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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010417026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901041702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901041702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-17
- Monat1901-04
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April: An Hand von Privatinformationen, welche au» ofsiciellen Quellen schöpfen, läßt sich nunmehr mit Sicherheit be stätigen, daß der kaiserliche Hof in Singanfu binnen Kurzem seinen jetzigen Aufenthaltsort verlassen und den Sitz der Regierung dauernd nach Siang - Dang ver legen wird, während Peking al» Hauptstadt dauernd auf gegeben werden soll. Sing-Dang liegt ungefähr 240 engl. Meilen südöstlich vor. Singanfu und besitzt einige alte Kaiser- Paläste, sowie einige Kaiser-Gräber, ohne aber in irgend welcher Weise ausreichend für die Aufnahme des großen kaiser- lichen HofeS geeignet zu sein. Ankere Melkungen wollen wahr haben, daß die Verlegung der Regierung nach dem genannten Platze nur seinen Grund darin bat, daß die Zustände in Singanfu für den Hof durchaus un zureichende sind und daher längst unerträglich ge ¬ worden waren. DaS entsprechende kaiserliche Edict ist bi» jetzt noch nicht publicirt worden, und in Peking scheint man, wenigstens auf Seiten der ausländischen Diplomaten, von den Absichten des HofeS noch keine Mittheilnnz empfangen zu haben. Zn wie wert die Verlegung der Negierung nach «siang-Dang irgend welchen, Einfluß auf den weiteren Ver lauf der Friedensverhandlungen und auf die Beziehungen des HofeS zu den Verbündeten überhaupt haben wird, läßt sich noch nicht feststellen. (Siehe das folgende Telegramm. D. Red.) * Peking» 16. April. (Reuter'S Bureau.) Tie Gesandten beriethen heute über die allgemeine Lage und über den Bericht des Grasen Woldersee über die militärischen Vorschläge. End- giltige» wurde nicht beschloßen. — Auf die Vorstellungen Japans hat der chinesische Hof versichert, eS sei dem Kaiser unmöglich, nach Peking zurückzukehren, bis die Fremden das Land geräumt hätten. * Part», 16. April. Unter dem Vorsitze des Deputirten und ehemaligen UnlerstaatSsekretärS des Colonialamtes Etienne hat sich hier eine Bereinigung für Französisch-Asien gebildet, die sich die Entwickelung Jndochinas, sowie den Schutz der wirthschast- lichen und moralischen Interessen Frankreichs in China und anderen asiatischen Gebieten zur Aufgabe macht. Eine zu Gunsten der neu gegründeten Bereinigung ringrleitete Subskription hat bisher 23000 Franc» ergeben. Der Krieg in Südafrika. Die engltfchen Verluste. * Der „Münch. Allg. Zig." entnehmen wir folgende sehr interessante Zusammenstellung: Am 18. December 1900 konnten auö englischen amtlichen Quellen die Verluste „nach Beendigung des Krieges" inSüdasrika wie folgt berechnet werden: DerAbgang an Todten, Verwundeten und Gefangenen war im Monat Oktober 70 Officiere, 1087 Mann; im November 64 Officiere, 1399 Mann, in Allem 2620 Mann. Im Folgen den soll versucht werden, so weit die üblich verschleierten amt lichen Berichte dies gestatten, die Verluste für December 1900, Januar, Februar und März 1901 zu berechnen. Im December 1900 starben an Wunden 17 Officiere, 281 Mann, an Krankheiten 11 Officiere, 445 Mann, „zu fällig" 1 Officier, 24 Mann, zusammen 29 Officiere, 750 Mann; gefangen wurden 2 Officiere, 119 Mann, verwundet! 