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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010403020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901040302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901040302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-03
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Anzeigen »Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 ^s. Reklamen unter dem Redacttou-strich («gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 L, (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung .«l 70.—. Auuahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» L Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzig. S5. Jahrgang. ^-171. Mittwoch den 3. April 1901. Die Wirren in China. Ablehnung der Mandschurei-Convention. Die chinesische Regierung hat sich endlich entschlossen, dem Dxängen der russischen Regierung auf Unterzeichnung deS Mandschurei-Abkommen« ein entschiedene« Nein entgegen zusetzen. Der junge Kaiser Kwangsü hat sich selber an den Zaren gewandt, und mit eindringlichen Vorstellungen bittet er, der Zar möge Cbina lassen, wa« China gehört. Auf der anderen Seite erhält Li-Hung-Tschaug, dessen Stellung auch in dieser Frage zum Mindesten zweifelhaft erscheint, «ine energische Zurückweisung. Eine andere Strömung hat wahrscheinlich augenblicklich am kaiserlichen Hofe Platz gegriffen. Der Protest der Aang-tse-Vicekönige, die sich geweigert haben, da« Abkommen, auch wenn e« unterzeichnet würde, anzuerkennen, ist nicht obne Eindruck geblieben. Ob dieser Protest nun aber auch Erfolg haben wird, ist kaum anzunehmen; Ruß lands Antwort ist nicht gerade verheißungsvoll. Ein be waffneter Widerstand der Chinesen ist so gut wie aussichts los, und auf mehr als die moralische Unterstützung wenigstens der europäischen Mächte ist kaum zu rechnen. Der „Bcrl. 8oc.-Anz." erhält über die augenblickliche Lage folgendes, unsere telegraphischen Mittheilungen ergänzendes Privat telegramm : * Loubou, 2. April. Di« „Times" melden aus Peking: Li-Hullg-Tschang telegraphirte am Dienstag an den Kaiser, er möchte seine Entscheidung bezüglich der Mandschurei-Convention zurücknehmr«, er erhielt aber die Antwort, die Entscheidung de« Throne« sei Angesichts des Rathes der höchsten Provinzial» Beamtrn »nwiderrnflich und die Convention könne nicht unter zeichnet werden. „Laffan's Bureau" meldet ferner: Kaiser Kwangsü sandte dem Zaren eine Erwiderung auf das Ersuchen der russischen Regierung »m Unterzeichnung der Convention. Er betrachte auch die zwölf modificirten Artikel als unvereinbar mit China« Souveränität, obwohl Rußl-nd erklärte, derselben keine Hindernisse bereiten und die chinesische Administration in jeder Beziehung wie vor der russischen Occupation wiederherstellen zu wollen. In den zwölf Artikeln sei tatsächlich die chinesische Administration nicht wiederhergestellt, und wenn die chinesische Souveränität über die Mandschurei verloren gehe, würden auch die anderen Mächte ähnliche Schritte ergreife», wie Rußland, und die Integrität Chinas werde nicht länger gewahrt werden. Er bitte daher den Zaren, die Mandschurei zurückzugeben, und mit Wohlwollen und Gerechtigkeit zu handeln, wodurch er nicht nur die Dankbarkeit des Kaiser« von China, sondern auch von Myriaden seiner Unter- thauen erlangen werde. AuS Washington wird gemeldet: Nach einer dort eiugetroffene» Information notificirte die russische Re- gieruug der chinesischen Regierung auf unzweideutige Weise, saüs sie bei ihrer Entscheidung beharre, dürfte der Abbruch der diplo matische» Beziehunge» zwischen Rußland und China erfolgen. * LaitSsu, 2. April. Sir Walter Hillier wurde zum stell vertretende» erste» Sekretär bei der Gesandtschaft in Peking ernannt. Der Krieg in Südafrika. Englische Friedenssehnsucht. j Im englischen Unterhause erwiderte gestern bei