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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.04.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000407025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900040702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900040702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Reclamen unter dem Redactioilsstrich (4g»> spalten) 50^, vor den Famüieniiuchrichleii (6gespalten) 40 Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsrrnsatz nach höherem Tarif. ^rtra-BeilagkN (gesalzt), nur mit der Morgen »Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesvrderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen uud Annahmestellen je et» halbe Stunde früher. Anreisen sind stets an die Expehttto» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 94. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. April. CS ist eine alte Geschichte, daß die Socialvemokratie sich als die einzige berechtigte Vertreterin der Arbeilerinteressen binzustellen liebt. In einem durch die socialdemokratische Presse gehenden Artikel wild wieder einmal mit einer gewissen Unverfrorenheit den gläubigen Lesern versichert, daß heute von der Socialreform außer der Socialdemokratie Niemand spreche; die Fragen des Arbeiterschutzeö seien in den Hintergrund geschoben und als das neue Heil der capitalistischen Gesellschaft werde verkündet: „Colonien, Weltmachtspolitik". Daß gegenwärtig in Folge der Wandlung in den allgemeinen politischen Verhältnissen Vie großen Fragen der Wcltpolitik im Vordergrund sieben, ist zwar richtig, aber trotzdem ist es eine grobe Entstellung der Tbalsachen, wenn behauptet wird, daß die Aufgaben der Socialpolitik darunter zu leiden hätten. Der Verfasser jenes Artikels scheint sich gar nicht darum gekümmert zu haben, was im deutschen Reichstag vorgehl, sonst konnte er nicht so ungereimtes Zeug vorgebracht haben. Sollte er etwa nicht wissen, daß in der vergangenen Tagung die Novelle zu dem Znvalivitätsgcsetz verabschiedet worden ist, die manche wesentliche Verbesserungen dieses Zweiges der Arbeiterversichernng gebracht hat, daß gegenwärtig die No vellen zu den UnsallversicherungSgesetzen die Commission beschäftigen und daß im Reichsamt des Innern eifrig an der Reform der Krankenversicherung gearbeitet wird, um sie dem Reichstag in der nächsten Tagung vorlegen zu tonnen? Alle diese gesetzgeberischen Schritte sind dazu be stimmt, die Arbeiterfürsorge zu verbessern und die den Arbeitern durch die Socialreform erwiesenen Wohlthaten zu erweitern. Demgegenüber mag daran erinnert werden, wie die „Arbeitervertreter" ihre Pflicht, an diesen Vorlagen zur Verbesserung der Lage der arbeitenden Classen mitzu arbeiten, auffassen. Die Commission des Reichstags hat mit angestrengtestem Fleiß einige der Novellen zu den Unfallversickerungsgesctzen durchbcrathen, und da wagte eS der Abg. Stadthagen durck die Einbringung von An trägen, deren Zweck die Verhöhnung der Commission war, die Arbeiten anszuhalten, so daß er selbst von seinen Ge nossen einen „Rüssel" erhielt. Ferner wird der Reichstag nach Ostern noch die Gcwerbenovelle zum Abschluß zu br.ugen haben, und außerdem liegen mehrere Anträge vor, die ebenfalls in das Gebiet der Arbeiierfürsorge fallen und von ganz anderen Parteien eingebracht sind, als von der, die sich geflissentlich die Arbeiterpartei nennt. Das umfangreiche Werk der SeemanuSordnung ist bereits zur ersten Lesung gebracht und liegt gegenwärtig der Com mission vor. Also zu Beschwerden über eine