145 Officiere, 1517 Mann, der Gesammtverlust beträgt also! für December an Todten, Verwundeten und Gefangenen 174 Officiere, 2267 Mann, zusammen 2441 Mann, d. h. fast so viel, wie im Oktober und November zusammen ge nommen (2620 Mann). Der Monat Januar zeigt fol gende Zahlen: Todt an Wunden 16 Officiere, 176 Mann, an Krankheiten 14 Officiere, 594 Mann, „zufällig" 1 Officier, 30 Mann (die „zufälligen" Sterbefälle nehmen in den letzten Monaten auffallend zu), zusammen 31 Officiere, 800 Mann; gefangen 10 Officiere, 342 Mann, verwundet 33 Offi ciere, 463 Mann (offenbar wieder eine viel zu geringe Zahl gegenüber dem Verhältniß der Verwundeten zu den Todten im Monat December), zusammen 74 Officiere, 1605 Mann. Februar: Todt an Wunden 11 Officiere, 181 Mann, an Krankheiten 16 Officiere, 566 Mann, „zufällig" 2 Officiere, 20 Mann, zusammen 29 Officiere, 767 Mann; gefangen 6 Officiere, 9 Mann, verwundet 46 Officiere, 443 Mann, zu sammen 81 Officiere, 1219 Mann. März: Todt an Wunden 14 Officiere, 146 Mann, an Krankheiten 12 Officiere, 406 Mann, „zufällig" 40 Mann, zusammen 26 Officiere, 592 Mann, gefangen 3 Officiere, 36 Mann, verwundet 24 Officiere, 170 Mann, zusammen 53 Officiere, 798 Man>z. Hieraus ergiebt sich an Verlusten für die Monate December 1900, Januar, Februar, März 1901: Todt 115 Officiere, 2909 Mann, ge fangen 21 Officiere, 506 Mann, verwundet 248 Officiere, 2593 Mann, zusammen 384 Officiere, 6008 Mann, in Allem 6392 Mann. Rechnet man hierzu obige 2620 Mann für October und November, so ergiebt sich der G e s a m m t v e r l u st der Engländer an Todten, Verwundeten und Gefangenen nach den englischen Angaben vom 1. October bis 1. April 9012 Mann, während der gesammte Feldzug — ebenfalls nach englischen Angaben — an Todten, Verwundeten und Gefangenen 33 250 Mann gekostet hätte. Es ist interessant, mit dieser Zahl die jenige zu vergleichen, die sich aus den bisher zweimal er schienenen Tabellen des Generaladjutanten Sir Evelyn Wood ergiebt, die sich gegen die des Kriegsamts durch größere Ueber- sichtlichkeit auszeichnen. Hiernach beträgt die Zahl der Todten, Verwundeten und Gefangenen bis zum 1. Februar d. I. 29 145 Mann, nach unserer Berechnung auf Grund der Listen des Kriegsamts dagegen 30 978 Mann. Ganz ebensowenig stimmen die Zahlen der dienstunfähig in die Heimath Entlassenen, während ein K r a n k e n b e r i ch t sich überhaupt nur bei Wood findet. Zu obiger Verlustziffer von 33 250 Mann kommen hinzu: 1) die in Afrika krank liegenden, 2) die nach England zurückgekehrten Kranken und Invaliden, 3) die entlassenen Truppen; abzuziehen sind davon: 1) die wieder zur Front Zurückgekehrten und 2) die wieder freigewordenen und dienst tauglichen Gefangenen. Die Zahl der in Afrika krank Liegenden gicbt Wood für den 28. December 1900 mit 415 Officieren, 13 716 Mann, im Ganzen 14131 Mann, an. Danach wäre also die Zahl der am Jahresschluß 1900 durch Tod, Krank heit, Verwundung und Gefangenschaft kampfunfähig Ge wordenen auf 43 430 Mann zu bemessen, während sich für 1901 noch keinerlei Berechnung anstellen läßt. Nach England zurück gekehrt als „krank, verwundet, todt auf der Reise" bis zum 1. Februar: 1703 Officiere, 39 095 Mann, zusammen 40 798 Mann. An entlassenen Truppen finden wir: 1) „in Afrika ent lassen und aufgelöst": 299 Officiere, 5231 Mann, zu sammen 5530 Mann; 2) nach England entlassen (Deomen, Freiwillige und dergl.): 1214 Officiere, 11109 Mann, zu- I sammen 12 323 Mann; 3) nach Indien entlassen: 20 Officiere, ! 