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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000406018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900040601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900040601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnitz. Tabellarischer nnd Zifferniap nach hühereiu Tarif. Vytra-Beilage» (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne PostbesörLeruna 60.—, mit Postbesörderung .^> 70.—. Znnahmeschluß für Anzeigen: Abrnd-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» find stets an die ErpeSition zu richten. -Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Freitag den 6. Ilpril 1900. 175 Das Mental auf Len Prinzen von Wales. —Nachdem erst sämmtliche Telegramme übereinstimmend gemeldet, daß der Attentäter Sipido als Motiv seines Ver brechens anarchistische Ideen angegeben habe und nur diese, beißt es jetzt plötzlich, er habe bei der Aufnahme de- Proto kolls im weiteren Verlause der Vernehmung gesagt, der Prinz sei für den Krieg in Südafrika verantwortlich, er sei ein Mörder; er, Sipido, habe die Opfer des Krieges an ihm rächen wollen. Also Anarchist und womöglich — von vr. Leyds, dem Transvaalgesandten in Brüssel, ge dungener Meuchelmörder! Schon figuriren in den Brüsseler Meldungen geheimnißvolle Unbekannte als Hintermänner des Attentäters, der vor der Thal eine Friedensversamm lung besucht haben soll — Engländer in hoher amtlicher Stellung spielen bereits deutlich auf vr. LeydS als den mindestens moralisch Verantwortlichen an und die Londoner Blätter sind sofort bei der Hand, die continentale Presse als die eigentlich Schuldige zu stigmatisiren, weil sie Eng land wegen des Krieges „in wüster Weise" angegriffen und — die Königin carikirt habe. „Standard" droht mit der Boycottirung des ganzen Festlandes durch die Engländer (!), wenn die antiengliscke Agitation sich nickt mäßige. „Times" sagen, das belgische Volk sollte nicht verantwortlich gemacht werden für die Aus schreitungen eines Einzelnen, aber während giftige Beschul digungen gegen die britische Regierung und die britische Nation aus dem ganzen Festland erhoben werden, würde es von den höchsten englischen Würdenträgern ebenso klug wie würdevoll gebandelt sein, sich nicht Beschimpfungen oder etwas Schlimmerem auszusetzen. Es ist ja möglich, daß der Anarchist Sipido zugleich er füllt gewesen ist von ungezügeltem Haß gegen Enziand und seine ersten und höchsten Repräsentanten, weil England mit brutaler Gewalt ein freies Volk zu Knechten zu machen und cs einer Clique von Börsenspeculanten zum Opfer zu bringen im Begriff ist, aber mit aller Entschiedenheit muß man die giftige Insinuation zurückweisen, daß nun alle Diejenigen, welche diesen Krieg verdammen und dies offen bekennen, für das eirrzusteben haben, waS der Mordgeselle Sipido gethan bat. Die Wahrheit zu sagen, selbst englischen Ohren, ist kein Verbrechen, sondern Pflicht, und sie muß geübt werden auch aus die Gefahr hin, daß exaltirte, von Irrlehren besangene Gemüther von der Erkenntniß der Wahrheit einen fanatischen, verbrecherischen Gebrauch machen. Aber warten wir die amtlichen Berichte ab, die bisber dircct wenigstens noch nickt festgestellt haben, daß Sipido sich ans den Krieg in Südafrika bezogen habe. Wir lassen die bis jetzt eingelaufenen Meldungen folgen: * Brüssel, 5. April. (Telegramm.) lieber die AttentatS- scene wird bekannt: Sipido wurde von Personen, die sich auf ihn stürzten, durch Faustschläge im Gesicht verletzt. Der Ver brecher gab