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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000226024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900022602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900022602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Man irrt schwerlich in der Annahme, daß die Klagen, die am Sonnabend die Leiter des Bundes der Land wirt h e im Reichstage über zu geringe staatliche Fürsorge für die deutsche landwirthschaftliche Abtheilung auf derPariserWelt ausstellung anstimmten, lediglich den, Zweck hatten, die deutschen Landwirthe noch mehr gegen die Negierung und ihre Flottenprojecte zu verärgern, denn auö den Mittheilungen des ReichScvmmissarSRichter ging überzeugend hervor, daß diese Klagen jeder Berechtigung entbehren. Es ist also auch selbst verständlich, daß für die betreffende Abtheilung nicht noch lwbere Ausgaben in Aussicht genommen werden. Von der Festigkeit der Regierung in diesem Falle sticht eS aber seltsam ab, daß am Freitag im Reichstage dei^ Polen und ihren ultramontanen Protektoren eine auffallende Concession gemacht wurde. Am 9. Februar d. I. hatte, wie erinnerlich sein wird, der Kriegsminister von Goßler in der Budget commission des Reichstags wiederholt erklärt, daß auf dem Wege über den Beichtstuhl polnische Agitation im Heere getrieben werde, daß solche Agitation von der Heeres verwaltung nicht zu dulden sei, daß die Sprache im Heere einheitlich sein «nd deshalb die Verfügung, welche die Ablegung der Beichte in deutscher Sprache anordnet, in Kraft bleiben müsse. Von diesem Standpunkte ist das preußische Kriezsministerium laut den Erklärungen, die seine Vertreter am Freitag im Plenum des Reichstages abgegeben haben, zurückgewichen. „Im Sinne deS Abgeordneten Gröber", so sagte der Kriegsminister, solle jene Angelegenheit erledigt werden. Der Abg. Gröber aber ist der Wortführer des CentrumS und der Polen, die mit vereinten Kräften die Budgetcommission zur Annahme einer Resolution vermocht hatten, welche die Negierung aufsordert, dafür Sorge zu tragen, daß den Soldaten keinerlei Vorschrift darüber gemacht werde, iu welcher Sprache sie beichten sollen. Mit außerordentlichem Eifer batten sich sämmtliche CentrumS- mitglieder der Budgetcommission für die vorstehende Resolution ins Zeug gelegt; sie wußten, warum. Je schwieriger es dem Ceutrum bereits wird, die Polen in seinem Gefolge zu behalten, um so nothwendiger war es für dasselbe, bicGelegenheit zu einer demonstrativen Bekundung polenfrrundlicher Politik nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Und sehr günstig traf es sich, daß der polnische Abg. vr. v. Jazdzewski erkrankte und damit der Ccntrumsabgeordnete Gröber an seiner Stelle auch im Plenum des Reichstages die polnischen Forderungen vertreten konnte. Merkwürdigerweise fand sich im Reichs tage Niemand, der auf Grund der früheren Erklärungen deö Kriegsministers v. Goßler gegen die fragliche Resolution Widerspruch erhoben hätte. Infolgedessen wird in Zukunft der Beichtstuhl auch im Heere das Mittel für nationalpolnische Propaganda bleiben. Angesichts deö Verhaltens der natio nalen deutschen Parteien, deren Vertreter der polnischen Forderung theils ausdrücklich beipflichteten, theils ihr nichts entgegneten, muß nachdrücklich darauf hingewiesen werden, daß schlechterdings nicht religiöse Rücksichten die Beseitigung der fraglichen Verfügung deS