70 Mann, zusammen 90 Mann; 4) in die Colonien entlassen: I 275 Officiere, 5425 Mann, zusammen 5700 Mann; in Allem 23 643 Mann. Hiernach wäre der Abgang des Heeres: 1) an Todten, Verwundeten, Gefangenen bis zum 1. April 33 250 Mann; 2) an Kranken bis 28. December 1900 14131 Mann; 3) nach England als invalid zurückgekehrt bis 1. Februar 40 798 Mann; 4) entlassene Truppen bis 1. Februar 23 643 Mann; zusammen: 111822 Mann, zu denen noch die Verluste an Todten, Verwundeten, Gefangenen bis heute, die heutigen Kranken und die seit dem 1. Februar nach England zurück gekehrten und die entlassenen Truppen hinzuzurechnen sind — Zahlen, die sich annäherungsweise mit Vorsicht gewiß auf 8000 Mann belaufen dürften. Man wird also mit einem Mindest abgang von 120 000 Mann rechnen müssen. Wie hoch die Zahl der wieder zur Front zurückgekehrten Truppen beträgt, wird nirgends angegeben; vermuthlich sind sie in den immerhin noch beträchtlichen Ziffern der letzten Nachschübe enthalten. Ob und wie viel der von den Boeren wieder losgelassenen Ge fangenen wieder dienstfähig sind, entzieht sich jeder Be rechnung. Da die Zahlen des Kriegsamts jedenfalls nicht nach der Seite einer Uebertreibung fehlerhaft sind, so wird man diese letztere Zahl ganz außer Betracht lassen dürfen. Da endlich bis zum 1. Februar 1901 im Ganzen 282 379 Mann nach Südafrika gesandt wurden, so würden also heute noch ungefähr 162 000 Mann kampffähiger Truppen dort sein müssen. Ueber die Verluste der Colonial truppen (außer den Indiern) kommt man vielleicht durch folgende Betrachtung zu einem Ergebniß. Wood stellt in einer besonderen Tabelle (für die einzelnen Colonien auseinander gezogen und wohlweislich nicht zusammengezählt) die Zahl der Truppen zusammen, die aus den Colonien nach Südafrika geschickt wurden, ferner diejenigen, die es, theils um nach Eng land, theils in die Heimath zurückzukehren, wieder „verlassen" haben, endlich die sich nach Lord Kitchener's „ungefährer" Schätzung noch dort befinden. Es ergeben sich folgende Zahlen. Hingeschickt wurden im Ganzen 638 Officiere, 12109 Mann. Davon wurden nüch England und in die Colonien wieder entlassen 137 Officiere, 4399 Mann. Demnach sollten sich noch 501 Officiere und 7710 Mann dort befinden; in Wirklich keit sind es aber nur 181 Officiere, 4053 Mann. Versteht man nun eine dunkle Anmerkung des General-Adjutanten richtig, so wären unter jenen .Heimgesandten nur die Truppen zu ver stehen, dcren Dienstzeit abgclaufen war. Der Rest der Ver schwundenen von 420 Officieren, 3657 Mann würde uns mithin auch den Gesammtverlust angeben, den die Colonialtruppen er litten haben: es ist fast der dritte Theil! * Pretoria» 16. Avril. (Reuter'S Bureau.) Ter Boerengeoeral Celliers, von dem berichtet wurde, er sei bei Lichtenburg gefallen, hat sich den britischen Truppen bei der Besetzung von Warmbad ergeben, wo er wegen seiner bei Lichtenburg erhaltenen Ver wundung in Behandlung war. * Johannesburg, 16. April. (Reuter'S