als Leitmotiv zuerst nur anarchistische Ideen an, ohne Südafrika zu erwähnen. König Leopold hatte zur Be- grüßung des Inkognito reisenden Prinzen von Wales einige Persönlichkeiten seiner Umgebung nach dem Bahnhofe gesandt. Tie Kammer und der Senat besprechen heute noch den Mordversuch. Nach dem „Patriote" hat die Untersuchung Folgendes ergeben: Sipido handelte mit Vorbedacht und war von einem Unbekannten, auf Leffen Rath er am Sonntage den Revolver gekauft hatte, angestistet. Vorgestern nahm Sipido mit diesem an einer Friedensversammlung im Lommunal- Theater Theil, begab sich sodann in da» socialistische „Maison du Peuple" und schrieb später in einer Destillation einen Brief, daß er eine Rolle angenommen habe. Er begab sich gestern nach dem Bahnhöfe, wo er sich über die Ankunft des Zuges erkundigte, und erwartete die Allkunst in einem benachbarten Kaffeehause, in besten Hofe er den Revolver lud. Sipido weigert sich, den Namen des Unbekannten anzugeben, und erklärt aur, jener sei wenige Jahre älter, als er. Nach dem Verhöre, das bis 11 Uhr Abends dauerte, suchte der Untersuchungsrichter Sipido's Eltern auf. Nach dem „Stoile Helge" neigt der Untersuchungs richter der Ansicht zu, Sipido habe mehrere Mitschuldige, die er zu schonen suche. Sipido stockt häufig bei seinen Aussagen. Gestern Nachmittag wohnte er noch der Kammersitzung bei. * Paris, ü. April. (Telegramm.) Die Blätter sprechen einmüthig ihre Genugthuung darüber aus, daß der Anschlag gegen den Prinzen von Wales ohne verhängnißvolle Folgen verlaufen sei. „Eclair" sagt, das Attentat errege einmüthige Entrüstung, welche Antipathien auch infolge b«S Krieges gegen England entstanden seien. „Matiu" schreibt: „Der Prinz von Wales ist da- Opfer eine- Angriffs gewesen, dessen Urheber durch di» Ereignisse in Süd afrika zu der That getrieben worden zu sein scheint. Alle rivilisikten Menschen weisen einmüthig Liese Art von Re pressalien zurück', da die Boeren in dieser Weise ihre Feinde nicht bekämpfen." „Figaro" meint: „Ein junger Bösewicht hat gestern aus den Prinzen von Wale» geschossen, ohne zu treffen. Wo hat er die Auregung dazu erhalten, die ihn zum Mörder stempelte?" — „Libre Parole" schreibt: „Sipido, sei er nun Socialist oder nicht, ist ungeschickt gewesen, worüber die ganze Welt nur erfreut sein kann. Der Prinz hat zu wenig in sich, was die Einbildungskraft ausregen könnte. Es wäre eine zu bittere Ironie gewesen, den Prinzen uutrr der Kugel eine» Mörder» oder eines Wahnsinnigen fallen zu sehen, weil so viele tapfere englische Soldaten und Osficiere in Transvaal als Opfer eines uubiltgrn Krieges fallen, für den die Verantwortlichkeit auf den Prinzen zurücksällt." * Brüssel, 5. April. (Telegramm.) Die Blätter fahre» in der Brrurtheilung de» Attentat» fort. „Eourier de Bruxelles" schreibt, da» Attentat hab» die belgische Bevölkerung tief aufgeregt und sei der Demoralisation der unter dem Einflüsse deS SocialiSmuS stehenden Masten znzuschreiben. „Wir danken Gott, daß der Mörder sein Ziel nicht erreicht hat, und haben die Zuversicht, daß England die Verantwortlichkeit für das Verbrechen eines elenden Buben nickt dem belgischen Volke zuschirbt. „Vingtiöme Siöcle" meint: „Wir bedauern tief, daß der Prinz bei uns das Opfer dieses einfältigen und ge- Lässigen Attentats geworden ist, daß unter dem Vorwande ausgeführt wurde, die englische Politik zu brand- marken." „RSforme" hält es für abgeschmackt, die Königin von England oder den Prinzen von Wales für den Krieg verantwortlich zu machen. Die Königin sei eine