der Berathung des Antrages auf Vertagung des Hauses bis zum 18- April Staatssekretär Brodrick auf verschiedene Einwände, die gegen die den südafrikanischen Republiken gestellten Friedensbe dingungen erhoben wurden. Die Regierung, erklärte Bro- drick, wünsche den Boerenführern die Möglichkeit zu lassen, die Friedensunterhandlungen wieder zu eröffnen, wenn ihnen dieses gut erscheine. Die Regierung wünsche aber gleichzeitig es klar zustellen, daß sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln den Kriegzu Ende führen werde. Schließlich fügte Brodrick hinzu, er könne nur hoffen, daß der Krieg schnell einen ehren vollen Abschluß finde. Die Randmincn. Nach einer Mittheilung der Minenkammer in Transvaal hat Lord Kitchener drei Gesellschaften die Erlaubniß ertheilt, jede für sich 50 S t a m p f w e r k«w i e d e r i n B e t r i« b zu setzen, unter der Bedingung, daß die Minenavbeiter nur einen Tagelohn von fünf Schilling, sowie die Lebensmittel erhalten. Der Rest des gewöhnlichen Lohnes soll zu einem Fonds für die Wittwen und Waisen der während des Krieges getödteten Randbewohner verwendet werden. - Durch diese Bestimmung werden die Minen arbeiter mit den irregulären Truppen auf gleichen Fuß gestellt und eine Unzufriedenheit unter den letzteren nach Möglichkeit verhindert. Alle Minenavbeiter sind aufgefordert worden, sich in die Rand-Rifles einreihen zu lassen. Die den drei Gesell schaften crtheilte Erlaubniß soll allmählich auf sieben Gesell schaften ausgedehnt werden. " Turban, 2. April. Die Boeren haben in der Nähe von Newcastle einen Zug in die Luft gesprengt. Als Campbell's Truppen erschienen, zogen sie sich in die Berge zurück. * Lissabon, 2. April. Der Dampfer „Zaire" mit 317 flüch tigen Boeren ist hier eingetroffen. * Haag, 2. Aprit. Präsident Krüger richtete eine Note an die portugiesische Regierung, in der er gegen die schlechte Behandlung der Boerengefangenen in Louren^o-Marques, sowie während der Ueberführung nach Lissabon protestirt. Er sandte gleichzeitig mehrere holländische Aerzte nach Lissabon behufs Behand lung der Gefangenen, von denen viele krank sind. Der Präsident Steijn befindet sich jetzt im Lager De Wet's. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. April. Sehr bemerkenswerth ist eS, daß die „Kreuzztg." an die Richtigkeit der zwar nicht völlig gleichlautenden, aber im Wesentlichen übereinstimmenden Berichte über die Aus lassungen VeS Kaisers beim Empfange des Präsidiums des preußischen Herrenhauses nicht glauben will und die Behauptung aufstellt, Herr v. Manteuffel sei alsbald nach der Audienz nach Krossen abgereist, ohne sich über den Empfang zu äußern. Dieser Einwand ist, ganz abgesehen von der wesentlichen Uebereinstimmung der Berichte, schon deshalb hinfällig, weil Herr v. Manteuffel nicht der einzige Hörer der kaiserlichen Worte war. Ueberdies ist es vollkommen be greiflich, daß die „Kreuzztg." nicht gern glauben mag, die Stimmung, die in den Auslassungen des Kaisers beim Empfange des AbgeordnetenhauSpräsidiums unverkennbar zum AuSbrucke kam, sei bis auf die Erinnerung verschwunden und es werde „Alles beim Alten bleiben." Hatte doch die „Kreuzztg." gehofft und ersehnt, es werde Vieles anders und in ihrem Sinne besser Werden. Gleich der „Kreuzztg." werden auch die ultramon- tanen Blätter durch die letzte kaiserliche Kundgebung enttäuscht werden; waren sie doch eifrigst beflissen, den Bremer Vorfall und seine Wirkung auf den Kaiser zu Gunsten der klerikalen Schulpolitik auszubeuten. In welcher Weise unv mit welcher Entstellung der thatsächlichen Verhältnisse dies geschah und hier und va noch geschieht, geht am deut lichsten aus dem officiellen Organe der bayerischen CentrumS- parlei hervor, das in seiner letzten Nummer wörtlich schreibt: „Welchen moralischen Halt soll dann die Heranwachsende Generation haben, wenn man ihr