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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010404021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901040402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901040402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
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April 1901 Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbrsörderung .XL 00.—, mit Postbesürderuug ^l 70.—. 'cip)igcr TngMM Anzeiger. ÄrnlsUaü des Königlichen Land- nnd Nmisgerichies Leipzig, des Rathes und Nolizei-Äintes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 7b H, vor den Familiennach' richten («gespalten) SO H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend hoher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (»xcl. Porto). Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end «Ausgabe: Bormittag« IO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei de» Filialen und Annahmestellen je «in» halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Die Wirren in China. Da« mandschurische Ucbereink«mmeii. Eine der „Polit. Corresp." von Londoner japanischen Kreisen zugehende Mittheilung bekämpft neuerdings die An sicht, welcher zusolge sich der durch daS russisch-chinesische Uebereinkommen bezüglich der Mandschurei zwischen Japan und Rußland entstandene Gegensatz bis zur Kriegsgefahr zugespitzt hätte. Der japanischen Diplo matie erscheine die Lage in Ostasien durchaus noch nicht als derart gespannt. Unleugbar sei allerdings, daß die in Japan herrschende Erregung einen hohen Grad erreicht habe. Um diese Empfindungen der Japaner zu be greifen, müsse man sich vergegenwärtigen, daß daS japanische Volk den Verzicht auf die Halbinsel Liaotung und den Theil der Mandschurei, welchen die Japaner im Kriege gegen China besetzt hatten, dem Marquis Ito, der auch zu jener Zeit die Politik deS Reiches leitete und dessen damaliges Verhalten von den nüchtern urtheilenden Politikern gewiß als staatSklng anerkannt wird, bis heute nicht verziehen und den Verlust dieses Preises für die Opfer Japans an Gut und Blut nicht verschmerzt hat. Durch den Umstand, daß es gerade ungefähr dieses mandschurische Gebiet ist, auf welches Rußland seine Hand gelegt hak, seien die VolkSleidenschasten in Japan zu großer Hitze ge bracht worden, und e« wäre keiner Regierung möglich, sich der Rücksichtnahme auf diesen Zustand der öffent lichen Meinung des Lande« zu entziehen. Diese Erwägung dürfe aber nicht zum Uebersehen der Distanz verleiten, die, wie überall in ähnlichen Lagen, auch diesmal in Japan zwischen dem unruhigen Drängen der patriotisch erregten, zum Theile von Chauvinisten aufgehetzten Bevölkerung und den zu ruhigster Prüfung solch ernster Fragen verpflichteten Staatslenkern besteht. Die weitere Ent wickelung der durch den erwähnten Vertrag aufgeworfenen Frage lasse sich zur Zeit noch nicht vorauSsehen. Beachtens- werth sei es, daß ein japanischer Diplomat in einem Gespräche auf die Bemerkung, daß Japan sich nach einer viel verbreiteten Bermuthung gegenüber den Wirkungen der russischen Action in der Mandschurei durch ein ähnliche- Vorgehen in dem leinen oder anderen Theile OstasienS schadlos halten dürfte, erwiderte, diese Annahme entspräche allerdings dem „oommon sense". Der Krieg in Südafrika. Gefangene Boeren aus Tt. Helena. Reuter's Correspondent in St. Helena berichtet in einem vom 0. März datirten Brief folgende Einzelheiten über die dort gefangen gehaltenen Boeren: Alle Wochen bringt ein Dampfer große Mengen von Schlachtvieh, von dem acht bis zehn Stück täglich für die gefangenen Boeren und die Garnison geschlachtet werden. In der ersten Woche deS März hat man begonnen, einige der Gefangenen beim Löschen der Dampfer und besonders beim Ausladen deS Schlachtviehs mithelfen zu lassen, da der Arbeitermangel sich sehr fühlbar macht. Zwei oder drei der Kriegsgefangenen sind gestorben; einer starb eines plötzlichen Tode» und wurde eine« Tage« todt im Lager gefunden. Im Hospital sind wenig Patienten und die dort befindlichen leiden nur an vorübergehenden Krankheiten. Die Gesundheit von Cronje's Frau hat Manches zu wünschen übrig gelassen, eS ging ihr aber, als der Brief abging, wieder besser. Sie war infolge der Besorgniß um daS Befinden ihrer in Transvaal zurück gebliebenen Verwandten sehr bekümmert und das hatte ihren Geisteszustand etwas beeinflußt. Einige Todesfälle in ihrer Familie hatten den Zustand vorübergehend verschlimmert. General Cronje geht es selbst gut, er ist aber um den Zustand seiner Frau besorgt. Der starke Regen, der Ende Februar und Anfang März siel, that dein Lande sehr wohl, da der Mangel an Wasser in Deadwood sich schon sehr fühlbar machte; man batte schon mehrere neue Röhren legen müssen, um überhaupt das nolbwendige Wasser zu erlangen. Die Gefangenen thun, was sie können, um ihr Bestes aus ihrer Lage zu machen. Einige haben sich Läden eingerichtet, in denen sie selbstgesertigte Limonade und der gleichen feilbieten und natürlich guten Absatz finden. Sie haben unter anderem auch ein Restaurant gegründet. Ferner haben sie einen dramatischen Verein gebildet, dessen von Zeit zu Zeit stattsindende Unterhaltungen stets „auSver- kauft" sind. Einmal wurde zu einer dieser Vorstellungen sogar der Gouverneur eingeladen, der aber infolge von Un wohlsein nicht erscheinen konnte. Er ist inzwischen zur Wiederherstellung seiner Gesundheit auf Urlaub nach Eng land gefahren. Mit größerem Interesse sah man in St. Helena der allgemeinen Volkszählung entgegen, die dort am 1. April stattfand. Zur Zeit Napoleon'S hatte die Insel nur 6000 Einwohner, jetzt hat sie aber bereits mehr als das Doppelte. * London, 4. April. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" berichtet unter dem 3. April au« Naauwpoort: Dem Vernehmen nach überraschte eine englische Abtheilung ein Boeren- lager bei Landdrift. Die Boeren flohen, indem sie 300 Pferde, owie Waffen und andere« Kriegsmaterial zurückließen. * London, 3. April. Das Kriegsamt giebt bekannt, daß nach dem 30. April sechs Milizbataillone einberusen werden sollen. * Capstadt, 3. Avril. Tie Gesammtrahl der bis jetzt hier vorgekommenen Pcstfällc beträgt 315. An der Pest gestorben sind 107 Personen, darnnter 22 Europäer. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. April. In einer Zeit, in der die Erklärung des Kaisers, er habe die Ueberzeugung gewonnen, daß seit dem Tode Kaiser Wilhelm'S I. die Ach lung vor den Autoritäten im Volke, namentlich in der Jugend, abgenommen habe, alle Kreise bewegt und zu Erörterungen der Fragen, ob eine solche Ab nahme wirklich bemerkbar und auf welche Ursachen sie event. zurückzusühren sei, drängt — in einer solchen Zeit muß eine im Verlage von Hermann Costenoble in Jena erschienene Schrift „Die Soctaldemotratie im Heere", besonderes Aussehen er regen. Sie stammt von einem Officier, dem die Münchener „Allgem. Ztg." auf Grund eines eingehenden Studiums seiner Arbeit das Zeugniß ausstellen zu müssen