konstitu tionelle Monarchin, die herrsche, ohne zu regieren. Der Prinz sei noch weniger sür den Krieg verantwortlich, als die Königin. Das Attentat sei lediglich eine im Hirne eines Kindes aufgekeimte Verirrung. Die Antwerpener „Metropole" sagt, alle guten Bürger stimmten mit dem Herrscher und den Ministern in dem Abscheu über die unbegreifliche That überein und verurtheilten sie auf das Schärfste. Der gleichfalls in Antwerpen erscheinende „Matin" drückt die Hoffnung aus, daß der Vorfall keine neuen Schwierigkeiten mit England schaffen werde, das Belgien bereits wegen seiner Sympathieen für die Boeren zürne. * London, 5. April. (Telegramm.) Lord George Ha milton, der Staatssekretär für Indien, äußerte in einer Rede, die er gestern in Acton hielt, über das Attentat: Wenn man nach den Gründen dieses abscheulichen Attentats suchen sollte, würde man sich offenbar erinnern, daß Brüssel die Haupt niederlassung der Lügenfabrik ist, deren Leitung l>r. Leyds übernommen habe. — Die Blätter brandmarken ein stimmig das feige Attentat auf den Prinzen von Wales und schreiben es theilweise den von der kontinentalen Presse gegen England gerichteten wüsten Angriffen zu. * Köln. 5. April. Der Prinz und die Prinzessin von Wales trafen kurz nach Mitternacht aus dem Kölner Hauptbahnhoi ein und setzten die Reise nach kurzem Aufenthalt fort, ohne daß ein Empfang stattgefunden hätte. Ter Prinz empfing zwölf Glück» wnnschdepeschen, meist von Fürstlichkeiten, darunter ein in herzlichen Worten gehaltenes Telegramm der Königin Viktoria, das der Prinz alsbald beantwortet». Die Prinzessin hatte ihre Ruhe und Fassung wiedergewonnen; auf sie hatte der Mordanschlag be sonders tiefen Eindruck gemacht und förmlich lähmend gewirkt. Der Prinz behielt indessen während der ganzen Fahrt seine Ruhe. (Voss. Ztg.) * Brüffel, ü. April. (Telegramm.) Die Mitglieder der Gesandtschaft der Südafrikanischen Republik zeichneten sich nach dem Attentate ans der englischen Gesandtschaft ein. vr. Leyds richtete an den Prinzen von Wales ein Glückwunsch telegramm. Das Attentat des 16jäbriaen Klempners Sipido auf den Prinzen von Wales lenkt selbstverständlich die Aufmerksamkeit auf die anarchistische Bewegung, specicll in Belgien. 1886 bei dem großen Kohlenarbciterstreik in Belgien schoß di anarchistische Bewegung mächtig ins Krank und daS erste anarchistische Blatt, welches in Belgien erschien, ckiou, vi wL'ttre", fand zahlreiche Leser; es ist bekannt, baß bei der Inbrandsetzung der Glasfabrik in Iumet bei Charleroi die Anarchisten ihre Hände im Spiele hatten. Die anarchistische Literatur, welche in London das Licht der Welt erblickte, wurde später in Brüssel auf gestapelt, um von hier au» nach Deutschland expedirt zu werden. In den Londoner anarchistischen Clubs führten Belgier da- große Wort, die Berliner Anarchisten, die übrigen« noch manche Zeichen der Rührigkeit von sich geben und in einer Anzahl Clubs, welche namentlich in den Vororten existiren (Weißensee, Rixdorf n. s. w), ihr Wesen treiben, haben häufig Geld aus Brüffel erhalten, tdeils zum Fond- für die Unterstützung der Inbaflirten, tbeils auch al» Bezahlung für anarchistische Schriften. In Brüffel, Lüttich waren deutsche Anarchisten tbeils als Agenten Most'-, theilS selbstständig thätig. Einer der rührigsten Männer in dieser Richtung war der vor wenigen Jahren im Moabiter Gefängniß zu Berlin verstorbene Ioh. Neve au- Schleswig-Holstein; der ungemein geschickle, große, blonde, anarchistische Tischler saß ursprünglich im Zuchthaus» zu Halle, er