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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010409016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901040901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901040901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-09
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Drunten im Unterland wußte man viel zu sagen von der Rauhheit des Landes, von Berg geistern und allerhand Spuk, von Hunger, Kälte, Schnee und Sturm, und zur Schilderung 'der großen Armuth erzählte man oft die Geschichte von dem rrzgebirgischrn Hering, der in jedem Hause an einem Bindfaden unter der Stubendecke 'hinge und eine volle Woche hindurch die ganz« kinderreiche Familie ernähre, in dem Jeder bei »er Mahlzeit mit einem Stuck Brod oder einer Kartoffel daran auf» und abstreich«. Was die zahlreichen erz- gebirgischen Hausirer, die mit Wundermedicinen, Blechzeugen und Klöppelspitzen das Land durchzogen, was die als Musikanten sich durch die Welt schlagenden Bergleute und die „Abbrändler", um Mitleid und offene Hände zu erregen, an falschen Vorstellungen über Land und Leute in Umlauf setzten, das konnte die Nieder» läckder wohl veranlassen, das Erzgebirge für die klassische Stätte alles irdischen Jammers zu halten. Nun »der sind die Eisen bahnen die Höhen hinangeftiegen mit dem Impuls des Verkehrs, Tausende von großstadtmüdcn Fremdlingen baden sich allsommer lich in dem Lebenselixir der Höhenluft, eine große Touristenschaar übt hier alljährlich tapfer die gesunde Gymnastik der Kniekehlen, um das in den Reibungen des Le-brns havarirte Nervensystem wieder zurecht zu rücken — und alle Welt ronstatirt jetzt mit Erstaunen, daß auch das Erzgebirge seine „Reize" habe. So ist das „Sächsische Sibirien" -ziHammengeschrumpft auf den engen Raum 'des Kammplateaus, wo der Winter -sibirisch lang und der Sommer sibirisch kurz ist; es ist die „wilde Ecke" unserer Alten, in der sich vor zweihundert Jahren noch Wolfsgruben und Bärenfallen rentirten, und die der friedfertige Wanderer aus Gründen der Selvsterhaltung sorgsam zu meiden pflegte. Geographisch genommen ist die Bezeichnung „Sächsische» Sidirien" nicht genau, denn mitten über die Kammhöhe läuft die deutsch-österreichische Landrsgrenze und theilt freundnachbarlich zwischen beiden Ländern, wobei uns der 1213 Meter hohe Fichtel berg. und Oesterreich der diesem gegenüberliegende 1214 M-.ler hohe Krilbera zugefallcn ist. Aber früher war die ganze „wilde Ecke" sächsisches Gsbiet, und so wollen wir es bei der Ueberschrift dieses Aufsatzes bewenden lassen. Wer sich von Norden her dem Kamme nähert, dem fällt die Bodenerhebung kaum ins Bewußtsein. Hier reiht sich Hügel welle an Hügelwell«, zwischen denen sich die stundenlangen erz« gsbirgischeu Jndustriedörfer behaglich eingebettet haben. Die waldrntblößten Höhenziige sind 'beackert, und wenn ver Boden sein« Schätze auch niebt ganz gutwillig hergiebt, so gedeihen bi» 800 Meter Meereshohe doch noch prächtig das Korn und die Kar toffeln, und im Sommer leuchten die Brachfelder in der bunten Pracht ihres Stiefmütterchen- und Maßliebchenreichthums. Das ändert sich mit einem Schlage, wenn man da- Kammplateau er reicht hat. Ueberall die