Vernachlässigung der Socialresorm zu Gunsten der WeltmachtSpolitit liegt nicht der geringste Anlaß vor. Die Klage bat denn auch schwerlich einen anderen Zweck, als den, daS Augenmerk der Arbeiterwelt von den allgemeinen»politischen Verhältnissen abzulenken. Daß diese nicht rosig und nicht beruhigend sind, hat vor gerade einer Woche die „Leipziger VolkSztg." in einem „Wetterwolken" überschriebenen Artikel eingestandrn, in dem darauf bingewiesen wurde, daß die „Flottenpatriolen" unaufhörlich mit großen Gefahren drohten, die wie dunkle Wetterwolken am politischen Himmel hingen, und der dann wörtlich fortfuhr: „Wäre dies nur eine Erfindung der Flottenschwärmer, berechnet, den Gang der Flottenberathung zu beschleunigen, dann müßte man das ganze Gebühren alS eine Frivolität bezeichnen. Allein es ist leider nur zu richtig, daß Gefahren vorhanden sind, wir meinen kriegerische Gefahren, deren Consequenzen inan gar nicht abzusehen vermag." Allerdings versuchte der Verfasser dann nachzuweisen, daß gerade der Flottenbau Deutschland „um so sicherer" in einen ausbrechenden großen Conflict hineinlreiben werde; aber jevenfalls giebt es Arbeiter genug, die logischer denken, als der Verfasser, und als bestes Sicherungsmittel gegen drohende kriegerische Gefahren entsprechende Rüstungen ansehen. Kann man solchen Arbeitern die Gefahren nicht mehr fortlüzen, so sucht man sie wenigstens von richtigen Schlußfolgerungen da durch sernzubalten, daß man sie durch Klagen über Still stand der Socialreform gegen die verbündeten Regierungen und die bürgerlichen Parteien aufstachelt. Bei der Etatsberatlmng im Reichstage, und zwar Leim Specialetat der Zölle und Verbrauchssteuern, am 3. v. M. entstand bekanntlich eine längere Auseinandersetzung über eine Resolution, in welcher Aushebung Ser äollfrcthetl für TchiffS- baumaterialicn gefordert wurde. Beantragt war die Reso lution von der Budgetcommission, deren Mehrheit eS für zweck mäßig gehalten hatte, einen unter Umständen folgenschweren Beschluß aus dem Aermel zu schütteln, ohne daß zuvor die Ange legenheit auch nur mit einem einzigen Worte öffentlich discutirt worden war. Ein Mitglied der Commission batte die Sache angeregt, batte auf das Blühen des deutschen Schiffsbaues bin gewiesen und daraus gefolgert, daß dieser Gcwerbezweig einer Zollsreibeit seiner Rohmaterialien nicht mehr bedürfe — und flugs war die Mehrheit der Commission, trotz dringendster Abmahnungen zweier anderer Mitglieder, mit ihrem Urtheil und ihrem Beschlüsse fertig. Ein wahres Glück war es noch, daß der Etat der Zölle mit dieser Resolution gleich vierundzwanzig Stunden später auf die Tagesordnung des Plenums kam, so daß die Resolution hier zwar biöcutirt, aber, in Folge der entgegenstebenden Bestimmungen der Geschäftsordnung, noch nicht zur Abstimmung gebracht werden konnte. Diese mußte vielmehr bis zur dritten Lesung des Etats verschoben werden. Und auch bei dieser dritten Lesung, am letzten Sitzungstage vor den Osterferien, erfolgte noch keine Entscheidung, da eine inzwischen von dem Ab geordneten Broemel und Genossen eingebrachte Gegen resolution (auf Vornahme eingehender Erhebungen über diese wichtige Zollfrage) nur langwierige Debatten zu entfesseln drohte und das schon in Ferienstimmung befindliche Haus sich hierauf nicht mehr einlassen wollte. Man behielt sich daher vor, dem Gegenstände baldmöglichst nach Ostern eine gesonderte Berathung zu widmen. Die Interessenten des SchiffsbaneS sind damit nickt nur einer Neberrumpelung entgangen, da sie jetzt wenigstens Zeit ge