schon iu den Kinderjahren den Christusglauben aus dem Herzen reißt oder wenigstens die Religion immer mehr aus den Schulen und damit auch aus dem öffent lichen Leben zu verdrängen sucht?" Diesem AuSrufe geht die Behauptung vorher, daß die Volksschule „religionslos" werden solle. Es bezieht sich also die Klage des bayerischen Cenlrumsorgans offenbar in erster Linie auf die Volksschule. Begründet aber ist sie für die Volksschule so wenig wie für die Mittel- und die höhere Schule. Zumal in Preußen ist zu jeder Zeit, vollkommen unabhängig von der Auffassung deS Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und von der jeweilig die Zeit beherrschenden theologischen Richtung, die religiös-sittliche Erziehung der Jugend als die vornehmste Aufgabe der Volksschule betrachtet und behandelt worden. In der jüngsten Vergangenheit aber hat man nicht nur nicht daran gedacht, die Volksschule „religionslos" zu machen, sondern hat vielmehr dem Religionsunterricht er höhte Aufmerksamkeit gewidmet. Grundlegend für die heutige Volksschule sind die allgemeinen Bestimmungen vom l5. Oktober 1872. Sie setzen fest, daß in der einclassigen Volksschule auf der Unterstufe 4, auf der Mittel- und der Oberstufe 5 Religionsstunden ertheilt werden, während in der mehrclassigcn Schule auf allen Stufen 4 Stunden ge geben werden. Durch Ministerialerlass vom 28. No vember 1883 wurde eine Theilung von 1 oder 2 wöchentlichen RelizionSstundeu in Halbstunden empfohlen, „damit der Unter richt in den Volksschulen mit voller Unterrichtszeit an jedem Wochentage mit Religion begonnen werden könne". Durch Circularerlaß vom 24. Juni 1884 wurde zur Erweite rung deS Religionsunterrichtes angeordnet, daß eine der Lehrstunden, welche die Mittel- und die Oberstufe in der Muttersprache empfangen, auf Bibellesen verwendet werden solle. Durch Ministerialerlaß vom 16. Januar 1892 wurden die Dissidentenkinder zur Theilnahme an dem Religionsunterrichte der Volksschule genöthigt, so fern nicht ausreichender Ersatz für denselben geboten werde. — Wie ist mit diesen Maßnahmen die Behaup tung zu vereinbaren, daß die Volksschule religionslos werben solle? Sie trifft für die übrigen Bundesstaaten ebensowenig zu, wie für Preußen. Den Nachweis für Sachsen brauchen wir nicht erst zu erbringen. Nur betreffs des GroßhrrzogtbumS Baden, das als „liberaler Muster staat" dem Klerikalismus besonders verhaßt ist, sei angemerkt, daß für die NeligionSlehre 5—6 Stunben festgesetzt sind. Etwas mehr Religionsunterricht als in Preußen wird aller dings in der bayerischen Volksschule ertheilt, nämlich 6 Stunden auf allen Stufen. Daß infolgedessen die Achtung vor der Autorität in Bayern besonders groß sei, kann aber beim besten Willen nicht gesagt werden. Im Gegentheil weiß man auS der Criminalstatistik, um wieviel zahlreicher Fsrtillaton. A Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck vrrboteu. Der Leutnant stutzt einen Augenblick; dann sagt er langsam: „Na ja, auch dazu ist man gut. Und jetzt —" hier richtet er sich lebhaft auf — „jetzt hab' ich's. Danke dem Herrn Haupt mann für das Kanonenfutter. Zwar schauderhaftes Wort, in- dessen — egal! Kanonen — Granaten — Jdeenvervindung liegt so nah« — ich hab's. Er hatte eine scheußliche Verwun dung weg, da drüben, am achtzehnten, bei Saint-Hubert — hört's nachher — und Sie, Herr Stabsarzt, hätten ihm die Äugen zugedrückt." „Bon wem reden Sie denn nur?" fragt der Hauptmann, während Weber, ohne eine Miene zu verziehen, den Sprecher an schaut. „Hauptmann von Oertel hieß er, war für einige Zeit zu unserem Regiment commandirt. Merkwürdiger Mensch! Mein Gott, Sie erinnern sich doch, Herr Stabsarzt?" Weber nickt, gleichmüthig. „Die Augen brauchte ich ihm freilich nicht zuzudrücken, aber in meiner Gegenwart ist er gestorben." Der Premier hat den Kneifer wieder auf seiner Nase be festigt; die Hände in den Hosentaschen, die Bein« weit von sich gestreckt, wiegt er das hellblonde Haupt. „Also richtig! Aber ich sage nur immer, was auch des gefallenen Oertel Leib- und Magenwort war: o'est la ^uerre! Dies einfach märchenhafte Zusammentreffen, dieser letzt« Liebesdienst an einem unversöhn lichen Feinde! Er war nämlich miserabel auf unfern Stabsarzt zu sprechen, der Herr von Oertel. Erzählte mir 'mal 'ne grausig« Geschichte, al« ich mit ihm im Quartier lag. Liebeskram, Duell — wer weiß, was Alles! 