Merkmale stockender V«getation, die ver krüppelten und geknickten Nadelhölzer und die windzerschlagenen Ebereschen erzähle» «ine lange Leidensgeschichte von dem auf reibendem Kampfe mit den hier fessellos tobenden Elementen. Hier an seinem Centralpuncte kommt die Bodengestalt des Ge birges, die sanfte Abdachung nach Norden und der jähe Absturz nach Süden, erst recht zur Geltung. Wie eine Cyclopenmauer, airfgerichtet zu einem natürlichen Grenzwall zwischen zwei Reichen, steigt der Kamm auS dem böhmischen Tieflande auf. So plötzlich finkt der Boden vor den Füßen, daß man in 2(H Stunden eioe „lange, tiefe, steile Treppe", 950 Meter, nieder steigt, so rasch auch ist der Wechsel des Klimas, daß man sich wie durch Faust's Zaubermantel hunvert Kilometer hinweg» gerückt wähnt — aus dem Winter zum Frühling; denn wenn unten im Egerthale schon die Kastanien- und Kirschblüthen zur Erde fallen, dann leuchten die Gebirgshöhen oft genug noch ln Eis und Schnee. Es liegt etwa- Großes in dieser Naturanlage, in dem 'harten Nebeneinander zweier so gegensätzlicher Natur erscheinungen — aber auch «ine erschütternde Tragik. Hier oben die düsteren Hochmoore und dürftigen Wiesenflächen, dort unten das gesegnete Böhmerland, aus dessen feinen Nebelduft Bild an Bild, lebendig und heiter, emporsteigt, dunkle Wäldermaffen und grüne Matten, Städte und Dörfer mit hell aufragenden Kirch- thllrmen- Hier die Tausende ringender Menschen inmitten der stillen Trauer der Natur, die ihnen nichts geben kann, dort unten, zum Greifen nahe, wie eine Tantalusfrucht, die Kornkammer Böhmens mit der strotzenden Fülle seiner Aecker; hier Mühsal und Noth unter den verwitterten Schindeldächern, dort unten das hohe Leben um den alten Völkermagnaten Karlsbad. Was nur die Menschen bewogen hat, sich auf diesem unwirth- lichen Hochlande ihren Wohnsitz zu -bauen und unter den schwersten Existenzbedingungen hartnäckig zu behaupten? „Das müssen sie in der Betrunkenheit gethan haben", meinte neulich ein Tourist im Scherz. Ja, eine Trunkenheit war über sie ge kommen im leidenschaftlichen Verlangen nach Erwerb; der Durst nach den Silbrrschätzen der Berge war mächtiger als die Wirkungen des rauhen Klimas und der Entbehrungen aller Art; denn ohne den Impuls, den das Silber gad, hätten diese Höhen nach menschlicher Voraussicht keine Bevölkerung erhalten, sicher nicht in solcher Dichtigkeit. Schon die ersten Silberfunvc brachten die Gebirgsbevölkerung in eine ungeheure Aufregung, die mit jener von Chile, Peru und Calisornien zu vergleichen ist. Die Axt des Holzhauers störte zuerst den Frieden des Waloes. In den Lichtungen um di» Gruben siedelten sich die zu Tausenden aus allen Gegenden hermigelocktcn Bergleute an. Stä-rnc wurden gegründet, ohne in der fieberhaften Hast danach zu fragen, ob dauernde Lebensbodingungen für sie gegeben waren. So ent standen auf dem beschränkten Raum« des oberen Erzgebirges in einem halben Jahrhundert elf neue Bergstädte, unter ihnen auch Gottesgab, Platten, Kupferberg, Sonnenberg uckd Wiesenthal, die von den Fürsten mit ausgedehnten Privilegien begünstigt, sich rasch entwickelten — aber es waren Treibhauspflanzen. Als dann mit dem Erlöschen des Bergsegens die große tragische Epi sode