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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.04.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000406024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900040602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900040602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-04
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Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesorderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschlnß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expehitio» zu richten. Druck und Verlag von E. P olz in Leipzig ä- 176. Freitag den 6. April 1900. 91. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. April. Der „Vorwärts" hat doch Recht gehabt, als er behaup tete, der am Dienstag an dieser Stelle besprochene Bericht der klerikalen „Köln. Volksztg." über Aeußerungen, die der Abgeordnete Roeren über die lvx Heinze und die deutsche Literatur gethan haben sollte, sei ein „Aprilscherz". Die „Köln. Volksztg." bestätigt es mit der Hinzufügung, jene angeblichen Aeußerungen seien „echte" Urtheile „liberaler" Kri tiker und ihr Aprilscherz habe den Zweck gehabt, die Gegner der lex Heinze gegen ihr eigenes Fleisch wüthen zu lasten. Als wir diese „Aufklärung" vernahmen, beschlich unS einen Augenblick das unbehagliche Gefühl, dessen „Hineingefallene" sich nicht er wehren können. Hatten wir doch aus der angeblichen Be merkung deS Herrn Roeren: Goethe habe Obfcönitäten -verbrochen, die einfach in die Literaturrubrik der ge heimen Sünden gehören — den Schluß gezogen, daß Herr Roeren eine Reinigung der Werke Goethe's mittels der lex Heinze anstrebe. Um so begieriger waren wir, das „echte", „liberale" Urtheil kennen zu lernen, welches die „Kölnische Volkszeitung" angeblich Herrn Roeren in den Mund gelegt hatte. Als liberale Quelle dieses UrtheilS über Goethe fanden wir in der „Köln. Volkszeitung" angegeben: „Blätter für literarische Unterhaltung 186t. Vgl. Köln. Volksztg. Literarische Beilage Nr. 13 S. 98." Zunächst nach der Literarischen Beilage des rheinischen Eentrums- organS greifend, lasen wir dort über Goethe's Gedicht „Das Tagebuch" folgenden Satz: „Als es („Das Tagebuch") 1864 entdeckt und von Emil Kuh herauSgegeben wurde, wiesen die Blätter für literarische Unter» Haltung es entschieden zurück, solche geheime Sünden ans Tageslicht zu fördern." So niederschmetternd dieses „echte" Urtheil der „liberalen Blätter für literarische Unterhaltung" zu fein schien, so sehr verhinderte uns ein unüberwindliches Miß trauen in die Ehrlichkeit deS Kölner Zesuitenblaties, auf eine Nachprüfung des vorstehenden EitatS aus den „Blättern für literarische Unterhaltung" zu verzichten. Wir schlugen also den Jahrgang 1864 der Blätter f. l. U." nach und fanden dort auf Seite 921 eine ausführliche Kritik deS Goethe'schen Gedichtes, der wir folgende Stellen entnehmen: „Eine eäitia eastigLta ans Licht zu fördern, ist das Streben der tugendsamen (altclassischen) Schulphilologie, und es bedarf bei den Ungezogenheiten, welche sich die Lieblinge der Camönen so häufig zu Schulden kommen lassen, eines großen pädagogischen Tactes, um eine schickliche Auswahl zu treffen, ohne dichterische Verdienste zu gefährden. Umgekehrt ist man bei Schriftstellern neuer Zeit be» strebt, gerade dergleichen „geheime Sünden" ans Tageslicht zu fördern und die Gesammtausgaben