glaubt, daß er mit genauer Detailkenntniß „eine Fülle treffender Beobachtungen, Folgerungen und origineller Ideen, frei von Ueberschwang, Schwarzseherei und Phrase", an dem Auge deS Lesers vorüberziehen lasse. Den Inhalt faßt die „Allgem. Ztg." folgendermaßen zusammen: Das 1. Capitel zeigt uns, wie „der socialistische Geist im Schass- gewande" geräuschlos und darum unbemerkt und sicher in der Armee seinen Einzug hält und sich in ihr behaglich rinnislet. Während man nach offener und direkter socialistischer Agitation fahndet, vollzieht sich ganz in der Stille eine Umwandlung im socialistischen Sinne durch den Umgang mit dein städtischen Element, dem überall, auch da, wo es in der Minderzahl sich befindet, ver möge seines selbstbewußten Auftretens die geistige Leitung und Führung im Kameradenkreise zufallen muß. Im 2. Capitel wird uns geschildert, wie durch „die Aus- schließung jeder politischen Aufklärung" aus der soldatischen Erziehung, durch die ängstliche Vermeidung jeder An spielung seitens der militärischen Vorgesetzten auf den Geist, den sie bei ihrer Erziehungsarbeit doch in erster Linie zu bekämpfen haben, veranlaßt durch die Rücksicht auf die im Reichstag oder den Einzellandtagen andernfalls in Aussicht stehenden Anzapfungen, jede Gegenwirkung gegen das Eindringen des Socialismus unterbunden ist; wie die maßgebenden Kreise in ihrer unzuläng lichen Auffassung vom Wesen socialistischer Propaganda im Heere übersehen, daß die von dec Parteiführung als „unpraktisch sür das Heer befundene und daher unbefolgte offene Agitation" eben aus dem Grunde unterbleibt, damit der ungestörten Aus breitung des socialistischen Geistes nicht entgegengewirkt werde, der jährlich durch die Recrutirung ganz allmählich und stillschweigend in das Heer getragen wird und „schon ganz deutlich die Sprache seines Daseins spricht, indem er in stetS zu- nehmendem Maße seine Beschwerden und Anliegen unter Um gehung der Vorgesetzten bei den Vertretern des Socialismus im Reichstag und in der Presse anbringt". Wir erkennen, wie diesem stillen, „im Schassgewande im Heere einhergehenden Socialismus" auf keine Weise die Wege besser geebnet werden, als durch „die bisher in der Armee geübte Praxis mit ihrer Scheu vor mann- haster Nennung, Belehrung und rücksichtslosem Kampf". Das 3. Capitel behandelt „das Hinschwinden der Freudig, keit zum Heeresdienst" und nennt als Hauptursache den so- genannten Paradedrill, der nach alier Zeiten Sitte durch Griffe, Exercirmarsch und automatische Bewegungen den Soldaten zur geist losen Maschine berunterdriicken will, in dem tief eingewurzelten Glauben, daß lediglich im Paradeexerciren der Weg zur Erziehung, Disciplinirung und zur kriegerischen Tüchtigkeit der Armee, wie früher so auch jetzt zu finden sei, während sich doch die Verhältnisse mittlerweile gänzlich geändert haben. „Denn nicht nur die Fecht- weise gegen Len äußeren Feind ist eine ganz andere geworden, sondern der künigstreue Soldat hat jetzt im Heere selbst und im Volk einem höchst gefährlichen Feinde gegenüber zu treten, wozu er einer ganz eigenartigen und neuen Tisciplin bedarf." DaS 4. Capitel spricht dann ausführlich über die bekannten Gegensätze „Dressur und Erziehung" und führt überzeugend aus, daß „durch Gewalt und Zwang sich Lust und Liebe zum Berufe, freudige und hingebende Disciplin, Patriotismus und Ehr- gefühl nicht anerziehen lassen." Die Capitel ü, 6 und 7 sind mehr fachmännischen Inhalts, bei ihrer Lectüre wird aber vielen braven Berussosficieren