des «rzge-birgischen Erwerbslebens herein-brach, da fielen alle die Städte, die der natürlichen Hilfsmittel entbehrten, ebenso schnell wieder in ihr Nichts zusammen. Die Katastrophe wirkte so furchtbar und nachhaltig, daß sich das betheiligte Gebiet, auf böhmischer Seite wenigstens, heute noch nicht von dem Falle er holt hat, eS liegt darüber noch ausgebreitet wie ein dumpfer Druck, die Trauer um das dahingeschwundene Bergglück. Man kann die große Zeit noch nicht vergessen, die einst mit Stolz und heiterem Sekbstbewußtsein ihr eigenes Gepräge trug, obwohl sie seit Jahrhunderten im wehmüthigen Verklingen ist. Und nicht ohne Rührung betreten auch wir Vie Trümmerstätten des alten Erzbergbaues, den nach Schätzen durchwühlten Boden mit seinen eingesunkenen Schürfgängen und überrasten Halden und Hügel aufwürfen. Die stillen, eingeschlafenen Städtchen, deren ver witterte Häuser sich wie frierend um die Kirchen schaaren, machen den Eindruck unfertiger Stadtanlagen, bei denen die Menschen mitten in der Arbeit gestört worden sind; wie hohle Augen liegen die mit dem fröhlichen Optimismus für eine große Zukunft an gelegten, für die heutigen Verhältnisse viel zu groß scheinenden Marktplätze in der dünnen Häusrrschale, das angepflanzte kümmerliche Strauchwerk darauf bietet ein Bild ver Entsagung. Wie es kommt, daß auf der böhmischen Kammhöhc Handel und Wandel stagnirt, während in Sachsen das wirthschaftliche Löben mächtig pulsirt und zur Peripherie der Orte drängt, darüber läßt sich Manches sagen. Es ist zunächst die geographische Lage, die 'die böhmischen Städte nach dem Erlöschen des Berg baues schlechter stellte als die sächsischen; während diese einen leichten Zugang zum sächsischen Niederlande hatten und mit diesem im steten Coniact blieben, faßen die Böhmen wie abge schnitten, von Gott und der Welt verlassen, auf ihren rauhen Bergen; im Norden hart an der Landrsgrenze und im Süden die den Verkehr nicht weniger hemmende steile Gebirgsmauer. In Sachsen übernahm Annaderg kraftvoll und geschickt die Füh rung auf dem gewerblichen 'Gebiete und trug wieder Arbeits freudigkeit und Verdienst auf die Kammhöhen. Das Obererz- gedirgc wurde die Heimath der Spitzenklöppölei und der Borten weberei, und als diese nicht mehr löhnten, folgte Vie Posamenten- ii'.dustrie, in der die Annenstadt bis auf den heutigen Tag Welt platz geblieben ist. Durch diese von Männern und Frauen, Kindern und Greisen betriebene Hausindustrie verbreitete sich eine außerordentliche gewerbliche Intelligenz unter der Gebirgsdevöl- lerung: die Geschicklichkeit ver Hände und der Schönheitssinn, die sie im Verein mit dem schnellen Verstänvniß für einen neuen Ec'werbszweig und der Erfindungsgabe zur Aufnahme von hundert anderen Industrien geschickt machte, die hier blühende Dörfer unterhalten. Die Böhmen dagegen ermangelten, außer, der, Vie von Sachsen über die Grenze hinübergriff, solcher An regung. Sie schlugen viel zu lange vergeblich an den harten Felsen des Bergglücks, der ihnen doch kein Wasser mehr geben tonnte, u.cv als sie dann 'schließlich, von e.ner Erwcrbsart zur ackdern getrieben, durch die Billigkeit ihrer Hände Arbeit doch einzelne Industriezweige cruf ehre Höhen lockten, wurden diese bald