's war, um's Romanschreiben zu kriegen." „Um Gottes Willen!" ruft der Major. „Sie werden doch nicht?" „Ich? Keine Brsorgniß! Sollte nur so'ne — Donner wetter, wie nennt maiLs doch? Ellipse — Parabel — Hyperbel —" „— und Kreis, die stammen vom Kegel, wie Jedermann Weiß", ergänzt der Major. „So heißt es im Liede. Wissen Sie was, bester Pfungstädt? Reden Sie deutsch! Also — es sollte nur so 'ne —" „Na ja, so 'ne Parabel sein, meine colossal romantisch an gewehte Stimmung zu illustriren. Aber — Pardon, Herr Stabsarzt, ich werde indiscret." „Nicht im Geringsten", antwortet Weber mit unerschütter lichem Gleichmuth. „Was Sie erzählten, war mir völlig un verständlich." „Hahahaha!" Der Major und der Hauptmann haben zugleich diese Lach salve losgelassen. Verdutzt sieht der Premier von Einem auf den Anderen. „Herr Stabsarzt verstehen nicht Sind Sie denn nicht jener Doctor Weber, von dem Oertel sprach? Hatte Sie immer fragen wollen und stets im richtigen Moment vergessen, was eigentlich los war. Man hat ja heutzutage so unmenschlich viel im Schädel —" „Daß man darüber vergißt, welch' ganz vulgären Namen ich trage." „Ah! Bitte tausendmal um Pardon! So weiß ich doch jetzt, daß Sie's nicht sind, bester Herr Doctor. Wäre übrigens auch nicht schlimm gewesen, wenn ich bei Ihnen vor die richtige Schmiede gerathen wäre; denn dieser Oertel — er war ein un heimlicher Gast, muß toll gelebt haben. Na, Pardon! Vs mortum uil M8si deuo. Und ich muß gehen." Der Premier erhebt sich, leert mit einem zweiten langen Zuge sein zweites Glas und schlägt di« Hacken zusammen. „Empfehle mich, Herr Major — Herr Hauptmann — H«rr Stabsarzt." Die Officiere sehen ihm lächelnd nach. „Ein drolliger Hecht, Ihr langer Pfungstädt", sagt der Major. „Ein böser Kerl ist er nicht. Blos beim Pulvererfinden un- betheiligt gewesen", entgegnet Körber. Weber sagt gar nichts. Er ist sehr ernst und noch stiller ge worden, als zuvor. Währenddessen tübte auch in Karnin ein Krieg. Nicht der männerinordende, Throne umstürzende und aufrichtende, wie auf französischem Boden, sondern der wohl auch einer guten Dosis frischen Muthcs, aber zugleich einer nicht geringeren über- miithigen Rauflust entsprossene unter der Schuljugend. Zuerst war es harmloses Spiel, bi« aus Scherz Ernst wurde, als Ulrich Fetthenn« wegwerfend erklärte, mit Schülern der ge meinen Stadtschule, von denen sich nach und nach einige den „Lateinschen" angeschloffen hatten, spiele er nicht weiter, und die Schaar der Verschmähten die Werbetrommel rührte zum Kampf gegen die Lateiner, die sammt und sonders für Franzosen er klärt wurden. Rudolf Lammert hat zunächst so wenig wie Heini Flügge an den Scharmützeln theilgenommen, bis er eines Abends am Schlachtfeld vorüberkommt. Hohnrufe auf beiden Seiten: gegen Heini Flügge, den man hüben gern zum Führer gewählt hätte, gegen Rudolf, der drüben, d. h. bei den Lateinschen, wegen seiner Freundschaft mit dem Plebejer Flügge gehänselt wird. Und dec lauteste Schreier, wie immer, Ulrich Fetthenne. „Der Oger! Gieb ihm eins, Klaus Wegner!" Klaus Wegner ist ein stämmiger Bursche und mit Rudolf Lammert gleichaltrig; dennoch getraut er sich nicht recht heran. Denn wenn auch Rudolf unthätig dasteht, die Hände in den Taschen, so droht sein Blick doch deutlich genug. Ulrich Fetthenne führt vor seinen Augen eine Art Jndianer- kriegstanz auf. „Der