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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010402028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901040202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901040202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-02
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Amtsblatt des H'önigkichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis di? Kgespgltekle Petitzeile 25 Reclanien unter dem Nedactionsstrick st gespalten) 7ö H, vor den Famllirnnach- richten (3 gespalten) SO Tabellarischer und Hiffernsah entsprechend höher. — Ätbiikrei, nir Nachweisungen und Lssertenannahme 25 H (rxcl. Porto. Ertra - Veilagen (geialzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrförderung ./-! VO.—, mit Postbrjörderung 7V.—. Annahmeschluk für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags lO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen jr eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 biS Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. M. Dienstag den 2. April 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Falsche Voerencommandantcn. In -er „Nat.-lib. Corr." lesen wir: Daß die in Deutschland noch immer herrschende Boerenbe- geisterung von recht zweifelhaften und dunklen Existenzen in ego istischer gewinnsüchtiger Weise a-usgebeulet wird, geht aus einer Polemik hervor, welche die „Rheinisch-Westfälische Zeitung" gegen die westdeutsche Boerencentrale in Dortmund zu sichren sich ge- uothigt sicht. Es handelt sich hierbei insbesondere um einen an- gc blichen Boerencommantvanten Mayers van Pitius, dessen sich nach seiner Entlarvung als Schwindler anscheinend der anti semitische Neichsiagsabgeordnete Bindewald mit großer Wärme angenommen hatte. Wie sich nun herausstellt, ist dieser Mayers, der ein Hilfsromitö der Centvalpropaganda begründete und durch seinen zehnjährigen Schn Gelder dafür eincassirte, niemals Boerencommandant gewesen, sondern ein ehemaliger Cigarren händler, der in Amsterdam Bankerott machte und dann nach Transvaal ging. Dort war er an kleinen Boerenplätzen Schul meister. Den Titel Boerencommandant führt Mayers zu Un recht; er hat nie ein Gewehr als Kämpfer in Händen gehabt und ist des Reitens unkundig. Indessen befand er sich wahrend des südafrikanischen Krieges eine Zeit lang in den Lagern von Lady smith und Kimberley, äber nicht als Kämpfer, sondern als Schlachenbummler. Er scheint sich durch seine Schwindeleien in den Besitz von Empfehlungen durch hochachtbare Boeren gesetzt zu haben; jetzt aber, nachdem diese Männer den Betrug erkannten, warnen sie vor ihm. So geht der „Rheinisch-Westfälischen Zei tung" ein Schreiben aus Amsterdam zu, welches den „Comman- danten Mayers" völlig desavoüirt. Schließlich wird auch von dec südafrikanischen Gesandtschaft zu Brüssel mit ausdrücklicher Ge nehmigung des Herrn Or. Leyds vor dem falschen Boerencom- mandanten „Mayers van Pitius" gewarnt, was zur Nachricht an alle deutschen Boerencomitßs dienen möge. bomman-ant Jooste nahm am Sonntag Nachmittag bei der von der alldeutschen Ortsgruppe zu P l a u e n im nahen Weischlitz veranstalteten Bis- marckfcier Veranlassung, auf die von dem Districtsarzt Or. Isi dor Hanau gegen ihn und den jungen De Wet in der „Frls. Ztg." gerichteten bekannten Angriffe zu erwidern. Er erklärte nach der „Voztl. Anzeiger" u. A.: Or. Hanau ist mir wohlbekannt. Er wohnt in Carnavon im Eapland, ist ein großer Engländerfreunü, wird von den Eng ländern