durch unzweckmäßige Grenzverorbnunaen der Regierung wieder davon vertrieben. Einer seßhaften Jrwustrie sehr hinder lich ist auch das böhmische Musikantenthum, ein Erbstück auS der alten Bergmannszrit. Im 'Grunde ist das Musiktalent ein zweifelhaftes Geschenk, das in die Natur dieses Bergvolkes gelegt ward. Die männlichen Musiker, Vie zu ausgebildeten Capellen und Concertgesellschaften vereinigt den Erdball bereisen, erfreuen sich zum größten Theil eines guten Rufes, und sie finden ihr Brod dabei, aber das weibliche Musikantengewerbe in seiner jetzigen Ausdehnung ist sicher ein« volkSwirthschaftkiche Verirrung. Es hindert den ruhigen Gang eines geordneten Wirthschafts- lebenS und ist Schuld daran, daß die Hausindustrie, die jenseits der Grenze zum Wohlstand der Bevölkerung geführt hat, hier nur wenig heimisch geworden ist, gar nicht zu reden von den mancherlei sittlichen Gefahren, die den reisenden Harfenistinnen auf den schlüpfrigen Sangerfahrien drohen. AuS GotesgaS <1225 Einwohner) sind über 100, aus Preßnitz (3500 Ein- wvhner) über 300 und aus Sonnenberg (1W8 Einwohner) über 200 Musikanten in aller Herren Länder verstreut. Darum auch die Stille und die Menschenleere in 'diesen Städtchen. Mit Ausnahme von Oberwiesenthal (2000 Einwohner), das sich mit drei weiteren Städtchen Wiesenthal, di« sich wie ein Kometenschweif an seinen Stadtkern heften, in der schützenden Enge zwischen dem Fichtelberg und Dem Keilberg eingebettet hat, liegen die Städte der Kammregion auf freien, schutzlosen Höhen, wo die Wetter furchtbar Hausen. Aber Oberwiesenthal liegt noch 913 Meter über dem Meeresspiegel und ist somit die höchste Stadt im deutschen Reiche, während das böhmische Gottesgab auf dem Sattel zwischen den beiden Bergen, in einer Meereshöhe von 1017 Metern die höchste -lnd rauheste Stadt des Ärbirges ist. Einen Frühling, in dem man im Niederlande frohlockend das langsame Regen und Erwachen der Natur ver folgt, giebt es hier oben nicht, denn zwischen dem letzten und ersten Schneefall liegen durchschnittlich nur 110 Tage. Aber wenn die Zeit gekommen ist, so verwandelt sich die Landschaft wie aus einen Zauberschlag: die lange zurückgehaltene Keimkraft arbeitet dann doppelt, das Versäumte nachzuholen. Aber für den Acker bauer ist der Sommer meist zu kurz, ver wieder frühhereinbrechende Winter läßt die Früchte der entsagungsvoll auf ehren steilen Aeckern stehenden Nutzpflanzen nicht immer ausreifen; Hafer und Korn müssen oft grün verfüttert, di« Kartoffeln unter dem Schnee hervorgebuddelt werden. Die Gottesgaber verzichten schon lange auf jegliche Ackerwirthschaft. Der Winter ist auf dem Gebirgskamm «in sehr dauerhafter und strenger Geselle. Wenn die ersten ernsten Schneestürmc, die meist mit furchtbarer Gewalt hereinbrechen, in den Schornsteinen heulen und die wirbelnden Schneeweissen durch'die Gassen treiben, dann mag manche arme Familie jene glücklichen Thiere beneiden, die den Winter bewußtlos und behaglich durchschlafen. In einer Nacht kann der Schnee die Bewohner einer ganzen Stadt ein- kerkern, die Erdgeschoßwohnungen in Kellerräume verwandeln. Dann sind die Straßen gesperrt und für Manche bleiben als einzige Verkehrsweg- zur Außenwelt nur noch die Dachfenster, bis