Oger hält es mit dem Plebs, Rückwärts geht er wie ein Krebs" singt er ihm ins Gesicht, hat aber die Rechnung ohne Heini Flügge gemacht, der ihm unversehens eine Ohrfeige verabreicht, so daß sein erster Griff der mißhandelten dicken Wange, sein erster Schritt wie noch viele andere dem schützenden Wall der Kame raden gilt. Die erheben lautes Geschrei, Klaus Wegner ist hinter ihm her und greift ihn beim Kragen: „Wieder vorwärts, Ulrich! Wir geben's ihnen!" „Vorwärts!" schreit der Haufe der Mitschüler. Der Oger hat während der paar Augenblicke einen harten Kampf ausgefochten mit sich selbst. Nun ist die Zeit der Ueber- legung vorbei. „Komm mit!" raunt er Heini zu, und wie ein Wirbelwind fliegen die Beiden über den Kies des Kirchplatzes der nahen Stadtmauer zu, mitten in den Knäuel der erwartungsvoll drein schauenden Volksschüler. „Wollt Ihr uns haben?" stößt Rudolf Lammert hervor. Ein allgemeines Hurrah ist die Antwort. „Dann auf die Andern!" So treffen sich die feindlichen Colonnen, bilden balv einen dichten Knäuel einzelner Kämpfender, schreien, heulen, stoßen ... In gemessener Entfernung vom dichtesten Puffregen hält sich Ulrich Fetthenne, und doch hätte er so gerne seinem Mitschüler Rudolf eins „ausgrwischt", und weil das psr ckistsnee nur mit einem Geschoß möglich, so hebt er mit raschem Griff einen der eigroßen runden Kieselsteine, an denen hier kein Mangel. Im Werfen ist er Meister, und — hurrah! Der saß! Steinwerfen ist verpönt, aber dies hat ja Keiner gesehen, und zum Ueberfluß entfernt der Tapfere sich noch weiter vom allge meinen Tummelplatz, wendet einen Augenblick den Erregten den Rücken und pfeift ein Lied, sich selbst Muth zu machen. Keiner hat'S ja gesehen. gerade in Bayern diejenigen Vergehen und Verbrechen sind, die einen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Mißachtung gegenüber dem Leben des Nächsten involviren. Gerade ein bayerisches Centrumsblatt müßte deshalb doppelt vorsichtig sein, sobald eS das Wort zur Propaganda für klerikale Schul politik ergreift. Im Uebrigen mag sich dieses Blatt sammt ver „Kreuzztg." beruhigen. Auch wenn „Alles beim Alten" bleibt, wird es den klerikalen Bäumen nicht an Nahrung und Sonne fehlen. Der bayerische Finanzminister von Riedel hat Ende vorigen MonatS in der m München tagende», von den beiden bayerischen Kammern gewählten StändehauS-Bau- commission erklärt, die finanziellen Verhältnisse des Reiches seien so schleckt geworben, daß nicht nur die früheren langjährigen Ueberweisungen des Reicks aufgehört hätten, sondern zur Tilgung der Reichsscbulden jetzt auch die Matricularbeiträge herangezogen werden sollte«. Die bayerische Regierung wehre sich dagegen zwar energisch, doch sei e« zweifelhaft, ob sie mit ihrchn Proteste durchdringen werde. Diese Zweifel erscheinen nur allzu begründet. Damit eröffnet sich aber auch für 'die anderen Bundesstaaten ein wenig erfreulicher Ausblick. Wenn der bewährte und umsichtige langjährige Leiter der bayerischen Finanzen derartigen Bevenken AuSvruck verleiht, um wie viel mehr werden diejenigen kleinen und mittleren Bundesstaaten in Mitleidenschaft gezogen werden, deren Finanzlage ohnedies schon eine schwierige ist. Daß die Finanzlage des Reiche« auch auf Sachsen zurückwirkt, wird sich zweifellos in unerfreulicher Weise beim Zusammentritte unsere« Landtages offenbaren. Die Ansprüche, die an die Steuerkraft des Landes zu stellen sind, dürften infolge der erhöhten Bedürfnisse des Reiches nicht unerheb lich höher als früher sein. Hoffentlich führen diese Ansprüche wenigstens dazu, daß die königl. sächsische Regierung in Ver bindung mit den Regierungen Bayerns und der Kleinstaaten energisch auf eine Reichsfinanzreform hindrängt, die, wie wir im nächsten Morgenblatte eingehender darzulegen uns Vorbehalten, unbedingt nöthig ist, wenn nicht durch fort gesetztes Zurückgreifen