Bureau.) In der Grube GeldenhuiS der Teep-Mine riß heute das Seil eines Förder korbes, in dem sich Eingeborene befanden. Ter Förderkorb stürzte in die Tief», 26 Eingeborene wurden getödtct. Politische Tagesschau. * Leipzig, 17. April. Der bei seinem gestrigen Wiederzusammentritte leider sehr schwach besuchte Reichstag Hal cS an Dank für den Reichs kanzler dafür, daß er sein Versprechen, die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes über die Versorgung der Kriegs- invaliden und der Kriegshinterbliebenen ver anlassen zu wollen, so rasch erfüllt hat, nicht fehlen lassen; auch mit Beifall für die Grundzüge deS Gesetzentwurfs hat er nickt gegeizt, ebensowenig aber mit Ausstellungen an Einzelheiten der Vorlage und mit Wünschen bezüglich ihrer Verbesserung. Diese vorzunehmen wird Aufgabe der Budgetcommission sein, der der Entwurf überwiesen wurde. Während ihrer Berathungen wird man ja wohl auch erfahren, wie der Bundesrath zu den Verbesserung-Vorschlägen sich stellt; gestern hat keiner seiner Vertreter das Wort genommen, keiner auch nur eine Andeutung darüber gemacht, ob man regierungsseitig geneigt sei oder nicht, sich über die Vorlage hinaus drängen zu lassen. DaS könnte auffallen, ist aber erklärlich. Bei der Finanzlage de- Reicks und bei der berechtigten Abneigung der Mittel- und der Kleinstaaten, die Matricularbeiträge noch höher anschwellea zu lassen, muß die Vertreter deS BundeSraths ein unan- genebmes Gefühl beschleichen bei dem Gedanken, daß schon die Vorlage die Reichscasse stark in Anspruch nimmt und daß jede Verbesserung des Entwurfs eine noch weitere In anspruchnahme bedeutet, ohne daß man weiß, woher die Mittel zu nehmen sind. Auch die Befürworter der Ver besserungen hatten diese« peinliche Gefühl und suchten sich von ihm durch Vorschläge betreffs der Eröffnung neuer Ein nahmequellen zu befreien. Da war von dem alten Wehrsteuerprojecte die Rede, der Gevanke au eine ReichS-ErbschaftSsteuer tauchte wieder auf und ebenso der an eine Reichseinkommensteuer. Aber was der eine der Redner empfahl, verwarf der andere. Die Budget commission hat also gestern aus dem „Plenum" — wenn man einige schwach besetzte Bänke so nennen kann — nicht erfahren, für welche Art der Mittelbeschaffung eine Mehrheit zu finden sein werde. Die Aufgabe der Commission ist daher keine leichte und rasch zu lösende. Findet die Commission kein zureichendes und voraussichtlich der Mehrheit deS Plenums zusagendes Deckung»« mittel, so muß sie entweder selbst Bedenken tragen, die gestern geäußerten VerdefferungSvorschlägen in die Vorlage hineinzuarbeiten, oder sie muß darauf gefaßt sein, bei den Negierungsvertretern dabei auf Widerstand zu stoßen. Au» dieser Verlegenheit wird man auch nickt herauskommen, so lange man dem Gedanken an eine organische ReicbSsinanz- reform nicht energisch näher tritt. DaS ist gestern auch im Reichstage betont worben. Es geht nicht länger, daß man entweder so dringliche Aufgaben, wie eine allgemeine Revision deS MilitärpensionSwesenS, aus Mangel an Reichs mitteln auf die lange Bank schiebt, oder solche kostspielige Reformen unbekümmert um die Schwierigkeiten, unter denen die Einzelstaaten erhöhte Matricularbeiträge aufzubringen haben, in die Wege leitet. Unsere Annahme, die Nachricht von der „Verschleppung" der