wurde aber plötzlich von dort nach Berlin gebracht, weil, wie es damals hieß, die Anarchisten versucht haben sollten, ihn zu befreien. In Belgien bat der Anarchismus in kleinen Cirkrln unausgesetzt sein Wesen getrieben, die anarchistischen Mörder, Reinsdorfs und Genoffen, sind von den belgischen „Genossen" bi» in den Himmel erhoben worden; die deutsche anarchistische Agitatorin Fanny Im le, die freilich hier iu Deutschland wegen de- tollen Blödsinns, den sie schwatzte, Fia»co gemacht, hat auch Iabre lang iu Belgien gehaust: kurzum, sortgrwuchert, wenn auch medr unter der Oberfläche, hat der Anarchismus in Belgien unausgesetzt. Zur Trinkgel-srage. SS Der kürzlich in Berlin versammelt gewesene Fachcongreß der Gastwirthsgehilfen Deutschlands hat mit allen gegen zwei Stimmen ein« Resolution angenommen, welche die Entlohnung in der Form des Trinkgeldes verwirft und di« Einführung eines .entsprechenden Gehaltes verlangt. Wenn die Resolution es als eine feststehende Thatsache brtrachtrt, daß bei den Kellnern das Trinkgeld oft die einzige, immer aber die hauptsächlichste Be zahlung ihrer Arbeitsleistung ist, so trifft dies ohne Zweifel zu. Nach den Erhebungen der Commission für Arbciterftatistik bekamen nur 82,5 Proc. der Kellner ein festes Gehalt, und zwar 17,9 Proc. monatlich 10 -F oder weniger, 54,7 Pcoc. 10—30 Mark, 9,9 Proc. über 30 c«; 17,5 Proc. erhielten gar kein Ge halt. Auch die Schäden, die mit dem Trinkgeld, der gemeinsten Form der Entlohnung, verknüpft sind, werden in der Resolution im Ganzen richtig zusammengefaßt. Offenbar beeinflußt durch deS Professors Vr. Karl Oldenberg Studie „Der Kellnerberuf" (Leipzig, Dmicker und Humblot) hebt sie hervor, daß da» Trink- geld im Kellner Habgier und Verstellung wecke, seine Selbst achtung verletze, ihn zur Verschwendung verleite, daS Kamerad- schaftsgefühl ersticke, während eS den Gast in hohem Grade be- lästige und zur Ueberhebung gegen den Empfänger heraus fordere. Alle diese Mißstände lassen sich durch die Einstellung des Trinkgekdgebens beseitigen. Aber ist in absehbarer Zeit für Deutschland dergleichen zu erwarten? Die von den Gastwirths- aehilfcn beschlossene Resolution äußert sich hierüber allzu opti mistisch: 'sie nimmt an, „daß das Publicum, wenigstens ein ausschlaggebender Theil desselben, sich entschließen könnte, diese ungerechte Besteuerung in Zukunft abzulehnen." — Zeigte sich in der That ein ausschlaggebender Theil dazu entschlossen, so wäre damit sicherlich ein Schritt zur Beseitigung des Trinkgeldes ge than. Doch es steht zu befürchten, daß der „Theil" eine winzige Minderheit und damit der Schritt vorwärts recht klein bleiben wird. Die alte Gewohnheit, der Glaube, besser bedient, und das Bedürfniß, vom Kellner umschmeichelt zu werden, ist bei zahl losen Gästen so tief eingewurzelt, daß sie darüber eine social- Pflicht vielfach auch dann vergäßen, wenn es ihnen an und für sich möglich wäre, sie zu erfüllen. In sehr vielen Fällen aber wird den Gästen die Erfüllung jener socialen Pflicht durch die Schuld der Kellner unmög lich sein. Sind auf dem Berliner Fachcongreß der Gastwirths gehilfen auch blos die Magdeburger Vertreter für die Beibehal tung des Trinkgeldes eingetreten, so daß die in Rede stehende Resolution gegen zwei Stimmen angenommen wurde, so wird es Doch immer genug Kellner geben, die den Gastwirthen ihre Ar beitskraft für die übliche Art der Entlohnung zur Verfügung stellen. Mag sein, daß gerade die jüngeren Elemente der Re form geneigt sind; werden sie aber mit zunehmendem Alter, wenn