Kriegsministeriums nothwendig machen. Selbstverständlich ist eS ein Mißgriff, wenn die Soldaten bei der Ablegung der Beichte von Untcrofsicieren überwacht werden. Aber die verkehrte Ausführung der Ver fügung zwingt doch keineswegs zur gänzlichen Beseitigung der selben. Giebt eS wirklich Soldaten polnischer Herkunft, die in deutscher Sprache nicht beichten können, auch wenn sie den guten Willen dazu haben, so sorge man dafür, daß sie den uöthigen Unterricht erhalten; sie werden rasch genug die erforderlichen Sprachkenntniffe sich aneignen. Bleibt eS aber bei der polnischen Beichte, so bleibt es auch bei der polnischen Agitation im Heere, an deren Existenz nach den Erklärungen deS Kriegsministers vom 9. Februar nicht zu zweifeln ist. Wenn jetzt das KriegSministerium die selbe Agitation in Kauf nimmt, die eS vor 14 Tagen nicht dulden zu können erklärte, so liegt die Vermuthung nahe, baß diese Nachgiebigkeit den Zweck verfolgt, das Centrum der Flottenvorlage geneigter zu machen. Einen erfreulichen Aus blick auf die Kosten, welche die deutsche Nation über die materiellen hinaus für die Verstärkung unserer Seewehr zu bezahlen haben wird, eröffnet diese Nachgiebigkeit jeden falls nicht. . Unter der Ueberschrift „Seeplatz nnd Kriegsflotte", war dieserTage in der volksparteilichen „Königsberger Hartung'schen Zeitung" und im demokratischen Stuttgarter „Beobachter" ein aus Hamburg datirter, vollständig gleichlautender Artikel zu lesen, der sich mit der Stimmung der Ham burger Bevölkerung gegenüber der Flottennovelle beschäftigt und in der Behauptung gipfelt, die Hamburgische Be völkerung sei bezüglich der Flottennovelle „kühl bis ans Herz hinan". Es sei eine völlig falsche Vorstellung, die man im deutschen Binnenlande hege, daß die Bevölkerung der großen Seestädte für eine Vermehrung der Kriegsflotte „schwärme". Die Hamburger Neichstagsabgeordneten, die Socialdemokraten Bebel, Dietz und Metzger, hätten jeden falls die Masse der Bevölkerung hinter sich, nur die Handels herren, die sich in der Gunst derNeichSregierung sonnten,seien für die Flottennovelle zu haben rc. Ehe wir uns gegen diese „sachlichen" Aeußerungen selbst wenden, sei bemerkt, daß von keinem ernsthaften Manne verlangt wird, er solle für die Flotten novelle „schwärmen". Die Flottennovclle ist auS sehr ernsten Erwägungen heraus entstanden, und wenn heute immer weitere Kreise ihr zustimmen, so geschieht dies nach reiflicher Neberlegung und nachdem man die Gründe des Gesetz entwurfes eingehend geprüft hat. Wenn bei der Flotten bewegung zugleich, speciell in den Kreisen der deutschen Jugend, ein hoher Enthusiasmus sich zeigt, so sollte man darüber nicht spotten, sondern sich freuen, daß im deutschen Volke noch die Kraft und Fähigkeit vorhanden ist, sich für große nationale Ziele zu begeistern. Abgesehen hiervon aber müssen wir auch die ! sonstigen Ausführungen des Correspondenten der genannten demokratischen Blätter einfach für unrichtig erklären. Zunächst ist sehr charakteristisch, daß diejenigen Hamburger, welche die Hamburger Stimmung in der erwähnten Weise schildern, ihre Schreibereien in Ham burger Blättern selbst nicht unterbringen können. Begreiflich genug, da z. B. vor einigen Wochen das Organ der frei sinnigen Volkspartei in Hamburg, daS „Hamburger Fremdenblatt", freimüthig erklärte, daß der Widerstand gegen die Novelle immer mehr schwinde, selbst in Kreisen, die der Flottennovclle