Berathungen über den Zolltarif bis zum Herbste werde den Widerstand der extremen Agiarier gegen den Canal neu beleben und dieser Widerstand werde anknüpfen an die angebliche Aeußerung des Kaiser», „ehe sie den Canal nicht geschluckt haben, unterschreibe ich den Zolltarif nicht", bat sich rasch als zutreffend erwiesen. Obgleich die „Cous. Corr." versichert hat, diese Aeußerung sei nie gefallen, schreibt man der „Pommerschen Reichspost", die oft von hervorragenden Agrariern zu Kundgebungen benutzt wird: „Die Aeußerung ist zweifellos in dieser oder ähnlicher Form gefallen. Es fragt sich nur, ob sie eine program matische Bedeutung hat oder nur als eine gelegentliche Be- Fauillatsir sammtes Guthaben auszuzahlen. Er selbst hat noch fast drei hundert Mark baar, die ihm einstweilen genügen. Sie weiß, daß es jetzt vergebliche Mühe sein würde, ihm die Idee der Reise ausreden zu wollen. Er sieht nach der Uhr. Fast Sieben! „In einer halben Stunde fährt der Zug nach Hannover." Auf dem Wege zum Bahnhof erzählt sie ihm Alles, was sie über das Verhältniß ihres Großvaters zu seinem Kameraden Weber und dessen Verbleiben weiß. Es ist nicht viel. Ackf dem Bahnsteig geleitet sie ihn an die Wagenthür, und als der Schaffner zum Einsteigrn mahnt, legt sie ihm ihre Hände auf die Schultern und sieht ihm noch einmal ein paar Secunden in die Augen. „Rudolf!" ruft sie schmerzlich, lehnt das blasse Gesicht an seinen Arm und wehrt ihm nicht, als «r sie auf die Stirn küßt, vor allen Leuten. „Verliebte Seelen!" brummt der Schaffner, der kommt, die Thür zu schließen. Er springt in den Wagen, setzt sich auf die Bank und überläßt sich dem Farbenspiel seiner Empfindungen Längst ist vom Zuge nur noch ein weißlicher Rauchstreifen zu sehen. Sie steht noch auf dem Bahnsteig. „Das wäre dann das Einzige, was man heute gefunden hätte!" Der Hüne mit dem Gewehr auf der Schulter, der die Worte in feinen grauen Bart gebrummt hat, zieht ein gewaltiges seidenes Sacktuch aus der Tasche seiner Joppe, fährt damit über die geröthete Stirn und beugt sich spreizbeinig über den Körper eines jungen Mannes, der lang ausgestreckt, eine Touristentasche unter dem Kovfe, zwischen mannshohem Farrnkraut und Wald gräsern zu Füßen einer Buche liegt und schläft. „Me ein Dachs!" knurrt der Alte. „Das ist di« Jugend! Uebrigen» ein kapitaler Bengel! Wär' schade, wenn er sich auf dem feuchten Grunde 'ne Polyarthritis holte, oder so 'was." Der Stoß, den seine derbe Stiefelspitze jetzt einem Fuße des Schlafenden versetzt, ist allerdings kräftig genug. Der Schläfer wirft den Kopf herum, fährt mit der Hand nach dem Gesicht, reibt sich die Augen. Dann springt er taumelnd auf, mit drohen der Gebrrde den Arm nach dem Störenfried reckend. Des Alten Blick mißt ihn von Kopf bis zu den Füßen. „Fast meine eigene Länge. Aber nur ruhig Blut! Bin 'weder Buschklepper noch Leichenfledderer. Im Solling können Sie — Gott sei Dank — noch ziemlich unbehelligt herumpennen — wie Figura zeigt. Denn ich nehme an na, haben sich doch nicht erst vor 'ner Viertelstunde da hingelegt? Wär' 'ne curiose Idee, so zur Abendzeit." Trotz seines Lächelns sicht der junge Mann ihn immer noch feindselig an, ehe er, nochmals über di« Augen wischend, fragt: „Ist es spät?" Der Jäger zuckt die Achseln. „'s kommt drauf an, was