der Werke als lückenhaft hin» zustellen, indem man aus den Winkeln deS SchreibpulteS der großen Poeten unbekannte „werthvolle Gedichte" herausstöbert, welche ihr ünstlerischeS Gesammtbild ergänzen sollen." Der Kritiker kommt sodann auf Goethe's „Tagebuch", da- damals von Kuh veröffentlicht war, zu sprechen und fährt wörtlich fort: „Riemer sowohl wie Eckermann kannten die Dichtung.,Riemer, dem sie Goethe 1810 in Karlsbad dictirte, rühmt die rein mora lische Tendenz desselben: „Sie ist „DaS Tagebuch" betitelt, in vortrefflichen Stanzen ein verliebtes Abenteuer schildernd, wobei die Sinnlichkeit durch den Gedanken an die eine und wahre Ge-! liebte paralysirt wird." Auch Eckermann nennt die Tendenz eine sittliche. . . Eckermann erwähnt, daß Goethe... an eine öffentliche Mittheilung nicht dachte, „weil sie in einzelnen Motiven ohne allen Rückhalt natürlich und wahr sei, daß die Welt dergleichen unsittlich zu nennen pflegt". Das Pult eines Dichters hat jedenfalls seine Geheimnisse, welche man respectiren sollte; denn, was der Dichter selbst der Oeffentlichkeit entzieht, muß ihr auch entzogen bleiben. Es giebt Federübungen. . ., welche nicht für andere, oder nur für die intimsten Freunde bestimmt sind. Jede flüchtige Stimmung hat ihr Recht, aber dies Recht ist ein privates. Man ist in jüngster Zeit hierin etwas indiScret und verleiht Aeußerungen und Aussprüchen, die nur vom Augenblick eingcgeben worden, eine nachhaltige Dauer, welche das Charakter bild großer Männer verwirrt. Das Motiv Emil Kuh's ist jedenfalls ein ästhetisches; er wollte zeigen, wie jeder Stofs, selbst der verfänglichste durch die künstlerische Schönheit geadelt wird, die Goethes Muse überall hin begleitet." Der Kritiker bestreitet alsdann die „Hobe Sittlichkeit" des „Tagebuchs", faßt aber trotzdem schließlich sein Urtheil folgendermaßen zusammen: „Das Gedicht hat seinen Werth, weil es zeigt, wie auch auf schlüpfrigem Boden dieMuse des Dichters fein großes ernstes Problem, den Zusammenhang zwischen der sinnlichen und sittlichen Natur des Menschen, nicht auS dem Auge verliert. Außerdem spricht Goethe s köstliche Schalkhaftigkeit aus jeder Zeile. Doch ein „verborgenes Juwel" möchten wir diese Dichtung nicht nennen." Mit den vorstehenden, fein abgewogenen Bemerkungen vergleiche man die Unterstellung der „Köln. Volksztg", es sei ein „ecktes", „liberales" Urtheil, wenn die „Köln. Volksztg." Herrn Roeren sagen ließ: „Goethe hat auch Obsconi- täten verbrochen, die einfach in die Literatur rubrik der geheimen Sünden gehören". — Nicht ein liberales Urtheil, sondern ein ultramvntaneS ist eS, das im vorstehenden Satze zwar nicht Herr Roeren, aber die „Köln. Volksztg." gefällt hat. Das führende Centrumsorgan befindet sich damit in Ueder ein stimm» ng nicht nnr mit dem berüchtigten, in Donauwörth erscheinenden ultramontanen „Taschen kalender für die studirende Jugend", sondern auch mit einem der namhaftesten katholischen Literar historiker. In Wilhelm Lindemann's „Geschichte der deutschen Literatur" heißt eS (7. Auflage, Freiburg 1898): „In dein Leben Goethe's liegt das eigenthümliche Colorit seiner Dichtung, liegt ihre Wärme und Tiefe; wo aber dies Leben selbst glatt, nichtssagend wurde, sinkt auch die Poesie inS Gewöhnliche, Grillenhafte, Leiermäßige, Gemeine herab". Diese 7. Auflage ist in Nr. 3 der „Literarischen Rundschau für das katholische Deutschland", Jahr gang 1899, den „gläubig