anfangs wenig sympathisch gegen über gestanden hätten. Vor unS liegt ferner ein Artikel der durchaus links stehenden „Neuen Hamburger Zeitung" vom 2. Februar cn. Dieser Artikel wendet sich gegen ein Stim mungsbild aus Hamburg, das seiner Zeit in der „Köln. Volks zeitung" veröffentlicht worden war und ebenfalls die der Flotten vermehrung günstige Stimmung der Hamburger Bevölkerung zu leugnen suchte. Demgegenüber erklärte das genannte Ham burger Blatt wörtlich: „Wir kennen die Stimmung in den hiesigen Handelskreisen gleich falls einigermaßen und dürfen erklären, daß die Stimmung der Ver mehrung unserer Kriegsflotte überwiegend günstig ist". Es sei falsch, anzunehmen, daß die Hamburger ihre Zu stimmung oder Ablehnung der Flottennovclle von einer in Folge der Flottenvermehrung nothwendig werdenden Steuer abhängig machten. „Wir haben unS in Hamburg längst mit dem Gedanken ver traut gemacht, daß jede Steigerung unserer Wehrkraft zur See auch Geld kostet und daß dafür in irgend einer Weise auch Deckung ge- schaffen werden muß. Aber man schlägt doch die Intelligenz und Opferwilligkeit unserer maßgebenden Kreise zu niedrig an, wenn man ihre Zustimmung oder Ablehnung zu einer nothwendigen Maß- regel ausschließlich von dem Geldpunct abhängig machen will". Und gegen den Schluß des Artikels heißt eS: „Hier in Hamburg weiß man zu gut, daß eS zuletzt doch im Weltverkehr auf die Macht ankommt, die hinter dem Einzelnen steht. Danach wird man auch im gegebenen Augenblick handeln." Es unterliegt keinem Zweifel, daß die „Neue Hamburger Zeitung" mit diesen Auslassungen die Stimmung der Mehr heit der Hamburger Kaufmannschaft richtig schildert und daß die Eingangs genannten demokratischen Blätter von ihrem Hamburger Correspondenten ein Stimmungsbild erhalten haben, das vielleicht ihren Wünschen, aber nicht der Wirk lichkeit entspricht. Wohin man in einem geordneten Staatswesen mit dem Gewährenlassen des socialdemokratischen Streik- terroriSmuS kommt, zeigen die Zustände, welche sich gegen wärtig in dem vielgenannten französischcu Judustriebezirk von Carmaux herauSgebildet haben und deren Schilderung in einer von vier Ortsvorstehern deS genannten Bezirks an den Präfecten des Tarndepartements gerichteten Eingabe bei jedem unbefangenen Leser den Eindruck Hervorrufen muß, daß in dem heutigen Frankreich Gesetz und Verfassung bloS noch insoweit gelten, als dies von der Socialdemokratie gnädigst gestattet wird. Wir entnehmen gedachter Eingabe, welche die Inter vention des Präfecten zum Schutz der gehetzten Arbeits willigen anrnft, daß seit dem 11. d. M. das Gebiet der von den Unterzeichnern der Eingabe verwalteten vier Ort schaften der Schauplatz von Ausschreitungen schlimmster Art ist. „Banden von Strolchen, welche mit dicken Gummischläuchen, Dolchen, Knüppeln, Stangen u. s. w. bewaffnet find, geben sich dort Stelldicheins und jeder Grubenarbeiter, der an sein Tagewerk gehen muß, um seinen nnd seiner Familie Lebens unterhalt zu gewinnen, wird von ihnen ver gewaltigt und niedergeschlagen. In den letztverflossen en Nächten haben diese Umsturzbanden, durch ihre ersten Erfolge kühn gemacht, ihre Frechheit selbst soweit getrieben, daß sie jeden «ich tstreikenden Arbeiter von der Thürschwelle seiner Wohnung weg ver- hafteten. Mehrere von uns, Herr Präsect, haben schon die Ehre gehabt, Ihr Augenmerk auf die hier berichteten Thatsachen zu lenken; da wir aber sehen