gefördert und ist mit dem Vater des jungen De Wet, der ebenfalls im District Carnavon seßhaft ist und eine ihm von den Holländern anvertraute Ehrenstellung bekleidet, wiederholt ob seiner cngländerfreundlichen Haltung derb zusammengerathen. Or. Hanau ist ein -vor etwa zwanzig Jahren nach der Capcolonie eingewanderter deutscher Arzt. Ich halte ihn für rin bezeichnen des Beispiel dafür, wie verderblich der englische Einfluß ist. Wie der Herr von der Capcolonie aus beurtheilen will, was jeder Einzelne von uns in Transvaal geleistet hat, ist mir unerklärlich. Daß wir den Aufstand in Kenhardt und Upington (Wcstafrika) hervorgerufen haben, scheint Herrn Or. Hanau ganz besonders geärgert zu haben. Nach unserer Ansicht häbcn wir damit der Bocrensache einen Dienst geleistet, denn der Aufstand kostete dea Engländern Geld und Menschen, und zwang sie, geraume Zeit hindurch verhältnißmäßig große Truppenmengen für jenes abseits liegende 'Gebiet zu verwenden. Daß wir wenigen Boeren bei An näherung der Engländer geflüchtet sind, ja, ist denn das so schlimm? Hätten wir den Kampf mit der Uebermacht aufnehmen und uns tödten lassen sollen? Es ist nicht meine Sache, mich zu Preisen. Es genügt mir, meine Pflicht gethan zu haben. Daß die Darlegungen, die ich in Deutschland über den Krieg gegeben, den Engländern und ihren Freunden unangenehm sind, lglaube ich annehmen za können; ich mußte daher auch auf Verleumdungen von dieser Seite gefaßt sein, wie sie auch gegen Andere, Verdienstvollere gerichtrt worden sind. Diese Verleumdungen können mich nicht verletzen, ie ehren mich. Sie zeigen mir, daß sich die Engländerfrcunde iber mich ärgern. Das, was Or. Hanau über mich gesagt hat, oll mir nur neuen Muth geben, in meiner bisherigen Arbcil ortzufahren. Daß ich und der junge De Wet an keiner großen Schlack: theilgrnommen, erklärt Herr Or. Hanau. Ja, wann uns wo haben wir das Gegentheil behauptet? Die Gefcchtsweise der Boeren ist nicht für die Theilnahme an großen Schlachten be rechnet, und am Spionskop waren wir leider nicht mit. Wir sind „schlichte dumme Boeren". Aber ich habe theilgenommen an den Gefechten bei Ladysmith, Colenso und Maggersfontein. Ob ich ein Schwindler bin, wie einige Zeitungen auf Grund der durch sichtigen Hanau'schen Behauptungen mich nennen?. Ja, sehen Sie sich doch diese Behauptungen genau an. Daraus ist nur zu er kennen, daß sich Herr Or. Hanau über uns geärgert hat und uns etwas am Zeuge zu flicken sucht. Der junge De Wet sei kein Verwandter des Generals De Wet, behauptet vr. Hanau. Den Beweis dafür zu erbringen, dürfte ihm schwer fallen. Die Familie De Wet ist über ganz Südafrika verbreitet, sie Alle sind unter einnader näher oder ferner ver wandt. Man muß nur bedenken, wie leicht sich eine einzige kinderreiche Familie in Südafrika auf weite Entfernungen ver zweigt, und wie selten es Gelegenheit giebt, sich zu sehen. Herr Jooste, der Commandant einer größeren Radfahrer- Abtheilung war, der auch der junge De Wet zugehörte, wird sich bis Mittwoch in Plauen aufhalten, .dann in Bielefeld und Magdeburg sprechen und sich schließlich über Wien nach Rußland begeben. Von dort aus hofft er, die Heimreise nach Südafrika antreten zu können. Nach feiner Ansicht wird der Krieg noch «twa zwei Monate währen; aber nicht die Boeren werden Anlaß nehmen, ihn zu beenden, sondern die Engländer. Zu den Erklärungen Jooste's bemerkt der „Vogtl. Anz.", daß Herr Jooste durchaus vertrauenswürdig ist. Wir haben Beweise dafür in Händen. * London, L. April. Die „Times" berichten auS Middelburg, daß im Hinblick auf das Herannahen des Winters eine allgemeine Nordwärtsbewegung der Boeren nach dem Duschvoldt erfolgt, daß aber auf beiden Seiten der Bahnlinie umherfchwärmcnde Abtheilungen Zurückbleiben. - Paris, l. Avril. Die Blätter melden aus Lissabon: Ter Boerengeneral Piennaar wurde in Thomar mit lebhaften Sympathiekundgebungen ausgenommen. Eine zahlreiche Volksmenge begrüßte ihn mit Hochrufen auf Krüger und die Un abhängigkeit Transvaals. Vie Wirren in China. Teutsche Fortschritte. Der ehemalige französische Marineminister Lockroy weist, wie un- aus Paris berichtet wird, in einem „Die Deutschen in Cbina" betitelten Artikel des „Temps" auf die Wirth- scbaftliche und militärische Bedeutung bin, welche die deuticke Negierung dem Gebiete von Kiautfcbau zu geben wußte. Er sagt: So habe Deutschland in dem kurzen Zeitraum von drei Jahren so festen Fuß in Cbina gefaßt, daß man es von dort nicht mehr wird verdrängen können. Es bat einen gut be suchten Hafen geschaffen, eine kleine Stadt gegründet, mit Deutschen bevölkert und mit Pertbeidizungswerken umgeben, Eisendabnen, Straßen und Schiffswerften gebaut. In 20 Jahren bat eS einen großen Theil de» Handel« Ostasirn« an sich gerissen und ist für Englanv selbst «in höchst ge fährlicher Concurrrnt geworden. Es bat für seine In dustrie Absatzgebiete geschaffen, deren Bedeutung augenblicklich noch gar nicht zu ermessen ist. Es arbeitet erfolgreich an der friedlichen Eroberung Chinas. Dies ist für Viele rin beachtenSwertbeS Beispiel von Colonial- und Handelspolitik. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. April. lieber die Audienz deS Präsidiums des preußischen Herrenhauses beim Kaiser liegt jetzt im „Klein. Journ." ein dritter Bericht vor, der jedenfalls von einem der Herren Präsidenten berrübrt. Er lautet: Der Kaiser war in bester Laune, keine Spur von Gereiztheit war ihm anzumerken, und er schlug in seiner Er widerung sogar einen leicht humoristischen Ton an. Sein Aus eben war blühend, die Wunde ist vollständig geheilt und hat nichtdiegeringsteNarbezurückgelassen. Nachdem der Kaiser die Herren in liebenswürdigster Weise mit Händedruck begrüßt hatte, ergriff Herr v. Manteuffel das Wort zu einer Ansprache, die etwa also lautete: „Majestätl Das Herrenhaus hat uns beauftragt, unsere Freude auszudrücken über die Errettung Ew. Majestät aus unmittelbarer Lebensgefahr. Gott hat Ew. Majestät sichtbar geschützt gegen ein Bubenstück, und es gereicht uns zur besonderen Genug» thuung, Ew. Majestät so frisch und wohlauf, so heil und gesund wiederzuschen!" Der Kaiser antwortete hierauf ungesähr mit folgenden Worten: „Ich danke Ihnen hrrzlicht für Ihre Glück wünsche, welche ich gern annebme. Ich kann Ihnen nur sagen, daß alle Combinationen, welche in der Presse über meine Stimmung verlautbart werden, auf vollständiger Unkenntniß beruhe und jeder Grundlage entbehren. Ich habe Alles gelesen, was die Zeitungen über meine angebliche seelische Stimmung anläßlich des Bremer Vorfalls geschrieben habcn, aber nichts ist falscher, als annehmen zu wollen, Laß meine Gemüthsverfaffung irgendwie darunter gelitten habe. Ich biu genau derselbe, der ich vorher war; ich bin weder elegisch »och melancholich geworden." Der Kaiser deutete hierauf auf das auf dem Tische liegende Eisenstück, dir Lasche, die Weiland geschlendert hatte, und fuhr fort: „Ich stehe in Gottes Haud und werde mich Lurch solche Vorfälle niemals in dem Wege beirren lassen, den zu beschreiten ich als meine Pflicht