christlichen Kreisen" als ein „zu verlässiger Führer" u. s. w. empfohlen worden. Uebrigens sind alle die wirklich „liberalen" Urtheile, welche die „Köln. Volksztg." gesammelt hat, um sie „scherzhaft" Herrn Roeren in den Mund zu legen, ästhetische Urtheile; sie tadeln ge wisse Schriften und Schriftsteller aus ästhetischen Gründen. Diese ästhetischen Urtheile liberaler Kritiker hat die „Köln. Volksztg." in SittlichkeitSurtheile verwandelt, um sie Herrn Roeren in den Mund legen zu können. Und daß sie als SittlichkeitSurtheile in den Mund dieses Ab geordneten gehören, ergiebt sich aus den stenographischen Berichten seiner im Reichstage zur Bertheidigung der kleri- kalisirtcn lex Heinze gehaltenen Reden. Diese sagen genau dasselbe, was die „Köln. Volksztg." Herrn Roeren in den Mund gelegt hat, und weil aus der für Herrn Roeren so charakteristischen Erfindung klar hervorgeht, wie er und andere Richter seiner Art die klerikalisirte lex Heinze auS- legen und in Anwendung bringen würden, so hat in der That die „Köln. Volksztg." mit ihrem „Aprilscherz" der klerikalisirten lex Heinze — die richtiger lex Roeren heißen würde — einen tödtlichen Stoß versetzt. Für die Reichstagswahl in Aurich, wo die Freisinnigen den Nationalliberalen Semmler zu besiegen hoffen, interessirt sich Herr Richter außerordentlich. Die- ergiebt sich jedoch nur aus der Häufigkeit der Angriffe der „Freis. Zeitung" auf den nationallikeralen Candidaten, nicht aus der Mannigfaltigkeit der Gründe, die sie gegen besten Wahl inS Treffen führt. Herr Richter wärmt Tag für Tag den Gedanken auf, daß es mißlich sei, auf fünf Jahre einen Mann zu wählen, der ein Mal in einem Puncte seine Ansicht geändert habe. Herr Semmler hat nämlich vor vielen Jahren eine Aenderung deS Reichs tagswahlrechts für discutabel erklärt, ist aber bald zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine solche Aenderung weder möglich noch Wünschenswerth sei. Es ist begreiflich, daß Herr Eugen Richter, der sich seit dreißig Jahren wie ein Säulenheiliger unverrückt auf seinem Standpuncte zeigt, die Corrigirung einer politischen Meinung sür einen Makel ansieht. Aber unvorsichtig ist es doch vom volksparteilichen Führer, die Wahlfähigkeit ausschließlich von der politischen Unbelehrbarkeit abhängig zu machen. Denn abgesehen von Herrn LangerhanS, der überhaupt immer nur die Meinung des Herrn Richter gehabt hat, befindet sich auch im linken Freisinn kein Mann, der fick nicht einmal der Schändlichkeit einer Meinungsänderung schuldig gemacht hätte. Sogar Herrn Virchow'S Vergangenheit weist solche Flecken auf und — vielleicht wurde die Platte seiner Säule gescheuert — auch Herr Rickter selbst ist einmal vom Standpuncte der Unentwegtheit herabgestieaen. Er war in den siebziger Jahren einer der lautesten Ankläger der Nationalliberalen gewesen, weil diese eine Slrafproceßordnung zu Stande gebracht hatten, aus der der Zeugnißzwang bei Preßprocessen nicht zu entfernen war. Zwei Jahrzehnte stimmte derselbe Herr Richter für eine Reform derselben Strafproceßordnung, in die die Abschaffung deS Zeugniß- zwangeS einzubeziehcn auch nicht gelungen war. lieber das Attökttat auf -en Prinzen von Wales liegt heute nur folgende, recht unbestimmt lautende Nachricht vor: * Brüssel, 6. April. (Telegramm.) Sipido, der sich bisher in seinen Aussagen vor dem Untersuchungsrichter wider sprochen hatte, scheint nunmehr sich zu einem Geständnisse