müssen, daß dieser Zustand der Dinge anhält, so ersuchen wir abermals um Ihr hochgeneigtes Dazwischentretcn, um Freiheit und Leben derer zu schützen, die seit Sountag im Genuß dieser Güter beschränkt sind, und um nicht wieder gut zu machendes Unheil zu verhindern. Diese gefährlichen Zusammenrottungen, welche einer Ihrer Amtsvorgänger bereits untersagt hatte, müssen vor allen Dingen auseinander getrieben werden. Dann erst können die zur Wiederaufnahme ihrer Beschäftigung neigenden Arbeiter ihr staatsbürgerliches Recht in voller Freiheit ausüben. Die Gendarmerie, die städtische Polizei von Carmaux haben bisher zur Verhütung von Conflicten und zur Auseinandertreibuug von Zusammenrottungen nichts gethon. Daher halten wir eS für unsere Pflicht, dies« Zustände zu Ihrer Kenntniß zu bringen. Als Vorsteher der Ortspolizei in unseren respectiven Gemeinden verbürgen wir unS für Aufrecht erhaltung der Ordnung in unseren Gemeiodrbezirken, wenn un? Gendarmen genug zur Verfügung gestellt werden. Unser College, der Maire von Carmaux, wird denn schon da- klebrige besorgen. Es ist ganz augenscheinlich, daß die nichtstreikendcn Arbeiter der Zahl nach die Streikenden überwiegen, aber die Gewaltthätigkeit der letzteren «nd die Gleich- giltigkrit der Behörden hindern erster« an der Aus übung ihrer BerusSthätigkeit." Jeder Commentar würde nur zur Abschwächung der drastischen Wirkung dieser ungeschminkten Darlegungen von amtlicher Stelle beitragen. Gleichwohl ist 100 gegen 1 zu wetten, daß ein Ministerium, in welchem Genosse Millerand alS Spiritus reetor sitzt, sich, wenn es hoch kommt, mit einer rein platonischen Vermahnung der in Carmaux ihr Wesen treibenden enlauts tsrridles begnügen wird. Dabei steht Frankreich erst am Anfang einer Entwickelung, welche, nach ihren bisherigen Früchten zu urtheilen, geradenwegs dem Ziele der ConfiScirung von Recht und Gesetz zu Gunsten der Dictatur deS Proletariats nachtrachtet. Die unter wohlwollender Neutralität der staat lichen Executivorgane vor sich gehende Vergewaltigung der Arbeitswilligen durch die Socialdemokratie ist nur eine Etappe in der Richtung auf jenes Endziel. Der Krieg in Südafrika. —Heute ist her neunte Tag seit Beginn der Kämpfe am Movtzerflatz östlich von JacobSdal bei Paardeberg, KoodooSrand und PetruS- bcrg auf dem Wege nach Bloemfontein. Seit dem 18. Februar schon bezeichnen die englischen Correspondenten in ihren dramatisch aufgeputzten Kriegsberichten die Lage Cronje's als hoffnungslos und am 23. Februar telegraphirte „Reuter" aus Paardeberg, Cronje's Lage sei „hoffnungsloser denn je". Der sachverständige Kritiker der „Morning Post" sagte dieser Tage: „Eine Viertelstunde Geschützfeuer aus sechs bis acht Batterien muß auf einem bestrichenen Raum von 60 000 gm Alles zerstören, was darin ist, und bei fort gesetztem Feuer bliebe den Boeren keine andere Mög lichkeit, als sich auf die britische Infanterie zu stürzen unv sich durchzuschlagen oder sich zu ergeben." Nun, die letztere Möglichkeit ist offenbar nicht eingetreten, wohl aber scheinen die Boeren die britische Umklammerung an verschiedenen Punkten gesprengt zu haben, wenn sie über haupt je bestanden hat. Es sind jetzt mindestens dreiBoeren - lager, die Roberts zu nehmen hat, also sind eS doch wohl die Boeren, welche sich zwischen die englische Streitmacht hinein geschoben und diese getrennt haben. Erst ließ „Reuter" Crouje vollständig ringeschlossen