anerkannt habe. Ich komme aus meinen Reisen mit ollen Kreisen der Bevölkerung zusammen und weiß sehr gut, was man im Volke über mich spricht und Lenkt. Aber wer La etwa glaubt, daß ich mich durch solche Vorfälle ein schüchtern lassen werde in meinen übrigen Maß- nahmen, der wird sich sehr irren, r» bleibt AlleS beim Alten." Es ist bemerkenswerth, daß der Kaiser das Wort „A ttentat" nickt ein einziges Mal gebrauchte und nur mit souveräner Verachtung von dem „Vorfälle" sprach. Eine heftigere Sprache führte der Monach nach einer ganz anderen Seite hin. Der Kaiser knüpfte hierauf ein längeres Gespräch mit dem Oberbürgermeister Becker an, wies darauf hin, daß der Kronprinz gleich nach Ostern die Universität Bonn beziehen werde, und fügte lächelnd hinzu: „Ich hoffe, daß mein Sohn gute llachbarschaft mit Köln halten wird". Dann wandte sich der Monarch wieder an Herrn v. Manteuffel und versprach bestimmt, am 1l. April der Enthüllung des Kaiser Wilheim-Denkmal« in Potsdam auf der langen Brücke beizuwohnen. „Da werden ja die Herren meine Gäste sein", schloß der Kaiser. Ist dieser Bericht, wie man annehmen muß, richtig, so befand sich der Kaiser erfreulicherweise beim Empfange des Herrenhaus-Präsidiums in gebobenerer Stimmung, als keim Empfange der Präsidenten deS Abgeordnetenhauses, zu denen er bekanntlich nach dem Berichte des Herrn v. Kräcker unter Anderm sagte, er fühle sich durch den Bremer Vorfall besondernS schmerzlich berührt, weil er die Ileberzcugung gewonnen habe, daß seit dem Tove deS hochseligen Kaisers Wilhelm die Achtung vor den Autoritäten im Volke, nament lich in der Jugend, abgenommen habe. Solche Worte schließen eine gehobene Stimmung völlig auS. Die an Herrn v.Manteuffel gerichteten beweisen, daß mit dieser Stimmung auch die Erinnerung an sie gewichen ist. Das wird man in allen den Kreisen, in denen man befürchtete, eS sei gewissen Einflüssen gelungen, den Kaiser von der Notbwendigkeit reactionärer Maßnahmen zu überzeugen, mit Befriedi gung vernehmen. Andererseits stimmt die Versicherung, es bleibe Alles beim Alten, die Erwartung Derjenigen herab, die aus den an das Präsidium deS Abgeordneten hauses gerichteten Worten: „Wir Alle, alle Stände ohne Ausnahme, dürfen uns nickt von der Mitschuld frei- sprecken, daß wir nickt genug die unS zu Gebote stehenden Mittel benutzt haben, damit die Achtung vor der Autorität gewahrt bleibe", Schlüsse auf ein Abgeben von gewissen Gepflogenheiten zogen, die die Achtung vor der Autorität untergraben müssen. Uebrigeus mackt auch der vor stehende, ziemlich ausführliche Bericht den Wunsch wieder rege, genauer als bisher über kaiserliche Kundgebungen bei wichtigen Anlässen unterrichtet zu werden. Auch in diesem Berichte ist von einer „heftigeren Sprache" die Rede , die Seite aber, nach der diese Sprache sich gerichtet, wird nickt bezeichnet. Warum? Ist eS den Herren, die allein Pie Worte gehört haben, unbequem, wenn sie bekannt werten ? Richteten sie sich vielleicht gegen die Ueberspaiinnng der agra rischen Ansprüche, wie eine an anderer Stelle mitgetbeilte officiöse Warnung der „Bert. Polit. Nackr." vermuthcn läßt ? Gerade dann sollten sie ter Oeffentlickkeit nicht vorentbaltcu werden. Und eS wäre ja auch so leicht, kaiserliche Worte, die doch den Grund haben, beachtet zu werden, zu fixiren. Tie „Norbd. Allg. Ztg." bat, wie in unserer letzten Sonntags-Ausgabe mitgeibeilt wurde, wieder einmal einen zielbewußten KurS der preußischen Poleupolitik in Aussicht gestellt. Insbesondere werde auch Vie