herbeilassen zu wollen. Es scheint daraus hervorzugehen, daß er sich mit mehreren Kameraden zu einem Complot verbunden hat. Die Staatsanwaltschaft kennt nunmehr die Theilnehmer; einer von ihnen, NamenS M., der den Revolver zu dem Attentate ge liefert hat, ist wahrscheinlich jetzt verhaftet. Nach seinem Verhöre bei dem Untersuchungsrichter hat Sipido sich lange Zeit mit seinem Bertheidiger unterhalten, dem er Einzelheiten über die jungen Leute angab, mit denen er während der letzten Tage verkehrt hat. Die Hauptfrage, ob Sipido lediglich als Anarchist ge handelt hat, oder auch als fanatischer Englandkaffer, oder endlich ob er, wie ein Brüsseler Telegramm der „Frkf. Ztg." behauptet, nach seiner eigenen Aussage „weder Anarchist noch Socialist" ist, bleibt auch heute noch unbeantwortet. Ein Mitschuldiger Sipido'ö soll der löjäbrige Student van Rot) sein. Nach einer anderen Meldung seien noch zwei Personen als betheiligt verhaftet worden. Da Sipido noch nicht 16 Jahre alt ist, so fällt er angeblich nicht unter LaS Strafgesetzbuch. Es heißt, er werde wahrscheinlich bis zu seinem 21. Lebensjahr von der Regierung einer BefserungS anstatt überwiesen werden. Er arbeitete als Kiempnergchilfe bei seinem Vater und galt als ein ordentlicher, fleißiger Mensch. Die Familie ist eine gute Arbeiterfamilie und er freut sich allgemeiner Achtung. Ihre Vorfahren waren Spanier. . . ' ' DaS ausländische Bevölkerungselement in Frankreich bezifferte sich am letzten Jahresschluß auf l 051 907 Personen, davon 555 384 männlichen und 496 523 weiblichen Geschleckt-. Darunter befanden sich 90 746 Personen deutscher Nationalität. Wenn man die statistische Zahlen reihe seit 1851 durchmustert, so gewahrt man, daß die Zunahme des ausländischen BcvölkerungSelementS eine stetige gewesen ist, mit Ausnahme deS Zeitraums der letzten 5 Jahre, wo eine Abnahme verzeichnet wird, die indessen mehr schein bar als thatsächlick sein dürfte. Wenn innerhalb dieses Zeitabschnittes die Zahl der in Frankreich wohnhaften aus ländischen Bevölkerungselemente einen Rückgang um 78 304 Köpfe aufweist, so darf man nämlich daraus nicht den Schluß ziehen, als hätten diese Leute den französischen Boden wirklich verlosten, sondern die Differenz erklärt sich sehr einfach dadurch, daß gleichzeitig die Zahl der Naturali sationen als französische Staatsbürger eine starke Zunahme erfahren hat. Es kommt hinzu, daß die Zahl der in Frank reich geborenen Ausländer einen Rückgang von 420 842 auf 317 406 und andererseits die Zahl der französischen Ge burten eine Zunahme um 18L000 erfahren hat. Da es nun ausgeschlossen ist, daß die urfranzösische Nativität einer so plötzlichen Steigerung fähig sein sollte, nachdem bis dabin die Zahl der Todesfälle die der Geburten überschritt, so bleibt zur Erklärung der in Rede stehenden Erscheinung eben nur die Annahme übrig, daß hierbei der Wechsel der Staats angehörigkeit deS ausländischen Bevölkerungselements die aus schlaggebende Rolle spielte. AuS dem mitgetbeilten Ziffern material erhellt endlich, daß daS ausländische Element in Frankreich einen viel beveutsameren Raum einnimmt, als das französische Element im Auslände. Denn die Ausländer wandern in Mengen nach Frankreich ein, der Franzose aber wandert nicht aus. Der Krieg in Südafrika. Trotz des Einzugs der Engländer in Bloemfontein, der Hauptstadt des Oranjefreistaates, und der Annectirung desselben durch Lord Roberts