die Seele er leichtert, da sie dort ihre eigenen Gedanken wiedergegeben finden. Capitel 8 legt die Axt an die Wurzel des Nebels, indem es dem „schädlichen Hochdruck und seinen Folgen" zu Leibe rückt, als deren schlimmste der krankhafte Besichtigungs trieb in treffendster Weise gegeißelt und in seiner das Scheinwcsen begünstigenden Hohlheit und Oberflächlichkeit bloßgestellt wird. Gerade dieser, dem militärischen Wesen allein vor Allem eigenthümliche un gesunde Trieb schasst eine schwüle dienstliche Atmosphäre, in der die wahrhaft soldatischen Tugenden: Wahrhaftigkeit, Gediegenheit, Pflichttreue, Selbstbewußtsein, männlicher Stolz und Muth, Lauterkeit des Strebens, unrettbar verkümmern müssen. Ein Glück für die Armee, wenn es ihr gelingt, ihn auSzumerzen Capitel 9 bekämpft BureaukratiSmuS und Schreib unwesen und im 10. Capitel endlich kommt der Verfasser zu sehr ernsten Schlußbetrachtungen: Er warnt die Officiers- kreise vor Selbstüberhebung und Selbstbewunderung, indem er an 1806 erinnert; er beklagt die Zurücksetzung deS praktisch gebildeten Frontosficiers gegenüber dem theoretisch geschulten Generalstabsofficier, die einseitige Bevorzugung kriegSwissenschaft- licher Thätigkeit und des Bureaudienstes vor dem praktischen Frontdienste. Es führt das s. E. zur Auslieferung aller höheren Führerstellen an praktisch minder geschulte Leute, denen der rechte Blick fehlt sür Das, was in den Leistungen wirklich gut und schleckt ist, die vor Allem aber durch ihre größtrntheils außerhalb der Front genossene Vorbildung die Fühlung verloren haben mit der Seele des Volkes im Heere und daher auch nicht im Stande find, Mittel und Wege zu finden, um sie vor dem gefährlichsten Feinde in unserer Zeit, dem socialistischen Geiste, zu behüten. „Ebenso, wie zur Bekämpfung des äußere» Feindes das Studium seiner Armec-Einrichtungen und seiner Sprache nothwendig ist," bemerkt der Verfasser u. A. „ebenso unerläßlich ist auch dem im Heere versteckten Feinde gegenüber das eingehende Studium seiner Taktik und seiner uns sonst unverständlichen Daseinssprache. . . . Fahren wir also nicht fort in der einseitigen Erziehung unserer Führer zu Taktikern und Strategen im äußeren Kampfe, sondern schassen wir uns auch praktische Führer zur Er- ziehung des Volkes im Heere. . . . Zuerst ist ein Heer zu erziehen, das in jeder Lage und gegen jeden Feind die schön auSgearbriteten Operation?- und Schlachtbefehle auch befolgt. . . . Machen wir uns frei in der Armee von dem einseitigen Studium rein mili tärischer Wissenschaften. Pflanzen wir in die Officiercvips auch den Geist hinein, der sich mit den socialpolitischen Ver hältnissen und mit dem Leben unseres Volkes aufs Innigste vertraut macht." Angesichts dieser Inhaltsangabe wagen wir es nicht, in das allgemeine Urthcil der „Allgem. Ztg.*, daß der Ver fasser ohne „Schwarzseherei" schildere, eiazustimmen. Zweifel los aber urtheilt er nicht zu scharf, wenn er die Thatsache, daß die socialdemokratisch insicirten Soldaten „in stets zunehmendem Maße ihre Beschwerden und Anliegen unter Umgebung der Vorgesetzten bei den Vertretern deS Socialismus im Reichstag und in der Presse anbringen", ein sehr bedenkliches Symptom erblickt. Und solche Symptome scharf und klar ins Auge zu fassen, ist jedenfalls die Pflicht Aller, denen die Zukunft des Vater landes am Herzen liegt, ganz besonders der militärischen Autoritäten, die auch allein in der Lage sind, die Durchführbarkeit und Zweckmäßigkeit der von dem Verfasser in Vorschlag ge brachten Mittel zur Abwendung einer ernsten Gefahr zu prüfen. Hoffentlich läßt eine solche Prüfung nicht lange auf sich warten, denn wie auch immer daS fachmännische Urtheil über die Schrift ausfallen möge: ignoriren läßt sie sich eben- sowenig, wie mit wenigen Worten abtbun. Fauilletsn. Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. NaLt-uck verLotra. Wie er sie an alte Zeiten erinnert, die sie so gern hätte vergessen mögen! An di« Zeit ihrer ersten unglücklichen Ehe, an den Berrath, den ihr Gatte an ihr verübte, als 'die jugend frische Keckheit, die Grazie und Lebhaftigkeit ihrer Cousine Hor tense — ihr« Mutter war «ine Französin gewesen — ihm m«hr galt, al« der nüchtern abwägende Sinn der angetrauten Gattin; an all' die Widerwärtigkeiten, die ihre Scheidung von jenem Manne mit sich brachte, an den Klatsch, der sich daran knüpft«, untd sie später dazu trieb, dem ebenso ehrenhaft wie vorurtheils- frei denkenden Gymnasiallehrer Lammert ihre Hand zu reichen — ohne rechte Liebe. Nur hinaus aus den drückenden, peinigenden Verhältnissen daheim — das war die erste Bedingung, Vie sie dem Nachgiebigen, leicht Beglückten stellte; hinaus, sobald sich eine Gelegenheit fattd, und so weit weg vom Rhein als gerade mög lich. Und die zweite: Kein Mensch sollte erfahren, daß ihr Kind Rudolf nicht auch sein, Johannes Lammert's Kind sei. Sie hatte die Ruhe so nöthig und wollte sich vor neuem Gerede schützen. Mühe hatte es gekostet, aber eS war gegangen. Kaum Einer in Karnin wußte um Rudi's Herkunft, er selbst am wenigsten. Deshalb ihre Härte, als er sie neulich mit der Frag« bestürmt hatte: Warum bin ich nicht wie die Anderen?" Sie hatte eS ja all di« Jahre hindurch mit steigender Angst beobachtet, wie «r sich entwickelte alt immer treueres Ebenbild seines Baters, deS Körpergewaltigen, jäh Aufbrausenden, deS — Elenden. Und nun sollte sie die Tochter derselben Person, die ihn zum Frevler an der Gattin gemacht hatt«, die Tochter Hortensen«, bei sich auf nehmen! Seinen Sohn al« erste und die Tochter seiner leicht- fertigen Geliebten unck de» tollen Oertel al» zweit« Geißel sich aufbürden? — Sie hatte Wokf von Oertel kaum so weit gekannt, um zu wissen, daß er «in leichtsinniger Lavalier war. Er schien gestorben zu sein, wie er gelebt hatt«: seine Bürd« getrost auf ander« Schultern ladend. Da« sah ihm ähnlich. Langsam faltet sie da» grob« Papier noch einmal auseinander und betrachtet die Photographie, die darin ltegt. Hortensen! Kind! Dieselben Augen haben ihr dereinst den Gatten abspenstig gemacht; solche Locken, nur reicher, üppiger, haben sich um seine Stirn grringel» — oh, di« Qualen, die sie damal» au»g«stand«n, vor fünfen Jahren, die Qualen heimlich gährrndrr Eifersucht, die dann endlich losbrach, wie ein Vulkan! Das einzige Mal vielleicht in ihrem Leben, daß sie heftig ge worden war. Und er? — Mit der Miene gekränkter Unschuld hatte er sich von ihr abgewandt, kaum ein Wort auf ihre An klagen erwidert, sie gewähren lassen — ohne den Verkehr mit Hor tense aufzugrben. Bis es dann dahin kam, wohin er wollte: zur Scheidung. Seit der Zeit hat sie ihn gehaßt und eine wilde Freude empfunden, daß bald nach Lösung seiner Ehe Hortense ihn fahren und sich die Huldigungen des „tollen" Oertel gefallen ließ; daß damals des Letzteren Kugel im unvermeidlichen Duell ihn nicht tödtete; daß er am Leben blieb, um zu sehen, wie ihre Lieb« ein«m Anderen gehörte, nachdem sein Sohn ihm genommen und ihr, der Geschiedenen, zugesprochen war . . . Sie fährt leise mit dem Finger über das Porträt. Das sind die Locken, die Augen — die falschen — Hor tensens — — Und die soll sie nun nm sich sehen, täglich, stündlich? „Nein! Nein! Sie ist hart geworden in des Lebens Schmiede. Stahlhart. Sie will nicht. Sie hat genug an stimm Kinde, bedarf nicht noch des ihren. Noch sitzt sie eine Weile mit brennenden Lidern da. Endlich steht sie langsam auf, öffnet den alten Sekretär ihres seligen Mannes, faltet Bild und Brief zusammen und l«gt Beides auf den Grund eines kleinen Schubfaches, das sie sorgsam ver schließt. Sie fährt mit der Hand über die schmerzenden Augen. Ihr ist so müde . . . Dann reckt sich ihre Gestalt; ihre matten Züge nehmen wieder di« alt« eherne Starrheit an; mit gemessener Geschäftigkeit han- tiren ihre bag«ren Hände im Zimmer. Da, neben dem Ofen, hat sich bei deS Rectors Besuch der Teppich ein wenig verschoben; sie glättet die Falte, zupft das Tischtuch glatt, rückt ein paar Stühl« zurecht, nestelt an ihrem Schürzenbande, in dem sich rin paar der daran hängenden Schlüssel gefangen haben Frau Sophie Lammert liebt eben die Ordnung. Zuletzt geht sie langsam in die Küche. Von den folgenden Wochen wäre nicht» Wesentliche» zu be richten, al» daß Rudolf Lammert, zwar wrnn möglich, noch der- schlossemr al» zuvor, dennoch nichts hervorragend Schändliches vollführtr, außer daß er ab und an hetmltch von Hause fort und mit dem Flügge'schen Geschwisterpaare durch Busch und Haide strich, und daß bei Wiederbeginn deS Unterrichts Rector Grauhecht der Morgenandacht die Stelle 1. Petri 3, D. 9 zu Grund« legt«: „Vergeltet nicht Böse« mit Bösem, oder Schelt- wort mtt Scheltwort", daß er nach Verlesung der Schriftstrlle unter etndrtnglicher Ermahnung zur Verträglichkeit rin paarmal forschend nach der Ecke lugte, in welcher der Oger sich über sein Gesangbuch bückte, daß aber trotzdem keinerlei Beziehungen zwischen ihm, dem Oger, und Ulrich Fetthenne angeknüpft wur den. Weder im Guten noch im Bösen. Aber das reichte ja für bescheiden« Anforderungen schon hin, und in einer späteren gelegent lichen Konferenz mußten Rector und Lehrercollegium mit einiger Verwunderung gestehen, das Verhalten des Tertianers Lammert gebe zu ernsten Bedenken keine Veranlassung. Ja — bald geschah das Ungeheuerliche, daß der Oger gerade zu gelobt wurde. Freilich nur vom fünften Rad am Lateinschul karren, von Herrn Meusler, dem Lehrer für Naturwissenschaften. In Doctor Friedrich Schmücke's Hochachtung stieg Rudolf Lam wert dadurch nicht, aber — es war doch immerhin ein Fach, in dem er sich nicht unbrauchbar zeigte. So gina's langsam mit ihm vorwärts. Sehr langsam, so daß sein Bruder Johannes schon zu Stettin in die stolze Prima aufrückte, al- Rudi nach Obersecunda verseht wurde. Daß er es überhaupt so weit brachte, das lag noch dazu — der Wahrheit die Ehre — zum geringeren Theil an ihm selber. Es ist «ine wahre Crux, den jungen Menschen zu unterrichten; denn «ine größere Theilnahmlosigkeit gegen die Schönheiten der klassischen Literatur ist mir noch nicht vorgekommen, versicherte Doctor Sckmücke einmal über das andere, und nicht viel besser lautete, Herrn Meusler ausgenommen, das Urtheil Anderer. Dabei war Rudolf in stimm Verhalten gegen Lehrer wie Mitschüler von der Verschlossenheit zur Verbissenheit gekommen. Sie — Lehrerkollegium wie Lateinschüler — ahnten ja nicht, wie furchtbar in dem Jüngling das gährte, was angeborener Starrsinn, Mißachtung und falsche Behandlung in dem Knaben zu dämonisch