Wiedcrbelegung einer Anzahl geeigneter Ortschaften mit Garnisonen, die seit dem Jahre 1837 in l l Fällen eiugczogen worden sind, für die Zu kunft als geeignetes Mittel gegen die mehrfach erst nach Abzug des Militärs eingrlretene Polonisirung in Betracht kommen. DaS ist einglücklickcrGedankc, ober aber zur Ausführung kommt und ob, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, weitere und noch wirksamere Maßregeln folgen, wird hauptsächlich davon abbängen, ob das Centrum seine Einwilligung giebt. Und dazu ist noch keine Aussicht vorhanden. Soeben wird eine Absage bekannt, mit welcher der „Tuennik Pcznanski", das Organ der gemäßigten Polen, daS Ersuchen deS Ccntrumk, die gemäßigten Polen möchten auf den polnischen Radikalis mus zurückhaltend einwirken, zurüäweist. Man weiß, mit Leriilletoir. Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. SiaLtruck vertolen. Stadler als Ordinarius der Sexta aber erhielt die Er mächtigung, in jeder angängigen Weis« di« neuen Mitschüler Rudolf Lammert's vor diesem und diesen wieder vor dem ver ruchten Umgang mit Heini Flügge zu hüten. Demzufolge hätte den kleinen Rudolf so ungefähr das Schlimmste treffen müssen, was einen geistig geweckten, trotzgehärteten Sextaner treffen kann: gänzliche Vereinsamung, wenn nicht allen guten Rathschlägen entgegen sein Verkehr mit Heini Flügge sich immer inniger ge staltet hätte. Schwester Gabriele ausgenommen, hatte er kein« Freunde, als die er suchte: Heini und die drei Jahre jüngere und für sechs Jahre wildere Lisa Flügge; kein Sonnenschein erwärmt« und durchleuchtete seine Jugend als der, in den er selbst hinauslief, der draußen vor der Stadtmauer um Flügge's verwittertes Häuschen huschte, durch's Gestrüpp des Stadtwaldes flimmerte oder die Segel der Fischerboote in der silbernen Fläche des Peenestromes sich spiegeln ließ. Nicht als ob sich durchaus niemals auch in einem seiner Mit schüler der Trieb geregt hätte, sich an Rudi anzuschlteßen. Aber er fand kein« Gegenliebe. So stimmte denn von den sechseinhalbtausend Einwohnern Karnins insbesondere die in Sachen des guten oder schlechten Rufes maßgebendste weibliche Hälfte — vom Senatorinnen kränzchen mit Frau Rector Grauhecht als Alterspräsidentin bi» zum letzten sonntäglichen Gevatterinnenkaffee im Schützenhause nachgerade in diesem einzigen Puncte überein: Frau Doctor Lammert habe als gewissermaßene Ausländerin zwar nur halben Anspruch auf Karniner Mitgefühl, sei aber in Anbetracht ihrer sonst anständigen Verhältnisse und der gänzlichen Verworfenheit de» Ogers dennoch und schmerzlich zu bedauern. Des Ogers! Auch den häßlichen Namen verdankt Rudolf Lammert weiblicher Tücke, wenn dieselbe auch nur dem sehr jugendlichen Köpfchen Erna Hansen'» entsprungen war. Als Schwester Gabriele ihren neunten Geburtstag feierte, hatte sie, nicht ohne viel Ueberredung, Bruder Rudi veranlaßt, daran theil- zunehmen. Hätte er's doch nicht gethan! Dann wäre der Inhalt scr festlichen Chocoladenkarrne, von ihm jählings umgestoßen, nicht auf Erna Hansen's Kleid geplätscyeri. Gabriele wäre nicht in verzweifelte Thränen auigebrochen, Aurelchen Feigen spahn, des Apothekers Töchterlein, hätte nicht orakelt: „Choco- ladenflecke gehen aus Wolle nämlich nie wieder heraus", und Erna Hansen hätte nicht verdrießlich geantwortet: „Was liegt an dem alten Kleide! Papa gefiel's längst nicht mehr —" aber sie hätte auch Rudi Lammert mit ihren dunkelblauen Augen nicht so zwischen Lachen und Weinen angeblitzt und gerufen: „Du bist doch ein richtiger