wonnen haben, um sich zu rühren und dem Reichstage das einschlägige Material zu liefern, auf welches die Budget commission erstaunlicher Weise verzichten zu können glaubte, sondern — eS ist mit der Vertagung der Sache auch bereits noch etwas mehr erreicht worden. Während nämlich in der Budgetcommission die Conservativen für die Resolution gestimmt hatten, ist jetzt bereits deren leitendes Organ, die „Kreuzzeitung", zu einer ganz anderen Auffassung der Sachlage durckgedrungen, indem sie ohne jeden kritischen Zusatz i eine von der „Centralstelle für Vorbereitung von Handels- I Verträgen" ausgehende Notiz wiedergiebt, welche wörtlich wie folgt I schließt: „Daß die geplante Aufhebung der Zollfreiheit für Schiffs baumaterialien für diese Entwickelung unseres SchifföbaueS einen schweren Rückschlag bedeuten wird, ist zweifellos. Denn die heimische Industrie wird nicht im Stande sein, den gesammten Bedarf an Schiffsbaumaterialien in der er forderlichen Billigkeit, Menge und Qualität zu liefern." Demgegenüber stelle man sich nun vor, was die Buoget- Commission in aller Eile beschlossen bat, und welchen Ein druck es auf alle Betheiligteu hätte machen müssen, wenn der Reichstag sich jenen übereilten Beschluß sofort angeeignet hätte — wovon ihn thatsächlich am 3. März lediglich ein in der Geschäftsordnung liegendes Hinderniß abgehalten hat! Die Pariser Weltausstellung wird am Eröffnungstage fertig sein. Der französische Handelsminister und Genosse Millerand bat cs in der Deputirtenkammer soeben auf das Bestimmteste erklärt und sogar hinzugesügt, sie sei jetzt er öffnungsbereiter als je zuvor. Wer einmal einen Gang durch das Ausstellungsgeläude gemacht hat, hört zwar die Bot schaft des Herrn Millerand, aber ihm fehlt der Glaube. Die Kammer war indessen höflich genug, bei den feier lichen Versickerungen des Ministers keine Miene zu verziehen. Osficiell wird also die Ausstellung am 15. d. M. fertig sein, wenngleich es noch ein ungelöstes Problem ist, was man ansangen wird, um die Ausstelluugsbesucher über den Eindruck des Unfertigen hinwegzuläuschen, der beim Be treten des Platzes von allen Seiten auf sie wirken muß. Was den zu erwartenden Zufluß ausländischer Besucher an langt, so wird berichtet, daß bis jetzt von deutscher Seite der ergiebigste Fremdenzusluß in Aussicht gestellt sei. Nächst den Deutschen kommen die Amerikaner. Die Engländer, welche eS anfangs mit der Beehrung der Ausstellung durch ihren Bestich recht wenig eilig hatten — wurde jenseits des Canals doch eine zeitlang offen mit dem Vorschläge eines Ausstellungsbohcotts geliebäugelt — haben sich nun doch zu guterletzt eines Anderen besonnen. Namentlich in jüngster Zeit sind die Anmeldungen englischer Besuchslustiger massen haft eingezangen, und deren Zahl dürfte sich gegen 1889 mindestens verdoppeln. Diese Bereitwilligkeit der Deutschen, Amerikaner und Engländer genügt den Franzosen, um sie wegen der Frequentirung der Ausstellung durch fremde Nationen und deS Gelingens des Unternehmens als solchen vollständig zu beruhigen. Ein vom König von Italien erlassenes Dccret hebt laut telegraphischer Mittheilung aus Rom daS ckecrstc» l«88e, das verschiedene Beschränkungen deS Versamm- lungSrechtS und der Preßfreiheit anordnet, wieder auf. Nachdem die italienische Deputirtenkammer die Abänderung der Geschäftsordnung beschlossen bat, wodurch die Obstruktion in Zukunft verhindert werden soll, kann es nur als staats männisch bezeichnet werden, daß das Cabinet Pelloux den Stein des Anstoßes, vorläufig wenigstens, aus dem