von außen Luft gemacht worden -ist. Der Winter ist aber, vom Standpunkte ästhetischer Naturbetrachtang, rin schöner Herr. Der gefallene Schnee behält fast den ganzen Winter hindurch seine wunderbare ursprüngliche Weiße; wenn er in den Niede rungen langsam in versickernde Pfützen braun zergeht, dann glitzert un>o flimmert hier oben die reinste weiße Drapirung bis zu den erstarrten Wpfeln der Waldberge aus Millionen Krystallen. Schlittenfahrten nach Oberwiesenthal gehören dann zu den schönsten Genüssen, und Schaaren von Skiläufern verlassen das tropfende Bereich ihrer Städte, um sich auf den weiten Schnee feldern der Gebirgshöhen gütlich zu thun. Der Gebirgler aber lebt daheim in den Stuben mehr als je den Ueberlieferungen alten Bolksthums. Vom Advent ab steht das Weihnacht-fest im Mittelpunkte alles Sinnens und Trachtens. Ich kenne keine Gegend, wo dieses herrliche Fest eine solche Zauberfülle in Häuser und Hütten ergösse und soAlt undJung gefangen hielte,wie im„Sächsischen Sibirien". Wochen vorher wird schon gebastelt, gezimmert und geklebt an Feuilleton der Einladung von Dckland», Wir müssen a und ihnen antworten." Worten?" (Wie ein Mensch, der alle Sorgen der Welt auf sich ruhen hätte): Wie, findest Du vielleicht, daß ich noch nicht genug Federn und Tinte gebrauche? Schmier' ich noch nicht genug Papier voll? Nun also! Warum bringst Du mir nicht auch noch Deine WirthschaftSbucher? (Mit erhobenen Hänven): Wahr haftig, «S ist großartig! Auf Ehre, großartig! (Wischt sich mit dem 'Tuch über das Gesicht): -Sie kann nicht einmal einen Brief schreiben!" Antonie (ganz ruhig): „Es handelt sich nicht ums Schreiben , . . Julius: „Versteh' Dich nicht!" Antonie: „Weil Du mich nicht aussprechen läßt! Es handelt sich wicht ums Schreiben, sondern um das, 'was geschrieben werden soll- Du bist ja jede Stunde anderer Meinung! Ja, ooer nein?" Jcklius (verdrießlich): „Ich verstehe Dich immer noch nicht. Glaubst Dn vielleicht, daß ich ihren Brief auswendig gelernt habe! (Den Blick träumrckd vor sich hingerichtet): Ich habe An deres zu denken!" Antonie (ganz deicküthig vor dem Genie des Gatten): „Doland- bitten uns, vierzehn Tage bei ihnen in Mericur zu «rieben. Nehmen wir an, oder löhnen wir ab?" Julius (mit berechneter Liebenswürdigkeit): „Was meinst Du denn?" Antoine (die sich nicht recht mit der Sprache heraustraut, au- Angst, wieder einen Anschrei zu bekommen): „Nun! . . . Ich ... ich denke... (entschlossen): Ich denke, wir könnten doch zusagen!" Juliu- (mit erhobener Stimme): „Haha, das wußte ich! (Mit spöttischem Blick): Nun, ich ... ich -bin gerade der ent- gtgengösetzten Meinung! ...." Antonie (ihrerseits ein bischen ironisch): „Wirklich! Dann i-st'- «lso mit den Doland- au-, ganz aus! In die Rumpel kammer auch mit ihnen!" Jckliu» Hehr würdevoll): „Nein, ich -bin ihnen nicht böse. Ich werde sie stets gern aufnehmen, wenn sie nach Paris kommen, zum Frühstück, zmn Mittag. Weiter auch nichts! Aber mich vierzehn Tage in ihrem Loch vergraben . . . / Antoni«: „Borlges Jahr hast Du ganz anders geredet. Ach, wenn wir Geld hätten! Ein« kleine- Haus wie das der Dolands, mit einem Gärtchen, wie der ihrige, in einer Gegend, wie Mericur! Eia Traum, «in Ideal, «in Paradies