Sie darunter verstehen. Meine Uhr zeigt sieben." Nun rafft der Andere Tasche und Hut auf. „So bin ich Ihnen dankbar, daß Sie mich weckten. Es war so schwül heute! Freilich, daß ich hier gleich drei Stunden verq schlafen würde —" „Dachten Sie nicht, haben aber hoffentlich nichts versäumt? Ich hätte Sie Ihrem Bärenschlaf getrost überlassen, wenn ich den Moosgrund da nicht kennte. Mit dem Abend zieht das zu viel Feuchtigkeit an." Dann gleitet des Graurocks Blick, sich vom Waldboden hebend, mit sichtlichem Behagen wieder über die mus kulöse Figur des Jüngeren, der, sich dehnend und an seinem An zug klopfend, vor ihm steht und sich jetzt nach der Richtung um sieht, die er einzuschlagen bat, um seinen Weg fortzusetzen. „Wohin?" fragt der Graubart, und als di« Antwort lautet: „Nach Weißenhaus", deutet er mit seinem schweren Pllrschstocke stumm auf eines Holzwegs ausgefahren« Gleise. „Habe denselben Weg", sagt er kurz. Halb verwundert, halb zweifelnd, wofür «r ihn halten soll, sieht Rudolf Lammert ihn von der Seite an, schreitet aber mächtig neben ihm aus. Abendkühle zieht nach drückender Tagesgluth wohlig durch den Hochwald. Des Tages tausendfältiger Gesumm ist heiligem Schweigen gewichen. Kaum daß. es in den Capital«« der Buchensäulen, auf denen die lichte Himmelspracht droben zu ruhen scheint, leise rauscht, geheimnißvolleS Flüstern, diScretes Raunen. Oder daß eine Drossel, von den Wanderern vom Nest gescheucht, eine kurze Flucht versucht. Waldstill- im Solling! Wer kennt den Solling? Nicht Biele, aber Niemand, der seinen Zauber — den Zauder der Ursprünglichkeit, den Frieden seiner Fichten und Buchenwälder, die würzige Lust, die weihe volle Stille — hätte umsonst auf sich wirken lassen. Rudolf Lammert, den GebirgSfrrmden, der bislang nur die Poesie der Kiistin- und Haidelandschast genossen, ergreift diese neue doppelt innig. Wie ein Schauer durchrieselt es ihn. Keiner von Beiden spricht lange Zeit -in Wort, bis eS Ru dolf zum Bewußtsein kommt, daß er dies« Wanderung durch- Ehrenmann wie Sie selber. Aber ein Almosen von ihm an nehmen —" „Ein Darlehn", verbessert er, „und nicht von ihm, sondern von mir." Si« schüttelt den Kopf. „Es wäre von ihm. Ja, wenn Sie selbst das Geld hätten — Sir " Verwirrt schweigt si«. Er aber füsilt, wie ihm das Blut in den Schläfen pocht. Er muß sich Gewalt anthun, die zarte, schlanke Gestalt jetzt nicht in die Arme zu schließen. Und dabei fällt ihm Lisa Flügge ein und Alles, was er gestern erlebt und — gelobt hat, und zugleich denkt er an das schmähliche Anerbieten Demmler's. Ein paar Mal athmet er tief und schwer, eh« er spricht: „So weiß ich kein anderes Mittel, als es mit dem Papier da" — er deutet auf den Weber'schen Schuldschein — „zu versuchen. Und zwar sofort. Der Erfolg ist nicht sehr sicher, aber möglich. Noch heut« reise ich selbst ab, um Nachforschungen anzustellen." Sie ist einen Augenblick sprachlos. Die Lippen leicht ge öffnet, sieht sie ihn starr an. „Ich halte eine solche Reise für zweckmäßiger als einen Auf ruf in der Zeitung", sagt er. Si« hat die Hände gefaltet. „Aussichtslos!" seufzt sie. „Das kommt darauf an." „Und Si« wollten vorhin redeten Sie von gerade drängenden Arbeiten —" „Sie waren dringend — bis heute. J«tzt sind si« es nicht mehr. Wollen Sie sich «in« Viertelstunde