Wege räumt. Ganz verzichtet indessen, wie die italienischen Osficiösen versichern, das Ministerium Pellour keineswegs auf die unter dem Schlagwort provveckimsvti politiei be kannten Ausnahmemaßregeln, zu denen cs sich durch den Mailänder Aufruhr im vorigen Mai bestimmt sah. Die Zurückziehung des ckeereto logge solle lediglich die Möglich keit bieten, dessen Inhalt der veränderten Lage gemäß umzu gestalten, und die Regierung behalte sich vor, die betreffende Vorlage neu einzubringen, sobald die Erledigung der dringen deren Aufgaben deS Parlaments eine gründliche Be rathung ermögliche. Jedenfalls werde an den Bestimmungen über eine bessere Regelung der Preßveranwortlichkeit und über die Verhinderung von Ausständen in öffentlichen Dienst zweigen festgehalten, und auch das Vereins- und Dersamm- lungsreckt werde nicht ohne Aenderung bleiben. Wie der „Voss. Ztg." aus Nom gemeldet wird, hat ein Minister er klärt, die Obstruktion werde mit Unrecht einen Siez in der vorläufigen Zurückziehung des Decrets erblicken; dessen sofortige Verwandlung in ein Gesetz sei nur deshalb als un- nöthig erkannt worden, weil dank der Aenderung der Geschäfts ordnung dies nunmehr ohne Verzug geschehen könne, so bald die Nothwendigkeit eintrete. Der Krieg in Südafrika. -->. Wie das Kriegözlück wechselt, namentlich wenn e» slck nm den Kleinkrieg handelt, wie er jetzt in Südafrika geführt wird, zeigt die Roberts'sche Meldung von zwei Liegen, von denen der eine auf Seite der Engländer, der andere aus Seite der Boeren fällt. Lord Metbuen hat östlich von Kimberley am 5. April eine kleine Boerentruppe von 54 Mann gefangen genommen und dies nach Bloemfontein zu depeschiren vermocht, woraus hervorgeht, daß die Verbindung zwischen Kimberley und dem Hauptquartier wirderhergestellt fft, die Boeren also nicht im Stande waren, sie dauernd unterbrochen zu hallen. Das Betrübendste aber ist bei dem Zusammenstoß, daß General Billebois-MareuilS gefallen ist. Das ist ein Schlag sür die Boeren, der frei- iick nicht so schwer ist, wie die Gefangennahme Cronje'S und der Heimgang Ioubert's, der sie aber zweifellos wieder eines ihrer bewährtesten Führer beraubt. Was die Boeren an ihm verlieren, geht aus einer Charakteristik hervor, die vor einiger Zeit die „Neue Freie Presse" über ihn veröfsent lichte. „Man nennt ihn", hieß eö da, „in Transvaal den „Moltle der Boeren", in Frankreich den „südafrikanischen Lafayette"; General VilleboiS-Mareuil, ein starker Fünfziger, ist keine „minrerwerthige Kraft". Seinem strategischen Talente ist die Taktik der Boeren zuznschreiben, welche bisher siegreich gewesen. Sein Einfluß ist in allen Waffenthaten der Boeren zu erkennen, welche moderne Strategie zeigen und auf wissenschaftlichen Grundlagen aufzebant sind. Denn VilleboiS- Mareuil ist nicht allein ein Praktiker, kein bloßer Haudegen, sondern auch hervorragender militärischer Schriftsteller. Er hat mehrere strategisch-wissenschaftliche Werke geschrieben, in welchen er seine Erfahrungen, sowie seine theoretischen Studien in anschaulicher und interessanter Weise verwerthet. Sein Thatendrang hat ihn ans der französischen Armee getrieben. Als die Expedition von Madagaskar vorbereitet wurde, bewarb er sich um ein Commando. Es wurde ihm verweigert, da alle Obersten - Stellen bereits besetzt waren. Nun ging er nach Afrika und nahm dar Commando der Fremdenlegion an, weil er hoffte, die Legion werde zu der Campagne in Madagaskar beran- gezogen werden. Als diese Hoffnung sich nicht erfüllte, nahm Billebois-Mareuil seinen Abschied bereits