Oger!" Und Frau Senator Hansen hätte die köstliche Geschichte nicht im nächsten Kränzchen erzählt mit der ganzen Würde stolzgeschwellter Mütterlichkeit, also daß bald her nach der Name aus den Häusern auf die Gassen drang, auch hätte sie nicht vierzehn Tage später ihre kleine Erna vor dem Ein schlafen in herzbrechendem Schluchzen gefunden: „Und ich hab's Loch so bös nicht gemeint, Mama, und nun nennt ihn jeder Straßenbengel bei dem häßlichen Namen, und ich bin Schuld daran. Und er ist gar nicht so schlimm —" woraus folgte, daß di« Frau Senator ihrem Töchterlein zwar den bedenklichen Um gang im Lammert'schen Hause für eine Zeit lang gänzlich unter sagt«, ohne aber dadurch ihres Kindes Meinung über Rudolf Lammert's Charakter erheblich zu erschüttern. Also doch noch eine mitfühlende Seele. Ja, aber so'n Ding von zehn Jahren, wo er an die fünfzehn streifte! Was galt ihm das? Er mußte schon früh sein Kreuz tragen- Auch an diesem denk würdigen Mittag de» zweiundzwanzigsten Juli Achtzehnhundert- fiebzig durch die Mittagssonne, die über Dächern und Straßen einer Vaterstadt flimmerte. Und er trug schwer daran: seine Flucht, die ganz zum Ueberfluß zerbrochen« Scheibe und das sehr nothwendiger Weise zerzauste Weinspalier, an dem er sich hinab gelassen — es drückt« ihn doch, und recht niedergeschlagen, die Hände in den Taschen, schlich er dahin. Frau Sophie Lammert hatte kein«n Grund, ihn freundlich zu empfangen. Ihr« kalten grauen Augen unter d«n arrötheten Lidern blickten ihn heut« mit doppelter Strenge an, eine ganze Weil«, bi» sie ihren beiden andern Kindern die Suppenteller füllt und, ohne den Miffethäter noch eines Blickes zu würdigen, nur ein heiseres „Hinaus" hervorstößt. Er kennt das; cs heißt aufs Arbeitizimmer gehen, kommen der Dinge harren. Mit hoffnungsloser Apathie fügt er sich. Die Treppe draußen knarrt leise unter ßeinen Tritten, und aus der halboffenen Küchenthiir lugt Martha Ueckritz, die alte Magd, halb neugierig, halb mitleidig hinter ihm drein. Als sie ihm eine Viertelstunde später sein Mittagbrod hinaufträat — Erbsen mit Schinken, und danach sein Leibgericht: „Kirschauflauf" — seufrt sie ein paarmal sehr vernehmlich. „Nee, Ruding, Ruding, dit geiht all min Dag nich gaud! Täuw, täuw! un datt segg ick man, dat Du ok so gans anner» büst as de beiden Annern. Rudi ißt Erbsen mit Schinken und Kirschauflauf, und zu seiner Ehre muß gesagt werden: er läßt nichts übrig. Schul jungen-Appetit! Nach Beendigung dieser nothwendigsten Thätigkeft aber stützt er den Kopf in die Hand und stiert aus dem kleinen Giebelfenster auf den Hafen unten, wo ein Dutzend Kutter und ein paar kleine Dampfer auf dem Wasser schaukeln. Wer da so mit hinaus könnte, übers Meer gleichviel wohin! Oder in den Krieg. Warum ist er nicht Heini's Vorschlag gefolgt? Die Geschichte hier hätte doch 'mal rin Ende gehabt, und schlimmer als in Karnin kann es auch sonst wohl nirgends kommen. Was hält ihn fest? Seine Mutter? Sein Bruder Johannes? — Der Duckmäuser! — Nein, der ganz gewiß nicht. Aber im Eßzimmer unten hat außer seiner Mutter hartem und des Bruders schadenfrohem Auge noch ein drittes Augenpaar, und das so vorwurfsvoll und mitleidig zugleich ihn angeschaut. Das waren die Augen Gabrielens, und darum, dieser Augen wegen, mag er nicht, kann er nicht fort. Es ist ja ganz unmöglich. Warum ist sie auch so gut zu ihm, hängt an ihm mit ihrer ganzen sausten schwesterlichen Hingabe! Warum ist sie so — er nicht wie sie? Was hat doch Martha vorhin ge knurrt? Daß Du auch so