unheilvoller Entwickelung gebracht hatten. Ahnten auch nicht, wie leidenschaftlich der Vereinsamte jetzt, nachdem sein Freund Heini Flügge längst davon — zur See — gegangen war, an seiner Schwester Gabriele hing. Seine Mutter be merkte es, erkannte aber in dieser Leidenschaft nur seine» Vaters Naturell wieder und schrak förmlich davor zurück, di« Zeit zu nützen und ihn, der sich ihr immer mehr entfremdet«, an sich heranzuziehen. Aber — was ich sagen wollte: seine Schuld war's nicht, daß er mit fast neunzehn Jahren schon in Obersecunda saß. Er verdankte daS vielmehr in erster Linie — Herrn Senator Fetthenne. Ja, ja, los oxtrömos sa tcmofiont! Und da» kam so: Die Karniner Lateinschule, die nur sieben Elasten zählte, sollte zu «inem vollen Gymnasium erweitert werden, wozu natür lich einiger Geld au» der nicht Immer vollen Ttadtcaste fließen mutzte. Wer war nun so rdelmüthig, zu desagttm Zwecke und acl rnajoronr srrr Soriana die Stadt um ganze zehntausend Thaler zu bereichern? — Senator Fetthenn«! — Hoch klang das Lied vom braven Mann — im Karniner Local blatt, und das Lehrercollegium war «ntschied«n, wrnn auch nichc einstimmig, "der Ansicht, daß man in Anbetracht der hochherzigen Gesinnung des Vaters ein Uebriges thun und den Sohn ver setzen müsse, um ihm die Aussicht zu eröffn«», dereinst zu den ersten Primanern Karnins zu zählen. Was man aber Ulrich Fetthenne bewilligte, konnte man Rudolf Lammert nicht ver weigern. Denn darin waren die Beiden sich tr«u geblieben, wie in ihrer Feindschaft: in gleichem Schritt untd Tritt waren sie die Stufen der gymnasialen Ehrenleiter emporgeklommen. Dazu kam noch — zu Rudolf's Gunsten — das energisch ausgesprochene Urtheil des Herrn Meusler, dem er als ein« Art physikalischer Famulus unentbehrlich geworden war. Denn wie in der Bo tanik, so leistete Rudolf Lammert auch in der Physik weit mehr, als von ihm verlangt wurde. Halb« Wochen- und ganze Sonn tage konnte er da^im auf seinem Zimmer über einem selbst gefertigten, einfachen Apparat sitzen, und, was das Wunder barste, seine täppische Unbeholfenheit ließ ihn so zu sagen im Stich, wenn es galt, positive und negativ« Elektricität mit Hilfe des bekannten, an Coconsädchen baumelnden Korkstückchen dar- zuthun. Wenn dann seine Schwester Gabriele seinem Thun zu schaute, ihm, so weit sie konnte, eifrig zur Hand ging, so waren das seine seligsten Stunden. Und doch war das Alles nichts — Dunst — gegen die Freud«, die er empfindet, als er auf einem seiner einsamen Streif züge eine vierschrötige Seemannsgestalt (Höhe 1,86, Breite 0,60) auf sich zu schlenkern sieht. Heini Flügge auf Urlaub! Und seine Schwester Lisa bei ihm. Draußen im Stadtwäldchen ist e», ganz nach« der Still«, an der .Heini vor fast fünf Jahren gefragt hat: „Hättest nicht Lust, Ruding, mitzuziehen?" Die beiden Freunde tauschen «inen derben Händedruck, und Heini fragt, nachdem er festgestellt, daß d«r Andere im Wachs thum nicht eben zurückgeblieben ist: „Noch immer auf der Schulbank, Ruding?" Rudolf seufzt. Aber nicht neben dem Seemann, n«in, viel mehr neben dessen Schwester kommt rr sich unsäglich knabenhaft vor, mit der Pennäkrmiitze auf den braunen Locken. Lisa Flüaae ist zwei Jahre fort «wesen, in Stettin, wo ihres Vaters Bruder eine Gasiwirthschaft hält, «in Schifferlocal, nichts Feine» gerade. Sie hat diel zu erzählen, und Rudolf wird sich kaum bewußt, daß er mehr auf ihr« Worte -Sri, al» auf di» der weitgereisten Freunde».
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