vor vier Jahren Er tonnte sich gut aus seine physische Schwäche berufen, denn er ist ein kleiner, schmächtiger, unansehnlicher Mann, früh l ergraut und jeder Elasticität entbehrend. Nun hat er gezeigt, I welche Kraft in diesem schwachen Körper wohnt. Die Auf I gäbe, welche er übernommen, scheint ih« zu stärken. Er ist m Drei Theilhaber. Roman von Bret Harte. Nachdruck verboten. Sie machte 'die Thür auf und sah in den nur matt erleuchteten leeren Corridor hinaus. „Rasch, laufen Sie hinüber!" Bald vernahm Sie das Rascheln von Frau Barker'S Kleid nicht mehr auf dem Gang; eine Thür öffnete sich und ward wieder ge schloffen, dann blieb Alles still und sie kehrte in ihr Zimmer zurück. Gerade zur rechten Zeit. Schon im nächsten Augenblick hörte sie Barker's Stimme: „Danke", sagte er, „ich finde den Weg schon allein." Mit raschen Stritten kam er die Trepp« herauf, sie sah seinen braunen Lockenkopf über dem Geländer erscheinen. Das Licht, welches durch die offene Stubenthür in die düstere Halle strömte, blendete und verwirrte ihn zuerst; wer beschreibt jedoch seine Verwunderung, als ihm ganz unerwartet Frau Hornburg mit strahlenden Augen und lächelndem Gesicht auf der Schwelle entgegentrat. „Sie haben uns doch richtig ertappt", sagte sie mit anmuthiger Schalkhaftigkeit. „Ich hatte gar nicht übel Lust, Sie noch eine Weile im Hotel herumirren zu lasten. Bitte kommen Sie herein!" Barker folgte ihr mechanisch, sie schloß die Thür und führ in heiterem Tone fort: „Nun setzen Sie sich und erzählen Sie mir, woher Sie wissen, daß wir hier sind, und weshalb Sie uns noch zu so später Stunde überraschen?" Barker hatte di« Eigenheit, leicht zu erröthen, und auch dies- mal stieg ihm all«S Blut ins Gesicht, wie immer, wenn er mit Frau Hornburg zusamm«ntraf, die ihm nicht nur ehrerbietige Bewunderung, sondern zugleich auch, wegen ihrer höheren ge sellschaftlichen Bildung, ein« gewisse Ehrfurcht einflößt«. Er verbeugte sich und sah sich darauf ganz verdutzt bald in dem ihm wohlbekannten Zimmer um, bald starrt« er den Stuhl an, von dem Frau Hornburg aufgestan-den war, und dann wieder die Handschuhe seiner Frau, welche Jene kurz zuvor absichtlich auf den Tisch geworfen hatte. Jetzt ergriff sie dieselben rasch, wie um sie zu verbergen. „Ich hatte keine Ahnung, daß meine Frau hier ist", brachte Barker endlich hervor. „Als der Knecht eS mir sagte, war ich höchlich erstaunt, da st« mir kein Wort davon geschrieben hat." Während er sprach, erhellten sich seine Züge; Frau Hornburg bemerkte zum ersten Male den zerstreuten Ausdruck in seinen Augen, die sonst immer so treuherzig blickten, und die leichte Sorgenfalte auf seiner offenen Stirn. „Noch weniger rechnete ich auf das Vergnügen, Sie hier zu sehen", fuhr er fort. „Ich kam nur her, um mich nach meinem alten Theilhaber Demorest zu erkundigen. Er ist vor einigen Tagen aus Europa zurück gekehrt und hätte heute Nachmittag in Hymettus eintreffen sollen. Jetzt höre ich aber, daß er die ganze Strecke nicht mit der Bahn, sondern in der Postkutsche zurückgelegt hat unv am Kreuzweg ausgestiegen ist. So mußten wir uns natürlich verfehlen, und ich wäre ganz umsonst hergeritten, w«nn ich nicht jetzt die Freude haben könnte, Sie und Kitty nach Hymettus zu begleiten. Mr werden «ine herrliche Fahrt bei Mondschein Haden." Nach dieser Erklärung ward es Frau Hornburg nicht schwer, einen scherzhaften und äußerst witzigen Bericht von dem Streich, den sie mit Frau Barker ausgeführt hatte, zum Besten zu geben, der jedoch — wie ich kider gestehen muß — vollständig