auf Erden! Heute ist das Paradies ein Loch!" Julius (der sich sehr ungern auf solche» Meickungsänderungen ertappen läßt): „Ja, gewiß! Ich sag's und wiederhol's, wenn Du es wissen wiW, daß ich mich da zum Sterben gelangweilt habe. (Lauter): Macht Dir solche Existenz Vergnügen? (Noch lauter): Na, ich gratulire Dir! (In den höchsten Tönen): Es ist auch zu amüsant, wirklich zu amüsant, dir Nachmittage damit zuzubringea, di« Früchte am Spalier zu zählen, Schnecken und Raupen zu zertreten, oder im Wald spazieren zu gehen und aller zehn Schritte stehen zu bleiben, um zu rufen: Gott, wie schön rst es hier! O, die Tannen! O, dies« Birken! O, diese Eichen! Blos, weil eS stärker riecht, als beim ersten besten Tischler und Schreiner! Wenn man noch aut schlafen könckte! Auf den Zehen spitzen, mit einer Vorsicht, als wenn man auf Eier trete, muß mau sich bewegen, selbst niesen darf man nicht, um seine Wirthe nur «icht zu stören, so dünn ist da- Fachwerk des Hause»! Und Die Eirrla-ung. Humoreske von A. DelvallLe. Deutsch von A. Friedhelm. Nachdruck verbot«». Julius Margin, 30 Jahre, ohne Vermögen, der durch seine Thätigteit als Schriftsteller gerade nur so viel verdient, um Schuster und Schneider nichts schuldig zu bleiben, und selbst sein« Werke „Seelrustudiea" nennt. Antonie, seine Frau, di» ihn bewundert, ungefähr ebenso alt, auch schöngeistig veranlagt, aber in milderer Form, da die Pflichten des Haushalts sie iu Anspruch nehmen. Di« Srcne spielt sich in einem kleinen Arbeitszimmer ab, wo Jülius Margia gerade im Begriffe ist, da« letzte Capitel seines neuesten Roman- zu vollenden. Julius (liest laut, was er zuletzt geschrieben hat): „Als die Gräfin das Ovffnen der Thür vernahm, verschwamm ihr Alles vor de» Lugea, so daß sie nicht gewahrte, wie der junge Officier auf sie zukam; und als sie rhn »un plötzlich vor sich auf den Knien liegen fach, als sie auf ihrer Hand bi« glühenden Lippen Desjenigen fühlt«, brn sie für immer verioren glaubte, da richtete sie sich kerzengerade aus, al- wenn sie sich von einer Cczitnerkast zu-befreien strebte, und sank dann kraftlos in den Fauteuil zurück, während ein Aufschkuchzen ihren schönen Körper erböben ließ und über ihre Wange» zwei Thronen, zwei erlösende Thränen langsam rannen und sie so endlich wieder sich und der Wirtlichkeit zurückgegeden war! . . „O (mit einem Lächeln), wenn das Publicum nun noch nicht begreift, daß „sie" ihn liebt, dann ist es noch dümmer als mein GchafStopf von Griff! Ich glackbe sogar .... (kaut am Federhalter) 'ich hob« ihn zu -dumm gezeichnet! Ich muß viel leicht ..." («- klopft). Julius (al- wenn «'m Hund hellt): „Wau, wau! Wer ist da?" , Antonie (kommt herein): „Ich -in'-, licker Mann, störe ich Dich?" Jckliu» (höhnisch lacheckd): O, nein, durchaus nicht! Ich habe io wer auf Dich gnoartet, um da» letzte Capitek zu schrei«»!" Lutonie: „Gott, verschlinge wich nur nicht!" Jcklru» (der «ine so »ünstige Gelegenheit nicht ungenützt vorübergshe» lassen kann): „Sei »NbHor-t (lachend, um seinen Mtzetwas ak> »schwächen), «ch ff« sie nur mrt Marone» gern!" Antonie: „Wenn D» mir Grckheite» sagen willst, daun -chr ich lieber." ZsKn» (reumüthig): „Verzeih' .... was 'willst Du denn eigentlich?" Antonie (zeigt