sie Familienväter geworden, der Reform geneigt bleiben? Oder werden sic nicht vielmehr mittels des Trinkgeldes besser ihre Rechnung zu finden glauben? Don den Gastwirthen aber wird kein sonderlicher Eifer für die Beseitigung des Trinkgeldes erwartet werden können, so lange sie nur einigermaßen genügend Personal unter den alten Bedingungen erhalten. Vielleicht machen die Hotelbesitzer hier und da eine Ausnahme zu Gunsten der Reform. Sie haben es leichter, das Trinkgeld Der Gäste in anderer Form von den Gästen zu erheben, als die Restaurateure: sie schlagen entweder einen festen Procentsatz zum Betrage der Hotelrechnung hinzu oder sie bringen für Tag und Gast eine bestimmte Summe in Ansatz. Das System der Procentualzuschläge wird von Ein zelnen auch auf Restaurants für anwendbar gehalten. Dock dürfe aus Concurrenzrückfichten nicht der Preis der Speisen er höht werden, sondern es müsse ein besonderer Preiszuschlag ein- lreten, also z. B.: „Ein Kotelett 1 Service 10 In Pariser Restaurants sind solche Zuschläge üblich; ob sie sich bei uns durchführen ließen, ohne daß die Concurrenten daraus »Capital schlügen und zum Verzicht auf die Neuerung nöthigten, bleibe dahingestellt. Im Hotel aber ist der Verzicht auf das Trinkgeld möglich. Das lehrt das Beispiel zahlreicher „Re formhotels", wie sie in Berlin, Hamburg, Elberfeld, Innsbruck, Luzern, Lugano u. a. a. O. bestehen. Neben Publicum, Gastwirthen und Kellnern find die Be hörden und der S t a a t in der Lage, auf die Beseitigung des Trinkgeldes hinzuwirken, indem sie mit gutem Beispiel voran gehen, wo sie auf die Trinkgeldfrage Einfluß haben. Wenn daher der Berliner Congreß der Gastwirthsgehilfen von der Regierung und den Communalbehörden eine Verordnung fordert, die fest setzt, daß in allen mittelbar oder unmittelbar unter ihnen stehen den Betrieben, wie Ersenbahn-Restaurationen, Kurhäusern, Nathskellern u. s. w., die Bezahlung der Arbeitskräfte hoch genug sein muß, um sie auf ein Einkommen aus Trinkgeld nicht ange wiesen sein zu lassen, so ist damit kein ungerechtfertigtes Ver langen ausgesprochen. Auch Oldenberg befürwortet in seiner oben genannten Schrift staatliche und behördliche Maßnahmen dieser Art; dagegen verwirft er ein gesetzliches Verbot der Trink gelder, wie es im Jahre 1891 die „Nationalliderale Correspon- venz" vorgeschlagen hatte. Ohne Zweifel würde daS Verbot in den meisten Fällen umgangen werden und nur mit einer un gerechtfertigten Preiserhöhung zum Schaden des Publikums endigen. Girbt man aber zu, daß daS Trinkgeld nur mit dem guten Willen der Mehrzahl der Betheiligten beseitigt werden kann, dann darf man sich nicht verhehlen, wie unendlich weit jenes Ziel gegen wärtig noch entfernt ist. Doch das Sprichwort „Der Tropfen höhlt den Stein" wird sich auch hier als richtig bewähren! Der Krieg in Südafrika. —t> Einem Mitarbeiter des „Matin" gegenüber äußerte sich Vr. LeydS, der gegenwärtig in Paris weilende Brüffel- TranSvaalgcsandte, über den Krieg bis zum Aensterste»: - „Die Antworten Englands und der Mächte haben auf die Bürger beider Freistaaten die heilsamste Wirkung geübt. Alle Selbsttäuschungen haben ein Ende. Jetzt gilt kein Zögern mehr. Oranje und TranSvaalleute wissen nun mehr, daß sie vom Sieger weder Gerechtigkeit noch Gnade noch Rücksicht zu erwarten haben. Im Kampf bis zum Aeußersten baben sie nichts mehr zu verlieren, dagegen Alles zu gewinnen. Schlimmeres, als waS ihnen ver sprochen wird, kann ihnen nicht widerfahren, denn daS Leben ist den Boeren weniger theuer «IS die