besteht die Republik tatsächlich weiter, ihre Legislative functionirt fortgesetzt und Präsident Tteijn waltet in Kroonstadt, daS an Stelle Bloemfonteins getreten 10s Ferrttletsir- Drei Theilhaber. , , Roman von Bret Hart«. Nachdruck »erboten. Plötzlich schallte Pferdegetrappel und ein Gewirr vieler Stim men von der Straße herauf. Frau Hornburg 'wußte, das War die Albenldpost, di« hier Vorspann nahm; in wenigen Minuten würde die Post wöiter fahren und sie von ihrem 'Gatten befreien. Sie athmete erleichtert auf, als endlich der Ruf „Alles einsteigen!" er tönte und das schwerfällige Fuhrwerk in die Finsterniß hinein rollte, während der Schein seiner brennenden Laternen drinnen über Wand und Decke huschte. Doch jetzt hörte sie Schritte ans der Treppe; vor ihrer Zimmerthür hielten sie an, Stimmen flüsterten, die Dhür öffnete sich und eine weibliche Gestalt er schien auf der Schwelle, während «in Mann offenbar versuchte, ihr in das Zimmer zu folgen. „Nein, nöin, ich sage Ihnen, es geht nicht!" ließ sich eine Frauenstimme in hastigem Flüsterton vernehmen. „Es darf nicht sein; hier kennen mich alle Leute. Sie müssen warten und sich vom Hausmeister melden lassen; jetzt dürfen Sie nicht mit mir hereinkomwen. Still! Gehen Sie doch!" Die Frau versuchte, sich des Mannes zu erwehren, Man hörte einen raschen Kuß, dann gelang es ihr, die Thiire zu schließen. Langsam, als bewege sie sich in einem ihr bekannten Raume, schritt sie nach dem Kaminsims uüd zündete ein Licht an, dessen Schein auf ihre erregten Züge und blitzenden Augen fiel — es war Kitty Barker. Frau Hornburg, welche noch regungslos auf dem Stuhle faß, -hatte übrigens ihre Stimme und diejenige ihres Gefährten schon beim ersten Laut erkannt. Jetzt trafen sich ihre Blick«. Frau Barker fuhr zurück, doch stieß sie keinen Schrei aus. Sie sah ein vielsagendes Lächeln um Frau Hornburg's Lippen spielen und alles Blut schoß ihr in die Wairgen. „Dies ist mein Zimmer!" ries sie voller Entrüstung. „Wohl möglich", lautet« Frau Hornburg's ruhige Antwort; „aber man hat mich hier hineingewiosen; offenbar wurden Sie nicht erwartet." Frau Barker sah ihren Mißgriff ein. „O nein, nein", sagte sie, „natürlich nicht." Sie hatte Platz genommen und sprach mit nervöser Hast, während sic an ihren Handschuhen zupfte. „Wissen Sie, ich bin nur rasch einmal von Marysville herübergekommen, um auf dem Wege nach HymettuS mein altes Vaterhaus wieder »ufzUfuchen. Hoffentlich habe ich Sie nicht gestört. Vielleicht schliefen Sie gerade, äls ich die Thür aufmachte." Kitty blickte in gespannter Erwartung auf Frau Hornburg. „Nelin", versetzte diese, „ich halbe weder geschlafen, noch geträumt; ich hörte Sie hereintommen." „Manche Männer sind wirklich zu dumm", sagte Kitty mit gezwungenem Lachen. „Sie glauben, wenn ein« Frau die ge ringste Gefälligkeit von ihnen annimmt, so haben sie das Recht, sich Vertraulichkeiten zu gestatten. Der Mensch wird wohl nicht -übel verwundert gewesen sein, als ich ihm die Thür vor der Nase zumachte." „Ohne Zweifel", entgegnete Frau Hornburg trocken. „Doch möchte ich Herrn Van Loo nicht dumm nennen. Er flöht wenigstens im Ruf eines sehr gewandten Geschäftsmannes." Kitty biß sich auf die Lippen; ihr Gefährte war erkannt worden! Sie raffte ihr Kleid zusammen und stand auf. „Ich muß mich nun wohl nach einem Zimmer umsehen; es ,war Nie mand im Bureau, als ich ankam. Seit mein Vater die besten Leute mit nach