sein, jetzt berichtet er vorsichtig untrem 25.: Die Engländer „schließen allmählich" Cronje von allen Seiten ein. Fenöllrton» Hans Eickstedt. Roman in zwei Bänden von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck vkrdolrn. Bei alledem war Elfriede ein gutes, braves Mädchen, und Gertrud hatte den besten Willen, sich ihr für ihre Sorge um des Vaters Wohlbefinden dankbar zu beweisen. Aber sie war den scharfen Luftzug und das schneidige Marschtempo der Ber liner Arbeitszeit zu sehr gewöhnt. Sie fühlte sich schlaff und matt werden in der windstillen, schläfrigen Luft des Vater hauses, Elfriedens Herzensergüsse langweilten sie bis zum Un erträglichen. Sie war froh, als ihre jüngere Schwester Käthe, die mit Mann und Kind für die Ferienwochen nach einem kleinen Seebade auf die Nehrung zog, sie bat, dort ihr Gast zu sein. Daß der Oberstleutnant niemals zu bewegen war, im Sommer die Stadt zu verlassen, war der dunkle Schatten, der in Elfriedens Leben siel. Sie hatte sich's ausgedacht, sich schad los zu halten, wenn Gertrud sie zu Hause vertreten könnte, und war bitter enttäuscht, als die Sache sich anders gestaltete. Die drei jungen frischen Menschen führten in ihrem Fischer hause ein wundervoll unbekümmertes Ferienleben. Gertrud und Käthe waren als Kinder und Backfischchen unzertrennlich gewesen und hatten sich stets so unendlich viel zu sagen, daß die Tage zu kurz waren und die Nächte zu Hilfe genommen werden mußten. Das süße kleine Püppchen, dem Käthe die Brust reichte, ließ sich von Gertrud Herumtragen und lachte sie an. — Mit ihrem Schwager wurde Gertrud erst jetzt recht vertraut, sie begleitete ihn auf weiten Bootfahrten und Streifereien über die Nehrung, die Käthe ihres Säuglings wegen nicht mitmachen durfte. Sie unterhielt sich gern mit ihm über Bücher und Principienfragen, fand, daß er in manchen Dingen viel maßvoller und verständiger dachte als Hans, wider sprach aber und stritt mit ihm herum und brachte Eickstedt's Argumente gegen ihn ins Gefecht, die sie diesem nicht hatte gelten lasten. Es war sonderbar. Sie verstand erst jetzt die über quellende Kraft und Ursprünglichkeit in Eickstedt's Gedanken welt, auch wo ihr zuerst nur Lbermüthige» Spiel mit Begriffen, tolle Widersprüche und phantastische Einfälle erschienen waren. — Theodor Kander besaß eine große, sorgfältig geordnete, durch Autoritäten beglaubigte Maste von Bücherwissen, auf Seiten sprüngen und Irrwegen ließ er sich selten ertappen, und wenn auch, so gerieth er darum nicht in die Enge, denn Andere hatten sie ihm vorgemacht. Käthe war sehr stolz auf ihren Mann und überzeugt, Gertrud die höchste Gunst zu erweisen, wenn sie die Beiden zu weiten gemeinsamen Ausflügen ermuthigte. „Mit Elfriede wäre das nicht zu wagen", sagte sie. „Theodor läßt sich auch nur ungern dazu herbei." Frau Käthe hatte ihre älteste Schwester im Verdacht, für ihren Gatten eine schwärmerische Neigung zu nähren, und er zählte Gertrud im Vertrauen, daß Elfriede sich lächerlich mache, und daß sie es eigentlich nicht verantworten könne, sie ein zuladen. „Daß Theodor sich früher für Dich interessirt hat, weiß ich wohl", gestand das junge Frauchen mit heißem Erröthen. „Aber mit Dir würde ich ihn tagelang ohne Sorge allein lassen. Du bist ganz anders als Frida." „Du scheinst mich für einen beidlebigen Molch ohne Wärme- Blut zu halten, Kathi, weil ich mich fürDeinIdeal von Gatten nicht entflamme." „Nein, auch