aus der Luft gegriffen war. Sie waren von den Herren in San Fran cisco allein gelassen worden, während diese sich zusammen in Hymettus vergnügen wollten. Da beschlossen sie denn, auf eigene Faust einen kleinen Ausflug zu unternehmen, theils um einige Privatgeschäfte — wegen ihrer Bergwertsactien — zu besorgen, theils um sich einen Extraspaß zu machen. Sie hatten höchst komische Erlebnisse gehabt; zuletzt noch in der Post, wo ein schreck lich neugieriger Mensch «inen der Mitreisenden, der aus Europa kam, mit Fragen schür zu Tode gequält hatte. Als er dann endlich auf dir Erkundigung, an welchem Ort er zuletzt gewesen sei, geantwortet habe, „in Hymettus", hätte der Frager gemeint, er wolle sich über ihn lustig machen, und —" „Ab«r", unterbrach sie hier Barker lachend, „jener Fahrgast ist vielleicht Demorest gewesen, der eben aus Griechenland kommt. Kitty hätte ihn doch aber wiedererkennen müssen!" Frau Hornburg sah sofort ihren Mißgriff ein; doch verstand sie es trefflich, ihn wieder gut zu machen, ja sogar Nutzen daraus zu ziehen. „Ohne Zweifel", erwidert« sie; „doch war di« arme Kitty von der langen, ungewohnten Reis« und der Hitz« so ange griffen, daß sie auf dem Rücksitz fest eingeschlafen war; sie selbst aber hätte man in ihrem Staubmcmtel und dem dichten Schleier unmöglich erkennen können. Die Aermste", fügte sie hinzu, „sei zu ihrem Leidwesen überdies bei der Ankunft von so rasendem Kopfweh befallen worden, daß sie gleich zu Bett gegangen wäre und gebeten habe, man möchte sie ganz in Ruh« lasten." Barker hörte Frau Hornburg» lebhafter Red« mit dem größten Interesse zu; er machte ein Gesicht, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Darüber hätte sie füglich Gewissensbisse haben sollen, doch war dies durchaus nicht der Fall und sie sagte in aller Seelenruhe: „Ich habe zwar versprochen, sie nicht zu stören, aber natürlich nun Sie — ihr Gatte — gekommen sind, ändert das die Sache und ich will " „Um nichts in der Welt", siel ihr Barker eifrig ins Wort. „Ich weiß nur zu gut, was Kitty's Kopfweh zu bedeuten hat, und last« ihr stets völlige Ruhe — zuweilen vergesse ich es leider." Dabei sah sie dieser rücksichtsvollst« aller Ehemänner mit seinen wunderschönen, treuherzigen Augen so freundlich an, daß die arge Heuchlerin nur mit Mühe das Lachen unterdrücken konnte, während sie vor Schüldbewußtsein über und üd«r erröthete. „Wissen Sie", fuhr er seufzend fort, „ich denke oft, daß ich für eine so verständige und scharfsichtige Frau die reinste Plage sein muß. Sie durchschaut die Menschen soviel Lester als ich, und paßt so gut für die Welt, während ich nichts weiter als ein Glückspilz bin — nxnigstens sagen das die Leute. Ein solcher Glücksfall war es auch für mich, daß ich sie damals bekommen habe. Es ist mir sehr lieb, daß sie sich mit Ihnen befreundet hat, denn bis jetzt habe ich mir immer eingebildet, Sie machten sich nichts aus ihr und hätten Beide kein Berständniß für ein ander. Komisch, daß zwei hübsche, treffliche Frauen sich oft nicht leiden können! Kitty in Ihrer Gesellschaft zu finden, freut mich doppelt, denn zuerst bin ich ordentlich erschrocken, als man mir sagte, sie sei hier. Ich konnte es mir gar nicht erklären. Anfangs glaubte ich, dir Sorge um unser Söhnchen, das mit der Wärterin und mir in Hymettus ist, hätte sie hergetrieben. Sie behauptet zwar immer, sie gehöre nicht zu den schwachherzigen Müttern; aber eS würde mich gar nicht wundern, wenn si« es langweilig gefunden hätte ohne den Kl«in«n, obgleich sie selbst gewollt hat, daß ich mit