HymettuS genommen hat, ist hier Alles in Un ordnung gerathen." Mit gut gespielter Gelassenheit schritt sie nach der Dhür. „Weshalb wollen Sie denn nicht bleiben?" fragte Frau Hornburg, ohne sich vom Stühle zu erheben. Kitty's Züge erhellten sich einen Augenblick. „O, ich könnte nicht daran denken, Sie vom Platze zu verdrängen", entgegnete sie mit rücksichtsvoller Höflichkeit. „Das war auch nicht meine Meinung", erwiderte jene. „Lassen Sie uns hier beieinander bleiben, bis Sie mit mir nach HymettuS fahren, oder bis Herr Dan Loo das Hotel verlassen hat. Er wird schwerlich wagen, dies Zimmer zu betreten, so lange ich da bin." Frau Barker nahm unentschlossen und mit verlegenem Lachen wieder Platz, offenbar war sie in dergleichen Dingen noch wenig bewandert. Doch seltsamer Weise diente diese Unerfahrenheit nicht dazu, Frau Hornburg's Herz milder für sie zu stimmen; sie betrachtete di« jüngere Frau nur neugierig. Nach einer Pein- lichen Pause stand Frau Barier wieder auf. „Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen — ich will nur einmal hinunterlaufen, mir die Hände waschen und den Staub äbschiitteln — dann komme ich Widder." Auch Frau Hornburg erhob sich und trat dicht an sie heran. „Nein", sagt« sie, „zu allererst müssen Sie sich von Herrn Dan Loo losmachen und das Rendezvous aufgeden. Sie brauchen ihm nur zu sagen, wenn Sie ihm zufällig unten im Vorsaal begegnen, daß Sie mich hier drinnen fanden, und daß ich Alles gehört habe. Er wird Sie dann nicht mehr belästigen, verlassen Sie sich darauf." Aber mochte Frau Barker auch in Liäbessachen unerfahren sein, so verstand sie es jedenfalls, sich ihrer Haut zu wehren. Sic warf sich in einen Schaukelstuhl und wiegte sich aus und nieder, dabei abermals an ihren Handschuhen zupfend. „Es fällt mir gar nicht ein, Herrn Van Loo's albernem Betragen so viel Wichtigkeit beizulegen", sagte sie; „und waS Sie mit dem Rendez vous meinen, verstehe ich einfach nicht! Uebrigens", fuhr sie mit steigender Wärme fort, indem sie plötzlich zu schaukeln aufhörte, so daß sich das Gestell hinter ihr in die Höhe richtete, während sie die Ellbogen aus die Armlehnen stützte und herausfordernd zu Frau Hornburg aussäh. „Uebrigens möchte ich wissen, wie eine Frau in Ihrer Stellung — die getrennt von ihrem Männe lebt, es wagen darf, so mit mir zu reden!" Es entstand eine Stille vor dem Sturm. Frau Hornburg War näher getreten, hatte die Hand auf die Stuhllehne gelegt und sagte jetzt mit bleichen Lippen, während ihr« Stimme einen harten Klang annahm: „Gerade wegen meiner Stellung thue ich es. Weil ich nicht mit meinem Mann lebe, kann ich Ihnen am besten sagen, wir es sein wird, wenn Sie von dem Ihrigen getrennt sind — denn das muß Sie unausbleibliche Folge Ihres jetzigen Handelns sein. Ich habe es erlebt, daß derselbe Mann, der Sie heute verfolgt, weil er glaubt, Sie wären niicht glück lich nkit Ihrem Gatten, sich einst ftic berechtigt hielt, mich zu verfolgen, weil ich den meinigen verlassen hatte. Sie sind hier allein mit ihm, ohne Wissen Ihres Gemahls; ob Leichtsinn, Laune oder Eitelkeit Sie treibt, gilt gleich — das Ende vom Liede wird sein, daß Si« an meinem Platze stehen und Jeder, den e» gelüstet, sich sür berechtigt hält, Sie als leicht« Beute anzusehen. Si« können den Mann dort sofort auf die Probe stellen und die Wahrheit erfahren, wenn Si« ihm sagen, ich hätte Alle» gehört." „Vielleicht ist es ihm aber ganz