sonst. Du bist zu verständig. Sag' im Ernst, Trude, hast Du Dich schon 'mal verliebt?" „O ja. Zum Sterben, Käthe." „Oh, also wirklich!" Nun begann ein eifriges Examen, und mit beharrlichem Schmeicheln und Forschen und Rathen bekam Frau Käthe die Wahrheit heraus — an der ja im Grunde nichts zu verbergen war. Ueber das Berliner kameradschaftliche Treiben schüttelte sie bedenklich den Kopf. Als sie dann Eickstedt's Briefe lesen vurfte, beruhigte sie sich, fand es natürlich, daß Trude sich in den „prächtigen Menschen verschossen" hätte, und sah nicht ein, weShalb die Sache hoffnungslos sein sollte. „Freilich, wenn er dem Gelbe nachgeht, wie sie fast Alle thun", Weinte sie im Hinblick auf Irmgard seufzend. Gegen diese Unterstellung legte Gertrud entschieden Protest ein. Der Reichthum Jrmgard's sei vielmehr die Klippe, an der Eickstedt's Glück vielleicht Schiffbruch leiden werde. Sehr bald nach ihrer Heimkehr hatte sie von Han« einen Brief erhalten, der einen zweiten, verschlossenen, mit Jrmgard's Adresse enthielt. Der seinige war aus Oberbeken datirt, wohin er sofort aufgebrochcn, nachdem Irmgard in stummtrotziger Er gebung mit ihrer Mutter abgereist war. Gertrud hatte er vor her ausgesucht, aber nicht zu Hause gefunden, und sie mußte mit dem bitteren Nachgeschmack des letzten Zanke« mit ihm ihre ein same Heimreise antreten. Anstatt einer Entschuldigung seiner Unart enthielt sein Brief eine mit vollkommener Unbefangen heit vorgetragene Bitte, deren Gewährung ihm von höchster Wichtigkeit, als zweifellos vorweg genommen wurde. Gertrud sollte bei seinem Briefwechsel mit Irmgard als Mittelsperson dienen, da diese möglicher Weise hinfort einem System peinlicher Ueberwachung und Beschränkung unterworfen wurde. Eine Korrespondenz mit einer Freundin werde man ihr hoffentlich ge statten. Würde ihr Geheimniß entdeckt, so müsse man auf andere Mittel und Wege sinnen, mit einander in Verbindung zu bleiben. Im Uebrigen war Eickstedt's Brief voll Herzlichkeit für Gertrud, und bald folgte ein zweiter, gleichfalls mit Einschluß für Irmgard, der eine lebhaft farbige Schilderung seines jetzigen Aufenthaltes brachte. Er hatte eine neue Welt betreten und nicht Sinne genug, sie in der Eigenart und Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen zu erfassen. Es war gut, daß Irmgard nicht hier war, er hatte seinen ganzen Menschen nöthig, wenn er die Aufgabe in der kurzen, ihm gegönnten Zeit erledigen wollte. Oberingenieur Tietjens war sein Lehrer und Führer in dem Labyrinth dieser Cyklopenwerkstätten, in denen der Menschengeist an die Stelle der schöpferischen Natur tritt. — Tietjens war ein Kernmensch, fast ebenso bedeutend in seinem Fach wie Steinhäuser, ein un gemein klarer Kopf, ein immenser Rechner, ohne geniale Ein fälle, wie sie dem Alten kamen, aber an zäher Energie, Umsicht und Zuverlässigkeit Jenem überlegen. Freilich mußte man Tietjens objektiv nehmen. Man mußte ihm auf sein eigen Ge biet folgen. Leider besaß er aber die naive Dreistigkeit, sich auch auf verschiedenen anderen für zuständig zu halten. Dann wurde er einfach unerträglich. Nüchtern bis zur Philisterhaftig- keit, bis zur öden banausischen Besserwisserei. Für ihn gab es keine incommensurabeln Größen, keine Abgründe der Seele, keine Widersprüche des Menschenlebens. Er wurde mit Allem fertig, „wie der Hahn mit dem Regenwurm", nach Jrmaard's klassischem Ausspruch. Das Schlimmste