des Reiches auf die Einzelstaaten diese in eine geradezu unerträgliche Nothlage versetzt werden sollen. Die Wiener „Polit. Corresp." schreibt: „Aus Pari« geht unS folgende, auf Aeußerungen competenter Persönlich keiten beruhende Mittheilung zu: Der günstigeren Gestaltung des Verhältnisses zwischen Frankreich und Italien ist von einem Theile der öffentlichen Meinung eine Tendenz zu geschrieben worden, die ihr nicht innewohnt und nicht in den Absichten der französischen Staatslenker gelegen ist. Schon mit der Darstellung, als ob die Beziehungen zwischen Paris und Rom erst mit der Berufung de« CabiuetS Zanardelli ein thatsächlich freundlicheres Gepräge an genommen hätten, ist man in ein falsches Gl«S ge rathen, da diese Wandlung vielmehr seit der Ueber- nahme der Leitung der auswärtigen Politik Italien« durch den Marchese ViSconti-Venosta eingetreten ist. E« entspricht den aufrichtigen Wünschen der französischen Regierung, wenn der Verkehr zwischen den beiden Staaten immer mehr den Charakter der Freundschaftlichkeit und des gegenseitigen Vertrauens annimmt, unv man hält es > für eine unanfechtbare Auffassung, daß ein solcher Zu- I stanv die Garantien für die Dauerhaftigkeit de« euro- I päischen Friedens vermehrt. Durchaus ungerechtfertigt ! wäre jedoch die Vermuthung, daß man an den maß- Keiner? Warum denn dies wilde Schnauben hinter ihm? Warum hat Rudolf seinen Gegner Klaus Wegner plötzlich frei gegeben und ist nun hinter Ulrich her, sprühende Kampflust im Auge, prickelnde in der Faust? Warum dies: „Feige Memme!" und dann dies Anstürmen gegen ihn, den harmlosen Ulrich Fett henne, dies „da!" und „da!" und „das für Dein hinterlistig Steinwerfen" und „das für den Oger" und „bas für meine zwei Stunden Brummen bei Stadler — da!" Und bei jedem „da!" und „das" ein Hieb, ein Puff, eine Ohrfeige, und zuletzt «in kurzes Ringen, bis mit einem lauten Aufschrei Ulrich's Kopf auf den harten Kies schlägt. Dann ist's genug. Der Schrei hat Alles übertönt; die Parteien lösen sich. Rudolf wischt sich mit dem Taschentuch« das Blut vom Munde, den Ulrich's Stein getroffen hat. Dann winkt er Heini Flügge, mit dem er langsam abgeht. Die Uebrigen folgen seinem Beispiel, Einer nach dem Andern zerstreut sich. ,,6'est la xusrre!" hätte der Premier von Pfungstadt auch hier sagen können. Mitarbeit der Jüngsten an der Zeitgeschichte. Der dicke Ulrich liegt noch da, regungslos; ein« klein« Wunde am Hinterkopf färbt die Steinchen des Kirchplatzes roth, und Klaus Wegner und den drei anderen Jungen, die bei ihm ge blieben sind, wird bänglich zu Muthe. „Ich glaube, daß er stirbt", flüsterte der Jüngste de« viere blättrigen Kleeblatts und zitterte dabei. Seine Kameraden sehen einander an. „Dann hat's der Oger in Schuld!" sagt Hans Fiedelkorn, des Stadtschreibers Aeltester, „und man muß es der Polizei sagen." Als Sohn seines Vaters weiß er Bescheid, weshalh Klaus Wegner nickt: „Lauf hin!" Und er läuft. Schneller noch als er läuft aber durch alle Straßen und Gäßchen Karnins und von Herd zu Herd, von Brunnen zu Brunnen das entsetzliche Gerücht: Der Oger hat Ulrich Fetthenne, dem Herrn Senator Fetthenne seinen Sohn, todtgeschlagrn — nein, hinterrücks todtgeschlogen — nein, er stochen — nein, mit einem Schmiedehammer hat er ihm den Schädel gespalten; das Gehirn spritzte nur so- Und dann rennt das nach dem Kirchplatz und bemängelt di« Polizei, di« längst schon hatte, zumal in der Abendzeit, für bessere Bewachung des wüsten Platzes, an dem ja nur «in paar kleine Häuser stehen, sorgen sollen, und umsteht des Oger's Opfer, das von einem jammernden Vater in einen Wagen gehoben wird, und urtheilt, daß Fetthennen Ulrich zwar noch nicht ganz todt sei, aber wohl schwerlich den kommenden Morgen erleben werde. Nach solchem ziemlich allgemeinen Beschluß geht man naH
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