auf einen Brief, den sw in der Hand hält): „Ich komm« w«en l ' ' un» doch enkschlwßen und ihnen antworten." Jckltn» (der Nmtheckd mit der Faust auf den Tisch schlägt): „Na, zum Dona«rw»tt«r, wa» hindert Dich denn, ihnen zu ant« die Mahlzeiten! Es ist wirklich ein Vergnügen, sich mit einem Diabetiker zu Tisch zu setzen und alle Augenblicke zu hören: Karo- line. Du weißt doch, das ist Dir verboten! ... Du bist recht unvernünftig, Karoline!... Meine arme ttaroline darf das nicht essen!.... Dabei bekommt man Appetit! Und dann, unter uns. Deine Karoline ist eine Pute!" Antonie (bitter): „Wie ich . . . mit Maronen!" Julius (ohne die Bemerkung weiter zu beachten): «Ist recht, tritt sür sie ein, das gehört sich auch so!" Antonie: „Nein, ich constatire nur wieder, daß Du die reine Wetterfahne bist, was Deine Ansichten anbelangt. . . . Früher war Karoline klug, rin« ganz besonders veranlagte Frau . . . ." Julius (wie oben): „Worte, Worte, die man so ausstreut, wie Zuckererbsen (Mit der Miene eines Psychologen): Ach ja, ach ja! Wenn man den Lack ein wenig abkratzt,-weiß Gott, was man da bei diesen kleinbürgerlichen Frauen findet!!.... DaS hat ein paar Phräsen auswendig gelernt.. . . Das plappert ein paar Behauptungen nach, die sie meistens noch falsch verstanden haben, unb der Reit ist Schweigen, nichts! Die landläufigsten Dinge, Toiletten, Dienstboten! O, ja! Ein« Pute, wie übrigens alle Deine Freundinnen!" Antonie: „Danke für sie und für mich! Aber sag' mal, hab« ich -Dir den Verkehr mit Dolands vielleicht aufgedrungen? Waren es vielleicht meine Bekannten? Habe ich sie gleich nach unserer Hochzeit eingöführt? Ich rath' Dir, über Karoline zu reden! Er, waS ist er denn? Ein Farbenklecksrr, ein ver kommenes Genie, der das Glück hat, reich zu sein und mit seinen Bildern kaum die Reclame dafür bezahlen kann! Und noch mehr! Ein ganz beschränkter Mensch, möhr wie mittelmäßig, fast dumm! Widersprich mir nicht, denn es ist so!" Julius (ven der über sein« Freunde ausgesprochen« Tadel aufs Höchste amüsirt): „Ich widersprech' Dir gar nicht, Frauchen! Ich wundere mich nur, daß wir diese Einladung annehmen . . ." Antonie: „Um einen Luftwechsel, um eine kleine Veränderung zu haben! Um zu thun, was alle Bekannten thun! Du Haast doch immer, daß Du nicht hinauSkommst, Niemand kennen lernst! DokandS haben Verkehr. Man knüpft Beziehungen an, di« ziehen nsie-der andere nach sich. Und dann ist auch noch «in Punct dabei zu berücksichtigen, die Ersparnisse! .... Die Reise kosten sind gleich Null . . . und da haben wir gar keine Aus gaben! .... Die vierzehn Tage bei Dolapvs hätten ei un» er möglicht, manches Loch zuzustopfen, aber da eS Dir Nicht paßt!" Julius (nachdenklich): „Nicht paßt, nicht paßt! Ich bin nicht gerade sehr entzückt darüber, weiter nichts!" Antonie: „Natürlich würde ich auch lieber mit Dir an die See, oder irgendwo anders Hinreisen. Aber da unsere Verhält- ttifle " Julius (der überlegt, wie er einleckken und umschwenken kann und einen Ausweg gefunden hat): „Aha, dara^ konnte ich ja ge^ faßt sein! Bitte, aeniere Dich nicht, laß Dich ordentlich gehen! Ich habe daS alte Lied ja so lange nicht gehört: .... Da ich es zu nichts bringe, da Du das Pech gehabt hast, «inen Mann