ihm in irgend eine Sommerfrische gehen sollte, weil er «ine Luftveränderung braucht." Frau Hornburg sah jetzt ein, daß ihre Lage viel schwieriger war, al» sie glaubt«. In der ersten Erregung hatte r» sie gereizt, ihren Tact und Muth bei dieser Gelegenheit zu beweisen; auch war sie von dem — wi« sie meint« — uneigennützigen Wunsche beseelt g«wesen, Sorge zu tragen, daß das Verhältniß zwischen Mann und Frau womöglich nicht geschädigt werd«. Auf Barker's harmlose Mittheilungrn war sie jedoch nicht gefaßt und konnte deren Wirkung auf sie selbst nicht vorau-sehen. Sie war der Meinung gewesen, Kitty habe sich in einem Augenblick thörichter Uebereilung zu dem unsinnigen Strrich bereden lassen, aber jetzt hatte «» ganz den Anschein, al» sei die Flucht lange vorher sorg fältig geplant geioesen. Schon vor drei Wochen hatte sie Mann und Kind fortgeschickt. Da steckte etwas dahinter. Die Sache spielte vielleicht bereits wer weiß wie lange. Wenn der kaltherzige Van Loo sie heute verlassen hatte, so war das möglicher Weise das «rbärmlich« Ende der Jntrigue, und nicht erst ihr Anfang. Hatte sich Frau Hornburg von jenem Weibe etwa ebenso leicht hinters Licht führen lasten, wie ihr Gatte? Einen Moment war sie außer Stande, ihm in die ehrlichen Augen zu sehen; die entgegengesetztesten Empfindungen stürmten auf sie ein: theils schämte sie sich ihrer Mitschuld an dem Betrug, theils erbebte sic vor wilder Freude bei dem Gedanken an eine Krisis, die ihn auf imm«r von seiner Frau trennen könnte. Glücklicherweise merkte er nichts von dem, was in ihr vor ging. Er hatte sich, wie von einem Alp befreit, in seinen Stuhl zurückgelehnt, ließ den Blick wohlgefällig in dem ihm so vcr trauten Raume umherschweifen und brach in sein jugendlich sorgloses Lachen aus. „Du meine Güte", sagte er, „wie genau erinnere ich mich noch an dies Zimmer aus alter Zeit! Es war ja Kitty's Wohnstube, die mir immer so hübsch und frisch vorkam, wie si« selber. Ihre Kreidezeichnungen fand ich ganz wunder voll, aber noch merkwürdiger schien es mir, daß sie überhaupt ein so unnöthiges Talent hatte. Für mich brauchte sie nur Kitty zu sein — das war mehr als genug. Sie wissen doch, wie Einem in solcher Zeit zu Muth« ist? Man fühlt sich selig in dem Bc wußtsein, wie hoch über uns " Er hielt plötzlich inne, denn ihm fiel ein, daß ja Frau Horrrburg's Ehe ausnehmend un glücklich gewesen sei. „Natürlich", fuhr er mit verlegenem Lachen fort und bemühte sich, etwas Schmeichelhaftes zu sagen, eine Absicht, die bei seiner geraden Natur nur allzu durchsichtig war; „natürlich meine ich nur unsere eigene Unwürdigkrit, die ihr Frauen uns arme Kerle so grausam fühlen laßt. — Dort auf dem Kaminsims stand damals rin Bild von Oberst Brigg in voller Uniform, mit der Widmung: „Für Kitty" von seiner eigenen Hand. Himmel, wie eifersüchtig war ich darauf! Denn Kitty nahm sonst ni« Geschenke von Herren an, sie ließ auch Niemand hier herein. Doch half sie sonst ihrem Datrr überall im Hotel, so viel sie könnt«. Zu jener Zeit war sie furchtbar streng", sagte er nachdenklich und seufzte, „aber damals war sie auch noch un verheirathet. Hier im Zimmer habe ich ihr den Antrag gemacht. Was hatte ich da für Angst! —" Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann in fast schüchternem Tone fort: „Würde e» Sie langweilen, wenn ich Ihnen noch mehr davon erzählte?" Frau Hornburg war auf derartige persönliche Mittkeilungen durchau» nicht vorbereitet, doch lächelte sie verbindlich, obgleich si,
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