Freiheit. Da sie keine andere Wahl haben, als Sieg oder Knechtschaft, so werden sie bis ans Ende kämpfen. Krüger bat den Ober- besebl im Felde General Botha, dem jüngsten und entschlossensten unserer Führer, anvertraut. Wir werden den Buschkrieg in einem Lande führe», dessen geriugste Einrelbeiten unseren Leuten bekannt sind, daS ihre Be- rürfnifse ihren Gewohnheiten gemäß befriedigt und dessen Klima idnen nicht schadet. Sie können den Krieg endlos verlängern, wenn sie wie bisher offene Feldschlachten vermeiden, dem Feinde keine Ruhe lassen und sich bei seinem Vormarsch in seinem Rücken wieder sammeln. Wa» die Goldminen betrifft, so achten die Boeren das Elgentbum und begeben obnc Notb weder Grausamkeiten noch Verwüstungen. Wenn aber daS TranSvaalgebiet über schwemmt wird, so kann Niemand sagen, wie weit die Nothwcndigkeit der Dertheidigung gehen wird. Unser Heer ist unberührt in sehr starten BertheidigungS stcllungen. Wir verfügen noch über mindestens 40000 gut versammelte, gut geführte Leute." Ten Ilebersall bei Bloemsontein beschreibt der Correspondent des „New Jork Herald" wie folgt: „Etwa 2000 Mann waren unsererseits engagirt und um faßten Oberst Broadwood's Cavallerie-Brigade, 2 Compagnien berittener Infanterie unter Oberst Anderson und Marlvr, die lj- und V-Balterien der reitenden Artillerie und zwei Train abtheilungcn. (Er nennt Oberst Pilcher'S 400 Cavalleristen nicht.) Die Transporte zogen diesen Truppen voraus. Der von den Boeren ausgesuchte Platz für den Hinterhalt war der denkbar bestgewählte. Wie groß die Ueberraschung war, zeigt die Thatsache, daß die mit dem Transport der reitenden Soldaten wie gewöhnlich ihre Kanonen auf den Wagen liegen hatten, so wenig dachten sie an irgend eine Gefahr. In Folge dessen waren sie starr vor Erstaunen, alt sie sich plötzlich in Steinwurfs Nähe des Feindes fanden. Jndeß bietet diese traurige Affaire eine freundliche Seite durch die Führung unserer Leute angesichts des unmittelbaren TodeS. Zuerst, als die Boeren er schienen, wurde nicht ein einziger Schuß abgeseuert, da jene offenbar die Absicht halten, die Truppe ohne einen Streich zu thun, aufzuheben, und sie scheinen auch in ihre Fähigkeit dazu vollstes Vertrauen gehabt zu haben. Sie hielten thatsächlich die Wagen und Truppen an und ließen ihnen die Wahl zwischen Tod oder Uebergabe. Ein Leutnant der berittenen Infanterie war einer der ersten, wenn nicht der erste Mann, welcher schoß. Er zog seinen Revolver und schoß einen Boeren nieder, während Major Beresford zügellosen Galopp commandirte und in den Blei Hagel hineinrilt, Weicker nun auf 40 m Entfernung loSbrack. Man konnte die Opfer dieses Gewehrfeuers gar nickt unterscheiden. Es fegte wie ein Sturm gegen Pferde, Soldaten, Transportneger, Invaliden auf den Wagen dabin und selbst eine flüchtige Frau und ihr Kind wurden getödtet. Der Train war hilflos, aber die Truppen zogen sich so schnell zurück und operirten mit solchem Mulhe, solcher Kühnheit und Kaltblütigkeit inmitten der natürlichen Ver wirrung, daß ihre Freunde daheim fast darüber jubeln und jedenfalls sehr stolz darauf sein dürfen. Nur ein engerWegsübrtc aus diesem von drei Seiten kommenden vulkanischen Kugel erguß. Trotzdem sand die Mehrheit der Leute denselben und einige Geschütze wurden mit glänzendem Heroismus und Hingebung gerettet. (Diese Darstellung des einfachen Zufalls, daß durchgegangene Gespanne jene Geschütze retteten, ckaral terisirt die gewobnle Schönfärberei dieses Correspondenten.) Dio Pumpwerke des Bloemfonteiner Reservoirs wurden