen," versetzte Leonie, „und das Glück hat mich schon über sättigt." Dann wandte sie sich ab und ergriff ein Buch um dem Gespräch ein Ende zu machen, aber ne las keine Silbe, und ihre Gedanken waren weit fort. Wenn sie sich noch jetzt Lady Fanshawe anvertraute und auch in bescheidenen Ver hältnissen mit Walter Gordon glücklich würde? Doch nein, Paul Barlow hatte ihr Wort in Händen, sie war gebunden und mußte den selbsterwählten Weg weitergchen. „Leonie," sagte Lady Fanshawe, die dos junge Mädchen besorgt beobachtet hatte, „ich muß daraus best ''en, daß Sie sich zu Bette legen, ich fürchte wirklich, Laß Sie trank werden." Leonie nahm dankbar den Borwand an, in ihren ganzen Leben war ihr kein Tag so unerträglich lang vorgekommen, wie dieser. Als sie zu ihrem Zimmer ging, fragte sie sich, ob es ihr wohl möglich sein würde, viele solche Tage zu durchleben, und ob der Preis, den sie für Lighton Hall ge zahlt hatte, nicht doch ein zu hoher sei. „Ich möchte wohl wissen," bemerkte Ladu Fanshawe, als sie mit Miß Day allein war, „ob Leonie einen Streit mit Sir Gordon gehabt hat. So lange ich sie kenne. Ist sie noch nicht so gedrückt und apathisch gewesen wie hcnte." „Das möchte ich bezweifeln," erwiderte Nellu, „ich sah Sir Gordon gestern beim Abschied, und er schien mir verliebter wie je." Es war für Leonie etwas ganz Neues, zu erwachen, ohne den Tag mit Freuden zu begrüßen und etwas Gutes, Glückliches von ihm zu erwarten. Alles war verändert. Sie, die sonst keinen Werth auf die Meinung der Welt gelegt hatte, der es ganz gleichgültig gewesen war, was die Menschen über sie redeten, sie zitterte, wenn eine Thür knarrte, und wenn sie zwei Menschen zusammen sprechen sah, glaubte sie, es sei entdeckt, daß sie das Testament gefunden und wieder versteckt hatte. Aber sie wollte dem trotzen. Al» sie die Treppe hinunter- kam, trillerte sie ein lustiges Lied vor sich hin, und beim Früh stück scherzte sie über ihre Ermüdung von gestern und war so heiter, daß sie Lady Fanshawe täuschte. Nur Miß Tay sah tiefer und war überzeugt, daß Leonie nur irgend etwas Schweres in sich verarbeitete. Schon am Vormittag erschien Paul Barlow, rmd trotz aller ihrer Vorsätze wurde Leonie leichenblaß, als der Diener ihu meldete. Sie hatte auch nicht Zeit, sich zu fassen, denn er folgte der Meldung auf dem Fuße. Sie standen sich gegenüber in dem kleinen sonnenducch- flutheten Zimmer, in dem sie gewohnt war, ihre Morgen stunden in ruhiger Beschäftigung zu verbringen. Paul ging mit strahlendem Blick auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen. „Wie glücklich hast Du mich gemacht, Leonie," sagte er. „Ich bin stolz darauf, Deine Liebe gewonnen zu haben, ich wagte kaum zu hoffen, und doch mußte ich Gewißheit haben." Er stand vor ihr, groß und stattlich, in seinen Blicken lag soviel heiße Liebe, daß jedes Mädchen stolz sein konnte, aber Leonie empfand nichts davon, mit niedergeschlagenen Augen stand sic vor ihm. Er wußte, daß sie eine zurück haltende Natur war, und hatte damit gerechnet, aber etwas anders hatte er sich ihre Begegnung doch gedacht. „Leonie," begann er wieder, „warum bist Du so still? Wenn ich Dich ansehe, könnte ich auf den Gedanken kommrn. Du reichtest mir gezwungen Deine Hand, und es ist doch Dein eigner freier Wille." Sie sah ihn an. „Ja, Paul, Niemand hat mich ge zwungen." 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