gedulden?" Während sie vom Fenster theilnahmlos auf die Gaste hinab sieht, ruttet er sich rn fernem Schlafzimmer zur Fahrt. Es ist leicht geschehen. Er besitzt nur drei Anzüge. Den letzten, der ihm gerade für die Reise tauglich scheint, legt er an, packt ein wenig Wäsche in eine bescheidene Tasche von braunem Segeltuch, die er sich im vergangenen Sommer zu einer kleinen Fuß wanderung angeschafft hat, hängt die übrigen Kleidungsstücke nach seiner Gewohnheit geordnet in den Schrank und tritt nach zwanzig Minuten wieder in da» Wohnzimmer, reisefertig. Dann fällt ihm ein, daß er ja Urlaub nehmen muß. Da sein Chef abwesend, schreibt er «in paar Zeilen an Demmler. In einer Privatangelegenheit, die Herr Langsen, wir er überzeugt sei, als dringend anerkennen werde, müsse er verreisen. Den Bries übergiebt er Frau Wiemann zur Besorgung. Er weiß -war recht gut, daß sie an Demmler genau alles das be richten wird, waS sie inzwischen erlauscht hat, doch das ist ihm für den Augenblick gleichgiltig. Dann noch ein paar Zeilen: «ine Anweisung an seinen Bankier, Fräulein von Rhelnern sein ge- „Wie wollten Sie dieselbe beginnen?" Er überlegt ein paar Augenblick«. „Zunächst durch Anzeigen in den Zeitungen. Wenn man ein« Belohnung aussegte für verbürgte Nachrichten über die Familie —" „Und während dessen vergehen Wochen, Monat«, vielleicht ein halbes Jahr, und Großpapa will nicht acht Tag« mehr mit seiner Anmeldung vor Gericht warten", rüst sie erregt. Er fährt sich mit der Hand durch das Haar. „Fräulein Helene! Der ersten Noth könnten — vielleicht — Andere abhelstn " — Gespannt blickt sie zu ihm auf. Meine paar Mark — sie sind zwar kaum der Red« werth — g«hörrn selbst verständlich Ihnen." Gott Lob, daß das heraus ist! Sie nickt nur, als habe er wirklich etwas Selbstverständliches gesagt, und das giebt ihm den Mutb, weiterzureden: „Ich weiß nicht recht, Wit mein Chef sich zu oer Sache stellen würde." „WaS soll der?" fragt sie hastig und erhebt sich. Betroffen sieht er Ne an. „Habe ich zuviel getagt? Dann verzeihen Sie mir!" Nun hält sie ihm beide Hände zugleich hin. „Nein, Rudolf, nein! Sie können ja nicht ahnen —" Sie stockt, eh« sie mit blaffen Lippen sortfährt: „Warum soll ich «S Ihnen verhehlen? Sie wissen, daß sein« Mutter einer Freundin der meinen war — wenigsten» glaube ich. Ihnen da» früher einmal erzählt zu haben. Und daß ich als Kind — und auch später noch — sie zuweilen besucht«. Aber Sie wissen nicht, daß «r mich einmal — nein, mehrmals — gebeten hat, sein Weib zu werden. Ich kann «S nicht. Und nun soll ich ihn bitten —" In holder Scham erglühend wendet sie sich ab. „Nein, Fräulein Helene!" sagt er und wundert sich über die Ruhe, mit der er eS herauSbrinat. „Aber wenn ich ihin Ihre Verhältnisse klarleate, wenn ich sem Schuldner würde, um Ihnen da» Geld zu überliefern? Ich glaube, er gäbe e» her, ohne sich einen Augenblick zu besinnen." Er sieht sie mit dem Kopf« nicken. „Ich glaube es auch", haucht sie. „Nur würde er eines Tages kommen, von mir die Zinsen zu fordern — meine Hand. Oh, nein, nein!" ruft sie plötzlich, sich wieder zu ihm wendend, „ich will nicht niedrig von ihm denken. Ich halte ihn für «inen Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verbot«.
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