gleichgiltig, was Sie gehört hüben", sagte Frau Barker keck. „Vielleicht ist er der Ansicht, daß Niemand Ihnen glauben würoe, wenn Si« die Geschichte er zählen! Wer sagt Ihnen, ob er nicht ein Freund meines Mannes ist und dieser meinen guten Ruf in seinem Schutz besser geborgen weiß, als in der Gesellschaft einer Frau wir Sie? Möglich, daß mein Mann zu allererst aus seinem Nkunde erfährt, welche abscheuliche Verleumdung über ihn Si« ersonnen haben." Einen Augenblick war Frau Hornburg ganz verblüfft über Kitty's Kühnheit. Sie kannte Barker's arglosen Sinn, und wußte, daß er feiner Frau unbedingt vertraute. Sein Glaube würde schwer zu erschüttern sein, obgleich man merken konnte, daß das Ehepaar zuweilen auf etwas gespanntem Fuße war. Sie beabsichtigte übrigens durchaus nicht, ihm Kitty's Geheimniß zu verrathen, wenn sie auch die ganze Scene um seinetwillen herbei geführt hatte. Im Gegentheil, sie wünschte, ihren guten Ruf zu schützen, doch konnte sie sich dabei einer gewissen Genugthuung nicht erwehren, daß sich jene, ihr gegenüber, in ihrer ganzen schwäche gezeigt hatte. Kitty würde keinerlei Schwierigkeiten haben, den Gatten von ihrer vollkommenen Unschuld zu über zeugen, wenn sie jetzt unmittelbar zu ihm zurückkehrtc, das stand fest. Noch sicherer zählte Frau Hornburg jedoch auf Van Loo's Angst vor jedem ärgerlichen Aufsehen und auf sein durchaus un männliches Wesen. Daß er Kitty nicht liebte, war außer Zweifel, und sie fragte sich vergebens, weshalb er sich wohl jetzt einer augenscheinlichen Gefahr aussetzen möge. Von alledem stand jedoch in Frau Hornburg's Gesicht nichts zu lesen. An das Kaminsims gelehnt, sagte sie in gelassenem Tone und mit einer anmuthigen Handbewegung nach der Thür: „So gehen Sie denn, um mit jenem arg verleumdeten Herrn zu verabreden, daß er Sie zu Ihrem Gatten begleitet und wieder mit ihm versöhnt — unter welchem Vorwand sie wollen. Wenn es mir gelungen ist, Sie vor den Folgen Ihrer Thorheit zu bewahren, will ich mir selbst seinen Tavel gefallen lassen." „Jedenfalls will ich unter keiner Bedingung noch einen Augenblick länger hier bleiben, um mich von Ihnen beleidigen zu lassen!" rief Kitty, entrüstet aufspringend. Sie stürmte zum Zimmer hinaus und in das Bureau hinunter. Hier fand sie den überbürdeten Hausmeister, von dem sie mit rothen Wangen und funkelnden Lugen zu wissen begehrte, waS das heißen sollt«, daß sie in ihres Bat«rS Hotel ihr eigenes Wohn zimmer besitzt gefunden habe, und weshalb man sie eine halbe Stunde warten lass«, ohne ihr auch nur einmal einen anständigen Raum «nzuweisen, wo sie Hut und Mantel ablegen könne. Selbst der Herr, welcher die Freundlichkeit gehabt hätte, sie zu begleiten, wäre außer Stande gewesen, ihr bi« geringste Be dienung zu verschaffen. Sie sagte daS Alles mit erhobener Stimme; s hätte das Ohr des in Red, stehend«, Herrn erreichen müssen, wäre er in der Nähe gewesen. DaS war jedoch nicht der Fall, und sie mußte sich wohl oder übel an den etwa» verwirrten Entschuldigungen des Hausmeisters genügen lassen, der sie nun schleunigst nach einem Zimmer geleitete, daS nur wenige Schritte von demjenigen entfernt lag, welches sie soeben verlassen hatte. Hier nahm sie hastig ihre Sachen ab, wusch sich die Hände, be trachtete ihre aufgeregten Gesichtszüge im Spiegel und lauschte dabei fortwährend, ob sich nicht durch die hqlboffene.
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