zu heirathen, der Dich unglücklich macht . . ." Antoni« (abwehrend): „O!" Julius (in demselben Ton weiter): ,,-ar den Du Dich ab quälen mußt, der Dir kein Vergnügen gewährt, da er talentlos ist, e» zu nicht» bringt und al» Egoist «a», fü, sich beansprucht." Antonie (traurig): „Sprich nicht weiter, es ist überflüssig. Hier ist ver Brief, antworte ihnen, daß wir verhindert sind . . ." (Geht auf die Thür zu). Julius (springt vor und versperrt ihr den Weg): „So ist's recht! Setz' Deine Märtyrermiene auf (ihr nachäffend): An worte ihnen, daß wir verhindert sind, und dann geht's bis zu Neujahr bei jeder Gelegenheit mit Vorwürfen und Thränen los! Ich werde nicht die kleinste Zerstreuung vornehmen, nicht einen Schritt vor die Thür setzen können, ohne daß die Gnädige in «inen Lehnstühl finkt und mir ihre Leiden, ihre Entbehrungen vorhält, mir Vorwürfe macht, über die Stränge zu schlagen, sie wie «ine Sklavin zu behandeln! (Tragisch): Nein, und aber mals nein! Eher alles Ander«! Zu Dolands nach Mericur? ... Mer selbstverständlich! Was Schöneres giebt's ja gar nicht! Es thut mir nur leid, daß wir nicht vier Wochen dort bleiben sollen! (Erregt): Ein halbes Jahr, «in Fa^r, mein ganzes Leben würde ich dort zubringen! Gleich, sofort wollen wir bin! .... Aber nur keine Scene, um Alles in der Welt keine Scene!" Antonie (mit feuchten Augen): „Ich mache Srenen? Konnte ich ahnen, daß Dich diese Einladung so aufregen würde?" Julius (fragt treuherzig): ,iO, di« Einladung ist es nicht, Du mit Deinem Gejammer und Deinem Gestöhne bringst mich dazu! (Sehr gefaßt): Warum bist Du Venn eigentlich zu mir ins Zimmer gekommen? Warum hast Du mich gestört? War ich überhaupt nöihig, um die Antwort abzufassen? Du hättest mir einfach heute Abend sagen sollen: Ich habe die Einladung bei Dolands für einige Tage angenommen. Dann hätte ich Dir geantwortet: Das war sehr recht von Dir. Was liegt mir denn daran? LH ich dahin oder wo anders hin reise! Dummheit findet man überall, Dummköpfe giebt's wie Sand am Meer!" Antonie: „Ja, jetzt sagst Du io, und wenn ich Dich nicht um Deine Ansicht frage, dann schiltst Du! Wenn ich Dich frage, thust Du es freilich auch!" Julius: „Nein doch, nein! Wenn Du mich in Ruh gelassen hättest, wäre mein Roman jetzt fertig! So können wir erst in drei oder vier Tagen fahren! Ich bin ganz aus dem Concept ge kommen! .. ." Antonie (vergnügt): „Also Du willst? Wa» . . . ." Julius: „Ja, natürlich, natürlich! Ich werde meine Bücher nritnehmen, ich werde lesen. . . . (Auf sie zugehend): Na, nun gie-b mir einen Kuß! » . . (Lachend): Was soll ich ihnen denn schreiben? ..." Antonie: „Schreib« doch einfach . . , JuliuS (setzt sich und schreibt): „Sehr liebe Freunde! Ihr seid wirklich zu liebenswürdig zu uns, und ich weiß nicht, wie ich Euch Antonien's und meinen Dani für die reizende Eickladung aussprechen soll. . . ." Antonie (die dem Gatten über die Schulter sieht): „Na, aber weißt Du, wenn sie gehört hätten, waS Du über sie gesagt hast!" Julius (väterlich wohlwollend): „Du unschuldiger Engel! Merkst Du denn nicht, daß Doland» mich blos für einen Amkel über seine Bilder in der nächsten KuastauLstellung einfangen wollen?"
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