war, daß Herr Tietjens sich in der Familie eine Mentorstellung anmaßte, wozu seine weitläufige Vetter schaft mit Frau Steinhäuser ihn keineswegs berechtigte. Der Alte war in manchen Dingen lässig, und Tietjens wußte ihn zu nehmen, hatte sich ihm unentbehrlich gemacht und mißbrauchte seine Vertrauensstellung, um sich in Dinge zu mischen, die ganz außerhalb seiner Competenz lagen, wie zum Beispiel Jrm gard's Musikstudien und ihre Erziehung überhaupt. Der nächste Brief von Hans kam auS Groß - Verkitten und spiegelte die fröhliche Stimmung, die eine großartige und lustige ostvreußische Land hochzeit zurückgelassen. Polterabendausführungen, zu denen er Verse geschmiedet, ein bezauberndes Gartenfest, das er zurllsten geholfen, rin nette» Brautpaar, — und eine sehr hübsche junge Dame, die als Brautjungfer bei der Trauung und zur Tafel zu führen, ihm obgelegen, — und mit der seine liebe Mutter'ganz besondere Absichten zu hegen scheine, die ihr aus zureden, viel Mühe koste. Wenn Gertrud allein mit ihrem Skizzenbuch durch die Dünen streifte, wenn sie Abends nach Sonnenuntergang am Seeufer entlang ging, immer weiter, immer weiter, wenn Licht und Farben zu weicher violetter Dämmerung zerflossen und die Wellen nahend und fliehend, melancholisch raunend und mur melnd den Sand zu ihren Füßen küßten, — wenn der Sturm die Wasser peitschte, daß sie heulend und tosend wie wild« Un geheuer mit schaumgekrönten Köpfen aus der Tiefe tauchten und ihren weißen Gischt gen Himmel sprühten, — wenn um sie her eine große Stille war und die blaue Tiefe des Himmels sich in der blauen Tiefe der See spiegelte "und die Möoe mit silbernem Fluge zwischen Luft und Wasser hing, dann träumte Gertrud von ihrer Liebe. Sie war wieder gesund und muthig und hatte sich eingelebt mit ihrem Herzenskummer. Sie fühlte sich stark genug, ihn zu tragen, und hätte ihn um alle Schätze der Welt nicht hergegeben, wenn sie damit auf das Recht hätte verzichten müssen, den fernen Freund, der ihr so viele heimliche Schmerzen schuf, in ihres Herzens Tiefe als ihr eigen zu empfinden. Es bedurfte nicht vielen Zuredens, weder von Seiten Theo- dor's und Käthens, noch von Seiten des Pilgrim'schen Haus arztes, der Gertrud für blutarm und den Aufenthalt an der See für nothwendig erklärte, um sie bis zum letzten Ferientage in Kahlberg festzuhalten. Der Oberstleutnant kam heraus, sie abzuholen. Elfriede war nicht zu bewegen gewesen, ibn zu be gleiten. „Kinder", sagte der Oberstleutnant unzufrieden, „warum habt Ihr sie nicht eingeladen! Sie war bitter gekränkt." „Aber sie war ja eingeladen, Vater", versicherte Käthe. „Ja, mit Trude zusammen. Da» paßte ihr nicht. Si- wollte nicht das fünfte Rad am Wagen sein. Sie hat blos darauf gelauert, daß Trude nach Hause kommen sollte." Damit hatte Gertrud eS versehen, und Elfriede grollte und schmollte mit ihr und konnte die vereitelte Freude nicht ver schmerzen. Denn wenn sie auch später auf Andringen der ganzen Familie einige Wochen in Marienburg bei Kauders zubrachte, was hatte sie davon, wenn Theodor Vormittags in der Schule und Abends in seiner Studirstube und sogar beim Mittags essen in seine Arbeitsqedanken vertieft war? In Kahlberg hätte sie ihn doch für sich allein gehabt, so gut wie Gertrud. Die in Kahlberg begonnenen landschaftlichen Studien setzte Gertrud in Elbing mit Eifer und ganz besonderer Freude an
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