vom Feinde besetzt und zerstört, aber wir besitzen Duplicatmaschineric (auch das ist in dem Sinne nicht wahr). Die Boeren halten diese Stellung immer noch, nachdem cs ihnen gelungen, sieben unserer Geschütze, thatsächlich den ganzen Train und viele Gefangene forlzubringen. Eine große Schlackt wird morgen, den 2. April, erwartet. (Dieselbe hat bekanntlich nicht statt gefunden.) Es sei den», daß die Boren vorsichtig genug sind, sich zuiüctzuziehen. Der Feind zerstörte viel der weggenommenen Munition und plünderte die Wagen auS, soweit er sie nickt fortsckaffen konnte. Sofort nach Eintreffen der Nachricht schickte der Obercommandant eine genügend starke Streitmacht auS, um diesen kleinen Boerensieg in einen britischen Erfolg zu verwandeln. Die Boeren haben ihre Genossen, welche die Waffen niedergelegt hatten, bestraft, sie baben viele derselben gefangen genommen und nach cem Hauptquartier abgeiübrt. Außerdem plünderten sie die Farmen und Häuser aller Derjenigen, welche bereit gelten, den Kampf aufzugeben. Sehr wahrscheinlich wird die Üeber- rasckung am Koornspruit der Politik der Großmuth nnd Nachsicht (?) ein Ende bereiten und uns zwingen, den Krieg zu einem raschen nnd energischen Ende (?) zn bringen. Das ist um so notbwendiger, als der vorzügliche Eindruck unserer Occupation des halben Freistaates sonst be deutend geschwächt Werden wird durch das aus dem gegenwärtigen Stande der Dinge geschöpfte Selbstver trauen der Boeren. Man hat den Boeren erzählt, daß Rußland im Kriege mit England ist, bereits ein Drittel Indiens erobert und 15 000 Mann in Afrika gelandet bat. (Die Wiederholung der abgestandenen RäubergesLichte, welche bereits London von den Russen erobern und 250 00" Russen Lord Roberts entgegenrücken ließ, ein schlechter Witz des von Rudyard Kipling in Bloemfontein redigirten eng liscken Blattes.) Es wird ferner erzählt, Frankreich sei im Begriff, Dover zu nehmen. Die Mehrheit der Boeren glaube» alle dicse Berichte. 2. April, 4,30 Nackm. Die 9. Division erreichte gestern die Nähe der Wasser werke und nahm sofort Fühlung mit dem Feinde, während andere Truppen schleunigst ausgesandt wurden, in der Hoff nung, daß die Boeren Stand halten und uns eine Gelegen heit geben werden, den Spieß umzudreben. Als indessen die Boeren unsere Verstärkungen kerankommen sahen, sammelten sie ihre Truppen aus den Hügeln hinter den Wasserwerken, ganz offen uns zum Kampfe herausfordernd, zu dem wir ohne die geringste Deckung eine vollständig offene Strecke Feld unter dem Feuer von Tausende» von Gewehren und vielen Geschützen überschreiten mußten. Sie gingen dann daZ« über, ihrerseits unsere berittenen Spitzen anzugreifen und die iu Plänklerlinie stehenden Shropshires zu beunruhigen. Die Briten zogen sich darauf (sie waren offenbar nicht so kampflustig, als der Correspondent annahm) auf die Hügel westlich vöm Koornspruit unter dem Schutze der Dunkelheit zurück, als die Cavallerie berankam. Dann zog die Infanterie weiter rückwärts nach Buschmanstvp (BoSmanskop) ab, eS der Artillerie überlassend, aus die Boeren loSzuhämmern, welche indeß auf unser Feuer nicht antworteten. (Es siebt fast so aus, als wäre dieser plötzliche Rückzug, nachdem man ebcn „in so starker Zahl anSgcrückt, um die Niederlage iu einen Sieg verwanceln zu können", keineswegs rin so srei williger gewesen, als hier dargestellt wird. Alle früheren Niederlagen wurden zuerst in ganz ähnlicher Wesse verhüllt.) Heute Morgen fanden wir, daß die Boeren sehr viel
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