ganz anders bist als di« Andern! — Ja, warum ist er das? Warum warum? Oh, dieses stumpfsinnige Grübeln! Uttd die Julisonne Und sein Umherstreifen im Busch heute Morgen! — Ihm wird so müde; schwer sinkt sein Kopf auf die Tischplatte, ein paarmal nickt er, blinzelt er noch . . . dann schläft er fest. Bis eine Kinderhand ihm da» wirre Haar leise aus der Stirn streicht. „Weinst Du, Rudi?" Ein schrofferer Gegensatz ist freilich nicht denkbar, als hier zwischen Bruder und Schwester. Rudi'S brünetter Teint, sein dunkelbraunes, wellige», aber glanzloses Haar, seine eckige Knabengestalt, sein verschlossener Blick, der nun unter zusammen gezogenen Brauen Gabriele anblinzelt, neben der Schwester licht klarer Gesichtsfarbe — der zarten, milchrosiaen Färbung der Blondinen — ihrem strenagescheitelten, glatten, hellgoldenen Haar, dessen zwei straffe Zöpfe züchtialich den Nacken hinabfallen, ihrem zierlichen, fast schwächlichen Wuch» und dem frommen Leuchten ihrer blauen Augen. Nun er allmählich erwacht, fällt ihm alles da» wieder ein, worüber er eingeschlummert ist: Dat Du ok so ganz anner» büst Mit einem Griff macht er Gabrielen» Hand von seinen Nacken los; er hebt den Kopf, der finstere Trotz schaut wieder aus seinen Augen . . . „Rudi — wo willst Du hin?" „Laß mich!" Der Tisch wankt, daß sie paar leeren Schüsseln darauf an einander klappern, so heftig ist er aufgesprungen, schiebt die Schwester bei Seite und poltert die Treppe hinab, ins Wohn zimmer, dessen Thür er stürmisch aufreißt. „Mutler, warum —" Frau Lammert's Auge treibt ihm die Worte gleichsam in die Kehle zurück. „Nun?" fragt sie jetzt und sieht wieder auf ihre Handarbeit. „Mutter, warum bin ich nicht wie die Andern, wie — Gabriele?" Eine Weile hört man nichts als das Ticken des kleinen Regu lators über dem Sopha, nichts. Seine heißen Augen hangen an ihrem Munde — Sekunden, die ihn ein« Ewigkeit dünken . . . Dann — endlich — hebt sie langsam den Kopf, den sie bei seinen Worten noch tiefer auf ihre Hände geneigt batte — und sieht ihn an. Ein ganz- eigenartiger Ausdruck in ihrem Gesicht. Etwas Fremdes, noch nicht Gesehenes. Er fängt an, sich zu grauen. Als si« aber langsam spricht: „Werde wie die Andern, wie Dein Bruder", und dabei das „Werde" besonders hart betont, da kommt ihm dennoch der Muth, zwischen zusammengekniffenen Lippen hervorzustoßen: „Wie der? Nein, Muttrr, das will ich nicht." Nun steht si« auf. „Noch einmal eine solche Antwort!" und sie hebt die Hand. „Mutting! Ob, Muttina! Nein, das thust Du nicht!" Gabriele bat oben der Boden unter den Füßen gebrannt. Sie hat den Bruder ins Wohnzimmer eintreten sehen. Rudi aus sich selbst bei der Mutter. — Sie hat sich gefürchtet, ganz schrecklich, und ist schließlich noch im rechten Augenblick herein gestürzt, da» Scklimyiste von ihm abzuwehren. Denn Frau Lammert läßt die Hand sinken. Sie hat keines ihrer Kinder je geschlagen; ein Blick aus ihren Augen hatte ja selbst für Rudolf genügt. Mit zuckendem Munde steht dieser noch vor ihr. Da hebt sie den hageren Arm. „Hinaus! Beide!" Nachdem ihr Töchterchen den Ungerathenen auf den Flur gezogen hat, sinkt sie in ihren Sessel zurück und birgt das Gesicht in den Händen. D«r Hauptact des gewaltigen Drama» der Kämpft um Metz ist beendet; auf der rothgefärbten Riesenbühne von Gravelotte lagern, die Waffe im Arm, Freund und Feind. Abenddämme rung, dunkelnder Augusthimmel als Theotervorhang. An der Straße, di« von Gravelotte nordwestlich nach Jarnq
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